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II.

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Das Jahr verrann, abwechslungslos trottete das Leben seinen Gang. Johanna wuchs, der Sinn für ihre Umwelt ging ihr auf, sie fragte nach den Namen der Blumen und Tiere, wollte alles erklärt haben, lernte die Wunder des Waldes kennen und freute sich über Vögel und Schmetterlinge.

Aber die Zeit des Spielens, der Sorglosigkeit, war bald vorüber. Die Alte zog das Mädchen nach und nach an Arbeiten heran, es mußte helfen, Unkraut jäten, mußte die Ziege, das einzige Haustier, das die Alte besaß, bewachen, und ihr mühsam über alle Felsblöcke nachklettern, wenn sie sich verstieg, sie mußte Gänge machen, zum Krämer gehen, zum Müller und kam so mit den Menschen in Berührung. Sie wurde übersehen, verachtet, war nur so ein lästiger Esser, der viel Geld kostete. Niemand hielt damit zurück, sie fühlen zu lassen, daß sie von der Gnade anderer lebe. Der Bürgermeister musterte sie mit unfreundlichem Blick, wenn er das Kopfgeld brachte, dann kam er nicht mehr, sandte es durch einen Boten, durch einen Bauern, der zufällig vorüberging. So war das Kind ganz der Alten überlassen.

Die Alte gab Johanna aus ihrem Wissen soviel sie konnte. Sie beantwortete ihre Fragen, mischte immer Spukvorstellungen in ihre Erklärungen, mengte Einbildung und Wirklichkeit, daß sie Johanna oft verwirrte. Aber es war ihr seltsam, wie sie sich gewandelt hatte. Sie gab Johanna an Essen, was ihre Mittel erlaubten; im Anfang war ihr das Kind ein aufgezwungener Gast, ein Mensch, den man aufnahm, weil er Geld ins Haus brachte. Nun fand sie ein gutmütiges, schmiegsames, dankbares Wesen, das niemals ein liebes Wort gehört hatte, solange seine Erinnerung zurückreichte, und das jeden liebte, der seinen Hunger stillte.


Auch die Kinder des Dorfes übersahen Johanna. Johanna wollte nicht mehr ins Dorf. Wenn sie Menschen sah, verbarg sie sich, bis sie vorüber waren. Aber sie beobachtete die Menschen. Sie sah schöne Puppen in den Händen der Kinder und verlangte auch eine Puppe. Die Alte versprach, ihr eine zu nähen, bis sie Zeit dazu hätte. Johanna weinte. Sie wollte keine genähte, keine Puppe aus alten Lappen. Schön sollte sie sein, mit echten Haaren wie die Puppen der anderen Mädchen. Da sagte die Alte, sie sei unbescheiden, dürfe nicht alles verlangen, sei nur ein Bettlerkind. Gleich tat ihr das harte Wort leid. Sie kramte Tuchstücke hervor, machte eine Puppe. Es wurde ein Wechselbalg, ein roher, schlecht gestopfter Körper, mit Stroh gefüllt, der Kopf aus Leinwand, kleine Knöpfe als Augen. Die Kleider waren aus grellen Stoffen, feuerrot und violett, eine alte Schachtel sollte das Puppenbett sein. Mit feuchten Augen sah Johanna die Puppe entstehen. Als sie fertig war, warf sie sie in den Winkel. Sie sah gar nicht einem kleinen Kinde gleich wie die echten Puppen. Die Alte wurde böse, sie hatte sich mehrere Stunden geplagt, und nun wurde ihre Puppe mißachtet. Aber sie verstand den Schmerz des Kindes und bändigte deshalb ihren Zorn. Mit vielen Worten versuchte sie dem Kinde klarzumachen, daß sie keine Puppe kaufen könnte. Das hielt aber den Tränenstrom nicht auf. Was sind alle Erklärungen und Gründe, alle Worte und Tröstungen gegen die brutale Tatsache, daß das Kind nicht bekommen kann, was es will, womit andere Kinder sich freuen; die Tatsache zerreißt das Herz, und den Platz, den die Freude in der Seele hätte einnehmen sollen, füllt der Neid aus.


