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Der Tod und die Panzerwalze

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m 13. September bekam der Gewehrführer Werner Kleffel den Befehl, mit seinem Maschinengewehr den Trichter 3 zu beziehen, den erst am Tage vorher eine der neuen französischen 45 cm-Haubitzen aus der Erde herausgespritzt hatte. Von oben sah das ganze Gelände aus wie eine von tausend kleinen Kratern besetzte Mondlandschaft, wie ein von riesigen Pockennarben entstelltes Gesicht. Die Flieger flogen mit erhabenen Gruselgefühlen über dies unmögliche Land.

Der Hauptmann war der Ansicht, dass in den Trichtern noch giftiges Gas stecken könnte, jene schweren unsichtbaren Phosphordämpfe, die erst nach mehreren Tagen ihre tödliche Wirkung offenbaren. Dann fangen die Vergifteten an zu husten, ihre Lungen eitern, und der grauenvollste Tod tritt ein. Andere Gase, die grünen Chlore, zerfraßen selbst die Metalle, die Fernsprechdrähte, die Flintenläufe und die Maschinengewehre, waren aber doch wenigstens sichtbar.

Die Leute der Maschinengewehrabteilung banden sich die Giftschutz-masken um den Kopf. Wie Makaken, wie Bewohner des Mars mit einer langen Rüsselschnauze und bösen Hummerstielaugen sahen sie aus.

Werner Kleffel prüfte noch einmal die gesamten Vorräte der Mannschaften: Munition und Nahrung musste sehr reichlich mitgenommen werden, da bei dem starken Feuer der Engländer und Franzosen an eine Neuverproviantierung sicher nicht oft zu denken war.

„Herr Vizefeldwebel sind nicht der einzige. In allen Nestern stecken die Unseren,“ sagte ein Posten. „Da ist es noch am sichersten, besser als in den Gräben!“

„Ich fürchte mich nicht“, sagte Werner Kleffel.

„Trotzdem ist hier was gefällig“, beharrte der Posten.

„Dazu sind wir ja da!“ Darauf brach das kurze Gespräch ab. „Die Hauptsache ist, dass ich überhaupt heil in das Loch hineinkomme“, dachte Kleffel und schätzte die Entfernung des Trichters vom Grabenrand 60, 70, 80 Meter. Solange es noch hell war, konnte er den Trichter unmöglich beziehen. Das wäre zweckloser Selbstmord gewesen. Die Feinde schössen auf jede Nasenspitze, die sich über den Gräben regte und selbst nachts ließen sie ununterbrochen ihre bunten Sterne emporsteigen. Die Scharfschützen hüben und drüben wussten sogar hin und wieder die Öffnungen der Sehschlitze verborgener Panzerplatten zu entdecken und schossen den Spähern die Augen in den Kopf.

Neulich erst hatten so zwei französische Generäle ihr Leben gelassen, als sie durch ein Panzerschild die deutschen Gräben beobachteten. Kurz nach 11 Uhr abends trat die Abteilung an, um die neue Wohnung aufzusuchen. Der Gewehrführer Werner Kleffel und ein Mann stiegen über die Böschung des Grabens und krochen platt und langsam wie Schildkröten auf den Trichter zu. Wenn eine Sterngranate am Himmel platzte, drückten sie ihre Gesichter in die Erde und spielten die Toten. Kleffels Begleiter rutschte zuerst in die Trichtermulde; der Vizefeldwebel hörte, wie er leise aufschrie und glitt ebenfalls in die Tiefe. Er schaltete seine Taschenlampe ein. Acht Tote füllten den Trichtergrund aus. Engländer, die beim letzten Sturm, der ihren sieben Gaswellen folgte, gefallen waren und sterbend noch nach Rettung den Trichter aufgesucht hatten. Sie waren verblutet, verhungert, verdurstet oder am eigenen Gasgift gestorben.

Es dauerte über eine halbe Stunde, ehe die Toten ins Gelände hinaus-gestoßen waren. Alles musste so langsam und lautlos geschehen, als ob Tote einander mit unsichtbaren Bewegungen begrüben.

