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Siebentes Kapitel

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Da, wo der Mainstrom seinen silberblauen Spiegelstreif nach der alten freien Reichsstadt Frankfurt hinlenkt, und von den ebnen milden Ufern einander Lusthäuser und Fruchtfelder und helle Dörfer hinüber und herüber zuwinken, lebt es sich ein ergötzliches Leben. Vorzüglich wer im beginnenden Frühlinge dort Atem schöpfen darf, und ein junger Kriegsmann ist, seinen ersten Gefechten und Abenteuern voll wunderlicher Hoffnungen entgegenreitend, kostet einen Becher der Freudigkeit und Herzenslust, wie er ihm nachher im Leben nicht leicht so schön wieder vor die Lippen kommen möchte. Etwas Ähnliches hat der, welcher diese Geschichte beschreibt, erfahren, und wünschte, seine Leser hätten es auch; sowohl um ihrer selbst willen, als auch, damit sie sich desto besser in das lustige Gefühl versetzen könnten, welches in jenen schönen Gegenden ein Goldnetz um den jungen Ritter Otto von Trautwangen her, und über alle Gegenstände hin spann, deren er ansichtig ward. Er wußte gar nicht, was er lieber haben sollte: den Frühling, oder seine Reise, oder die blühenden Fruchtbäume und sanften Hügel und Täler; oder die fröhlichen Menschen, welche diese bewohnten.

In solchen Gesinnungen kam er vor eine Herberge geritten, die unfern vom Ufer des Stromes lag, und deren Vordach, aus einer Laube von Weinblättern und Jasmin bestehend, den jungen Reisenden freundlich einlud, die Mittagsstunden über hier auszuruhen. Sein edler Streithengst war bald in den Stall geführt, und ihm Futter vorgeschüttet, – der Ritter mußte das alles selbst tun, denn keinen andern ließ das stolzgetreue Roß so nahe an sich heran, – und nun saß Herr Ott’ unter dem erquicklichen Laubdach, Flasche und Becher vor sich, und den edlen rheinischen Wein zwiefach goldig blinkend unter der tiefen Umschattung des kühlen, dunkelnden Grüns.

Da trat ein Mann aus der Haustür, eben nicht viel älter als Otto, schien es, aber sehr ernsten und sonnegebräunten Antlitzes, der Bewaffnung nach ein Ritter, aber all sein Gezeug rostig und staubig, wie von weiter Fahrt; auch die Waffenstücke ohne alle Zier, die Schnallen und Riemen unversteckt, welche es zusammenhielten und schmucklos angebracht, nachdem es sich eben am bequemsten hatte schicken wollen, so daß er wohl seltsam gegen den jungen silbergeharnischten Trinker abstechen mochte. Der Fremde grüßte mit einer gewissen, derb treuherzigen Höflichkeit, die beinah etwas Mürrisches an sich hatte, setzte sich dann dem jungen Ritter gegenüber, und forderte auch Rheinwein für sich.

Otto war anfangs nicht recht zufrieden mit diesem Zechgesellen; er dachte, die anmutigen Bilder, welche sich auf dem Saftgrün der Laube und dem Sonnenblau des Himmels in seine Sinne hereinwiegten, würden vor jenem verschwinden, ohne daß etwas Gutes an ihre Stelle käme. Aber es zeigte sich bald, daß der Fremde zu einer Art von Leuten gehöre, die wir wohl noch in unserm lieben Deutschland anzutreffen pflegen: scharfkantige, unscheinbare Steine von außen, aber auf die leiseste Berührung fliegen ergötzliche und erleuchtende Funken hervor, und wer recht alchimistisch nach dem Innern zu fragen versteht, findet wohl endlich ein über alle Vorstellung köstliches Gold. Der Fremde war sehr weit in der Welt umher gewesen, und dennoch ein getreuer, frommer Deutscher geblieben, oder gar dorten recht eigentlich geworden, weil ihm der Abstich erst klar gezeigt haben mochte, wie teuer das alte Vaterland zu halten sei. Die beiden jungen Ritter gewannen eine rechte Freude aneinander, und fühlten sich noch behaglicher, als sich ein dritter zu ihnen gesellte, ein junger Kaufherr aus Frankfurt, Tebaldo geheißen, und von seinen italienischen Verwandten, wie er berichtete, auf einige Jahre nach Deutschland geschickt, um unter Handel und Wandel mit dem ehrbaren Sinne der Reichsstädte und ihren großen kaufmännischen Ansichten recht vertraut zu werden. Zwischen vielen andern Gesprächen erzählte auch der fremde Ritter folgende Geschichte, welcher Otto und Tebaldo mit großer Achtsamkeit zuhörten:

