Читать книгу Woyzeck - Georg Buchner, Georg Büchner - Страница 5
Beim Hauptmann
ОглавлениеHauptmann auf einem Stuhl; Woyzeck rasiert ihn.
Hauptmann. Langsam, Woyzeck, langsam; eins nach dem andern! Er macht mir ganz schwindlig. Was soll ich dann mit den zehn Minuten anfangen, die Er heut zu früh fertig wird? Woyzeck, bedenk Er: Er hat noch seine schöne dreißig Jahr zu leben, dreißig Jahr! Macht dreihundertsechzig Monate! und Tage! Stunden! Minuten! Was will Er denn mit der ungeheuren Zeit all anfangen? Teil Er sich ein, Woyzeck!
Woyzeck. Jawohl, Herr Hauptmann.
Hauptmann. Es wird mir ganz angst um die Welt, wenn ich an die Ewigkeit denke. Beschäftigung, Woyzeck, Beschäftigung! Ewig: das ist ewig, das ist ewig — das siehst du ein; nun ist es aber wieder nicht ewig, und das ist ein Augenblick, ja, ein Augenblick — Woyzeck, es schaudert mich, wenn ich denke, daß sich die Welt in einem Tag herumdreht! Was’n Zeitverschwendung! Wo soll das hinaus? Woyzeck, ich kann kein Mühlrad mehr sehn, oder ich werd’ melancholisch.
Woyzeck. Jawohl, Herr Hauptmann.
Hauptmann. Woyzeck, Er sieht immer so verhetzt aus!
Ein guter Mensch tut das nicht, ein guter Mensch, der sein gutes Gewissen hat. — Red Er doch was, Woyzeck! Was ist heut für Wetter?
Woyzeck. Schlimm, Herr Hauptmann, schlimm: Wind!
Hauptmann. Ich spür’s schon, ’s ist so was Geschwindes draußen; so ein Wind macht mir den Effekt wie eine Maus. (Pfiffig.) Ich glaub’, wir haben so was aus Süd-Nord?
Woyzeck. Jawohl, Herr Hauptmann.
Hauptmann. Ha! ha! ha! Süd-Nord! Ha! ha! ha! Oh, Er ist dumm, ganz abscheulich dumm! — (Gerührt.) Woyzeck, Er ist ein guter Mensch, — aber (mit Würde), Woyzeck, Er hat keine Moral! Moral, das ist, wenn man moralisch ist, versteht Er. Es ist ein gutes Wort. Er hat ein Kind ohne den Segen der Kirche, wie unser hochehrwürdiger Herr Garnisonsprediger sagt — ohne den Segen der Kirche, es ist nicht von mir.
Woyzeck. Herr Hauptmann, der liebe Gott wird den armen Wurm nicht drum ansehen, ob das Amen drüber gesagt ist, eh er gemacht wurde. Der Herr sprach: Lasset die Kleinen zu mir kommen.
Hauptmann. Was sagt Er da? Was ist das für eine kuriose Antwort? Er macht mich ganz konfus mit seiner Antwort. Wenn ich sag: Er, so mein’ ich Ihn, Ihn —
Woyzeck. Wie arme Leut — Sehn Sie, Herr Hauptmann: Geld, Geld! Wer kein Geld hat — Da setz einmal eines seinesgleichen auf die Moral in die Welt! Man hat auch sein Fleisch und Blut. Unsereins ist doch einmal unselig in der und der andern Welt. Ich glaub, wenn wir in Himmel kämen, so müßten wir donnern helfen.
Hauptmann. Woyzeck, Er hat keine Tugend! Er ist kein tugendhafter Mensch! Fleisch und Blut? Wenn ich am Fenster lieg, wenn’s geregnet hat, und den weißen Strümpfen so nachseh, wie sie über die Gassen springen — verdammt, Woyzeck, da kommt mir die Liebe! Ich hab auch Fleisch und Blut. Aber, Woyzeck, die Tugend! die Tugend! Wie sollte ich dann die Zeit herumbringen? Ich sag mir immer: du bist ein tugendhafter Mensch, (gerührt) ein guter Mensch, ein guter Mensch.
Woyzeck. Ja, Herr Hauptmann, die Tugend — ich hab’s noch nit so aus. Sehn Sie: wir gemeine Leut, das hat keine Tugend, es kommt einem nur so die Natur; aber wenn ich ein Herr wär und hätt ein’ Hut und eine Uhr und eine Anglaise und könnt vornehm reden, ich wollt schon tugendhaft sein. Es muß was Schönes sein um die Tugend, Herr Hauptmann. Aber ich bin ein armer Kerl!
Hauptmann. Gut, Woyzeck, du bist ein guter Mensch, ein guter Mensch. Aber du denkst zuviel, das zehrt; du siehst immer so verhetzt aus. — Der Diskurs hat mich ganz angegriffen. Geh jetzt, und renn nicht so; langsam, hübsch langsam die Straße hinunter!