Während Kleffel die Leichen in die Höhe schob, rollte sie sein Begleiter Höffer einige Schritte vom Trichter weg, wobei er sich stets im Schutz hielt, um nicht beschossen zu werden, falls der Feind etwas merkte.

Dann schippte er etwas Erde über die kalten Körper und kroch, durchschwitzt und von Erregung gepeinigt, in den Trichter zurück.

„Der Soldat muss viel durchmachen“, so tröstete ihn der Vizefeldwebel.

„Man darf sich nichts daraus machen“, antwortete Höffer.

Diese beiden Redensarten waren richtige Sprichwörter geworden, die beinahe auf jede Lage eines Kriegers paßten: ausgeschwitzte und wieder gefrorene Wahrheiten. „Ich ging vor zwei Jahren noch zur Schule“, meinte Kleffel, „und habe mir das auch nicht träumen lassen. — Doch, wo bleiben die anderen?“ Er spähte zum deutschen Schützengraben hinüber und gab zum zweiten Male die Blinkzeichen mit seiner Taschenlampe.

Langsam krochen vier Schatten heran. Sie brachten das Maschinengewehr mit sich, das ein erdfarbener Lappen zudeckte.

Dann wurde der Trichter wohnlich gemacht. Bretter und Dielen wurden im kümmerlichen Licht der wie Glühwürmer glitzernden Taschenlampen zurechtgelegt, und Vizefeldwebel Kleffel übernahm die erste Wache.

Er drückte wiederholt an der „Klapperschlange“, dem Maschinengewehr, herum, ob es genügend feststand und auch gut geschützt war. Trotz der Finsternis war die Arbeit gelungen, und es lag vollkommen fest.

Um drei Uhr morgens weckte er Rubach, einen früheren Forstgehilfen aus Westpreußen, und wollte sich schlafen legen.

Aber das ferne, zornige Knurren eines Flugzeuges hielt ihn auf den Beinen. Ein leiser Warnungsruf aus dem Graben ertönte.

Der fliegende Feind war noch nicht zu sehen, der Lärm der Maschine lag ziemlich tief, und wenn die Gegend nicht wie ein Land der Hölle völlig zerfleischt gewesen wäre, hätte man annehmen können, ein Automobil knarre auf einer Landstraße entlang.

Das Flugzeug kam näher, und Rubach entdeckte ein kleines Licht, das in nur fünfzig Metern über der Erde blinkte. Das war der feindliche Flieger.

Er zog in Zickzacklinien über dem Leichenfeld, und Kleffel war nicht mehr im Zweifel, dass der Flieger den gefährlichen Flug nicht aus Vergnügen machte.

Plötzlich spritzte der Ton der Schnellfeuerwaffe des Fliegers auf, erst kurzschütternd, dann scharfknarrend und zuletzt wie ein helltönendes, langgezogenes, kollerndes Papapapa.

Kleffel glaubte seinen Augen nicht zu trauen, als er eine Kette von Feuerperlen in die Tiefe schießen sah. Alle Sekunden flammte ein magnesiumhelles Geschoss auf. Kein Zweifel, jeder zehnte oder mindestens zwölfte Schuss des fliegenden Maschinengewehrs war eine kleine Leuchtkugel.

Der unheimliche Todesvogel suchte wie eine Nachtmar, wie eine Riesenfledermaus, eine schauerliche schwarze Großroche das Gelände nach Opfern ab.

„Hyäne“, zischte Kleffel. Er bebte, weil es gegen diesen durch die Luft schießenden Feind keine Wehr und Waffe gab. Der Flieger flog die einzelnen Trichter ab und beschoss sie, wenn er im Licht seiner Magnesiumkugelspritze Menschen entdeckte, von oben her.

„Rubach, wenn er zu uns kommt, werfen wir uns auf die Fresse“, sagte Kleffel.

Die fliegende Hyäne fand aber an anderen Stellen genügende Arbeit. Ein Scheinwerfer überfiel sie plötzlich, tief aus der Finsternis bellte ein deutsches Maschinengewehr, und der Flieger verschwand.

