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5. Im Weltenraum.
ОглавлениеÜber den Erklärungen und dem Geplauder, das sich nun lebhaft erhoben hatte, war die Beobachtung der Weiterfahrt völlig vergessen worden, bis Mietje daran erinnerte.
„Paßt auf!“ sagte sie: „Wir nähern uns mit rasender Geschwindigkeit dem Mond.“
Alle schauten nach oben.
„Allerdings,“ sagte Heinz, „er sieht schon ganz stattlich aus, aber merkwürdig düster.“
„Hollah!“ rief Schultze: „Das ist ja unsre Erde! Dunkel erscheint sie in der Tat; aber die Umrisse von Europa und Afrika lassen sich ganz deutlich unterscheiden.“
Es war wirklich ein entzückender Anblick! Die Erde erschien als flache Scheibe, etwa zehnmal so groß als die scheinbare Größe des Vollmonds, und die mondbeleuchteten Kontinente zeigten sich wie auf einem Erdglobus: Europa, Afrika und ein Teil von Asien waren ganz zu übersehen und über Indien und Persien leuchtete schon die Morgensonne, so daß die Küsten deutlich dem staunenden Auge erschienen.
„Was ist das wieder für ein Spuk!“ polterte der Kapitän: „Ich meine doch, hier sollten wir den Ausblick direkt auf den Mond haben und die Erde ließen wir auf der andern Seite! Werter Lord, Sie haben mich sozusagen als Kapitän und Steuermann Ihrer Sannah angeheuert, aber mit solch einem vertrackten Fahrzeug weiß ich wahrhaftig nicht umzugehen. He, Professor! Sie Alleswisser, wie erklären Sie nun wieder diese Absonderlichkeit?“
„Herrlich!“ erwiderte Schultze begeistert: „Als echter Planet, der sich seiner Bedeutung im Weltall bewußt ist, dreht sich unsre Sannah um ihre eigene Achse und das in ungefähr zwei Erdenstunden. Passen Sie auf, in einer Stunde etwa sehen wir da oben wieder den Vollmond aufleuchten, und sobald wir außer dem Bereich des Erdschattens sind, wechseln bei uns Tag und Nacht stündlich; wir brauchen uns aber nur zu rechter Zeit in ein andres Zimmer unter der Oberfläche unsres Planeten zu begeben, um ewigen Tag zu genießen und unendliche Nacht, ganz nach Belieben!“
„Ich muß gestehen,“ sagte Flitmore, „das alles kommt mir ganz überraschend; meine astronomischen Kenntnisse sind nicht weit her und ich habe diese Umstände nicht in Rechnung gezogen.“
„In der Tat,“ lachte Schultze! „Auch über die Fortbewegungsgeschwindigkeit Ihrer Sannah täuschten Sie sich. Mit der Lichtgeschwindigkeit ist es einmal sicher nichts; sonst hätten wir den Mond schon längst hinter uns.“
„Halt!“ wandte der Lord ein: „Sie vergessen, daß wir uns noch in der Anfangsgeschwindigkeit befinden, die beständig wächst; überdies habe ich mit Absicht nur einen ganz schwachen Strom unsre Hülle durchkreisen lassen, damit wir unsern Nachbarn, den Mond, mit Muße betrachten können.“
„Wissen Sie, was uns begegnen wird?“ fragte der Professor „Wir werden als Bewohner eines regelrechten Planeten den Gesetzen der Gravitation unterworfen werden, das heißt unsere Sannah wird in elliptischer Bahn um die Sonne kreisen und dann sind wir hilflose Gefangene bis wir nach Verbrauch unseres Sauerstoffvorrats ein klägliches Ende nehmen.“
„Sie sind ein unheimlicher Prophet, Herr Professor,“ rief Mietje: „Hoffentlich wird Ihre Voraussage nicht in Erfüllung gehen.“
Schultze zuckte die Achseln: „Die Gravitationsgesetze erleiden keine Ausnahme; jeder Weltkörper ist ihnen unterworfen; und da unser Weltschiff zu solch einem Weltkörper im unendlichen Raume geworden ist, muß er wohl samt uns allen ein Opfer dieser Gesetze werden.“
„Was ist denn das, wenn ich mir zu fragen die Erlaubnis herausnehmen darf,“ nahm nun John Rieger, der Diener, das Wort, „diese verhängnisreiche Kraft, woselbst Sie Gravisionskraft nennen?“
