Читать книгу Die Nilbraut - Georg Ebers - Страница 13
Zwölftes Kapitel.
ОглавлениеMit geballter Faust und grollendem Blick stieg Orion die Treppe hinunter. Das Herz that ihm weh zum Zerspringen.
Was hatte er gethan, was war aus ihm geworden!
So durfte ein Weib ihm begegnen, ein Weib, das er seiner Liebe gewürdigt, das schönste, edelste der Weiber, das hochmütigste, rachedürstigste, hassenwerteste zugleich! Er hatte einmal das Wort gelesen: »Wer etwas Niedriges begangen, um das auch nur ein anderer weiß, der trägt das Todesurteil seiner Ruhe in den Falten seines Gewandes.« Er fühlte die Wucht dieses Urteils, und die andere, die Mitwisserin, war Paula, war diejenige, von der er am meisten gewünscht hätte, daß sie zu ihm hinaufschauen möge. Seligkeit auf Erden hätte es ihm noch gestern geschienen, sie in den Armen halten, sie sein nennen zu dürfen, jetzt fühlte er nur den einen Wunsch, sie zu demütigen, sie zu strafen. Und daß ihm die Hände gebunden waren, daß er wie ein Verurteilter von ihrer Gnade abhing! Es war nicht zu fassen, war unerträglich! Aber sie sollte ihn kennen lernen! Wie ein weißer Schwan war er bis dahin durchs Leben gezogen; wenn diese unseligen Stunden, wenn dies Weib ihn zum Geier machte, war es nicht seine, war es ihre Schuld! Bald sollt’ es sich erweisen, wer der Stärkere war von ihnen beiden. Wie man ein Weib nur immer züchtigen kann, mußt’ er sie strafen, und wenn der Weg dazu durch Verbrechen und Elend führte! Daß der Arzt ihre Neigung gewonnen habe, fürchtete er nicht; denn mit wunderbarer Sicherheit empfand er, daß trotz aller Feindseligkeit, die sie ihm zu fühlen gab, ihr Herz ihm und nur ihm gehöre. »Das Goldstück der Liebe,« sagte er sich, »hat zwei Seiten: zärtliches Verlangen und bitteren Haß; jetzt zeigt sie mir diesen, aber wie verschieden auch Bild und Schrift an der Münze sein mögen, wenn man sie klingen läßt, gibt es doch nur einen Ton, und der liegt auch in ihren verletzendsten Worten.«
Bei der Familientafel entschuldigte er Paula und nahm selbst nur wenige Bissen; denn die Richter hatten sich schon längst versammelt und warteten seiner.
Schon den Ahnen des Mukaukas, mächtigen Gaufürsten, war das »Recht über Leben und Tod« verliehen worden, und sie hatten sich seiner sicher schon unter den Psamtikiden bedient, deren Herrschaft durch den Perser Kambyses ein grausames Ende gefunden. So prangten noch jetzt Uräusschlangen, diejenigen Nattern, deren Biß am schnellsten den Tod verursacht, und der Drachentöter St. Georg als ehrwürdige Symbole dieses Rechtes über des Mukaukas Palästen zu Memphis und Lykopolis in Oberägypten, und an beiden Orten stand es, nachdem Justinian und ganz zuletzt der Kaiser Heraklius diese alte Befugnis neu bestätigt hatten, dem Haupt der Familie zu, über die Hörigen des Hauses und die Insassen der Distrikte, denen er vorstand, aus eigener Machtvollkommenheit die Todesstrafe zu verhängen. Der Ritter Georg war zwischen die alten Schlangen gesetzt worden, um das heidnische Symbol durch ein christliches zu ersetzen. Früher hatte der Ritter das Haupt eines Sperbers, das heißt des Gottes Horus, getragen, der, um seinen Vater zu rächen, den bösen Seth Typhon niedergeworfen; doch schon vor zweihundert Jahren war der heidnische Krokodiltöter in den christlichen Besieger des Drachen verwandelt worden.
