Читать книгу Die hämmernde Front - Georg Queri - Страница 6

Trommelfeuer.

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Auf der Maashöhe bei . . ., 21. April.

er Flieger wollte nicht kommen.

Es war elf Uhr abends, und man hatte ihn meistens schon kurz nach zehn aus weiter Ferne gehört. Der Wind jagte in den Luftkanälen zwischen den Maashöhen das Knattern des Motors vor sich her, und die Mannschaften an unseren Maschinengewehren waren lange schon schussfertig, bevor der Feind das Dorf bekämpfen konnte. Er strich immer lächerlich niedrig über der Landschaft, kaum dreihundert Meter über der Kirchturmspitze, aber er war doch immer nur ein kleines vorüberrasendes Ziel; und meistens flog er in den halbdunklen Nächten, in denen die Scheinwerfer nur blasse Arbeit machten und ihn kaum als Schatten umrissen, der vor überhuschte. Unsere Leute wollten ihn einige Male getroffen haben; es klang mir auch eines Nachts das helle Auftreffen von Gewehrschüssen auf eine Blechverschalung ins Ohr, und an zwei anderen Abenden der letzten Woche hatte er sein Flugzeug jäh herumgeworfen und war wieder nach Verdun zurückgesteuert.

Aber in dieser Aprilnacht lauerte ich ihm vergeblich auf.

Es war ziemlich dunkel.

Wenn man von dem Hügel in die Ferne sah, konnte man kaum das Flußband der Maas finden, und Wald und Feld schwammen ineinander über, als ob sie gleiche Farben und gleiche Konturen hätten. Man stolperte über Ackerschollen. Laternen aufleuchten zu lassen war nicht rätlich. Aber die Hügelspitze ließ sich finden, und das Auge gewöhnte sich schließlich an die tiefe Nacht und fand die Umrisse, die das Land vom Horizont trennten. Manchmal flammte es im Süden auf wie von Blitzen, und dann ragten Bäume aus der Helle, ein Kirchturm, eine Hochstraße, und rechts dunkelte es in den Argonnerwald ab, links in den Forgeswald.

Ein dumpfes Hallen da drunten, regelmäßig, nicht übertrieben oft, beiläufig sekundenweise ein ferner Schlag. Das matt verschwimmende Blitzen dazu säumte den Horizont wie die trübe Helle eines regnerischen Morgens.

Aber dann fieberte der Krieg der Geschütze auf und verstärkte seinen Pulsschlag. Wir horchten auf.

Der Hauptmann sagte: Sie schießen wieder inoffiziell. — Inoffiziell? — Ja, ganz inoffiziell. Der französische Bericht wird morgen wieder sagen: Andauerndes Feuer, das sich gegen Mitternacht verstärkte. Das ist dann offiziell, nicht wahr. Aber da drunten geht‘s augenblicklich inoffiziell zu, ganz inoffiziell.

Die Hölle hatte sich aufgetan da drunten.

Ich zählte sieben Schläge in der Sekunde und acht. Der Hauptmann war rascher. Er ließ seine Lippen haspeln und schnurrte bis zehn in der Sekunde, eine Zahl in die andere werfend und eine ganze Nummernreihe in einen einzigen Atemzug zusammengreifend. Dann sagte er ruhig: Ich kann nicht mehr. Da drunten steht ein Tambour am anderen und jeder will der schnellere sein. Da kann man nicht mit.

Jetzt hatte es da drunten aufgeglommen wie ein Brand vom einen Ende der Welt zum anderen: im Osten weit über der Maas dort lag wohl Vaux — ein blasses Leuchten, das heller und heller in den Mittelpunkt des Sehkreises kommt und im Osten tief in den Argonnen erst wieder verschimmern und verebben will. Alles in Aufruhr, alles in Lärm, ein Stück Front von etwa sechzig Kilometer Breite, aber in diesem Augenblick ein Mittelpunkt der Welt, der von sich reden machen will. Es ist, als ob man der tollsten Katastrophe beiwohne, die eine Naturkraft sich erlauben kann.

Ein Wogen und Branden. Der Donner rollt von Sonnenaufgang nach Sonnenuntergang und braucht keine Atempause für das Übermaß seines Brüllens. Eine rabiate Kraft ohne Ermessen und Ermatten, ein Hin und Her von dumpfen grollenden Aufschlägen, die fast nicht mehr Geräusch allein sein wollen und plötzlich sichtbar und greifbar erscheinen wie eine Welle, die man mit dem Auge verfolgen kann. Hunderte von Schlünden oder Tausende speien und werfen. So nah sind sie aneinander gereiht, dass ihre Blitze in der Ferne sich zu verschmelzen scheinen, bis eine einzige große Helle flackernd, zuckend über der Frontbreite hinflutet, aus der die Donnermelle kommt. Der Tod wetterleuchtet über der Front.

Ein übertrumpfen der Naturkräfte. Das Hochgewitter in den Bergen wird zum schönen pittoresken Schauspiel herabgestempelt. Blitze sind nur mehr gleitende Schläge, züngelnder Meuchelmord. Nicht die brutal aufprallende Vernichtung, die der Mensch erfand, ein Bersten, ein Sprengen, ein weithin gestreutes Zermalmen. Die Erde zittert leise und unaufhörlich. Unsichtbare Finger trommeln an die Fenster der Dörfer. Alte Dachbalken knistern wieder wie junges Holz.

