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Einbruch mit Todesfolge
Оглавление"Halt! Keine Bewegung!" Durchdringend und befehlsgewohnt, schallte die Stimme von Mac Gregory durch den abgesicherten Raum. Das gelbschwarze Absperrband an der Tür hatte nicht für Hunter gegolten, der sich von kleinen Nummerntäfelchen umzingelt innerhalb der Markierungen aufhielt. Abrupt hielt er, auf einem Bein stehend, gleich einem Seiltänzer mitten in der Bewegung inne. Das andere schwebte in der Luft, über dem Kopf der toten Misses Mac Clary. Um sein Gleichgewicht ringend, sah er den Befehlsgeber unsicher an.
"Wenn sie schon hier durch müssen, dann ziehen sie gefälligst Häubchen über die Schuhe!", schimpfte dieser. Er kam mit zwei Papierüberziehern auf Hunter zu und streifte einen davon über dessen schwebenden Fuß. Den zweiten hielt er dem Polizeibeamten mit strengem Blick entgegen.
"Das nächste Mal überlegen sie sich besser vorher, ob sie unbedacht über eine Leiche steigen", riet O'Connell, der mit leicht amüsiertem Blick am Türpfosten lehnte. Der Mann mit den Überziehhäubchen fing an zu lächeln und lief freudig auf den Inspektor zu. Als hätte eine Verwandlung mit ihm stattgefunden, sah man auf seinen Zügen nicht das geringste Anzeichen der Verärgerung, die vor Sekunden noch in seinem Gesicht geschrieben stand. Hunter kannte keinen Menschen, der mit dieser Geschwindigkeit den Gemütszustand wechselte, wie Mac Gregory und blickte ihm verdutzt hinterher. Richard Hunter vermutete eine gespaltene Persönlichkeit bei Mac Gregory, die so unterschiedlich sein konnte, wie zwei Seiten einer Münze.
"O'Connell! Gut, dass sie da sind. Endlich ein Mann mit fachlicher Kompetenz zwischen diesem Sauhaufen. Sie benehmen sich wie eine Horde wilder Büffel, die jeden Tatort in ein Schlachtfeld verwandelt." Hunter erntete einen abfälligen Blick von dem Spurensicherungsfachmann. Schuldbewusst streifte sich dieser gerade das zweite Häubchen über den Schuh. Der Mann von der Spurensicherung seufzte hörbar. "Man könnte meinen, sie hätten mit der Ausbildung gerade erst angefangen." Für O'Connell war klar, wen er mit "sie" meinte. Der Inspektor hatte keine Lust sich mit ihm über die Tollpatschigkeit von Hunter zu unterhalten und so lenkte er das Gespräch auf den Tatbestand, wegen dem er gekommen war.
"Was exakt liegt hier vor?" Mac Gregory machte eine Bewegung mit dem Arm, die den Inspektor mit ihm ein paar Schritte aus dem Raum führte.
"Einbruch mit Todesfolge, grob definiert", eröffnete er ihm, als sie den Flur betreten hatten. "Ein Jammer, wenn man bedenkt, dass sie sich gar nicht hier aufgehalten haben sollte."
"Wie meinst du das?" O'Connells fragender Blick traf den Spurensicherungsfachmann.
"Laut den Nachbarn hatte sie Mittwochs immer ihre Bridgerunde", erläuterte dieser.
"Und was wurde gestohlen?"
"Das siehst du dir am Besten selbst an. Wenn ich es dir erzähle, befürchte ich, du glaubst mir nicht." Er führte O'Connell in den hinteren Teil des Erdgeschosses. In einer seltsamen T-Form angelegt, zog sich der Flur von der Haustür bis an die Rückseite des Hauses, wo er mit seinen Abzweigungen links und rechts an der Außenmauer entlang führte.
"Eine außergewöhnliche Zimmeraufteilung und der Flur - soviel toter Platz", bemerkte O'Connell. Der Mann von der Spurensicherung, dessen Namen sich der Inspektor nicht merken konnte, nickte zustimmend.
"Ich musste sofort an ein Mühlespiel denken, als ich ihn gesehen habe."
"Mich erinnert er irgendwie an eine Mausefalle", erwiderte der Inspektor. Am Ende angekommen, deutete Mac Gregory um die Ecke. Ein Loch in der Wand ergab einen Durchgang ins Freie, wo ein Fenster hätte sitzen sollen.
