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Siebenunddreißigstes Kapitel

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Inhaltsverzeichnis

»Warum werfen Sie mir vor, daß ich ein verstocktes Herz haben soll?« sagte er; »Sie sprechen Beleidigungen gegen mich aus, und sollten doch sehen, daß ich nicht die Kraft habe, mich zu verteidigen.«

»Ich sage Ihnen nur die Wahrheit,« entgegnete die Fadette; »und ich werde Ihnen noch ganz andere Dinge sagen. Ich habe gar kein Mitleiden mit Ihnen wegen Ihrer Krankheit, weil ich genug davon verstehe, um zu wissen, daß es nicht viel damit auf sich hat; und wenn es überhaupt eine Gefahr für Sie giebt, so ist es die verrückt zu werden, worauf Sie selbst mit allen Kräften hinarbeiten, ohne zu bedenken, wohin Ihre Bosheit und Ihre Charakterschwäche Sie noch bringen können.«

»Meine Charakterschwäche können Sie mir vorwerfen,« sagte Sylvinet; »was aber meine Bosheit betrifft, so ist dies ein Vorwurf, den ich durchaus nicht zu verdienen glaube.«

»Machen Sie keinen Versuch sich zu verteidigen,« wandte die kleine Fadette ein; »ich kenne Sie etwas besser, als Sie sich selbst kennen, Sylvain; und ich sage Ihnen, daß aus der Schwachheit die Falschheit entsteht; und so kommt es, daß Sie selbstsüchtig und undankbar sind.«

»Wenn Sie so schlecht von mir denken, Fränzchen Fadet, so kommt dies gewiß daher, weil mein Bruder Landry mir in seinen Reden über mich, übel mitgespielt haben wird. Daraus hätten Sie erkennen sollen, wie wenig Freundschaft er für mich hat. Wenn Sie mich kennen, oder zu kennen glauben, so kann dies nur durch ihn sein.«

»Dies ist der Punkt, auf dem ich Sie haben wollte, Sylvain. Ich wußte recht gut, daß Sie nicht drei Worte reden können, ohne sich über Ihren Zwilling zu beklagen und Ihre Anklagen gegen ihn zu erheben. Dies kommt daher, weil die Freundschaft, welche Sie für ihn haben zu wahnsinnig und zu zügellos ist, und sich deshalb in Groll und Zorn verwandelt. Eben daran erkenne ich, daß Sie schon halb wahnsinnig und nichts weniger als gut find. Wohlan! Ich, ich bin es, die Ihnen sagt, daß Landry Sie tausendmal mehr liebt, als Sie ihn lieben; zum Beweis dafür erinnern Sie sich daran, daß er Ihnen niemals einen Vorwurf daraus macht, wenn Sie ihn auch noch so sehr betrüben, während Sie ihm aus allem einen Vorwurf machen, wenn er auch nichts thut, als daß er Ihnen immer nachgiebt und Ihnen gefällig sein möchte. Können Sie sich einbilden, daß ich den Unterschied zwischen ihm und Ihnen nicht erkennen sollte? Je mehr mir Landry Gutes von Ihnen gesagt hat, um so schlimmer habe ich Sie beurteilt, weil ich mir bei einigem Nachdenken sagen mußte, daß nur ein ungerechtes Herz einen so guten Bruder verkennen kann?«

»So hassen Sie mich also, Fadette? Ich habe mich darüber nie getäuscht, und ich wußte recht gut, daß Sie es sind, die mir die Liebe meines Bruders entzieht, indem Sie ihm Böses von mir sagen.«

»Auch diesen Vorwurf habe ich von Ihnen erwartet, Meister Sylvian; und es freut mich, daß endlich auch die Reihe an mich kommt. Wohlan! ich antworte Ihnen darauf, daß Sie ein böses Herz haben und mit Lügen umzugehen wissen, da Sie eine Person, die Ihnen stets gedient und Sie in ihrem Innern entschuldigt hat, trotzdem sie recht gut wußte, daß Sie ihr feindselig gesinnt waren – also verkennen und beleidigen können. Eine Person, die sich hundertmal der größten und einzigen Freude, die es auf der Welt für sie gab, des Vergnügens Landry zu sehen und in seiner Gesellschaft verweilen zu können, beraubte, nur damit Landry bei Ihnen bleiben konnte und Sie das Glück genießen sollten, das ich mir selbst entzog. Und doch war ich Ihnen gar nichts schuldig, denn Sie sind von jeher mein Feind gewesen. So weit meine Erinnerung zurückgeht, ist mir niemals ein Knabe vorgekommen, der so hart und hochmütig gewesen wäre, wie Sie es gegen mich waren. Der Wunsch, mich dafür zu rächen, hätte mir wohl nahe liegen können, und an Gelegenheit dazu hat es mir nicht gefehlt. Wenn ich es nicht gethan habe, und Ihnen, ohne daß Sie darum wußten, das Böse mit Gutem vergolten habe, so kommt das daher, weil es nach meinen Begriffen zu den ersten Pflichten des Christen gehört, aus Liebe zu Gott seinem Nächsten zu verzeihen. Aber, wenn ich Ihnen von Gott rede, so werden Sie mich gewiß kaum verstehen, denn, wie Sie ein Feind Ihres eigenen Heils sind, so sind Sie auch der Feind Gottes.«

»Ich habe mir von Ihnen manches sagen lassen, Fadette; aber jetzt ist es mir doch zu arg; Sie klagen mich an, daß ich ein Heide sei.«

»Haben Sie mir nicht eben jetzt gesagt, daß Sie sich den Tod wünschen? Glauben Sie denn, das dieser Gedanke etwa christlich sei?«

»Das habe ich nicht gesagt, Fadette; ich habe gesagt, daß ...« Sylvinet verstummte ganz entsetzt, indem er daran dachte, was er gesagt hatte; und dies schien ihm jetzt den Vorstellungen der Fadette gegenüber etwas Gotteslästerliches zu sein.

