Читать книгу Die Prinzessin und der Heilige - Georg Engel, Georg Engel - Страница 4
II
ОглавлениеFast ein Mond war verglommen, seit der Graf seinen Gutshof verlassen, und die Schlossherrin lauschte noch immer bangsam den Stimmen der Einsamkeit nach, als müssten ihr diese etwas Ungeahntes, mit Schrecken Bekleidetes zuflüstern. Allein nichts änderte sich in ihrem gleichmässigen Leben. Die Kinder sprangen und sangen um sie her, allmählich verstummten sogar ihre Fragen nach dem fremden Mann, der ihr Vater sein sollte, und wenn die junge Mutter häufig am Fenster lehnte, um mit geheimem Schauer ihren Blick zu der Fürstenburg zu erheben, wo sie das lebende Schicksal wohnhaft wähnte, dann wiesen die kleinen belustigt nach den Dachkappen und Zinnen des Kastells, weil sich um das graue Gemäuer sogar im hellen Licht des Tages Scharen von Raben und Krähen tummelten.
Sonst aber nahte sich der blonden Gräfin von dort droben nichts Unwillkommenes, ja der vielbeschäftigte Herzog selbst, obwohl er zur Befriedung und um des nötigen Aufbaus willen Tag und Nacht seine verwüsteten Lande durchstreifte, für das verlassene Weib blieb er unsichtbar, und nur durch seinen vertrauten Diener Jakob Pantak zeigte er sich gelegentlich bemüht, das Leid ihrer leeren Stunden mit den Gaben des Reichtums zu lindern. Bald schickte er ihr Wildbret von seinen Jagden, bald köstliche Früchte seiner Gärten, ja einmal vermochte es der demütige Sklave seines Herrn in der Tat, das Herz der Beschenkten heisser und leidenschaftlicher aufflammen zu lassen. Eines Morgens nämlich tönte ein Horn auf der Landstrasse, und als Adelheid wissbegierig an dem Ausguck des Gabunenhofes erschien, da sah sie, wie der Pantak sich dreimal vor ihr bis auf den Hals seiner Mähre neigte, während zwei berittene Söldner hinter ihm die gelben Fähnlein des Herzogs flattern liessen.
„Gute Kunde,“ rief der Hauptmann im Absteigen ehrerbietig der Erstaunten zu, und gleich darauf stand er vor ihr in demselben Gemach, in dem er vor kurzem des Hauses heiligste Flamme erstickt hatte. Jetzt aber glänzte sein fettes Antlitz vor Wohlwollen und Mitfreude.
„Edle Frau,“ keuchte er atemlos, indem er vor der Gräfin ein Knie bog, „der Herzog, unser gütiger Herr, lässt dauernd seine Gnade und sein Mitgefühl über dir leuchten. Hier schickt er dir etwas, von dem er meint, dass es dich köstlicher anmuten wird, als Kleinodien oder seidenes Gewand. Nimm, Huldreiche,“ strahlte er, „nimm. Es ist ein Brieftäfelchen deines Gatten. Die beiden Reisigen brachten es eben aus der fernen Stadt Danzig, wo dein Eheherr hochgeehrt auf seiner Fahrt ein Nachtlager bezogen. Inständig wünscht unser Fürst, das Schreiben möge nur Gutes für dich enthalten, und er empfiehlt sich dir in aller Gnade und Huld.“
Damit überreichte Swantopolks Bote in bewegter Hochachtung das verschnürte Wachsgebinde, und bevor die blonde Frau noch einen Dank finden konnte, hatte sich der Hauptmann bereits wieder tief vor ihr verbeugt, um die Erblasste darauf rücksichtsvoll dem Zusammentreffen mit dem fernen Schatten zu überlassen.
Kraftlos, zitternd, überglüht war die Überraschte auf die mächtige Lagerstatt gesunken, nun löste sie mit bebenden Fingern die Bastschnüre und senkte ihren Blick hungrig auf die bekannten Zeichen.
Es waren nur wenig Worte: „Adelheid, denke an mich, wie ich an dich. Dann verliert die Ferne und alles, was zwischen uns steht, seine Macht. Wie uns allen die Sonne strahlt, du Geliebte, so löst sich für die, die reinen Herzens, die Finsternis allemal in Licht. Denn das Gute und das Helle sind als eine weisse Wand erbaut, das Übel und die Sünde aber huschen nur als Schatten darüber hinweg. Denke daran, Adelheid.“
Sonst nichts. Die Einsame jedoch wusste, was hiermit gemeint war, und sie ahnte auch, dass sich das Schreiben nur deshalb so vorsichtig und dunkel ausdrückte, weil den Absender gewiss der Verdacht gequält, seine besorgten Andeutungen könnten von unberufenen Spähern erforscht werden.
Der Herzog?
Es war bekannt, wie er nichts schonte, was sich versponnen und scheu an den natürlichsten Geheimnissen unter seiner Umgebung, ja weithin im Land, verbergen wollte. Und so wie der Bauer abergläubisch überzeugt war, dass Swantopolk die Ähren auf den Feldern der Unfreien gezählt habe, so erröteten die Weiber unter dem Blick des Unheimlichen, denn sie wussten das Behütete ihrer Schlafkammern vor dem Geieräugigen nicht sicher.
Auch Adelheid schlug die Röte ins Antlitz, als sie, befangen von jenem Misstrauen, noch einmal die lieben Buchstaben durchflog — siehe da — der Atem stockte der Verlassenen — was waren das für tiefe Abdrücke von Fingernägeln am Rande des Wachstäfelchens? Die hatte ihr Gemahl nimmer verursacht! Denn die Sitte der Zeit rundete die Fingerspitzen bereits. Und nur der Herzog empfand eine grausige Lust, gleich dem Leibhaftigen, sich Greifenklauen wachsen zu lassen. Oft hatte er schon Hände, die sich ihm arglos darboten, mit einem raschen Riss bis aufs Blut durchbrochen.
Allein mitten in ihren Befürchtungen verbreitete sich plötzlich ein frauenhaft listiges Lächeln in den feinen Zügen der mit ihren Gedanken Ringenden. Die Beruhigung überkam sie, aus diesen verhüllten und verdeckten Sätzen des Schreibens könne selbst der bösartige Spürsinn eines Kundschafters nichts Auffallendes herauslesen. Nur Wärme strömte aus den Zeilen, und etwas Dunkles, ein bindender Zwang, der zwei weit Getrennte eng und unauflöslich verknüpfte.
Und wieder lächelte die Einsame in getrösteter Überlegenheit und drückte die geschlossene Tafel zärtlich an ihre Brust.
Inzwischen stieg der Pantak knickbeinig und klirrend die steinerne Treppe herunter. Als er den Hof durchmass, gewahrte er die beiden Kinder des Gabune, wie sie an der Wiesenpforte lehnten, beide in einem hitzigen Hader begriffen.
Neugierig schlürfte der Alte näher.
Trauervoll schaute der Knabe auf einen Schmetterling hinab, den er auf seiner flachen Hand wog, aber so oft er auch das Tierchen in die Höhe werfen mochte, zuckend fiel der Verstümmelte stets wieder zurück, denn dem Gaukler waren die Flügel arg zerzaust, und der bunte Staub war höhnisch fortgeblasen.
Ein karger Überrest einstmaliger Farbigkeit.