"Was fehlt hier eindeutig?", fragte er den Inspektor. O'Connell sah ihn verdutzt an.
"Ein Fenster?"
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Es hatte alles ganz harmlos angefangen. Der erste Anruf wurde für einen Witz gehalten. Einzig und allein die Pflicht, eine Einbruchsanzeige zu untersuchen und aufzunehmen, hatte O'Connell zum Haus der O'Neills geführt. Die Verglasung der Terrassentür war eingeschlagen worden, die Kissen der Couch entwendet. Der Inspektor hatte ein zweites Mal nachgefragt, so unglaublich klang die Angabe der gestohlenen Gegenstände. Eine weitere ungewöhnliche Meldung traf wenige Tage später ein. Ein Kellerfenster war zerstört worden und O'Connell machte sich auf den Weg zu den Mac Ryans. Ein Fall von Vandalismus, wie er hoffte. Nichts schien zu fehlen, nur der Schaden an dem Fenster war festzustellen, bis der kleine Sohn beharrlich behauptete, in sein Zimmer wäre auch eingebrochen worden. Tatsächlich fehlten dort zwei Kuscheltiere. Auf der Kommode, auf der weitere Plüschtiere saßen, waren gut erkennbar zwei Plätze frei. Der Inspektor ermahnte den Jungen, die Polizei nicht anzulügen, doch er blieb bei seiner Behauptung. Auch die Eltern konnten sich nicht erklären, wo das Spielzeug des Kindes abgeblieben war. Sie redeten ihrem Sohn ins Gewissen, was an dem Ergebnis nichts änderte.
"Kissen und Teddybären", murmelte der Kriminalist kopfschüttelnd, als er wieder in sein Auto stieg.
Eine Woche darauf wurde er zu den O'Keefes gerufen, weil man ihnen eine Statue der Venus aus dem Garten gestohlen hatte. Ein billiges Imitat aus Kunstharz, dessen Wert ausschließlich emotionaler Art war. Valerie O'Keefe, ließ diesen Emotionen während der Befragung freien Lauf und beschimpfte den unbekannten Dieb, als Entführer und Kunstbanausen. Später, neben Hunter im Wagen sitzend, hatte dieser den Inspektor breit grinsend angesehen.
"Sie wartet nicht ernsthaft auf eine Lösegeldforderung, oder?" O'Connell warf ihm einen verzweifelt wirkenden Blick zu. Er kannte die Frau aus verschiedenen Anzeigen in der Vergangenheit.
"Doch, ich befürchte, genau das tut sie."
Der Inspektor rätselte seit geraumer Zeit, wann der nächste Einbruch stattfinden würde, über den sich die Lokalpresse das Maul zerreißen konnte. Seine Befürchtung, die regionalen Zeitungen würden die Entführung der Venus in den Schlagzeilen führen, bewahrheitete sich einen Tag später. Es war zum in die Themse springen, weil die Diebe Dinge stahlen, mit denen kein normal denkender Krimineller etwas anfangen konnte. Als Beute eines Einbruchs waren sie einfach nicht geeignet.
Dann eine erneute Meldung. Eine Tote. Der Name des Opfers war Magan Mac Clary. Es war ein makaberer Gedanke gewesen, doch in O'Connell keimte kurz die Hoffnung auf, es könne sich um ein "normales" Verbrechen handeln.
Die Spurensicherung war frühzeitig vor Ort eingetroffen und arbeitete bereits am Tatort. Hunter wurde vorausgeschickt, um erste Eindrücke zu sammeln. Der Frischling hing O'Connell am sprichwörtlichen Rockzipfel. Der Inspektor war froh gewesen, ihn für einige Momente nicht in seiner Nähe zu haben. Die Anhänglichkeit, die sein Untergebener in der letzten Zeit an den Tag legte, ging ihm enorm auf die Nerven. Das war der Hauptgrund, warum er sich mehr Zeit als nötig ließ, um an den Tatort zu gelangen. Richard Hunter hatte sich vor Ort umgesehen und erste Indizien gesammelt. Es gab viele Parallelen zu den vorangegangenen Fällen. Keine verwertbaren Spuren, kein Hinweis auf den Täter. Nur das Gewicht des gestohlenen Gegenstandes ließ vermuten, dass es sich unter Umständen um zwei Männer gehandelt haben könnte. Der Kriminalbeamte saß an seinem Schreibtisch und besah sich die Sammlung von Blättern über diesen Fall. Wenige Seiten befanden sich bislang zwischen den Kartondeckeln der Akte. Die Leiche lag noch bei Tim Carter in der Obduktion. Er würde warten müssen, bis er die Ergebnisse von ihm in Händen hatte. Vorher machte es keinen Sinn sich weiter damit zu beschäftigen.
