Читать книгу Von Get Back zu Let It Be - Friedhelm Rathjen - Страница 7
Alles muss vergehen Freitag, 3. Januar 1969, Filmstudio Twickenham
ОглавлениеAls gegen halb elf an diesem zweiten Probentag die Filmaufnahmen beginnen (ab jetzt sind zwei Kameras im Einsatz), sind Paul und Ringo da, George und John aber noch nicht. Paul nutzt die Zeit des Wartens auf die beiden Gitarristen, indem er sich ans Klavier setzt und zwischen Fingerübungen einige neue Stücke anspielt. Dies sind großteils keine Stücke, die für den geplanten Liveauftritt geeignet sind, sondern ruhige, balladeske Klavierkompositionen. Bei Einsetzen der Aufnahmen spielt Paul gerade die letzten Takte eines verträumten Stücks, von dem es zuvor nur eine Demo-Aufnahme aus dem Dezember 1968 gibt: THE LONG AND WINDING ROAD (0:14+). (Angeblich hat Paul den Song schon während der Arbeit am „Weißen Album“ einmal auf Band gespielt, dieses Band ist aber verschollen.) Als nächstes singt und spielt er – begleitet von Ringo, der den Rhythmus klatscht – eine schnellere Neukomposition, OH! DARLING (1:01+), improvisiert ein wenig und nimmt sich dann spielend, singend und pfeifend ein schon komplett ausgearbeitetes Stück vor, nämlich das nach Gassenhauer klingende MAXWELL’S SILVER HAMMER (2:55), das bereits für das „Weiße Album“ im Gespräch war, aber nicht allen Beatles bekannt ist. Paul und Ringo, der wieder mitklatscht, haben ihren Spaß und zeigen das auch, indem sie einige Passagen theatralisch übersteigern. Regisseur Michael Lindsay-Hogg fragt sie: „Ist euch Jungs überhaupt bewusst gewesen, dass ihr gefilmt werdet?“ Paul antwortet lachend: „Aber nicht doch!“
John und George sind noch immer nicht da, also übt Paul weiter sein Klavierspiel, diesmal mit einem elegischen Stück des amerikanischen Komponisten Samuel Barber, dem ADAGIO FOR STRINGS (4:07+). Knappe anderthalb Minuten dieser Klavierübung sind später im Film Let It Be zu hören – allerdings nicht zu sehen, da Lindsay-Hogg sie mit späterem Bildmaterial verschnitten hat. Paul beendet die elegische Stimmung mit einer Cha-Cha-Version des Klassikers TEA FOR TWO (1:08), die Ringo mit Schenkelklatschen und rhythmischem Teetassengeklapper begleitet. Das macht beiden Spaß, also wirbeln sie mit gesteigertem Tempo nochmals durch TEA FOR TWO (0:43), bevor Paul zu Fragmenten aus anderen Stücken übergeht: dem Walzer CHOPSTICKS (0:29), einer improvisierten Eigenkomposition (0:40), der Titelmelodie der Kindersendung TORCHY, THE BATTERY BOY (1:13), Jerry Lee Lewis’ WHOLE LOTTA SHAKIN’ GOIN’ ON (0:48) und einer weiteren Improvisation (0:35). Übergangslos geht es weiter mit einer neuen Eigenkomposition, bei der Paul zunächst nur mitsummt, bevor er die ersten Zeilen eines Textes über seine früh verstorbene Mutter anstimmt: „When I find myself in times of trouble / Mother Mary comes to me / Speaking words of wisdom, let it be.“ Dies ist die früheste bekannte Aufnahme von LET IT BE (1:09). Nach der ersten Strophe des noch unfertigen Stücks geht Paul in eine weitere Improvisation (1:13) über.
George trifft unterdessen ein und entschuldigt sich, er habe verschlafen – aber das macht nichts, denn John fehlt ja auch noch. Paul knabbert an einem schon angebissenen Apfel, der auf dem Klavier liegt (und ein hübsches Symbol der Beatles-Firma Apple abgibt). Paul tut es ein wenig leid, dass er dem Filmteam bisher nur Klaviergeplänkel zu bieten hat, aber Lindsay-Hogg stört das nicht: „Nein nein, das war schön. Das war ganz nett. Weißt du, wir haben ein paar Szenen eingefangen, wo man deine Finger nicht sieht, und wenn wir dann ein bisschen was für stimmungsvolle Stellen brauchen, lässt sich das vielleicht verwenden.“ Tatsächlich wird Filmaufnahmen des Moments, in dem Paul am Klavier improvisiert und George dazukommt, später im Film Let It Be der Ton des Adagio For Strings unterlegt. George hat derweil ein anderes Problem – er beklagt, dass sie auf den Fotos des Fanmagazins The Beatles Book inzwischen „immer älter“ aussehen.
