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2. Paranormale Phänomene in Schloß Schönbrunn und in der Wiener Hofburg

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Außersinnliche Wahrnehmungen sind selbstverständlich nicht nur an die Anlage von Schloß Versailles gebunden, sondern können allerorts und jederzeit geschehen. So wurden – und werden auch noch in unseren Tagen – in den Schlössern der Habsburger immer wieder paranormale Vorfälle wahrgenommen. Denn das Auftreten solcher Phänomene hängt weniger mit der Prominenz oder der Bedeutung der früheren Besitzer zusammen als damit, daß sich in lange bestehenden Gebäuden einfach mehr Geschichte zugetragen hat als in jüngeren Häusern. Und diese reichhaltigere Geschichte wirkt dann eben nach. Die einfachste Erklärung dafür lautet: Je stärker die Ereignisse im wirklichen Leben stattgefunden haben und je weniger die Urheber oder Betroffenen die Möglichkeit hatten, sie im Leben aufzuarbeiten, desto größer wird die Wahrscheinlichkeit von Erscheinungen. Am bekanntesten sind »die Gespenster toter Personen. Sie halten sich hartnäckig in alten Häusern oder Schlössern auf, am liebsten als Weiße oder Schwarze Frauen, kettenrasselnde Ritter oder gar mit dem eigenen Kopf unter dem Arm. Ammenmärchen sind das keine, im Gegenteil, diese Fälle sind im allgemeinen glänzend bezeugt. Trotzdem müssen wir uns das Jenseits nicht als Gruselkabinett und die Toten als kindische Unholde vorstellen. Ein paar von ihnen sind halt verrückt. Es gibt lebendige Narren, und es gibt tote Narren. Beide sind zu bedauern, beide sind unseres Mitleids und unserer Hilfe bedürftig. Warum also sollte es keinen Geist geben, der geisteskrank ist?« (Ingrisch, S. 57f.)


In Schönbrunn wurden – wie in etlichen anderen Habsburger Schlössern – seit Jahrhunderten paranormale Vorfälle wahrgenommen. Sogar in unseren Tagen scheint es dort noch im besten Sinne des Wortes zu spuken.

Welche Art von Geistern – harmlose, fröhliche oder geisteskranke – ihr Unwesen in Schloß Schönbrunn und in der Hofburg trieben, wird auf den folgenden Seiten zu klären sein. Feststeht auf jeden Fall, daß sowohl die Sommer- als auch die Winterresidenz der kaiserlichen Familie Schauplatz einer Menge von Erscheinungen war. Daß die um 500 Jahre ältere Burg davon wesentlich stärker betroffen war, ist nicht weiter verwunderlich. Unter den verschiedenen Phänomenen, die sich in der Stadtresidenz der Habsburger ereigneten, ist die sprichwörtlich bekannte »Weiße Frau« am häufigsten gesehen worden. Der Schriftsteller Alexander Lernet-Holenia, der als Mieter selbst in der Burg wohnte, hielt in seinem Buch »Die Geheimnisse des Hauses Österreich« fest, daß er ihr zwar nie begegnet sei, legte aber immerhin großen Wert darauf, mit der nie Gesehenen verwandt gewesen zu sein. Wobei die Geschichte dieser Verwandtschaft, auf die später noch genauer eingegangen wird, einigen Aufschluß über seine Persönlichkeit gibt. Denn Lernet-Holenia dachte – ohne je von seiner Mutter oder von jemandem anderen die Bestätigung dafür bekommen zu haben – ein natürlicher Abkömmling der österreichischen Kaiserfamilie zu sein. Ganz konkret hatte er Erzherzog Karl Stephan*) als seinen Vater in Verdacht, dem er allerdings so wenig ähnlich sah wie zwei Menschen, die nicht miteinander verwandt sind. Doch ließ ihn der Gedanke an die mögliche Habsburger Abstammung niemals zur Ruhe kommen. Im lebenslangen Grübeln ob »ja!« oder ob »nein!« nahm er einen immer verbisseneren Charakter an, der ab einem gewissen Zeitpunkt sicherlich auch sein künstlerisches Schaffen beeinträchtigte.

Die stete Auseinandersetzung mit dem immer selben Thema, der nicht auszuschließenden hohen Ahnenschaft, war wohl auch einer der Gründe, warum er sich in seinen Büchern so häufig mit den Habsburgern auseinandersetzte. Und das auf sehr zwiespältige Weise: Denn während er über die früher lebenden Mitglieder der Familie zum Teil sehr amüsante und historisch bemerkenswerte Berichte verfaßte, fand er für seine Zeitgenossen aus der Kaiserfamilie meist nur hämische und bösartige Bemerkungen. Besonderen Haß hegte er gegen den letzten Regenten von Österreich, Kaiser Karl, eines der sanftmütigsten und friedvollsten Mitglieder der Familie. Beinahe möchte man glauben, daß Lernet-Holenia, der Möchtegern-Erzherzog, ihm den Status als Thronfolger und Herrscher neidete. Bei all der Aufmerksamkeit, die er dem einen bestimmten Thema widmete, vergaß der Schriftsteller in seiner Aufregung allerdings auch, daß er selbst als anerkannter außerehelicher Sohn Erzherzog Karl Stephans nur einen der hintersten Ränge in der Familie eingenommen hätte und für eine Thronanwartschaft ohnehin niemals herangezogen worden wäre. Denn laut Familiengesetz wurden dafür zunächst die legitimen männlichen Nachkommen herangezogen, im Fall ihres Aussterbens die ehelich geborenen weiblichen Familienmitglieder. Erst bei Erlöschen aller Stämme hätte man auf einen natürlichen Abkömmling zurückgegriffen. Und selbst da lag Lernet-Holenia auf einem schlechten Platz. Denn von den etwa fünfzig männlichen Erzherzogen, die damals lebten, gab es eine ganze Menge anerkannter natürlicher Sprößlinge, die von wesentlich ranghöheren Erzherzogen abstammten als Karl Stephan.


Kaiser Joseph II. und sein ihm nachfolgender Bruder, der spätere Kaiser Leopold II., sollen als erste Habsburger von der Weißen Frau in der Hofburg heimgesucht und von ihr vor einer drohenden Katastrophe gewarnt worden sein.

