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Kapitel 3

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Purinis Büro hatte für Tull ein Zimmer gebucht in einem kleinen Hotel in Varoš, einem Stadtteil etwas außerhalb der Altstadt. Wobei auch Varoš einige Hundert Jahre alt war. Im einstigen Fischerviertel gab es Natursteinhäuser, enge, verwinkelte Gassen und überraschende Treppchen. Obwohl nicht ganz so überlaufen wie der Stadtkern, herrschten reges Leben und Treiben. Jetzt, am späten Nachmittag, saßen Mengen von Menschen vor den zahlreichen Konobas, rustikalen Restaurants, und ließen es sich gutgehen.

In dem ganzen Trubel war das Hotel eine Oase: Es erstreckte sich über mehrere ruhige, alte Gebäude, die über Wanddurchbrüche miteinander verbunden waren. Enge Flure wechselten sich ab mit großzügigen Loggien und begrünten Innenhöfen, in denen Brunnen plätscherten. „Nichts für Behinderte“, dachte Tull, während er sein Gepäck über Schwellen, Stufen und durch verwinkelte Gänge schleifte. Sein überraschend großes Zimmer lag hoch oben, und vom Dachbalkon aus konnte er den Blick über das alte Stadtviertel bis zum Hafen schweifen lassen. Im Gegensatz zum urwüchsigen Charakter des Gemäuers war das Mobiliar bewusst modern gehalten, und das Badezimmer prunkte in großflächigen grauen Steinfliesen und Chromarmaturen.

Tull duschte und beschloss, noch einmal an die Riva zu gehen. Vielleicht hatte Tanja Bilić ja recht gehabt, und er sollte sich in eines der Cafés dort setzen, um ein Glas Wein zu trinken. Besser jedenfalls, als hier auf seinem Hotelzimmer zu brüten – auch wenn die Aussicht von der Terrasse unbezahlbar war, im milder werdenden Licht des frühen Abends, das die Dächer immer wärmer glänzen ließ, während weit entfernt, kurz bevor die Rot- und Beigetöne der Stadt abrupt ins Blauschwarz des Hafenwassers wechselten, eine Reihe Palmwipfel winkte.

Das Auto ließ er stehen. Der kurze Spaziergang tat ihm gut. Die Hitze war nicht mehr so drückend; eine leichte Brise strich durch die Gassen. Sie trug den Geruch des nahen Hafens heran: Meerwasser, Algen, Fisch, auch Öl und – Split war eine Großstadt – Abwässer. Er ging vorbei an den bonbonfarbenen Neorenaissancefassaden der Prokurative und der eleganten Promenade an der Westseite der Altstadt, schlenderte zur Riva, versuchte, sich dem entspannten Rhythmus der Dalmatiner anzupassen: Ihnen eilte nicht der Ruf übergroßer Eile voraus. Angesichts des Wetters war das zu verstehen – zumindest während der warmen Jahreszeit.

In der Dämmerung war die Hafenpromenade taghell beleuchtet, und aus den Cafés, die sich dicht an dicht aneinander reihten, klangen Musik und Stimmen. Tull fand einen freien Tisch, sogar in bester Lage, studierte kurz die Karte und bestellte ein Glas Weißwein. Um ihn herum herrschte das Stimmengewirr eines sommerlichen Badeorts: Neben der Landessprache Kroatisch viel Englisch, Deutsch, aber auch Französisch, Italienisch, Polnisch und Tschechisch. Familien, die jetzt, gegen Ende der Saison, noch Urlaub machen konnten, ältere Ehepaare, junge Leute – alles wild durcheinander. Derweil spielte sich direkt vor ihnen, auf der Promenade, das Abendschauspiel ab, das zu jedem Ort am Mittelmeer gehört: „Man“ ging langsam auf und ab, junge Frauen gerne im Minirock, sorgfältig frisiert und geschminkt; „man“ hielt ein Auge auf Bekannte, begrüßte Freunde. Großmütter unterhielten Kinder, die nicht still in der Karre sitzen wollten, Geschäftsleute lenkten unauffällig das Gespräch mit einem zufällig getroffenen Bekannten auf ein Thema von gemeinsamen Interesse, ein paar Teenager kickten einen Ball, Jugendliche hielten Ausschau nach dem neuesten Schwarm. Das alles begann am frühen Abend, dauerte eine Stunde oder zwei, dann ging „man“ nach Hause zum Essen, und ein Teil kehrte später zurück, um an der Riva noch einen Kaffee zu trinken – wobei „man“ sich stundenlang um den Preis eines Espresso auf bequemen Lounge-Sesseln fläzen oder auf eleganten Caféstühlchen quälen durfte.