Kleffel legte sich schlafen und träumte unruhig. Jemand schlug ihn im Traum auf die Schulter, und er wachte auf.

„Herr Vizefeldwebel! Schon wieder was Neues“, sagte der Posten, der ihn aus dem Schlaf gerissen hatte.

Trotz seiner großen Jugend war Kleffel sofort wach.

„Wie spät ist's“, flüsterte er.

„Fünf Uhr. Es wird schon ein bißchen schummerig.“

„Hören Sie nichts, Herr Vizefeldwebel?“

„Wieder ein Flieger!“ meinte Kleffel.

„Nein, was anderes! Auch nicht ein Luftschiff. Denn es bleibt immer auf einer Stelle. Es klingt wie ein Nebelhorn ohne Stimme.“

Kleffel lächelte: „Am Ende ist es das Einhorn. Das Schweigen im Walde.“

Ein dumpfes mahlendes Geräusch lag in der Finsternis. Ohne Zweifel bewegte es sich auch, denn der Ton wurde bald lebhafter, bald ruhiger und glitt langsam nach Norden ab.

„Es klingt wie ein riesiger Lastwagen“, sagte der Posten.

„Ganz undenkbar im Gebiet der Sommeschlacht“, antwortete Kleffel.

„Wenn es bloß heller würde“, dachte er dann. „Aber was nutzt uns der Tag, dann müssen wir stilliegen und können wir erst recht nichts sehen.“ Er seufzte und setzte sich nieder.

Das Dröhnen wanderte in grausiger Ruhe über das Schlachtfeld. Gegenstandslos, wesenlos wie der Ton an sich, wie das zornige Murren eines Geistes, den das unerhörte Kanonengewitter aus der Erdentiefe gerufen hatte.

„Meinetwegen mag es der Erdgeist selber sein. Einen Tod gibt es nur“, dachte Vizefeldwebel Kleffel und schlief wieder ein.

Es war schon ganz hell, als er wieder erwachte, und Rubach meldete ihm, dass der Ton allmählich in der Frühe sich wieder verloren hätte. Er habe vorsichtig hinausgespäht, aber nichts entdecken können.

„Gott sei Dank, dass ich wenigstens noch etwas geschlafen habe“, sagte Kleffel, und er behielt recht, denn nun kamen drei Tage und Nächte, in denen er keine Sekunde Schlaf fand.

Unaufhörlich trommelte die feindliche Artillerie. Tag und Nacht schossen dunkle und leuchtende Geschosse durch die Luft, solche, die recht nahe einschlugen und andere, die die Ferne suchten. Stählerne Eisenbahnzüge brüllten in der Höhe. Die Langgeschosse der englischen Schiffsgeschütze hatten einen Ton, der das ganze Knochengerüst der Menschen in der Tiefe unter Schmerzen mitschwingen ließ.

Schon am ersten Abend musste das Wasser eingeteilt werden, wenn es noch einen weiteren Tag reichen sollte. Während des Trommelfeuers am Tage war eine Verbindung mit dem nächsten Graben nicht zu denken. Lange Zypressen von schwarzem Staub und zermalmter Erde sprangen empor, wenn eines der Großgeschosse ins nahe Gelände schlug und dazwischen peitschten die sichergezielten Schüsse der Scharfschützen.

In der Nacht aber war ein Verlassen des Trichters noch weniger möglich, da der Feind häufig nächtliche Sturmangriffe machte und dann die „Totenorgel“ im Trichter jeden Mann zum Dienst verlangte.

Einhundertzehn Stunden hatte das Trommelfeuer gedauert. Alles Land war mit Stahl besät. Die Schützengräben waren zugeschüttet, und nirgends regte sich mehr das Leben.

Jetzt erst in der Frühe des fünften Tages sprang der Feind aus seinen Gräben. Eine Horde Betrunkener brüllte heran. Franzosen und Engländer hatten reichlich Wein für ihren letzten Siegeslauf erhalten und überboten sich im Schreien. Die Farbigen voran. Ein Befehl hatte ihnen die weißen Frauen als Beute versprochen, die die Deutschen angeblich bei sich hätten.