Ein furchtbares Laster hatte die Alte: sie trank. Früher, da sie kaum das kümmerliche Brot hatte, reichte es nicht zu soviel Branntwein, wie sie wollte. Aber jetzt konnte sie ihren Durst stillen. Sie humpelte mindestens einmal am Tag zum Wirt. Holte eine Flasche Schnaps heim und begann ihr einsames Gelage. Einmal hatte sie Johanna trinken lassen – das Mädchen hatte das brennendscharfe Zeug ausgespuckt, die Tränen waren ihm in die Augen getreten, über den Schmerz in der Mundhöhle hatte es aufgeschrien. Seither gab ihm die Alte nichts mehr. Sie umschlich die Flasche, die auf einem Wandbrett stand, mit lüsternem Blick, wartete, bis Johanna in ihren Verschlag kroch, um zu schlafen. Dann holte sie ein seltsames altes Glas hervor und trank, solange, bis die Flasche leer war. Wilde Lieder summte sie dann vor sich hin und hielt mit sich selbst Gespräche. Oft schreckte Johanna aus dem Schlaf auf, wenn das Glas und die Flasche zusammenstießen, daß ein schriller Klang durch den Raum pfiff.


So geschah es wieder einmal nachts. Johanna fuhr jäh auf. Es brannte noch Licht. Über den Tisch floß Branntwein, tropfte auf den Boden, auf die Glasscherben, die ihn bedeckten. Die Alte tanzte, halbnackt, mit wirren Haaren, drehte sich, schlug um sich, warf einen Sessel um, stieß rohe Worte aus. Das Kind sah in seiner Angst phantastische Schreckbilder. Oder war es die Hexe, die Hänsel und Gretel gefangen gehalten hatte? – – Doch nein, das konnte nicht sein, die war ja verbrannt – die hatte Gretel ja in den Ofen gestoßen – nein – aber dann war es Teufels Großmutter, die in der Hölle arme Sünder quälte – – so, das war es – Teufels Großmutter.

Das Kind sprang aus dem Bett. Die Gesichtszüge der Alten wurden ihm deutlicher. Die Kälte gab ihm die Sinne wieder.

»Aber Großmutter – Großmutter – was hast du denn?«

Die Alte erwachte aus ihrer Berauschung.

»Ins Bett, Hannerl, ins Bett – es ist ja so kalt.«

Ihr Blick fuhr über den Tisch.

»Der schöne, süße Branntwein. Die dumme Großmutter – hat ihn umgestoßen – ganz umgestoßen –«

»Der süße Branntwein –« lallte sie.

»Ja, Hannerl, wenn du nicht wärst, hätte Großmutter keinen Branntwein. Dann müßte Großmutter Wasser trinken – brrr! – statt süßen Branntwein –«

Das Kind starrte hilflos, verständnislos auf die Frau. Es wußte nicht, was Großmutter so verändert hatte. Die Alte wankte zwischen den Sesseln, fiel zu Boden, lallte unverständliche Worte. Johanna ging zu ihr, sie stieß das Kind fort.

»Laß mich, geh ins Bett – schnell – schnell – sonst wirst du krank – und dann stirbst du – und wenn du tot bist – hat Großmutter – keinen Branntwein mehr –«

Gehorsam kroch Johanna ins Bett. Aber sie konnte lange nicht einschlafen, sah auf die Großmutter, hörte noch lange ihr irres Singen, durch das scharf ein Uhu-Schrei von draußen schnitt. Johannas Augen sanken zu. Sie vergaß, was vorging, alles tauchte in Schlaf. Als sie am Morgen erwachte, war die Szene vergessen.


Dem Wirt fiel es auf, daß die Alte nun soviel Branntwein kaufte, er erzählte es dem Bürgermeister. Der war lange nicht bei der Alten gewesen.

Diesmal kam er, als der Monat um war, selbst.

Die Alte empfing ihn mit gewohnter Unterwürfigkeit.