Ringo, der älteste Beatle, nimmt nun Pauls Platz am Klavier ein, um einige Takte einer neuen Eigenkomposition zu spielen und dazu zu singen: TAKING A TRIP TO CAROLINA (0:36). Während Ringo anschließend weiter auf dem Klavier herumklimpert, blättern George und Paul in der neuesten Nummer von The Beatles Book. George liest belustigt ein paar Überschriften vor: „‚Die wahre Geschichte der Beatles’ – wir haben sie nicht verbergen können! ‚Paul McCartney und seine Freundin, die Fotografin Linda Eastman, besuchen in Portugal den Beatles-Biographen Hunter Davies’“. Dann greift er sich seine Akustikgitarre und spielt und singt Bruchstücke aus PLEASE MRS. HENRY (1:08), einem Song der Basement Tapes von Dylan und The Band. Ringo: „Ist das ein Blues-Stück?“ George: „Hast du sie nicht abgespielt, die Bänder von Dylan?“ Ringo: „Ach ja – äh, die wollten nicht laufen.“ George ist von Dylan sehr beeindruckt und fängt an, eine Eigenkomposition im Dylan-Stil zu spielen, RAMBLIN’ WOMAN (1:37); Ringo klimpert dazu auf dem Klavier herum, und Paul steuert ein bisschen Harmoniegesang bei. Im Anschluss singt George zu akustischer Gitarrenbegleitung ein weiteres offenbar unfertiges Stück mit der Textzeile „Is it discovered?“ (0:40), und nun ist es Paul, der aus The Beatles Book vorliest. Ihn amüsiert die Hofberichterstattung: „Mir gefällt es, wie sie das durchziehen.“ George: „Auf die ist Verlass.“ Paul: „Das ist schon irgendwie verrückt. Selbst wenn wir im Kittchen säßen, würden sie noch niedlich drauflosschreiben: ‚Ringo, der ein bisschen einsitzt, sagt: Ist famos hier!’“
Ebenfalls amüsiert, spielt Ringo ein paar eher einfallslose Takte auf dem Klavier, und George schrammelt dazu auf der Gitarre herum. Das sind nicht einmal Fingerübungen, sondern eher Versuche, die Langeweile zu vertreiben. Gesprächsthema ist Pauls neuer Bart, dann Dylans ehemalige Begleitgruppe The Band, von der George regelrecht schwärmt: „Das ist alles Country & Western – wisst ihr, deren Lieblingsnummer auf unserem Album ist Ringos Nummer“ (also das rumpelige Don’t Pass Me By, der erste von Ringo geschriebene Beatles-Song überhaupt). Paul: „Ringo, schreibst du mal wieder einen?“ Eine taktlose Frage, wie Paul selbst gleich merkt. Ringo: „Ja, ich schreib wieder einen – will’s gern machen, aber hab’s auch wirklich satt.“ Zur Demonstration hämmert er am Klavier drauflos, um Bruchstücke aus einem in Arbeit befindlichen Lied über den Kauf eines „Picasso“ (0:35) zu singen und zu spielen; Paul und George murksen begeistert mit. George möchte etwas erzählen – „Wisst ihr, Dylan ...“ -, aber die anderen beiden schneiden ihm das Wort ab. Ringo nimmt gleich auch wieder sein zweites neues Stück in Angriff, TAKING A TRIP TO CAROLINA (0:26). George (der an der Gitarre mitspielt): „Welche Tonart?“ Ringo: „Dieselbe.“
Dann schlägt George ein paar Akkorde auf der Gitarre an, vielleicht um ein eigenes Stück zu spielen, doch Paul singt dazu HEY JUDE (0:09), und sie beginnen über Wilson Picketts Version das Liedes zu sprechen. Paul freut sich, dass seine Songs von guten anderen Künstlern aufgenommen werden. George mokiert sich, dass die Filmcrew die Beatles beim Nichtstun filmt, kommt dann aber wieder zum Thema: „Wenn ich an die ganzen Stücke denke, die ich noch hab – die sind alle eher langsam. Ich hätte noch Taxman, Teil zwei – Taxman Revisited, fünf Jahre danach. Das könnte vielleicht nett sein, müsste aber eher was Trauriges werden, vielleicht mit Streichern.“ Paul: „Sitar vielleicht.“ George: „Bislang gibt’s nur ein paar, die ich live ohne Gruppe machen könnte.“ George traut sich nicht recht, den Gedanken an Soloauftritte ernsthaft zu verfolgen. Paul: „Wenn du das machen könntest, das wär toll.“ Ringo stimmt zu.
Singend und an der akustischen Gitarre stimmt George erst einmal sein vom Vortag schon bekanntes Stück ALL THINGS MUST PASS (1:40) an, möchte es aber nicht als Solovortrag verstanden wissen: „Es wäre nett, wenn ich ein bisschen Schlagzeug dazu hätte.“ Paul drischt lärmend auf Ringos Instrument ein und singt ein paar Harmonien mit. Zu Pauls gewalttätiger Trommelei passt die leise Akustikgitarre nicht, also wechselt George zur E-Gitarre und spielt eine weitgehend improvisierte Instrumentalversion von DON’T LET ME DOWN (1:59). Passenderweise taucht kurz darauf der Autor des Songs auf, John, natürlich mit Yoko. Zum gemeinsamen Warmwerden legen die Beatles (nun wieder mit Ringo am Schlagzeug) eine recht schroff rockende Improvisation (2:59) hin. John hält sich noch zurück; die anderen drei gehen in eine von viel Spielfreude gezeichnete Version von Bo Diddleys CRACKIN’ UP (2:08) über, gefolgt von einer weiteren Improvisation (2:44), jetzt mit einem schnelleren Rhythmus. George spielt und singt (mit Pauls Unterstützung) noch ein Fragment aus CRACKIN’ UP (0:26), dann macht er (wiederum mit Pauls Begleitgesang) mit Elvis Presleys ALL SHOOK UP (1:05) weiter; auch Ringo trommelt ein bisschen mit. Alle drei scheinen Spaß zu haben; es ist, als wollten sie ihre undisziplinierte Frühphase wieder aufleben lassen, und so folgen übergangslos noch drei Songs aus ihrem damaligen Repertoire: YOUR TRUE LOVE (1:42) und BLUE SUEDE SHOES (1:32) von Carl Perkins sowie THREE COOL CATS (2:11) von den Coasters. Der bekennende Carl-Perkins-Fan George singt dazu die Melodiestimme, während Paul und nun auch John nach Kräften mitgrölen. Sowie sie fertig sind, tut John so, als verlese er Songwünsche von ihren ersten Fanclubs, der „Bulldoggenbande“ und der „Zementmixergilde“.
