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Die Naturwissenschaftler und ihr Sündhaftes

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An den Universitäten, den technischen Hochschulen, in den Forschungseinrichtungen und Industrieunternehmen, die Mathematiker, Physiker, Ingenieure und Chemiker beschäftigten, hatten sich inzwischen die meisten Angehörigen dieser Berufsgruppen krankgemeldet. Ganz so dramatisch war das Problem bei anderen Berufsgruppen nicht, wie zum Beispiel den Ökonomen, Betriebswirtschaftlern und Ärzten.

Von allen Universitätsabsolventen litten die Naturwissenschaftler am stärksten unter dem Sündhaften in ihrem Bewusstsein. Versuche mit dem im Fernsehen gesendeten Vergebungsprozess hatten meist keinen Erfolg. Die hierzu befragten Priester und Pfarrer überraschte das nicht.

Naturwissenschaftler haben zu ihrer christlichen Religion meistens ein anderes Verhältnis als andere Christen. Naturwissenschaftler sehen nur das als real und existierend an, was sie mit ihren fünf Sinnen erfassen können. Darüber hinaus ist für sie nur real, was sie mit ihren Messgeräten messen und was sich mathematisch berechnen lässt.

In dieser auf die Materie beschränkten Vorstellung von der Welt hat Gott keinen Platz. Gott passt nicht in ihre reale Welt des Sichtbaren, des Anfassbaren und des Berechenbaren. Naturwissenschaftler gehen vielfach wie andere Christen zu den sonntäglichen Gottesdiensten.

Sie singen die geistlichen Lieder und beten das Vaterunser. Damit haben sie ihre Vorstellung vom christlichen Glauben erfüllt. Gott und Christus sind für sie nichts Konkretes, sondern allein eine Frage des Glaubens. Der Glaube gehört für sie zu einer nichtrealen Welt und daher für sie zu einer unbekannten und eher nicht existierenden Welt.

In der Bibel heißt es: "Glaube ist ein Nichtzweifeln an dem, was man nicht sieht." Glaube bedeutet auch, "etwas als wahr zu akzeptieren." Wie können Naturwissenschaftler etwas als wahr akzeptieren, was sie nicht nachprüfen können, was sie mit den ihnen zur Verfügung stehenden Mitteln nicht beweisen können?

Deshalb passt auch sündhaftes Verhalten als Verstoß gegen göttliche Gesetze nicht in ihre Vorstellungswelt. Wenn Naturwissenschaftler andere Menschen abgewertet haben, so waren sie von der Richtigkeit und Angemessenheit ihres Urteils über andere Menschen überzeugt.

War ein Mensch hässlich oder zu dumm, um eine Sache zu verstehen, dann konnte man das ihrer Überzeugung nach von ihm auch denken und sagen.

Die Absolventen von Elite-Universitäten wie MIT oder Princeton blickten auf Absolventen von unbedeutenden Universitäten herab. Ein Diplom-Ingenieur mit Abschluss am MIT hielt sich für wertvoller als ein Diplom-Ingenieur von einer Universität in Kansas.

War ein Kollege bei einer Beförderung vermeintlich bevorzugt worden, konnte man ihm das neiden und ihn als Kriecher verurteilen. Daraus lernte man aber auch, die Kollegen schlechtzumachen, um bei der Vergabe des nächsten Top-Jobs den Vorzug zu erhalten.

Diesem seit eh und je anerkannten Funktionsprinzip musste man sich anpassen, wenn man Erfolg haben wollte. Das war für sie die reale Welt. In dieser realen Welt gab es nichts Sündhaftes, was es zu bereuen galt.

Kyle Nandor war solch ein typischer Naturwissenschaftler. Er hatte am MIT in Cambridge, Massachusetts, mit 29 Jahren seinen Doctor of Science (ScD) gemacht. Nach mehreren Jahren Erfahrung in Forschungslabors der Industrie war er am MIT Professor für Physik geworden. Sein Spezialfach war die Nuklear-Physik. Im Alter von 60 Jahren verließ er das MIT und wurde wissenschaftlicher Berater des FBI in Washington.

Nandor war jetzt 63 Jahre alt. Er war von großer Statur mit blauen Augen in einem schmalen Gesicht, wie man es gern Wissenschaftlern zuschreibt. Er hatte weiße Haare, die er lang herunterfallen ließ. Nandor war eitel. Er neigte dazu, eine gewisse Ähnlichkeit mit seinem berühmten Vorbild Albert Einstein zu pflegen, zumindest in Bezug auf seine vom Kopf abstehenden Haare.