„Schäme dich,“ rief der Blondgelockte in aufrichtigem Kummer seiner kleinen dunkelhaarigen Schwester zu, und seine Augen füllten sich nun vollends mit Glanz und Feuchtigkeit, da er die Gelenkige ungeachtet des begangenen Unrechtes einen kindlich-trotzigen Tanz beginnen sah, „schäme dich, Heila, auch dir werden einst keine Flügel wachsen. Und du wirst unter den Engeln an Krücken wandeln.“
Die kleine Schwarze aber verwarf die Drohung, lachend und jauchzend schleuderte sie die nackten Beinchen, schnippte mit den Fingern und höhnte dazu: „Brauch keine Flügel, dummer Sambor, kann ohnehin fliegen. Schau, schau, wie ich mich hebe.“ Und sie drehte sich, sprang empor und warf die schlanken Arme wie zur Umschlingung in die Luft.
Ein anmutig Bild künftiger Auflehnung und Daseinsfreude.
Der Hauptmann jedoch leckte sich die Lippen und wackelte beifällig mit dem Kopf. Das störrische Wesen des Mägdleins behagte ihm. Es erinnerte ihn ergötzlich an eigene Hausplage. Da war ihm — fünf Jahre mochte es her sein — auf dem masovischen Feldzuge von einem polnischen Trossweibe grad solch ein unwillkommen schwarzhaariger Balg geboren worden. Jetzt lebte er auf seinem Bauernhof, herumgestossen von seinen rechtmässigen Kindern, verprügelt von seiner zänkischen Frau, und er sann Tag und Nacht darüber nach, wie man den Bankert wieder los werden möchte. Nicht einmal getauft war das unselige Wurm, es schoss auf wie Unkraut aus den Stoppeln des Feldes.
„Ja, ja, ’s ist just so ein zapplig, unfolgsam Eichhörnchen,“ dachte der Kriegsmann. „Tanze nur, dreh dich, du unnütz Ding,“ brummte der Pantak behäbig und schielte auf die seidigen Beinchen der Kleinen. „Ich seh, in deinem Eidechsenleib fliesst jetzt schon ein süss-gefährlich Gift, Warte nur.“
Dann aber schüttelte er missbilligend die vorgebeugten Achseln. Den Buben verstand er nicht; das helle, durchsichtige Grüblerleid in dem blondhaarumflatterten Knabenantlitz erregte ihm Widerspruch. Was sollte das mönchische Gegreine über den geflügelten Schädling? Offenbar, hier vererbte sich etwas von dem nonnenhaften Gehabe der Mutter. Für einen künftigen Reitersmann dünkte ihn der junge Grafensohn zu weichlich.
Grinsend deutete der Pantak mit seiner dicken Hand auf den zerzausten Tummler, dann höhnte er in spöttischem Beileid: „Nun, Sambor, was soll’s? Willst dem Kohlkopf ein Sterbelied singen? Pfui, stampf ihn ein, Bürschlein. Wozu flennst du über solch unnötig Gezücht?“
Damit führte er zum Scherz einen flachen Hieb gegen die Hand des Buben, so dass das Insekt wirbelnd auf die Erde stürzte. Einen leisen Schrei stiess der Knabe aus, dann aber, ohne sich um den stürmischen Beifall seiner Schwester zu kümmern, kniete er nieder und deckte zum Erstaunen des Kriegers behutsam einen Feldstein auf das zuckende Tierchen. Weit öffneten sich dabei die blauen Kinderaugen, und es spiegelte sich in ihnen etwas von einem Wissen, das weit aus dem leuchtenden Äther sein Licht bezogen haben musste.
„Weisst du nicht, Mann,“ klagte er betrübt, „dass dies hier einst eine hässliche Raupe war und lange darauf wartete, sich aufschwingen zu können? Darfst du im Dunkel halten, was zum Licht will? Und kannst du’s?“
Vor den fragenden blauen Augen verwirrte sich der Hauptmann, ja, er entsetzte sich ein wenig. Alle guten Geister, noch nie hatte er einen Unmündigen solch frühreifes und zugleich beängstliches Zeug äussern hören, Woher kam dem Dreikäsehoch dies seltsam umwühlende Gewäsch? Ob das Kind dies im Verkehr mit den Mönchen zu Naumburg gelernt hatte?
Ungewiss starrte der Pantak zu dem Knienden hinab, bis er endlich sein Schwanken in eine grobe Zurechtweisung auflöste: „Dummheit,“ schimpfte er, obwohl er sich sein eigenes Unbehagen nicht ganz erklären konnte, „die Dirn hat recht. Die Dirn. Die zapplige Dirn. Was liegt an solch ärgerlichem Geschmeiss? Gleich geh in den Stall und lern’ Rosse striegeln. Das wird dir wohltun, mein Büblein. Geh — bist ein Kopfhänger.“
Selbstzufrieden, weil er das ihm ungemütliche Weltbild wieder zurechtgeschoben, klirrte er von dannen.
Es war ihm aber beschieden, an dem heutigen Vormittag noch, eine weitere Probe seiner Erzieherkünste ablegen zu müssen. Geruhig ritt er auf der Landstrasse seinem Bauerngütchen entgegen, denn er hatte sich eben erst von den beiden herzoglichen Reisigen getrennt, und nun klopfte er seiner Mähre das struppige Fell und in seinem Geiste malte sich bereits der Willkomm ab, der in dem Lehmhaufen von Hütte seiner harrte, nachdem der Hausherr wieder einmal tagelang in Diensten des Fürsten auswärts umgetrieben war.
„Weiss schon,“ murmelte der Ehrbare nicht sonderlich erbaut. „Im Napf die Ziegenmilch — ranzig, am Spiess das wilde Kaninchen — wie wird’s sein? — Bis auf die Knochen versengt, und in dem morschen Bettgestell, ei, ei, eine lustige Jagd von Wanzen.“ Ahnungsvoll kraute er sich im Nacken und brütete tiefer in diese heiteren Vorstellungen hinein. „Weiss schon — und drinnen in dem vermaledeiten Lehmkuchen nichts als Gekeif und Stockprügel. Bei allen Nothelfern, Slavia, mein wacker Weib, wird mir den Bankert noch umbringen, obwohl ich selbst auch keinen anderen Ausweg seh, wie man des Fressers ledig wird. Himmelschock, warum musst’ ich mir selbst solch ein Kuckucksei ins Nest legen? — Man ist zu weich. Viel zu weich!“
Nach dieser Feststellung lenkte der Hauptmann auf einen Wiesenpfad ein und gedachte eben, sein Rösslein ein paar Haferähren vom Rain seines Nachbarn raufen zu lassen, denn solch lumpiges Bauernmensch musste froh sein, wenn sich ein Hofmann, wie der Pantak, zu einer derartigen Vertraulichkeit herbeiliess. Da schlug ein greller Kindersang an sein Gehör, und dicht vor ihm an der Dornenhecke neben dem Bach enthüllte sich ein Bild, das dem Krieger wahrhaft den letzten Atem benahm.
„Uff,“ stöhnte er, hielt den Klepper an und riss sich mit der Rechten die Wimpern in die Höhe, als hätte ihn Zauberwerk geblendet, „uff, verdammte Kröte, was soll’s?“
Und es war wirklich wert, den Zug aufmerksam zu betrachten.
In einem roten, zerfetzten Röckchen, das gerade noch bis auf die nackten Knie fiel, umflattert von einem schmutzigen, mit Löchern förmlich besäten Hemd, dass man die braungesonnte, knabenhafte Brust deutlich wahrnehmen konnte, so sprang und jauchzte ein etwa fünfjähriges Mägdlein daher. Glänzend flatterten ihm die schwarzen Haare ums Haupt, und die kohlschwarzen Augen funkelten wie nach einem grossen Siege über langes Ungemach. An einem Strick aber schleifte die Kleine vier tote Enten hinter sich her, die sämtlich mit dem Hals in gleichmässigem Abstand in die Leine eingeknüpft waren.
