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Einiges aus der Geschichte der Astronomie im Alterthum

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Hochansehnliche Versammlung!

Auch uns vereinigt heute die sechsundachtzigste Wiederkehr des Geburtstagsfestes unsres erhabenen Kaisers und Königs, die in wenigen Tagen bevorsteht. Allüberall im deutschen Reiche und weit jenseits der Grenzen desselben, wo nur überhaupt Menschen deutschen Stammes und deutscher Sprache beisammen sind, gedenkt man in diesen Tagen mit Freude und Stolz des Begründers des deutschen Reiches. Und es ist gut, dass jährlich eine Zeit wiederkehrt, die zu diesem Gedenken auffordert und den Anlass dazu giebt, damit nicht die Gewohnheit uns abstumpfe und uns das als alltäglich und gewöhnlich erscheinen lasse, was doch nimmermehr gewöhnlich ist. Wir alle, die wir die grossen Ereignisse der letzten Decennien, seitdem dieser Herrscher den Thron seiner Väter bestieg, mit Bewusstsein durchlebt haben, müssen es uns immer wiederholen: wir sind begünstigt vor vielen andern Geschlechtern. Nicht bloss, weil wir das haben in Erfüllung gehen sehen, was die Hoffnung und die Sehnsucht unsrer Väter und Grossväter war, sondern auch weil es etwas besonderes ist, mitbetheiligter, wenn nicht gar mitwirkender Zeuge grosser Dinge und mitlebender Genosse grosser Männer zu sein. Gleichwie jetzt unser Volk, in den altangestammten Provinzen wenigstens, immer noch in den Erinnerungen an Friedrich den Grossen lebt, und dieser Fürst mit seinen Generälen, einem Seydlitz, Ziethen und so fort, dem gewöhnlichsten Manne vertraute und geliebte Gestalten sind, so wird in kommenden Zeiten in den alten und in den neuen Provinzen, ja vielmehr in ganz Deutschland, Kaiser Wilhelm I. mit seinen Prinzen und seinen Genossen, einem Grafen Moltke, Grafen Roon, Fürsten Bismarck, für Hoch und Niedrig ein geliebter Gegenstand gewohnter Unterhaltung und, im Bilde, des verehrenden täglichen Anschauens sein. Billig also dürfen wir mit Stolz uns freuen, dass diese Gestalt für uns nicht nur in der Erinnerung lebt, und müssen nicht am wenigsten auch die Gnade dankbar preisen, dass die Fülle der Jahre das Haupt unsres allverehrten Kaisers und Königs noch nicht gebeugt hat. Denn wenn wir in die Geschichte blicken, so finden wir auch dies soweit entfernt gewöhnlich zu sein, dass es eher beispiellos ist. Gerade der heutige Tag bringt uns die Grösse dieser Gnadengabe recht zum Bewusstsein.

Hochverehrte Anwesende! Die Universitäten, als die Pflegerinnen der Wissenschaft, und nicht zum wenigsten unsre Christian-Albrechts-Universität, haben noch ganz besondre Ursache zum Dank und zur Freude. Was unsre Universität dem deutschen Reiche und seinem erhabenen Begründer verdankt, steht zum Theil sichtlich vor unsern Augen. Das neue deutsche Reich hat sich alsbald angeschickt, auch die deutsche Wissenschaft in allen ihren Theilen zu pflegen und zu fördern. Zwar ist die Wissenschaft international, aber eben darum ein Gegenstand edlen Wettstreites unter den Nationen, und wenn wir Deutschen schon vorher, ehe wir ein geeinigtes Volk wurden, viel Ruhm und Ehren in diesem Wettstreite erlangt haben, so ziemt es sich jetzt vollends, nicht zurückzubleiben. So waren denn auch im verflossenen Jahre, durch die Fürsorge der Regierung Sr. Majestät, die deutschen Schiffe und die deutschen Männer der Wissenschaft auf den fernsten Punkten des Erdballs zur Stelle, als es galt, die seit mehr als zweitausend Jahren von der Wissenschaft gesuchte Entfernung des Himmelskörpers, von dem die Erde ihr Licht und ihre Wärme empfängt, durch Beobachtung des Venusdurchganges endlich genau zu ermitteln. Es entspricht dem Gebrauche bei Feierlichkeiten, wie die heutige, wenn ich an dies vielbesprochene Ereigniss des letzten Jahres eine kurze rückschauende Betrachtung anknüpfe. Die Wissenschaft ist wohl immer in rastlosem Vordringen zur Erforschung der Geheimnisse der Natur und des Geistes begriffen, aber daneben ist sie ebenso bestrebt, nach rückwärts die Verbindung mit den vergangenen Geschlechtern zu erhalten und deren Arbeit und Thun sich zu vergegenwärtigen. Wie der einzelne Mensch die Erinnerungen aus seinem Einzelleben pflegt, so die Wissenschaft die aus dem Gesammtleben der ganzen Menschheit.