»Wie geht’s dir –«

»Könnt wohl besser gehen, Herr Bürgermeister.«

»Und dem Kind?«

Johanna wurde von der Alten vorgeschoben.

»Es wächst viel – und wird gescheit. Es fragt soviel.«

Der Bürgermeister sah Johanna an. Sie war gewachsen – war stark geworden. Ihr Leib war fest, hatte derbe Knochen, wenn auch ihr Gesicht nicht schön war. Noch ein Jahr lasse ich sie, dachte der Bürgermeister; wenn sie zwölf ist, kann sie schon etwas leisten – dann nehme ich sie zu mir. –

»Nun – dann ist so alles gut.«

»Vielleicht ein Gläschen gefällig?« fragte die Alte und wollte die Flasche holen.

»Nein – danke – war soeben beim Wirt. Soviel vertrage ich nicht mehr. Das Alter macht sich langsam bemerkbar.«

Er zog den Beutel aus der Tasche, legte Geld auf den Tisch.

Die Alte griff danach, zählte.

Es war weniger als sonst.

Erst wollte sie schweigen. Aber dann, als sie daran dachte, was ihr verloren ginge, meldete sie sich.

»Herr Bürgermeister – entschuldigen schon – aber – es stimmt nicht.«

Der Bürgermeister hatte das erwartet. Er zog die Weste straff über seinen Bauch und erhob sich. Dann kam die Standrede.

»Doch, doch, es stimmt schon. Wir zahlen von nun ab weniger.«

»Ja, warum denn?«

Der Bauer wies auf die Schnapsflasche.

»Deswegen. Du brauchst es ja nicht. Hast viel Geld für Branntwein. Das muß die Gemeinde nicht zahlen.«

In der Alten Häuslerin wallte es auf.

»Dann behalte ich das Kind nicht mehr –«

Der Bürgermeister wußte, daß es der Alten damit nicht ernst war.

»Dazu bist du nicht verpflichtet, das ist richtig. Wir werden einen anderen Kostplatz suchen.«

Nun wollte die Alte begütigen.

»So ernst – ist das nicht gemeint gewesen – Herr Bürgermeister. Aber ich meine doch, daß man mir soviel zahlen sollte wie früher. Das Kind wird größer und braucht mehr. Und alles wird teurer.«

»Solange es für Schnaps reicht – gibt’s nicht mehr. Wenn du statt dessen dem Mädel ein Kleid kaufst, dann vielleicht. Dann komm zu mir – und du bekommst das Übrige.«

Er konnte es wohl wagen, der Alten das Geld auf diese Weise zu vermindern. Bevor sie ihren Schnaps ganz verlor, verzichtete sie doch lieber auf einen Teil.

»Aber wenn das Kind dann nicht so gut gehalten ist – es reicht halt nicht – ich kann dann nichts dafür.«

»Wenn es schlechter gehalten wird als bisher, nehmen wir es fort.«

Die Alte sah, daß sie unterlag.

»Ich werde es versuchen. Und wenn es doch nicht ausgeht, dann komme ich zu Euch und sage es Euch.«

Der Bürgermeister ging. Ein Fluch flog ihm nach. Die Alte nahm die Flasche und trank sie aus. Einige Stunden saß sie, starrte vor sich hin, sprach nichts. Als Johanna hungrig um Brot bat, schlug sie das Kind. Das war das erstemal. Es sollte nicht das letztemal sein.


Von nun an war die Alte ganz verändert. Sie mußte ihren Schnaps haben, und das Geld dazu sparte sie vom Essen ab. Wenn Johanna über Hunger klagte, bekam sie Prügel. Dann hieß es immer:

»Geh zum Bürgermeister – der zahlt nicht für dich – hol dir dort Essen. Der hat mehr als ich.«

Johanna wurde vergrämt, schweigsam, und begann über die Dinge zu grübeln.

Die Kinder der Bauern hatten Spielzeug und gutes Essen, schöne Kleider, bunte Bänder – und sie hatte nichts. Warum die Anderen und sie nicht? Sie war genauso wie die Anderen, hatte Augen, Ohren, Glieder wie die Anderen – und hungerte, lief in Lumpen herum, mußte mit alten Flaschen und Steinen spielen.

