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IRAN, TEHERAN, GEFÄNGNIS EVIN, NOVEMBER 1986

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Die Sonne ist noch nicht aufgegangen, als sie den Raum betreten, um mich zu holen.

Ich muss kurz eingeschlafen sein, vielleicht bin ich auch ohnmächtig geworden. Der Unterschied ist nur noch schwer auszumachen.

Stundenlang haben sie mir immer dieselben Fragen gestellt. Spionierte ich für Israel? Lieferte ich Informationen in den Irak? Hatte ich die ehrwürdigen Mullahs und Ajatollahs, die neuen Herren des Iran, bei dem Waffendeal betrogen? Meine Antworten waren ihnen egal.

Irgendwann stellten meine Augen, mein Mund, mein ganzer Kopf den Betrieb ein. Ich weiß nicht, ob für Stunden, Minuten oder nur Sekunden. Dann riss mich das laute Getrampel von Militärstiefeln aus der Dunkelheit.

Ich bin noch immer im selben schlecht beleuchteten, staubigen Raum. Ich liege über einen alten Holztisch gebeugt, unter mir eine grüne Linolplatte. Eine Schreibtischlampe blendet mich. Vor mir sitzt noch immer der Mann, der mich so unermüdlich verhört hat. Er trägt die Uniform der Pasdaran, der iranischen Revolutionsgarde, die hauptverantwortlich für den Sturz des Schahs und für das neue islamische Regime im Iran ist. Er ist sehr schlank, noch keine vierzig, sein Gesicht ist spitz, wie ein Raubvogel. Er wirkt intelligent. Wenn wir uns unter anderen Umständen kennengelernt hätten, wäre er mir vielleicht sympathisch gewesen.

Hinter ihm stehen vier Soldaten.

Es ist der 7. November 1986. Ich bin Gefangener der iranischen Revolutionstruppen, die mir vorwerfen, Spion und Betrüger zu sein. Menschen, das weiß ich, sind in diesem Land schon für weniger erschossen worden.

»Wo ist der Dolmetscher?«, frage ich. Dass der einzige Mann, der meine Sprache fließend spricht, verschwunden ist, kann nur eines bedeuten. Sie sind nicht mehr interessiert daran, mit mir zu sprechen.

Die Soldaten sagen etwas auf Farsi, zu schnell, als dass ich es verstehen könnte. Mir werden die Augen mit einem dreckigen Fetzen verbunden, dann werde ich hochgerissen. Meine Handgelenke werden aneinandergebunden. So werde ich aus dem Raum geführt. Blind und unsicher, geschwächt von den letzten Tagen, wanke ich durch den Gang. An meinen Ellbogen die eisernen Griffe von Männern, die zu allem bereit sind.

Was werden sie mit mir machen? Bringen sie mich in eine Zelle? Zu einem neuen Verhör? Haben sie vielleicht erkannt, dass sie den Falschen haben, dass ich mit all dem nichts zu tun habe, und bringen sie mich wieder zurück in mein Hotel?

Hoffnung sucht sich die kleinsten Schlupflöcher. Aber ich hätte es besser wissen müssen. Ich bin in Evin, dem berüchtigtsten Gefängnis des Irans. In Trakten, die für fünfzig Leute bestimmt sind, zwängen sich nach der Revolution mehrere Hundert zusammen. Es ist kein Ort für Hoffnung.

Keiner der Soldaten spricht. Nach Stunden des Fragens und Antwortens hat die Stille etwas Absolutes, Endgültiges.

Ich spüre den kalten Luftzug des iranischen Morgens. Ich kann die langsam weichende Dunkelheit und den kühlen Sand beinahe riechen. Sie haben mich nach draußen gebracht, vermutlich in den Gefängnishof.

Werde ich meine Kinder jemals wiedersehen? Werde ich meine Frau einmal noch umarmen können? Werde ich dieses Land überhaupt jemals wieder verlassen? Oder werde ich in irgendeinem Loch enden, wie so viele angebliche Spione, Betrüger, Ungläubige und Regimekritiker? Der Iran im Jahr 1986 ist kein guter Ort, um aufzufallen.

Wir bleiben stehen, ich werde abrupt herumgedreht und unsanft gegen etwas Hartes gestoßen. Eine Wand. Ich spüre kalten Lehm auf meinem Hinterkopf. Ich würde mich gerne kratzen, aber meine Hände sind noch immer gefesselt.

Ich höre Schritte und ein Knirschen, als die schweren Stiefel der Soldaten sich zu mir drehen und zum Stehen kommen. Sie graben sich in den Sand, suchen Halt, eine feste Position.

Wie hatte es soweit kommen können? Wie konnte ich hier, in Evin, dem letzten Ort der mir bekannten Welt, enden? Wo hatte das alles begonnen? Als ich mich entschloss, den Frieden meines Hofes gegen das internationale Waffengeschäft zu tauschen? Als wir in Jordanien den ersten großen österreichischen Waffendeal seit dem Zweiten Weltkrieg abwickelten? Oder als die Jordanier dann entschieden, mit genau diesen Waffen den Irak in seinem blutigen Krieg gegen den Iran zu unterstützen? Irgendwo dazwischen, aber das spielt wohl jetzt keine Rolle mehr.

Jemand schreit auf Farsi. Das Repetieren der Maschinenpistolen ist so gut zu hören, dass ich sie trotz verbundenen Augen vor mir sehe. Die Mündungen sind auf mich gerichtet.

Eine seltsame Stille breitet sich in mir aus. Keine Angst, keine Furcht, nur Leere und die Sehnsucht, noch einmal meine Familie zu sehen. Kurz habe ich den Eindruck, ich müsste nur die Hand ausstrecken und ich könnte sie berühren. Doch dieser Moment geht so schnell vorüber, wie er gekommen ist. Dann bin ich wieder allein, mein Herz schlägt unglaublich schnell und Verwunderung überkommt mich. Seltsam.

Werde ich jetzt sterben?

Waffen für Teheran

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