Aber aus der zerstampften, eingeebneten Erde hoben sich die Flintenläufe der Überlebenden, und überall wuchsen die spitzen Hälse der Maschinengewehre empor. Das Land starrte von stählernen Vipern.

Jetzt begann auch die Totenorgel des Trichters ihre Melodie. Sie umfasste nur einen Ton, der in rasendem Furioso und Crescendo, im schauerlichsten Tempo rubato anschwoll und vibrierend die kühle Morgenluft durchpulste.

Der Gewehrführer Kleffel äugte über den Rand des Trichters und bestimmte danach die Streuung des Maschinengewehrs. Es mähte die heranbrausenden Menschen wie hohes Gras. Sie überschlugen sich, brüllten noch sterbend und warfen sich hin und her wie gefällte Pferde. Plötzlich schlug eine Hurrawelle aus dem zerschütteten deutschen Schützengraben. Seitengewehre blitzten. Ein riesiger Neger raste allen voran, den Deutschen entgegen wie ein Amokläufer und brach erst kurz vor Kleffel in die Knie. Er fiel kopfüber in den Trichter, biss Rubach in das Bein und versuchte Höffer zu würgen, bis ihm ein Schlag mit der Schippe das gesamte Gesicht vom Kopfe schälte. Nur die beiden rollenden Augen standen noch in dem blutigen Fleischfetzen. Noch jetzt fletschten die lippen- und wangenlosen Kinnbacken wie im Krampf. Dann erstickte der Neger im eigenen Blut und wurde ruhig.

„Sofort beseitigen“, sagte Kleffel, dessen Gesicht trotz der Starre zuckte und bebte.

Zwei Mann hoben den toten Kaffer über den Trichter.

Der Feind war geflohen und geschlagen, und die deutsche Sturmgruppe hatte sich im vordersten feindlichen Schützengraben festgesetzt. Nur einige Handgranaten brummten noch und reinigten den feindlichen Schützengraben vom letzten Feind, der sich bis zum Tode wehrte.

„Rubach, versuchen Sie uns Wasser und Brot zu holen“, sagte Kleffel. Dann fielen alle zusammen und schliefen wie tot ein.

Hauptmann Brandes sagte am Abend zu seinen Offizieren:

„Die Engländer haben seit einigen Tagen eine neue Sorte Panzerautomobile gegen uns auf die Beine gebracht. Sie nennen sie Tanks, auch Caterpillars. Soweit bis jetzt richtige Nachrichten vorliegen, sind diese Tanks große eiförmige Stahlgebilde mit sechs Maschinengewehren oder Schnellfeuerkanonen. Im Innern der Tanks befinden sich sieben Mann, die sich mittels Prismen und Periskopen über die Vorgänge draußen orientieren. Der Wagen bewegt sich nicht auf gewöhnlichen Rädern, sondern über die Räder sind breite Bänder gelegt, so dass die Fahrzeuge auch über weiches und unebenes Gelände klettern können. Sind wir richtig benachrichtigt, so haben die Engländer diese Tanks dazu bestimmt, die vordersten Gräben anzugreifen und insbesondere Maschinengewehrnester zu zerstören. Da Gott in seiner Langmut die Engländer zugelassen hat, wird er es wohl auch nicht verhindern, dass sie mit ihren langsamen Tanks in der Tat sich an uns heranwagen. In diesem Fall kalt Blut und heiße Granaten. Infanterie- und Maschinengewehrfeuer hat jedoch keinen Zweck, solange nicht der Bauch des neuen trojanischen Pferdes seine Insassen ausspeit. Lassen Sie sich also nicht bluffen, wenn Sie einen der Tanks zu sehen bekommen. Die Artillerie hat übrigens Anweisung, ein ganz besonderes Auge auf die Tanks zu haben. Unterschätzen Sie aber die Gefahr auch nicht. Bei meinem Kameraden Brandes hat einer der Tanks sich sogar gegen eine betonierte Maschinengewehranlage herangewagt und leider mit Erfolg. Also, meine Herren, kommen Sie gesund in Ihre Unterstände.“

Kleffel kehrte mit den anderen zurück. Pioniere hatten bereits einen niedrigen Verbindungsweg zum neubesetzten Schützengraben hergestellt. Auf allen Vieren kroch der Vizefeldwebel in seinen Stand, wo die Mannschaft sich bereits bei einem Spielchen „Tod und Leben“ befand. Zu einem richtigen Skat fehlte die Behaglichkeit.