Der Pantak röchelte: „Was treibst du da?“ Gläsern quollen ihm die Augen aus den Höhlen, denn er erkannte sein eigenes Geflügel.
Geschmeichelt machte Krissa, das hergewehte Polenunkraut, vor dem Klepper halt, stiess nochmals einen glückseligen Juchzer aus, und während sie in innerster Befriedigung mit den Fingern schnipste, warf sie einen Blick verweilenden Stolzes auf ihre leblosen, staubbesudelten Zöglinge.
„O, süss Väterchen,“ schmeichelte ihr aufgeworfener, kirschroter Mund, „hat mich Mutter immer geschlagen, weil ich Enten, schnattriges, nicht Zusammenhalten kann. Bin ich jetzt hinter Dorn eingeschlafen, hab’ geträumt von dir, süss Väterchen,“ setzte das kleine Balg in weiser Steigerung hinzu, „aber da husch, husch, ist Fuchs gekommen, hat Vögel totgebissen, und nun — o fein Väterchen —“ und sie lachte, dass es sich anhörte, als ob Tropfen in einen silbernen Becher fielen, „halt ich jetzt Enten zusammen, wie noch nie. Hüh — hott, alle in einer Reihe.“ Damit wollte sie ihren fröhlichen Triumphzug fortsetzen, der Pantak aber, obwohl ihm vor Eigennutz und Wut die Kehle zuschwoll, ihn packte trotzdem in sonderbarer Verkehrung eine unbezwingliche, die ganze Gestalt durchrüttelnde Lachlust, so dass er zwar ungestüm seine Knute vom Sattel riss, zugleich jedoch einer verrückten Heiterkeit verfallen, schluckend und bäumend über den Hals des Gaules hingeschleudert wurde.
„O du niederträchtiges, verwünschtes Zeug,“ gurgelte der Dicke dabei, indem er ohnmächtig die Lederriemen schüttelte — „ich — der Gehörnte ist dein Vater — ich schlage dich krumm und lahm.“
Wer konnte es da der Zeugin einer solch wüsten Heiterkeit verargen, wenn sie das Ganze für den Ausdruck schrankenlosen, väterlichen Beifalls hielt? Pfeifend und summend raffte Krissa die Leine fester an sich und begann eben mit ihren so wohl behüteten Tieren die grasende Mähre zu umspringen, als das Siegesfest durch einen dumpfen Fall gestört wurde.
Schwerfällig war der Besitzer des Federviehs vom Ross gesunken, jetzt aber raffte er sich auf, griff Krissa in die Haare und fing an, sie nach allen Regeln einer oft geübten Kunst abzuwalken.
„O, du bösartiges, lästerliches, gottverderbtes Teufelsgeschenk,“ keuchte er, zwar noch immer durch ein gelegentlich dazwischen schallendes Gemecker unterbrochen. „So lohnst du all die guten Lehren? — O, Jammer über die verpfuschten Braten! Hätt’ dir nur der Fuchs selbst die Kehle durchbissen! — Doch ich will’s nachholen, nachholen will ich es.“
Klatschend trafen die Riemen den fast nackten Leib, die kleine Gemisshandelte aber schrie nicht; verwundert, still, in sich gesunken stopfte sie den Daumen in den Mund, ihr Rücken duckte sich, und nur ihre schwarzen Augen suchten manchmal ihren Peiniger mit solch sonderbarem Ausdruck eines selbstverständlichen Duldens, bis der entrüstete Hausvater endlich mürrisch den Striemer fallen liess.
„Scher dich zur Hölle,“ schöpfte er Atem. „Mir aus den Augen. Hat’s weh getan?“
Die Kleine schüttelte den Kopf.
Es war an einem frühen Herbstmorgen. Ausgestorben, glattgefegt von allem menschlichen Verkehr schlängelte sich die Landstrasse an Hof Ellernslöh vorüber, denn unter den Marktgängern, Bauern und wandernden Handwerksgesellen hatte sich das Gerücht verbreitet, Herzog Swantopolk ritte allein und ungeleitet dieses Weges daher, und jene Kunde genügte für das verängstigte Volk, um dem Tyrannen auf Meilen die Strecke ungestört zu überlassen. Selbst dem Schatten, den der Böse in der Sonne warf, wären die Abergläubischen bestürzt ausgewichen.
So schallte der Hufschlag des fürstlichen Rosses schon geraume Zeit auf dem harten Lehmboden, ohne dass dem Reiter auch nur eine Seele begegnet wäre. Aber gerade diese Leere behagte dem aufmerksam über die Felder Spähenden, und er strich manchmal befriedigt über sein buntes byzantinisches Gewand, so oft sein spitzer, von einem merkwürdigen Zischlaut begleiteter Pfiff eine Schar Krähen von den Futterplätzen der Stoppeln aufschreckte. Und doch — weder dies Pfeifen, noch der Gertenschlag, der sein ungarisch Ross dabei häufig über die Nüstern traf, schien von dem Willen des Reiters beseelt zu werden, nein, sein nach innen gerichtetes Grinsen, das die schmalen Lippen weit auseinander zerrte, sowie das verschleierte Starren seiner Augen deuteten vielmehr auf ein Planen und Sinnieren, das immer wesenhafter und greifbarer wurde, je näher er seinem Ziel entgegenrückte. Erst als dicht vor ihm die flachen Wände des Ellernslöher Herrenhauses auftauchten, entriss sich der Einsame dem Schattentanz seiner Vorstellungen, um einen tiefen Atemzug einzusaugen. Zugleich aber verlieh er seiner ganzen Gestalt jene Bedeutung, wie es der Gaukler gewohnt ist, sobald er auf die Bretter der Bühne hüpft.
Schwerfällig schwang sich der Tyrann aus dem Sattel, führte sein Pferd über die schmale Grabenbrücke und band es darauf an einem der Zaunpfähle fest. Unbemerkt, mit leisen schallosen Tritten, wand er sich dann durch die Wagen und Pflüge des Wirtschaftshofes, dabei nur lässig das Haupt neigend, als er Knechte und Mägde, wie vom Blitz getroffen in die Knie brechen sah.
„Pane, erbarme dich unser,“ stammelten die blassen, blutleeren Lippen der Erschrockenen.
Darauf ein Wink, der sie barsch zur Arbeit verwies, und die bunte Gestalt verlor sich unhörbar und gleitend durch die Gartenpforte. Fern an den Büschen des Haselnussganges sah er ein weisses Gewand flattern. Dort pflückte die Hausherrin grüne Früchte aus den Zweigen, entschälte sie und warf sie in ein Körbchen aus Weidengeflecht, das ihr am Arm schaukelte. Oft hob sich dabei ihre Gestalt auf die Zehen, um eine besonders hochragende Gerte zu erreichen. Dann spielte die mädchenhafte Biegung ihrer Hüften in einer anmutigen Weichheit, und unter dem roten Haarnetz quoll eine der Flechten hervor und fiel reif und korngelb über den freien Nacken. Bräunlich schimmerten die Wangen des Weibes vor Anstrengung und unter dem Gruss des herbstlichen Windes!