Die Beatles finden hörbar Gefallen an der Alberei und versuchen sich in dieser Laune an einer Art Hillbilly-Version von Dylans BLOWIN’ IN THE WIND (0:33+), dann an Little Richards LUCILLE (2:26), gekennzeichnet von Pauls Krächzern und Kieksern, die den Vortragsstil von Little Richard imitieren sollen. Opfer solcher parodistischen Verwurstungen können aber auch die eigenen Songs werden. So reißt Paul seine Kollegen in eine wie besoffen klingende Version der Lennon-Komposition I’M SO TIRED (2:14) vom „Weißen Album“, die er mit Anspielungen auf Alkohol und Drogen anreichert. Dann ist Pauls eigene Komposition OB-LA-DI, OB-LA-DA (1:26) dran, getragen von einem karibisch-hüpfenden Bassrhythmus und karnevalistischen Gesangseinlagen von Paul und John. Paul äußert sich abfällig über den aus Nigeria stammenden Congatrommler Jimmy Scott, der behauptet hatte, den Ausdruck „ob-la-di, ob-la-da“ habe Paul von ihm gestohlen, und dafür gern Tantiemen erhalten hätte.
Paul improvisiert auf dem Bass einen wummernden Soul-Rhythmus und singt dazu mit tiefer Stimme „Get On The Phone“ (0:47), weil irgendwo ein Telefon klingelt. John möchte mitspielen, doch sein Verstärker geht nicht, ein Problem, das Mal Evans auf Georges herablassende Anweisung hin behebt. Während die kleineren technischen Schwierigkeiten ausgeräumt werden, wummert Paul nochmals den Rhythmus von Ob-La-Di, Ob-La-Da herunter, während John mit viel Hall Akkorde von Don’t Let Me Down anreißt. Paul schlägt vor, den Song zu proben, und singt wiederholt die gleichen Textzeilen aus DON’T LET ME DOWN (0:21). Mal Evans wird losgeschickt, um den Text zu holen, nach weiterem Rumgealbere wird aber erst einmal das THIRD MAN THEME (1:48) aus dem berühmten Nachkriegsfilm Der dritte Mann gespielt (eine Nummer aus dem frühen Liverepertoire der Beatles). Dann folgt auf fragmentarische Gitarren- und Bassriffs und einen Ad-hoc-Gesang von John plötzlich ein kurzer Song in schnellem Tempo, der wie ein 50er-Jahre-Standard (oder eine Parodie darauf) klingt, aber offensichtlich ein Augenblickseinfall von John (mit Beigaben von Paul) ist; der Text besteht aus sinnlosen Floskeln mit der Schlüsselformulierung „Negro in reserve“ (0:43).
Damit kann endlich die ernsthafte Probenarbeit beginnen. John singt und spielt sich beherzt durch DON’T LET ME DOWN (3:20); nach anfänglichem Zögern machen die Kollegen mit, und es wird ein sehr sicherer und kompetenter Durchlauf, dessen Struktur nichts mehr von der Unklarheit verrät, die den Song noch am Vortag gekennzeichnet hat. Paul versucht sich an einer improvisierten Gegenstimme (eine Idee, die später wieder aufgegeben wird); John hingegen probiert kurz vor Ende des Stückes einen eingeschobenen Sprechgesang mit Variationen auf Zeilen aus Happiness Is A Warm Gun: „And when I hold you in your arms / And I feel your pancake next to my trigger“. Außerdem will John, dass George seiner Gitarre einen Sound entlockt, wie er ihn auf Long, Long, Long hinbekommen hatte – George erklärt John (der damals bei der Aufnahmesession nicht dabei war), dass er den mit seiner Gibson unter Zuhilfenahme der Studiotechnik hinbekommen habe und nicht (wie von John vermutet) mit einer bundlosen Gitarre, aber John ist das egal – er will nur diesen Sound haben.
Inzwischen ist es zwölf Uhr. Die Beatles arbeiten noch etwa eine halbe Stunde an Johns Song weiter, zum Teil konzentriert an einzelnen Problempassagen, spielen DON’T LET ME DOWN (2:22) dann aber auch wieder komplett durch. John: „Ich frag mich, wie lang es ist. Stop mal die Zeit, Mal. Wahrscheinlich ist es nur eine halbe Minute lang.“ Nach ein bisschen Detailgefummel, einer von John fabrizierten parodistischen Kurzform von OB-LA-DI, OB-LA-DA (0:03) und zwei Fehlstarts (bei denen Paul auffällt, dass die inzwischen installierte Lautsprecheranlage nicht funktioniert) spielen sie also noch einmal komplett und mit großer Sicherheit DON’T LET ME DOWN (2:40). Das Stück klingt nun sehr kompakt und dabei bereits relativ ausgefeilt. Während John ein paar Takte von SUN KING (0:05) klimpert, verrät Mal Evans das Ergebnis des Mitstoppens. Paul: „Das ist unglaublich! Es klingt wie bloß ...“ John: „... eine halbe Minute!“ Paul: „Okay.“
Wenn etwas gut und okay ist, soll man es sich nicht durch Überdruss verderben. Also weiter zu einem anderen Stück – Paul animiert seine Mitspieler zu einem Komplettdurchlauf von I’VE GOT A FEELING (3:57), dem neuen Gemeinschaftswerk von Lennon/McCartney. Der Durchlauf klingt recht beschwingt, aber noch nicht ausgefeilt, weshalb die unvermeidliche Detailarbeit an einzelnen Passagen folgt. Paul will eine bessere Überleitung haben und probiert ein paar Möglichkeiten durch; beim Versuch, eine Variante mit voller Lautstärke im Duett zu singen, kann John, dessen Stimme nicht hoch genug reicht, nur in Blödeleien verfallen: „So früh morgens, und ich bin nicht mehr achtzehn!“ Nach einigen weiteren Teilproben wird I’VE GOT A FEELING (3:27+) nochmals in ganzer Länge durchgespielt, mit vollem Einsatz, wenn auch John bei seinem Gesangspart ins Parodistische abgleitet. Paul, der sich durch große Teile seines Parts hindurchkreischt, äußert die Befürchtung, auf diese Weise rasch seine Stimme zu verlieren. Man geht dazu über, wieder gezielt einzelne Passagen nachzubessern, aber jedes „Oh yeah!“ muss einen um Pauls Stimme fürchten lassen – sie klingt schon etwas heiser, und außerdem scheint Paul für einen Moment das erklärte Live-Prinzip vergessen zu haben, als er Gitarren-Overdubs in Betracht zieht. Zur Erholung improvisiert er ein leicht an Ob-La-Di, Ob-La-Da erinnerndes Bassriff (0:22) – das Signal, dass nach mindestens zwanzig Minuten Arbeit an I’ve Got A Feeling erst einmal wieder Entspannung angesagt ist.