Doch zurück zur Weißen Frau in der Hofburg, die – Habsburger Ahnenschaft hin oder her – in diesem Band einen wichtigeren Inhalt darstellt als die Biographie Lernet-Holenias. Die Geschichte dieser Licht-Gestalt reicht in die Zeit der Habsburger Herrschaft zurück, während der sie sogar mehrere Regenten heimgesucht zu haben schien: »Immer wieder soll dem jeweiligen Kaiser vor einer drohenden Katastrophe nachts eine Frau … erschienen sein. Von Joseph II. bis zu Kaiser Franz Joseph I. soll sie alle kontaktiert haben …« (Berger/Holler, S. 146) Gemäß der Nachforschungen Lernet-Holenias will man die Weiße Dame »besonders in früheren Tagen … mehrmals gesehen haben, die – übrigens entfernt mit uns verwandt*) – hin und wieder aus dem sogenannten Amalientrakt in den Reichskanzleitrakt herübergeistern soll. Der Amalientrakt ist ursprünglich die Stadtburg der Grafen von Cilli gewesen, und die Weiße Dame war selber eine Gräfin von Cilli und daher auch mit den Habsburgern verwandt. Trägt sie weiße Handschuhe, so bedeutet ihr Erscheinen eine Geburt im Erzhause, und trägt sie schwarze Handschuhe, so kündet sie den Tod eines Habsburgers oder einer Habsburgerin an … (Während der Zeit der Monarchie wurde sie letztmalig) übrigens nicht in der Hofburg, sondern im Schloß Schönbrunn (gesehen), und zwar in der Nacht, bevor die Kaiserin vom Anarchisten Luccheni in Genf mit einer Feile erstochen worden war. Da hatte einer meiner entfernten Verwandten, ein Boyneburg, der einer … erlittenen Kopfverletzung wegen zur Garde versetzt worden war, in Schönbrunn Dienst zu tun, als sein dienstführender Wachtmeister erschien und meldete, in den Gängen treibe sich eine seltsame Gestalt umher, die auf keinerlei Anruf stehenbleibe und sich nicht zu erkennen gebe. Richard Boyneburg, als er diese Meldung empfing, folgte dem Wachtmeister sogleich auf die Vorplätze und sah dort tatsächlich die rätselhafte Gestalt*), die auch seinem Anrufe nicht entsprach und sich allen weiteren Versuchen, ihre Natur zu erforschen, nunmehr durch alsbaldiges endgültiges Verschwinden entzog«. (Lernet-Holenia, S. 268f.)

Für die Deutung einer so gespaltenen Natur, wie Lernet-Holenia sie war, ist eine Episode wie diese besonders aufschlußreich. Denn obwohl er sich nachweislich mit Parapsychologie beschäftigte, klingt der Ton seiner Erzählung doch sehr spöttelnd, ihr Wahrheitsgehalt ihm eher unglaubwürdig. Um beim Leser der Geschichte keinen Zweifel von seiner persönlichen Meinung aufkommen zu lassen, läßt er als Helden den »nur entfernt« verwandten Richard Boyneburg auftreten (zum Beweis der großen Entfernung schrieb er »Boyneburgk« wohl auch absichtlich falsch, obwohl sogar sein Halbbruder aus der ersten Ehe seiner Mutter so hieß. Und als eifriger Beinahe-Erzherzog unterließ er auch die Erwähnung, daß es sich bei Boyneburgks um eine sehr alte freiherrliche Familie handelte). Schließlich kam ihm die erlittene Kopfverletzung des entfernten Vetters ganz recht, um dem Leser anzudeuten, daß man eben nicht alles glauben mußte, was dieser Verwandte erzählte.


Blick auf den Leopoldinischen Trakt der Wiener Hofburg. In der 800 Jahre alten Habsburger Stadtresidenz wurden die meisten Erscheinungen wahrgenommen. Der Schriftsteller Lernet-Holenia, der als Mieter in der Burg wohnte, scheint dort sogar der Weißen Frau begegnet zu sein.

Als in der Öffentlichkeit bekannter Mann, der wegen seiner nie geklärten Abstammung über eine heftige gesellschaftliche Unsicherheit verfügte, fürchtete Lernet-Holenia, sich mit Geschichten wie diesen lächerlich zu machen. Daß er der sprichwörtliche Philosoph geblieben wäre, wenn er sie gar nicht veröffentlicht hätte, hat er nicht bedacht. Noch dazu, wenn zuletzt in der vor sechs Jahren erschienenen Biographie von Roman Rocek herauskam, daß er sehr wohl an paranormale Phänomene glaubte und sogar an spiritistischen Sitzungen teilnahm. Ja »Lernet (behauptet sogar), selbst die Weiße Frau gesehen zu haben, von der es heißt, daß sie in der Hofburg umgehe.« (Rocek, S. 107) Statt dessen schrieb er, daß »man, besonders in früheren Tagen, die sogenannte ›Weiße Dame‹ gesehen haben« will. So hat also laut seiner Aussage nicht er, sondern irgend jemand anderer – ein unpersönlicher »Man« – das Erzählte erlebt. Und selbst das drückte er im Text so aus, als ob er es bezweifelte. Denn anstelle von »hat gesehen« verwendete Lernet-Holenia die Möglichkeitsform, also die Wendung, daß derjenige alles nur »gesehen haben will«. Selbst dadurch versuchte er dem Leser noch einzureden, daß er an so etwas ohnehin nicht glaubt.

In Wahrheit war er aber nicht nur ein übersensibler Künstler, sondern sogar besonders außersinnlich begabt. Diese Überempfindlichkeit hinderte ihn mitunter sogar an der Schreibarbeit, weil er Angst vor »möglichen spirituellen Einflüssen (anwesender Personen hatte) … Diese Sensibilität für kaum wahrnehmbare geistige Einflüsse machte ihn auch empfindlich für außersinnliche Erscheinungen und mediumistische Phänomene … Auch erzählte er eines Tages von der höchst unwahrscheinlich klingenden Vorhersage, die ein Medium in seiner Jugend gemacht hatte. Es kündigte an, daß ein Bauer aus Mosburg die Familie Purtscher (Freunde seiner Familie) verklagen werde. Das geschah denn auch … Sein von Alfred Winterstein während der gemeinsamen Militärzeit gewecktes Interesse für Spiritismus … gewinnt hier praktische Dimensionen.« (Rocek, S. 106ff.) Daß Lernet-Holenia diese Liebe für paranormale Erscheinungen auch häufig in sein literarisches Werk übernahm, erklärt sein Biograph so: »Man verstehe mich aber richtig: es ist nicht das Spiel mit dem Paranormalen, nicht allein die Spekulation mit dem Effekt; Lernet ist vielmehr auch immer der Ergriffene …« (ders., S. 109)