Für seine Arbeiten auf dem Gebiet der Nuklear-Physik hatte er bedeutende Preise erhalten. Er sonnte sich gern in der Anerkennung, die er mit viel Arbeit und Mühe erlangt hatte. Physisch war er mit 63 Jahren noch topfit. Jeden Tag joggte er 6 Meilen. Er genoss es, vom FBI gebraucht zu werden.

Seit zwei Tagen ging es ihm jedoch gesundheitlich schlecht. Er wollte es nicht wahrhaben, aber er litt unter dem gleichen Sündensyndrom wie die meisten Amerikaner. Es hatte ihn ohne Vorwarnung urplötzlich überfallen. Er fühlte sich krank. Das konnte er nicht leugnen, auch wenn er es nicht wahrhaben wollte. Er brauchte Ruhe. An diesem Donnerstagvormittag hatte er keine Termine. Erst am Nachmittag sollte er eine Konferenz leiten. Ihm blieb noch Zeit für einige Stunden der Ruhe.

Er legte sich auf seine Couch in seinem Büro. Die Couch war ein Sitzmöbel für 2 Personen. Da es in den USA sehr viele dicke Personen gab, waren die Sitzmöbel für 2 Personen so großzügig ausgelegt, dass auch drei schlanke Personen darauf sitzen konnten.

Diese Größe kam Nandor jetzt zugute. Mit seiner Länge passte er nicht vollständig auf die Couch. Seine Füße hingen über die seitliche Sitzfläche herunter. Dennoch fühlte er sich besser im Zustand des Liegens. Er versuchte, über die Situation nachzudenken, um Klarheit zu gewinnen.

Als typischer Naturwissenschaftler befand er sich in einem Dilemma. Einerseits war der Glaube für ihn etwas Irreales, etwas, das nur für die Mitglieder einer Glaubensgemeinschaft Bedeutung haben konnte. Andererseits war er unversehens von einem Phänomen betroffen, das aufgrund seiner Erfahrungswelt nicht existieren konnte.

In seinem Bewusstsein traten plötzlich frühere Mitschüler, Kollegen, Mitarbeiter und Vorgesetzte auf. Sie machten ihm in Gedankenbildern Vorwürfe, sie abgewertet zu haben, sie verleumdet zu haben, von ihnen negativ gedacht und gesprochen zu haben.

Er konnte diese Vorwürfe nicht akzeptieren. Wie sollte jemand wissen, was er über ihn gedacht hatte? Wie sollte jemand sich noch nach 30 oder mehr Jahren daran erinnern können, was er über ihn an Negativem zu anderen gesagt hatte?

Wie sollte es falsch gewesen sein, wenn er in seinen Artikeln für eine Fachzeitschrift andere Wissenschaftler als unfähig bezeichnet hatte, weil sie eine andere Meinung vertraten als er? Wenn er sie für unfähig hielt, dann waren sie es auch! Wie konnten ihm Hochmut und Arroganz vorgeworfen werden, wenn er der fachlich Bessere und der mit dem höheren Ansehen in der Gesellschaft war?

Er hatte sich nur so verhalten, wie er es in seiner Berufslaufbahn von seinen Vorgängern und anderen seiner Vorbilder gelernt hatte. Das konnte doch nicht falsch gewesen sein, wenn sich viele Wissenschaftler und Spezialisten ihres Fachs mit hohem Ansehen und hohem Einkommen stets so verhalten haben, dass sie oft ihre Konkurrenten abgewertet hatten.

Es war immer wieder "gepredigt" worden, dass man seine Ellbogen benutzen müsse, um an die Spitze zu kommen. Man müsse alle vorhandenen Mittel einsetzen, um an die Macht zu kommen. Nur so könne man in der Gesellschaft sein Wissen und seine Erfahrungen bestmöglich einsetzen. Nur die Stärksten und Besten sind wichtig für den Erfolg und das Überleben der Menschheit, hatte der englische Forscher Darwin herausgefunden.

Die Kirchen haben oft gelehrt, dass auf den Reichen und den Mächtigen, den Menschen mit hohem Ansehen, der Segen Gottes ruhe. Alle diese Gedanken setzte Nandor als typischer Naturwissenschaftler seinen Gedankenbildern mit Vorwürfen sündhaften Handelns entgegen. Aber es half ihm nicht. Sein Sündhaftes war stärker und ließ sich aus seinem Bewusstsein nicht verdrängen.