„Das ist diejenige Kraft,“ klärte der Professor den Wißbegierigen auf, „die alle Planeten, das heißt die Weltkörper, die sich um die Sonne drehen, in ihren Bahnen erhält. Der unsterbliche Isaak Newton hat als erster die Gesetze dieser Kraft festgestellt, die im Grunde nichts anderes ist, als die Schwerkraft: alle Weltkörper ziehen einander an und je größer ihre Masse ist, desto stärker ist ihre Anziehungskraft.“
„Dann aber müßte doch sozusagen einer auf den andern fallen,“ warf Rieger ein: „voraussichtlich die kleinen auf die größeren, wie zum Beispiel der Mond auf die Erde und die Erde auf die Sonnen.“
„Sehr scharfsinnig bemerkt, mein Sohn!“ lobte Schultze; „aber der Mond wird nicht bloß von der Erde, sondern auch von der Sonne angezogen und alle Weltkörper ziehen einander gegenseitig an. Dazu bewirkt die Anziehungskraft die elliptische Bewegung der Planeten um die Sonne und durch diese Eigenbewegung überwinden sie wieder bis zu einem bestimmten Grad die Anziehungskraft, so daß es eben diese Kraft ist, die in ihren Folgen das Weltall im Gleichgewicht erhält. Allerdings kommen auch Störungen in der regelmäßigen Umlaufbahn vor, wenn zwei Himmelskörper sich auf ihren Wegen nähern und dadurch eine verstärkte Anziehung aufeinander ausüben. Dadurch wird die Berechnung sehr verwickelt.
So hat man berechnet, daß die Erde mindestens elf Bewegungen ausführt: 1. dreht sie sich in 24 Stunden um sich selbst, das nennt man ihre Rotation; 2. bewegt sie sich um die Sonne mit einer Geschwindigkeit von 29450 Metern, also beinahe 30 Kilometern, in der Sekunde; 3. eilt sie mit dem ganzen Sonnensystem dem Sternbild des Herkules oder der Leier zu; 4. schwingt die Erdachse; 5. verändert sich die Form der Erdbahn um die Sonne, indem sie sich bald der Kreisform nähert, bald wieder der Form einer langgestreckten Ellipse; 6. dreht sich diese Ellipse selber in ihrer eigenen Ebene in einer Periode von 21000 Jahren; 7. dreht sich die Erdachse in 25765 Jahren in einem Kreis; 8. die Anziehungskraft des Mondes, dem wir auch Ebbe und Flut verdanken, läßt den Pol des Äquators in 18 Jahren und 8 Monaten eine kleine Ellipse beschreiben, da der Mond eine Anschwellung der Erdmasse am Äquator hervorruft, die eine Art Ebbe und Flut auch des festen Landes darstellt; 9. die Lage des Schwerpunktes unseres Erdballs verändert sich allmonatlich ebenfalls infolge der Mondanziehung; 10. die Planeten, namentlich Jupiter und Venus, verursachen Störungen der Erdbahn; 11. der Mittelpunkt der jährlichen Umdrehung der Erde um die Sonne liegt nicht im Mittelpunkt der letzteren, sondern ist veränderlich. Es wäre übrigens leicht, noch mehr Bewegungen auszurechnen.“
„Du siehst, John,“ sagte Flitmore lachend, „wenn du in einem fahrenden Schnellzug auf und ab spazierst, die Hände schlenkernd und dabei die Finger bewegend, so machen deine Finger 15 Bewegungen mit und der Bazillus, der in deinem kreisenden Blute deiner Fingerspitze schwimmt, gar 17.“
„Aber was sagen Sie, Lord, zu der Befürchtung unseres Professors, daß wir nun ewig um die Sonne kreisen werden?“ fragte Heinz Friedung.
„Damit hat es keine Gefahr,“ erwiderte Flitmore. „Schultze ließ einen Hauptumstand außer acht. Ich habe überhaupt eine besondere Ansicht über die Gravitation; ich glaube, daß zwei Kräfte dabei tätig sind, eine Anziehungskraft und eine gegenseitige Abstoßungskraft, wie man ja auch annimmt, daß die Moleküle und Atome eines Körpers einander zwar anziehen aber doch nicht berühren, weil sie einander auch abstoßen. Der Ausgleich dieser beiden einander entgegenwirkenden Kräfte bestimmt meiner Ansicht nach den gegenseitigen Abstand, den die Himmelskörper einhalten; so erkläre ich mir auch, daß die flüchtigen Stoffe der Kometen bei der Annäherung an die Sonne bis zu einem gewissen Punkt angezogen, von da ab aber abgestoßen werden und so die Kometenschweife bilden.