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"Schrecklich, diese dauernden Einbrüche. Eine richtige Serie, die sich durch Dublin zieht", bemerkte Bernard. Der Anwalt faltete die Zeitung sorgfältig wieder zusammen und legte sie auf den kleinen Beistelltisch in der Bibliothek.
"Schon wieder ein Einbruch?", fragte John und blickte von dem Gedichtband auf, in dem er bereits die letzten Abende geblättert hatte. "Obwohl ich es nicht ernsthaft als Einbruch bezeichnen würde, wenn ich mir das Diebesgut ansehe." Skeptisch blickte er zu seinem Freund, der ihn über den Inhalt des Artikels im Groben informiert hatte.
"Willst du es trotzdem lesen?" Er hielt ihm die Informationsquelle hin. John griff danach, legte sein Buch zur Seite und lehnte sich wieder in seiner Chaiselounge zurück.
"Es ist schon der vierte, innerhalb von drei Wochen." Murmelnd schlug er das Blatt auf.
"Seite fünf", informierte Bernard seinen Freund. Dann stand er auf und ging aus der Bibliothek. John las in der Zeitung über den Einbruch. Er war ebenso seltsam, wie die anderen zuvor. Die Diebe stahlen ungewöhnliche Dinge, aus den verschiedensten Häusern. Reich, oder arm, Eigentums-, oder Mietswohnung, der Status schien für die Täter keine Rolle zu spielen. Bei einem der Opfer wurden die Kissen aus dem Wohnzimmer gestohlen, bei einem anderen fehlten nach dem Einbruch die Kuscheltiere des Sohnes. In einem der "besseren Häuser" Dublins wurde die Statue der Venus aus dem Garten entfernt.
"…scheint es sich zwangsläufig um eine Horde Verrückter zu handeln. So wurde bei dem letzten Einbruch ein Bleiglasfenster auf der Rückseite des Hauses entwendet. Die Polizei tappt wie üblich im Dunkeln und ist unfähig die Bevölkerung von derlei unsinnigen Raubattacken zu beschützen…"
"Wer zur Hölle klaut ein Fenster?", murmelte John.
"Das habe ich mich auch schon gefragt." Mit frisch gebrühtem Kaffee stand Bernard in der Tür. "Demnächst muss ich noch eine Kette mit Vorhängeschloss um den Kühlschrank anbringen. Nicht, das diese Witzbolde den klauen."
"Keine Sorge. Soweit ich feststellen kann, sind die Diebe nur an gepolsterten, oder scheinbar kunstvollen Gegenständen interessiert. Dein Kühlschrank dürfte somit sicher sein", lachte John. "Wenn ich du wäre, würde ich lieber auf diese scheußliche Ming-Kopie-Plastikvase aufpassen, die du im Küchenfenster stehen hast."
"Die ist nicht scheußlich!", protestierte Bernard. "Das ist die Nachbildung einer echten Ming Vase! Und sie ist ein Kunstwerk", fügte er leicht beleidigt hinzu.
"Habe ich das nicht gerade gesagt?", fragte Rickert frotzelnd.
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Charles Mac Clary nickte seiner Schwester Lily wissend zu. Der Priester sprach Worte aus der Bibel, die er für passend erachtet hatte, denen allerdings niemand der anwesenden Trauergäste zuhören wollte. Es herrschte höfliches Schweigen, dennoch sah man ihnen an, dass der Tod der alten Frau sie nicht sehr zu belasten schien. Ungefähr die Hälfte des Mac Clary Clans befand sich auf dem Friedhof, während der andere Teil der Sippschaft komplett mit Abwesenheit glänzte. Schon lange hatte sich die Familie in zwei Gruppen gespaltet, die sich untereinander nicht einmal vertragen könnten, wenn man sie dafür bezahlen würde. Die Trauerfeier selbst, würde aufgrund des fehlenden Familienteils friedlich verlaufen. Mehr konnte man nicht von ihnen erwarten. Ginge es später um die Verteilung des Erbes, gäbe es noch genug Streit. Lediglich Emily O'Sullivan, die Tochter seines verstorbenen Onkels, hatte sich an das Grab gewagt. Sie war die einzige Person in Charles Augen, die schlicht in die falsche Hälfte der Verwandtschaft geboren worden war. Es begann zu Regnen und schwarze Schirme spannten sich, um ihre Besitzer vor der herabfallenden Nässe zu schützen. Magan Mac Clary war tot und nur der Himmel weinte.