Der typische Naturwissenschaftler bekämpfte selbstverständlich seine Halluzinationen des Sündhaften und seine Schmerzen mit der modernen Medizin. Der Gedanke, das Mittel des Vergebungsprozesses zu nutzen, war ihm fremd.

Auf das Mittel der Vergebung konnte man sich nicht verlassen. Da kam es wieder nur auf den Glauben an. Dagegen konnte man sich auf die Erfolge der modernen Medizin verlassen. Das hatte sie unter Beweis gestellt. Daher nutzte auch Kyle Nandor die Errungenschaften der Pharmaindustrie. Er nahm die Pillen ein, die ihm sein Arzt verschrieben hatte.

Aber bei diesem neuen Krankheitsbild des Sündhaften halfen auch die Schmerzmittel und Tranquilizer und die Antidepressiva jeweils nur sehr kurze Zeit. Dann musste Nandor erneut Tabletten einnehmen. Sie waren zumindest eine kleine und kurzfristige Hilfe.

Nandor tröstete sich mit der Hoffnung auf eine bessere Zukunft. Als Naturwissenschaftler konnte er auf die so überaus leistungsfähige Pharmaindustrie vertrauen. Sie würde sehr schnell ein Medikament entwickeln, das den ganzen Spuk mit dem Sündhaften und den damit verbundenen Schmerzen zum Verschwinden bringen würde.

Doch dieser "Glaube" erwies sich als ein Irrtum!

Daneben glaubte Nandor noch daran, dass der Spuk des Sündhaften verschwinden könnte, wenn der Piratensender mit seinen Sendungen zur Botschaft der Vergebung ausgeschaltet sein würde. Deshalb musste dieser Sender kurzfristig gefunden und ausgeschaltet werden.

Seine Logik war, dass Vergebung nur dann nötig sein könnte, wenn überhaupt Sündhaftes als solches von einem Menschen erkannt und akzeptiert würde. Wenn ein Mensch sein Denken und Handeln nicht als sündhaft betrachtet, braucht er auch nicht um Vergebung zu bitten.

Im Leben der Menschen auf der Erde, so dachte Kyle Nandor, ist ihr Denken und Handeln gut oder böse. Beides gehört in jedem Fall zum Dasein der Menschen. Es kann deshalb nicht jedes ungute oder böse Handeln eine Sünde sein.

Der religiöse Begriff der Sünde bezeichnet ein Fehlverhalten gegenüber Gott sowie auch ein Fehlverhalten gegenüber einem oder mehreren Menschen. Wer die Existenz eines fernen Gottes nicht akzeptiert, kann auch keine Sünde wider ihn begehen.

Auch böses Verhalten gegenüber Mitmenschen oder Tieren kann kein Fehlverhalten sein, weil das Böse schon bei der Geburt im Menschen angelegt sei, ebenso wie das Gute. Gut und Böse müssen von allen akzeptiert werden, weil es zum Leben der Menschen gehöre. Diese Gedanken gefielen Nandor. Nun brauchte er nichts in seinem Leben zu ändern.

Nandor sagte sich immer wieder, dass er keinen Menschen getötet und keinen Menschen bestohlen habe. Also könne es für ihn auch dann nichts Sündhaftes in seinem Leben geben, wenn er die Existenz von Sündhaftem als theoretische, wenn auch unbewiesene, Möglichkeit in Betracht ziehen würde. Mit dieser Logik tröstete sich Nandor und hoffte auf eine kurzfristige Beseitigung seiner Schmerzen und quälenden Gedankenbilder.

Seine Gespräche mit Ingenieuren und Physikern beim FBI und den TV-Sendern NBC und CBS bestärkten ihn in seiner Ansicht, weil diese so dachten wie er. Auch diese Erfahrung beruhigte ihn und bestärkte ihn darin, sein angeblich Sündhaftes zu ignorieren.

Bei diesem Gedanken lächelte er. Er war von seinen vielen Gedanken gegen die Flut des Sündhaften in seinem Bewusstsein müde geworden. Er spürte die Unbequemlichkeit seiner Couch nicht mehr und schlief ein.


Das FBI gegen die Macht des Gebets II

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