Für uns aber ist die Hauptsache, daß der Strom, der in der Sannah kreist, die Anziehungskraft überhaupt aufhebt und nur die Fliehkraft wirken läßt, so daß kein Weltkörper uns in seinen Bannkreis zwingen kann, so lange der Strom geschlossen bleibt.“
„Das ist in der Tat richtig,“ gab Schultze zu. „Aber hören Sie, noch eins erscheint mir rätselhaft: wir befinden uns jedenfalls schon längst im leeren Raum, außerhalb der irdischen Atmosphäre, deren Höhe auf etwa 180 Kilometer geschätzt wird ...“
„Erlauben Sie, daß ich Sie hier unterbreche,“ bat Flitmore: „Wie stellen Sie sich unsere irdische Lufthülle überhaupt vor?“
„Nun,“ erwiderte der Professor: „Man ist der Ansicht, als ob es eine scharfe Abgrenzung der Atmosphäre gegen den Raum überhaupt nicht gebe, sondern bloß einen allmählichen Übergang durch stets zunehmende Verdünnung der Luft.“
„Ganz richtig!“ sagte der Lord: „Aber die Astronomen oder Astrophysiker, die diese schöne Theorie aufstellen, vergessen offenbar, daß die Erde bei ihrem Dahinsausen durch den Raum ihre Lufthülle mit sich nimmt. Wie wollen wir uns das erklären, wenn diese Hülle gar keine feste Grenze hat?“
„Das stimmt!“ meinte Heinz: „Es ist klar, daß die Anziehungskraft der Erde auf die obersten, dünnsten Luftschichten am schwächsten wirkt; in einer bestimmten Höhe muß die Attraktion nicht mehr genügen, um die in den leeren Raum übergehende unendlich verdünnte Luft festzuhalten und somit muß sie alles zurücklassen, was über diese Grenze hinausgeht; wäre also die Atmosphäre ursprünglich ohne bestimmte Grenze gewesen, so müßte sie doch alsbald durch die Fortbewegung der Erde zu einer scharfen Abgrenzung gelangt sein.“
„Ganz meine Ansicht,“ bestätigte Flitmore: „Ich gehe noch weiter; es wäre anzunehmen, daß die Erde immer mehr von ihrer Atmosphäre an den leeren Raum verlöre und die Masse derselben beständig abnehmen müßte.“
„Das leuchtet mir ein,“ meinte Schultze: „Jedenfalls muß die Lufthülle der Erde gegen den Raum scharf abgegrenzt sein, da sie mit der Erde durch die Leere saust.“
„Doch nicht!“ widersprach der Lord.
„Oho!“ rief Schultze verwundert: „Wie wollen Sie dann aus der Klemme kommen?“
„Sehr einfach,“ erklärte der Engländer: „Die Lufthülle der Erde ist nie und nirgends vom raumerfüllenden Stoff scharf unterschieden, weil eben dieser Stoff, der den Raum erfüllt, und den man Äther nennt, nichts anderes ist als Luft.“
„Da hört sich aber doch alle Wissenschaft auf!“ lachte der Professor. „Damit werden Sie in der wissenschaftlichen Welt schwerlich durchdringen.“
„Möglich! Aber das ist meine Überzeugung. Ein ganz allmählicher Übergang der Atmosphäre in den umgebenden Raum ist nur dann möglich, wenn der Raum eben die gleichen Stoffe enthält, wie die Luft, freilich in äußerst dünner Verteilung. So mag die Erde einerseits beständig etwas von ihren obersten dünnsten Luftschichten an den Raum verlieren, sie wird aber andererseits auch beständig aus dem durcheilten Raum wieder Ersatz anziehen.“
„Bravo!“ rief Heinz: „Diese Theorie allein scheint mir genügend zu erklären, wieso die Erde ihre Lufthülle durch die Jahrtausende in gleicher Dichte und stets erneuerter Reinheit bewahren kann.“
„So ist es,“ bestätigte der Lord: „Und weiter folgt daraus, daß jeder Weltkörper entsprechend seiner Masse und Anziehungskraft, sowie seiner Rotations- und Umlaufgeschwindigkeit sich aus dem Raum eine Atmosphäre angezogen haben muß, die eben durch seine Attraktion verdichtet und an seiner Oberfläche am dichtesten geworden ist.“
„Das hieße also: kein Weltkörper ohne Lufthülle?“ fragte Schultze.
