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Vom Kamelrücken aufs Meer – die arabische Seemacht
ОглавлениеEin großer Teil der Küsten des Mittelmeers wurde am Vorabend der Kreuzzüge von der muslimischen Welt beherrscht. Seit dem 7./8. Jahrhundert wurde, von der Arabischen Halbinsel ausgehend, in einem gewaltigen Eroberungszug von den Nachfolgern Mohammeds die politische Landkarte rund um das Mittelmeer gravierend verändert. Durch die religiöse, politische und soziale Einigung der arabischen Stämme und die gravierende Schwäche der größten Nachbarn, des Byzantinischen Reichs und der persischen Sassaniden, die sich in endlosen Kämpfen gegenseitig ausgelaugt hatten, stießen sie mit einem ungeheuren Expansionsdrang nach allen Richtungen vor. Es entstand das arabische Kalifat, nachdem die an den Küsten des Mittelmeers liegenden Länder Syrien, Palästina, Ägypten, Spanien, Sizilien und praktisch der gesamte Norden des afrikanischen Kontinents erobert und dazu noch der Irak, Persien, Transkaukasien und weite Teile Zentraleuropas besetzt worden waren. Damit war nicht nur der Süden mit der gesamten nordafrikanischen Küste unter islamischer Herrschaft, sondern auch, praktisch das Meer umfassend, der Westen und der Osten; mit dem Besitz Siziliens war auch die Mitte seebeherrschend unter ihrem Einfluss. Aus dem einheitlichen Reich entwickelten sich sehr bald zahlreiche selbständige Herrschaftsgebiete: Nachdem Spanien bereits 756 selbstständiges Emirat geworden war, folgten Marokko, Tunis und Algier, Ägypten schloss sich im 9. Jahrhundert an, einige Kleinreiche entstanden in Syrien.51
Unter dem Kalifat des Umayiyaden Othman ibn Affan (644–656) ging der Siegeszug der Araber weiter, wurde aber immer mehr von den Provinzgouverneuren geführt. Sie erkannten, dass der große Feind, das oströmische Reich, nur zur See bezwungen werden konnte. So schuf 645 der Kommandeur der ägyptischen Armee zur Abwehr der Byzantiner die erste arabische Flotte, die wohl auf koptischen Werften in Ägypten gebaut wurde. Gleichzeitig waren die vorhandenen Werften an der Küste Syriens und Palästinas für die Entstehung einer arabischen Flotte genutzt worden. Mit Hilfe dieser Schiffseinheiten wurde 647 die Hafenstadt Tripolis erobert. Der in Syrien amtierende umayiyadische Gouverneur Mu’awiya I. (* 603, † 680, Kalif seit 661), ein Verwandter Othmans, führte den Krieg gegen Byzanz ebenfalls mit einer Flotte und eroberte 648 die gegenüber der damals bedeutenden syrischen Hafenstadt Tartus gelegene Insel Arwad, die später noch als wichtiger und letzter Stützpunkt der Tempelritter ins Licht rückte. Bereits im folgenden Jahr soll eine arabische Flotte mit 1700 Segeln vor Zypern erschienen sein und 652 raubten die Araber von der Insel Rhodos die Reste der berühmten Kolossalstatue. Eine von Mu’awiya I. im gleichen Jahr in Tripolis ausgerüstete Flotte, die einen Vorstoß in die Ägäis machen sollte, wurde von christlichen Galeerensklaven in Brand gesteckt und zerstört, so dass eine neue Flotte ausgerüstet werden musste.