Die Araber hatten nach der Eroberung des Landes die alten Einrichtungen und Rechte, und so auch die des Mukaukas bestehen lassen.
Der Gerichtshof, welcher in Sachen der Angehörigen des Hauses zusammenberufen wurde, bestand aus den höheren Privatbeamten der Statthalterei. Das Amt des Oberrichters bekleidete der Mukaukas selbst, und sein erwachsener Sohn war sein natürlicher Stellvertreter. Während Orions Abwesenheit hatte der Vorsteher des Rechnungswesens, Nilus, ein kluger und besonnener Aegypter, den Platz seines leidenden Herrn häufig eingenommen, aber heute war Orion beauftragt worden, seine Stelle zu vertreten und den Vorsitz zu führen.
Aus dem Speisesaal eilte der Statthalterssohn in das Schlafgemach seines Vaters und bat ihn um seinen Ring als Zeichen der Vollmacht, die er auf ihn übertragen, und der Mukaukas ließ sich ihn willig vom Finger ziehen und legte dem Jüngling ans Herz, unnachsichtliche Strenge zu üben. Er sei sonst zur Milde geneigt, doch auf einen Einbruch im Hause stehe der Tod, und in diesem Fall sei es schon um des arabischen Kaufmanns willen geboten, keine Schonung zu üben.
Orion bat nun den Vater, eingedenk seines Vertrages mit Paula, ihm ganz freie Hand zu lassen. Der alte Muslim sei ein gerechter Mann, der unter Umständen auch ein mildes Urteil billigen werde, außerdem sei der Verbrecher nicht eigentlich ein Hausgenosse, sondern stehe im Dienst einer Verwandten.
Der Mukaukas lobte den besonnenen Sinn seines Sohnes. Wenn es ihm selbst nur etwas besser gehe, werde er sich die Freude gönnen, der Sitzung beizuwohnen und ihn zum erstenmal eine ernste Pflicht, würdig seiner Geburt und Stellung, erfüllen zu sehen.
Orion küßte dem Vater innig und mit wehmütiger Bewegung die Hand; denn jedes anerkennende Wort des geliebten Mannes that ihm tief innerlich wohl, und er empfand es dabei wie ein Unglück, daß er seine Richterlaufbahn, deren Ernst und Heiligkeit er kannte, so — so antreten mußte.
Weicher gestimmt, in Gedanken versunken und erwägend, wie Hiram zu retten und Paulas Name am besten ganz aus dem Spiel zu lassen sei, begab er sich zu dem Gerichtssaal, und vor ihm fand er die Amme Perpetua in lebhaftem Gespräch mit dem Rentmeister Nilus.
Die Alte war außer sich. Beim Klappern der Webstühle hatte sie bis vor kurzem nichts von dem Vorgefallenen erfahren; nun beschwor sie die Unschuld des unglücklichen Hiram. Der Stein, den er verkauft habe, sei das Eigentum ihrer Herrin gewesen, und dafür fehle es gottlob nicht an Beweisen: die Fassung des Smaragds liege wohlverwahrt in der Truhe ihrer Herrin. Es sei ihr zum Glück noch möglich gewesen, sie zu sprechen, aber daß man sie, die Tochter des Thomas, wie jedes Bürger- oder Sklavenkind vor Gericht stellen wolle, das sei unerhört, das sei schändlich!
Da unterbrach sie Orion barsch, gebot dem alten Thorhüter, sie sogleich in das Gewebemagazin neben dem Tablinum, wo die fertigen, für den Gebrauch des Hauses bestimmten Stoffe aufbewahrt wurden, zu führen und sie dort bis auf weiteres wohl zu bewachen. Der Ton, in dem er diesen Befehl erteilte, war so beschaffen, daß ihm selbst die Amme nicht widersprach, und auch der Rentmeister gehorchte schweigend seinem Gebot, sich zu den Richtern zurückzubegeben.