Gegen Einbruch der Dunkelheit erschienen schon wieder die Harpyien, die französischen Raubeulen, um die versprengten Posten und Trichter und Gräben zu beschießen. Selbst Tote fanden keine Gnade vor den Augen der fliegenden Franzosen und mussten sich den Leib noch einmal mit Kugeln untersuchen lassen.

Mit häßlichem, metallischem Geklapper, gleich dem Fluglärm der sagenhaften Stymphaliden des Altertums, die ihre Flügelfedern als Pfeile auf Menschen abschössen, flogen zwei der Maschinen über das leichenbedeckte Feld und machten auch den geringsten Versuch, noch einige Verwundete vom Schlachtfeld zu lesen, unmöglich.

Einer der Aasvögel hatte sich zu weit über die deutschen Linien vorgewagt und versuchte, seinen Irrtum in einer weitausholenden Kurve wieder gutzumachen. Aber ein Scheinwerfer bekam ihn in seinen Kegel und blendete den Flieger. Ein Maschinengewehr zerriss ihm den Propeller und brachte den Benzinbehälter zur Explosion. Ein heller Schrei steilte in die Tiefe, und der Gespenstervogel knallte auf der Erde auf. Eine weiße Flamme im schwarzen Rauchschleier begann einen Freudentanz über dem Leichnam des eigenen Herrn. Der Flugvogel und sein Insasse verbrannte zu nichts bis auf einige verbogene Drähte, Schienen und Trümmer des Motors.

Der zweite Flieger floh vor den Nebeln der Somme.

Dennoch dachte Kleffel, der die Szene aus der Ferne miterlebte: „Feige sind unsere Feinde nicht. Schade um die Mut- und Blutverschwendung.“

Er nahm das Fernglas von den Augen und bemerkte jetzt erst, dass schon wieder das Geräusch aus der einen Nacht in den Lüften mahlte.

„Passen Sie auf, Rubach. Das ist einer der Caterpillars. Die Biester haben auch Scheinwerfer. Also lassen Sie uns recht vorsichtig sein. Kommt er zu uns, so stellen wir uns tot, solange es irgendwie geht. Wagt er sich zu nah heran, dann füttern wir ihn mit Handgranaten. Vielleicht können wir ihn auch mit einer kleinen Torpedomine unter dem Bauch kitzeln.“

Der Nebel schleierte auch am Morgen zart über der Erde. Die warme Feuchtigkeit in der Luft kühlte sich über dem Boden zu sehr ab und festigte sich zu leichten Wolkengebilden, die langsam niederschlugen. Die abnehmende Mondsichel aber stand klar im Osten. Man konnte trotz des Nebels noch etwa zweihundert Meter weit sehen. Die unheimliche Stimme, die in der Nacht wieder still geworden war, wurde von neuem wach, und der Posten weckte den Vizefeldwebel.

„Herr Vizefeldwebel, die Katerpille ist wieder da!“

Kleffel sprang empor und äugte ins Periskop. Er sah aber nur das zertrümmerte Vorgelände und im Hintergrund die Nebelwand. Vorsichtig schob er seinen Kopf zwischen zwei Sandsäcke. „Verflucht!“ rief er leise und fuhr einen Augenblick zurück. Da stand ein Schatten riss im Nebel. Ein Riesenwagen, hoch und dick wie ein kleines Haus.

Kleffel beobachtete von neuem.

