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Kapitel 2: Der erste Schultag
ОглавлениеEs ist ein malerischer Spätsommertag in den 1960ern. Auf einem Dorf in der brandenburgischen Provinz steht die Einschulung der neuen Erstklässler unmittelbar bevor. Die Aufregung ist bei allen Beteiligten sehr groß. Nun, bei den Eltern dürfte sie wohl etwas größer gewesen sein, als bei den lieben Kleinen. Aber das ist ganz normal und spielt für den weiteren Verlauf der Geschichte auch nur eine untergeordnete Rolle. Dennoch sollte es nicht ganz unerwähnt bleiben. Jedenfalls trafen sich die Kinder, Eltern, Großeltern und Vertreter der Schule und des Bildungsministeriums vor der Dorfschule. Der örtliche Pfarrer war auch da und gab den Schülern seinen Segen mit auf den Weg. Gern gesehen war das von der Obrigkeit nicht, dennoch mischte man sich in dieses kleine Prozedere nicht ein.
Irgendwann waren die vielen Reden vorbei und die Kinder wurden den entsprechenden Klassen zugeteilt. Da wir uns ja bekanntlich auf dem land befanden, war die Auswahl nicht sehr groß. Es gab lediglich zwei Klassen: 1A und 1B. Beide Klassen wurden von etwas älteren Klassenlehrerinnen betreut. Zufällig kamen Bernd und Jörg in eine Klasse. Schon beim ersten gemeinsamen Reihestehen kam es zu einem ersten gemeinsamen Kontakt, der für beide Jungs richtungweisend für das restliche Leben werden sollte. Aus purer Langeweile boxte Jörg dem kleineren Bernd in den Rücken. Dieser fing nicht an zu weinen sondern drehte sich um und revanchierte sich mit einem gekonnten Tritt gegen das Schienbein. Jörg war erschrocken. Mit solcher Reaktion hatte er nicht gerechnet.
>>Wieso fängst du nicht an zu heulen, so wie die anderen Krepel?<<
>>Weil ich vor dir keine Angst habe! Nur weil du größer bist als ich, kannst du nicht mit mir umgehen, wie du willst!<<, antwortete Bernd Jörg mit breiter Brust. Doch innerlich bebte er vor Angst. Er fürchtete nichts mehr, als eine schmerzhafte Reaktion von Jörg. Zur Verwunderung aller umstehenden Kinder passierte aber nichts. Kein Schlag, kein Tritt, kein Spucken. Stattdessen herrschte einige Sekunden Stille. Dann passierte das gänzlich unerwartete: Eine Träne lief Jörg über das Gesicht. Einige Kinder fingen an zu kichern. Andere wiederum lachten laut drauf los.
Jörg wurde kreidebleich. Ihm zitterten die Knie. Plötzlich drehte er sich um und rannte weg. Bernd hingegen, wurde als neuer Held gefeiert. Er war der erste Junge, der sich dem Raufbold widersetzte. Doch Jörg behagte die ganze Situation nicht. Er hatte Mitleid mit Jörg. Nach einigen Schulterklopfern und anderen Ehrenbekundungen, löste sich Bernd von den übrigen Schülern und begab sich auf die Suche nach Bernd.
Er fand Jörg zusammen gekauert in einer Ecke des Gemüsegartens sitzen. Vorsichtig näherte er sich dem weinenden Jungen. Als Jörg Bernd entdeckte wurde er noch mehr eingeschüchtert. Die blanke Angst stand ihm ins Gesicht geschrieben.
>>Geh weg. Bitte geh weg.<<, bettelte Jörg mit weinerlicher Stimme.
Doch Bernd kam Schritt für Schritt näher. >>Du brauchst doch vor mir keine Angst haben. Ich tue dir nichts. Versprochen.<<
Jörg schaute Bernd mit seinen verheulten Augen an. Er wirkte unsicher. >>Das sagst du jetzt nur so. Und wenn du gleich bei mir bist, haust du mir auf die Schnauze…<<
>>Wie kommst du denn darauf?<<
>>Ist zu Hause nicht anders. Erst ist der Alte furchtbar nett, aber dann gibt’s Prügel.<<
Bernd muss schlucken. Damit hatte er nicht gerechnet. Schnell setzt er sich neben Jörg auf einen Begrezungsstein vom Blumenbeet, legt freundschaftlich den Arm auf die Schulter. Dann atmet er tief durch. >>Du brauchst keine Angst vor mir zu haben. Hier bist du der Stärkste. Das wissen alle. Und um dein Zuhause kümmern wir uns auch noch.<<
Langsam hellt sich Jörgs Gesicht wieder auf. Er lächelt Jörg an. >>Danke, das ist echt nett von dir. Warum tust du das? Ich war doch immer so gemein zu allen hier.<<
>>Raue Schale, weicher Kern. Aber hey, ich werde den Anderen nichts verraten.<< Kaum hat Bernd den letzten Satz ausgesprochen, reicht er Jörg die Hand. Ohne viel nachzudenken, schlägt er ein.
>>Jetzt sind wir Freunde. Echte Freunde.<< Mit breitem Grinsen verkündet Jörg stolz das jüngste Ereignis. Die Trauer und Wut aus seinem aufgequollenen Gesicht sind verschwunden. Sie wichen einem Sonnenschein. >>Doch was machen wir mit den Kindern. Sie müssen doch von unsrer Freundschaft nichts wissen, oder?<<
>>Nein<< antwortete Bernd, >>das müssen sie nicht. Ich habe auch schon eine Idee, wie wir dieses Problem lösen können.<<
Hastig springt er auf, hüpft ins Blumenbeet und nimmt eine Handvoll Erde auf. Diese verteilt er auf seiner Kleidung und dem Gesicht. Jörg versteht das ganze nicht, schaut ihn daher sehr, sehr fragend an.
>>Na du hast mich eben verprügelt.<<
>>Aber das habe ich doch nicht. Wir sind doch jetzt Freunde!<<
>>Stimmt, aber die anderen Kinder wissen dass doch nicht. Ist doch unser kleines Geheimnis.<< Mit viel Elan verteilt Bernd weiterhin Erde und Dreck, deutlich sichtbar, überall auf sich. >>Wir erzählen einfach, dass du mich verkloppt hast. Das werden sie uns schon glauben. Haben doch alle angst vor dir.<< Mit einem Augenzwinkern führt Bernd seine Idee weiter aus.
Jetzt hat es auch Jörg verstanden: >>Wir prügeln uns gar nicht. Du machst dich nur schmutzig, um mich als bösen Jungen dastehen zu lassen. Das ist klug. Aber es muss echt aussehen.<< Blitzartig springt auch Jörg auf und hüpft in das Blumenbeet hinein. Er nimmt etwas Erde und bewirft Jörg damit. Es dauert nicht lange, da wirft er zurück. Die beiden Jungen veranstalten eine Schneeballschlacht mitten im Spätsommer. Nur eben mit Erde. Schon nach wenigen Minuten sehen sie aus wie kleine Dreckschweine. Von Bernds weißem Hemd ist nicht mehr viel zu sehen. Außerdem hat die feine Hose ein Loch bekommen. Doch statt sich zu ärgern, quittiert er das mit einem Lachen. es wirkt, als hätten die Beiden noch nie soviel Spaß in ihrem Leben gehabt.