Gelassen verweilte der Herzog hinter der Ahnungslosen und strich sich geniessend den Bart. Ihm gefiel diese käferdurchsummte Stille, die Abgeschlossenheit des Platzes und die erntefrohe Beschäftigung dieser jugendlich Emsigen. Das vieldeutige Grinsen um seinen Mund verstärkte sich; er schien bereits im voraus des Kommenden gewiss zu sein. Plötzlich indessen vollführte die Schlossfrau bei ihrer langenden Beschäftigung eine unvorsichtige Bewegung, sie schwankte und wäre vielleicht gestürzt, wenn der Herzog nicht mit beiden Fäuften nach der Abgewandten gegriffen hätte.
So hielt er sie um die Weichen gepackt und lächelte nur, da er ihren wilden Schrei vernahm. Ein paar Augen starrten ihn an, die vor Entsetzen blanken Eisstücken glichen. Unfähig, sich vor der Verkörperung ihrer schlimmsten Ahnungen zu verstellen, stammelten ihre Lippen Ausdrücke des Abscheus und der Gegenwehr, und die schmale Hand fegte unbeherrscht durch die Luft, als vermöchte sie das plötzlich aufgestiegene Schreckbild wieder fortzuwischen. Kein Gruss, keine Verbeugung empfing den Mächtigen, nur das offenste Grauen, sowie das Eingeständnis, die heimlichsten Absichten des Eindringlings längst entziffert zu haben, sie offenbarten sich hüllenlos vor den zwinkernden Augen dieses arglistigen Menschenkenners.
Allein noch verrieten seine hohlen, gelben Züge nichts weiter, als eine fast demütige Verehrung für das verlassene Weib, und da sie keine Miene machte, ihm ein Wort des Grusses zu bieten, so neigte sich die untersetzte Gestalt des Fürsten endlich selbst, und er legte seine Rechte nach slawischer Sitte anbetend vor seine Brust: „Alles heil dir, Gräfin Gabune,“ hauchte sein singender Tonfall, und spielende Blicke streichelten ehrerbietig und sammetweich über die reglosen Glieder der ihm Ausgelieferten. „Wir erwarteten nichts anderes, als dich bei der Sorge für dieses dir anvertraute Heimwesen zu finden. Gut. Aber wie früh und hingebend du dich bemühst, dies wollen wir deinem fernen Eheherrn liebreich mitteilen.“ hiermit ergriff er ihre Hand und liess seine Rechte gnädig und billigend über den starren Arm der noch immer Stummen hinaufgleiten: „Bei den Nöten unserer Lande,“ fuhr er eindringlich fort, denn der Kluge erriet, dass ihm nichts so sehr das Verständnis der Frommen sichern würde, als ein ernsthaftes Eingehen auf das Elend ihrer Umwelt, „bei der allgemeinen Not bedürfen wir solch emsiger Schaffnerinnen. Du aber gehst, wie ich sehe, deinen Schwestern weit voran. Dafür verspreche ich dir —“ und er umspannte wie zur Bekräftigung die volle Schulter des Weibes, „dass ich alles aufbieten werde, um dir deinen entrissenen Eheschatz so bald als möglich wieder an die Brust zu legen. Bist du’s zufrieden?“
O, der schlaue Berechner hatte die verborgenste Begierde einer sich in Sehnsucht Verzehrenden getroffen. Eine Wandlung vollzog sich mit ihr. Noch eben ganz verhärtet gegen alles, was von dem Verderber herrühren könnte, sprühte plötzlich eine verräterische Glut über ihr Antlitz, ihre Hände streckten sich dem Mann entgegen, als ob sie ihm jetzt schon sein Geschenk entreissen möchte. Und doch — das eingesäte Misstrauen suchte sich auch jetzt noch gegen Täuschung und Fallstrick zu schützen. Dunkel und prüfend fahndeten ihre Blicke nach den unsicheren sich versteckenden Augensternen des Tyrannen, gleich zwei Schweisshunden, die den aufgejagten Eber stellen und nicht lassen wollen: „Herzog Swantopolk,“ forderte Adelheid fest und ohne zu ahnen, welche Beschämung sie dem Herrschgewohnten zufüge, „kannst du mir diese deine Absicht vor Gott und den Menschen beschwören?“
Der Fürst neigte sich. Um seine bärtigen Lippen zuckte geringschätziger Spott, denn dieser Verächter allen Glaubens wunderte sich immer von neuem darüber, ein wie brauchbares Mittel jener wolkendurchbrechende Irrwahn der Betörten in den Händen eines Freien und Aufgeklärten abgebe. Auch hier bei dem von ihm geplanten Fang freute er sich, weil er die Besessenheit einer von der Majestät des Himmels Überzeugten so leicht für seine Zwecke nützen könnte. Deshalb neigte er sich tief, um der Beobachterin das Widerspiel solcher Gedanken zu entziehen, und während er sich die hohe Stirn bekreuzte, beruhigte er seine Zuhörerin mit täuschend nachgeahmter Demut.
„Wie ich überzeugt bin, edle Frau, dass mich der Herr der Heerscharen in diesem Augenblick vernimmt, so redlich wünsche ich, meinen Dienstmann Gabune dir und mir zur Freude bald zurückleiten zu können. Möge es noch vor Einbruch des Winters geschehen.“ Und indem sich über seinem Munde die Furchen ein wenig vertieften, wodurch die Geiernase raublustiger hervorstach, setzte er bereits in gekränkter Herrscherhoheit hinzu: „Weshalb zweifelst du, Holde, da sich doch mein und dein Vorteil so innig verträgt?“
Da war das überraschte Weib von seiner Furcht hinweggelockt. Beschämung und ein hohes Staunen befielen sie, warum man wohl diesem Vielgeplagten, der sich noch eben herabgelassen, ihr, einem törichten Weibe, seine Gutwilligkeit durch einen feierlichen Eid zu bekräftigen, warum man wohl solch einem von Sorge Umdrängten von der Wohltat menschlichen Zutrauens ausschloss? Und eine Art Mitleid beschlich die Reine für diesen Hochgebietenden in seiner kalten, dem Menschlichen so weit entrückten Abgeschlossenheit.
„Jetzt zweifle ich nicht mehr,“ gestand sie dankbar. „Und ich wollte nur, ich könnte dir deine Barmherzigkeit in Demut vergelten.“
Der Herzog schickte einen raschen Blick in den Korb, der dem Weibe am Arm schaukelte.
„Leicht vermagst du’s,“ entgegnete er glatt, indem er sich nach Art der Darbenden die Lippen leckte, „der frühe Ritt hat mich hungrig gemacht. Reiche mir ein paar deiner Früchte.“
Da erschrak Adelheid; die Vertraulichkeit störte sie.
„Du scherzest, Herr,“ widerstrebte sie, ohne seinen Wunsch zu erfüllen, „gönne mir Zeit, damit ich dir einen Imbiss auftische.“
Hastig wandte sie sich, um dem Herrenhaus entgegenzueilen, jedoch der Fürst griff nach dem Geflecht und hielt die Gräfin mit einem harten Ruck zurück.