Am Vorabend waren Canned Heat im englischen Fernsehen aufgetreten, und Paul schwärmt: „Die Canned-Heat-Nummer – das Ding liebe ich, das neue.“ Also singt und spielt er es kurz an: GOING UP THE COUNTRY (0:06). Besonders gefällt ihm die Flöte in dem Stück: „Fast keine Seele drin – aber es ist toll. Und das Ende ist toll, weil sie einfach ein falsches Ende machen: dudududududududschmmdschmm.“ George ist derselben Meinung und spielt und singt eine Zeile aus dem vorherigen Hit der Band, ON THE ROAD AGAIN (0:05). Lässig und gleichzeitig kraftvoll finden Paul und George den Canned-Heat-Sound, und lässig und kraftvoll ist auch das, was Paul und John als nächstes anstimmen: ONE AFTER 909 (3:05). Alle vier Beatles sind sofort mit ganzer Kraft (wenn auch unsauberer Instrumentierung) dabei, denn es ist eine alte Lennon/McCartney-Nummer, geschrieben irgendwann zwischen 1956 und 1959 und zu hören in Aufnahmen von 1960 und 1962 sowie 1963, als bei den Sessions zur Single From Me To You mehrere Takes aufgenommen, aber nie veröffentlicht wurden. Der ungeschliffene Klang, in dem dieser alte Song im Januar 1969 geprobt wird, ähnelt erstaunlicherweise mehr der Urversion von 1960 als der kultivierteren (und dadurch langweiligen) Fassung von 1963 – und genau das entspricht natürlich dem Prinzip ‚zurück zu den Anfängen’, dem die Beatles hier huldigen. Sie haben viel Freude an dem rustikalen Stück, nur John erhebt Einwände: „Ich wollte schon immer den Text umschreiben.“ Paul, schüchtern kichernd wie ein schwärmerischer Schuljunge: „Aber nein – der ist toll!“ Beide blödeln noch mit dem simplen Text herum, als George einwirft: „Vielleicht sollten wir das Ding einfach spielen, ohne es zu üben. Vielleicht macht Übung es kaputt.“
Da sie gerade bei Uraltmaterial sind, stimmt John eine weitere nie veröffentlichte, aber aus dem Stand beherrschte alte Nummer an, BECAUSE I KNOW YOU LOVE ME SO (2:28+), was George Gelegenheit gibt, Gitarrenphrasen à la Carl Perkins aus dem Ärmel zu schütteln. Damit sind sie in bester Stimmung für einen weiteren Durchlauf von ONE AFTER 909 (2:52). Wieder belustigen sie sich über den Text, und wieder meint John, den müsse man etwas nachbessern, aber George findet, wenn ein Song einen packe, sei der Text völlig egal. John und Paul stimmen nun im Duett einen weiteren ihrer unveröffentlichten Songs aus alten Zeiten an, eine langsame Schnulze diesmal, deren Schlüsselzeile „I’ll wait ’til tomorrow“ (0:59) lautet. Damit bei Schnulzen angekommen, variiert John eine Zeile des Irving-Berlin-Standards A PRETTY GIRL IS LIKE A MELODY (0:11) zu „a girl is like a macaroni“, was Paul und George mit einem Schnipsel aus der ebenfalls unveröffentlichten alten Lennon/McCartney-Nummer THINKING OF LINKING (0:21) quittieren. Es hat den Anschein, als suchten die Beatles im Gedächtnis nach ihren ältesten Jugendsünden, um auszuprobieren, ob sich damit noch etwas anfangen lässt. Das nächste Stück, das Paul einfällt und von ihm zusammen mit John kurz angesungen wird, ist ein Liedchen mit der Eingangs- und Refrainzeile „Won’t you please say goodbye“ (0:50), bei dem John gesteht, dass er es weitgehend aus einem Song von Sam Cooke gestohlen habe. George fängt an, das betreffende Lied BRING IT ON HOME TO ME (1:55) zu singen, und die anderen stimmen schmachtend mit ein, soweit es ihnen ihre mangelhafte Textkenntnis erlaubt. Als nächstes singt und spielt George eine weitere Soul-Nummer, Marvin Gayes HITCH HIKE (1:57), zu der John und Paul mit Falsettstimmen die unvermeidlichen Background-Sängerinnen imitieren. Das klingt naturgemäß eher lustig als wirklich hörenswert, und gleiches gilt für den unmittelbar folgenden Versuch, das eigene YOU CAN’T DO THAT (2:15) vom Album A Hard Day’s Night (1964) zu massakrieren. Paul bringt das Thema von Titeln mit Wort- oder Klangwiederholungen auf, und George fällt dazu ein einschlägiger Song ein – also spielen sie mit viel Energie (und begrenzter Kunstfertigkeit) HIPPY HIPPY SHAKE (2:24), eine Nummer von Chan Romero aus dem Jahr 1959 (am bekanntesten in der Fassung der Swinging Blue Jeans, die allerdings erst Ende 1963 herauskam – die Beatles hatten das Stück schon früher in ihrem Live-Repertoire).
