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Einleitung
ОглавлениеDas Zweite Vatikanische Konzil hat mit seiner Rede vom „Tisch des Gotteswortes“ (Liturgiekonstitution Sacrosanctum Concilium Nr. 51), der den Gläubigen reicher bereitet und gedeckt werden soll, eine Aufwertung des Wortes Gottes in der Eucharistiefeier eingeleitet. Diese hat zu einer Ausweitung der biblischen Schriftlesungen innerhalb der Messe geführt, wie sie in der römisch-katholischen Kirche über Jahrhunderte unbekannt war.
Aber auch der Eucharistieteil selbst hat in der Liturgiereform, die auf das Konzil folgte, wichtige Veränderungen erfahren. Ihre besondere Qualität erhielt die Reform dadurch, dass bald auch dieser Teil der Messe ganz in der Muttersprache vollzogen werden durfte, wenn auch Eucharistiefeiern in lateinischer Sprache nie verboten wurden.
Nun erst wurde vielen Gläubigen der Reichtum des zentralen Gebetsvollzugs im Eucharistieteil deutlich, des Eucharistischen Hochgebets – dies gilt im Besonderen für Diözesen außerhalb des deutschen Sprachgebietes, wo es zuvor nur selten Bücher wie den „Schott“ gegeben hatte. Wie jede sakramentale Feier bedarf nämlich auch die Eucharistie nicht allein einer „sakramentalen Formel“, sondern eines umfangreichen Gebetsvollzugs, aus dem die Fülle der Theologie, ja der Sinn der Feier deutlich, erfahrbar und verstehbar wird. Denn hauptsächlich das Eucharistiegebet ist Vollzug des „lobpreisenden Gedenkens“, das auch als „formale Sinngestalt“ der Eucharistiefeier gelten kann, während vor allem die Mahlfeier ihre – theologisch ebenso wichtige – „materiale Sinngestalt“ bildet (so der ehemalige Innsbrucker Liturgiewissenschaftler Hans Bernhard Meyer).
Das Messbuch stellte neben dem klassischen, in seiner Struktur und Sprache singulären Canon Romanus, dem heutigen ersten Hochgebet, drei zusätzliche Hochgebete zur Verfügung. Bald wurden weitere Eucharistiegebete zugelassen, einige für den ganzen römisch-katholischen Ritus. Letztere wurden schließlich in die dritte Ausgabe des nachkonziliaren lateinischen Missale Romanum von 2002 aufgenommen.
Zahlreiche weitere Eucharistiegebete wurden nur für einzelne Länder, Sprachräume oder Anlässe genehmigt und sind in anderen Regionen gar nicht bekannt. An der Stelle des einen, scheinbar unveränderlichen und immer schon da gewesenen Canon Romanus steht nun eine Vielzahl von Eucharistiegebeten der Gesamtkirche und in den einzelnen Teilkirchen, die sowohl der Verschiedenheit wie der liturgietheologischen Einheit Ausdruck verleihen.
Dass die gesamte Gemeinde den Text des Eucharistiegebetes verstehen kann, da es in der jeweiligen Muttersprache vollzogen wird, führt aber nicht automatisch zu einem tiefen inneren Mitvollzug. Viele Worte und Formulierungen bedürfen erst der Erschließung, die theologisch-spirituelle Dimensionen berücksichtigen muss. Denn um diesen tiefen inneren Mitvollzug ging es dem Konzil wie der ganzen nachfolgenden Liturgiereform, nicht aber um ein allein rationales Verstehen. Das Mysterium der Feier, die verborgene Wirklichkeit des Geschehens, wird aber durch das Verstehen nicht trivialisiert, nicht „rationalisiert“, wie Kritiker der Liturgiereform dieser gerne vorwarfen, sondern überhaupt erst im Glauben erfahrbar.
