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Kapitel 2

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Der Schlüssel zu diesem Mährchen ist wohl ziemlich

klar in der Geschichte Karls des Großen zu finden. Als

Karl mit eben so viel Bekehrungs- als Eroberungsgeiste

die kriegerische Schaubühne in Deutschland zuerst betrat,

waren die Deutschen, namentlich die Sachsen, noch

freie Völker voll Kraft und Muth, die sich durchaus nicht

einer fremden Herrschaft sklavisch unterwerfen wollten.

Als eifrige Götzendiener lag ihnen aber die Religion ihrer

Väter nicht weniger, als ihre Freiheit am Herzen. Karl bot

alle seine Kräfte auf, sie zu überwinden. Indessen wollte

er nicht bloß dieß, er wollte sie auch zum Christenthum

bekehren. Dadurch wurde er aber in einen Krieg mit den

Sachsen verwickelt, der über drei und dreißig Jahre dauerte.

Oft wurden die letztern geschlagen, aber nach jedem

Siege Karls, und nach jedem Friedensschlusse, griffen sie

immer wieder zu den Waffen, und nach jeder scheinbaren

Annahme des Christenthums kehrten sie zum Götzendienste

zurück. Dieß erbitterte Karln zuletzt so sehr,

daß er, nach damaligen schrecklichen Toleranzbegriffen,

Gewalt brauchte, viele, die sich nicht wollten taufen lassen,

niederhauen ließ, und gebot, daß diejenigen, welche

nach der Annahme des Christenthums fortfahren würden,

als Heiden zu leben, und den Götzen zu dienen, mit

dem Tode bestraft werden sollten.

Die heidnischen Sachsen mußten zwar endlich der Gewalt

weichen, und öffentlich die Taufe annehmen; allein

in ihren Herzen blieben sie dennoch Heiden, und wenn

sich Karl mit seinem Kriegsheere zurückgezogen hatte,

so opferten sie in den Wäldern von neuem den alten Götzen.

Karl ließ darauf ihre Altäre und Götzenbilder zerstö-

ren. Da sie hierdurch gehindert wurden, ihre Opferfeste

in der Ebene zu feiern, so flüchteten sie in die Wälder

und Gebirge des Harzes, und namentlich auf den Brokken,

der damals noch wenig zugänglich seyn mochte.

Karl gewahrte dieß nicht so bald, als er an den vorzüglichsten

Opferfesttagen die Zugänge zu den Gebirgen mit

Wache besetzen ließ. Allein die Sachsen sannen auf List,

dennoch an den Freuden ihrer Opferfeste Theil nehmen

zu können. Sie verkleideten sich in scheußliche Larven,

bewaffneten sich mit Heuforken und Ofengabeln, und erschreckten

dadurch des Nachts die Wachen so, daß diese

die Flucht ergriffen. Im Nothfall bedienten sie sich ihrer

Instrumente auch zum Schutze gegen wilde Thiere. Vielleicht

bedurften sie ihrer auch beim Opferfeuer selbst,

theils zum Nachlegen des Holzes, theils zum Herausziehen

der Feuerbrände, mit welchen in der Hand sie in

Schmaus und Fröhlichkeit um das Opferfeuer herum

tanzten. Da auf den Höhen des Harzes, wenigstens auf

dem Brocken, am Feste des ersten Maies gewöhnlich

noch Schnee lag, so bedurfte man der Besen, auf deren

Stielen die Fabel die Damen der Walpurgisnacht reiten

läßt, zum Fegen und Reinigen des Opferplatzes.

Die damaligen Christen hielten allgemein den Götzendienst

für Teufelsdienst, und glaubten nichts gewisser, als

daß der Teufel selbst, trotz der mit christlichen Wachen

besetzten Wege zu den Opferplätzen, seine treuen Anhänger

zu unterstützen wisse, und durch die Luft zum

Brocken hinjage. Ein Wahnglaube, welchen die abergläubische

Wache durch ihr Geschwätz von den gesehenen

Teufelsmasken und Hexengestalten zur Bemäntelung

ihrer Flucht entweder veranlaßte, oder doch nährte, in

dem sie ihm nicht widersprechen durfte.

