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KAPITEL 1

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Mein Lebensmist – Dünger oder Giftkloake?

In einer ländlichen Gegend wohnen zu können ist für mich ein Privileg. Ich liebe es, die Natur direkt vor der Haustür zu haben. Doch es hat auch Nachteile: Vor allem den Duft, wenn unser Nachbar die Jauche aufs Feld bringt. Ein echtes Problem, besonders für Dauerlüfter, die am Abend eine leicht parfümierte Wohnung vorfinden.

Absolut genial dagegen finde ich es, wenn nach einigen Tagen und Wochen die Felder der Gegend viel intensiver grünen als vorher. Nach dem Düngen kann man das Gras beinahe wachsen sehen. Wow, das ist ein echtes Wunder. Der scheinbar zu nichts zu gebrauchende Mist wird auf dem Feld in Dünger umgewandelt. Mist hat es in sich. Richtig eingesetzt besitzt er eine unverzichtbare Wachstumsenergie.

Unschönes gibt es in jedem Leben. Wir alle haben unsere Schattenseiten. Auch Sie. Wenn Ihnen gerade keine einfällt, fragen Sie mal Ihren Chef oder Ihre Freundin. Es gehört zum Leben, dass Dinge in die Hose gehen. Die Frage ist, wie wir damit umgehen. Manche nutzen es und wachsen daran, andere gehen zugrunde.

Immer wieder suche ich beim Lesen von Biografien außergewöhnlicher Menschen oder dem Durchsehen von Berichten über erfolgreiche Unternehmen nach dem Erfolgsfaktor. Und fast immer stelle ich fest, dass nicht die guten Voraussetzungen, also Talente oder Finanzen, ausschlaggebend waren für den Erfolg. Es ist die Art und Weise des Umgangs mit Niederlagen, mit Fehlern, mit Scheitern, mit schlechten Umständen, die entscheidend ist. In einem erfolgreichen Umfeld werden Umstände nicht ständig beklagt, ebenso wenig werden andere dafür beschuldigt. Stattdessen fokussiert man sich darauf, das Beste aus dem zu machen, was einem zur Verfügung steht. Und das ist weniger eine Typsache als vielmehr eine Entscheidung.

Der mittlerweile verstorbene Schauspieler Klaus Löwitsch würde das ganz sicher bestätigen. Er sagte mal: „Zum Glück gehört, dass man irgendwann beschließt, zufrieden zu sein.“

Britische Psychologen unterstreichen diese Aussage durch eine umfangreiche Untersuchung. Sie haben 5000 Menschen rund ums Thema Glück und Unglück befragt und dabei Folgendes herausgefunden:

1 Glückliche Zeitgenossen haben eine bewusste Entscheidung gegen das Unglücklichsein getroffen.

2 Glück kommt von innen, unabhängig von den äußeren Umständen.

Zufriedenheit scheint tatsächlich eine gestaltbare Größe zu sein und weniger eine passive Zufälligkeit. Diese Tatsache gibt mir viel Denkfutter für Spaziergänge und andere Auszeiten.

Ob der Mist unseres Lebens eine Giftkloake oder ein Düngemittel ist, ist eine Frage unserer eigenen Entscheidung. Klug entscheiden macht hier wohl Sinn, oder?

Unter dem Strich:

Lassen Sie sich auf eine kurze Rückschau ein?

Nehmen Sie sich eine ruhige Minute mit einem Kugelschreiber und einem leeren Blatt Papier. Notieren Sie Ihre spontanen Impulse zu den Fragen unten.

Wo sehen Sie Dinge in Ihrem Leben wachsen, wo vorher Mist war: also Scheitern oder Tiefschläge?

Gibt es Erlebnisse, die Sie als Mist betiteln würden, bei denen Sie noch keine Düngeranzeichen sehen?

Was meinen Sie zu dem Zitat von Klaus Löwitsch und den Ergebnissen der Untersuchung in England?