Bereits 654 erfolgte ein erneuter Angriff auf Zypern und eine erneute unmittelbare Bedrohung des Byzantinischen Reichs, daher ließ der byzantinische Kaiser Konstans II. (*642, †668) eine Flotte von 700 bis 1000 (nach Aussagen Pemsels waren es 500) Kielen zusammenstellen, um die Seeherrschaft wieder zu erringen. Im Frühjahr 655 lief der arabische Schiffsverband unter Abdallah ben Sad in Richtung Konstantinopel aus und traf beim „Berge Phönikos“ vor der Küste Kleinasiens auf die von Kaiser Konstans II. persönlich geführte und zahlenmäßig überlegene Flotte Ostroms. In dieser sogenannten „Seeschlacht der Masten“ griffen die Araber an, gerieten aber bald durch die bessere Taktik und Wendigkeit der Griechen in eine schwierige Lage. Erst im letzten Moment konnte eine Katastrophe verhindert werden, als eine Dromone versuchte, das arabische Flaggschiff abzuschleppen. Entgegen jeder taktischen Erkenntnis verbanden daraufhin die Araber ihre Schiffe mit Ketten zu einer schwimmenden Festung und überwältigten Schiff um Schiff der Gegner mit ihren kampferprobten Sturmtruppen. Interessanterweise erleben wir mit dieser Vorgehensweise eine Parallele des antiken römischen Wegs zur Seemacht – auch dort wurde die überlegene Kampfkraft zu Lande auf den Flottenkampf übertragen. Die arabische Flotte errang ihren ersten großen Seesieg, der Kaiser konnte nur mit Mühe und der Hilfe des Sohnes eines Stabstrompeters als Matrose verkleidet mit seinem Bruder Theodosius nach Konstantinopel entkommen.
Die weltgeschichtliche Bedeutung dieser Seeschlacht ist, wie Frank Thiess schrieb,
„…seltsamerweise im Meer der Geschichte versunken“
und er stellte dieses Ereignis in seiner Bedeutung auf eine Stufe mit der Schlacht vor Salamis. Es war dies sicherlich die eigentliche Geburtsstunde der Seemacht der Sarazenen und bedeutete für die folgenden Jahrhunderte einen schwerwiegenden Machtfaktor in der maritimen Geschichte des Mittelmeers. Eine neue Weltmacht war geboren und hatte sich nachdrücklich auch als Seemacht etabliert und zu Wort gemeldet. Das Beeindruckende ist allerdings, dass ein Volk, das vor einem Viertel Jahrhundert noch ausschließlich Krieg in der Wüste geführt hatte, es unternahm, sich mit den seit Jahrhunderten seebeherrschenden Griechen zu messen und sicher wurden den Arabern kaum Chancen eingeräumt, dass sie Erfolg haben könnten. Aber die arabische Flotte wurde unter der Führung von Mu’awiya I., bei völliger Unterschätzung durch die Griechen, jahrelang zuerst an kleinen, später an größeren Aufgaben geschult, später wurden kriegerische Vorstöße nach Rhodos und dann nach Kreta unternommen.
Der Tod des Kalifen Othman führte, wie immer nach dem Tod eines arabischen Herrschers, zur einer ernsten Krise, die durch Kämpfe um die Erbfolge bestimmt war. Auch in der Folgezeit wurde den Feinden des Kalifats dadurch immer wieder die Möglichkeit gegeben, sich neu zu formieren, teilweise gingen wichtige mühsam erkämpfte Eroberungen wieder verloren. So war zwar nach der gewonnenen Seeschlacht der Weg nach Konstantinopel frei, allerdings war Mu’awiya gezwungen, mit Ostrom vorübergehend Frieden zu schließen und nahm erst nach Erringung des Kalifats (und Begründung der Dynastie der Umayyaden) ab 663 die Offensive wieder auf. Die arabischen Geschwader stießen bis ins Marmarameer vor und eroberten die Inseln Rhodos, Kos und Chios, gleichzeitig erfolgten Raubzüge vom heutigen Tunesien aus gegen Sizilien.
Diese Entwicklung ist deswegen besonders interessant und bemerkenswert, weil die Entstehung der arabische Seekräfte, im Gegensatz zur europäischen Entfaltung des Seewesens, quasi aus dem Nichts heraus entstand, sie konnte sich nicht kontinuierlich entwickeln wie bei den Griechen und Römern, Byzantinern und auch den Normannen.