Der Schatten knurrte wie ein beutegieriger Tiger. Langsam hob er sich vorn, verlor den Boden unter den Füßen, wuchs frei in die Höhe und senkte sich wieder. Dann kroch er einige Meter weiter. Er drehte sich halb um sich selbst und schien argwöhnisch wie die Bestie eines Urwaldes zu sichern. Kleffel versuchte die Entfernung zu schätzen, aber es gelang ihm nur unvollkommen. 300 bis 500 Meter. .

Manchmal wurde das Untier ganz klein und verschwand förmlich im Boden. Dann aber quoll sein Rücken wie der einer kriechenden Raupe wieder empor, und das ganze Gebilde stand da wie ein Mastodont.

Es bewegte sich wie ein Tausendfüßer, der auf seinem Bauche zu kriechen scheint. Kleffel ließ durch stillen Alarm die Leute wecken, und alles stand im Graben bereit, sich scheintot zu stellen oder auf Befehl den neuen Feind anzugreifen.

Kleffel war todmüde, denn er hatte in der Nacht oberflächlicher als ein Hund geschlafen. Ein Traum, hartnäckig wie eine Mücke, hatte ihn ununterbrochen gequält. Ein griechischer Professor hatte von ihm die Wiedergabe der Stelle, die vom trojanischen Pferd handelt, in der Originalsprache der Iliade verlangt, und der arme Vizefeldwebel mühte sich halb betäubt und halb wach die Nacht hindurch, seine griechischen Kenntnisse zusammenzukratzen.

Jetzt, da das gepanzerte trojanisch-britische Pferd als der Leibhaftige selber vor ihm stand, war ihm wohler zumute als in der traumzerquälten Nacht.

Das Stahlmammut hob sich wieder empor, diesmal hinten, weil es vorn seine Stirn in eine Geländefalte bohrte. Aber bald tauchte das Hinterteil unter, und die Bestie kam vorn wieder in die Höhe. So kletterte es selbst in Trichter hinein und aus ihnen wieder heraus. Einige Strauchreste zerplattete es wie eine Chausseewalze unter sich.

Der wandelnde Landkreuzer kam bedenklich näher. Er schnüffelte wie ein Büffel den Boden überall ab und verlor doch nicht die Richtung auf den deutschen Graben zu.' Also plante er sichtbar einen Angriff. Kleffel wurde eine Schattierung kleiner als die Figur des Untiers deutlicher aus dem Nebel trat und die Mündung einer Schnellfeuerkanone gerade auf ihn zu gerichtet stand.

Der Lärm der Räderfestung zermalmte die Luft wie eine Schiffsschraube das Wasser zerquirlt und zerschlägt. Es war dem jungen Vizefeldwebel geradezu unmöglich, sein Auge von der sich langsam drehenden und bewegen den Eisenmasse zu wenden. Es war ihm, als wäre er vom Anblick eines Gorgonenhauptes versteinert und erstarrt, oder von einem Basiliskenblick gebannt.

Nur mühsam noch konnte er durch einige Armbewegungen seine Leute zum Totstellen bringen. Eine Katastrophe war unabwendbar, wenn die Riesenraupe weiter herankroch.

Vierzig Meter vor dem Graben machte der Tank halt. Kleffel sah deutlich, wie sich das Sehrohr des Wagens oben höher schob und wie es sich langsam im Halbkreise drehte. Die Engländer hatten den Graben entdeckt. Der vordere Panzerturm machte eine Wendung. Die Mündung der Kanone senkte sich etwas, und dann raste das Feuer aus seinem Rachen. Der Drachen war da und spie tötende Flammen.

Die Erde stiebte dicht über Kleffels Kopf in die Höhe, als wenn man schwere Steine in einen Erbsenhaufen schleudert. Kleffel verschwand in der Versenkung. Mochte die Bestie oben die Verschanzung zerstören. Sie würden alle hier unten still wie im Grabe bleiben.