Mistgeschichten

sind immer Hoffnungsgeschichten

Mistgeschichten sind immer Hoffnungsgeschichten!? Ist diese Aussage nicht etwas übertrieben?, wenden Sie möglicherweise ein. Vielleicht. Aber ich werde den Glauben nicht los, dass in Mistgeschichten zumindest auch ein kleiner Same für eine Hoffnungsgeschichte steckt. Vielleicht ist es eine Illusion, eine Dummheit von mir, das zu glauben. Das zu entscheiden, überlasse ich Ihnen. Auf alle Fälle motiviert und beflügelt mich dieser Gedanke, selbst beim Anblick der größten Misthaufen eine hoffnungsvolle Perspektive einzunehmen.

Der Unternehmer Karl Pilsl meinte einmal: „Wirf im Tunnel nie die Fahrkarte weg.“ Das haben ihn seine Tunnelerfahrungen gelehrt. Und er hat recht. In vielem Totgeglaubten entdeckte ich immer wieder ein Quäntchen Auferstehungskraft.

Verstehen Sie mich nicht falsch, ich glaube nicht blauäugig an den ewigen Frühling. Das wäre illusorisch, ein verlogener Optimismus. Aber sowohl mein persönliches Erleben als auch die Erfahrungen, die ich mit sehr vielen Menschen gemacht habe, bringen mich zu der Überzeugung: Mistgeschichten können zu Hoffnungsgeschichten werden.

Beispiele gefällig? Ich möchte Ihnen die Geschichte von einigen Menschen erzählen, die selbst im größten Mist nicht stecken geblieben sind. Ihre Frühlingshoffnung steckt an.

Nelson Mandela – Bitterkeit oder Freiheit

Nelson Mandela verbrachte 28 Jahre in den Gefängnissen Südafrikas, weil er gegen die vorherrschende Rassendiskriminierung, die Apartheid, kämpfte. 18 der 28 Jahre verbrachte er im Horrorgefängnis „Robben Island“. 21 Jahre seiner Gefangenschaft streichelte er seine Frau höchstens durch die Glasscheibe. 28 Jahre verzichtete er auf äußere Freiheit, weil er seine innere Freiheit nicht verlieren wollte.

Trotz der Umstände hat er nie aufgegeben. In der Gefängniszelle brachte er sein begonnenes Jurastudium zu Ende. Lange musste er um die Erlaubnis dafür kämpfen. Täglich lief er einige Kilometer in seiner Zelle an Ort und Stelle, um Körper und Geist beweglich zu halten. Und das trotz der vielen dunklen Momente, die es gab. Momente, an denen er beinahe zerbrach: Traurigkeit, Wut, Hoffnungslosigkeit, der Verlust der Familie und die Selbstvorwürfe, seinen Kindern nur ein abwesender Vater sein zu können, quälten ihn immer wieder. Seine Zweifel sogen beinahe die letzten Lebenskräfte aus ihm.

Aber aufzugeben kam für Mandela nicht infrage. Er war ein disziplinierter Selbstmotivator, der nicht bloß sein Umfeld reflektierte, sondern auch sich selbst. In einem solchen Moment schrieb er: „Die Zelle ist der ideale Ort, um sich selbst kennenzulernen, realistisch und regelmäßig die Entwicklung der eigenen Gedanken und Gefühle zu erforschen. […] Ehrlichkeit, Aufrichtigkeit, Einfachheit, Bescheidenheit, echte Großzügigkeit, das Fehlen von Eitelkeit, die Bereitschaft, anderen zu dienen […], bilden die Grundlage unseres geistlichen Lebens. […] Regelmäßiges Gebet, sagen wir fünfzehn Minuten am Tag vor dem Zubettgehen, kann in dieser Hinsicht sehr fruchtbar sein. Am Anfang fällt es vielleicht schwer, die negativen Bestandteile seines Lebens zu erkennen, doch der zehnte Versuch bringt vermutlich reichen Lohn. Vergessen wir nie, dass ein Heiliger ein Sünder ist, der am Ball bleibt.“1 Selbstreflexion und eine spirituelle Kraftquelle scheinen für Mandela von großer Bedeutung gewesen zu sein.

