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Auf der Jade

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m Hafen von Wilhelmshaven, an der Brücke, liegen die Torpedoboote. Halbflottillenweise, mit Schornsteinen und Bug scharf ausgerichtet, wie Rekruten auf dem Exerzierplatz, an denen auch der strengste Unteroffizier nichts zu tadeln hätte.

Den ganzen Vormittag haben die Boote Kohlen übergenommen. Die Mannschaft ist dabei, die letzten Spuren zu beseitigen. Mit Feuerlöschschläuchen, mit Schrubbern und Absetzern wird der schwarze Staub, der in die kleinsten Fugen und Ritzen dringt, entfernt. Die Kohlenpäckchen sind verstaut; die Leute haben sich gewaschen. Nur die schwarz umränderten Augen verraten noch, welcher Tätigkeit sie sich hingegeben haben.

Elf Boote, eine Flottille, liegen da. Auf dem einen flattert der Flottillenstander des Chefs. Die Boote werden seeklar gemacht.

Die Befehlsordonnanz kommt an Bord, begibt sich nach dem Führerboot. Wenige Minuten vergehen, dann taucht aus einem Niedergang der Chef an Deck auf, wo er mit seinen dort versammelten Halbflottillenchefs und Kommandanten eine Besprechung an der Hand einer Seekarte hält.

Nur kurze Zeit ist der Führer mit seinen Offizieren zusammen. Unwillkürlich spitzt die Mannschaft die Ohren. Mancher Blick stiegt hinüber zu der über die Karte gebeugten Gruppe, um etwas über die Unternehmung, die da jedenfalls geplant wird, zu erfahren. Eine Viertelstunde vergeht, da wird von der Brücke das Signal der Signalstation gemeldet:

„Schleuse ist geöffnet.“

Die Offiziere trennen sich und begeben sich auf ihre Boote.

Im nächsten Augenblick tönt schrill ein Pfiff und der Ruf:

„Klar zum Manöver!“

Ein kurzes Rennen und Hasten. Ein sekundenlanges Durcheinander an Deck, dann ist alles auf Manöverstation.

„Leinen los!“

„Ab vorn. — Ab achtern. — Beide Maschinen langsame Fahrt voraus!“

Langsam löst sich ein Boot nach dem andern von seinem Liegeplatz und strebt der Schleuse zu, in der in kurzer Zeit zwei Flottillen versammelt sind. Leise, geräuschlos schiebt sich aus der Kaimauer das Schleusentor, das die Schleuse nach dem Hafen absperrt. Das gegenüberliegende, das nach der Jade führt, öffnet sich. Schmutziggelb und leicht bewegt liegen die Wasser der Jade voraus. Lange sieht der alte Schleusenmeister von der Signalstation ans dem letzten Boote, das eben die Mole rundet, nach. Tagaus, tag, ein sind die flinken schwarzen Gesellen hier durch, gelaufen. Auf jedem Boot fast hat er Bekannte. Viele, die meisten sind zurückgekommen. Mancher Brave aber hat draußen bei kühnem Unternehmen ein nasses Seemannsgrab gefunden.

Bald haben die Boote große Fahrt aufgenommen. So dicht hintereinander sausen sie dahin, stets die Nase des einen am Heck des Vordermanns, dass jeden Augenblick ein Zusammenstoss unvermeidlich scheint. Jahrelange Übung aber, die auf den Zentimeter genau rechnet, lässt jedes Unglück vermeiden.

Erzählt man sich doch eine niedliche Geschichte in der Marine, die den Führern der Boote ein ehrendes Zeugnis ausstellt. Der vor wenigen Jahren verstorbene Admiral Zeye, der das Lehrgeschwader in der Ostsee befehligte und sich mit der Ausbildung der Boote in Verbänden befasste, hatte eines schönen Tages von seinem Flaggschiff aus an einer langen Stange eine Sektflasche befestigen lassen. Wer die Flasche erwischte, dem sollte sie gehören. Die schöne Aussicht auf ein Glas guten Sektes währte aber nicht lange. Haarscharf sauste gleich das erste Boot unter der Stange hinweg, und mit kühnem Griff riß der Kommandant die Flasche triumphierend an sich. Die übrigen hatten das Nachsehen. Der Admiral soll allerdings über den überraschend guten Ausfall des Versuchs so erfreut gewesen sein, dass er die Kommandanten der anderen Boote überreichlich entschädigte.

Bis weit hinaus liegen die grauen Kolosse der Linienschiffe und Kreuzer. Bei einigen halten Proviant- und Wasserfahrzeuge. Barkassen und Pinassen flitzen über die leicht gekräuselte Wasserfläche hin, vermitteln den Verkehr zwischen den Schiffen selbst und der Einfahrt, bringen Mannschaften und Offiziere, Beurlaubte und neu an Bord Kommandierte, die mit ihrem Kleidersacke, an dem der Utensilienkasten mit Wichs- und Putzzeug baumelt, angerückt kommen, an Bord. Die letzten Boote sind längsseit und werden eingesetzt.