Dieser Zielsetzung ist das vorliegende Buch verpflichtet, das aus einer Artikelserie in der Zeitschrift „MAGNIFICAT. Das Stundenbuch“ vom Dezember 2008 bis November 2009 entstanden ist. Es will einerseits die entscheidenden theologischen und historischen Fakten in einer für viele Leserinnen und Leser verstehbaren Weise präsentieren – wo gewisse Vereinfachungen notwendig sind, sollen diese dennoch liturgiewissenschaftlich verantwortet sein. Andererseits möchte es in die spirituelle Tiefe der Eucharistiegebete einführen. Die Texte sind es wert, dass man über sie meditiert, um auf diesem Weg weiter in das eucharistische Geschehen einzudringen. Betrachtet man einzelne Formulierungen im Lichte der gesamten Tradition der Kirche, erhalten sie mitunter eine Aussagerichtung, die man beim ersten Hören nicht erwarten würde.
Entsprechend sollen in einem ersten Schritt die einzelnen Abschnitte des Eucharistiegebets in den Blick kommen. Dazu wird das zweite Hochgebet des Messbuchs, das mittlerweile in der Praxis der katholischen Gemeinden aufgrund seiner Klarheit und Kürze zum Standardhochgebet geworden ist, im vollständigen Text und mit einem kurzen „Steckbrief“ vorgestellt. In einzelnen Schritten wollen wir den Text entlanggehen und die entscheidenden Elemente der Struktur in ihrer Herkunft und Bedeutung erschließen.
In einem zweiten Schritt wollen wir die materielle und rituelle Seite des eucharistischen Betens betrachten und die eucharistischen Gaben sowie den Altar als Realien näher in den Blick nehmen, über die und an dem das Eucharistiegebet gesprochen wird. Ebenso ist auf Haltung, Gestik und Gebärden des Vorstehers wie der Gemeinde näher einzugehen.
Dann soll in einem dritten Schritt als ritueller Zielpunkt des Eucharistiegebets die Kommunion, die sakramentale Mahlhandlung, genauer betrachtet werden, denn der Mahl- und der Gebetsvollzug gehören unlösbar zusammen.
In einem vierten Schritt wollen wir die Geschichte und die Entwicklung des Eucharistischen Hochgebets in den Blick nehmen. Nur ein kurzer Blick kann auf die Herkunft aus den jüdischen Wurzeln und die Entfaltung des Eucharistiegebets in den Liturgiefamilien der Spätantike geworfen werden. Als zweiter Quellentext soll das traditionelle Eucharistiegebet der römischen Kirche, der Canon Romanus (heute das erste Hochgebet), wieder mit Text und einem kurzen „Steckbrief“ vorgestellt werden. Dieses Gebet unterscheidet sich nämlich ganz erheblich von den Hochgebeten der Ostkirchen, für die man den Vorläufer des zweiten Hochgebets als Modell sehen kann. Als frühe Ausnahme soll kurz auf ein östliches Hochgebet ohne Einsetzungsworte eingegangen werden. An drei Hochgebeten, die erst nach dem lateinischen Messbuch von 1970/1975 mit seinen vier Hochgebeten gesamtkirchlich eingeführt wurden, können neue Impulse der Hochgebetsentwicklung veranschaulicht werden. Anschließend ist etwas eingehender die Entwicklung des eucharistischen Betens in den aus der Reformation hervorgegangenen Kirchen vorzustellen, da gerade diese Kirchen für den ökumenischen Dialog im deutschen Sprachgebiet erhebliche Bedeutung besitzen.
Abschließend sollen in einem kurzen Ausblick mögliche bzw. notwendige Perspektiven des eucharistischen Betens aufgezeigt werden. Denn im ganzen Buch wird deutlich werden: Eucharistiegebete sind bei aller Verbindlichkeit nichts auf ewig Festgefügtes. Eucharistisches Beten unterliegt Veränderungen, für die es verantwortete Kriterien zu finden gilt.