Damit erst einmal genug der Zerstreuung. George: „Wie wär’s mit Two Of Us On Our Way Home, bevor wir was essen?“ Paul zögert, ihm passt irgendetwas an dem Lied nicht, aber zu George sagt er, Glyn Johns habe vorgeschlagen, es mit zwei Akustikgitarren zu spielen. Paul bringt die anscheinend schon einmal besprochene Idee aufs Tapet, bei der geplanten Liveshow gekünstelte Ansagen vor die Songs zu schalten. John: „Wir müssen uns keine Sorgen machen deswegen.“ Paul: „Nein, nein.“ John: „Ich glaub, das ist einfach so, als wenn wir im Cavern wären, weisst du. Einfach die Gitarre nehmen, und los geht’s mit der nächsten Nummer.“ Paul: „Klar.“
Und los geht’s mit TWO OF US (1:55), nach wie vor mit E-Gitarren und mangels Textkenntnis mit viel „Hmm-hmm-hmm“ von Paul und John, der findet, der Song klinge in seiner Art, „so dahinzufließen“, ein bisschen nach den Lovin’ Spoonful. Bei dem Versuch, die Middle Eight (wie schon am Vortag probiert) in beschleunigtem Tempo zu spielen, bricht das Spiel ab. Es folgt deswegen gezielte Detailarbeit an der Middle Eight; Paul probiert verschiedene Möglichkeiten durch. Vier weitere Versuche eines Komplettdurchlaufs von TWO OF US (2:37/2:44/2:19/2:30) zerfasern jeweils am Ende oder brechen abrupt ab, weil entweder die zweite Middle Eight immer noch nicht funktioniert oder Paul den anderen (vorzugsweise George) Anweisungen gibt, was sie tun sollen: „Versuch’s mal andersrum.“ Die Idee mit der schnellen Middle Eight ist offenbar fallengelassen worden, und es gibt Momente und Passagen, in denen der Song zu leben beginnt. Insgesamt jedoch wird er im Lauf der Proben nicht besser, sondern wirkt eher bemüht und weniger homogen. Zeit für eine Pause.
Paul schlägt vor, zum Essen aufzubrechen, und George stimmt erfreut wieder einmal einen Dylan-Song an: ALL ALONG THE WATCHTOWER (0:16). Paul singt ein bisschen mit, und George erkundigt sich bei ihm, was denn mit seinem Auto sei, und fragt dann in Pauls Namen herum, ob diejenigen, die sich darum kümmern sollten, noch da sind. Worum geht es? „Waschen!“ Paul verteilt derweil Mandarinen an jeden, der eine will, und anschließend geht es zum Essen.
Nach der Mittagspause lässt Paul sich von Regisseur Lindsay-Hogg das Smell-O-Vision-Verfahren erklären, eine kuriose Technik, mit der man bei Kinovorführungen Gerüche verströmen lassen kann. Als Lindsay-Hogg dann von Shakespeare zu schwärmen anfängt, verliert Paul das Interesse.
George spielt einige Takte aus SUN KING (0:37) und gluckst dazu aus irgendeinem Grund; Paul begleitet ihn mit ein paar Basszupfern. Während John im Gespräch mit Lindsay-Hogg die Idee entwickelt, das angestrebte Livekonzert nur für einen einzigen Zuhörer (oder, etwas großzügiger, für eine achtköpfige Familie) zu geben, improvisiert Paul ein Riff (0:25+) auf dem Bass, dann jammen John und Ringo ein wenig herum (0:34+), George pfeift dazu und beginnt (unterstützt von der kompletten Band), Larry Williams’ SHORT FAT FANNIE (2:54) zu singen. Paul: „Welche Nummer sollen wir als nächstes machen?“ Statt zu antworten, stimmt John MIDNIGHT SPECIAL (2:05) an. Paul singt mit, aber auch gemeinsam kriegen sie nicht viel vom Text zusammen. George singt ein paar Zeilen aus einem Trinklied, möglicherweise einer sinnverkehrenden Variante des Abstinenzlerlieds I’LL NEVER GET DRUNK ANY MORE (0:12) aus dem 19. Jahrhundert; John kontert mit Louis Jordans WHAT’S THE USE OF GETTING SOBER (WHEN YOU GONNA GET DRUNK AGAIN) (0:09), George wiederum mit einem uralten Gassenhauer, WHAT DO YOU WANT TO MAKE THOSE EYES AT ME FOR (WHEN THEY DON’T MEAN WHAT THEY SAY!) (1:02). Das Geschrammel und Geblödel beendet George mit einer Bluesphrase, wozu ihm zwei Anekdoten über die Blues-Gitarristen B.B. King und Albert King einfallen. Paul, offenbar etwas gelangweilt, spielt das Bassriff von MONEY (THAT’S WHAT I WANT) (0:35) und sagt den Kollegen, sie sollten sich mal ihren „Plan“ anschauen – gemeint ist eine Liste mit neuen Stücken samt Texten, auf der George nur Sachen von sich selbst und Paul findet. Hat John keine Songs mehr zu bieten? John: „Bloß eine Strophe von einem – Gimme Some Truth oder so. Vielleicht können wir das ja fertigkriegen.“
Paul kennt Johns Fragment schon, da es bei ihrem gemeinsamen Indientrip Anfang 1968 entstanden ist, und versucht sich deshalb mit Johns Unterstützung an einer ziemlich unzusammenhängenden Version von GIMME SOME TRUTH (1:10). George macht nicht mit, sondern bereitet sich drauf vor, ein eigenes Stück in Angriff zu nehmen, das Paul vorgeschlagen hat. Er spielt zunächst zu Demonstrationszwecken auf der Gitarre den Anfang von ALL THINGS MUST PASS (0:36), singt ein wenig dazu, Ringo trommelt den langsamen Rhythmus mit, während Paul zappelige Bassriffs zugibt. John beteiligt sich nicht, und George schlägt vor, er könne vielleicht eine Lowrey-Orgel spielen, die aber zunächst hergerichtet werden muss. Nachdem George die Akkorde erklärt hat, versuchen die Beatles einen ersten Durchlauf von ALL THINGS MUST PASS (3:39+), bei dem nach kurzer Zeit auch Johns Orgel zu hören ist – sie klingt allerdings nicht unbedingt (wie von George wortreich erhofft) nach The Band, sondern eher nach Fingerübungen auf einer Kirchenorgel.