»In den hochnordlichen Landen unsrer deutschen Brüder, die sich Schweden nennen, gibt es noch allerhand Volk in der Umstrickung des Heidentums und der wüsten Hexerei, vorzüglich nach der Grenze des Finnlandes hin, weil die bösen Nachbarn dorten sich nichts Beßres wissen, als Geister und Alraunen herauf zu beschwören, oder mit häßlichen Sprüchen ihren Widersachern allerlei Feindseliges an Leib, Haus, Gut und Gesinde anzuwünschen. Recht auf den finnischen Marken liegt ein ganz runder Berg, von der schwedischen Seite mit dunklem Laubholz, von der andern mit unglaublich dichtverschränkten Kiefern bewachsen, so daß wohl kaum der kleinste Vogel seinen Weg durch die gitterhaft verschlungenen Zweige finden möchte. Unten am Fuße des Laubgehölzes steht eine Kapelle mit dem Bilde des heiligen Georg, der wie zum Grenzhüter gegen heidnische Lindwürmer dort in die Öde hineingepflanzt ist; an der andern Bergseite, zu Fuße des starren Kiefernhaines, sollen die Hütten einiger abscheulichen Zauberer aufgeschlagen sein, auch eine Höhle von dortaus tief, tief in den Berg hinabreichen, und gar mit dem Schlunde der Höllen Gemeinschaft haben. Die wenigen schwedischen Christen, welche so hoch hinauf wohnen, dachten der üblen Nähe noch außer dem Heiligen einen recht mannhaften Wächter entgegenstellen zu müssen, und wählten deshalb zum absonderlichen Diener des heiligen Georg und zum Bewohner der bei der Kapelle aufgerichteten Siedelei einen alten berühmten Kriegshelden, der in seinen Greisenjahren Mönch geworden war. Als dieser dahin zog, wollte sein früher erzeugter, ehelicher Sohn nicht von ihm weichen, vielmehr ward er sein Aufwärter, stand in Büßung und Gebet mit fester Anstrengung ihm zur Seite, und ließ überhaupt ebensowenig von dem Vater, als er früher jemals im Schlachtgetümmel von ihm gelassen hatte. Es soll ein sehr erbauliches Leben mit den beiden frommen Rittersleuten gewesen sein.

Einstmalen ging der junge Gottesheld nach Holz aus; er trug eine scharfe Axt auf der Schulter, und war noch überdem mit einem großen Schwert umgürtet, denn weil es dorten so viele grimmige Tiere und boshafte Menschen gibt, hatten die frommen Siedler Lizenz, ritterliches Gewaffen mit sich zu führen. Wie nun der gute junge Mann eben im dichtesten Gehölze umhergeht, und schon die spitzen Kiefern über den Laubforst hinausragen sieht, – so nahe war er an der finnischen Grenzscheide, – da fährt aus dem dichtesten Buschwerk eine große, weiße Wölfin auf ihn los, daß er nur eben noch Zeit behält, zur Seite zu springen, und weil er nicht gleich zum Schwerte kommen kann, die Axt nach seiner Feindin zu schleudern. Der Wurf war so gut geraten, daß die Wölfin mit zerschmettertem Vorderfuß und ängstlichem Geheul in den Wald zurücke floh. Aber der junge Siedlerdegen gedachte: nicht genug, daß ich gerettet bin; es muß auch hinfürder kein andrer Mensch von dem Untiere mehr Schaden leiden, oder auch nur Schreck. – Und gleich ging es in hohen Sprüngen durch die Gebüsche hintendrein, wo er denn auch die Wölfin mit einem Schwertschwunge so tüchtig an den Kopf traf, daß sie winselnd zu Boden stürzte. Da kam ihn mit einemmale ein seltsames Mitleiden gegen das Tier an. Statt es vollends zu töten, hub er es auf, band ihm seine Wunden mit Moos und Reisig zu, und trug es endlich gar in die Hütte, des heißen Wunsches voll, es möge ihm doch vergönnt werden, seine gefällte Feindin zu heilen, und endlich durch die milde Pflege zu zähmen.