In voller Fahrt jagen die Torpedoboote an den Riesen vorbei. Bald liegt Schillig-Hörn, von dessen Signalmast bunte Flaggen im Winde wehen, achteraus und Wangeroog ist in Sicht und bald querab. Die vom letzten Westwinde aufgerührte See macht sich jetzt fühlbar. Die Boote fangen an leicht zu schlingern und zu stampfen, als sie frei von Wangeroog kommen. Das hindert sie aber nicht in ihrer Geschwindigkeit. Schwarzer Rauch von Kohlen, der weißliche der Ölfeuerung, entquillt den Schornsteinen. Die Luft von Petroleumgeruch geschwängert. Dicht hintereinander sausen sie dahin, so dass das letzte Boot nichts mehr von Seeluft, sondern nur Öl- und Petroleumdunst schluckt.

Jetzt sind die Boote im freien Fahrwasser. Sofort ziehen sich die flinken Renner fächerartig weit auseinander mit Kurs zwischen West und Nordwest. Noch sind sie nicht aus Sicht gekommen, als die Kleinen Kreuzer und Panzerkreuzer Anker auf gehen. Mit langsamer Fahrt zunächst, dann allmählich mit großer Fahrt folgen sie den Booten. Voran die Kleinen Kreuzer, weit rechts und links gestaffelt, um möglichst großes Gesichtsfeld zu haben, ziehen sich die Schiffe in breiter Linie auseinander. Keine Rauchfahne, kein Schiff außer den deutschen Wachtfahrzeugen weit und breit. Weiter geht es mit großer Fahrt der englischen Küste zu.

Eine Stunde vergeht, eine zweite.

Von dem am äußersten linken Flügel stehenden Torpedoobot kommt die Meldung:

„Fischerflottille in Sicht!“

Vielleicht sind es nur harmlose Fischer, die ihrem Berufe nachgehen. Ebenso gut aber können es — und die Erfahrung lehrt, dass der Verdacht nur zu begründet ist — verkappte englische Vorpostenboote sein, die ausgefahren sind, wo, möglich unter neutraler Flagge, die Bewegungen der deutschen Schiffe auszuspionieren und sie drahtlos weiter nach England zu melden. Sofort gibt der Admiral Befehl:

„Zwei Boote zur Untersuchung detachieren!“

Mit großer Fahrt halten sie auf die Fischer zu, umkreisen die Fahrzeuge, auf denen die Mannschaft, keineswegs unzufrieden über die willkommene Abwechslung, breitbeinig, das Pfeifchen im Munde, die Hände in den Hosentaschen, den Herankommenden in echt holländischer Gemütlichkeit und Ruhe entgegensieht. Möglichst dicht wird längsseit gegangen und durch den Sprechtrichter nach dem Woher und Wohin, dem Namen und Heimatshafen geforscht.

In unverfälschtem Holländisch kommt die Antwort: „Uit Ymuiden.“ Die Bemalung des Bugs und der Segel bestätigen die Angaben. Ein freundliches Abschiedswort und rasch folgen die Boote den vorangezogenen nach.

Jetzt sichten die in der Mitte stehenden Fahrzeuge eine Menge treibendes Grubenholz. Sollte etwa eines unserer U-Boote einen mit dem für England so nötigen Grubenholz beladenen Dampfer gefasst oder eine Mine ihn in ein besseres Jenseits befördert haben? Gleichgültig, wie er unterging. Der Zweck ist erreicht. Er ist weg.

Langsam wird es schummerig. Die Nacht bricht herein. Dichter werden jetzt die Linien zusammengezogen, um die Signale besser unterscheiden und den Austausch von Beobachtungen erleichtern zu können.

Scharf wird nach gegnerischen Vorpostenbooten gesehen. Könnten sie durch ihre F. T.-Apparate unbemerkte Annäherung doch unmöglich machen.

Nichts aber kommt in den Weg. Ferne nur wird ein auf den Kanal zusteuernder Dampfer, ein Neutraler, gesichtet. Im Bogen wird er umgangen. Weiter fährt die Flotte durch die Nacht ihrem Ziele zu.

Beim grauenden Morgen kommt die englische Küste in Sicht. Noch ist es so nebelig, dass die großen Schiffe unbemerkt nahe herankommen können. Deutlicher tritt allmählich das Land hervor; die Mole mit der Signalstation, an der linken Seite auf dem Hügel heben sich die Umrisse eines Forts scharf ab. Einzelne Häuser am Strande.

Alle Geschütztürme schwenken nach Land zu.

In demselben Augenblick geht auch auf dem Flaggschiff das Signal hoch:

„Feuer eröffnen!“

Ein fahler Blitz. Bräunlichgelber Pulverdampf wallt auf; ein schmetternder Schlag. Der erste Schuss.



Polternd, wie das Dröhnen eines schwer beladenen Lastzuges auf hohler Brücke, saust die erste Granate aus dem Rohr auf das Ziel zu. Eine hohe graue Staubwolke zeigt die Einschlagsstelle.

Ein zweiter Schuss folgt, ein dritter, ein vierter. In ununterbrochener Folge feuern die Schiffe auf die verteilten Ziele. Schlag auf Schlag. Dumpf grollt es über die Wasserfläche zum Lande hinüber. Nur zu bald zeigt sich dort die Wirkung.