Der Vizefeldwebel fand sogar noch Muße, darüber nachzudenken, bis zu welchem Winkel sich das feindliche Geschoss zur Erde neigen konnte, und er kam in kältester Überlegung dahin, dass es den Boden höchstens von zwanzig Metern Entfernung ab bestreichen konnte. Da der Tank gegen vierzig Meter weit weg war, wäre also nur eine Gefahrzone von zwanzig Metern zu durchmessen gewesen. Dann konnte man in aller Ruhe dem trojanischen Pferde von unten her zu Leibe gehen. „Die Sache wäre des roten Schweißes der Edlen wert“, dachte Kleffel. Er stieß Rubach an und flüsterte ihm etwas ins Ohr. Der Forstgehilfe zog eine Flügelmine an sich.

„Hat sie Zeitzündung?“ fragte Kleffel.

Rubach nickte.

„Kommen Sie mit!“

Rubach nickte.

„Schmeißt uns plötzlich aus dem Graben raus“, sagte der Vizefeldwebel zu seinen Leuten. „Und dann schnell die Mine herausgereicht.“

Alle verstanden sofort, was los war.

Lautlos schoben sich zwei Körper über den Graben. Gleichzeitig brach Schützenfeuer von der Seite her los, verstummte aber, als die beiden Männer, Kleffel und Rubach, bis dicht an das Panzerungeheuer gekommen waren.

„Schnell, schnell“, schrie Kleffel Rubach zu.

Er war bereits unter den Leib des Panzertiers gekrochen. Die Insassen hatten trotz ihrer Periskope nichts von dem Vorgang bemerkt. Kleffel stellte den Zeitzünder auf nur zehn Sekunden ein und schrie aus gepresster Kehle: „Los, los. Weg, Mensch!“

Sie waren aber noch nicht zehn Meter weit vom Wagen weg, als ein grauenhafter Explosionsschlag sie in den Rücken traf und auf Brust und

Gesicht niederwarf.

Die Mine war explodiert.

Das Gestell des Tanks war zerrissen, und ein paar blutige Beinstummel rutschten von oben aus dem Wagen durch das Gestänge. Der Motor raste auf Leergang. Der Wagen machte ein paar ruckartige Todesbewegungen und brach dann vorn in die Knie zusammen. Staub quoll auf und wirbelte über dem sterbenden Panzertier.

Kleffel und Rubach fielen in den Graben. Sie waren unverwundet, aber die Lungen schmerzten ihnen vor Anstrengung. Man kann dreißig Meter so schnell laufen, dass das Herz zu springen droht.

Die Maschinengewehre hielten ihre Mündungen auf den zusammengebrochenen Wagen gerichtet. Plötzlich blitzte etwas über dem Tank auf. Eine weiße Taube. Sie stieg über dem Rücken des Panzertiers empor, flatterte nervös, kreiste dann nach Osten und Süden und Westen herum und verschwand nordwärts, den Linien der Engländer bei Le Sars zu. Es war eine Brieftaube, die der Heimat die Hiobspost vom Untergang des ersten britischen Tanks überbringen sollte.

„Ich glaube, die Kerls sind schwerhörig. Höffer, klopfen Sie mal mit Punktfeuer bei ihnen an und bitten Sie um Einlass!“

Die Kugeln hämmerten auf dem Metall, hart und hell wie die Knöchelhand des Todes.

Ein weißes Tuch wurde über dem Wagen geschwenkt, und nach wenigen Minuten landeten sieben Engländer im deutschen Schützengraben als Gefangene. Zwei als Sterbende.

„Es tut mir leid“, sagte Kleffel. Noch am selben Abend teilte der Hauptmann seinen Offizieren mit, dass die Engländer sämtliche auf dem Schlachtfeld in Erscheinung getretenen Panzerwalzen oder Grabenraupen oder Feuersalamander verloren hätten. Das eine war von einer Kartätsche in zehn Stücke zerrissen worden.

Ein anderes blieb in einem Trichter liegen und wurde sorgfältig ausgenommen. Ein drittes versagte im Drahtverhau und ein viertes begab sich selbst und freiwillig in den deutschen Schützengraben, wo es auf die Nase fiel und wo seine Insassen höflichst in den sicheren Unterstand gebeten wurden.

Die Schlacht über dem Nebel

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