Noch konkreter wurde Lotte Ingrisch in ihrem »Reiseführer ins Jenseits«, die keine Sekunde an den parapsychologischen Fähigkeiten Lernet-Holenias zweifelte. Sie veröffentlichte in diesem Buch sogar einen Brief des Schriftstellers aus dem Jahr 1974 an sie, in dem er von einer der bezauberndsten außersinnlichen Wahrnehmungen erzählte. Demnach waren ihm mehrmals in seinem Leben einige seiner verstorbenen Haustiere wiedererschienen: »Übrigens … hat es hier (in der Hofburg) wieder gegeistert, und zwar war’s unser vor mehr als einem halben Jahr verstorbener Hund Cinderella, der sich zweimal wieder gemeldet hat. Das erste Mal, als Cindy geisterte, sprang sie mit den Vorderpfoten an meinem Stuhlrand, wie sie immer tat, wenn sie Zucker wollte, unsichtbar natürlich, und der Stuhl wurde so weit zur Seite geschoben, daß ich mich, da ich mich zu setzen im Begriffe war, fast auf den Boden gesetzt hätte. Es war, auch in jenen Sphären, noch ein echter Lausbubenstreich des kleinen Hundes. Und das zweite Mal, als ich noch im Bett lag, und Eva (Ehefrau Lernet-Holenias) bei mir eintrat, lief ihr Cinderella voraus, natürlich gleichfalls unsichtbar, und sprang, wie es ihre Art war, auf das Fußende des Bettes, sodaß das Bett auf und ab schwang. Man mag darüber denken, wie man will.« (ders. zitiert in: Ingrisch, S. 40) – War Lernet-Holenia nun ein Glaubender? Oder war er ein Zweifler? Mit Sicherheit war er, wie sein Biograph ihn nannte, ein »Ergriffener« und hatte einen großen Respekt vor der außersinnlichen Welt. Vielleicht liegt darin die Auflösung zu dem Rätsel, warum er das Selbst-Erlebte in seinen Büchern so gerne jemandem anderen zuschrieb. Möglicherweise hatte er sogar ein wenig Angst vor möglichen Vergeltungsmaßnahmen der im Jenseits lebenden Mächte. Deshalb wollte er mit dieser Thematik – wie ich am Anfang dieses Buches erwähnte – auch nicht zu leichtfertig umgehen.

Als Mieter in der Hofburg und als logisch denkender Mensch fand Lernet-Holenia für das Entstehen der einen oder anderen Absonderlichkeit mitunter aber auch schlüssige Erklärungen. »In Wien zum Beispiel, in der Hofburg, hört man’s … angeblich, fortwährend geistern … Die akustischen Phänomene, die vorgeblich von den Geistern hervorgerufen werden, lassen sich zumeist auch als natürliche Erscheinungen erklären. Es handelt sich dabei zum Beispiel um Schritte, die aber auch ein Widerhall der Fußtritte lebender Personen auf den vielen Treppen und in den langen Korridoren der Hofburg sein können, dann etwa auch um das Huschen von Ratten, die sich zeitweise aus den Kellern bis herauf in die bewohnten Geschosse verirren, und schließlich auch um irgendwelches Rieseln in den Wänden schlechthin.« (Lernet-Holenia, S. 264f.) Das ist tatsächlich ein Effekt, den nur Menschen kennen, die in weitläufigen, alten und holzgedeckten Räumen wohnen. Denn durch Temperaturschwankungen zwischen Tag und Nacht kann es im Gebälk zu außerordentlich lautem Knistern und Knacksen kommen. Dieselbe Wirkung ist auch bei Holzböden feststellbar. Oft vermeint man, in einem benachbarten Zimmer Schritte zu hören, obwohl dort bekanntermaßen niemand unterwegs ist. Auch dieses akustische Merkmal läßt sich auf Spannungen im Material zurückführen. Wenn sich Holz nach einer gewissen Zeit vom Druck des Daraufsteigens entspannt, dann tut es das in derselben Reihenfolge, wie der vorher darüber Gehende die Schritte gesetzt hat. Dabei durchziehen die Geräusche den Raum so, als ob eben jemand durchginge.


In weitläufigen, holzgedeckten und mit Holzböden versehenen Räumen (wie hier im Salon von Schloß Miramare bei Triest) vermeint man, besonders oft Gespenster zu hören. Meist liegt das aber an den Temperaturschwankungen zwischen Tag und Nacht, die mitunter außerordentlich lautes Knistern oder Knacksen im Holz verursachen.

Ungeachtet dieses Phänomens, das auf logischer Erklärung basiert, erzählte Lernet-Holenia aber wesentlich häufiger von tatsächlich eingetretenen paranormalen Erlebnissen. Der beliebteste Schauplatz in seinen Geschichten ist die Wiener Hofburg, die mitwirkenden Personen bleiben aber weiterhin unpersönlich und ungenannt. »Bedenklicher freilich ist die folgende Erscheinung … Es ereignet sich nämlich in der Burg ziemlich häufig*), daß jemand heimzukommen scheint, ohne daß er jedoch wirklich heimkäme; oder mit anderen Worten: Man hört, wenn man sich in einem der Wohnräume befindet, wie der Betreffende die Wohnungstür aufschließt, wie er eintritt, wie er die Wohnungstür hinter sich wieder zuschließt oder zuschlägt und wie seine Schritte auf dem Vorplatz widerhallen. Dann jedoch, wenn man schon erwartet, daß er nun ins Zimmer treten werde, tritt er nicht ins Zimmer; und all diese Geräusche wiederholen sich, wiederum ohne daß er eintrete. Erst wenn man dies alles zum dritten Male hört, ist er’s wirklich und tritt auch wirklich ein. Daraus ergibt sich, daß man offenbar auch geistern kann, ohne tot zu sein, das heißt, daß zumindest das akustische Geistern nicht den Toten vorbehalten ist, sondern daß es ihnen auch die Lebenden gleichtun können. Auf alle Fälle jedoch spukt ›es‹ oder geistert ›es‹ akustisch, ohne daß irgendeine Individualität mit im Spiele sein müßte. ›Es‹ geistert also schlechthin, und dies scheint uns der eigentliche, sinnlose Spuk, dies scheinen uns die richtigen Klopf- und Poltergeister zu sein, bei denen die von ihnen hervorgebrachten Geräusche kaum von irgendwelchen natürlichen Geräuschen zu unterscheiden sind.« (ders., S. 265f.)

In seinem Buch über die »Geheimnisse des Hauses Österreich« kam Lernet-Holenia natürlich auch auf eines der am häufigsten wahrgenommene Phänomene in der Hofburg zu sprechen: einer – in welcher Farbe auch immer gekleideten – figürlichen Erscheinung. »Es hatte immer schon geheißen, daß sich die Geister in der Burg hin und wieder auch wirklich zeigten, aber gesehen hatte man sie eigentlich trotzdem nie ganz eindeutig. In solchen Gedanken befangen trat eines Tages irgend jemand, von dem nicht überliefert ist, wer es war, vom Schweizerhof her in das Treppenhaus der sogenannten Säulenstiege, als er vor sich eine schwarzgekleidete Gestalt erblickte, welche die Stufen hinaufschritt. Dem ganzen Habitus zufolge schien sich’s um einen Beamten zu handeln, wofür auch ein Augenglas sprach, ein Kneifer, den dieser Mensch oder diese Erscheinung trug; und der Kneifer war überdies mit einem schwarzen Band um den Hals der Gestalt befestigt. Daß es sich um eine Erscheinung handle, meinte der Beobachter sofort zu fühlen; und er faßte sich ein Herz und stürzte der Erscheinung nach; worauf die Erscheinung durch eine der Glastüren trat, welche das Treppenhaus gegen die Korridore des Schweizertrakts abschließen, und hinter der Glastür, der Durchsichtigkeit derselben zum Trotz, verschwunden war.« (ders., S. 267f.)


