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Der Weg zum Reichtum
ОглавлениеSo war Desrues zu der Witwe Barnot in der Rue St. Viktor gekommen. Die Jahre gingen. Die alte Frau hatte noch niemals bereut, den Knaben aufgenommen zu haben. Er war fleißig und verrichtete alle ihm aufgetragenen Dienste mit größter Pünktlichkeit. Unermüdlich lief er treppauf, treppab, rannte in die Stadt zu den Kunden, half im Laden der Verkäuferin, putzte und fegte das Häuschen blitzblank und pflegte den Garten mit viel Geschick und Glück. War er abends fertig mit seinen Arbeiten, dann hockte er in der Küche hinterm Herd und las. Alle Bücher, die er erwischen konnte, verschlang er gierig. Von seinen kleinen Ersparnissen – er erhielt Taschengeld und auch öfters Trinkgelder – kaufte er sich nur Bücher, und die gute Madame Varnot wunderte sich oft über die Gelehrsamkeit ihres Hausburschen. Die Kunden lobten seinen Diensteifer und seine gewandten, feinen Manieren. Er wußte sich wie ein Junge aus vornehmer Familie zu benehmen. In seinen einfachen, aber sauberen Kleidern sah man ihm nicht mehr den zerlumpten, barfüßigen Gassenjungen an, als der er nach Paris gekommen war.
Was aber besonders von allen Leuten gelobt wurde, war seine Frömmigkeit. Der würdige Abbé Lahousse stellte ihn allen anderen jungen Menschen als Muster hin. Er fehlte nie im Sonntagsgottesdienst, kam regelmäßig zur Beichte, betete fleißig den Rosenkranz, kurzum, er war sehr religiös. Lahousse gab dem Jungen, den er liebgewonnen hatte, viele Bücher, um dessen Lesehunger zu stillen und nahm sich überhaupt seiner an. Er erteilte ihm in freien Stunden kostenlosen Unterricht, was Desrues sehr beglückte, und lobte seinen hellen Kopf, seinen Fleiß und Ausdauer.
So wurde aus dem Knaben ein Jüngling, dessen vornehmes Wesen und feine Bildung ihn weit über seinen Stand hinaushob. Desrues sah die ersten seiner Wünsche erfüllt. Aber noch fehlte ihm der Reichtum. Er hatte viel gelernt und konnte als ein gebildeter, kenntnisreicher junger Mann gelten, aber noch war er arm. Was er an Unterricht empfangen, war ihm kostenlos gegeben worden. Aus eigenen Mitteln konnte er sich noch nichts leisten, denn seine kleinen Einnahmen wurden regelmäßig für Bücher, Wäsche und dergleichen verausgabt.
Frau Barnot hatte ihn lieb wie einen Sohn, zumal sie allein in der Welt stand und weder Mann, noch Kinder mehr besaß. Alle waren schon vor Jahren gestorben … So hängte sie ihr Herz an Antoine Desrues und behandelte ihn wie ein leibliches Kind.
Sie war im Lauf der Zeit, während Desrues zu einem blühenden Jüngling heranwuchs, hinfällig und schwächlich geworden. Auch ihre Verstandeskräfte hatten stark abgenommen und sie konnte schließlich ihr Geschäft nicht mehr führen.
Als sie eines Abends in ihrem Zimmer saß, Desrues ihr gegenüber mit einem geschichtlichen Werk – denn er hatte längst das Recht, in der Wohnung der Frau Barnot sich aufzuhalten, nicht mehr in der Küche, wie als Junge – fing sie plötzlich an, von ihrem Tod zu sprechen.
»Ich glaube, meine Tage sind gezählt, lieber Antoine, ich bin alt und gebrechlich, wer weiß, wie lange ich noch zu leben habe. Mit der Arbeit will es auch gar nicht mehr gehen, das weißt du ja. Jetzt möchte ich meinen Lebensabend in Ruhe und Frieden verbringen; ich habe mich genug gequält im Leben.«
Desrues hörte gespannt zu. Eine Ahnung sagte ihm, daß er vor einem wichtigen Ereignis stehe.