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Beethovens Neunte schallte durch den gekachelten Raum, über die liegenden Leichen hinweg. Tim Carter befand sich in dem angrenzenden Kämmerchen, um sich das Blut von den Händen zu waschen. Trotz der Einweghandschuhe schaffte er es immer wieder, sich dennoch einzusauen. Es schnalzte, als er die Latexhandschuhe herunter zog. Laut pfiff er die Melodie aus dem CD-Spieler in der Halle mit. Inspektor O'Connell stand direkt hinter dem Kollegen, als dieser sich umdrehte.
"O'Connell! Meine Güte, wollen sie, dass ich mich neben meine Kundschaft legen muss?" Mit noch nassen Händen, griff er sich geschockt an die Brust.
"Habe ich dich erschreckt?" Schelmisch grinsend sah er ihn an.
"Natürlich hast du das! Ich bin auch nicht mehr der Jüngste", hielt Carter entgegen und drückte sich an ihm vorbei, um sich abzutrocknen.
"Ich finde es ein bisschen seltsam, dass dich überhaupt noch etwas erschrecken kann. Bei den vielen Leichen und Todesarten, die du jeden Tag siehst. Eigentlich müsstest du ein harter Hund sein." O'Connell stichelte scherzhaft weiter und Tim stieg in das Spielchen mit ein.
"Inspektorchen, du bist mit Sicherheit hier, weil du etwas Bestimmtes wissen willst", vermutete er. "Und, wenn dem so ist, dann solltest du nett zu mir sein. Anderen Falls darfst Du gerne auf den offiziellen Bericht warten, der, sagen wir mal, nicht vor zwei Stunden, auf deinem Schreibtisch liegen wird."
"Ich werde brav sein, versprochen." Breit grinsend, kreuzte der Inspektor gut sichtbar die Finger.
"Dann mal raus damit. Welche Information brauchst du denn?"
"Es geht um den Mac Clary Fall. Die alte Dame."
"Oh! - Ja, der ist allerdings interessant!"
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"O'Connell!" Johns erstaunter Ausruf bezog sich auf den großen Mann, der in diesem Moment seine Detektei betrat. Der Inspektor schenkte ihm einen musternden Blick, während er die Tür hinter sich zu zog.
"Was machen sie denn hier? Wollen sie ihre Frau beschatten lassen?", fragte er frech.
"Guten Morgen, Rickert. Ich freue mich auch, sie zu sehen."
"Ähm, ja. Guten Morgen."
"Sie haben nicht eventuell einen Augenblick Zeit für mich?", setzte der Kriminalbeamte an. John klappte die Akte zu an der er gearbeitet hatte und schob sie an den Rand seines Schreibtisches.
"Sie wollen mich doch hoffentlich nicht wieder verhaften?" Er grinste ihm entgegen. "Ich bin mir nämlich keiner Schuld bewusst."
"Dieses Mal nicht, Rickert", erwiderte der Inspektor und konnte sich ebenfalls ein Schmunzeln, in Erinnerung an den letzten Fall, nicht verkneifen. "Und dennoch, ich bin geschäftlich hier."
"Geschäftlich!" John zog die Augenbrauen hoch. "Dann nehmen sie doch erst einmal Platz." Mit einer Handbewebung über den Tisch hinweg, bot er seinem Gegenüber den neuen, bequemen Ledersessel an.
"Ich sehe, sie haben aufgerüstet." Bewundernd betrachtete er das Sitzmöbel, das den alten, wackeligen Plastikstuhl ersetzt hatte.
"Ja, das habe ich. Es musste sein. Der Alte war seiner Aufgabe - nicht mehr gewachsen." Johns Grinsen wuchs an, im Gedenken an den letzten Besatz der Sitzgelegenheit. Eine etwas voluminösere Dame hatte sich darauf niedergelassen, als das Möbel seinen Dienst quittierte. Die Zeit hatte ihm schon sehr zugesetzt und so brach er schnarrend und knackend, wie in Zeitlupe, unter der Klientin einfach zusammen. Zum Glück war nichts weiter passiert. Doch die Szenerie war so komisch gewesen, dass sie beide herzhaft gelacht hatten.