Idealfigur einer verhüllten Erscheinung, so wie sie von etlichen Betroffenen beschrieben wird. Es handelt sich aber um eine christliche Symbolfigur, um eine Trauergestalt an einem katholischen Grabmal, die – sicherlich nicht zufällig – dasselbe Aussehen hat.

Man liegt sicherlich nicht falsch, im Treppensteiger und Verfolger der schwarzgekleideten Gestalt Lernet-Holenia selbst zu vermuten. Er muß ihr vor etwa vierzig, fünfzig Jahren begegnet sein. Also vor gar nicht so langer Zeit. Nun wird es auch niemanden mehr in Erstaunen versetzen, wenn er erfährt, daß die Erscheinungen noch immer äußerst betriebsam sind. Es gibt Tage, an denen sich die Meldungen geradezu häufen. So geschehen vor ein paar Jahren. Das hat ein deutsches Autorenteam damals veranlaßt, Nachforschungen in der Hofburg zu betreiben. Also reisten die Leute nach Wien, wo sie etliche Tage und Nächte am Originalschauplatz zubringen und die Betroffenen nach ihren Erlebnissen ausfragen wollten. Wenn die Forschergruppe auch fürchtete, daß die Leute nicht darüber sprechen würden. Doch stieß ihre Arbeit – ganz im Gegenteil – nicht nur auf großes Interesse, sondern man fand auch viel mehr betroffene und sprechbereite Menschen, als man erwartet hatte. Und zwar nicht nur empfindliche, auf die Nachtzeit sensibilisierte Hausbewohner, sondern auch nüchterne Beamte und Wissenschafter, die während ihrer Arbeitszeit am helllichten Tag von Erscheinungen heimgesucht wurden. So soll »in der Bundesdienststelle … eine Weiße Frau gesehen worden sein. In einer Privatwohnung – und solche gibt es in der alten Wiener Hofburg eine ganze Menge – soll nächtlich Kaiser Maximilian, unklar, ob der Erste oder der Zweite, in strahlendem Glanze erschienen sein. Wahrscheinlich war es der Zweite gewesen, denn der hatte im Gegensatz zum Ersten nicht nur viel länger, sondern auch viel lieber in der Burg zu Wien gewohnt.« (Berger/Holler, S. 141)

Auch die früher zitierte Schriftstellerin Lotte Ingrisch, die bis heute in der Wiener Hofburg lebt, erzählte dem deutschen Forscherteam frei und ohne Hemmungen über ihre Erfahrungen: »… da gibt’s schon allerhand interessante Sachen. Ich habe einmal ein bißchen herumexperimentiert, also in meiner Wohnung mich in eine sanfte Trance versetzt, und plötzlich hatte ich einen mir völlig unbekannten Soldaten zu Füßen liegen. Dieser hat ganz verzweifelt geweint und immer wieder beteuert, daß er unschuldig sei. Daß er nicht die Krankenschwester vergewaltigt habe. Es war richtig herzzerreißend. Ich habe mich dann später dafür interessiert, was das für ein Soldat gewesen sein könnte, der so eine tragische Situation erlebt hat. Und ich bin draufgekommen, daß hier in diesen Räumen und in diesem Trakt der Hofburg im Ersten Weltkrieg ein Lazarett*) gewesen ist …« (Berger/Holler, S. 142)

Obwohl das Autorenteam von den in der Hofburg lebenden und arbeitenden Menschen eine Menge brisantes Material für seine Arbeit erhalten hatte, gelang es ihm aber nicht, dem Lieblingsphänomen, der Weißen Dame, auf die Spur zu kommen. Denn hautpsächlich hatte sich die Gruppe erhofft, ihr irgendwo in der Burg zu begegnen. Aber Erscheinungen lassen sich nicht zu einem bestimmten Zeitpunkt erzwingen. Das bedeutet allerdings auch nicht, daß es unmöglich ist, den unmittelbaren Kontakt mit ihnen herzustellen. Denn mit Hilfe eines sensiblen Mediums kann das unter Umständen schon gelingen. Das scheint das deutsche Autoren-Team nicht gewußt zu haben, als es sich 1996 auf die Spuren der legendären »Weißen Frau« begab. Trotzdem wurde die Forschergruppe für ihre Arbeit und ihr Interesse »belohnt« und sogar Zeuge einer paranormalen Begebenheit. Denn während ihres Aufenthalts in der Hofburg ist unter einem Bild von Kaiserin Elisabeth täglich von neuem »ein Fleck aufgetaucht. Am Tag wurde er entfernt, am Abend war er wieder da … (Außerdem) hat sich auch einmal jemand von der Theaterwissenschaft*) beschwert … (Die Leute dort) haben sich gestört gefühlt, weil spät abends über ihnen Möbel gerückt wurden. Wir (die Autoren) konnten aber nicht herausfinden, wer oder was diesen merkwürdigen Lärm erzeugt hat … (dies., S. 144)


Zwei der berühmten Gemälde Elisabeths (von F. X. Winterhalter) im Arbeitszimmer Kaiser Franz Josephs. Leider blieb in der Hofburg-Geschichte unerwähnt, hinter welchem Bild der Kaiserin täglich von neuem ein Fleck auftauchte.

Das außergewöhnlichste Erlebnis der vergangenen Jahre hat ein in der Hofburg arbeitender Wachebeamter im Februar des Jahres 1987 gehabt. Herr E.**) hatte eben seinen Rundgang durch die Gänge der Hofburg begonnen. Mit einer starken Lampe und einem elektronischen Gerät ausgestattet, das seinen genauen Standort anzeigt, begab sich der Mann auf die etwa dreieinhalb Kilometer lange Strecke, die durch Keller und Dachboden führt. »Fledermäuse hat er hier schon oft gesehen, auch Marder, die in den alten Gemäuern ihre Wohnung eingerichtet haben. Die langen, dunklen Korridore erscheinen sensiblen Naturen schon bei Tag fremd und ein wenig unheimlich. Wer hier also bei der Nacht seine Arbeit tut, darf nicht ängstlich sein. In dieser Nacht aber sieht und hört Herr E. etwas, das sein Leben verändert. Irgend etwas hat ihm den Schreck in alle Knochen fahren lassen. Was immer es war, er spricht nicht darüber. Aber nie wieder, das sagt er, wird er in der Hofburg eine nächtliche Runde drehen …«. Der Wachebeamte war im Jahr 1987 übrigens nicht der einzige, der Zeuge einer paranormalen Erscheinung wurde. Denn überall in der Burg »vor allem … im ältesten Trakt, dem Schweizertrakt, klagen Menschen in diesen Monaten über nächtliche Störungen. Schritte sind zu hören, Klopfgeräusche, Ächzen und Stöhnen … Geräusche … von Schuhen mit spitzen Absätzen … Dinge (wurden) verrückt, Kleinigkeiten wie Zigaretten oder Schreibstifte von einer Seite des Schreibtisches auf die andere geschoben … Und ein Wissenschaftler des Bundesdenkmalamtes hatte gehört, wie jemand seufzend auf das Sofa niedersank, konnte aber keinen Menschen sehen …« (alles in: dies., S. 145f.)

