Читать книгу Stuttgarts starke Frauen - Gabriele Katz - Страница 6
ОглавлениеStuttgarter Straßenszene, 1935
„Sicher und selbstverständlich schreitet die Stuttgarterin durch ihre sich mächtig entfaltende Stadt. Längst hat sie gelernt, sich auch rein äußerlich der herrschenden Modelinie anzupassen, ohne allerdings ganz auf ihre Individualität zu verzichten. Noch immer steckt sie selbst und nicht irgendeine Modepuppe in ihren Kleidern. Nicht jede von Paris überkommende Modetorheit überfällt sie wie ein Schicksal, aber sie trägt ihr Abendkleid mit derselben Anmut wie die andere Großstädterin.“
Jella Lepman, in: Stuttgart empor. Sonderausgabe Stuttgarter Neues Tagblatt, November 1929, zur Eröffnung des Tagblattturms
Vorwort
Eine „starke Frau“ zu sein ist heute fast der Normalfall geworden, die Bezeichnung ein Gemeinplatz im Sprachgebrauch. Meist ist eine solche Frau ein Tausendsassa. Eine starke Frau bringt Beruf und Familie spielend unter einen Hut, glänzt als gute Ehefrau und Mutter und arbeitet zielstrebig an der eigenen Karriere. Außerdem beweist sie sich als verständnisvolle Freundin, geduldige Gesprächspartnerin, belastbare Tochter und vielleicht sogar als fantasievolle Geliebte. Locker-flockig geschriebene Romane und unterhaltsambunte Filme machen unverdrossen seit einem Vierteljahrhundert deutlich, wie sich die ursprünglich respektvolle und inhaltsreiche Auszeichnung zum Abziehbild abgenutzt hat.
Das vorliegende Buch handelt dagegen von Frauen, die sich mit Intelligenz, Fantasie und Mut über die Konventionen ihrer jeweiligen Zeit hinwegsetzten und auch die Konsequenzen daraus zu tragen bereit waren. Diese Frauen suchten nach individuellen und eigenverantwortlichen Lebensweisen, dachten quer, handelten quer und lebten quer in der Hauptstadt eines Landes, das, im Westen des Deutschen Reiches gelegen, seit der landständischen Verfassung von 1819 ebenso wie Baden in seiner Staatlichkeit relativ liberal war – moderner als Preußen, moderner als Österreich, andererseits aber unter einer Überregulierung des gesellschaftlichen und privaten Lebens litt, die letztlich aus der traditionellen Frömmigkeit mit Kirchenregiment und Pietismus resultierte.
Von diesem spannungsgeladenen Ausgangspunkt aus verlief die Entwicklung weiblicher Selbstständigkeit nicht geradlinig, sondern war Wellenbewegungen unterworfen: Konservatismus und Fortschrittlichkeit wechselten sich ab. Rund 150 Jahre lang konnten Frauen ihren Platz in der Öffentlichkeit nicht fest verankern, sondern mussten vielmehr in ihrem Bemühen, ihn zu erringen und zu bewahren, immer wieder Rückschläge hinnehmen. Stuttgarts starke Frauen beschreibt auf seinem Weg in die Gegenwart die Zeit der Urgroßmütter, Großmütter und Mütter, und es zeigt die Wandlungen Stuttgarts, fernab von all den bunten Bildern, den gängigen Klischees der Autostadt und der abgestandenen Witze über die schwäbische Mentalität. Weder Kehrwoche noch Maultaschen noch Spätzle finden Erwähnung – versprochen!
