Читать книгу Allein geht's besser - Gabriele Ketterl - Страница 7
2. Tapetenwechsel
ОглавлениеAlex faltete das Badetuch liebevoll zusammen. Orange und Gold, warme Farben, die zu ihrer Stimmung passten. Zwar war Holger der Meinung, dass man sie im Urlaub mit allem Nötigen zu versorgen habe, das hieß aber nicht, dass sie dieses bildschöne Tuch nicht endlich seiner wahren Bestimmung zuführen konnte – einem Sandstrand und einem Sonnenbad bei fünfunddreißig Grad im Schatten.
Holger packte selbst und das war gut so, denn damit war er eine Weile beschäftigt. Sechs Wochen lang seine Schimpftiraden über Gran Canaria und die lebensunfähigen Organisatorinnen der Top-Seller-Reise anzuhören reichte ihr nun wahrlich.
„Ich denke darüber nach, nur Jogginghosen einzupacken. Dann passe ich am besten ins Allgemeinbild.“
Sie hielt ihm seinen Abendanzug entgegen. „Ja, vor allem am Galaabend. Ich könnte wetten, dass es letztendlich wieder ein voller Erfolg wird. So war es doch immer.“
Holger griff, wenn auch widerstrebend, nach dem schönen dunkelgrauen Maßanzug. „Da bekommt der Ausdruck ‚Perlen vor die Säue werfen‘ doch mal eine ganz eigene Bedeutung.“
Ihr Koffer war beinahe fertig. Mochte Holger auch leise fluchen, für sie war diese Reise eine Reise in ihre Kindheit. Als kleines Mädchen, gerade einmal acht Jahre alt, war sie das erste Mal auf die Kanaren geflogen. Als sie, damals auf Teneriffa, aus dem Flugzeug stieg, fühlte sie sich auf der Insel sofort heimisch – und sie war dort glücklich gewesen. Dieses Glücksgefühl wiederholte sich seither bei jeder Landung auf den in ihren Augen traumhaften Vulkaninseln. Holger hingegen bevorzugte Madeira, New York oder die Strände von Mexiko. Alex warf einen Blick in den offenen Koffer. Für warme Gegenden zu packen machte einfach Spaß. Bikinis, leichte Sommerkleider, die man sonst viel zu selten aus dem Schrank holen konnte, Sandalen, Flipflops, kurze Hosen und bunte Shirts – einfach perfekt.
„Das lässt du aber bitte hier. Damit machst du dich ja lächerlich. Es sei denn, du möchtest in den erlesenen Kreis der Althippies aufgenommen werden.“ Mit Nachdruck deutete Holger auf die Vintagebluse, die auf dem Bett lag. Dann wandte er sich schon wieder leise schimpfend seinem Luxus-Lederkoffer zu.
Alex musterte ihn schweigend aus dem Augenwinkel. Die Szene in der Boutique fiel ihr ein: Leonie war um ein Haar erstickt, als sie ihr, wie die Freundin versicherte, in oscarverdächtiger Manier wort- und gestenreich schilderte, wie Holger auf die Ankündigung reagiert hatte.
„Dieser Spießer und Spielverderber! Es tut mir ja leid … Sekunde, nein, das ist gelogen … es freut mich, dass ihr auf die Kanaren fliegt. Wirklich, Alex, ich hätte dir auch die Blumenpracht der Kanalinseln gewünscht, aber du wirst mir verzeihen, dass ich mich diebisch freue, weil seine Herrlichkeit ausnahmsweise nicht seinen Willen bekommt.“
Wieder einmal hatte sie Leonie wohl oder übel zustimmen müssen. Ihr war es vollkommen egal, wohin sie flog. Es war ein Geschenk, es ging in den Süden, weg von ihrem Alltag. Mehr wollte Alex nicht. Einfach nur ein klein wenig abschalten dürfen. Mochte Holger im Augenblick auch noch ungehalten sein; unter südlicher Sonne würde sich seine Laune sicher bessern. Sie warf ihrem Mann erneut einen vorsichtigen Blick zu. Noch gelang es ihm offenbar nicht, sich mit den Gegebenheiten anzufreunden, was sie an der wütenden Geste erkennen konnte, mit der er seinen Koffer zuklappte.
„So, das wird ja wohl genügen. Ich rufe noch mal im Büro an, ob alles in Ordnung ist.“
Alex sah ihm nach, als er, seinen Koffer in der Hand, aus dem Schlafzimmer stapfte und es ihr überließ, ihr Gepäck vom Bett zu wuchten. Früher hatte er ihr wenigstens den Koffer in den Flur getragen. Nachdenklich stand sie vor ihrem Trolley. Da passte noch einiges hinein. Sie ließ ihren Blick über den Inhalt des Schrankes gleiten, ehe sie sich umdrehte und mit diebischem Grinsen die Hippiebluse vom Bett pflückte, eine ihrer seit gefühlten Jahrhunderten nicht mehr getragenen zerrissenen Jeans hervorkramte und beides in den Koffer packte. Jetzt erst recht!