Eine Menge an Wahrnehmungen, die da vor sechzehn Jahren vernommen wurden, aber weit und breit keine »Weiße Frau«. Und das obwohl gerade ihr Erscheinen seit so langer Zeit bezeugt wird. Auch Kaiserin Zita hatte als Mädchen von ihr gehört und begann sich noch stärker für sie zu interessieren, als sie die Braut des späteren letzten Regenten von Österreich wurde. »Als ich heiratete, hörte ich in Wiener Kreisen erzählen, daß es eine Weiße Dame gäbe, die in der Burg erscheine, bevor ein Mitglied der Familie stirbt. Ich wollte der Sache auf den Grund gehen. Leider ist es mir nicht gelungen. Ich stieß wohl auf die hartnäckige Behauptung, daß die Weiße Dame ziemlich überall in der Hofburg gesehen worden sei in der Nacht, in der der Kronprinz in Mayerling ermordet wurde*). Sie soll sogar vor der Wache vorbeigegangen sein. Ich habe aber leider nie jemanden getroffen, der mir die Erscheinung bestätigen konnte. Allerdings wurde das Sujet auch nur sehr vorsichtig gestreift, da ja Kaiser Franz Joseph (der Vater Kronprinz Rudolfs) während meiner ersten Ehejahre noch am Leben war. Und während der letzten zwei Kriegsjahre*) blieb einem wenig Zeit und Gelegenheit, solche Fragen zu behandeln. Dagegen behauptete man allgemein, daß die Erscheinung beim Tod Kaiserin Elisabeths zum ersten Mal ausgeblieben sei, was damals sehr intensiv diskutiert wurde. Das würde bestätigen, daß an der Sache doch etwas war, denn gerade der tragische Tod der Kaiserin wäre der richtige Moment gewesen, so einer Legende mehr Glaubwürdigkeit zu verleihen. Auch nach dem Tod Kaiser Franz Josephs mußte ich konstatieren, daß niemand etwas gesehen hatte und daß die Weiße Dame sicher nicht in der Burg umgegangen war. Auch diesmal hat sich ganz Wien damit beschäftigt. Das allgemeine Urteil war, daß sie zwischen dem Tod des Kronprinzen 1889 und demjenigen von Kaiserin Elisabeth 1898 erlöst worden sei. Wer diese Dame gewesen sein konnte, wußte mir niemand zu sagen, allerdings habe ich aus Zartgefühl auch nicht zu viele Leute gefragt, die mir vielleicht aber eine Antwort hätten geben können.« (dies., undatierte Niederschrift)


Kaiserin Zita (mit Schirm) hatte schon als Mädchen von der »Weißen Frau« in der Hofburg gehört. Ihr Interesse wuchs, als sie die Frau Erzherzog Karls, des späteren letzten Kaisers von Österreich, und Residentin des Wiener Stadtschlosses wurde.

Kaiser Franz Joseph, der als tiefgläubiger Katholik ebenfalls unter der Wahrheit litt, wäre Mord als Todesursache sehr zurecht gekommen. Aber er kannte den genauen Tathergang und die Abschiedsbriefe seines Sohnes an mehrere Familienmitglieder, weshalb also kein Zweifel an dessen Freitod bestand. Der Kaiser mußte im Gegenteil seiner Familie sogar erzählen, daß er »von allen Seiten (höre), dass hier (in Ungarn) fast niemand an die Art von Rudolfs Ende glauben wolle, dass die meisten an Mord oder doch gezwungenen Selbstmord glauben … Papa sagt ganz richtig, es sei unbegreiflich, wie die Leute glauben können, dass man das Ärgste erfindet.« (ebenda)

Vermutlich ist es auf die Prophezeiung der Nonne aus Metz und auf die kurz nach der Tat sehr verschieden lautenden Pressemeldungen zurückzuführen, daß einige Hobby-Historiker bis heute an politische Verschwörung und an Mord glauben. In manchen Berichten hieß es allerdings auch, der Tod wäre durch »Herzstillstand« eingetreten. Diese Angabe hat man – soweit ich mich erinnere – auch an die Patres der Augustinerkirche weitergegeben, um den Kronprinzen in der dortigen Familiengruft christlich beisetzen zu dürfen. Eine Geisteskrankheit, vermutlich Schizophrenie, die von den Ärzten erst später in Erwägung gezogen wurde, hätte den besten Grund für die »Freisprechung« durch die katholische Kirche gegeben: »Wiederhofer (s. S. 40) sagt, er (Kronprinz Rudolf) sei eben an Verrücktheit gestorben, wie ein anderer an einer andern Krankheit. Dieser Gedanke ists, glaube ich, der Papa aufrechterhält …« (Marie Valérie, 21. August 1889)

Einige Jahre, nachdem Kaiserin Zita diese Geschichte niedergeschrieben hatte, stieß sie auf ein Buch, in dem wieder einmal von der Erscheinung der Weißen Dame in der Hofburg die Rede war. Und zwar diesmal konkret im Zusammenhang mit dem Mordanschlag auf Kaiserin Elisabeth. »Im Buch von Maurice Paléologue, Elisabeth, Kaiserin von Österreich*) steht auf den Seiten 226, 227, 228 … Tief in der Nacht hat (Kaiserin Elisabeth) eigenartige Visionen: ein Phantom erscheint ihr, das sie beständig anschaut, um dann bald wieder zu verschwinden. Sie ist darüber sehr beunruhigt, da es gemäß einer jahrhundertealten Sage heißt, daß eine nächtliche weiße Gestalt, die sogenannte Weiße Dame, immer dann erscheint, wenn die Habsburger von einem großen Unglück betroffen würden. Ein Mitglied der kaiserlichen Familie weiß ganz sicher, daß der unheilverkündende Geist … in den kritischen Jahren 1621, 1740, 1809 und 1866*) in Schönbrunn und in den Gängen der Hofburg erschienen ist. Schließlich ist er im Januar 1889 einige Tage vor dem Selbstmord des Erbprinzen Rudolf wieder erschienen. Und am 30. August 1898 sieht Elisabeth, die sich in Caux (in der Schweiz) … aufhält und am Balkon die kühle Nacht genießt, gegen Mitternacht ganz deutlich im Park des Hotels die Weiße Dame herumirren. Sie starrt sie beständig an, um sich schließlich aufzulösen. Ab 5. September desselben Jahres 1898 hält sich die Kaiserin einige Zeit in Genf auf, wo sie im Hotel Beau Rivage wohnt. Am 10. September geht sie in Begleitung von Gräfin Sztáray um 2 Uhr nachmittags über den Quai Mont-Blanc, um sich dort für eine Fahrt über den See einzuschiffen …« (Übersetzung der handschriftlichen Kopie Kaiserin Zitas)


Abholung des Leichnams von Kaiserin Elisabeth aus dem Hotel Beau Rivage in Genf. Hier hatte die Kaiserin gewohnt, bevor sie sich am 10. September 1898 für eine Fahrt über den See einschiffte und auf dem Weg dorthin von einem Attentäter erdolcht wurde.