Auf diese historisch wahren Umstände gründet sich die

Fabel von der Hexenfahrt auf dem Brocken.

Warum sie der Nacht vor dem ersten Mai angedichtet

worden ist, läßt sich zwar nicht mit Gewißheit beantworten,

aber doch mit Wahrscheinlichkeit. Da nämlich die

heidnischen Deutschen eins ihrer größten und fröhlichen

Feste – das Fest der wiederkehrenden schönen Jahreszeit

– am ersten Mai, also um die Zeit feierten, wo unsere

Ostern und Pfingsten fallen; – da sie in dieser Absicht

ihre Wohnungen und Opferplätze mit Maien oder jungen

Birken auszuschmücken und um das mächtige Opferfeuer

herum frohlockend zu tanzen pflegten, und da endlich

dieß Fest vorzüglich der in den Harzgegenden so sehr

verehrten Göttin Ostera geheiligt gewesen zu seyn

scheint: so ist es in der That mehr als bloß wahrscheinlich,

daß die große Anhänglichkeit der Sachsen an dieß

besonders fröhliche Fest des ersten Maies jenes unaufhaltsam

nächtliche Zuströmen der Unholde zum Opferplatze

veranlaßte; – daß der in mehreren Gegenden

Deutschlands noch bis auf diesen Tag herrschende Gebrauch,

am Pfingstfeste die Häuser und Kirchen mit

Maien zu schmücken, noch ein Rest von jener heidnischen

Feierlichkeit ist; – daß die ebenfalls noch übliche

Gewohnheit der jungen Bursche in und am Harz, am ersten

Osterabend auf den Bergen ein großes Freudenfeuer

anzuzünden, und da herum zu tanzen, von den heidnischen

Tänzen der ersten Mainacht herstammet, – und

daß endlich vielleicht unser deutsches Wort selbst aus

dem Götzenthum in die Kirchensprache der Christen hinübergetragen

ist.

B ü s c h i n g in seinen Volkssagen, Leipzig 1812, 2te

Abtheil. S. 339, theilt ein altes Lied von dem Brockenmährchen

mit. – Reise durch den Harz und die hessischen

Lande, Braunschweig 1797. 8. S. 17 – 27, spricht

umständlich über Entstehung desselben.

Die drei Schwestern aus dem See.

Was dem Städter im Winter Schauspiel, Oper und

Ball ist, das ist dem einfachen Landvolke die vertrauliche

Spinnstube. In den langen Winterabenden kommen

da die Spinnerinnen zusammen, die jungen Bursche

gesellen sich dazu, man singt ein fröhliches

Liedchen, man scherzt, man löset Pfänder ein, oder

erzählt sich Mährchen und Gespenstergeschichten.

So war es vor uralten Zeiten, und so ist es noch

jetzt, im Süden wie im Norden.

Auch in dem Dörfchen Epfenbach bei Sinzheim in

der Unterpfalz kam man von jeher so traulich zusammen,

und setzte sich recht dicht um den warmen Ofen

herum, wenn's draußen stürmte und fror.

Aber damals traten, seit dem Gedenken der Aeltermutter,

drei wunderschöne weiß gekleidete Jungfrauen

in den fröhlichen Kreis. Man harrte ihrer jeden

Abend mit Sehnsucht, und wie gute Engel nahm man

die holden Schwestern auf; denn sie brachten jeden

Abend ein neues Lied mit einer Melodie, ein munteres

Spiel oder ein unbekanntes Mährchen mit. Jedermann

liebte sie, und besonders verweilten die Blicke der

jungen Bursche mit Wohlgefallen auf den schönen

Zügen der Jungfrauen; aber eine besondere Hoheit

verscheuchte jede Vertraulichkeit. Auch sie brachten

immer ihre Rocken und Spindeln mit, und keine der

Spinnerinnen übertraf sie an Behendigkeit und ihre

Fäden an Feinheit. So wie aber die Glocke eilf schlug,

so packten sie ihre Rocken zusammen, und nichts in

der Welt konnte sie bewegen, auch nur eine Minute

länger zu bleiben. Fröhlich und eilig verschwanden

sie aus dem Kreise, wie sie gekommen waren. Keine

Spur verrieth ihren Weg, wenn sie »gute Nacht« gesagt

hatten. Niemand wagte es aber auch, ihnen nachzugehen.