Inmitten der Menschen entdeckte Tull auf einmal die blonde Kommissarin, Saša Martinić. Sie hatte die strenge Geschäftskleidung vom Nachmittag abgelegt und durch ein leichtes Kleid ersetzt. Es ließ keine Zweifel an zwei Punkten: Erstens, Martinić hatte bemerkenswert wohlgeformte Beine. Zweitens, sie war auch sonst gut gebaut. „Wenn sie auch noch freundlich wäre…“, dachte Tull. Aber da schien wenig Hoffnung zu bestehen. Ihre starren Froschaugen hatten ihn förmlich durchbohrt. Und dann diese dauernden Sticheleien!

Die Kommissarin hatte ihn ihrerseits gesehen und steuerte zu seiner Überraschung auf Tullius zu. Vielleicht hatte sie ihn ja gesucht – es bedurfte keiner besonderen kriminalistischen Intuition, einen ausländischen Besucher um diese Zeit an der Riva zu vermuten. Oder sie hatte sein Handy triangulieren lassen. Tull hatte gelesen, dass man über das Mobiltelefon den Aufenthaltsort eines Menschen ziemlich genau feststellen konnte. Aber so etwas war vermutlich ohne richterlichen Beschluss ziemlich illegal… Jedenfalls trat Martinić an seinen Tisch.

„Guten Abend, Herr Römer. Darf ich mich kurz zu Ihnen setzen?“

Tull deutet an, aufzustehen und ihr einen Stuhl zurecht zu rutschen. „Bitte schön.“

Sie ließ sich nieder und überkreuzte die Beine. Ihre Gestik war offen, wenn auch eindeutig sachorientiert. Trotz kurzen Kleids und langer Beine keine Aussicht auf einen Flirt. Immerhin, sie lächelte – sogar die Augen schienen auf einmal freundlicher.

„Was haben Sie denn Schönes gemacht seit unserer fruchtbaren Unterhaltung heute Nachmittag?“ Eine geballte Ladung Ironie, abgefeuert ohne Vorwarnung. Ging das schon wieder los mit den Sticheleien?! „Ich habe die umfassenden Informationen analysiert, die Sie uns gegeben haben.“ Tull konnte auch austeilen.

Martinić lächelte säuerlich. „Ihnen ist schon klar, dass Sie keinen Anspruch auf meine Auskünfte haben?“

„Und Ihnen ist schon klar, dass die deutsche Regierung es komisch finden könnte, wenn die eines EU-Partners und NATO-Verbündeten sich zum Verschwinden eines deutschen Staatsangehörigen so demonstrativ zugeknüpft zeigt?“ ‚Holla!‘ dachte Tullius. ‚Ich muss aufpassen, was ich sage. Ich bin schließlich kein Regierungsvertreter. Wenn ich nicht aufpasse, verhaftet die Kommissarin mich umgehend als Hochstapler‘.

Aber Martinić machte keine derartigen Anstalten. Sie versuchte vielmehr abzuwiegeln. „An diesem Punkt waren wir schon heute Nachmittag. Das bringt uns nicht weiter.“

Sie beugte sich ein wenig vor. „Haben Sie ein Handy dabei?“ Tull nickte. Sie öffnete ihre Handtasche. Tull konnte einen Blick auf Handschellen und den Griff einer Pistole erhaschen. Diese Polizistin meinte es ernst! Sie zog aber nur ihrerseits ein Mobiltelefon heraus und legte es mit dem Mikrofon nach unten auf das Kissen des freien Stuhls ihr gegenüber. Sie blickte ihn auffordernd an, und Tull tat dasselbe mit seinem Handy. Martinić deckte das Rückenkissen darüber. „Handys eignen sich hervorragend zum Abhören“, erläuterte sie. „Sie einzupacken und möglichst in einer Umgebung mit vielen Hintergrundgeräuschen zu sprechen, reduziert diese Gefahr. Ich dachte, dass sei dem Botschaftspersonal geläufig.“

Tullius zog es vor, nichts zu erwidern.