Die nächsten zwei Stunden gehören der Arbeit an Georges pastoralem Stück. Nachdem George nochmals die Akkorde erklärt und bei Mal Evans nachgefragt hat, welche Gitarren zur Verfügung stehen, versucht man einen weiteren Durchlauf von ALL THINGS MUST PASS (1:58), der aber abbricht; am auffälligsten an diesem Versuch ist, dass Paul verschiedene Methoden durchprobiert, eine zweite Stimme zu singen. George möchte den Song eigentlich auf Akustikgitarre spielen, aber wie soll das funktionieren? John meint, dieses Problem hätten die Aufnahmetechniker bei anderer Gelegenheit schon einmal gelöst, aber Paul erinnert ihn daran, dass es jetzt nicht um eine Aufnahme, sondern um einen Liveauftritt geht. Tatsächlich haben die Beatles mit dem Konzerteinsatz akustischer Gitarren kaum Erfahrung; Yesterday, den einzigen akustischen Song ihrer Frühphase, spielten sie live (wenn überhaupt) meist elektrifiziert. Einer der Tontechniker hat die Idee, erst einmal eines von Pauls Mikrofonen für Georges Akustikgitarre abzuzweigen. Während das geschieht, verübt John einen parodistischen Anschlag auf THE WEIGHT (0:06), ein Stück der von George immer wieder erwähnten Gruppe The Band, und Paul amüsiert sich mit einer Version des Lulu-Hits I’M A TIGER (0:20). Die getragenen Töne, die John auf der Orgel erzeugt, veranlassen Paul zu einer kleinen Predigt: „Willkommen in der Drive-in-Kirche von Los Angeles!“ Nun hat die Akustikgitarre endlich ein Mikrofon, und George fängt an, gezielt einzelne Passagen zu spielen, dann folgt erneut ein gemeinsamer kompletter Durchgang von ALL THINGS MUST PASS (4:20). Hinterher fummelt George am Gitarrenmikro herum und bekommt einen Schlag, sehr zur Belustigung aller Umstehenden, deren Freude noch größer wird, als George es fertigbringt, sich noch einen zweiten Stromschlag zu holen. In irischem Akzent verkündet Paul: „Gentlemen, ich möchte Ihre Aufmerksamkeit auf diesen Bengel hier lenken! Er hat soeben einen Stromstoß erlitten. Falls dieser Bengel stirbt, wird man Sie zur Rechenschaft ziehen!“ (Diese Szene wird – allerdings gekürzt und geschickt umgeschnitten – später im Film Let It Be zu sehen sein.)
Inzwischen ist es vier Uhr. Es folgen drei weitere Durchläufe von ALL THINGS MUST PASS (3:08/3:30/3:36) und diverse Feilereien an Details, die George als sicheren Sänger und selbstbewussten Akustikgitarristen zeigen, die aber unter der halbherzigen Unterstützung vor allem von John und Paul leiden. So zupft Paul zwar am Bass, diskutiert aber nebenher lautstark mit Glyn Johns, den er auffordert, ein Mehrspurtonbandgerät zu besorgen. Johns klagt, mehr als ein Vierspurgerät habe EMI nicht zu bieten, was Paul in Wallung bringt: „Stimmt nicht – sie haben den Beach Boys ein Scheißachtspurgerät gegeben. Haben sie wirklich, denn ich brauchte neulich das Studio, und sie sagten, wir müssen das Achtspurgerät umbauen, das war eine von deren Ausreden!“ George: „Wär das hier Amerika, hätten wir 48 Spuren! Dabei geht’s um ein Livealbum. Sie sind die Plattenfirma, sie müssen zahlen, und sie müssen eins beschaffen.“
George, der immer wieder davon anfängt, mit welchem Gefühl The Band seinen Song spielen würde und wie schön es wäre, wenn die Beatles wie The Band klingen könnten, führt seinen eigenen Bandkollegen das an ausgewählten Stellen vor und verrät John, dass er zwei Zeilen („Sunrise doesn’t last all morning / A cloudburst doesn’t last all day“) beim Drogenguru Timothy Leary abgeschrieben habe, woraufhin John seine Orgel gleich viel psychedelischer klingen lässt. Ein weiterer Durchlauf von ALL THINGS MUST PASS (3:47) wird weitgehend von George und Paul allein bestritten; erst gegen Ende übernimmt John mit wüstem Gepolter Ringos verwaistes Schlagzeug. Mitten in weiteren Teilproben fragt George unvermittelt, ob sie jetzt nicht was anderes spielen sollten, aber Paul verneint, und so murksen sie relativ uninspiriert weiter. Mittlerweile sitzt Ringo wieder am Schlagzeug, und es folgt ein erneuter Durchlauf von ALL THINGS MUST PASS (3:31), anschließend allerlei ergebnislose Detailarbeit an einzelnen Passagen sowie an Pauls Harmoniegesang, ehe George einen weiteren Lobgesang auf The Band anstimmt, deren Mitglieder so wunderbar kompakt harmonieren, wie er findet. Nach etlichen Teilversuchen und Abbrüchen spielen die Beatles sich noch einmal komplett durch ALL THINGS MUST PASS (3:29), wobei alle vier sich ins Zeug legen, aber der allgemeine Überdruss ist kaum zu überhören; Paul gähnt sogar. „I pass away – ich vergehe“, verkündet John in einer weiteren Predigtparodie; es ist fünf Uhr, die lange Murkserei an dem trägen Song macht müde.