Das Ende der Geschichte ist hinlänglich bekannt: Kaiserin Elisabeth wird von einem Mann niedergestoßen, der ihr eine Feile ins Herz bohrt. Es gelingt ihm, die Waffe wieder aus ihrem Brustkorb zu ziehen, weshalb man zunächst nicht erkennt, was genau geschehen war. Die Kaiserin richtet sich auf, geht weiter und erreicht sogar noch das Schiff, mit dem sie Genf verlassen möchte. Sie erleidet aber bald einen Schwächeanfall, sinkt zusammen und verstirbt wenig später an den Folgen des Attentats. Der genaue Tathergang ist in dem 1909 erschienenen Buch »Aus den letzten Jahren der Kaiserin Elisabeth« nachzulesen. Die damalige Begleiterin der Kaiserin und Zeugin des Mordanschlags, die Hofdame Gräfin Irma Sztáray, hat darin die letzten Stunden der Kaiserin akribisch genau festgehalten.

Doch wieder zurück zu Kaiserin Zita und ihrer Forschung zu den Erscheinungen der Weißen Dame in der Hofburg. Wenn sie sich auch freute, in dem Buch wieder einmal etwas über sie zu erfahren, so war sie nicht ganz sicher, ob sie der Erzählung Glauben schenken durfte. Da sie von dieser Erscheinung noch niemals zuvor gehört hatte, versah sie den Textauszug mit einer handschriftlichen Bemerkung: »Maurice Paléologue hat sich als Historiker sichtbar bemüht, alle Details richtig wiederzugeben – wenn ich auch nicht alles mit beiden Händen unterschreiben könnte. Ich halte es aber für unmöglich, daß er die obige Beschreibung aus der Luft gegriffen hätte. Ich vermute, er hatte sie von der Kaiserin Eugénie … (unleserlich, vermutlich: erfahren) die ihm viel über Kaiserin Elisabeth erzählte. Sie selbst könnte diese präzise datierte Erscheinung … (unleserlich) von Kaiser Franz Joseph, der sie sehr schätzte, oder aber von Gräfin Sztáray selbst erfahren haben. Paléologue sagt in diesem selben Buch in einer Fußnote auf S. 219, 220 folgendes*): ›Ich habe Kaiserin Eugénie in den letzten 20 Jahren ihres Lebens … (mehrere?) Male getroffen. Sie ehrte mich mit ihrem Vertrauen und vertrauensvollen Mitteilungen, von denen ich einige kostbare Zeugnisse unter dem Titel ›Gespräche mit Kaiserin Eugénie‹ (1928) veröffentlichen durfte. Sehr oft hat sie mir von Kaiserin Elisabeth erzählt, für … (die sie) herzliche Sympathie, große Bewunderung, aber auch Nachsicht und Mitleid empfand. Ihr verdankte sie viele Ratschläge und (aufschlußreiche?) Bemerkungen über ihre intimen Gedanken, die Tiefe ihres Wesens sowie über das geheime und komplizierte Leben der leidgeprüften Freundin. Über die (wahrscheinlich: Vermittlung) von Kaiserin Eugénie habe ich als erstes begonnen, mir ein Bild von Elisabeth zu machen. Zahlreiche Dokumente, die ich später herangezogen habe, machten es mir möglich, diese erste Vorstellung deutlicher zu konturieren und zu vervollständigen. Sie haben ihm (dem ersten Bild) niemals widersprochen.‹ «


Gräfin Irma Sztáray, Begleiterin Kaiserin Elisabeths in Genf und Zeugin des Mordanschlags auf sie. Ihr verdanken wir die genaue Beschreibung der letzten Stunden im Leben der Kaiserin.

Kaiserin Zita hat in einer weiteren Anmerkung darauf hingewiesen, daß die ursprüngliche Quelle der Geschichte in dem Buch nicht genannt wurde und daß sie selbst sich nicht vorstellen konnte, von wem sie stammte. Im Literaturverzeichnis des Buches von Maurice Paléologue fand sie die Bände von Gräfin Sztáray und Constantin Christomanos, einem der Griechischlehrer Elisabeths, angeführt, weshalb sie einen der beiden als Urheber in Verdacht hatte. Beide waren innige Vertraute Kaiserin Elisabeths gewesen und haben ihre Erinnerungen später in Buchform herausgegeben. Gräfin Irma Sztáray verfaßte den früher erwähnten Band »Aus den letzten Jahren der Kaiserin Elisabeth«, Constantin Christomanos hat sie in den »Tagebuchblättern« veröffentlicht. In beiden Büchern findet sich aber kein Hinweis auf die oben zitierte Geschichte. Die Autoren haben sich ausschließlich auf Erzählungen von gemeinsam mit der Kaiserin unternommenen Reisen beschränkt. Der eine – Christomanos – auf außerordentlich schwärmerische Art, die andere – Gräfin Sztáray – wesentlich sachlicher, wenn auch in ihrem Text die Verehrung für ihre Dienstgeberin nicht zu überhören ist.

So muß man am Ende der Nachforschungen über die Weiße Dame in der Hofburg oder sonstwo verwirrt feststellen, daß die Aussagen über ihr Erscheinen ziemlich auseinanderlaufen. Soll sie ab Kaiser Joseph II. alle Habsburger Regenten heimgesucht haben (um sie vor einer jeweils drohenden Katastrophe zu warnen), so ist ihre Spur später wesentlich schwieriger weiterzuverfolgen. Kaiserin Zita, die ein Leben lang über die Weiße Dame in der Hofburg forschte, konnte zuletzt auch nicht mehr darüber feststellen, als daß sie früher wohl oft und an den meisten Stellen der Hofburg erschienen war, daß sie sich aber gegen Ende der Monarchie ziemlich rar gemacht hat. Besonders widersprüchlich lauten die Erzählungen aus der Zeit kurz vor dem Mordanschlag auf Kaiserin Elisabeth. Viele Leute, die in der Hofburg wohnten, behaupteten, daß sie damals zum ersten Mal ausgeblieben sei. Später las Kaiserin Zita aber in einem Buch, daß in dieser Epoche sehr wohl außersinnliche Phänomene wahrgenommen wurden: unter anderem ein – leider nicht genauer beschriebenes – Phantom, das sogar mehrmals erschienen sei. Und zwar Kaiserin Elisabeth selbst. Zuletzt zehn Tage vor ihrem Tod. Diesmal aber nicht in Wien, sondern im Park eines Schweizer Hotels, in dem sie wohnte.


Letzte Aufnahme Elisabeths mit ihrem Ehemann, Kaiser Franz Joseph, während eines Spaziergangs in Bad Kissingen. Anläßlich dieses Besuchs hatte der Kaiser seine Frau zum letzten Mal lebend gesehen.