Man wußte nicht, woher sie kamen, man

wußte nicht, wohin sie gingen, man sah sie nur in die

Stube treten und wieder hinausgehen, und wenn man

von ihnen sprach, so hießen sie nur die Jungfrauen

aus dem See, oder die drei Schwestern aus dem See.

Alle jungen Bursche des Dorfs brannten im Stillen

für die wunderbaren Mädchen, keiner wagte aber

seine Empfindungen gegen sie laut werden, noch sie

ihnen merken zu lassen.

Besonders heftigen Eindruck hatte ihr liebes Wesen

und das Geheimnißvolle ihres Aufenthaltes auf des

Schulmeisters Sohn gemacht. Ihm that es so leid,

wenn sie gingen; ihm währte immer die Zeit zu lang,

bis sie wieder kamen, und war erst der Abend nahe,

so dünkte ihm jede Stunde, ehe er zur Spinnstube

gehen durfte, eine Ewigkeit. Wenn sie nun hereintraten,

die holden Schwestern, ach! da verstrich ihm wieder

die Zeit so schnell, die Stunden verliefen wie Mi-

nuten, und immer meinte er, die alte Thurmuhr tauge

gar nichts, denn im Winter laufe sie täglich eine halbe

Stunde vor. Aber die Jungfrauen meinten, die Uhr

gehe ganz recht, und kein Bitten konnte sie bewegen,

länger zu bleiben.

Lange sann der liebende Jüngling hin und her, wie

er es wohl anfinge, den Anblick der Unbegreiflichen

länger zu genießen. Endlich kam er auf den Gedanken,

die Thurmuhr um eine Stunde zurück zu stellen,

um sie zu täuschen. Er that's.

Mit recht freudigem Behagen ging er nun in die

Spinnstube; denn er sah ja die lieben Mädchen heute

eine Stunde länger.

Sie kamen, wie gewöhnlich, und brachten ein neues

Lied mit einer neuen Melodie mit, das sie die Anwesenden

lehrten. Darüber wurde der längere Verzug der

eilften Stunde nicht bemerkt. Die Jungfrauen blieben,

bis die Glocke eilf schlug, und gingen also eigentlich

erst um zwölf Uhr weg. Fröhlich und heiter, wie

sonst, schieden sie. Darüber freute sich der gute Jüngling

gar sehr, und beschloß, diesen unschuldigen Betrug

alle Abende zu wiederholen.

Aber er hatte sich vergebens gefreut. Als am folgenden

Tage einige Leute am See vorübergingen,

siehe, da hörten sie ein klägliches Gewimmer, und auf

dem Spiegel des Wassers gewahrte man drei große

blutige Stellen, die jedoch niemand zu deuten wußte.

Des Schulmeisters Sohn hatte nichts davon erfahren.

Er ging zur gewöhnlichen Zeit in die Spinnstube,

hatte auch wieder die Thurmuhr zurückgestellt, aber –

man harrte vergebens. Sie kamen nicht, und sind auch

niemals wieder gekommen, die lieben Schwestern.

Bald sagte dem trauernden Jüngling eine leise Ahndung,

daß er die Ursache ihres Verschwindens sey;

daß wohl sein unschuldiger Betrug ihren Lebensfaden

zerrissen habe. Und das quälte und nagte ihm an der

Seele. Er schlich umher, ward bleich und krank, suchte

Ruhe, und – fand sie im Grabe.

* * *

Unersättlichkeit im Genusse tödtet den Genuß. Wer

auch die unschuldigste Freude eine Stunde, und immer

eine Stunde länger schmecken will, als Geschick, Zeit,

Pflicht gestatten, der wird leicht sich und andern verderblich.

Hätte man diese Wahrheit in einer Dichtung darstellen

wollen, man hätte dazu nichts treffenderes finden

können, als die vorstehende Sage, welche aus der Badenschen

Wochenschrift von 1807 genommen ist.