"Es wurde auch Zeit. Soweit ich mich erinnere, war er doch schon sehr marode", sagte O'Connell und ließ sich auf dem neuen Ersatz nieder.
"Sie haben sich also geschäftlich in meine Räumlichkeit verirrt?", lenkte John das Gespräch auf den Grund des Besuchs zurück. Es musste sich um eine verzwickte Sache handeln, wenn O'Connell ihn freiwillig und von sich aus aufsuchte.
"Nun ja, so ist es. Nur weiß ich nicht recht, wie ich beginnen soll", gestand er.
"Ich würde vorschlagen, mit dem Anfang." John lehnte sich zurück, setzte die Ellbogen auf die Armlehnen und ließ seine Fingerkuppen vor der Brust gegeneinander tippen. Inspektor O'Connell räusperte sich. Es war ihm sichtlich unangenehm, die Dienste des "Schnüfflers", wie er John insgeheim nannte, in Anspruch nehmen zu müssen, doch er wusste sich keinen anderen Rat.
"Sicher haben sie bereits die Artikel der hiesigen Zeitungen über die ungewöhnlichen Einbrüche in letzter Zeit verfolgt?", begann er sein Anliegen vorzutragen. O'Connell seine volle Aufmerksamkeit schenkend, nickte er ihm zu.
"Die Beute ist sehr ungewöhnlich", stellte John fest. "Für einen normalen Dieb."
"Ich denke, wir haben es hier nicht mit einem einfachen Diebstahl zu tun", warf der Inspektor ein. Er sah sein Gegenüber prüfend an, bevor er fortfuhr. "Es gibt da noch ein paar Kleinigkeiten, die nicht über die Presse an die Öffentlichkeit gelangt sind." Schuldbewusst wanderten seine Augen auf die Tischplatte und fixierten kurz die graue Pappakte darauf.
"Das dachte ich mir bereits. Sonst würden sie jetzt nicht vor mir sitzen."
"Rickert, sie wissen, was ich von Detektiven halte. Deshalb fällt es mir auch ehrlich gesagt schwer, sie in diesem Fall um Hilfe zu bitten." Es war nicht so, dass er John nicht mochte. Es war der Beruf, den er gewählt hatte und die, nicht immer legalen Methoden, welche Rickert zur Lösung seiner Fälle anwendete.
"Durchaus. Mir ist ihre Haltung, gegenüber in meiner Branche tätigen Personen, insbesondere gegenüber mir, bekannt." John musste schmunzeln. Insgeheim hörte er Bernard, wie er ihn wegen dieser affektierten Ausdrucksweise tadelte. "Und trotz ihrer Einstellung, haben sie den Weg hierher auf sich genommen." Sanft schaukelte John auf seinem Chefsessel, den er sich zusammen mit dem neuen Klientensessel gegönnt hatte, vor und zurück.
"Weil ich nicht weiterkomme."
"Wo genau liegt denn das Problem bei diesem Fall? Was wissen sie, was ich wissen müsste, um ihnen zu helfen?"
"Es gab eine Tote". platzte O'Connell heraus. Der Detektiv sah ihn erstaunt an.
"Eine Tote?" John pfiff kurz durch die Zähne.
"Magan Mac Clary, zweiundachtzig Jahre. Sie war die Eigentümerin des Hauses, in das zuletzt eingebrochen wurde." Der Inspektor machte eine Pause, um Rickerts Reaktion abzuwarten. John hatte aufgehört mit seinem Sessel zu wippen und hatte sich mit dem Oberkörper ein Stück nach vorne gebeugt.
"Darf man fragen, welche Ursache der Tod der alten Dame hatte?", forschte der Detektiv nach.
"Jetzt wird es kompliziert", fing O'Connell an. Er beobachtete Johns Gesicht, welcher ihn erwartungsvoll anblickte. "Es ist ein bisschen verzwickt. Also eigentlich nicht. Oder doch. Es ist nicht ganz einfach."