In der Zeit des Ersten Weltkrieges, in der Zwischenkriegszeit und während des Zweiten Weltkrieges verwischen sich die Spuren der Weißen Dame. Was aber nicht bedeutet, daß sie ab nun nicht mehr wahrgenommen wurde. Denn der österreichische Schriftsteller Alexander Lernet-Holenia ist ihr ja wahrhaftig begegnet, und das sogar in der Wiener Hofburg, also an ihrem eigentlichen Wohnort. Er hat die Erscheinung in seinem Buch über die »Geheimnisse des Hauses Österreich« bewährterweise einem unpersönlichen »Man« zugeschrieben. Sein Biograph Roman Rocek hat aber nachgewiesen, daß sie tatsächlich dem Schriftsteller selbst begegnet ist. Davor wäre die Weiße Dame – nun wieder gemäß den Forschungen Lernet-Holenias – das letzte Mal in der Nacht vor dem Mordanschlag auf Kaiserin Elisabeth erschienen. Leider deckt sich aber diese Erzählung nicht mit denen der anderen Quellen. Denn laut seiner Aussage war sie nicht in der Hofburg, sondern in Schloß Schönbrunn erschienen. Und zwar einigen dort diensttuenden Wachebeamten, unter denen sich sogar einer seiner Verwandten befand. Zuletzt ist die Weiße Dame vor etwa zwanzig Jahren wahrgenommen worden. Damals ist sie einem Beamten der Bundesdienststelle erschienen. Also endlich wieder in ihrem ursprünglichen Heim, der Wiener Hofburg.

Nun aber rasch von der habsburgischen Winterresidenz in das Sommerschloß der Familie, nach Schloß Schönbrunn, das – wie bereits angedeutet – ebenfalls mehrmals Schauplatz paranormaler Phänomene wurde. In früheren Zeiten kehrte ein treuer, aber »unheilverkündender Geist« immer wieder dorthin zurück, um die Habsburger vor einem jeweils drohenden Unheil zu warnen. Diesen Hinweis verdanken wir Maurice Paléologue, dem Biographen Kaiserin Elisabeths und Kaiserin Eugénies. Bei ihm findet sich – wie bei seinem Kollegen Lernet-Holenia – aber auch eine Bemerkung über die Weiße Dame in Schloß Schönbrunn, die offensichtlich manchmal einen Wohnungswechsel vornahm. Gemäß seinen Forschungen sei sie dort nicht nur vor dem Attentat auf Kaiserin Elisabeth, sondern auch vor dem Tod Kronprinz Rudolfs gesehen worden. Andere, noch nie veröffentlichte Berichte über verschiedenartigste Erscheinungen im Sommerschloß der Habsburger stammen aus dem schriftlichen Nachlaß Kaiserin Zitas. Sie sind auf den Seiten 123 ff. und 188 ff. nachzulesen. Bleibt zuletzt noch eine besonders interessante Geschichte, die mir von mehreren Personen – unabhängig voneinander – erzählt wurde und sich auf ein akustisches Phänomen bezieht. In einem bestimmten Saal des Schlosses scheint abends ein immer wiederkehrendes Stimmengewirr gehört worden zu sein: und zwar sowohl von Mitgliedern der kaiserlichen Familie als auch von Hofbediensteten. Während der Zeit der Monarchie. Pikanterweise wirkt das abendliche Geflüster und Gekicher der Hofgesellschaft sogar bis in unsere republikanischen Tage nach. Denn auch einige Angestellte der Schloß Schönbrunn-Betriebsgesellschaft wollen diese geräuschvolle, aber friedliche Wahrnehmung gemacht haben. Dazu wäre noch zu bemerken, daß die heutigen Ohrenzeugen nicht die Erlebnisse der früheren kannten. – Das akustische Phänomen scheint ohne besonderen Grund aufzutreten und von schelmischen Geistern herzurühren. Das ist sicherlich einer der nettesten Aspekte der paranormalen Welt, für den es sogar eine Erklärung gibt: Da es unter den »lebenden Geistern«*) – wie Lotte Ingrisch und andere Parapsychologen uns Nicht-Tote nennt – eine Menge von Witzbolden gibt, ist auch das Reich der »toten Geister« voll von fröhlichen Gesellen. Es gibt also keinen triftigen Grund, unter den ehemaligen Bewohnern von Schloß Schönbrunn nur tragische oder bösartige Charaktere zu vermuten. Wer weiß, ob sich nicht sogar der eine oder andere verstorbene Habsburger der Gruppe dieser heiteren Geister angeschlossen hat?

*) Erzherzog Karl Stephan war ein Enkel Erzherzog Carls, des ersten Bezwingers von Napoleon und Siegers von Aspern. Damit gehörte er derselben Generation wie Kaiser Franz Joseph an und war einer seiner zahlreichen Vettern zweiten Grades.

*) Einer der zahlreichen Hinweise auf die vermeintliche Herkunft Lernet-Holenias: Mit der Bemerkung, daß die berühmte »Weiße Dame entfernt mit uns verwandt war« und dem später folgenden Einschub – »eine Gräfin von Cilli und daher auch mit den Habsburgern verwandt« – macht der Schriftsteller auch den uneingeweihtesten Leser auf seine mögliche hohe Abstammung aufmerksam.

*) Das Auftauchen der Weißen Dame in Schloß Schönbrunn in der Nacht vor dem Mordanschlag auf Kaiserin Elisabeth wird sowohl in diesem Buch als auch in der Biographie von Maurice Paléologue »Elisabeth, Impératrice d’Autriche« (»Elisabeth, Kaiserin von Österreich«) erwähnt. Über andere Phänomene, die vor ihrem Tod wahrgenommen wurden, ist mehr auf den Seiten 43 ff. und 116 ff. nachzulesen.

*) Einer dieser Orte in der Burg, an der »diese Erscheinung sich ziemlich häufig ereignete«, war natürlich der eigene Haushalt des Schriftstellers.

*) Mit dieser Bemerkung verwies Lotte Ingrisch auf den ursprünglichen Auslöser der Erscheinung. Die Parapsychologie geht nämlich davon aus, daß paranormale Phänomene ortsgebunden sind. Im konkreten Fall bedeutet das, daß der Soldat im Ersten Weltkrieg genau in dem Raum, in dem Lotte Ingrisch ihm begegnete, als Verwundeter gelegen war. Da er in dem Seins-Zustand, in dem er sich zur Zeit befindet, die Anschuldigung offensichtlich noch nicht aufgearbeitet hat, erscheint er eben an dem Ort, wo er im Leben dafür büßte.

*) Mit »Theaterwissenschaft« ist ein in der Hofburg untergebrachtes Universitätsinstitut gemeint.

**) Der ehemalige Wachebeamte wollte nicht namentlich genannt werden. Er hat nach seinem Erlebnis den Dienst in der Hofburg quittiert.