»Nun habe ich mir folgendes überlegt, Antoine«, fuhr die Frau fort, »ich stehe ja allein und habe keine Erben. Du bist mir immer eine rechte Stütze gewesen und sollst nun auch deinen Lohn haben. Ich will Haus und Laden dir vermachen und du kannst es gleich übernehmen. Aber unter folgenden Bedingungen: du zahlst mir, solange ich lebe, eine jährliche Leibrente von 1200 Livres und gibst mir zwei Zimmer als Wohnung ohne Miete ab. Du wirst mich gut verpflegen, bis ich sterbe, das weiß ich. Nach meinem Tod bist du der alleinige Erbe und Herr. Was sagst du dazu, lieber Junge?«
Desrues bebte vor Freude, eine helle Röte ergoß sich über sein Gesicht, aber er beherrschte sich und sagte freundlich: »Aber liebe Frau Barnot, wer wird denn ans Sterben denken?! Sie leben sicher noch recht recht lange, dafür bitte ich alltäglich die Jungfrau Maria. Ich würde ja in Ihnen meine zweite Mutter verlieren.« Schmeichelnd küßte er die Hand der Alten, die ihre welke Rechte wie segnend auf seinen dunklen Scheitel legte.
»Nimm meinen Vorschlag an, Antoine; vielleicht schenkt mir der Himmel noch einige Jahre, wenn du mich recht gut pflegst und ich die wohlverdiente Ruhe genieße.«
»Das will ich tun. Bei Gott, das will ich tun! Was in meinen Kräften steht, wird für Sie geschehen. Ich will Ihnen das Leben so behaglich und schön, wie nur irgend denkbar ist, machen.«
»Gut, mein Lieber! Es bleibt also dabei und noch morgen gehen wir zum Notar und erledigen die Sache ordnungsmäßig. Jetzt aber, gute Nacht! Ich bin müde.« Sie erhob sich und ging hinaus, nachdem ihr Desrues nochmals warm gedankt hatte und die feurigsten Versprechungen gemacht hatte. Als er allein war, breitete er wie in innerem Jubel die Arme aus. »Der Erbe von Haus und Hof! Das ist das erste Kapital, das ich bekomme, und ich will es nutzbringend verwerten, parbleu! O, Paris! Du sollst die Wiege meines Glücks werden. Ein günstiger Stern hat mich hierhergeführt.« Wie ein übermütiger Junge eilte er in großen Sprüngen auf sein Zimmer, holte aus einem wohlverschlossenen Schrank eine Flasche guten alten Wein und goß sich ein Glas voll. Prüfend hielt er es ans Licht, das rubinrot durch die Flüssigkeit schimmerte. »Auf mein eigenes Wohl«, rief er halblaut lachend und leerte es mit einem Zug. »Es ist doch gut«, fuhr er in seinem Selbstgespräch fort, »daß ich mir den Wein neulich aus dem Keller holte. Die alte Barnot trinkt doch keinen mehr. Ich muß aber diesen Erfolg begießen.« Er schenkte sich ein zweites Glas ein, das er langsamer ausschlürfte und versank dabei in bunte Zukunftsträume …
Kurze Zeit darauf war Madame Barnot mit Desrues zum Notar gegangen, um dort den Kontrakt in formeller Weise zu schließen. »Unter uns ist das ja eigentlich nicht nötig«, hatte er gemeint, »da gilt jedes mündliche Versprechen.«
»Gewiß, gewiß, mein guter Junge, ich weiß wohl. Ich gehe auch nur deinetwegen zum Notar, damit du später einmal, wenn ich nicht mehr lebe, die Sache schwarz auf weiß besitzest. Besser ist besser.« Desrues sagte nichts weiter und begleitete die gute Alte. Als er heimkam, war er Haus- und Ladenbesitzer und nur eine Verpflichtung lastete auf ihm, der ehemaligen Eigentümerin jährlich 1200 Livres zu zahlen und ihr für Lebenszeit Kost und Wohnung zu gewähren.
»Wenn du mich jetzt recht gut pflegst, mein guter Antoine«, hatte die wackere Frau lächelnd gesagt, »dann falle ich dir auch noch lange zur Last. Und du wirst mich gut pflegen, das weiß ich. – Nun kann ich wenigstens den Rest meines Lebens in Frieden verleben.«
»Wenn Sie mir nur noch recht lange erhalten bleiben«, antwortete Antoine Desrues, »ich möchte Ihnen gern das Paradies auf Erden bereiten zum Dank für alle Ihre Güte.«
Aber sein Wunsch ging nicht in Erfüllung. Bald nachdem sie sich zur Ruhe gesetzt hatte, fing Frau Barnot an zu kränkeln. Ein schweres Magenleiden schien sich bei ihr zu entwickeln. Häufiges Erbrechen, Durchfall, Appetitlosigkeit zehrten an ihrer Kraft. Trotz der Behandlung eines tüchtigen Arztes steigerten sich die bedrohlichen Symptome schnell. Nach einem knappen Vierteljahr lag die Alte im Sterben. Ihr Tod war grausig. Brennender Durst und rasende Schmerzen quälten sie; sie wälzte sich wie irr im Bett herum, bäumte sich hoch wie unter schrecklicher Pein und litt unter furchtbaren Fieberphantasien.