Der Fortgang der Französischen Revolution hatte den weiblichen Gleichstellungsbestrebungen, die mit dem Kampf um die Menschenrechte einhergingen, einen herben Schlag versetzt. Vergessen, beziehungsweise verdrängt war, dass Olympe de Gouges 1791 in der Erklärung der Rechte der Frau und Bürgerin die politische und gesellschaftliche Gleichstellung der Frauen eingefordert hatte. Insbesondere bürgerliche Frauen sollten von nun an in familiärer Zurückgezogenheit, in Haushaltsführung und Erziehung der zahlreichen Kinder ihre Bestimmung sehen und nicht mehr auf die Barrikaden gehen, weder im Wortsinn noch symbolisch. Friedrich Schiller wies ihnen 1796 im Musenalmanach unmissverständlich ihren Platz zu: „Ehret die Frauen! Sie flechten und weben/Himmlische Rosen ins irdische Leben. … Und in der Grazie züchtigem Schleier/Nähren sie wachsam das ewige Feuer/Schöner Gefühle mit heiliger Hand.“
Frauen fanden sich in die Rolle der Hüterinnen von Sitte und Anstand versetzt – sie waren der sichere Hafen im Leben eines Mannes. Eine neue bürgerliche Wohnkultur mit dem berühmten Biedermeiersofa als Mittelpunkt bot den Rahmen für gesellige freie Zeit, die sie mit Sticken und Stricken, Klavierspielen oder Zeichnen verbrachten. Lesen und Studieren dagegen galten als unweiblich. Auch der 1770 in Stuttgart geborene Philosoph Georg Wilhelm Friedrich Hegel sah in seinen Grundlinien der Philosophie des Rechts im Zusatz zu § 166 im Jahr 1821 in der intellektuellen Entwicklung von Frauen eine Rolltreppe in die Katastrophe: „Frauen können wohl gebildet sein, aber für die höheren Wissenschaften, die Philosophie und für gewisse Produktionen der Kunst, die ein Allgemeines fordern, sind sie nicht geeignet. (…) Stehen Frauen an der Spitze der Regierung, so ist der Staat in Gefahr.“
All dem zum Trotz wurden die Malerin Ludovike Simanowiz (1759–1827), die erste Redakteurin von Cottas Morgenblatt für gebildete Stände, Therese Huber (1764–1829), oder die Musikerin Else Zumsteg (1796–1857) über die Grenzen der Stadt hinaus bekannt.
Die Revolution von 1848 bedeutete den Urknall der modernen politischen Kultur in Deutschland. Frauen betraten erstmals die Bühne der großen Politik und griffen wie Emma Herwegh, Amalie Struve oder Mathilde Franziska Anneke sogar selbst zu den Waffen. Waren sie Mitglieder der neuen Frauenvereine, mussten sie sich in der Presse als frivol und zügellos, unanständig oder vermännlicht denunzieren lassen.
Nach dem Scheitern aller Freiheitsbestrebungen verstärkte sich die gesellschaftliche Festlegung der Frauen auf Ehe und Familie zu einem fast unausweichlichen Schicksal. Korsett, Krinoline und kunstvoll geflochtene Haarzöpfe hielten sie fest im Griff. In ihrem Auftreten, das selbstverständlich jeglichen Anforderungen an Moral und Schicklichkeit entsprach, spiegelte sich vor allem der gesellschaftliche Rang des Ehemannes, sie selbst waren zum Accessoire seines geschäftlichen Erfolges oder seiner Macht geworden. Frauen veröffentlichten ihre Romane unter Pseudonym, verbargen ihre Kompositionen in der Schublade und begnügten sich mit Scherenschnitten, Miniaturbildern oder Aquarellen, auch wenn sie liebend gern richtig große Bilder gemalt hätten.
Mit dem Regierungsantritt König Karls im Jahr 1864 konnten Frauen in Württemberg erneut in Vereine eintreten und so auf legitime Art das Haus verlassen, am öffentlichen Leben teilnehmen und größere Lebenszusammenhänge gestalten. Der Gegenwind des reaktionären Zeitgeistes blies ihnen nach den mehrfachen militärischen Erfolgen von 1864 bis 1870/71 allerdings schnell wieder ins Gesicht. Württemberg war nun ein Bundessstaat unter preußischer Vorherrschaft, Stuttgart Teil eines größeren wirtschaftlichen und kulturellen Zusammenhanges. Das Jahrhundert der Eisenbahnen und Banken, der Musterlager und Gewerbeausstellungen war angebrochen. Die Zahl der Einwohner wuchs, es wurden neue Häuser gebaut, Straßen angelegt. Die Stadt, bis dahin vom Hof und einem gewerblichen Mittelstand geprägt, verlor ihre Enge und ihre provinzielle Behaglichkeit.
Das Kaiserreich mit seinem enormen wirtschaftlichen Aufschwung und seinen gesellschaftlichen Verwerfungen erklärte Ehe und Familie zu Keimzellen des Staates. Männer und Frauen hatten in einer Welt, die alles den Regeln von Effizienz und Erfolg unterordnete, klar definierten Normen zu entsprechen. Der jeweilige „Geschlechtscharakter“ verlangte vom Mann Härte, Energie, Tatkraft, Willen und Zielstrebigkeit, also eine nicht versiegende Aktivität. Die Frau, fast völlig auf ihre Biologie reduziert, sollte sich durch passive Eigenschaften wie Tugendhaftigkeit, Bescheidenheit, Weichheit, Sanftmut und Emotionalität auszeichnen. Da die Männer selbst mit dieser Eindimensionalität am wenigsten leben konnten, suchten ihre Fantasien sie in den diversen Ausprägungen der Femme fatale heim.
Das ganze 19. Jahrhundert hindurch war die zentrale Frage im Leben einer Frau, ob sie sich verheiratete oder nicht. Weibliche Stärke bestand darin, sich entweder innerhalb dieser Institution Freiräume zu verschaffen oder eine eigenständige Lebensgrundlage und damit geistige und materielle Freiheit aufzubauen.