Erstaunt und beunruhigt ging Nilus in den Sitzungssaal zurück. So hatte er den Sohn seines Herrn noch nie gesehen! Bei der Mitteilung der Amme waren ihm die Adern auf der jugendlichen, faltenlosen Stirn weit hervorgetreten, und seine Nasenflügel hatten in rascher, krampfhafter Bewegung zu beben begonnen, der Wohlklang war aus seiner Stimme gewichen gewesen, und sein Auge hatte drohend gefunkelt.
Nun war Orion allein und knirschte tief aufgebracht mit den Zähnen. Trotz des gegebenen Versprechens hatte Paula ihn verraten, und wie elend war die Weiberlist, mit der sie es gethan! Vor den Richtern, herrlich! Vor denen konnte sie nun schweigen, ganz getrost schweigen bis ans Ende der Sitzung, die Amme, ihr Sprachrohr, hatte ja Nilus, den ernstesten und schärfsten im ganzen Kollegium, mit den Beweismitteln vertraut gemacht, welche für sie und gegen ihn zeugten. Unerhört, nichtswürdig! Ein schmählicher, ausgesucht tückischer Verrat! Aber noch war sie nicht am Ziele, noch hatte er freie Hand, den bösen Streich mit einem Gegenhieb zu pariren. Wie er zu führen sei, war ihm schon bei der Mitteilung der Amme klar gewesen, aber das Gewissen, die angeborene Neigung, die lange Gewohnheit, sich in den Schranken des Rechten, Guten, Schicklichen zu halten, hielt ihn zurück. Niedriges und Gemeines hatte er nicht nur niemals selbst begangen, sondern es auch nur mit Widerwillen an anderen gesehen, und das einzige, was er unternehmen konnte, um Paulas Verrat unschädlich zu machen, das war — er konnt’ es nicht leugnen — das war zwar eigenartig und kühn, aber ebenso verabscheuungswürdig und schändlich.
Doch er wollte und durfte in diesem Streite nicht unterliegen. Die Zeit drängte, langes Erwägen war hier nicht möglich, und plötzlich überkam ihn grimmige und wilde Kampflust, ward ihm zu Mute wie an den Wettfahrtstagen im Zirkus, wenn er das eigene Gespann den anderen zuvor trieb.
Vorwärts denn, vorwärts, und wenn das Fahrzeug zerschellte, wenn die Rosse zu Grunde gingen und seine Räder die gestürzten Genossen im Sand der Arena zermalmten; vorwärts, nur vorwärts!
Mit wenigen raschen Schritten erreichte er das Stübchen des Thorhüters, eines wackern Alten, der seit vierzig Jahren seinem Amte vorstand. Früher war er Schlosser gewesen, und jetzt lag es ihm ob, die kleinen Reparaturen an dem einfacheren Hausgerät vorzunehmen. Orion war als Knabe ein holdes, jedes Herz bestrickendes Bürschchen und auch der Liebling dieses tüchtigen Mannes gewesen, hatte sich mit Vorliebe in seinem Stübchen aufgehalten und ihm die Kunstgriffe seines Handwerks abgesehen. Mit besonderem technischem Geschick begabt, war er ein gelehriger Schüler des Alten gewesen und hatte es so weit gebracht, für die Eltern zu ihren Geburtstagen, in Aegypten besonders feierlich begangenen und durch Geben und Nehmen gewürzten Festen, zierliche Kästchen, Gebetbuchdecken und dergleichen zu schnitzen und mit Schlosserarbeit zu versehen. Er verstand alle Instrumente zu führen und wählte sich jetzt hastig diejenigen aus, welche er zu benützen gedachte. Auf dem Fensterbrett des Stübchens stand ein Blumenstrauß, den er gestern Abend für Paula bestellt und an diesem schrecklichen Tage abzuholen vergessen hatte. Mit ihm in der Hand und den Instrumenten in den Brustfalten seines Gewandes eilte er die Treppe hinan.
»Vorwärts, immer nur vorwärts!« rief er sich selbst zu, wie er in Paulas Zimmer drang, den inneren Riegel vorstieß und sich vor ihrer Truhe nieder und die Blumen aus der Hand warf. Ward er entdeckt, so war er in Paulas Gemach eingedrungen, um ihr den Strauß zu überbringen.