Nach und nach trug ihr die Alte schwere Arbeiten auf. Sie mußte auf dem Felde helfen, Wasser schleppen, Holz hacken, mußte Gras für die Ziege heimtragen. Mehr als knappe Befehle sprach die Alte nicht. Nur eine Bemerkung wiederholte sie stets, Tag für Tag:

»Mach schnell – schnell – daß du nicht ganz umsonst ißt – wie komme ich dazu, dich auszufüttern – gehst mich gar nichts an – bist fremd – –«

Johanna wich der Anrede der Großmutter aus, sprach nicht mehr als ja oder nein, wenn sie gefragt wurde.

Es begann eine freudlose, düstere Zeit für Johanna.


Früher hatte die Alte dem Kind oft vom Pfarrer erzählt, vom geistlichen Herrn, der so mild sei und mit dem Himmel so gut stünde, und der überall helfen könnte, wo der Mensch Hilfe versagte. Johanna hatte ihm demütig die Hand geküßt, wenn sie ihm begegnet war, er hatte aber nie ein Wort mit ihr gesprochen. In die Schule ging sie nicht, ob sie etwas lernte oder nicht, lag ja keinem am Herzen. Der Pfarrer wußte, wer sie war, und achtete ihrer nicht.

Als sie den Pfarrer einmal traf, an einem Sommerabend zwischen den Feldern, da blieb sie stehen, nachdem sie ihm die Hand geküßt hatte, damit er sie fragen sollte. Er blickte sie an, las in ihren Augen, daß ein Wunsch in ihr webte, und ermunterte sie zu sprechen.

Da schüttelte sie ihren Kummer aus; nicht daß sie sich über die Alte beklagte, dazu war sie zu einfältig. Sie jammerte nur, daß sie Hunger habe, daß sie nichts zu essen bekäme, mittags wenig, abends oft gar nichts. – Und daß er, der doch gewiß helfen könnte, ihr helfen sollte.

Der Pfarrer setzte eine ernste Miene auf und begann zu lehren.

»Mein Kind – du mußt zufrieden sein. Du bist arm, du weißt nicht, was das heißt. Du hast keine Eltern, du hast niemanden, der dich zu nähren verpflichtet wäre. Wir geben dir Essen – aus Nächstenliebe, weil wir gute Christen sind. Unser Herrgott hat uns geboten, die Armen zu beteilen – weil sie ihm nahestehen. Deshalb zahlen wir für dich. Da darfst du nicht unzufrieden sein. Viele haben nicht einmal was du hast. Viele hungern und haben kein Dach über dem Kopfe. Sei genügsam und danke dem Herrgott, daß er dich unter so gute Menschen gesetzt hat, die für dich sorgen, obwohl du ihnen eigentlich fremd bist. Nicht jeder Mensch trifft es so gut. Und dann, du wirst ja groß werden und selbst verdienen. Bis dahin mußt du Geduld haben. Und wenn dein Leid groß ist – komm in die Kirche, knie nieder vor der Muttergottes, bitte, daß sie dir Mut gibt, dein Leid zu ertragen. Und denke immer derer, denen es noch schlechter geht.«

Johanna hatte zugehört. Niemals noch hatte jemand so zu ihr gesprochen. Obwohl sie nicht mehr verstand, als daß sie mit ihrem Hunger zufrieden sein müsse, dankte sie dem Pfarrer. Der Klang seiner Worte hallte wie Musik in ihren Ohren. Sie beugte sich und küßte nochmals des Pfarrers Hand.

Dann gingen sie voneinander, er dem Dorfe zu, sie zu ihrer Hütte. Der Hunger brannte in ihr – biß, zerrte an den Eingeweiden. Er war von Gott geschickt – aber warum schickt ihr Gott den Hunger, und den Anderen gutes Essen und schöne Puppen?

Die Sonne war untergegangen. Es war dunkel, den ganzen Heimweg war es stockdunkel.