Um die Jahrhundertwende probte die junge Generation ihren ersten kollektiven Aufstand: Eine Reformbewegung erfasste sämtliche Lebensbereiche wie Kleidung, Ernährung und Freizeitverhalten. Überall rankten sich die vegetabilen Ornamente des Jugendstils als Symbole eines neuen, schöpferischen Lebens. Frauen erlangten in Württemberg den Zugang zu den Universitäten. Pazifistinnen wandten sich gegen das mentale und tatsächliche Aufrüsten. Sie wurden nicht gehört. Der Erste Weltkrieg bezog die Frauen in den Dienst an der Heimatfront ein, entweder indem sie die Männer in ihrer zivilen Arbeit ersetzen mussten oder im nationalen Frauendienst Verwundete pflegten, Kleidung oder Nahrungsmittel herstellten und verschickten.
Als Deutschland den Krieg verlor, gewannen die Frauen mit der Revolution von 1918/19 das Wahlrecht und damit das Recht auf politische Mitbestimmung. Sie machten von dieser historischen Chance regen Gebrauch und ließen sich während der Weimarer Republik nicht mehr aus den politischen Gremien und dem öffentlichen Leben verbannen. Frauenthemen konnten zu politischen Themen werden, wie die in Stuttgart vehement geführte Diskussion um §218 StGB zeigt.
Die Berufstätigkeit von Frauen wurde zu einer unverrückbaren Tatsache. Frauen lebten in ihrem Alltag, in der Mode, bei Tanz und Sport eine Moderne, von der die Männer meist nur schrieben, und sie hatten maßgeblichen Anteil an der künstlerischen Avantgarde Stuttgarts. Ihre individuelle Stärke bestand in den „wilden Zwanzigern“ darin, die neu gewonnenen Freiheiten jenseits einer modisch glänzenden Oberfläche konstruktiv zu nutzen.
Dann drängte der Nationalsozialismus ab 1933 die Frauen mit großer Härte aus den einmal erreichten Positionen zurück. Im „Dritten Reich“ menschlich integer zu bleiben, setzte bereits eine große Stärke voraus, sich zu Gegenpositionen zu bekennen, war lebensgefährlich. Politisch unliebsame Frauen litten unter Verfolgung, wurden zur Emigration gezwungen, hingerichtet. Und wieder sahen sich die Frauen in den Krieg der Männer hineingezogen. Wieder nahmen sie deren Plätze in der Arbeitswelt ein, wieder beweinten sie ihre gefallenen Ehemänner, Väter, Brüder und Söhne, pflegten und trösteten sie die Verstümmelten.
Nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs am 8. Mai 1945 mussten die Frauen sich auch in Stuttgart der ganzen Härte des Überlebenskampfes stellen. Sie räumten die Trümmer der furchtbar zerstörten Stadt beiseite, hielten die Familie zusammen und nahmen erneut einen Beruf auf. Wenige knüpften frauenpolitisch an die Zeit der Weimarer Republik an, um alt-neue Ziele zu formulieren. Die Wirtschaftswunderzeit versuchte einen Mantel der Verdrängung über die vorangegangenen zwölf Jahre zu werfen und entwickelte dabei eine konservative Dynamik, die Frauen zu Trägerinnen neobürgerlicher Ideale machte. Die elegante Dame glänzte modisch up to date auf dem gesellschaftlichen Parkett, und die emsige Hausfrau wirkte in ihrem Eigenheim mit gepflegtem Vorgarten hinter einem Jägerzaun, der sie gegen die Unbill der Welt abschirmte.
Die Studentenrevolte von 1968 löste eine zweite Frauenbewegung aus, die sich lautstark diesem Frauenbild verweigerte. Auf der Suche nach sich selbst warfen die Mädchen und Frauen ihre BHs auf den Müll, verzichteten auf körperbetonte Silhouetten, wollten nicht mehr verführerisch sein, sondern in ihren beuteligen Latzhosen ernst genommen werden. Waren sie bereit zu einem Flirt oder mehr, so sagten sie das dem Kerl ihrer Wahl direkt und nicht mit einem Augenaufschlag oder dem Duft eines Parfüms. Am Ende dieser Ausschläge in die eine wie in die andere Richtung steht die erwachsene Frau von heute, die sich Vorbilder für ihre Lebensentscheidungen suchen kann, aber nicht muss. Auch von dieser Frau handelt das Buch.
Anfang der Dreißigerjahre warben die Stadtwerke Stuttgart mit dem Komfort elektrischer Haushaltgeräte und einer modern gestylten jungen Frau.