Noch erstaunlicher ist die Feststellung, dass die Araber als Festlandsvolk der Schifffahrt fremd gegenüberstanden, trotz kaufmännischen Verständnisses für die Seefahrt bestand eine vielfach nachzuweisende Scheu vor dem Meer. Die seit Jahrhunderten bestehenden überseeischen Fernfahrten durch das Rote Meer und den Indischen Ozean überließen der Küstenbeduine und der Kaufmann aus Mekka den Nichtarabern, überwiegend den indischen Seeleuten. Es waren vorwiegend fremde Segel, die damals die Stapelplätze im Jemen und in Bahrein und in den Häfen des Roten Meers zu sehen waren, daneben waren die maritimen Voraussetzungen auf der hafenarmen arabischen Halbinsel, trotz der wichtigen hier entlang ziehenden Handelswege, vergleichsweise gering.52
Und doch wurden die Beduinen und Wüstenbewohner, betrachtet man den Vorgang in historischen Dimensionen, urplötzlich von einem Land- zu einem Seevolk. Der Schlüssel zu diesem eigentlich typisch orientalischen Phänomen ist der nahezu bedingungslose Expansionsions- und Offensivdrang der Araber – nur über das Meer konnte der große Feind Byzanz in die Knie gezwungen werden. Bis hin zum Westen des Mittelmeers reichten die Wege und Umwege, die den Weg zur See als eine zusätzliche Straße zu weiteren Eroberungen auswies:
„Konstantinopel ist nur von Spanien zu erobern; wenn ihr die Stadt gewinnt, seid ihr die Genossen derer, die sie vom Meere aus einnehmen!“
war den Worten des Kalifs ’Utmān zu entnehmen.
Bei der Ausdehnung der arabischen Welt und der Entstehung des Kalifats im 7. bis 8. Jahrhundert fanden die Eroberer in den syrischen und ägyptischen Hafenstädten Werften vor, die zunächst zum Aufbau einer Kriegsflotte, später auch verstärkt zum Bau von Handelsschiffen genutzt wurden. Die Nachfolger der Phönizier waren nicht nur nach wie vor hervorragende Seeleute, sondern ebenfalls erfahrene Schiffbauer. So wissen wir, dass Mu’awiya koptische Matrosen, Werftarbeiter, Schiffszimmerleute, Schreiner und Kalfater, von denen sogar die Lohnverhältnisse bekannt sind, beschäftigte und dass koptische und griechische Ruderer als Ergänzung zu den südarabischen Kalbiten als Bordtruppen angeheuert wurden. Die Arsenale lagen zunächst in Tyros und Akkon, später entstanden weitere Werften im Nildelta. Noch eine weitere Differenz unterstreicht die weitgehend unabhängige Entwicklung der arabischen Mittelmeerseefahrt von der des Roten Meers: Die Araber benötigten viel Eisen, das sie nach der Eroberung von Rhodos dort beziehen, für die Herstellung von Nägeln – die Verbindung der Planken wurden nach mediterraner Bauart genagelt und nicht nach östlicher Gewohnheit gebunden. Auch die Besatzungen der Schiffe entstammten in der Mehrzahl der bodenständigen Bevölkerung Syriens und Ägyptens. Neue Werften wurden errichtet, die in Karthago vordringenden Truppen bauten in Tunesien neue Arsenale, der spanische Umayiyade ließ 879 sogar eine Atlantikflotte zum Schutz der verwundbaren galizischen Küste auflegen.