Bei der Gefängnisdirektion bat er eines Tages um acht runde Container. Solche Anträge wurden meist monatelang, teils Jahre, verzögert. Besonders, wenn sie von Mandela kamen. Aber irgendwann gab die Gefängnisleitung nach, und die Behälter waren da. Auf halber Höhe schnitt er sie auf, platzierte sie im Innenhof und befüllte sie mit Erde. Dann säte er über 60 Gemüsesorten in ihnen an. Die kleinen heranwachsenden Pflänzchen waren ein Zeichen für neues Leben inmitten der Mauern von Gewalt und Tod. Nun konnten er und seine Mithäftlinge zuschauen, wie inmitten misslichster Umstände etwas Neues wuchs. Aufblühendes Leben im Todestrakt. Hoffnung in der … Scheiße. Und zu guter Letzt: Mit der Ernte versorgte er auch seine Gefängniswärter und ihre Familien zu Hause.

Diese Kraft, dieser nicht zu brechende Glaube an das Leben, trotz aller Hoffnungslosigkeit, fasziniert und begeistert mich. Mandela besaß diese Kraft nicht immer. Wie gesagt, war auch er häufig kurz vorm Verzweifeln. Aber am Ende ließ er nie zu, dass das Staatssystem, die Wärter oder die Umstände dies innere Pflänzchen der Hoffnung zu Boden trampeln konnten. Er hegte und pflegte es genau wie seine Gemüseplantage. So behielt er Würde und Stolz.

Nach 245.280 Stunden Gefängnis kam der ersehnte Tag der Freilassung. Über diese Sternstunde schrieb er: „Als ich durch das Gefängnistor hinaus meiner Freiheit entgegenlief, wusste ich, dass, wenn ich die ganze Wut, den Hass und die Bitterkeit nicht hinter mir lasse, ich weiterhin im Gefängnis leben werde.“ So investierte er die nächsten Jahre in die Überwindung der Apartheid, statt sich an dem alten Regime zu rächen und ein neues zu installieren. Er initiierte Versöhnungskomitees, statt hasserfüllte, populistische Aggressionspolitik zu betreiben. Sein Lebensmist wurde so zu entwicklungsförderndem Dünger für ein ganzes Land.

Margot Käßmann – gradlinig und getragen

Wenn ich von Frau Käßmann höre, verspüre ich jedes Mal ein tiefes Gefühl von Respekt und Hochachtung. Die ehemalige hannoversche Landesbischöfin galt vielen als ein moralisches Vorbild mit Seltenheitswert. Doch dann kam der Tag, an dem sie Mist baute. Am 20. Februar 2010 fuhr sie mit einer Blutalkoholkonzentration von 1,54 Promille bei Rot über eine Ampel.

Eine kirchliche Würdenträgerin im inneren Zerriss. Was Menschen in solchen Situationen durchmachen, können wir uns wohl kaum vorstellen. Viele ließen ihrem Hohn in aller Öffentlichkeit freien Lauf. Eine betrunkene Bischöfin am Steuer – ein gefundenes Fressen.

Gut ist es, in einer solchen Situation auch Unterstützer zu haben. Der Rat der EKD sprach Käßmann einstimmig sein Vertrauen aus und sicherte ihr seinen vollen Rückhalt zu.

Auf einer Pressekonferenz am 23. Februar 2010 nahm Frau Käßmann Stellung und stand, wie nur wenige Menschen in solchen Positionen, gradlinig und ohne Floskeln zu ihrem Fehltritt: „Am vergangenen Samstagabend habe ich einen schweren Fehler gemacht, den ich zutiefst bereue. Aber auch, wenn ich ihn bereue und mir alle Vorwürfe, die in dieser Situation berechtigterweise zu machen sind, immer wieder selbst gemacht habe, kann und will ich nicht darüber hinwegsehen, dass das Amt und meine Autorität als Landesbischöfin sowie als Ratsvorsitzende beschädigt sind.“ Ein Wegbegleiter hätte ihr am Vortag ein Zitat von Jesus Sirach (37,13) mit auf den Weg gegeben, erklärte sie: „Bleibe bei dem, was dein Herz dir rät. Mein Herz sagt mir“, so Käßmann weiter, „ich kann nicht mit der nötigen Autorität im Amt bleiben.“2