Er fand seinen Vater nicht daheim, und in der großen Angst legte er den wunderbaren Fang auf sein eignes Moosbett, worüber er das Bild des heiligen Georg an die Wand gezeichnet hatte, und dann wandte er sich wieder nach dem Herde des kleinen Häusleins, um dorten eine heilkräftige Salbe für die Wunden des Tieres zu bereiten. Aber während der Arbeit schien es ihm, als höre er ein menschliches Ächzen, ein vernehmliches Klagen von dem Mooslager herauf. Und wie ward ihm nun vollends, als er sich dorthin wandte, und eine wunderschöne Jungfrau an der Wölfin Statt erblickte, durch ihr goldhelles Haar vorblutend die Wunde, die sein Schwert geschlagen, den rechten Arm in all seiner Zartheit und Weiße regungslos ausgestreckt, durch seinen Axtenwurf zerschmettert. – ›Bitte, bitte‹ sagte sie, indem er sich nach ihr umwandte, ›macht mich nicht gänzlich tot. Das bißchen Leben, so noch in mir ist, tut freilich weh, und mag wohl nicht lange mehr dauern, aber es ist doch gewißlich zehntausendmal besser, als das abscheuliche Sterben.‹ Da kniete der junge Mensch weinend neben ihr, und sie erzählte ihm nun, wie sie die Tochter eines der Zaubermenschen am andern Rande des Berges sei, und wie der sie ausgesendet habe, in der verhexten Wolfsgestalt Kräuter auszuraufen, und sie nur in Angst und Schreck so losgefahren sei. – ›Da schmissest du mir aber gleich den Arm entzwei‹, winselte sie, ›und ich meint’ es doch wahrlich nicht so böse!‹ – Wie sie nun plötzlich entwandelt sei, konnte sie gar nicht begreifen, dem jungen Mann aber war es klar, daß die Nähe von Sankt Georgens Bild die arme Betörte wohl habe entzaubern müssen.

Wie nun der Sohn noch weinend und besänftigend neben ihr kniete, kam der alte fromme Mann nach Hause, und merkte bald, was hier geschehen sei: daß nämlich wohl das Heidenmädchen von ihrer Wolfshülle entzaubert sei, der Jüngling hingegen um desto bezauberten durch der Jungfrau Schönheit und süße Liebsgewalt. Von nun an ging alle seine Sorge darauf, sie geistlich zu heilen: wie der Sohn sie leiblich zu heilen bestrebt war, und indem beiden ihre Mühe auf das Beste gelang, beschloß man gemeinschaftlich, daß die Liebenden einander heiraten und in die Welt zurücke kehren sollten, denn der Jüngling hatte kein Gelübde abgelegt.

