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PSYCHE UND STIGMA WARUM ÜBER PSYCHE UND STIGMA REDEN?

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Weil es notwendig ist und weil es Veränderung braucht. Veränderung im Verstehen und Betrachten der »Psyche« an sich, der Menschen, die psychisch erkrankt sind, und auch der psychischen Erkrankungen selbst, der Therapie- und Behandlungsmöglichkeiten und ebenso der Behandlungsstrukturen und jener Menschen, die in diesen Strukturen arbeiten. Das ist jedoch nicht möglich, wenn der Blick darauf weiterhin durch eine »Stigmabrille« erfolgt, und um daran etwas zum Guten hin zu verändern, müssen wir es ansprechen, zum Thema machen – wir müssen daher darüber reden (und auch darüber schreiben).

Sowohl Psyche als auch Stigma sind Wörter beziehungsweise Begriffe, die aus dem Altgriechischen stammen und eine entsprechend lange Geschichte haben. Es scheint daher angebracht, ihre aktuelle begriffliche Bedeutung anzugeben: Mit »Psyche« ist die Gesamtheit jener Funktionen gemeint, die wir dem menschlichen Wahrnehmen, Fühlen und Denken zuordnen können. Der antike Begriff bedeutete in etwa »Atem der Seele«, eine auf mich angenehm wirkende Umschreibung. Ganz im Gegensatz dazu war und ist »Stigma« ein Begriff, der mit unangenehmen Assoziationen verbunden ist und das zu Recht, denn es bedeutete in der Antike jenes »Brandmal«, das Sklaven oder Kriminellen zur Markierung tatsächlich auf die Haut gebrannt wurde. Im konkreten Kontext wiederum entspricht Stigma einer quasi Abstempelung mit negativen Merkmalen. Stigmatisierung als Prozess der diskriminierenden Etikettierung geschieht zwar nicht so sehr gegenüber der Psyche an sich (wobei es zeitweilig sogar danach scheint), sondern vor allem gegenüber psychisch erkrankten Menschen, psychischen Erkrankungen und all den im Eingangsabsatz angeführten Bereichen. Diese negative Etikettierung, geradezu Brandmarkung – und es wird an späterer Stelle Beispiele geben, die ein derartig heftiges Wort rechtfertigen –, hat eine Reihe von weitreichenden negativen Auswirkungen auf die Betroffenen, ihre Familien und auch auf unsere Gesellschaft als Ganzes.

Denn psychische Erkrankungen gehen uns alle an, da wir alle irgendwann einmal im Leben davon betroffen sind – entweder direkt oder durch eine Person, die wir kennen, die uns nahesteht.

Psychische Erkrankungen sind häufig: Aufs Leben gesehen durchläuft jede/r Dritte, eher sogar jede/r Zweite, zumindest einmal eine Episode einer behandlungsbedürftigen psychischen Erkrankung.

Psychische Erkrankungen behindern: Etwa ein Drittel aller »global disabilities« wird von psychischen Erkrankungen verursacht (Vigo; Thornicroft, Atun 2016).

Psychische Erkrankungen beginnen früh: 50 Prozent aller psychischen Gesundheitsprobleme beginnen vor dem 14. Lebensjahr (Jones 2013).

Vieles ließe sich hier verbessern, Voraussetzung ist aber, dass Hilfe vorhanden ist und auch angenommen wird und das eher früher als später. Wir reden zu wenig darüber, was es an Möglichkeiten der Therapie, der Behandlung gibt, wir sprechen und schreiben wenig aufklärerisch, sondern vielfach sensationsgierig und negativ über alles Mögliche, was mit psychischen Erkrankungen zu tun hat (und mindestens genauso häufig gar nichts damit zu tun hat, wie beispielsweise manche destruktive Verhaltensweisen einiger Politiker). Tatsächlich wissen wir als Gesamtgesellschaft wenig, aber haben dafür umso mehr Meinungen: über psychische Erkrankungen, ihre Entstehung und Folgen, die Betroffenen, die Behandlung, die Behandelnden. Die Feststellung des großen Wiener Psychiaters und Psychiatrie-Reformers Professor Dr. Stephan Rudas hat bis zum heutigen Tag Gültigkeit: »Weil alle eine Psyche haben, glauben auch alle, sie verstehen etwas davon.« Das bringt eine Menge vorgefasster Meinungen, Haltungen und negativer Stereotypien mit sich, die in weiten Teilen der Gesellschaft verbreitet sind und eine Nähe von »Psyche« und »Stigma« erzeugen.

Genau diese unselige Verbindung zwischen »Psyche« und »Stigma« schafft das größte Hindernis, dafür dass Betroffene und ihre Angehörigen frühzeitig Hilfe suchen und auch bekommen. Viele sehen sich gezwungen, Alarmsignale der psychischen Erkrankung zu überspielen und zu ignorieren, diese unter Sorge und Angst geheim zu halten, damit sie weiterhin Teil der Gesellschaft sind und nicht zu stigmatisierten Außenseitern werden. Die Scham davor, Hilfe in Anspruch zu nehmen, führt häufig zu einem sehr späten Behandlungsbeginn. Und ein allzu später Behandlungsbeginn bringt bei jeder Erkrankung Nachteile beziehungsweise sekundäre Probleme mit sich. Positiv formuliert: Je früher geholfen werden kann, desto besser. Davon sind wir allerdings weit entfernt, und zwar im Wesentlichen weltweit.

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