»Und vorwärts, nur vorwärts!« dachte er immerfort, wie er die Scharniere losschraubte, an denen sich der Deckel der Truhe bewegte. Seine Hände zitterten, sein Atem flog dabei, aber die Arbeit förderte dennoch. Dies Verfahren war das rechte, denn das Kunstschloß an dem Kasten ließ sich nicht aufthun, ohne es zu verderben. Jetzt hob er den Deckel, und — als unterstützten ihn freundliche Mächte — auf den ersten Griff in die Truhe hielt er das Halsband mit der leeren Fassung in der Hand. Sie hing an dem sorgfältig gearbeiteten Schmuck; sie loshaken und zu sich stecken war das Werk eines Augenblicks.
Aber nun wollte auch das lauteste »Vorwärts« nicht länger fruchten. Das war ein Diebstahl, damit raubte er derjenigen etwas, die er, hätte sie nur gewollt, mit allem zu überhäufen bereit gewesen wäre, womit ihn die Schickung so überreich gesegnet. Nein, das, das...
Da schoß ihm plötzlich ein wunderlicher Gedanke durch das Hirn, ein Gedanke, der ihm mitten in dem furchtbaren Ernst dieser Stunde ein Lächeln auf die Lippen zwang. Ungesäumt ließ er ihm die Ausführung folgen, und mit einem tiefen Griff faßte er in sein Untergewand und holte eine Gemme hervor, welche an einem goldenen Kettchen auf seiner Brust hing. Dies Kleinod, das Meisterwerk eines großen griechischen Steinschneiders aus heidnischer Zeit, war ihm von seinem besten Freunde in Konstantinopel als Gegengabe für ein Viergespann, das diesem besonders gefallen, geschenkt worden, und es besaß in der That höheren Wert als ein halbes Dutzend edler Rosse. Wie im Rausche, halb wirren Geistes, folgte Orion den wilden Trieben, denen er sich überlassen, doch es freute ihn, daß er ein so kostbares Stück bei der Hand hatte, um es an Stelle des elenden Goldbleches zu hängen. Dies war mit zwei Griffen geschehen, aber das Wiederanschrauben der Scharniere nahm längere Zeit in Anspruch; denn die Finger zitterten ihm dabei heftig, und je näher der Augenblick kam, in dem er Paula seine Uebermacht fühlen lassen wollte, desto schneller schlug ihm das Herz, desto schwieriger ward es ihm, den Geist zu ruhigen Erwägungen zusammenzufassen.
Nachdem er die Thür aufgeriegelt, mußte er wieder wie ein Dieb auf den langen Gang des Fremdenstockes hinausspähen, und dies steigerte seine Erregung bis zum Ingrimm gegen Welt und Schicksal und am meisten gegen diejenige, welche ihn zu solcher schmählichen Selbsterniedrigung zwang.
Der Wettfahrer hielt nun Zügel und Stachel in der Hand. Vorwärts, nur vorwärts.
Wie einst als Knabe, jagte er, indem er immer drei Stufen auf einmal übersprang, die Treppe hinunter, und als er im Vorsaale die griechische Erzieherin Eudoxia traf, welche ihren wilden Zögling Maria eben ins Haus zog, warf ihr Orion den Blumenstrauß zu, den er wieder mit sich genommen, und eilte, ohne des schmachtenden Blickes zu achten, mit dem das alternde Fräulein ihre Danksagung begleitete, in die Thorhüterklause zurück und entledigte sich dort schnell der Werkzeuge des Pförtners.
Wenige Minuten später betrat er den Sitzungssaal. Der Rentmeister Nilus wies auf den erhöhten Oberrichterstuhl seines Vaters, ihn aber hielt eine starke Scheu zurück, diesen ehrwürdigen Sitz zu beschreiten, und mit glühendem Haupte und so finster blickendem Antlitz, daß die Anwesenden erstaunt und scheu auf ihn hinsahen, eröffnete er mit rasch hervorgestoßenen Worten die Sitzung.