Die goldenen Kohlen.

Nahe bei der Stadt Aschersleben1 liegt in dem engen

Thale, das die Eine durchfließt, eine Mühle. Groß und

stattlich sind ihre Gebäude, die Wohlhabenheit des

Besitzers verkündend. Vordem lebte aber einer ihrer

Eigenthümer in der niedrigsten Dürftigkeit, bis ihn

folgende wunderbare Begebenheit schnell zu einer nie

gekannten noch erwarteten Wohlhabenheit verhalf.

Ein bei ihm dienendes Mädchen erwachte einst mitten

in der Nacht. Sie sah ihr Kämmerlein durch das

Mondlicht erhellt, glaubte, der Tag breche schon an,

und erschrack gewaltig, daß sie vielleicht die Zeit verschlafen

habe. In wenigen Minuten hatte sie sich angekleidet,

und schlich nun leise, damit es der Herr

nicht hören sollte, zur Küche, um Feuer anzumachen.

Sie pickte, und pickte, aber Zunder, Stahl und Stein

versagten ihr hartnäckig den Dienst. Von ungefähr

fällt ihr Blick auf das Küchenfenster, und – da glüht

ihr drüben von der andern Seite des Berges her ein

helles Kohlenfeuer entgegen. Zwar fällt es ihr auf, wo

das Feuer da an den grünen Berg hinkomme; indessen

hält sie die Gelegenheit für gut, sich gleich Feuer zu

verschaffen, wirft das Feuerzeug weg ergreift eine

hölzerne Mulde, und geht hin nach der Stelle, um sich

Kohlen zu holen.

Als sie näher kommt, sieht sie, daß Männer mit

sonderbaren Gesichtszügen, und in einer längst veralteten

Tracht, sich um das Feuer schweigend und unbeweglich

gelagert haben. Dreist von Natur, und weder

was Arges ahndend noch wollend, läßt sie sich durch

diese Erscheinung nicht irre machen, geht darauf zu,

füllt rasch ihr Gefäß mit den vollglühenden Kohlen,

eilt nach der Mühle zurück, und ist froh, auf diese

Weise gleich viel Feuer auf einmal erlangt zu haben.

Kaum aber hat sie die Kohlen auf den Heerd geschüttet,

und sich nach Holz niedergebückt, als sie

auch alle schon wieder erloschen sind. Sie wundert

und ärgert sich darüber, bläst und bläst, daß sie ganz

außer Athem kommt, aber, nichts da – die Kohlen

sind todt und bleiben todt. Schnell nimmt sie das

Gefäß, eilt wieder hinaus, um frische Kohlen zu

holen, und sucht sich nun die größten und glühendsten

aus, denkend: die werden doch glühend bleiben.

Aber kaum liegen diese auf dem Heerde, so sind sie

auch schon wieder schwarz und todt. Unbegreiflich ist

ihr dieß abermalige Erlöschen. Sie schüttelt den Kopf,

ist unschlüssig, was sie thun soll, geht indessen zum

dritten Mal hinaus, Kohlen zu holen, doch mit dem

festen Vorsatze, zum letzten Male. Wie die beiden ersten

Male, füllt sie furchtlos ihr Gefäß mit den besten

Kohlen an; aber, indem sie sich umdreht, zurück zu

gehen, hört sie hinter sich mit drohender Stimme

rufen:

»Nun komm nicht wieder!«

Von Furcht plötzlich ergriffen, läuft sie hastig der

Mühle zu, und wirft mit einem heimlichen Schauder

die Kohlen auf den Heerd, welche, wie die vorigen,

im Nu verlöschen. Eiskalt läuft es ihr über den ganzen

Leib, sie zittert und blickt scheu und bange durch

das Küchenfenster nach dem Feuer hin. Das dauert

ungefähr zwei Minuten, da fängt die Thurmuhr in der

Stadt an zu schlagen. Sie schlägt und schlägt eine

lange Reihe. Jetzt ertönt der letzte, der zwölfte

Schlag, und – weg ist das hellglühende Kohlenfeuer,

weg sind die seltsamen Gestalten, nicht eine Spur

davon ist noch sichtbar.