Die Schöne war nun wieder ganz gesund, der Tag ihrer feierlichen Taufe und nächstdem ihrer Hochzeit schon bestimmt, da gingen die zwei Verlobten eines schönen Sommerabends miteinander in den Wald spazieren. Die Sonne stand noch hoch, und schien so warm durch die Buchenstämme auf den grünen Boden, daß sie des Lustwandelns gar nicht satt kriegen konnten, und immer tiefer in den Forst hinein gerieten. Dabei erzählte die Braut von ihrem frühern Leben, und sang auch einige alte Lieder, die sie als Kind gelernt hatte, und welche sehr anmutig klangen. Wie abgöttisch und ruchlos nun auch manche derselben dem Bräutigam vorkamen, konnte er doch seiner Liebsten keinen Einhalt mit dem Singen tun; erstlich, weil er sie über alles liebte, und dann auch, weil sie gar zu süß und helle sang, daß der ganze Wald sich daran zu erfreuen schien. Endlich aber ward er der spitzen Föhrenwipfel wieder ansichtig, und wollte umkehren, um der verrufnen finnischen Grenzmark nicht noch näher zu kommen. Aber die Braut sagte: ›Liebes Herz, was wollen wir nicht noch weiter gehn? Ich möchte gern der Stelle ansichtig werden, wo du mir Haupt und Arm verwundetest, und mich einfingest, um mich nachher an Leib und Geist so unendlich lieblich zu heilen. Es muß hier ganz in der Nähe sein.‹ – Sie suchten nun hin und her, und darüber ward es ganz dunkel im Walde; die Sonne ging unter, der Mond ging auf, und mit einemmale standen die Verlobten an der finnischen Grenzmark, oder wohl schon etwas drüber, denn der Bräutigam erschrak sehr, als ihm ein Fichtenast seine Kappe vom Haupte streifte. Da ward es ganz wunderlich lebendig um sie her; eine große Menge von Eulen, Kobolden, Hexenkönigen, Nebelwitwen und Grubenjägern – der Bräutigam erfuhr diese und noch wunderlichere Benennungen, ohne zu wissen woher – tanzten einen abscheulichen Ringelreihen, und nachdem die Braut eine Zeitlang zugesehen hatte, fing sie an, überlaut zu lachen, und endlich ganz rasend mitzutanzen. Der arme Bräutigam mochte rufen und bitten, wie er wollte, sie achtete nicht auf ihn, und verwandelte sich endlich so unerhört, daß er sie aus dem tollen Reihen gar nicht mehr herauskannte. Ja, als er sie mit sich fortreißen wollte, faßte er, statt nach ihr, nach einer Nebelwitwe, und die schlang auch gleich ihre grauen, weiten Trauerschleier um ihn herum, und wollte ihn gar nicht wieder loslassen, während schon einige Grubenjäger an seinen Beinen zogen, und ihn mit sich in die schwarzen Kohlenbergwerke hinunterreißen wollten. Da schlug er noch glücklicherweise ein Kreuz, und nannte des Heilands Namen, daß die häßlichen Blendgestalten jämmerlich aufheulten, und auseinander stoben, während er sich auf die schwedischen Marken unter die Schattendächer der Laubhölzer herüber rettete. Aber die Braut war mit von dannen gestoben, und kein Bemühen konnte sie ihm wiedergewinnen. So oft er auch an die Grenzmarken kam, und bat, und rief, und weinte, kehrte sie dennoch nicht zurück. Manchmal sah er sie wohl durch die Föhrenschatten hinstreifen, wie auf der Jagd, aber immer in vieler häßlicher Kreaturen Geleit, und ganz verwildert und entstellt. Meist bemerkte sie ihn gar nicht; ward sie seiner aber dennoch ansichtig, so lachte sie ihn ganz unmäßig und voll der abscheulichsten Lustigkeit aus, so daß er entsetzt ein Kreuz vor ihr schlug; dann heulte sie und entfloh. Da ward er denn von Tage zu Tage einsilbiger, ging nicht mehr nach der Braut hinaus, und gab zuletzt auf keine Fragen und Sprachen in der Welt mehr andre Antwort, als: ›Sie ist ja um den Berg herumgegangen!‹ So wenig wußte er von irgend einem Gegenstande auf Erden, außer der Verlornen. Endlich grämte er sich gar zu Tod. Der Vater machte ihm, weil er einmal darum gebeten hatte, ein Grab an der Stelle, wo die Braut gefunden und verloren war, und hatte bei der Arbeit viel zu fechten, bald mit dem Kruzifix gegen böse Geister, bald mit seinem alten Schwert gegen wilde Tiere, welche ihm wohl die Zaubermenschen auf den Hals gehetzt haben mochten. Dennoch kam er endlich mit allem zustande, und nun war es, als reue die Braut des Jünglings Verlust, denn oftmalen hört man ein klägliches Geheul am Grabe. Es ist wohl, wie von Wölfen, aber man kann doch sehr deutlich menschliche Laute unterscheiden, und ich selbst habe es in den langen Winternächten gar vielmal dorten vernommen.«

Man saß eine Weile im ernsten Sinnen beisammen, bis endlich Tebaldo folgendergestalt zu sprechen anhub: »Die Schmerzen verlornen Minne, die Seufzer nach einstmals lockenden, nun feindlichen Blicken, die Wunden von über alles teurer Hand, – das sind die verderbendsten Zauberzeichen der furchtbaren Alten, die uns allesamt im ehrnen Netze hat, und die wir Natur zu heißen gewohnt sind. Man spricht auch, sie gebe dergleichen meist immer als Nachschmack ihrer erlesensten Süßigkeiten, wie umgekehrt gute Mütter ihren Kindern auf die herbe Arzenei wohlschmeckende Näschereien zu reichen pflegen. Ich weiß eine Geschichte ähnlichen Inhalts, und bin bereit, sie meinen edlen Zechgesellen vorzutragen, falls sie einiges Vergnügen daran fänden.«