Eine solche rückschauende Betrachtung der Entwickelung der astronomischen Wissenschaft muss nun, wenn sie bis an die Anfänge reichen will, über die Grenzen der christlich-europäischen Cultur weit zurückgehen. Denn die Astronomie ist älter als diese und zeigt schon durch ihre Namen und Kunstausdrücke, dass sie von andern Nationen und Zeiten her überliefert worden ist. Ausdrücke wie Zenith, Sternnamen wie Aldebaran sind arabisch; Sirius und Orion und die ganze Menge der mythologischen Figuren am Himmel, und dazu Bezeichnungen wie Pol, Ekliptik und so fort, sind griechisch, ebenso der Name der Wissenschaft. Neben diesen Spuren, welche die Griechen und die sie ablösenden Araber hinterlassen haben, zeigt die Fülle lateinischer Bezeichnungen, als Äquator, Meridian, Venus, dass die Römer auch in dieser Beziehung die Übermittler der griechischen Wissenschaft an das Abendland geworden sind. Diese lateinischen Bezeichnungen sind eben aus dem Griechischen übersetzt, gleich wie andre deutsche, als z. B. Tag- und Nachtgleiche, aus dem Lateinischen übersetzt sind; gehen wir nun aber noch weiter zurück, so finden wir, dass wie die lateinischen Planetennamen Übersetzungen aus den griechischen Götternamen, so auch diese griechischen selbst wieder Übersetzungen sind, und dass wir mit den Griechen noch nicht die ersten Anfänge erreicht haben. Diese sind vielmehr bei den orientalischen Nationen, den Ägyptern und Chaldäern, und zumal bei den letzteren, denen in der That ein keineswegs geringer Bestand verdankt wird. Die Namen der Planeten sind ursprünglich die babylonischer Götter, an deren Stelle die Griechen entsprechende aus ihrer eigenen Götterlehre setzten; daher sind dann auch, durch weitere Übersetzung aus einer Sprache in die andere, die Namen unsrer Wochentage gekommen. Babylonisch ist auch die Eintheilung des Thierkreises in 12 Zeichen und die Benennung dieser Zeichen; die Eintheilung des Tages in zweimal zwölf Stunden, statt in irgend welche andre Zahl, und die der Himmelskreise in sechsmal 60 Grade und des Grades in 60 Minuten; überall herrscht hier die Zahl sechs mit ihren Produkten, wie vor Tausenden von Jahren so noch heute. Und doch dürfte man nicht wohl von einer eigentlichen Wissenschaft der Astronomie bei den Chaldäern reden. Ich las kürzlich den Ausspruch eines bedeutenden Mathematikers, dass die Naturwissenschaften überhaupt nur in dem Masse wirklich als Wissenschaft gelten könnten, als sie mathematisch geworden seien. Ob nun dies bei den anderen Naturwissenschaften zutrifft, kommt mir nicht zu zu entscheiden; unbestreitbar aber gilt es von der Astronomie. Auch genügt nicht das Zählen und Rechnen, welches die Chaldäer auf Grund jahrhundertelanger Beobachtung zur Bestimmung der Umlaufszeiten der Planeten handhabten. Das war wohl Material für wissenschaftliche Astronomie, aber nicht diese selbst, und die Chaldäer sind mit ihren Mitteln und ihrer Methode nicht einmal zu der Erkenntniss gekommen, dass die Erde eine Kugel ist. Was sie aufbauten und ausbildeten, war vielmehr die Pseudowissenschaft der Astrologie, vermöge deren sie freilich einen merkwürdigen Einfluss nicht nur auf Griechen und Römer, sondern indirekt auch auf die modernen Nationen bis ins 17. Jahrhundert ausgeübt haben. Mit Recht also sagt ein Schüler Platons, dass die Griechen hier wie sonst zwar die Anregungen und Anfänge von den Barbaren überkämen, aber das Empfangene dann viel schöner auszugestalten wüssten. Die Chaldäer blieben in der Astrologie stecken, die wissenschaftliche, mit der Mathematik aufgebaute Astronomie ist, wie die Mathematik selbst, eine Schöpfung der Griechen.