Von den Schrecken der Mitternacht ergriffen, von

den Schauern der Geisterwelt angeweht, eilt sie aus

der Küche, ihrem Kämmerlein zu, verbirgt sich tief in

ihr Bette, zittert und bebt, und schläft endlich, von der

ungewöhnlichen Spannung ermüdet, ein.

Am andern Morgen erwacht zuerst der Müller. Da

noch Alles im Hause schläft, so geht er in die Küche,

um selbst Feuer anzumachen. Aber wie erstaunt er,

als es ihm vom Heerde wie lauter Gold entgegenstrahlt.

Er untersucht, und findet – pure gediegene

Goldstücke.

Ob er dem unschuldigen Dienstmädchen, das ihn in

argloser Einfalt so reichlich beschenkte, dankbar

ward, das verschweigt die Sage; aber seitdem stieg

ein schönes großes Mühlengebäude auf dem Grunde

des alten ärmlichen hervor, und der Besitzer war nun

ein reicher, reicher Mann.

* * *

Aus mündlichen Ueberlieferungen.

Fußnoten

1 4 Meilen von Halberstadt.

Die Tanzwiese.

In eben dem Thale bei Aschersleben liegt eine Wiese,

die Tanzwiese genannt, zu deren Namens-Erklärung

man folgende Sage hat.

In diesem friedlichen Thale versammelten, vor

Jahrhunderten, sich oft, an schönen Sommerabenden,

die blühenden Töchter der benachbarten Stadt, um

sich mit Tanzen zu belustigen. Besonders pflegten

hier, auf der rings umschlossenen Wiese, die Bräute

in den nächsten Tagen vor der Hochzeit mit den Gespielinnen

ihrer Jugend, deren Kreis sie nun bald verlassen

sollten, zu tanzen.

Lange blieb diese schuldlose Freude ungestört, bis

die benachbarte Raubburg auch diese Bürgerfeste unterbrach.

Einst tanzten hier, am zweiten Vorabend der Hochzeit

einer reich ausgestatteten Braut, viele geladene

Jungfrauen, bis spät in die Nacht, welche der Vollmond

erhellte. Gegen Mitternacht brach die jubelnde

Schaar auf, um tanzend und singend heim zu kehren.

Doch nicht alle der Geladenen kehrten zurück. Zwei

der blühendsten Dirnen wurden in den elterlichen

Häusern vermißt, und fanden sich, alles heimlichen

Forschens und Suchens ungeachtet, nicht wieder.

Nach einigen Stunden vergeblichen Harrens verbreite-

te sich Bestürzung über viele benachbarte Häuser,

und die Sorge hielt manches weinende Auge wach.

Auch die Rache entbrannte; denn Viele ahndeten

schon, durch ähnliche Unbildung dazu berechtigt,

eine, unter Begünstigung der Nacht und des Freudetaumels,

verübte Entführung.

Und ihre Ahndung betrog sie nicht. – Einige Knappen

des Burgherrn auf Arnstein hatten Kunde bekommen

von diesem ländlichen Feste, und, um sich und

ihrem Herrn einen Scherz nach ihrer Sitte zu bereiten,

hatten sie, versteckt in dem Dickicht, welches die

Tanzwiese begränzte, zwei der Tänzerinnen, die während

des lärmenden Aufbruchs sich etwas von ihren

Gespielen entfernt hatten, geraubt, und sie auf Umwegen

in das nahe Harzgebirge geführt, um sie, zur ersehenen

Zeit, unbemerkt in die Raubburg zu bringen.

Kaum blickte die Sonne auf, so versammelten sich

viele der Bürger, welche die Nacht angstvoll durchwacht

hatten, vor den Thüren ihrer Häuser, um mit

den aufgeschreckten Nachbaren Rath zu pflegen, was

zu thun sey. Ein heimlich ausgeschickter und mit der

Morgenröthe heimkehrender Späher hatte nur zu sehr

die Vermuthung einer gewaltsamen Entführung bestätigt,

ob er gleich die Spur der Räuber im Gebirge verloren

hatte, und es nur ahndete, daß sie auf dem Arnstein

hauseten.