George weckt seine Kollegen mit einem kurzen E-Gitarrenriff unbekannter Herkunft (0:07), spult dann das Intro zu BACK IN THE USSR (0:11) ab, und da kommt ihm eine Frage: „Wollen wir gar keine alten Stücke spielen in der Show? Würde ich nämlich gern.“ Paul: „Weiß nicht – vielleicht.“ George: „Auch in kommerzieller Hinsicht wär’s schlecht, nur neue Sachen zu spielen. Es müsste was da sein, womit wir identifiziert werden, außer uns selbst. Wär doch schön, wenn wir die Show beginnen oder abschließen könnten mit ...“ John: „... alten Rock-Sachen und so was, wie Joe Cocker es gemacht hat. Ich hab mich neulich an Help! versucht.“ Also veränderte Versionen alter Songs?
George fällt auch ein gutes Stück für diesen Zweck ein, und er spielt mit Pauls Gesangsunterstützung ein paar Takte von EVERY LITTLE THING (0:24); viel scheint den beiden von diesem fünf Jahre alten Song aber nicht mehr in Erinnerung. Textsicherer ist George bei dem nächsten Stück, das er anspielt, PIECE OF MY HEART (0:34) aus dem aktuellen Album von Janis Joplin. John fällt unterdessen etwas anderes ein: „Wenn wir mit der Arbeit hier weit genug sind, sollten wir unsere Homogenität gleich nutzen, um das Album zu machen.“ Ein neues Album? „Ja. Wo wir gerade zusammen sind – und wenn wir dann auseinandergehen ...“ Es klingt ein bisschen so, als spreche John vom Ende der Gruppe. Paul kontert das mit dem Hinweis, sie müssten jetzt ihre gemeinsame „Karriere organisieren“, eine Anspielung auf ihre Zukunft als Gruppe, aber da klinkt John sich aus dem Gespräch aus und nudelt auf seiner Orgel ein paar Takte aus SABRE DANCE (0:13), einer irrwitzigen Rockversion des Säbeltanzes von Aram Khatchaturian, mit der die Band Love Sculpture gerade in den Charts vertreten ist. Paul beschwört eine Gruppenzukunft, die durch die gegenwärtigen Sessions beflügelt werde: „Der Grundgedanke ist doch, dass wir an einen Punkt kommen, an dem es uns Spaß macht oder wieder Spaß macht. Was würdet ihr dann gern als nächstes machen? Live auftreten, Jungs?“ George verpasst dieser Hoffnung einen Dämpfer, indem er wortreich betont, wieviel Arbeit das alles sei, und eigentlich wolle er nicht so schwer arbeiten: „Immer muss man rauf und runter und die Gitarre nehmen und wieder wegtun, und, weißt du, man muss auch die Gitarre spielen, wenn man’s gerade gar nicht will. Um an den schönen Teil ranzukommen, müssen wir erst diesen Scheißteil auf uns nehmen beim Geschäftstreffen, bis wir wieder zusammenkommen.“ Paul fällt als Antwort nur ein: „Weißt du, ich seh das wohl, aber wir müssen einfach dran arbeiten.“ Während George nochmals PIECE OF MY HEART (0:14) spielt, bestellt Paul etwas zu trinken. George gibt dem Assistenten Kevin Harrington Anweisung, ihm eine andere Gitarre zu bringen.
Paul improvisiert einen Song mit der einzigen, stetig wiederholten Textzeile „Over and over again“ (1:22), bei dem die anderen drei mitmachen, auch wenn sie sich gleichzeitig weiter unterhalten. Was sollen sie als nächstes spielen? John hat nichts zu bieten – „Es sei denn, ihr wollt The Road to Marrakesh machen“, aber das will er eigentlich selbst nicht. Alle jammern herum, dass sie eigentlich nur langsame Nummern auf Lager haben, die nicht zu ihrem Vorhaben passen. George: „Was sollen wir also machen – was anderes?“ Paul: „One After 909.“ John: „Das können wir schon, oder?“ George: „Aber wir müssen Routine kriegen.“ Paul stimmt zu, aber John will nicht, da verfängt es auch nicht, dass George kurz ein paar Akkorde von ONE AFTER 909 (0:18) anspielt und den Ablauf aufsagt.
Alle scheinen müde; John meint, er hätte gern was Flottes. George erklärt Paul den Unterschied zwischen sich und Eric Clapton: „Ich bin nur einer von mehreren Gitarristen, manchmal spiele ich und manchmal singe ich, so wie du manchmal singst und manchmal Bass spielst, aber Eric spielt die ganze Zeit alleine Gitarre, als Lead-Gitarrist, darum ist er derjenige, der’s im Griff hat. Ich weiß jetzt, ich kann Sachen spielen und Sachen lernen, die okay klingen, aber ich kann sie nie dauerhaft in Gang halten, außer ich tu mich mit den Big Three zusammen.“ John: „Es ist einfach eine Frage, das Solospiel zu lernen.“ George: „Ja, aber es ist noch mehr als das. Es ist das dauerhafte In-Gang-Halten von etwas über eine lange Zeit. Damit zieht er das Publikum auf seine Seite.“ George beschäftigen offenbar die Probleme des Liveauftritts; er hat erkannt, dass er nicht improvisieren kann. Als das Gespräch sich dem Jazz zuwendet, gibt George zu, dass er diese auf Improvisation beruhende Musikform nicht mag – ebensowenig wie Paul. George spielt mit Johns und Pauls Unterstützung kurz ein Stück an, das nun wirklich kein Jazz ist, nämlich I’VE BEEN GOOD TO YOU (1:30) von den Miracles.