Freilich erst sehr allmählich und niemals ganz hat auch dies begabteste Volk des Alterthums sich von kindlichen und abergläubischen Vorstellungen über die Weltkörper zu befreien vermocht. Nicht früher als etwa im 4. Jahrhundert v. Chr., in der Zeit Platons, beginnt zugleich die Mathematik und eine auf sie gegründete Astronomie einen grösseren Aufschwung zu nehmen. Damals sind es zwei Schulen, die sich die Ausbildung dieser Wissenschaften angelegen sein lassen: in Athen die des Platon, in dem griechischen Unteritalien und Sicilien die der Pythagoreer. Auf die letzteren wird die Aufstellung des Hauptproblems der alten Astronomie zurückgeführt, welches sie so fassten: was für gleichmässige und kreisförmige Bewegungen man vorauszusetzen habe, um den thatsächlichen Erscheinungen am Himmel gerecht zu werden. Wir können hier tadeln, dass das Problem zu früh gestellt sei, vor genügender Feststellung der thatsächlichen Erscheinungen, und ferner, dass die Lösung ungehöriger Weise durch zwei Bedingungen präjudicirt wurde, nämlich durch die geforderte Gleichmässigkeit und Kreisförmigkeit der Bewegungen. Es haben sich aber sämmtliche Astronomen des Alterthums und auch die der Neuzeit bis zu Kepler an diese Bedingungen gebunden; selbst letzterer hat erst spät und mit Widerstreben die kreisförmige Bewegung aufgeopfert. Bei den Alten nun hängt diese Forderung mit ihrer Religion zusammen. Denn während der Christ in den Dingen am Himmel nur eine Schöpfung sieht, welche mit der Erkenntniss zu beherrschen er sich berufen fühlt, erblickte die antike Menschheit, Schöpfer und Schöpfung vermischend, in der Sonne und den anderen Himmelskörpern sowie auch in der Erde etwas unmittelbar Göttliches, einen Gegenstand religiöser Verehrung. Ein Mann wie Platon will den Atheismus bezwingen durch den Hinweis auf die »sichtbaren Götter«, d. i. Sonne, Mond und Sterne, und die materialistische Schule des Epikur weiss diese beunruhigende Götterfurcht nicht anders fernzuhalten als indem sie, mit dem ihr eignen Dogmatismus, aller Mathematik zum Trotz auf das Dogma schwor, dass die Sonne nicht grösser sei als sie scheine, d. h. etwa einen Fuss breit. Erst das Christenthum hat dem Menschen die Freiheit von der Natur und die Herrschaft über sie zurückgegeben. Wenn nun aber, gemäss der antiken Auffassung, die Gestirne Götter waren, so schickte sich für sie nur eine ganz gleichmässige Bewegung, und ferner keine andre als die allerregelmässigste und einfachste, nämlich die Kreisbewegung. Man wird über diesen Grundirrthum der antiken Astronomie billiger urtheilen, wenn man bedenkt, dass an den scheinbaren Unregelmässigkeiten der Planetenbewegung, welche die Alten als nothwendig bloss scheinbar voraussetzten, der überwiegend grösste Theil wirklich bloss scheinbar ist, und dass der erste Fortschritt jedenfalls in der Erkenntniss dieses trüglichen Scheines bestehen musste.

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