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C Strukturelemente einer Theorie sozialer Dienste

3 Sozialpolitische Entwicklungslinien

„Die moderne Entwicklung sozialer Hilfen, sozialer Kontrollen und sozialer Dienste lässt sich darstellen als Problemgeschichte der Spannungen und Vermittlungen zwischen den gesellschaftlichen Bewegungen und Vereinigungen sozialen Engagements und dem Souveränitätsanspruch sozialstaatlicher Verantwortung und Steuerung“ (PANKOKE 1981, S. 3).

„Hilfe im gesellschaftlichen Wandel“

Dabei sind individuelle und kollektive Unterstützungsleistungen für Bedürftige so alt wie die Menschheit selbst. Bedürftigkeit, die Hilfe nach sich zieht, meint klassisch existenzbedrohende Armut. Jedoch wandeln sich die Formen, Funktionen und Inhalte des Helfens im Laufe der gesellschaftlichen Entwicklung (vgl. LUHMANN 1973). Während zunächst wechselseitige Hilfe ohne organisatorischen Rahmen erfolgte, finden sich die Ursprünge der organisierten Unterstützungsleistungen in dem Almosenwesen des Mittelalters. Dabei basierte das Almosenwesen auf den stabilen Strukturen der Ständegesellschaft: Die Zugehörigkeit zu einem Stand erfolgte qua Geburt, wobei die Sozialstruktur jedoch durch erhebliche Unterschiede gezeichnet war (vgl. SACHßE/TENNSTEDT 1980, S. 25ff.). Armut war nach damaliger Auffassung ein gottgegebenes Phänomen, die Bettelei war ein anerkanntes Gewerbe, sodass an dem Zustand der Armut – im Gegensatz zu heute – nicht gerüttelt wurde. Die traditionelle Almosenpraxis, die auf der religiösen Weltanschauung beruhte, dass Armut gottgewollt und heilig war, diente sowohl den Armen als auch den Almosengebern, beiden wurde geholfen, den einen im Diesseits, den anderen im Jenseits. Zumeist waren die Almosen Stiftungen und Spenden wohlhabender Bürger, welche sich dadurch „himmlischen Lohn“ erhofften. Bei der Vergabe dieser Almosen spielte vor allem die Kirche eine zentrale Rolle, da ihr die Verteilung der Almosen oblag. Allerdings richtete sich diese Almosenpraxis nicht nach individuellen Notlagen,

„(…) sondern z.B. der Reihenfolge und Bedeutung kirchlicher Feiertage, an denen jedermann, der darum nachkommt, ein bestimmtes Quantum von Geld oder Naturalien verabreicht wird, solange der Vorrat reicht – unabhängig von der Art und dem Ausmaß seiner Notsituation“ (SACHßE/TENNSTEDT 1980, S. 29).

Erste staatliche Reaktionen

Bereits im 14. Jahrhundert wurden jedoch als eine Reaktion auf die Überlastung des Armenhilfesystems in vielen Städten Bettelordnungen erlassen, die erste ca. 1370 in Nürnberg. Systematisch lassen sich die in den Armen- und Bettelordnungen festgeschriebenen Veränderungen des Umgangs mit Armut in vier Prinzipien zusammenfassen: die Kommunalisierung, die Rationalisierung, die Pädagogisierung und die Bürokratisierung der Hilfen (vgl. SACHßE/TENNSTEDT 1980, S. 63ff.).

Kommunalisierung

Mit der Ansiedelung der Almosenvergabe bei den Gemeinden setzte ein Prozess der Verstaatlichung ein, damals noch Territorialstaaten, welcher mit dem „Übergang der Armenfürsorge von der Kirche als einer universellen, räumlich nicht begrenzten Institution auf die Gemeinde“ (SACHßE/TENNSTEDT 1980, S. 31) als öffentliche Einrichtung einherging. Die verstärkte Armutskonzentration in den Städten bedingte die Gewährung von Almosen lediglich für bereits ortsansässige Arme, und kann somit als ein Steuerungsmittel gegen den weiteren Zuzug von Bedürftigen gesehen werden. Grundlage war das Heimatprinzip von 1842, wonach nur ortsansässige Arme zu unterstützen waren (Kommunalisierung der Hilfe).

Rationalisierung

Neben der Kommunalisierung der Almosenpraxis unterliegt der Armutsbegriff einem Wandlungsprozess; es kommt zu einer Objektivierung des Armutsbegriffs. Es wird nunmehr zwischen arbeitsfähigen/-willigen und arbeitsunfähigen/-unwilligen Armen unterschieden. Somit stehen im Zentrum der Vergabekriterien die Arbeitsfähigkeit und der Arbeitswille der Betroffenen. Je nach Grad der Arbeitsfähigkeit und -willigkeit wurden Almosen zugewiesen. Tendenziell kann man zusammenfassen: „Wer arbeitsfähig war, verlor automatisch den Anspruch auf Almosen, wer teilweise arbeitsfähig war, erhielt auch nur teilweise Almosen“ (FISCHER 1981, S. 62). Damit wurden die Vergabe des Almosens und die Höhe der Zuwendung in Abhängigkeit zu bestimmten Vergabekriterien gebracht (Rationalisierung der Hilfepraxis).