„Das wäre allerdings die notwendige Folge meiner Annahme.“
„Lassen wir das dahingestellt,“ fuhr der Professor kopfschüttelnd fort: „Das Rätsel, von dem ich reden wollte, ist dies: da wir uns im leeren Raum, oder, wie Sie wollen, in äußerst verdünnter ätherischer Luft befinden, muß in unserer Umgebung eine Temperatur herrschen, die dem absoluten Nullpunkt nahe kommt, das heißt 273 Grad unter Null. Nun mag die Schutzhülle unserer Sannah noch so vorzüglich sein, ebenso Ihr Heizungssystem; wir müßten dennoch den Einfluß einer so ungeheuren Kälte spüren. Ich aber spüre nichts Derartiges, vielmehr ist es stets gleichmäßig behaglich warm.“
„Über die Temperaturverhältnisse des Raumes sind wir völlig im unklaren,“ entgegnete der Engländer: „Die beständige Abnahme der Temperatur ist schon innerhalb der Erdatmosphäre widerlegt, in welcher bekanntlich die große Inversion stattfindet: die unterste Luftschicht ist 3 bis 4 Kilometer hoch und befindet sich in steter Unruhe und Bewegung; über ihr befindet sich eine ruhigere, trockene, kalte Luftschicht, in der die Temperatur bis zu 85 Grad unter Null abnimmt. In einer Höhe von 10 Kilometern aber beginnt die dritte, sehr gleichmäßige, ruhige und trockene Schicht, die wieder wärmer ist und bei 14 Kilometer Höhe 52 bis 57 Grad unter Null aufweist. Die Theorie der ‚Strahlung‘ von Licht und Wärme halte ich für eine völlig verfehlte: sie müßte zu ganz unmöglichen Folgerungen führen. Bedenkt man, mit welcher Geschwindigkeit die Erde durch den Raum eilt, so daß in jedem Augenblick neue, zuvor im Raum verlorene Sonnenstrahlen sie treffen, so müßte man annehmen, daß sie überhaupt kein Licht und keine Wärme von der Sonne empfangen könnte, falls nicht der Raum, den sie durchwandert, erleuchtet und erwärmt wäre. Meiner Ansicht nach pflanzt sich Licht und Wärme in der Weise fort, daß die erleuchteten und erwärmten Stoffteile des Raumes sie einander durch Berührung weitergeben, meinetwegen als Schwingungen. Je dünner die Materie ist, desto rascher gibt sie die Schwingungen weiter und desto weniger speichert sie an Licht und Wärme auf; je dichter sie ist, desto mehr absorbiert oder verschluckt sie, speichert davon in sich auf oder wirft die Strahlen zurück, wobei es auf die Art des Stoffes ebenfalls ankommt, auf seine Leitungsfähigkeit, Färbung und so weiter.“
„Sie haben recht, Lord,“ mischte sich nun Kapitän Münchhausen in das Gespräch: „Auf den höchsten Berggipfeln, die infolge der mangelnden Erdwärme ewig in Eis und Schnee starren, brennt die Sonne viel heißer als unten in der dichten Atmosphäre. Warum? Die dünne Luft gibt ihre Wärme rascher ab, wobei sie sich selber weniger durch Aufspeicherung erwärmt; der Raum, durch den wir fliegen, ist jedenfalls weit kälter als die Bergluft, aber durchaus nicht so bodenlos kalt, wie man annimmt, und bei Tag werden wir es erfahren, daß die Sonnenstrahlen uns tüchtiger einheizen als irgendwo auf der Erde.“
„Und da eine Hälfte unserer Sannah stets Sonnenlicht genießen wird,“ fügte Heinz bei, „so denke ich, werden wir nie unter zu starker Abkühlung zu leiden haben.“
„Damit rechne auch ich,“ schloß Flitmore: „Ich glaube, wir werden, solange wir uns im Bereiche der Sonnenwärme befinden, überhaupt keiner Heizung mehr bedürfen; im Gegenteil, die Schutzhülle meines Weltschiffs wird uns vor unerträglicher Hitze bewahren müssen.“