Eine Rakete steigt hoch über den hellen Rand der Kanonenschlacht empor und heftet sich wie ein neuer Stern an den Himmel, alles Aufblitzen und Leuchten überblendend. Ein Stern, schöner wie der der Könige, süßes Grün wie durchstrahlter Smaragd — zuschauende Kinder müssten jubeln und die Arme nach dem Wunder ausstrecken.

Aber der Franzose, der die Rakete hinausschoss, ist in tiefer Not: die eigene Artillerie beschießt seine Gräben und es laufen und kriechen verwirrte Menschen um ihr Leben.

Die Granaten können kaum ihr Fluchen und Schreien ersticken.

Vier Stunden, fünf Stunden. Keine Pause dazwischen. Ich lag im Halbschlaf auf dem Stroh - die Pause im Gebrumm der Nacht hatte mich geweckt. Aber dann kam ein krasses Aufdonnern aus dem Nachbardorfe: der Luftdruck stemmte sich an das kleine Fenster meines Quartiers und stieß es auf. Ich horchte hinaus: die Schlacht der Geschütze hatte noch immer den gleichen rasselnden Atem. Zwei Parteien ließen ihre Geschütze spielen und keine wollte zuerst schweigen. Der Franzose säte nach Norden; wir streuten den Süden ab. Es trommelte auf Gräben und Unterstände, die Verbindungswege lagen in einem ewig hüpfenden prasselnden Sperrfeuer. Französische Schiffsgeschütze sind herangeschleppt; sie schleudern schwerste Kaliber in die Wälder, in denen sie Lager suchen, sie feuern in die Dörfer des Kriegsrandes. Gestern maßen wir den schweren Boden einer Quartiergranate ab: 34 Zentimeter.

Ein Ungeheuer. Es brüllt Tagmärsche weit; auf viertausend Meter schob es mein Fenster weg, als wenn nie ein Riegel davor gelegen hätte. Ha, wir werfen Ungeheuer dagegen!

Ich stieg wieder auf den Hügel und lauschte in den Lärm der Nacht hinein. Es schwieg kaum eines der Tausende von Geschützen, die ungefähr zwischen den Cotes Lorraines und den Argonnen den Stellungsbogen säumen. Das Feuer war langsam erwacht, wuchs zum Alarm und hetzte jede Batterie zur Arbeit. Stellung und Schlupf oder Quartier und Weg — jeder Batterie gab der Maßplan den Raum der Vernichtung. Oder sie hatte den Feind abzulenken und sich mit einer anderen zu duellieren, die ihr die Erkundungen des Tages bezeichnet hatten.

Unendlicher Lärm. Jetzt waren sechs Stunden dieses tollen Schießens vorüber. Wann sollte wieder Ruhe kommen? Und dann ein Angriff wohl?

Tief drunten der Wald von Avocourt. Ich habe Freunde vorne. Liebe, gute, prächtige Soldaten, sieghoffend, siegsuchend. Ich sah die Feuer in dem Walde brodeln, dieses hüpfende Sprühfeuer der Granaten. Tod und Teufel schicken den schweren Regen, der die Mütter weinen macht. Brave Kerle, die ihr ihm trotzt.

Der Wald ist zerschunden und zersetzt. Die Granate riss ihn nieder und warf die Kronen auf die Stümpfe. Sie entwurzelte den nackt gewordenen Stamm, jagte ihn hoch und ließ ihn wieder fallen, den Strunk in den Lehm, die Wurzel nach oben. Wie sie höhnisch daherzischte, die Granate! Sie schüttelte wirres Astwerk in den Graben und stopfte Stämme dazu. Sie blies in den Lehmboden hinein, warf die Schollen hoch und ließ sie in die Gräben klatschen wie Mörtel, der sie zu bauen soll. Aus den Unterständen riss sie feiste Balken heraus und wirbelte sie umher wie Halme. Ein Wellblechstück, groß wie ein Zimmerboden, fegt durch den Wald und verbeult sich an einem Baumstamm wie ein nasses Tuch.

Jetzt sitzen die Leute in ihren Unterständen und haben aufgehört, auf das Toben im Wald zu lauschen. Tausend Einschläge — ein jeder hat an den Nerven gezupft und gezogen, bis sie langsam schlaff und müde geworden sind. Dann das hindämmernde Schlafen. Ich weiß, der Oberstleutnant wird mir morgen wieder von seinem Adjutanten erzählen: Wie ein Murmeltier schlief dieser baumfeste Mensch wieder!

Und der junge Soldat wird zwischen Lachen und Verlegenheit wieder sagen: „Warum soll ih mir von die Franzosen mein“ Schlaf nehmen lass‘n?!“

Wie sie schockweise niederfinden, die Geschosse! Fürchtet der Feind einen Angriff? Eine Riesenzahl seiner Geschütze speit eine Stunde lang nur auf den kleinen Wald. Ein Dutzend Batterien legt darüber hinaus ein irrsinniges Sperrfeuer auf Wiesen und Straßen. Zwei Feldküchen werden überrascht. Die Granaten hüpfen tastend vor, links und rechts, fünfzig Meter näher, noch fünfzig --— „Hans, schneid‘ d‘ Ross ab!!“

Ein paar Messerhiebe. Die Fäuste von Bauernknechten greifen in die Zäume; die Rosse steigen hoch auf. Trabtrab, Galopp. Ein wildes Rennen ums Leben, aber der Gaul des Königs muss noch mit. Nicht, dass die Leut‘ sagen! Splitter spritzen. „Hü! hü!“

Sie erreichen den Wald.


Die hämmernde Front

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