Sie liebte Flughäfen. Das rege Kommen und Gehen, die zahllosen Menschen, die in die ganze Welt reisten, und das bunte Treiben begeisterten Alex. Heute, an diesem Donnerstag im August, schien sogar Holger seine gute Laune wiedergefunden zu haben.
„Du hast es ja doch nicht verlernt.“
„Was habe ich nicht verlernt?“ Holger schien irritiert.
Sie lächelte ihn zufrieden an. „Dein Lachen.“
Er zog eine ertappte Grimasse. „Es tut mir leid, wenn ich derzeit nicht immer die Stimmungskanone spielen kann. Du kennst meinen Arbeitsalltag und weißt, was konstant auf dem Spiel steht. Wenn du nachher die neuen Kollegen siehst, wirst du verstehen, wovon ich rede.“ Er blickte sich um. „Ah, da vorne ist es. Komm, sehen wir zu, dass wir die Koffer loswerden. Vor dem Abflug gibt es ein Get-together in der Executive Lounge.“
Schmunzelnd sah sie zu ihm auf. „Das klingt für mich aber nicht nach Pauschalreise.“
„Abwarten, man soll den Tag nicht vor dem Abend loben.“
Dank Business-Class-Status waren sie ihr Gepäck in Windeseile los. Holger ergriff ihre Hand und gemeinsam strebten sie, nachdem sie die Sicherheitskontrolle hinter sich gebracht hatten, auf die elegante Lounge der Fluggesellschaft zu. Ein sehr moderner und geschmackvoll ausgestatteter Nebenraum war den Teilnehmern der Top-Seller-Reise vorbehalten. Am Eingang erhielten sie ein großes Kuvert mit weiteren Informationen zur Reise, und im Inneren erwartete sie aufmerksames Personal mit Tabletts, auf denen farbenfrohe Cocktails aufgereiht waren.
„Darf ich Ihnen einen Tequila Sunrise anbieten? Oder hätten Sie lieber einen Strawberry Kiss?“
Angesichts des gewinnenden Strahlens des jungen Kellners fiel Alex die Entscheidung leicht.
„Den Strawberry Kiss bitte.“
„Mit dem allergrößten Vergnügen.“
Ein wenig ernüchternder war der Blick in die Runde der Mitreisenden. Bis auf Holgers Kollegen Klaus samt Ehefrau und Abteilungschef Severin war kein einziges bekanntes Gesicht dabei. Die Gruppe, die sich mehr oder weniger dekorativ im Raum verteilte, bestand hauptsächlich aus wesentlich jüngeren Teilnehmern als im Vorjahr. Langsam verstand Alex, was Holger ihr immer wieder zu sagen versucht hatte: Die Jungen übernehmen das Ruder, sobald wir nachlässig werden.
Er schien recht zu haben. Alex staunte, was sich binnen eines Jahres alles verändern konnte. Am auffälligsten war diese Veränderung bei der weiblichen Begleitung von Holgers Vorgesetztem. Aus der brünetten, amüsanten und sehr charmanten Silvia war ein schlankes blondes Wesen geworden. Gut, sie hieß auch nicht mehr Silvia, sondern Marissa und war vorsichtig geschätzt zwanzig Jahre jünger als ihre Vorgängerin. Severin, mit deutlich weniger Haar als im Vorjahr, dafür mit ebenso deutlich mehr Bauchansatz, stellte seine Begleitung mit stolzgeschwellter Brust vor. Immerhin schien er bester Laune zu sein.
„Alexandra, es ist schön, Sie wiederzusehen. Alle Jahre wieder, was? Ist aber auch kein Wunder bei dem, was Ihr Goldknabe in der Bank abliefert. Nach wie vor einer unserer Härtesten.“ Er schlug Holger mit gönnerhafter Miene auf die Schulter. „Prima Bilanz. Kann sich immer noch hervorragend sehen lassen.“
Alex lächelte pflichtschuldig und begrüßte Marissa, die ihr immerhin ein gnädiges Nicken gönnte. „Noch?“ Was bitte schön sollte das bedeuten? Es klang ein wenig wie eine Drohung. Sie konnte sich unschwer vorstellen, wie es auf Holger wirken musste. Während der sich mit seinem Chef unterhielt, scannte Alex neugierig die Umgebung. Im Nachhinein war sie froh darüber, sich gegen etwas Bequemes für den Flug entschieden zu haben. Die anwesenden Damen griffen modetechnisch eindeutig in die Vollen – und sie wusste, wovon sie sprach. Schließlich verkauften sie in der Boutique ebenfalls teure Fummel. Keines dieser Kleider ging für weniger als fünfhundert Euro über den Ladentisch. Prüfend strich sie ihr hellbraunes Etuikleid glatt. Die kupferfarbenen Ballerinas dazu waren im Vergleich zum übrigen Schuhwerk in der Lounge fast grenzwertig. Allerdings konnte sie sich bewegen, ohne auf dem glatten Marmorboden um ihr Leben fürchten zu müssen.