"Wenn es nicht einfach ist, dann ist es zweifach. Doppelt, sozusagen." Rickerts neue Leidenschaft lag in Wortspielereien, die ihn selbst enorm amüsierten. Auch, oder gerade wegen des Umstandes, dass sein Umfeld sie nicht immer verstand und seine Euphorie darüber nicht teilte. Der unbeholfene Gesichtsausdruck des Inspektors, der nicht viel mit der Äußerung anfangen konnte, bestätigte John, wieder einmal zu schnell gedacht zu haben.
"Zweifach. Also zwei Morde an einer Person", bemerkte er erklärend. "Sozusagen ein Doppelmord?" Es schien sein Gegenüber nicht zu beeindrucken. Der Kriminalbeamte sah ihn ernst an. Er verzog keine Mine, während John versuchte nicht mehr zu grinsen.
"So könnte man es ausdrücken", setzte der Inspektor das Gespräch fort. Er hatte beschlossen, die Spielerei des Detektivs zu ignorieren. Die ganze Angelegenheit war ihm zu ernst, um Witze zu machen. "In gewisser Weise haben sie mit dieser Aussage sogar den gesamten Fall erfasst. Es wurde ein Herzinfarkt festgestellt, an dem Magan Mac Clary letztlich gestorben ist. Da die Tote aufgrund des Einbruchs entdeckt worden war, wurde eine Obduktion durchgeführt. Es konnte eine nicht unrelevante Menge von Alkaloiden festgestellt werden." O'Connell machte eine Pause.
"Pflanzengift?" John überraschte den Inspektor mit diesem Wissen. Er selbst hatte bis vor wenigen Tagen nicht die geringste Ahnung gehabt, was Alkaloide waren, geschweige denn, wo diese Gifte vorkamen. "Dann wurde die Frau also vergiftet", stellte Rickert fest.
"So kann man das auch nicht nennen. Laut unserer Spezialisten war sie bereits tot, bevor sie der Wirkung des Giftes hätte erliegen können."
"Dann war es kein Mord?" Ein zweifelnder Blick traf auf Inspektor O'Connell. "Ein natürlicher Tod?"
"Zumindest gab es einen Mordversuch." Er machte erneut eine kleine Pause und beobachtete die Reaktion von Rickert. "Und auch mit Sicherheit einen Mörder, der ihn ausführen wollte. Die Frage ist nur, ob es etwas mit den Einbrüchen zu tun hat, oder nicht?"
"Wir haben also einen Mord, der kein Mord ist. Einzig aus dem Grund, weil das Opfer vorher starb. Und weil man Tote nicht ermorden kann, egal wie sehr man es auch versucht. Der Tod trat während, durch, oder aufgrund des Einbruchs ein?"
"So ist die Sachlage." Der Kriminalbeamte bestätigte Johns Zusammenfassung mit einem Nicken. "Es gibt noch ein paar Dinge, die den Fall verkomplizieren", fuhr er nach einer Minute des Schweigens fort.
"Tod durch Herzinfarkt, wahrscheinlich durch den Einbruch hervorgerufen und ein Mordversuch, dessen Wirkung etwas zu langsam war. Was könnte diese Konstellation noch verkomplizieren?" John, in dessen Kopf es bereits angefangen hatte zu arbeiten, hörte ihm aufmerksam zu.
"Neben den seltsamen Diebstählen, gab es anscheinend auch einen, der wirklich unter diesen Begriff fällt. Unser letztes Opfer, das ja verblichen ist, war im Besitz eines sehr wertvollen Colliers. Soweit die Information der Erben, die sich natürlich gewundert haben, wo das gute Stück abgeblieben sein könnte. Anfangs lag der Verdacht nahe, es wäre bei dem Einbruch gestohlen worden, doch dann wurde die Quittung eines Juweliers über genau dieses Stück gefunden. Magan Mac Clary hatte es versetzt. Das geschah drei Tage vor ihrem Tod. Eigentlich wäre dieser Punkt kein Problem, wäre jetzt nicht das Geld weg", eröffnete O'Connell ihm die Lage.
"Lassen sie mich das einmal auf den Punkt bringen." John lehnte sich wieder in seinem Sessel zurück und schloss die Augen. Seine Hände lagen ruhig auf den Lehnen, nur seine Finger zählten die Punkte mit.
"Wir haben, erstens, eine Reihe Einbrüche. Die Beute waren Kissen, Kuscheltiere – was war das danach?", fragte er und blinzelte den Inspektor an.
"Eine Statue der Venus. Es war der Einbruch bei den O'Keefes", half ihm O'Connell auf die Sprünge.