Die beiden Ritter baten ihn, zu erzählen, und er begann: »Es mögen etwa fünfundzwanzig bis dreißig Jahre her sein, da lebte in meiner edlen Vaterstadt Mailand ein so wunderschönes und wunderholdes Mädchen, als es sich nur je ein Meister in der Malerkunst und in anderm hohen Wissen hätte erdenken mögen. Dabei war sie sittig, klug, sanftmütig, gehorsam, und trotz ihrer strengen Eingezogenheit, – denn ein Karfunkel leuchtet auch aus der verschwiegensten Laube hervor, – in der ganzen Stadt unter dem Namen der schönen Lisberta geehrt. Diese mailichste Blume des lieblichen Mailands, – Ihr Deutschen nennt unser Milano mit viel hübscherem Namen als wir selbst, – war eines Tages ersucht worden, am Fest einer Heiligen in der Prozession geschmückt mitzuwandeln, um durch ihre Schönheit den Schein des Aufzuges verherrlichen zu helfen; und gedenkend, daß ihr Gott so blühende Gabe verliehen habe, hielt sie es auch für einen frommen Dienst, selbige zu Gottes Ehren leuchten zu lassen. Sie schmückte sich daher aufs lieblichste aus, mit Blumen, Edelsteinen, Gewändern, Ringen und Ketten, kurz, mit allem, was nur den Namen der Zier verdienen mag, und weil ihr holdes Geschäft weit früher beendet war, als der Zug seinen Anfang nahm, ward sie durch die sonnenmilde Lenzluft, die vor den Fenstern leuchtete, angelockt, sich einstweilen in dem prächtigen Garten zu ergehen, welchen ihr Vater, der reichste Kaufmann der Stadt, bei seinem Hause angelegt hatte.

Hinwandelnd durch die Laubengänge von allerlei würzigen und goldbefruchteten Bäumen, gelangte sie endlich an den klaren Spiegel eines umbüschten Teiches, der aus den grünen Armen des zierlichen Gartengeheges als ein verliebtes und aller Schönheit dienstbares Auge heraufsah. Wie von Magie umstrickt und angezogen, schaute sie auch ihrerseits hinein, und begegnete ihrem eignen Bilde in so überraschender Pracht und Herrlichkeit, daß es ihr beinahe wie dem fabelhaften Narcissus ergangen wäre, der über seine quellenbeleuchtende Schönheit die ganze Welt vergaß. Sie mußte sich ordentlich mit Ängstlichkeit an den Umgebungen festhalten, um des eignen furchtbaren Zaubers in den Gewässern loszuwerden, und so geschah es endlich, daß sie im Grase eines wunderlichen Leuchtens von goldner und silberner Funkelpracht ansichtig ward. Flüchtend vor dem Flutenspiegel, angelockt von der unerhörten Wiesenblume, eilte sie hinzu, und fand, daß es ein glänzendes Schwert war, von goldnem Griff, silberbeschlagner Scheide und höchst zierlicher Form. Sie nahm es wie ein Spielwerk auf, so scheu sie auch sonsten vor dergleichen bedrohlichen Werkzeugen sein mochte; ja, sie zückte es halb aus der Scheide, und wunderte sich, daß ihr Antlitz noch schöner aus dem blanken Stahle widerleuchte, als aus den Fluten vorhin, nur daß sie vor diesem Spiegel ihres Schmuckes und ihrer Schönheit weit mindre Scheue empfand. Ach, arme Lisberta, du hattest doch eben die rechte Gefahr zuhanden, welche dein süßes Blumenleben, wie eine schonungslose Sichel, durchschneiden sollte! Tat es auch nicht die blanke Klinge selbst, so tat es doch der, welcher sie führte!

Denn unter den blühenden Zweigen trat eine hohe Rittergestalt hervor, nicht jung mehr, aber auch nicht alt, und von so unbeschreiblicher Heldenherrlichkeit, daß die schöne Lisberta beinahe mit einer unwillkürlichen Verbeugung in die Knie sank. Der Rittersmann aber sagte: ›Verletzet Euch nicht, Jungfräulein, mit diesem scharfen Spiel. Ich sähe lieber mein Herzblut vielfach strömen, als einen Tropfen des zarten Purpurs, der in Euren Adern wallt, aus diesen weißen Blumenfingern tröpfeln.‹ – Damit nahm er ihr sittigen Anstandes die Waffe aus der Hand, sie wieder ins Wehrgehenk an seine Hüfte steckend, und ehe er sonst noch irgend etwas sprechen konnte, waren schon Dienerinnen in der Nähe, die nach Lisberten riefen, dieweil des Festes Zug bereits begonnen sei. Die scheue Jungfrau winkte den edlen Ritter abwärts, und er verschwand, sich ehrerbietig neigend, hinter des Gartens farbig grünen Wänden.