„Schatz, komm mit, ich stell dich schnell den anderen vor.“
Ehe sie reagieren konnte, ergriff Holger ihren Arm und bugsierte sie durch den Raum. Namen hatte sie sich schon immer schlecht merken können, Gesichter dafür umso besser. Was aber, wenn man wenig Lust verspürte, genau das zu tun? Holgers Kollegen stellten eine seltsame Mischung aus Jugend und Selbstüberschätzung dar. Sie hielten Cocktailgläser in den Händen und begrüßten Alex zwar höflich, aber mit – so empfand sie es zumindest – deutlichem Desinteresse. Ihre Begleiterinnen waren samt und sonders sichtlich jünger als Alex und musterten sie mit abschätzenden Blicken. Während die Männer zumindest ein paar Worte aufbrachten, die als freundliche Konversation durchzugehen vermochten, schwiegen die Damen höchst eloquent. Alex dankte dem Himmel, als sie zu Klaus und dessen Frau vordrangen. Silke freute sich darüber, sie wiederzusehen, und endlich konnte Alex ein wenig durchatmen.
Während Klaus und Holger sich auf die Jagd nach dem nächsten Cocktail machten, zog Silke sie zu einer der abgelegeneren Sitzecken.
„Bin ich froh, dass du da bist. Ich dachte schon, ich müsste allein mit diesen Ken- und Barbieverschnitten klarkommen.“
„Was höre ich denn da für seltsame Töne? Magst du die neuen Jungstars etwa nicht?“ Alex nippte schmunzelnd an ihrem sehr leckeren Cocktail.
Silke zuckte mit angespannter Miene die Schultern. „Wie denn? Weißt du, was ich seit über einem Jahr mitmache? Kannst du dir vorstellen, was ich mir jeden Abend anhören darf? Ganz ehrlich, wenn ich das früher gewusst hätte, dann wäre mein Psychologiestudium doch sinnvoll gewesen.“
„Willkommen im Klub. Du denkst nicht wirklich, dass es bei uns anders ist?“
„Wahrscheinlich nicht. Das macht es aber nicht besser.“ Silke warf einen verstohlenen Blick in Richtung Severin. „Wenigstens hat Klaus bis dato noch nicht erwogen, mich auszutauschen. Wobei Silvia wohl sehr gut mit der Situation leben kann.“
„Echt? Ich dachte immer, die beiden wären ein Dream-Team. Ich bin ein wenig überrascht.“ Alex’ Blick folgte dem von Silke. Zu sehen, wie Severin voller Stolz den Po seiner Begleiterin tätschelte, stieß ihr übel auf.
„Relax! Silvia hat sich ihren Personal Trainer geangelt und ist derzeit mit ihm auf Ibiza. Glaub mir, die macht das Beste aus der Situation. Sie ist zweiundvierzig, er achtundzwanzig. Eine perfekte Lösung, wie ich finde.“
„Kann es sein, dass ich einiges im vergangenen Jahr nicht mitbekommen habe?“ Sorgenvoll musterte Alex die Anwesenden. „Ich kann nicht behaupten, dass mich das hier begeistert.“
„Ebenso wenig wie mich. Nur können wir es nicht ändern. Das könnten nur unsere Männer. Die aber tun es nicht, da Veränderung immer ein Wagnis ist. Also berufliche Veränderung. Lieber reiben sie sich auf. Ich habe das mit Klaus schon zahllose Male diskutiert, es ist sinnlos. Ich führe einfach mein eigenes Leben und das richte ich mir so ein, dass es mir gut geht.“
„Hm, ich habe endlich wieder angefangen zu arbeiten. Zwar nur stundenweise in der Boutique einer Freundin, aber es tut mir gut. Ich hatte wirklich Angst, zu Hause vollkommen abzustumpfen.“
Silke nickte zustimmend. „Ein Schritt in die richtige Richtung. Bau dir das aus, tu es schnell und …“, sie stockte, ehe sie weitersprach, „lerne, weniger Rücksicht auf die Belange deines Mannes zu nehmen als auf deine eigenen.“
Mit vielem hätte Alex gerechnet, nicht aber mit einem solchen Rat aus Silkes Mund. „Du überraschst mich etwas, muss ich gestehen. Du hast Klaus doch immer den Rücken gestärkt.“
„… und bin in einer Villa in Grünwald vereinsamt. Vergiss es. Bei mir ist Schluss mit lustig. Ich arbeite in der Redaktion der örtlichen Zeitung, schreibe eine Kolumne und gehe regelmäßig in unser schickes Fitnessstudio.“
Alex konnte sich das Grinsen kaum mehr verkneifen. „Personal Trainer?“
„Warum nicht? Wenn es sich anbietet? Weißt du, ich lebe nur einmal. Oh Achtung, unsere Herren und Gebieter kehren zurück.“
Während Klaus und Holger die letzten Erfolge und zukünftige Möglichkeiten gegeneinander abwägten, sah Alex nachdenklich zu Silke hinüber. Die lächelte ihr zufrieden zu, ehe sie sich unterhakte, um vor dem Abflug noch einen der verführerischen Cocktails zu ergattern.