Aber sie ließ ihm keine Ruhe und fuhr fort ihn ins Gebet zu nehmen.

»Es ist möglich,« sagte sie, »daß Ihre Worte schlimmer waren, als Ihre Gedanken, denn ich glaube wohl, daß Sie nicht so sehr den Tod herbeiwünschen, als es Ihnen ein Vergnügen macht, dies Ihre Umgebung glauben zu machen, um den Herrn in Ihrer Familie zu spielen. Ihre arme Mutter, die untröstlich darüber ist, quälen Sie damit; ebenso Ihren Zwillingsbruder, der unerfahren genug ist, daran zu glauben, daß Sie wirklich Ihrem Leben ein Ende machen wollen. Mich aber, Sylvain, mich täuschen Sie nicht. Ich glaube, daß Sie den Tod ebenso sehr, und sogar noch mehr fürchten als jeder andere. Sie treiben nur ein Spiel mit der Furcht, die Sie den Ihrigen dadurch einstoßen. Sie haben ein Vergnügen daran zu sehen, wie die vernünftigsten und notwendigsten Beschlüsse immer wieder aufgegeben werden müssen, vor der Drohung, daß Sie sich das Leben nehmen wollen. Wahrhaftig, es ist sehr bequem und angenehm, wenn man nur so eine Redensart hinzuwerfen braucht, um sich seine ganze Umgebung willfährig zu machen. Auf diese Art sind Sie hier Herr und Meister über alle. Aber, da dies wider die Natur ist, und Sie auch nur durch Mittel dazu gelangen, die von Gott verworfen sind, finden Sie zugleich Ihre Strafe darin. Sie sind noch viel unglücklicher dadurch, als Sie es sein würden, wenn Sie anstatt zu befehlen, gehorchen müßten. So kommt es, daß Ihnen ein Leben, das man Ihnen zu leicht machte, zum Überdruß geworden ist. Ich will Ihnen jetzt sagen, Sylvain, woran es Ihnen gefehlt hat, um ein guter verständiger Mensch zu werden. Sie hätten recht strenge Eltern, nicht immer das tägliche Brot und recht häufig Züchtigungen haben müssen. Wären Sie in derselben Schule groß geworden, wie ich und mein Bruder Jeanet, dann würden Sie statt undankbar zu sein, für die geringste Gabe erkenntlich sein. Berufen Sie sich auch nicht zu sehr darauf, daß Sie ein Zwilling sind. Ich weiß, daß man in Ihrer Umgebung viel zu viel davon gesprochen hat, daß diese Zwillingsliebe ein Naturgesetz sei, und daß Sie sterben würden, wenn man Ihrem Gefühl entgegentreten wollte. So glaubten Sie Ihrer Bestimmung zu gehorchen, indem Sie diese Liebe bis aufs Äußerste trieben. Gott aber ist nicht so ungerecht uns schon im Mutterschoße für ein schweres Schicksal zu bezeichnen. Er ist nicht so erbarmungslos uns mit Vorstellungen zu erfüllen, die es nicht in unsere Macht gegeben wäre überwinden zu können. In Ihrem Aberglauben fügen Sie dem lieben Gott eine Beleidigung zu, wenn Sie annehmen, das böse Geschick und die Fähigkeit dagegen anzukämpfen seien mehr in dem Blute Ihres Körpers begründet, als daß die Kraft des Widerstandes und der Vernunft in Ihrem geistigen Wesen Ihrem eigenen Willen zur Verfügung gestellt sind. Niemals, wenigstens nicht, so lange Sie noch im Besitz Ihrer Vernunft sind, werde ich glauben, daß Sie Ihre Eifersucht nicht bekämpfen können, sobald Sie den Willen dazu haben. Aber Sie wollen es nicht, weil man Sie bei der Schwäche Ihres Gemütes zu sehr verhätschelt hat, und weil Sie Ihre Pflicht geringer achten als Ihre Laune.«

Sylvinet antwortete nichts, und ließ sich die Zurechtweisungen der Fadette, die ihm auch nicht einen einzigen Vorwurf ersparte, noch lange gefallen. Er empfand, daß sie im Grunde Recht habe, und daß es ihr, einen einzigen Punkt ausgenommen, auch nicht an Nachsicht fehle. Dieser Punkt bestand darin, daß sie zu glauben schien, daß er nie versucht habe seinen bis zur moralischen Schwäche gesteigerten Schmerz zu bekämpfen, und daß er stets nur seiner Selbstsucht gefröhnt habe, während er doch nur ohne es zu wollen und ohne es zu wissen selbstsüchtig gewesen war. Dies schmerzte und demütigte ihn sehr, und er hätte gewünscht ihr eine bessere Meinung von seinem Gewissen beibringen zu können. Was sie selbst betraf, so wußte sie recht gut, daß sie übertrieben hatte; aber sie hatte dies absichtlich gethan, um ihm den Geist tüchtig zu bestürmen, bevor sie ihn durch Sanftmut und tröstlichen Zuspruch gewinnen wollte. Sie zwang sich sogar dazu streng mit ihm zu reden, und ihm zornig zu erscheinen; denn im Herzen empfand sie so große Teilnahme und Liebe für ihn, daß sie sich von dem Zwang der Verstellung ganz elend fühlte, und als sie sich entfernte, war sie selbst viel angegriffener, als sie ihn zurückließ.

Herz-Sammelband: George Sand Liebesromane

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