Zu den Schiffen, mit denen die Erfolge der Araber errungen wurden, schrieb Frank Thiess:53
„Diese (die Araber, Anm. des Verf.) haben bestimmt keine neuen Typen gebaut, sondern sich an die bewährten griechischen Vorbilder gehalten. Ihre Seetüchtigkeit ist groß gewesen, da sie das unruhige Mittelmeer kreuz und quer durchfuhren, ohne dass von Schiffsuntergängen ihrer Flotten viel berichtet ist. Wir werden uns also die arabischen Schiffe kaum anders vorstellen dürfen als die byzantinischen, zumal sie für ihren Bau griechische Schiffsingenieure verpflichtet hatten. Leider wissen wir nichts über die Taktik, in der sie eine Seeschlacht führten. Weil aber, wenn wir den Quellen glauben dürfen, ihre Flotten zahlenmäßig ungemein groß waren und gelegentlich von mehr als tausend Schiffen gesprochen wird, müssen sie die Angriffsfront weit auseinander gezogen und versucht haben, den schwächeren Gegner von den Flanken her zu überflügeln und nach Vollendung des Kreuzungsmanövers auch im Rücken anzugreifen. Sie evolutionierten also im Prinzip nicht anders als die griechischen Geschwader in den Seeschlachten der Antike“
Textliche Beschreibungen zu den ersten arabisch-syrischen Flotten existierten nicht, die neugegründete islamische Flotte war weitgehend mit den Erfahrungen der byzantinischen Erzfeinde und Vorbilder identisch und baute auf deren nautischen Traditionen auf. So war das Kampfschiff der Araber wie bei den byzantinischen Einheiten die Dromone, bei der in zwei Stockwerken jeweils 25 Ruderer saßen, von denen 50 im Gefecht an den Rudern blieben und die anderen die Kampfmannschaft verstärkten. Die Schiffseinheiten Mu’awiyas verfügten bereits bei den ersten Angriffen auf die von Ostrom beherrschten Küsten über Steine und Schleudermaschinen, der Angriff gestaltete sich folgendermaßen: Zunächst Wurfspieße und Pfeile, dann Steingeschosse und danach wurden die Schiffe, entgegen allen Regeln der maritimen Taktik, vertäut und der Angriff mit dem Schwert folgte.54
Darstellung arabischer Schiffe nach einer Miniatur in der türkischen Handschrift „Leben Iskanders“ um 930–933
Historisches Ausmaß gewannen im 9. Jahrhundert die marinen Eroberungszüge der Aglabiden-Dynastien, die über die Eroberung Siziliens 827 (unter Asad ibn al-Furat – eigentlich ein islamischer Gelehrter und Jurist, der aufgrund seiner Schriften in Ungnade gefallen und zum Kommandeur der Flotte und des Expeditionskorps ernannt worden war) zur zeitweiligen Besetzung von Teilen Unteritaliens und der Besetzung Maltas führte. Sizilien wurde in den folgenden Jahrzehnten fast vollständig muslimisch-arabisch. Als Oberherren der von ihnen eingesetzten Emire von Ifriquiya und Sizilien blieben die Fatimiden (direkte Abkunft vom Propheten Mohammed, Tochter Fatima) bis Mitte des 11. Jahrhunderts die islamische Vormacht im westlichen Mittelmeer, im östlichen Mittelmeer rivalisierten sie dank ihrer bedeutenden Flottenmacht mit dem Byzantinischen Reich.
Die Angriffskraft der sarazenischen Flotten begann sich allerdings am Vorabend der Kreuzzüge zu erschöpfen. Die arabischen Dynastien lieferten sich heftige Machtkämpfe untereinander und verbündeten sich dazu sogar mit christlichen Staaten gegen die eigenen Glaubensbrüder, die zielgerichteten Eroberungszüge wurden mehr und mehr zu Piratenfahrten aus wirtschaftlicher Not – die Seemacht bröckelte. Das stand auch in Zusammenhang mit dem Rückgang der Getreideproduktion in Nordafrika durch den Verlust von Anbauflächen – schon für das antike Rom war das die Kornkammer, deren Wegfall Staatskrisen auslöste. Allerdings beherrschten sarazenische Schiffe trotzdem noch die südlichen Mittelmeerküsten und auf diese Weise die Verbindungen Europas zu den ostasiatischen Märkten – damit ging ein großer Teil des Welthandels durch ihre Hände. Eine dominierende Rolle kam dabei dem fatimidischen Ägypten zu, dessen Herrschaft über das Rote Meer und damit über den Seehandel vom Indischen Ozean zum Mittelmeer ihm eine dominierende Stellung im Handelsimperium sicherte, Kairo stieg zu einer der wirtschaftlichen, geistigen und religiösen Metropolen der islamischen Welt auf.55