„Torheit,“ verwies er, und seine Stimme klang ungeduldiger als bisher. „Wir Fürsten vermögen nichts so schwer zu verschenken, als Zeit. Die mangelt uns. Sitze deshalb mit mir auf jener Moosbank unter dem Hasellaub nieder, Weib, und lass mich schmausen, wie ich es gewohnt bin.“
Ohne die Überraschte zur Besinnung kommen zu lassen, drängte er die Schlossfrau zu der bezeichnten Stätte, liess sich nieder, und während Adelheid umdämmert und verdunkelt an seine Seite glitt, langte er sogleich mit seinen haarigen Händen in ihren Korb und begann die noch grünen Nüsse zwischen seinen Hauern zu zermalmen. Eine Weile hörte die Betroffene nichts als das weichliche Geräusch der zerbissenen Schalen, zugleich aber nahm sie voll verworrener Ahnungen wahr, wie fahl und leblos sich das Antlitz ihres Nachbarn unter dem grünen Schatten der Blätter überhaucht hatte. Nur die schiefen grünen Augen stachen unbarmherzig auf ihrer haut herum, wie Messer, die Eingang in das warme Fleisch suchten. Schmerzlich, gespannt drückte die Verlassene beide Hände auf ihr Herz. Allein den Herzog erfüllte gerade diese schützende Bewegung mit beissendem Wohlbehagen, weil ihm dadurch offenbart wurde, wie widerstandslos die Begehrte vor seiner Gegenwart zusammenbrach. Er wusste ja, so erging es mit allen Langzöpfen. Hieb und Furcht machten auch die Stolzesten willfährig. Doch nur sachte — das Belauern und Beschleichen brannten dem alten Jäger im Blut.
„Genug,“ presste er endlich hervor und zwängte beide Fäuste zwischen seinen Gürtel. „Dies genügt mir. Eines Kriegsmanns Zehrung ist bescheiden.“ Spähend liess er seinen Blick durch die Haselstauden und weiter über die Wiese schweifen. Dann forschte er dringend: „Was treiben deine Sprösslinge? Die Gabunenbrut?“
Die Edelfrau hielt den hauch an. „Sie schlummern, Herr,“ entgegnete sie kurzatmig. „Es ist noch früh.“
„Wahr,“ nickte Swantopolk, „die Jugend braucht Traum. Wir Älteren hingegen sehnen uns nach Wirklichkeit. Denkst du nicht ebenso, du Schönste aus meinem Reich?“
Vor der unverhohlenen Schmeichelei, die sich jetzt urplötzlich so besitztrunken und gebieterisch äusserte, da umnebelte sich der freie Wille der blonden Frau mit dunstigeren Schleiern. Gleich einer Gefangenen sass sie neben ihm, rot und blass, vergebens danach trachtend, die sie umschnürenden Blicke zu sprengen. Nein, noch schlimmer. Die Lähmung, die von dem buntgeschmückten Manne unheimlich in sie überfloss, sie schläferte ihr allmählich sogar den letzten Trieb ein, jenen schreckhaften Bann abzustreifen. Dumpf und drohend klopfte ihr Herz, und während ihre Einbildungskraft schon all das Entwürdigende durchfieberte, zu dem der Geieräugige sie sicherlich bereits verurteilt, da summte in ihrem Hirn immer greller und peinigender die greuliche Huldigung: „Du Schönste aus meinem Reich.“ Nein, das ertrug sie nicht.
Tonlos murmelten ihre Lippen: „Herr, treibe keinen Scherz mit mir, sondern bedenke —“
„Was?“ unterbrach Swantopolk barsch.
Da schlug die Gräfin verschüchtert und unfähig, sich zu sammeln, die Augen nieder, und, da sie keine Antwort wusste, flog ein hilfloses Zittern um ihre Schultern.
Der Herzog aber, der sich ärgerte, sein Wild durch eine Unvorsichtigkeit aufgestört zu haben, griff kurz nach ihrer Hand und lachte gezwungen.
„Nun, Gräfin, da du nicht die Schönste sein willst, so bist du doch sicherlich die frömmste und reinste Frau, so unter unserem Zepter ihr Wesen treibt. Zu dieser allein kam ich, um ihr als erster eine frohe Nachricht zu bringen. Freue dich. Die Kapelle des heiligen Christophorus steht fertig. Mitten in der roten Heide, unweit des Netzebruchs ward sie von mir aus Holz und Lehm errichtet. Ein Kuppeldach wölbt sich über ihr, und ein Bildschnitzer aus Stettin fertigte auf mein Geheiss eine überlebensgrosse Statue für sie an.“ Hier liess Herzog Swantopolk seinen langen Bart durch seine Rechte rinnen, und sein Blick blieb abschätzend an der atmenden Brust des Weibes hängen. „Dafür hoffe ich aber auch,“ fuhr er mit einem heimlichen Grinsen fort, „dass durch meine Willfährigkeit gegen die Kirche dein Ehebett nicht mehr lange verwaist stehen wird, und du selbst Adelheid von Gabune sollst daher als die Würdigste noch in dieser Stunde die Gnadenstätte durch einen frommen Spruch weihen.“
„Ich?“ schwankte die Blonde in äusserster Bestürzung empor.
„Du,“ wiederholte der Fürst, der sich gleichfalls aufgerichtet hatte und nun die Stirn runzelte, als wenn er nicht begriffe, warum sich das Weib auch gegen diese offensichtliche Ehrung zu sträuben begann. Gedrungen, hartnäckig ragte der untersetzte Mann vor ihr und streckte nun seinen Finger gebieterisch gegen die Wiese aus: „Zögere nicht länger,“ befahl er. „Ich selbst will dich auf meinem Ross zu der Kapelle leiten, auf dass alle Welt erkenne, wie ich sogar auf dem Wege zum Himmel noch die unter uns wandelnde Heilige zu ehren weiss. — Mach dich fertig,“ forderte er abermals, „denn meine Zeit drängt.“
Da stürzte die verwirrte Frau vor dem Peiniger nieder, presste verzweifelt ihr Blondhaupt gegen seine Hände, und vermeinte durch den Sturm ihrer gänzlichen Erschütterung das Mitleid des Bösen erflehen zu können.
„Nicht ich, du Mächtiger,“ bettelte sie besinnungslos, und ihre fromme Angst verzerrte ihr Antlitz im Augenblick zu weissem Stein, „nicht ich. Dies ist das Werk des Bischofs und seiner Diener. Wer bin ich, dass ich solchen Frevel auf mich laden dürfte? O, erbarme dich meiner, Herr!“
Noch hatte die Kniende nicht das letzte Wort hervorgestossen, als sie von einer knöchernen Faust emporgerissen wurde, gleich darauf fühlte sie, wie eine unbezähmbare Kraft sie vorwärts drängte. Taumelnd folgte sie, und in ihre Umnachtung schlug nur noch unverständlich der bittere Verweis hinein, durch den der beleidigte Fürst ihr seinen Unwillen zu erkennen gab.
„Schweig,“ zischte es dicht neben ihr, „meinst du, ich liesse noch länger meiner Redlichkeit spotten? Ei, ei, gelte ich für einen Küchendieb, gegen den man Schlösser und Riegel braucht? Ich meine, dein Eheherr dürfte es dir keinen Dank wissen, weil du so offenherzig eure innerste Meinung über mich verrätst!“
Indessen vor der Gebändigten verflatterten all diese Vorwürfe und Drohungen. Ihr kurzer Weg schien über dampfende Wolken zu führen, ein Schwindel umwirrte sie, da sie auf das herzogliche Ross gehoben wurde, und erst, als sie längst den harten Schlag des Tieres unter sich spürte, erwachte die Gräfin aus ihrer Betäubung, denn der frische herbstliche Wind, der um ihre Stirn strich, brachte ihr das Bewusstsein ihrer Lage zurück.
Staunend vergrösserten sich die Augen des Weibes. Wie liess sich dieser seltsame Aufzug erklären?