Das erste, was sich tief, unverwischbar einbohrte in Johannas Bewußtsein, war ihre Armut, war die Erkenntnis, auf die Gnade Anderer angewiesen zu sein, sich noch freuen zu müssen, die ihr mit dem Ausdruck der Verachtung eine schimmelige Brotrinde zuwarf. Und ob dieser Gnade müsse sie schweigen, die Tränen hinunterwürgen, schweigen, schweigen, was auch immer in ihr vorging.


Die Trunksucht erhielt immer mehr Gewalt über die Alte. Johanna mußte die Arbeit allein verrichten. Kam Johanna heim, erwarteten sie böse Worte wegen ihrer Faulheit. Immer hieß es, sie sei nicht weitergekommen mit der Arbeit, obwohl die Alte gar nicht wußte, wie es auf dem Felde stand. Pflug und Zugtier hatten sie nicht, mit dem Spaten mußte Johanna die Erde umgraben, bis ihre Finger bluteten; sie mußte im Garten gebückt arbeiten, bis ihr Rücken unleidlich schmerzte, kam todmüde nachhause – statt Essen bekam sie Schläge und Flüche.

Wieder hatte der Bürgermeister weniger gezahlt. Die Alte schindete also noch mehr aus Johanna heraus.

Ein Fleck Erde hinter dem Hause, am Steilabhang des Berges, gehörte ihr, den wollte sie in einen Gemüsegarten verwandeln.

»Wir müssen verdienen – Johanna – verdienen –. Ich zahle drauf bei dir. Du mußt mehr arbeiten.«

Als der Garten so weit war, daß man das Gemüse anpflanzen konnte, war Johanna erschöpft. Sie lag zwei Wochen im Bett, hatte Fieber.


Die Tage der Krankheit ließen Johanna Zeit, über sich nachzudenken. Sie stieg hinab in die Tiefen ihrer kindlichen Seele und holte die versteckten Kümmernisse herauf. Sie wußte nun, daß sie die Alte ernährte, daß die Alte ohne sie längst verhungert wäre – und das gab ihr Selbstbewußtsein, Kraft. Aber auch eine Frage sprang ihr auf, ungestüm, wild, Antwort heischend: Wenn ich die Alte ernähre – warum darf sie mir dann befehlen? Wenn ich dies Brot verdiene – warum darf sie mir dann nach ihrer Willkür zumessen?

Stunden um Stunden vergingen, von Fragen gequält, warf sich Johanna auf dem Lager hin und her. Im Fieber schwollen ihre Gedanken an, Ungetüme verkörperten ihr Sinnen, Gespenster wimmerten in allen Winkeln, höhnische Stimmen, die sie verachteten, daß sie arbeite und darbe, geschlagen werde von der, für die sie sich ihren Leib zugrunderichtete – demütig den Wagen zog, auf dem ihr Henker saß. Da sprang ein roter Teufel aus der Erde, Flammen schossen empor rings um ihn, er schwang einen Spieß, donnerte zwischen die Gespenster: »Das muß so sein – schweig. Das muß so sein. Ich will es so!« Und die Gespenster verkrochen sich, mählich, zaghaft, das Feuer des Teufels leckte an ihren Gewändern, sie wimmerten wieder, nun aber vor Schmerz.

Die Sonne fiel durchs Fenster, die schwache, glanzlose Herbstsonne, und mischte ihre Strahlen mit der Glut, die aus dem Ofen leuchtete.


Einförmig zogen die Tage ins Land, arbeitsreich, freudlos. Johanna wurde groß und stark, mit ihren vierzehn Jahren sah sie aus, als ob sie viel älter wäre. In ihren Gesichtszügen lag etwas Müdes, Verbrauchtes. Ihr Geist blieb auf sich angewiesen, sie lernte nichts, verrichtete ihre Arbeit, schlief, bis es wieder Zeit zur Arbeit war. Ihre Seele lag brach. Auch die Natur konnte sie nicht freuen. Die alte Märchenwelt war abgestorben. Neue Schönheiten fand sie nicht.


Auch um die Alte stand es recht schlecht. Ihre Kräfte nahmen ab, der Branntwein fraß an ihren Nerven. Sie sprach wirr, schwatzte die unsinnigsten Litaneien. Johanna begann die Alte zu fürchten.