Martinić beugte sich zu ihm. Sie sprach jetzt leiser. „Ich weiß, dass Sie nicht von der Botschaft sind.“

„Ich…“, setzte Tullius mit einer Erklärung an. Martinić unterbrach ihn. „Sie sind ein freiberuflicher Sprachlehrer, Übersetzer und Gelegenheitsdolmetscher.“ Sie unterbrach sich kurz. „Keine Sorge, das ist nicht verboten! Die Kollegen in Zagreb haben nichts gegen Sie vorliegen. Ich habe sie gefragt – das versteht sich.“ Sie grinste überlegen, setzte sich zurück. Dann fuhr sie fort: „Offenbar hat die Botschaft Sie angeheuert. Ich finde das seltsam. Jedermann hier kann nachvollziehen, dass die deutsche Botschaft sich für diesen verschwundenen Schönherr interessiert. Immerhin ist er deutscher Staatsangehöriger und obendrein ein erfolgreicher Geschäftsmann… Warum kümmert die Botschaft sich nicht selbst um den Fall? Warum nicht wenigstens Konsul Purini? Deutschland muss einen Amateur vorschicken? Das ist doch nicht normal. Will sich die Botschaft womöglich von Schönherr distanzieren?“

„Ich glaube nicht…“ warf Tullius ein. Erneute unterbrach ihn die Kommissarin. „Und dann gibt es noch etwas Seltsames: Meine Vorgesetzten sind ausgesprochen nervös. Dieser Fall sollte Routine sein. Eine Vermisstenanzeige – mein Gott, die gibt es tagtäglich, und in den allermeisten Fällen taucht der Gesuchte wieder auf. Sie glauben gar nicht, wie oft wir bei einer Routinekontrolle auf jemanden stoßen, der als vermisst gemeldet ist, und der nach seiner Rückkehr vergessen hat, die Polizei zu informieren, dass alles nur ein Missverständnis war…“

Tull hakte nach: „Und in diesem Fall ist das anders? Sie sagen, Ihre Vorgesetzten seien nervös?“

Die Kommissarin nickte. „Das will ich meinen. Der Bürgermeister scheint meinen Chef madig gemacht zu haben. Heute Vormittag, bevor Sie auftauchten, hat der mich zum Rapport bestellt, und heute am späten Nachmittag rief mich Pramac sogar persönlich an.“

„Pramac ist wer?“

„Der Bürgermeister. Ist beliebt in der Stadt. Er hat einiges für die Wirtschaft getan, gilt als effizienter Verwalter. Pramac hat politische Ambitionen; man sagt, er wolle Župan werden, so eine Art Gouverneur, oder vielleicht sogar Minister in Zagreb.“

„Möglicherweise hat er Angst, dass der Fall Schönherr sich nicht lösen lässt, und das auf ihn zurückfallen könnte?“ vermutete Tull.

Martinić war nicht überzeugt: „Dafür sollte Schönherr dann doch zu unbedeutend sein. Ich sage doch: Die Angelegenheit ist aus Polizeisicht reine Routinesache. Deswegen steige ich durch diese Aufregung nicht durch: Mein Chef stellt mir Fragen, der Bürgermeister lässt sich von mir am Telefon über den Stand der Ermittlungen unterrichten, und Sie tauchen hier auf wie Gogols Revisor.“

Tull fuhr fort: „Was Ihren Vorgesetzten umtreibt, weiß ich nicht. Aber möglicherweise gibt es für das Interesse des Bürgermeisters eine ganz einfache Erklärung: Frau Bilić, also das Büro von Honorarkonsul Purini, wollte ihn anrufen, um einen Termin zu vereinbaren. Das hat sie getan, und vor der Begegnung wollte er sich von Ihnen auf den neuesten Stand bringen lassen.“

Martinić wiegte den Kopf. „Denkbar. Aber trotzdem ist mir die Welle zu groß für so ein kleines Schiffchen.“

Sie zögerte kurz. Dann fügte sie hinzu: „Sie sehen also morgen wahrscheinlich den Bürgermeister. Wenn Ihnen bei dem Termin mit Pramac etwas auffällt, wäre ich dankbar, wenn Sie mir…“ Sie unterbrach sich und setzte neu an: „…wenn wir vielleicht im Anschluss einen Kaffee trinken könnten.“

Tull nickte. „Gerne. Wenn Sie mir im Gegenzug auch mitteilen, was Sie in dem Fall Schönherr herausfinden.“

Die Kommissarin stand auf. „Das versteht sich. Ein Handel auf Gegenseitigkeit. Ich sehe Sie also morgen.“ Sie wühlte ihr Handy hervor, steckte es ein und ging.

Tull schaute ihr nach. Jetzt war sie doch ganz nett gewesen. Und ihr Anblick war nun wirklich einen Extrablick oder zwei wert!


Römer und der schöne Herr

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