Und dann proben die Beatles, trotz allen Geredes um Oldies, Rock ’n’ Roll und flotte Stücke, doch weiter Georges neues Stück. Der erste Versuch, es durchzuspielen, misslingt jedoch, und Paul fängt an, diverse Verbesserungen vorzuschlagen, aber George will nichts ändern, sondern einfach nur mehr Sicherheit gewinnen: „Je besser man’s kennt, desto besser kann man auch die Lücken füllen.“ Eine fast vollständige Version von ALL THINGS MUST PASS (2:30) gelingt ihnen. George schreckt ein bisschen davor zurück, es mit der Perfektionierung zu übertreiben, aber mit Pauls Hilfe wird noch ein Weilchen an den Gesangsparts und unklaren Stellen gefeilt. George singt eine nicht ernst gemeinte Textvariante, in der seine „makrobiotischen Pillen“ vorkommen, und John macht ein paar halbgare Vorschläge für Klangeffekte. Paul daraufhin: „Wollen wir’s nochmal versuchen?“ John: „Versuchen wir’s einmal noch.“ Einmal also noch ALL THINGS MUST PASS (2:08+), dann ist auch Georges Lied darüber, dass alles vergehen muss, für heute geschafft.
Es ist 5.45 Uhr – Zeit, Feierabend zu machen? Nein, noch nicht, denn nun hat Paul noch ein Stück zu bieten, jenen etwas albernen, nach Kinderlied klingenden Song mit dem Titel MAXWELL’S SILVER HAMMER, den er am Morgen schon Ringo kurz vorgespielt hat, der nun aber zum ersten Mal von allen vier Beatles in Angriff genommen wird. Bilder von diesem ersten Versuch finden später im Film Let It Be Verwendung, allerdings kombiniert mit einer späteren Probe vom 7. Januar, weswegen man beim Betrachten des Films den Eindruck bekommt, die Beatles hätten sich mitten im Stück umgezogen und die Instrumente gewechselt. Bei den ersten Proben jetzt am 3. Januar spielt Paul Bass, und John sitzt am Klavier. Etwa eine halbe Stunde wird an dem Stück gearbeitet, meist anhand von Teildurchläufen oder Gefeile an einzelnen Passagen (wie immer hat Paul sehr genaue Vorstellungen, wie alles laufen soll, und gibt beispielsweise Ringo präzise Anweisungen für dessen Spiel). George, der überraschend viel Freude an dem Lied hat und fröhlich mitsingt, macht den Vorschlag, Paul solle doch ihm den Bass überlassen und sich ans Klavier setzen, um das Stück besser im Griff zu haben; Paul stimmt zu, und George lässt sich von den Helfern seinen Bass bringen (mit Pauls Instrument, das für einen Linkshänder besaitet ist, kann er nämlich nicht viel anfangen). John, der daraufhin den Gitarrenpart übernimmt, bringt allerdings nichts zustande, was wirklich zum Stück passt. Zwischendurch singt Paul einen Teil des Songs einmal in erheblich schnellerem Tempo, aber das ist kein Versuch, etwas auszuprobieren, sondern dient (ebenso wie ein paar Fragmente im Walzertakt, die George am Bass initiiert) nur der Auflockerung. Ein einziges Mal schaffen die Beatles dann mit einiger Mühe einen kompletten Durchlauf von MAXWELL’S SILVER HAMMER (2:26), ehe die Probe wieder in vergeblichen Anläufen und Detailarbeit zerfasert. George fragt Paul nach dem vollständigen Text, aber der ist, so erfährt er, noch nicht fertig. Am Ende läuft die Probe vollends auseinander; Paul pfeift nur noch die Melodie vor sich hin, und George übt minutenlang allein (und wiederum zum Teil im Walzertakt) seinen Basspart.
Die Luft ist definitiv raus, nicht nur aus der Probe des auf die Dauer recht nervtötenden Songs von Paul, sondern auch aus dem Tag überhaupt. Ringo verabschiedet sich: „Nacht, alle zusammen!“ Dann gehen auch Paul und John, dem George noch nachruft, er solle sich die von ihm produzierte Jackie-Lomax-Platte anhören; George möchte einen Tipp bekommen, welche Songfolge die beste sei. Und dann ist, obwohl George mit Glyn Johns noch weiter über Achtspurgeräte diskutiert, Feierabend und Wochenende.
Das Fazit dieses zweiten Probentags fällt durchwachsen aus. Die Beatles haben Spaß gehabt, allerdings vor allem beim Schwelgen in alten Nummern, meist Fremdkompositionen, die sie aber nicht mehr recht beherrschen. Von der Fähigkeit früher Livejahre, ein großes Repertoire von Songs nach Belieben aus dem Ärmel zu schütteln, sind sie weit entfernt. Das einzige Stück aus der eigenen Frühphase, das sie noch hinbekommen, ist ausgerechnet das unveröffentlichte One After 909. Johns Don’t Let Me Down, das am Vortag noch recht problematisch klang, können die Beatles nun auf präsentables Niveau bringen, doch mit Two Of Us und I’ve Got A Feeling sind sie kaum weitergekommen. Maxwell’s Silver Hammer schließlich, Pauls drittes Angebot, ist vielleicht ein Opfer der Ermüdung in Folge der allzu mühseligen und zähen Probenarbeit an Georges All Things Must Pass geworden, einem Song, der aufgrund seiner feierlich-getragenen Stimmung für das beabsichtigte Konzert nicht sehr geeignet scheint – und eigentlich klingt der Song auch gar nicht nach den Beatles, ebensowenig wie die Klavieretüden, mit denen Paul sich den Morgen vertrieben hat. Gerade die besten Teile des Songmaterials, mit dem die Beatles sich an diesem Tag beschäftigt haben, können ihr Potenzial nicht richtig entfalten, weil es eher Solosongs sind als Ensemblestücke. Johns Anspielungen auf eine Karriere nach den Beatles sowie Pauls und Ringos Versuche, George zu Soloauftritten zu ermutigen, gehen eigentlich in dieselbe Richtung. In diesem Sinne ist der Tag dem Gruppengedanken nicht förderlich gewesen.