Wie so gänzlich die Prozession und das Singen der Chöre und das Zujauchzen der Menge vor den Sinnen der armen Lisberta verschwand, laßt es mich Euch nicht fürder beschreiben, edle Ritter. Mein Herz blutet ohnehin vor des lieblichen Opfers Dahinsterben, und ich habe mich nur allzugerne lang in den frühern seligeren Gewinden ihres Lebens verweilt, wohl wissend, wie traurig es in der Zukunft noch kommen mußte. Vergönnt mir denn von diesem Wendepunkte an ein schnelleres Eilen zum Ziel.

Als nach dem halb oder meist gänzlich unvernommenen Feste die schöne Lisberta zu Abend an ihrem Blumenfenster saß, in süßes Geträum versunken, schien ihr die Sonne abschiednehmend so hell ins Gesicht, daß sie es wohl bemerken mußte, wie eines der hohen, schwankblühenden, sich an höhere Bäumchen anrankenden Gewächse ihres Zimmergartens sich von dem Baste losgemacht hatte, und statt hinauf zu dem Stamme, sich hinab gestreckt hatte vom niedern Fenstergesimse zu der nahen Terrasse. Indem sie nun aufstand, die Zweige wieder emporzubinden, sahe sie eine Gestalt unten vorüberwanken, in welcher sie nur allzuwohl den Herrn des glänzenden Schwertes von heute morgen erkannte. Eilig trat sie zurück, eilig zog sie die Ranken empor; ach, an ihrer vorhin gesenkten Spitze zog sie ein Brieflein, vom furchtbar lieblichen Wandrer daran befestigt, mit in das Gemach. Es lösend und lesend erfuhr sie alsbald, im Liebeswerben des ritterlichen Fremden, daß er ein Degenheld aus fernen Landen sei, den man hier in der Stadt Herr Uguccione hieß, und über alles wegen seiner kriegerischen und geselligen Tugenden ehrte, so daß sie auch schon vor mehrern Monden mancherlei Staunenswürdiges und nie bisher Erhörtes von ihm vernommen hatte. Da erlag um so schneller das schon verwundete Herz. Die blühende Ranke ward bald wieder von ihrem Baste gelöst, und senkte sich, holde Botschaft tragend, als eine gründuftende Brieftaube nach der Terrasse hinunter, ward bald darauf im selbigen Amte mit Ugucciones Antwort zu der lieblichen Herrin emporgezogen. Grüße und Gegengrüße schwebten nun auf diesem zierlichen Wege oftmals herauf und hinab, ja endlich schwebte Lisberta oft selbst hinab über die heimlichen Steigen, welche aus ihren Zimmern in den nächtlichen Garten führten, um dorten desto ungestörter mit dem geliebten Uguccione zu kosen.

Es geschahe aber endlich, daß Lisbertas Briefe sich wohl an der Ranke hinab senkten, niemand jedoch vorbeiging, sie aus dem grünen Geflechte zu lösen. Wenn sie es nun wieder emporzog, fand sie nur das Siegel ihrer Trostlosigkeit daran: den eignen, unentsiegelten Brief. Sie fing endlich an nach Uguccione zu fragen, und erfuhr, daß er schon seit vielen Tagen auf eine unbegreifliche Weise aus Mailand verschwunden sei. Dennoch ließ die Arme nicht ab, täglich das Rankengewächs vom Baste zu lösen, und auf die Terrasse hinabsinken zu lassen. Zog sie es alsdann ohne Brieffrucht herauf, so weinte sie bitterlich, und trieb dies so lange, bis ihr das Herz am Ende von vielen Tränen brach. Da sorgte eine Freundin, daß die rankende Blüte auf den Grabhügel eingepflanzt ward, und ich habe wohl oft gesehen, wie die Blätter und Blumen noch jetzt die einsame Stätte überschatten und überduften.«

Der Zauberring

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