Die Schöffen, von dem sich verbreitenden Schrek-

ken mit Tagesanbruch benachrichtigt, beriefen sofort

den wohlweisen Rath, die Aldermänner und die Väter

und Verwandten der Entführten zu einer geheimen

Sitzung, und ließen Stille und Ruhe in den Häusern

gebieten. – Die meisten der Versammelten riethen,

augenblicklich die ganze waffenfähige Mannschaft

aufzubieten, um die verhaßte Raubburg Arnstein zu

erstürmen und von Grund aus zu zerstören. Aber,

außer der Unbestimmtheit der Nachrichten, würden,

wie der vorsitzende Schöffe klüglich bemerkte, Monathe

kaum hingereicht haben, um in offner Fehde die

wohlbefestigte und mit Lebensmitteln reichlich versehene

Burg einzunehmen; und doch war schnelle Hülfe

hier nöthig.

Und so fand, nachdem eine lange stürmische Berathung

die Köpfe und Zungen der Eiferer, es sey betäubt,

oder abgekühlt hatte, der Rath eines bejahrten

Aldermanns Eingang, der den Versuch einer Kriegslist

vorschlug, welche den Entführten schnellere Befreiung

versprach.

Auf seinen Rath mußte jeder still nach seinem

Hause zurückkehren, und Bestürzung und Rache tief

im Herzen verschließen. Dann wurde (gleich als hätte

man bei dem fortwährenden Freudentaumel jene Entführten

noch nicht vermißt, oder erwarte ruhig ihre

Heimkehr) so lärmend als möglich ein ähnlicher festlicher

Tanz, auf den eigentlichen Polterabend, in den

Häusern der Stadt angesagt, und die Nachricht davon

durch vertraute Boten auch in den benachbarten Weilern

und Dörfern verbreitet.

Und die Kunde davon kam auch bis zu den Ohren

des Burgherrn von Arnstein, der bei einem Zechgelage,

mit seinen Rittern und Knappen, die Dummheit

der Bürger laut belachte, die für sie ihre Töchter groß

zögen.

Unter Lachen und Fluchen ward ein großer Ausritt

beschlossen; denn keiner der Anwesenden wollte dieß

Mal zurückbleiben von dem lustigen Streifzuge nach

der Tanzwiese.

Als die Dämmerung hereinbrach, füllte sich allgemach

die Wiese mit Tanzenden. Doch dieses Mal

waren die Dirnen daheim geblieben. Von dem Schatten

der Nacht umschleiert, hatten sich die rüstigen

Bürger, nebst ihren erwachsenen Söhnen, in Weiberkleidern,

die geschärfte Waffen verbargen, eingefunden,

um die Ehre ihrer Töchter, Schwestern und Verlobten

zu rächen, und auf die Zukunft zu sichern. Sie

tanzten laut jubelnd, doch nach Weiberart, bis gegen

Mitternacht; während daß ausgesandte Späher, von

dem stillen Heranzuge der Räuber von Arnstein

immer nähere und nähere Botschaft brachten.

Jetzt brachen die Tanzenden auf, um im Großvatertanz

und singend nach Hause zu ziehen. – Siehe! da

stürmte der Burgherr von Arnstein, von vielen Reisi-

gen, Rittern und Knappen zu Pferde und zu Fuß begleitet,

heran, um den großen Fang zu thun, dem der

gestrige nur das Vorspiel seyn sollte.

Der Burgherr, als er mitten unter die Tanzenden

hineingesprengt war, saß ab von seinem Streitroß, um

den Ruhm und die Freude zu haben, mit eignen hohen

Händen die Braut entgegen zu nehmen.