"Gut. Eine Statue also. Und dann noch ein Fenster", beendete John die Aufzählung des Diebesguts. "Wenn sie mich fragen, könnten das noch alles Dumme-Jungen-Streiche gewesen sein."
"Das Fenster war wertvoll. Es war ein Mosaikfenster aus buntem Bleikristall und hat bei der Größe bestimmt einmal über zweihundert Pfund gekostet. Zudem möchte ich bezweifeln, dass sich dumme Jungen mit einem solchen Gewicht herumplagen."
"Denken sie immer noch in Pfund?" Rickert war erstaunt. Er selbst hatte lange noch in der alten Währung gerechnet und es schließlich aufgegeben.
"Wenn ich mir die neusten politischen Entwicklungen ansehe, muss ich zugeben, ich habe wieder damit angefangen."
"Na gut. Lassen sie uns den Wert des Fensters als Grund zur Annahme nehmen, es seien ernsthafte Einbrüche. Auch, wenn ich bezweifle, dass der Schwarzmarkt für Kissen, Kuscheltiere, Gartenskulpturen und Bleiglasfenster gerade einen Boom erlebt." Grinsend zog John eine Augenbraue hoch. "Zweitens, eine alte Dame versetzt ein wertvolles Schmuckstück. An und für sich kein Verbrechen, aber ein Aspekt, den wir nicht außer Acht lassen können, da das Geld, das sie dafür erhalten hat, offensichtlich verschwunden ist." O'Connell nickte zustimmend. "Dann wäre da noch die Vergiftung von Magan Mac Clary. Ein Umstand, der nicht zwingend zu einem Einbruch passt."
"Zugegeben, es ist ungewöhnlich. Aber warum passt es ihrer Meinung nach nicht?"
"Was würde es bringen, eine alte Dame zu vergiften, bei der man einbricht?", stellte John eine Gegenfrage.
"Na, wenn sie den, oder die Einbrecher gesehen hat, dann kann sie keinen mehr identifizieren."
"Bis das Gift wirken würde, könnte sie die Polizei rufen. Oder einen Krankenwagen, oder alles miteinander. Zum anderen könnte sie es überleben. Nein. Das ist nicht die Art von Mord, die ein Mensch wählt, der raubt. Erschlagen, Erstechen, Erschießen, ja. Aber nicht mit Gift. Diese Variante ist zu langwierig und unsicher. Außerdem erfordert sie einiges an Vorbereitung. Man muss das Gift besorgen, sicher gehen, dass der Erwerb nicht zum Käufer zurückverfolgt werden kann. Dann die Verabreichung, und so weiter und so fort."
"Sie halten es also nicht für möglich, dass der Einbrecher die Frau vorab vergiften wollte?"
"Möglich ist in der Welt des Verbrechens beinahe alles. Doch warum sollte er ausgerechnet jetzt damit anfangen? Und wozu sich die Mühe machen und das Fenster von der Mauer entfernen, wenn doch genügend Geld als Beute da war?"
"Genau, was ist mit dem fehlenden Geld?" O'Connell setzte einen fragenden Gesichtsausdruck auf.
"Haben ihre Leute denn schon danach gesucht? Immerhin wäre es möglich, dass es sich noch in einem Versteck befindet. Alte Leute sind sehr erfinderisch, wenn es darum geht, ihre Ersparnisse zu bunkern", gab der Detektiv zu bedenken.
"Nicht direkt DANACH, aber das Team hat das komplette Haus auf den Kopf gestellt. Ich bin mir sicher, eine so enorme Summe wäre aufgefallen. Zudem wurden die üblichen Verstecke von alten Damen von den Erben inspiziert. Natürlich erst, nachdem das Haus von uns freigegeben wurde." Der Inspektor räusperte sich.
"O'Connell, dieser Fall fängt an, mich zu interessierten. Ich werde ihnen helfen, so gut ich kann. Besteht denn die Möglichkeit sich auf dem Grundstück und im Haus einmal umzusehen?"
"Natürlich. Sie können dort jederzeit hin. Haben sie denn schon eine Ahnung, wonach sie suchen müssen?"
"Nach den differences simultatem."
"Was soll das sein?", fragte der Inspektor verdutzt.
"Das ist Latein, O'Connell. Es bedeutet, die Gemeinsamkeit der Unterschiede. DAS - ist es, was wir finden müssen."
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