Ehrbar, dienstwillig schritt der Herzog neben seinem Rosse her, den Zügel um seine Faust geschlungen, ja, er schien stolz darauf, wie demütig Bauern und allerlei Volk auf beiden Seiten der Strasse vor der Reiterin und ihrem Führer in den Staub sanken. Gleichsam, als ob hier ein zartes Bild der Legende an ihnen vorüberglitte. Wahrlich, und die blonde Frau blickte getrösteter auf die weiten Steppen und Heiden, die neben ihr dahinschwanden, und unwillkürlich straffte sich ihre schlanke Gestalt, denn ihr böser Verdacht musste wohl doch unbegründet gewesen sein. Zu offen und vor aller Welt gönnte ihr der Tyrann jene fromme Bevorzugung, zu nachspürbar und begangen war der Weg, den er sie leitete, als dass sich irgend eine böse Absicht hinter diesem festlichen Zug hätte verstecken können. Vielleicht bildete die Gattin des Kastellans wirklich nur eins der Mittel, mit denen der Schlaue gar häufig sein Volk und die Kirche zu täuschen trachtete. Oder — o Hoffnung — sollte sich am Ende auch in dieses verhärtete Herz ein Strahl jenseitiger Zuversicht geschlichen haben? Zudem, es war die Zeit, wo man anfing, den Frauen göttliche Ehren zu erweisen. Zuversichtlicher richtete sich die Blonde auf, und jetzt begann sie sogar sehr zum Vergnügen des Landesherrn die Mähne der mächtigen Kastanienschecke zu streicheln.
Der Böse nickte ihr zu, verzog den Mund und schlug dem Tier kräftig gegen die Weiche. Wie hätte er ahnen können, dass seine Gefangene gerade in jenem Moment eine geistige Zuflucht gefunden hatte, dazu geschaffen, um sie über jede Anfechtung zu erheben. Es war die Mahnung des ihr geraubten Gatten, dass man zu dem sterblichen Leib, sobald er auf Schande gebettet werden sollte, sprechen könne: „Höre auf und zerfalle.“
Und über das weisse Antlitz der Kastellanin verbreiteten sich Trost und Hoffnung.
„Sieh hier,“ wies der Herzog, nachdem sie stundenlang durch die Einsamkeiten unwegsamer Heiden und schwarzer Moorgründe gezogen waren, „wir sind am Ziel.“
Mitten aus einer Lichtung graustämmiger Buchen, umschlossen von einem Wall gespenstischen Schweigens, erhob sich ein unbedeutender kreisrunder Lehmhaufe. Ein Schindeldach kuppelte sich ihm tief über die Stirn, und über zwei niedrigen Stufen, die rings um das Gebäude liefen, wehrte eine ungefüge, eisenbeschlagene Bohlentür den Eintritt. Ätzend duftete sie nach dem frischen Teeranstrich, der bräunlich in der Sonne flimmerte, wodurch der Eindruck des Unfertigen, Nüchternen, Lieblosen noch vermehrt wurde.
Der Landesherr dagegen deutete auf diese elende Hütte mit einem inneren Beifall, mit einem Schwung, als wenn er nicht wüsste, wie sehr das angebliche Heiligtum in Wahrheit einem Maulwurfshügel gliche.
„Schau her, teure Frau,“ so triefte er vor gespielter Wichtigkeit, „welch ein friedlich, abgesondert Plätzchen sich die Andacht hier gesucht. Zierlich, ich möchte sagen, demütig fügen sich die Masse. Wahrlich, kein Mensch kann behaupten, ich sei ein reicher Mann, und dennoch habe ich den Werkleuten gegenüber nicht geknausert. Weiss Gott, eine übel angebrachte Sparsamkeit, sobald auch nur ein einzig Augenpaar gleich dem deinen in frommer Entzückung auf solchem einfältig-erhabenen Gebäu ruht. Steige herab, Gepriesene, damit nun auch du dem Heiligen deine Verehrung bezeugest.“
Diensteifrig hielt der Herzog seiner Gefährtin den Steigbügel, und als sie sich, noch immer zögernd, herabgleiten liess, fing er sie in seinen kräftigen Armen auf und beeilte sich nicht, sie von seiner Brust zu lassen. Die Blonde aber riss sich los, und wie ein zusammenbrechend Wild, halb schutzsuchend, halb noch fluchtbereit warf sie sich auf den Stufen nieder, um tiefgesenkten Hauptes ihre verschlungenen Fäuste in den Schoss zu pressen. Wild murmelten dazu ihre Lippen ein eilig herbeigerafftes Gebet, so dringend, so inbrünstig, als stünde wirklich der Heilige hinter der Tür, nur zu dem Zwecke, um sie liebreich in seine Hut zu nehmen.
Um die scharfen Lippen des Beobachters indessen glitt ein überhebliches Lächeln, er wusste ja, dass der heilige nur ein Klumpen Lindenholzes war, dem der Farbentopf dann die letzte Bedeutung verliehen. Ohne Hast, ja beinahe geräuschlos schleuderte er näher, schritt an der Knienden vorüber, fasste den gewaltigen eisernen Türring und drückte das Pförtlein mit gesparter Kraft auf. Ein Ächzen des Holzes wurde hörbar, aus den schlecht geölten Angeln kreischte es, und dann — ein beseeltes Dämmern höhlte sich ihnen zuerst entgegen, und wie aus einem erleuchteten Nebel erhob sich hinter einem schmucklosen Holzgitter die bunte Statue des Christophorus. In langen, starren, eckigen Kanten war die Gestalt eines Mönches in brauner Kutte von dem Künstler aus seinem Material herausgestochen, ein gelb gestrichener Teller klebte ihm als Gloriole über der Tonsur, und auf der Schulter trug er das nackte Christusknäblein, das ihn in einem sonderbar menschlichen Scherz am Ohr zupfte. Eine vorausgeeilte Regung künstlerischer Freiheit. Sonst war das Gebilde leblos, wächsern, und die alles erklärende Bewegung mangelte ihm.
Unterdessen hatte Swantopolk seine Begleiterin unter den Arm gefasst; jetzt, nachdem er sie gewaltsam in die Höhe gezogen, drängte er sie in den engen, kreisrunden Raum, nicht jedoch, bevor er die schwere Tür sorgsam wieder hinter sich geschlossen.
Über dem Haupt des Heiligen schaukelte sacht ein tönernes Öllämpchen, und von dort allein fiel ein düsteres Zucken auf die Holzpuppen und die beiden Menschen herab. Atemraubend fast presste eine schläfrige Stille alles Leben ein, und so beengend und schwer drückte das undurchdringliche Schweigen auf die bange Brust, dass sich selbst der Böse gedrungen fühlte, diese unerträgliche Gefangenschaft zu lösen. Fast war ihm sein eigener Vorsatz vor dem umspannenden Druck gewichen.
Trotzig reckte er sich.