Pädagogisierung

Gleichzeitig wurde die Vergabe von Almosen an die Einhaltung eines Katalogs von Verhaltensvorschriften gebunden, wie beispielsweise festgelegte Bettelorte und -zeiten, Arbeitsleistungen der Bettler als Austausch für Almosen, Verbot von Spiel und Alkoholgenuss, Verbot von Gotteslästerung und Kuppelei usw. Insgesamt ging es in den Armenordnungen um die Zurichtung der untersten Gesellschaftsschichten nach den Prinzipien einer disziplinierten Lebensführung. Kurz gesagt: Man wollte die Armen im Sinne der frühbürgerlichen Verhaltensnormen „umerziehen“ (Pädagogisierung der Hilfe).

Bürokratisierung

Kommunalisierung, Rationalisierung und Pädagogisierung ließen sich aber nur dann durchsetzen, wenn die Einhaltung der Normen durch die Einrichtung entsprechender Kontroll- und Verwaltungsinstanzen überwacht und gewährleistet werden konnten. Bettelvögte, Armengerichte und die spätestens im 16. Jahrhundert aufkommenden kommunalen Aufsichts-, Kontroll- und Disziplinarbehörden sind mithin als Instanzen einer Bürokratisierung des Verhältnisses von Armut und Hilfe zu verstehen. Mit dem Ausgang des Spätmittelalters hatte sich anstelle spontaner Gebefreudigkeit und als Antwort auf die als Bedrohung interpretierte Ausbreitung der Armut ein System der Normenproduktion und -kontrolle durchgesetzt, das in seinen Grundzügen bei den städtischen Unterschichten auf die Durchsetzung von rationalen Verhaltensformen abzielte und perspektivisch auf die – für die sich entfaltende monetäre Gesellschaft – notwendigen Orientierungen Arbeitsbereitschaft und Disziplin verwies. Man könnte auch formulieren: In den Städten des Spätmittelalters fand die Geburt der Sozialpolitik statt.

Ausfall privater Regulierung

Erste strukturelle Umbrüche, die die Ablösung der „christlichen Liebestätigkeit“ durch institutionalisierte Formen sozialer Hilfe forcieren, haben ihre Wurzeln im Zeitalter des Absolutismus. Der Zerfall vorbürgerlicher Subsistenzsicherungen, die weitgehende Entmachtung der Stände bei gleichzeitiger Förderung der wirtschaftlichen Interessen des Großbürgertums, die Kommerzialisierung des Besitzes von Grund und Boden sowie eine restriktive Wirtschafts- und Zollpolitik (Merkantilismus), kennzeichnen diesen Zeitabschnitt. Eine zunehmende Verelendung der Landbevölkerung war die Folge, die Vergabe von Almosen wird problematisch und lässt das bisherige Almosensystem an seine Grenzen stoßen. Für das Phänomen werden erstmals Begriffe gefunden und in der zeitgenössischen Literatur verbreitet: ,Pauperismus‘ und ,Proletariat‘ verweisen auf die Notwendigkeit einer organisierten Bearbeitung der sozialen Frage.

Geburtsstunde Sozialer Arbeit

Hier liegt dann auch sozusagen die Zeugung der Sozialen Arbeit, wohingegen die eigentliche Geburtsstunde auf den Übergang in das 20. Jahrhundert terminiert werden kann. Erst dann handelt es sich bei der Sozialen Arbeit um sozialpolitisch systematisch initiierte Leistungen, denen in ihren Anfängen vor allem die kompensatorische Bearbeitung problematischer Folgeerscheinungen der Industrialisierung oblag. Soziale Arbeit wurde als die Antwort auf soziale Probleme gesehen. Damit ist fürsorgerische Hilfe

„ein Bestandteil der Politik, d.h. auch ihre Zielsetzung kann nicht unabhängig sein von den allgemeinen Zielsetzungen der Politik der Gesamtheit, die sich wieder ergeben aus dem Zusammenspiel und dem Widerstreit der politischen Kräfte in einem Staat“ (SCHERPNER 1962, S. 131).

Sozialpolitik und Sozialpädagogik

Und genau hier liegt die Spannung zwischen der Sozialpolitik des Staates und der Sozialpädagogik. Nichtsdestotrotz hat fürsorgerische Hilfe eine

„Sonderfunktion, […] nämlich die Wiedereingliederung der aus der Gemeinschaft sich lösenden Glieder“ (ebd.).

Da sich Gemeinschaften bzw. Gesellschaften jedoch in ständiger Veränderung befinden, wirkt sich dies auch auf die Formen des Helfens aus. Viele gegenwärtig heftig umstrittene sozialpolitische Themen werden so erst in historischer Reflexion verständlich. Somit ist die fürsorgerische Hilfe (dies gilt in gleichem Maße für die heutige Soziale Arbeit) auch immer abhängig von „Wertanschauungen, die das Leben der Gesellschaft regeln“ (SCHERPNER 1962, S. 133). Oder anders ausgedrückt: Letztendlich spielen auch immer sozio-kulturelle Paradigmen eine wesentliche Rolle. Damit sind kulturelle Traditionen, das Entscheidungsverhalten politischer Institutionen, aber auch Eigeninteressen gesellschaftlicher Großverbände (z.B. Kirchen) sowie politische Rechtfertigungsideologien, kulturelle Normen und Werthaltungen hervorzuheben. Wie sich dies in den einzelnen Epochen bis zum gegenwärtigen Zeitpunkt darstellt, unterliegt den wirtschaftlichen, gesellschaftlichen und (sozial-)politischen Wandlungsprozessen.

Einführung in die Theorie der Sozialpädagogischen Dienste

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