Da kam eine furchtbare Nacht. Johanna erwachte erschreckt, die Hütte war taghell erleuchtet. Auf dem Tisch brannte ein offenes Feuer – die Alte lief umher – ihre Kleider und Haare waren Flammen – ihre Gesichtszüge waren schmerzverzerrt – die Arme flogen durch die Luft – sie schrie – schrie in namenloser Qual – –

Die Kerze war umgefallen, ausgegossener Branntwein hatte Feuer gefangen.

Johanna raffte ihre Kleider zusammen, wollte der Alten helfen, wußte aber nicht, wie. Die Alte streckte die Arme aus, als ob sie das Mädchen abwehren wollte – aus ihrer Kehle krächzten rauhe Laute – unverständlich – Ausgeburten der Phantasie – Schreie des Schmerzes –

»Fort – fort – du bist der Satan – die Hölle ist hier – die Hölle – bin fromm gewesen mein Leben lang – – gehöre in den Himmel – hast keine Macht über mich, Satan – keine Macht – scher dich fort – sonst – gieß ich dir Wasser über den Schädel – Wasser – Weihwasser – heiliges Wasser –«

Vor Entsetzen floh Johanna. Sie wollte die Alte aus der Hütte locken. Sie rüttelte an der Tür. Die Tür war verschlossen.

»Gib mir den Schlüssel – den Schlüssel – Großmutter.«

Die Alte hörte nicht. Sie war auf den Tisch gesprungen, der Tisch brach ein, das Feuer floß über den Boden, das Bett flammte auf, an den Wänden züngelte Lohe empor, am Kasten leckten rote Zungen. Johanna schrie – wollte retten – sprang zurück – ihre Finger brannten. Es gab nur ein Entrinnen: durch das Fenster. Mit einem Sesselbein durchschlug Johanna die dünnen Bretter, mit denen das Fenster verschlossen war, und kletterte hinaus. Als sie draußen war, fuhr die Lohe bereits durchs Dach.

Barfuß, halbnackt, lief Johanna ins Dorf, klopfte an Fenster. Die Bauern erwachten, schimpften, reckten sich träge, wollten in Ruhe gelassen sein. Nur wenige standen auf. Als sie die Hütte erreichten, war sie eine einzige Flamme. Man mußte vor allem trachten, den angrenzenden Wald vor Entzündung durch Funkenflug zu bewahren. Die Hütte war nicht mehr zu retten. Ein Wimmern stieg aus den Flammen empor, verhallte langgedehnt in der Nacht –

Am Morgen räumte man die Trümmer weg, halb verkohlte Balken; unter ihnen lag die Leiche der Alten, halb verbrannt. Von den Habseligkeiten Johannas war nichts übrig geblieben.

Tags darauf begrub man die Alte, nicht auf dem Friedhof. Neben der Mauer wurde sie verscharrt; der Pfarrer blieb aus, nur Johanna war dabei, als der Totengräber das Grab zuwarf.

Nun war Johanna wieder ohne Heim. Die Gemeindevertreter traten zusammen und berieten, wo man sie unterbringen sollte. Nun war die Sorge nicht groß, im Gegenteil, jeder wollte sie haben, sie war eine billige Arbeitskraft, eine Magd, der man keinen Lohn zu zahlen brauchte. Der Bürgermeister nahm sie, er habe früher für sie gesorgt, sagte er, es sei seine Pflicht, weiter über sie zu wachen. Vorher hatte er ihren Körper geprüft, ihre Arme belastet, ihre Kraft erprobt. Da er den größten Hof hatte, konnte er sie gut brauchen. Sie galt nicht mehr als Kostkind – sie galt noch nicht als Magd. Das heißt, sie mußte sich abrackern, ohne bezahlt zu werden, und hatte nicht das Recht, fortzugehen, wenn sie wollte. Sie arbeitete ums Futter. Sie war ein Arbeitstier. Da ihre Seele stumpf war, fügte sie sich darein.

Johanna

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