„Schau her,“ begann er nach einem frechen Räuspern, „dies alles schuf ich dir und deinem Eheliebsten zu Gefallen. Ich hoffe, du wirst es mir Dank wissen.“
Durch den silbrig durchleuchteten Glast von Nebel und Staub glimmten die Raubvogelaugen des Mannes fangbegieriger, sie krallten sich auf dem dämmernd weissen Nacken des Weibes fest, auf ihrem korngoldenen Haar, und die Stösse seines Atems zeigten der Bestürzten, dass er sich kaum noch bezwinge, in seiner bisherigen Zurückhaltung zu verharren. Was hinderte den Gebietenden, Furchtbekleideten auch noch, in dieser Einsamkeit den Jagdsprung zu wagen? Seltsam, es war die verschüchterte, kindlich-flehende Gebärde, mit der die Blonde sich an das Gitter klammerte, gleichsam, als wäre es möglich, dass der heilige sie wirklich in den Falten seines eigenen Gewandes verberge, Dies allein dämpfte die Lüsternheit ihres Verfolgers auf eine ihm selbst unbegreifliche Weise zu Vorsicht und verärgertem Zögern herab. Ungebärdig stampfte er mit dem Fuss, denn er wollte die Hingegossene auf jeden Fall in ihrer Zwiesprache mit der Holzpuppe unterbrechen. Glaubte er nicht auch etwas Wahnwitziges aus ihrem erregten Murmeln aufgefangen zu haben? Es klang beinahe, als hätte das irre Weib geredet: „Ich kann zu diesem meinem Leib sprechen: höre auf und zerfalle!“
Fort damit, jene erhitzte und zugleich betörende Stille musste gelüftet werden, schon damit er sich selbst von der ungewohnten Zaghaftigkeit befreie. Ungestüm, in der rohen Absicht, sich ihres irdischen Daseins zu vergewissern, packte er die sich windende an der Schulter und herrschte sie an: „Genug, Madonna, wozu sich so zärtlich an den starren Gelenken erhitzen? Was ist’s mit dem Burschen? Du bist eine Klostergelehrte. Unterrichte mich Unkundigen daher, was es mit dem hölzernen Knecht auf sich hat? Warum schleppt er das Kindlein, als wäre er seine Amme?“
O, gottlob, die Schlossfrau atmete auf. Die Wissbegierde des Tyrannen, sein Wunsch nach Unterweisung, sie überredeten die halb Besinnungslose noch einmal in den Wahn, das Gelüst des Bösen möchte vielleicht schon wieder zerflattert sein. Um aller Barmherzigkeit willen, diese günstige Wandlung musste genützt werden!
Noch auf den Knien sammelte Adelheid daher mit aller Macht ihre Gedanken, bezwang ihre innere Unrast und begann: „Herr und Fürst, vermag ich dir doch nur zu erzählen, was ich selbst aus den Gesprächen der frommen Ursulinerinnen zu Naumburg aufgelesen. Sieh, dieser Christophorus soll in sagenhaften Vortagen ein Riese gewesen sein, ein Trotziger, Unbezwingbarer, der mit den Füssen einen Amboss in die Erde stampfen konnte. Darum mochte er aber auch nur dem Stärksten auf der Welt dienen und so verdingte er sich endlich nach langem Suchen dem Satan.“
„Er muss seine Leute gekannt haben,“ bemerkte hier der Herzog unter einem Grinsen.
Erblassend vor diesem Einwurf fuhr die Erzählerin hastiger fort: „Allein dem Teufel wurde bald Angst vor seinem Gesellen. Gar zu fürchterlich tobte der Ungebärdige in der Hölle umher, riss das Fegefeuer auseinander, trank zu seiner Ergötzung siedendes Pech und warf bei jedem Streit Dutzende von armen Seelen dem Schwarzen gegen die Hörner. Da verriet der Böse seinem Diener endlich ganz demütig, der Herr der Finsternis möchte wohl doch nicht der Stärkste sein, sein Knecht möge es lieber einmal mit dem Heiland versuchen!“
„Schwachheit,“ murrte Swantopolk. „Sobald ein Übeltäter erst über sich nachdenkt, so ist er schon verloren. Dein Teufel hat eine zage Seele.“
Doch die Verängstigte, der das Herz im Busen zitterte, stellte sich, als ob sie nichts vernommen. Mit einem widerspruchsvollen Lächeln redete sie weiter: „So stellte sich denn der Riese dem Gottessohn vor und bot ihm seine Dienste an. Unser Seligmacher sprach: ‚Bist du getauft?‘ ‚Nein,‘ höhnte der Riese, ‚mag auch die Pantscherei auf meinem Scheitel nicht dulden. Ist mir alles Baden ein Greuel und zuwider.‘ Der Herr lächelte sanft: ‚So magst du dich denn mit sachten daran gewöhnen. Bis einmal der Stärkere über dich kommt. Ziehe an den nächsten Strom, und da eine Brücke über dem Wasser fehlt, so sollst du mir fortan alle Pilger und Wandersleute, so jenseits in das kleine Kirchlein wollen, ungefährdet hinübertragen. Geh, und sei auch ungetauft mein Vasall.‘ — Und so geschah’s. Jahrelang schleppte der Vierellenhoch allerlei Volks durch die Flut, und ob auch die Wasser häufig schwollen und wuchsen, laut rühmte sich der Ungezähmte stets, noch habe kein Tropfen sein Haupt berührt, und die Kirche hätte keinen Teil an ihm.“
Der Herzog beugte sich zu der Kauernden herab.
„Recht,“ lobte er heiser, „der Bursche gefällt mir. Die Honigmäuler schwatzen uns ohnehin das bisschen Mannheit aus den Knochen. Und es ist doch — o Holde — unsere einzige Seligkeit, sobald wir sie spüren!“
Damit näherte er der Hingelagerten sein schwarzglänzendes Haupt, und unter dem Vorwand, ihr noch aufmerksamer lauschen zu wollen, legte er seinen Arm spielend um ihren Nacken. Doch das Weib des Gabune duckte sich, und nachdem sie sich auf diese Weise von der Umschlingung befreit, umklammerte sie schüttelnd und stossend das Gitter, so dass alles Folgende fast wie ein Schrei der Not klang: „Du irrst, Herr,“ quoll es aus der zur Verzweiflung Getriebenen schrill hervor, obwohl sie noch immer an dem Irrtum festhielt, das gesprochene Wort könne sich als eine schützende Mauer zwischen ihr und dem unheimlichen Peiniger erheben. „Du irrst, meine Geschichte ist noch nicht am Ende. Auch für den Stärksten und Derstocktesten — glaube mir — kommt einmal das erhellende Licht. Sieh, eines Tages nämlich näherte sich dem Ufer des Stromes, an dem der Riese Wache hielt, ein Kindlein. Ein zartes, ausgezehrt, verhungert Ding, durch dessen Leib die Strahlen der Sonne schier ungehindert hindurchglitten. Das rief den Stromhüter mit heller Stimme an: ‚Trage mich hinüber, Gewaltiger, denn mich zieht es, an der Gnadenstätte meine Andacht zu verrichten.‘ — ‚Nun,‘ brummte der Knecht unlustig zur Antwort. ‚Du vermagst wohl auch als Flederwisch mit dem Wind hinüberzufliegen. Doch komm, du Zweilot und lustige Auszehrung, ich will die schwere Plage auf mich nehmen.‘ — Rauh griff er nach dem Winzigen, schwang ihn sich aus die Schulter und meinte hoffärtig, ein Blatt sei ihm auf die Achsel gewirbelt. Aber siehe — mit jedem Schritt, den er tiefer in die Flut hineinwatete, da wurde ihm die anfänglich so federleichte Bürde immer schwerer und unerträglicher, bis die eiserne Wucht den Widerstrebenden gerade in der Mitte des Stromes tief unter die Oberfläche zwang. Gurgelnd schossen die Wellen über seinen Scheitel. Im gleichen Augenblick zwar konnte er emportauchen; von seiner Schulter das Knäblein war verschwunden, statt seiner jedoch entschwebte ein goldiges Geflimmer in die Luft, und eine silberne Stimme fiel aus den Höhen: ‚Christophorus, auch die Bösen und Hartnäckigen stehen in meinem Sold. Alle zu ihrer Zeit. Ziehe denn hin, du Getaufter, deine Mühe hat dich geläutert.‘“
Bebend schwieg die Blonde, denn ihre Beklommenheit steigerte sich, nachdem ihr der Schutz der Worte geraubt. Nur ihre Hände verstrickten sich immer tastender in dem hölzernen Gitter. Auch der Herzog rührte sich nicht. Angehaltenen Atems harrte er hinter ihr, wie eingeschmiedet in die bleierne Stille, und die Kniende meinte in ihrer Ohnmacht, seine Blicke küssten ihr bereits voll sengender Brunst den Nacken.