Eine 15-Zentimeter-Granate schlägt in den Turm der Signalstation ein. Langsam, als müßte er sich besinnen, neigt er sich nach Steuerbord über, um dann mit dumpfem Krach in tausend Trümmern auf der Mole aufzuschlagen.

Nun blitzt es auch aus den Geschützen des Forts auf der linken Seite der Stadt auf; sie scheinen dort unsanft geweckt zu sein, man sieht‘s am planlosen Hin- und Herlaufen.

Viel zu kurz geschossen.

Im nächsten Augenblick aber schon konzentriert sich das Feuer aller Schiffe auf das Ziel, das sich vom hellen Hintergrunde mit der größten Deutlichkeit abhebt. Eine Granate nach der andern sitzt. Bald sind die Erdwerke, hinter denen die Geschütze ihren Standort haben, in einer Wolke von braungelbem Rauch völlig verschwunden.

Das Feuer lässt nicht nach. Fünf Minuten . . . acht. Die fahlen Blitze, die noch von Zeit zu Zeit wie Stichflammen aus der braunen Schwadenwand hervordrangen, sind verschwunden. Kein Schuss mehr lässt sich hören. Einen Augenblick Stille.

Als sich der Pulverrauch im Winde verzieht, zeigt ein Trümmerhaufen nur die Stätte, wo früher das Fort gestanden hat.

Schon wollen die Deutschen abdrehen, als plötzlich in voller Fahrt aus dem Hafen heraus zwei kleine Schiffe stürzen. Die dunkelen Leiber, die zwei Schornsteine und die hohe Back verraten, dass es englische Zerstörer sind. Was sie beabsichtigen, ist rätselhaft. Wollen sie sich etwa auf die dicken Schiffe stürzen und den ungleichen Kampf aufnehmen? Eine Granate saust ihnen entgegen. Wie ein Warnungsschuss ist es. Umsonst. Sie setzen ihre Fahrt fort, in den sicheren Tod.

Nur zu bequem ist das Ziel, das die verhältnismäßig großen Boote der mittleren Artillerie bieten. Stählerner Hagel rauscht ihnen entgegen, deckt sie völlig zu. Kaum eine halbe Minute ist vergangen — aus dem Achterschiff des einen lodert eine mächtige Flamme empor, eine dumpfe Detonation folgt. Im nächsten Augenblick ist es von der Oberfläche verschwunden. Gleiches Schicksal erleidet sein Gefährte. Wie durchsiebt sind seine dünnen Bordwände. Immer tiefer sackt er, mit der Nase voran, bis er verschwindet. Um die Rettung braucht man sich nicht zu bekümmern. Von Land her nahen zahlreiche Fischerboote, um die mit den Wellen Ringenden zu bergen.

Von Norden her herankommend, werden noch einige Zerstörer gesichtet. Die drohende Übermacht aber und einige wohlgezielte, dicht bei ihnen einschlagende Schüsse scheuchen sie hinweg in Sicherheit.

Nun geht's heimwärts.

Die erste Stunde verrinnt. Nichts zeigt sich. — Da voraus, zwei Fischerdampfer in Sicht. Engländer!

Den beiden Torpedobooten, die sofort zur Untersuchung heranjagen, zeigten die auf der Back befindlichen Kanonen schon von weitem, dass es sich um bewaffnete Vorpostenboote handelt. Ein scharfer Schuss wird dicht vor den Bug gefeuert, schnell finden die Besatzungen sich ohne Gegen, wehr in ihr Schicksal und lassen ihre Boote zu Wasser.

Als das eine der Torpedoboote eben um das Heck des zunächst liegenden Dampfers herumdreht, um auch den anderen scharf unter den Augen zu behalten, blüht den deutschen Seeleuten eine unerwartete Überraschung. Deutlich prangt da in weißen Buchstaben

„King Stephen“,

jenes Boot, das in so schmachvoller Weise — die Engländer und auch ihre Geistlichen nennen es selbstverständlich — die Besatzung des „L 19“ ertrinken ließ. Die Leute werden von Bord heruntergeholt. Dabei mag es vielleicht manchen harten Griff gegeben haben. Nicht allzu zart wird man sie bedeutet haben, in die Boote zu gehen. Noch zittert die Wut über das jämmerliche Verhalten durch.

Sprengpatronen werden auf den Schiffen befestigt. Eben sind die Boote in Sicherheit, ein Knall, eine Sprengwolke. Weite Kreise auf der Oberfläche künden bald, wo „King Stephen“ sein wohlverdientes Ende gefunden hat.

Nichts weiter kommt in Sicht und nachmittags ankern die Schiffe auf der Reede von Wilhelmshaven.

Reuter wusste am nächsten Tag der Welt wieder zu künden, dass nur Frauen und Kinder bei der Beschießung zu Schaden gekommen seien. Von den Forts, dessen Geschütze nur zu bald verstummen mussten, von der Signalstation, die in Schutt und Trümmer lag, von der Munitionsfabrik hat er wohl nie etwas erfahren.

Skagerrak!

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