Aber, wie ward ihm, der hohnlachend und mit donnernder

Stimme die vermeinte Braut für sein Eigenthum

erklärte, als ihm ein gezucktes Schwert entgegenblitzte,

und den ausgestreckten Arm augenblicklich

durchbohrte! Brüllend und Rache schnaubend

stürzte er zurück, und forderte sein Streitroß. Aber

zehn kraftvolle Arme hielten ihm Hände und Schultern

und Füße, wie mit eisernen Fesseln umstrickt. Einige

der Ritter und Knappen, die brüllend dem Burgherrn

zu Hülfe eilten, wurden, nach kurzem Kampf,

übermannt und gefesselt; die meisten entflohen schreiend,

von schimpflichen Schlägen und Steinwürfen

zerbläut.

Die eingefangenen Räuber wurden im lauten Triumph

der Stadt zu geführt. Den Burgherrn von Arnstein

spundete man vorläufig in einen großen eichenen

Kasten ein. Und hier gestand er, durch die Anstalten

zu seiner nahen Hinrichtung geschreckt, den verübten

und den beabsichtigten Frevel. Die geraubten Jungfrauen

wurden, auf seinen Befehl, augenblicklich zu-

rückgebracht; und nur mit schwerem Lösegelde, und

der eidlichen Zusage, sich nie wieder eines Frevels

gegen die Stadt und deren Bewohner schuldig zu machen,

erkaufte er seine Befreiung aus dem furchtbaren

Kerker.

Der eichene Kasten, worin der Burgherr von Arnstein

einige Monden schmachtete, ist noch jetzt auf

dem Rathhause zu Aschersleben zu sehen, ein Denkmal

der Sitten der Vorzeit für kommende Jahrhunderte.

* * *

Von O t m a r ( N a c h t i g a l l in Halberstadt) erzählt

und in »Das Alexisbad im Unterharz von K r i e -

g e r ; Magdeb. 1812. 8. S. 316.« zuerst abgedruckt.

Das Oldenburgsche Wunderhorn.

Im eilften Jahrhunderte lebte Otto, Graf von Oldenburg,

ein großer Freund der Jagd.

Einst verirrte er sich bei einer Rehhetze von seinem

Gefolge bis in den Osenberg, eine öde Sandgegend,

eine Meile von Oldenburg. Es war um Mittag, die

Sonne brannte gewaltig, und Otto war ganz verschmachtet.

Der Wunsch zu trinken ward heftig in

ihm rege, und unwillkürlich rief er so für sich aus:

»O hätt' ich einen kühlen Wassertrunk!«

Und siehe, da that sich vor ihm der Berg auf, und hervor

trat eine schöne Jungfrau in herrlichem Gewande.

Den blendend weißen Nacken wallte ihr Haar hinab,

und ein Kranz zierte ihr Haupt. In der Hand hielt sie

ein köstlich silber-vergoldetes Geschirr, wie ein Jägerhorn

gestaltet und gar künstlich gearbeitet, das war

mit Wasser angefüllt.

»Du bist durstig,« sprach sie zum Grafen, »da, trinke,

labe dich!«

Dabei reichte sie ihm das Horn hin. Otto nahm es,

sah das Wasser an, getraute sich aber nicht zu trinken,

so gern er auch den brennenden Durst gelöscht hätte.

»Scheue nicht den Trunk!« sprach sie, »er wird dir

nicht schaden. Trinkst du, dann wird es wohl gehen

dir und deinem Hause, dein Land wird zunehmen und

ein Gedeihen haben. Trinkst du nicht, dann wird – das

wisse! – Uneinigkeit zerrütten dein Geschlecht.«

Aber Otto mißtraute der Rede der schönen Dirne,

trank nicht, und goß das Horn hinter sich aus. Sein

Pferd wurde davon etwas naß, und Otto gewahrte mit

Schrecken, daß im Augenblick da, wo es naß geworden,

die Haare wie weggebeizt verschwanden. Erboßt

rief die Jungfrau:

»Gieb mir mein Horn zurück!«

Aber der erschrockene Otto gab seinem Pferde die

Sporen, und eilte mit dem Horne davon. Er gelangte

glücklich wieder zu den Seinigen, erzählte ihnen das

wunderbare Ereigniß, und verordnete, daß das Horn

zum ewigen Andenken als ein kostbares Kleinod bei

seiner Familie aufbewahrt bleiben solle.


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