Keuchend schlichen die Sekunden.
Plötzlich flüsterte etwas in dem schmelzenden Singsang des Tyrannen: „Fromme, Heilige, ich flehe dich an, nimm auch du deine Bürde auf dich. Möge auch dein süsser Leib einen irrenden Pilger tragen, der sich schon lange nach Andacht und Reinheit sehnt.“
Schreiend flog die Verfolgte empor, allein gerade diese ungestüme Gebärde des Abscheus und Entsetzens, sie brach das geringe Hemmnis nieder, das dem Gierigen noch aus der rauschenden Einsamkeit erwachsen war. Mit einem wilden Griff der Wut fuhr die Faust des bis zur Besinnungslosigkeit Gereizten dem Weibe in das schützende Linnen des Brusttuches, riss es auseinander, und nun zerrten und zausten die raubgewohnten Hände des Tollwütigen auch die letzten Hüllen von den Gliedern der Taumelnden, bis sich ihr Leib fast nackt und entblösst in seinen Armen wand.
„Heilige,“ schäumte er vernunftberaubt, „sträube dich nicht, bei dir ist der Himmel.“
Ein Röcheln verlor sich in dem erhitzten Rund, es war, als ob das Sterben von allem Hohen und Heiligen in jenen einen Laut zusammengeflossen wäre, Qualmend tanzte das Öllämpchen in der siedenden Luft.
Das Weib aber schrie nicht, es rang auch nicht mehr; selbst dem von seinem Laster so wütig übermannten Tyrannen grauste es, als sich ihm allmählich etwas von dem unerklärlichen Lauschen mitteilte, dem der ganze Leib der ihm überlieferten verfallen war. Ungeachtet ihres Zusammenbruches, trotz der nie geahnten, umwühlenden Schmach, und obwohl die so schamlos Enthüllte selbst den Hauch, der ihre Blösse umspielte, schon als die völlige Entwehrung und Entrechtung ihres bis dahin so scheu behüteten Wesens empfand, dennoch harrte sie regungslos, neigte das Haupt zur Seite und in ihren wirren zerwühlten Zügen stand nichts als eine bis zum Reissen gespannte Aufmerksamkeit.
Hingegeben, völlig losgelöst von dieser Welt lauschte sie. In dem heissen, stickigen Kuppelraum musste sich ihr eine Stimme offenbart haben, für die der bestürzte Tyrann kein Gehör besass.
Entsetzen! Ehe der nach einer Erklärung Ringende seine höhnische Überlegenheit oder gar die Begierde des Angriffs von neuem auf sich zusammenraffen konnte, da geschah das Unbegreifliche.
Da — dort — er hielt das Weib des Gabune nicht länger in seinen Armen. Ein Sprung, sie war ihm entronnen, er hörte das Gitter vor dem Ansturm der Wilden zusammenbrechen, ein weisser Schatten tauchte dicht neben dem Christusträger auf, das hölzerne Kindlein wurde von seinem Sitz herabgerissen, im nächsten Augenblick schwankte es über gestrafften Armen als ein schweres, gefährliches Wurfgeschoss.
Alles erwartend duckte sich der Angreifer, und derweil gellte es vor seinem summenden Bewusstsein mit solch nie erwarteter Stärke, voll solch schonungsloser Entschlossenheit, dass der Betäubte knechtisch die Augen schloss.
„Lerne von mir, du Unwürdiger,“ entlud sich die verzweiflungerfüllte Stimme, „dass du mir die Reinheit nicht eben so leicht stehlen wirst, wie meinen Gatten.“
„Schone mich,“ bettelte Swantopolk ohne Übergang, und seine Stirn schlug auf die Stufe nieder. Über ihm schwankte der Klumpen Holz immer bedrohlicher.
„Rein hat dein Dienstmann Gabune sein Haus verlassen,“ tönte es von dem Postament in totgeweihter Begeisterung weiter, „und rein, rein, du mörderischer Gaukler, sollen es seine Kinder erben. Was liegt daran, ob auch du und ich in unserem sündigen Blute ersticken?!“
Ihre Knie reckten sich, ein scharfes Röcheln entquoll ihrer Brust, und der Holzklumpen stieg bis zur letzten erreichbaren Höhe.
Da zerrte sich der Kniende den Mantel von der Schulter, und indem er flehend beide Hände mit dem violetten Gewebe in die Höhe warf, brach ihm der Schweiss in runden Tropfen aus der Stirn, und seine schiefen Augen schielten, den nahen Fall berechnend, stier auf die Wucht der bunten Holzmasse. Ein Ausweg — ein Ausweg, ein Entschlüpfen musste sich seinem listigen Verstande darbieten! Nur nicht so lächerlich verrecken wie ein Marder, den man in eine Ecke getrieben und nun mit Steinen das Gehirn zerschmetterte. O, dieses feinspinnende, und zugleich erhabene Pläne wälzende Hirn, welch ein unausdenkbarer Verlust für die knechte und Sklaven, wenn das irrsinnige Weib jetzt ihre Last aus den Händen verlor?
„Halt ein, Gepriesene, du Unantastbare, du aus Morgenlicht Geborene,“ winselte er, während er sich geschmeidig, aber vor allen Dingen schutzsuchend unter ihren Armen in die Höhe wand. „Genug, genug, wie herrlich hast du die Prüfung bestanden, o, die letzte, die heiligende! Gottlob, dass ich es erfuhr. Ja, es gibt noch fittichbeschwingte Sterbliche, die im Himmel wohnen sollten, aus dem du stammst. Beglückter Gabune, einst wird die Legende dich und deine Genossin selig preisen. Aber nun hurtig, damit kein menschlich Auge noch länger deine göttliche Blösse wahrnimmt, komm du schon jetzt verklärte, und umhülle dich mit meinem Herzogsmantel. Ich weiss, er ist zu schlecht, viel zu schlecht für deine weissen, in Himmelskühle blühenden Glieder. Doch nimm vorlieb, nimm vorlieb.“
Schon war es dem Geschickten gelungen, den violetten Sammetmantel um die Schultern der Unbeweglichen zu schliessen, im gleichen Augenblick aber stürzte ihr auch die Bürde aus den blutlosen Händen und rollte krachend die Stufen herab.
Der Herzog streifte den Klumpen mit einem raschen Fusstritt. Dann sog er erleichtert Luft ein, und plötzlich, ohne sich weiter um seine Gefährtin zu kümmern, der er noch eben so leidenschaftlich gehuldigt, schritt er hart und wuchtig zum Ausgang. Dort jedoch wandte er sich noch einmal, und den Zeigefinger warnend gegen seine hämisch verzerrten Lippen hebend, stiess er herrisch und grausam wie stets hervor: „Schweig, Weib! Ich rate dir Gutes!“
Draussen wieherte das Pferd seinem Herrn entgegen, und bald verkündeten Hufschläge, dass der Tyrann die hilflose kaltblütig verlassen. Versunken in Nacht und Dämmerung lag sie derweil auf den feuchten Ziegeln, das Heilandknäblein mit mütterlicher Innigkeit an ihre Brust gepresst.