Am Schluss der Pressekonferenz sagte sie: „Ich weiß aus vorangegangenen Krisen: Du kannst nie tiefer fallen als in Gottes Hand. Für diese Glaubensüberzeugung bin ich auch heute dankbar.“3 Diese gradlinige Konsequenz beeindruckt mich und ist wohl der Grund, warum sie bis heute bedeutend für Kirche, Politik und Öffentlichkeit geblieben ist. Ihre Wirksamkeit hat durch das Geschehen sogar zugenommen. Ihr Buch, das sie einige Zeit nach dem Geschehen geschrieben hat, hat viele Menschen tief berührt. Ohne ihre Verletzlichkeit und Aufrichtigkeit während dieser persönlichen Krise hätte sie niemals eine solche Wirkung entfalten können.

Sie machte Mist, stand zu ihrem Mist und wurde zum Dünger für viele.

Das nenne ich erfolgreich scheitern. Sie ist eine Frau, die sich den Schicksalsschlägen und dem eigenen Versagen stellt, daraus lernt und weitergeht! Chapeau, Frau Käßmann. Ihre Mistgeschichte ist eine Hoffnungsgeschichte.

Louis Braille – Pechvogel und Glückspilz

Louis ist Sohn eines Sattlers. Zu Beginn des 19. Jahrhunderts lebt er in dem kleinen Dorf Coupvray vor Paris. Die Werkstatt des Vaters ist sein Paradies. Dort spielt er stundenlang mit den Werkzeugen und probiert sich aus. Einmal hantiert er mit einer Ahle (einem kleinen, spitzen Gegenstand, mit dem man Löcher ins Leder sticht). Das gefährliche Ding reizt Louis besonders. Und dann geschieht es: Der Junge rutscht aus und verletzt sich am Auge. Die Wunde entzündet sich und springt zu allem Unglück auch auf das andere Auge über. Innerhalb weniger Tage verliert er sein Augenlicht. Das noch so junge Leben scheint vermasselt.

Doch Louis’ Leben entwickelte sich unerwartet.

Im Alter von 13 Jahren hört er von der Erfindung einer Nachtschrift, die ein französischer Hauptmann entwickelte, um in den Schützengräben auch ohne Tageslicht kommunizieren zu können. Das System aus Punkten und Strichen war extrem kompliziert, doch Louis war so begeistert, dass er sich von der Komplexität nicht abschrecken ließ. Bald beherrschte er die Nachtsprache nahezu perfekt. Doch damit nicht genug: Louis verspürt den Drang, sie weiterzuentwickeln und zu vereinfachen.

Mit derselben Ahle, mit der er sein Augenlicht auslöschte, sticht er nun Löcher für seine neue Punkteschrift. Mit 16 Jahren ist sein Werk vollendet: Die Brailleschrift ist erfunden.

Heute können dank ihm Millionen von Blinden Bücher lesen und studieren. Louis´ Mistgeschichte verhilft vielen Menschen, eine neue Welt zu entdecken. Blinde erreichen dadurch bis heute eine neue Dimension von Lebensqualität.

Louis verwandelte missliche Umstände, seine Blindheit, in Möglichkeiten. Er hinterlässt Spuren. Sein Unglück wurde das Glück vieler Blinder. Sein Pech macht viele Blinde, und nicht zuletzt ihn, zu Glückspilzen.

Ohne einen Schimmer von Hoffnung, ohne ein Quäntchen Frühlingsglaube in und trotz allem bleiben wir Menschen beim Mist stehen und vegetieren dahin. Aber das Leben hat uns mehr zu bieten. Unschönes, Niederlagen oder Scheitern sind nicht zu beschönigen. Sie sind aber nur die eine Hälfte der Realität.

Unter dem Strich:

Können Sie nach diesen drei Lebenseinblicken meiner frechen Behauptung, „Mistgeschichten sind Hoffnungsgeschichten“, etwas abgewinnen? Was genau hat die drei Mistgeschichten zu Hoffnungsgeschichten gemacht? Worin könnte das Geheimnis liegen?

Mach Dünger aus deinem Mist!

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