Desrues hatte sie mit zärtlichster Sorgfalt gepflegt. Tag und Nacht wachte er an ihrem Lager. Er gab ihr selbst die Arznei ein und bereitete ihr oft persönlich stärkende Speisen. An ihrem Sterbebett zeigte er sich tief bewegt. Den Nachbarn, dem Doktor und dem ehrwürdigen Abbé Lahousse klagte er, wieviel er an der Guten verliere, daß der Tod seiner Wohltäterin ihm fast das Herz breche. Sein tiefer Kummer rührte alle.
Da ereignete sich wenige Stunden vor Frau Barnots Ableben ein seltsamer Vorfall. Desrues hatte ihr Suppe gebracht und bat sie schmeichelnd, ein wenig zu genießen, es werde ihr gut tun. Die Alte sah ihn groß an, dann wandte sie sich plötzlich mit einer Gebärde des Abscheus von ihm ab. Ein merkwürdiger Glanz war in ihren Augen, als sehe sie bereits mit anderen, helleren Augen, als die schwachen Menschen es vermögen. Man erzählt, daß Sterbende oft seltsame Visionen haben, Ahnungen, in denen sie Dinge erkennen, die sonst für irdisches Wissen verborgen sind. Ein unheimliches Gefühl packte den Geistlichen Lahousse, als die Frau sich mit unverkennbarem Widerwillen von Desrues abwandte und leise, kaum vernehmbar, murmelte: »Fort, fort! Du gibst mir den Tod zu essen. Unglücklicher, ich sehe dich auf dem Schaffott enden …« Desrues schüttelte kummervoll den Kopf und meinte auf eine Bemerkung des Abbés: »Sie phantasiert, die Ärmste.«
»Nun ja, das wird es wohl sein«, antwortete dieser. Er reichte kurz darauf der Kranken die letzte Ölung und nach einigen Stunden starb sie, nachdem eine völlig apathische Ruhe über sie gekommen war. Das Gesicht war blaurot, die Augen gräßlich verzerrt. Desrues drückte sie ihr zu und kniete dann lange betend bei der Leiche. Er hielt die ganze Nacht Totenwache.
Antoine François Desrues war Universalerbe. Er verkaufte vorteilhaft Haus und Geschäft, da ihm letzteres nicht behagte. Von dem Erlös gründete er eine Agentur für Häuser, Grundstücke, Äcker und andere Liegenschaften. Er wurde fleißiger Besucher der Börse und spielte und spekulierte hier mit viel Glück, so daß sich sein Vermögen schnell vergrößerte. Bald kam er in den Ruf eines sehr geschickten, wohlhabenden Kaufmanns. Durch vorteilhafte Verbindungen vermochte er sein Unternehmen immer mehr auszudehnen. Er fand Aufnahme in die feine Gesellschaft und gewann sich durch seine Bildung und sein feines Benehmen sehr zahlreiche Freunde. Man bewunderte seine Tatkraft, seine Umsicht und sein fabelhaftes Glück, Eigenschaften, die seinen Besitz schnell und immer schneller vergrößern halfen. Als er sich noch dazu mit Renée Villon, einer jungen, schönen Dame, der Tochter eines reichen Kaufmanns, vermählte, da schien er auf der Höhe des Glücks. Viel beneidet, viel bewundert, mußte er manchmal lächelnd an seine Knabenzeit denken, deren phantastische Träume so schön erfüllt worden waren. Was er in den kühnsten Hoffnungen sich ersehnt, die Glücksgöttin hatte es ihm in reichem Maß geschenkt. Aus dem hungernden, frierenden Betteljungen war ein Mann geworden, der Geld genug besaß, um sich jeden Luxus zu gewähren. Das Geld, der Besitz, war zu seinem Gott geworden und er glaubte, niemals genug zusammenraffen zu können. Längst galt ihm nicht mehr das behagliche Wohlleben als Ziel, sondern lediglich der Reichtum an sich, das Anhäufen von Gold, Schmuckstücken, Wertpapieren. Immer gewagter, toller wurden seine Börsenspekulationen, aber seltsam, sie glückten alle. Fortuna ließ ihren Liebling nicht im Stich …