*) Als gläubige Katholikin konnte sich Kaiserin Zita nie mit der Tatsache abfinden, daß Kronprinz Rudolf ein Mörder war (er erschoß – auf deren ausdrücklichen Wunsch – seine damalige Begleiterin, Baronin Mary Vetsera) und Selbstmord begangen hatte. Deshalb hielt sie ein Leben lang an der Theorie fest, daß er von politischen Verschwörern ermordet wurde. Bekräftigt wurde die Vermutung Kaiserin Zitas durch die Offenbarung einer Klosterfrau aus Metz. Ihr zufolge wäre der Kronprinz von einem Mann ermordet worden, hätte dann noch eine Viertelstunde gelebt und sich zuletzt »zu Gott gewendet. Dass aber dies nicht wahr, kann Wiederhofer (der kaiserliche Leibarzt) bezeugen, der ja alles gesehen hat.« (aus dem Tagebuch Erzherzogin Marie Valéries, einer Schwester Kronprinz Rudolfs, 25. Mai 1889)

*) Während der beiden ersten Jahre des Ersten Weltkriegs hatte Kaiser Franz Joseph regiert, während der beiden letzten sein Großneffe und Nachfolger Kaiser Karl, der Ehemann Zitas.

*) Das Buch war 1939 erstmals in französischer Sprache erschienen. 1958 wurde es in Frankreich neu aufgelegt. Um diese Zeit scheint Kaiserin Zita ein französischsprachiges Exemplar gelesen zu haben, obwohl in der Zwischenzeit (1946) auch eine deutsche Übersetzung erschienen war. Als geborene Bourbonin und Mitglied der Herzogsfamilie von Parma hat sie sowohl Italienisch als auch Französisch als Muttersprachen beherrscht. Das betreffende Textzitat hat sie handschriftlich kopiert und der zuvor wiedergegebenen Niederschrift beigefügt. Ihre französische, zum Teil nicht vollständig leserliche Fassung lautet: »Im Buch von Maurice Paléologue, ›Elisabeth, Impératrice d’Autriche‹ steht auf den Seiten 226, 227, 228, die die letzten Monate der Kaiserin beschreiben: ›Profond, dans les ombres de la nuit, elle a d’étranges visions: elle aperçoit un fantôme (unleserlich) qui la regarde fixement pour évanouir aussitot. Elle en est d’autant plus alarmée que d’après une légende (unleserlich) depuis des siècles chez les Habsbourg tant les grands malheurs de la dynastie lui furent (unleserlich) par l’apparition nocturne d’un spèctre blanc, ›la Dame blanche‹. Un membre de la famille impériale ne doute que le spèctre annonciateur ne soit apparu (?) tous (?) les arbres (?) de Schönbrunn ou dans les couloirs de la Hofbourg aux dates critiques de 1621, 1740, 1809 et 1866; l’apparition s’est reproduite enfin, quelques jours avant le suicide de l’heréditaire Rodolphe, au mois de janvier 1889.

Or, le 30 août 1898, Elisabeth, qui réside a Caux, près de Mont… (unleserlich) et qui vers minuit prend le frais sur son balcon, voit distinctement ›la Dame blanche‹ errer dans le parc de l’hotel, la fixer avec insistance, puis s’évaporer.

Le 5 septembre de cette même année 1898, l’Impératrice vient habiter Genève à l’hôtel Beau Rivage. Le 10 septembre à deux heures de l’après-midi, accompagnée de la Comtesse Sztáray, elle traverse le quai du Mont-Blanc, ou elle doivent s’embarquer pour une promenade sur le lac. (An dieser Stelle endet die oben zitierte Übersetzung, der Rest der französischen Abschrift wird der Vollständigkeit halber angefügt:) Elle se sent moins triste que d’habitude, les nerfs détendus, car le (unleserlich) est radient et la surface des (unleserlich) scintelle comme une grand nappe de lumière. ›Oh!‹ dit-elle à sa compagne, ›regarde ces beaux marronniers! … L’Empereur m’écrit qu’à Schönbrunn aussi les marronniers recommencent à fleurir. N’est-ce pas étonnant!‹

A cette minute (unleserlich) un ouvrier s’approche d’elle et, dans un mot, d’un seul geste, lui en fonce un poignard dans le cœur …‹

*) Mit der Nennung der Jahreszahl 1621 ist wohl einem der Erzähler ein Irrtum unterlaufen. Es läßt sich aber leicht erraten, auf welches Ereignis angespielt wird: Kaiser Ferdinand II. war in dieser Epoche im Zuge der Gegenreformation von den Protestanten in der Wiener Hofburg gefangengehalten worden. Das war 1619 und wird die wohl gemeinte Jahreszahl sein. 1620 wurden die Aufständischen in der »Schlacht am Weißen Berg« geschlagen, und das angesprochene Jahr 1621, in dem Kaiser Ferdinand II. seinen konfessionell begründeten Absolutismus schon durchgesetzt hatte, ist hauptsächlich wegen des von ihm verfaßten Testamentes von Bedeutung: Er hat darin für die Familie die Primogenitur und die ungeteilte Erbfolge festgelegt.

Im Jahr 1740 starb der letzte Habsburger, Kaiser Karl VI., und seine älteste Tochter Maria Theresia mußte als seine Amtsnachfolgerin – völlig unvorbereitet und von kaum einer europäischen Macht als Regentin anerkannt – das außerordentlich schwere Erbe antreten.

1809 nahm Kaiser Napoleon I. Wien ein.

Schließlich ist das Jahr 1866 durch die für Österreich verheerend endende Schlacht bei Königgrätz in die Geschichte eingegangen.

*) »J’ai rencontré … (unleserlich) fois l’impératrice Eugénie, dans les 20 dernières années de sa vie. Elle m’honorait de sa confiance, dont j’ai publié quelques précieux témoignages sous le titre: ›Les entretiens de l’impératrice Eugénie‹ (1928). Elle m’a souvent parlé de l’impératrice Elisabeth, pour … (unleserlich) une chaude sympathie, pleine d’admiration, d’indulgence et de pitié. Le lui ai du aurai beaucoup de renseignements ou d’apercus révé… sur les pensées intimes, la nature profonde, la vie secrète et compliquée de sa douloureuse amie. C’est donc par les … (unleserlich) de l’impératrice Eugénie j’ai eu d’abord l’image d’Elisabeth se dessiner devant moi. Des nombreux documents que j’ai consulté plus tard, m’ont permis de préciser, d’accentuer cette image première, ils ne l’ont jamais contredite.« (handschriftliche Kopie des französischen Originaltextes von Maurice Paléologue) – Das Buch über Kaiserin Eugénie ist im Jahr 1928 auch in einer deutschen Ausgabe unter dem Titel ›Vertrauliche Gespräche mit Kaiserin Eugénie‹ erschienen.

*) »Es gibt nämlich keinen Unterschied, überhaupt keinen, zwischen dem Gespenst eines Lebendigen, eines Sterbenden und eines Toten. Und Sie haben richtig gelesen, wir sind alle Gespenster! Von Adams Fleisch verhüllte Geister, und eines Tages fällt dieses Fleisch von uns ab. Wir aber, denkende und fühlende persönliche Wesen, bleiben dieselben. Mit all unseren Hoffnungen, Ängsten, Problemen.« (Ingrisch, S. 53f.)

Die Habsburger und das Übersinnliche

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