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Sieg und Niederlage sind relativ

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Jeder definiert für sich den Schmerzgrad seiner persönlichen Niederlage und seines Sieges ganz anders. Was ist Glück und was Pech? Nehmen wir nur das Märchen vom „Hans im Glück“- von den Gebrüdern Grimm 1818 aufgeschrieben. In der Meinung vieler ist hier Hans der Pechvogel per exellance. Hans schuftet sieben Jahre lang in der Ferne weit weg von seiner Mutter und bekommt am Ende zur Belohnung einen schweren Goldklumpen von seinem Meister geschenkt, so groß wie sein Kopf. Hans muss also sehr erfolgreich gewesen sein. Doch Hans hat keine Freude daran, denn er spürt nur das schwere Gewicht, das er mit sich schleppt. Wir verkürzen das Märchen hier:

Hans tauscht freudig den Goldklumpen bei einem Reiter gegen dessen Pferd ein. Bei jedem Tausch, der nun folgt, verliert Hans immer mehr. Denn das Pferd wirft Hans ab, tauscht es beim nächsten Bauern gegen eine Kuh, die ihn vor den Kopf tritt; er gibt die Kuh schließlich für ein Schwein her, bis ihm jemand einredet, das Schwein sei gestohlen. Hans ist froh, als er es gegen eine Gans tauschen kann, die er schließlich gegen einen schadhaften Schleifstein hergibt, der ihm am Ende auch noch in den Brunnen fällt. Nach jedem Tausch preist Hans sogar sein Glück gen Himmel: „Herz, was verlangst Du mehr – Ich bin in einer Glückshaut geboren!“ Er dankte am Ende mit Tränen in den Augen sogar Gott, dass er ihn von seiner Last befreit hat. Und so kehrt er heim zu seiner Mutter – im wahrsten Sinne des Wortes unbeschwert. Eigentlich erzählt Hans im Glück nur vom Scheitern, doch für ihn selbst ist es eine reine Erfolgsgeschichte. Er hat eine Mutter, die auf ihn wartet und ihn freudig wieder aufnimmt. Wie beschämt müssen wir alle sein, die nur in ökonomischen Kategorien denken, denn Hans lacht zuletzt am besten, uns dagegen bleibt das Lachen im Halse stecken. Warum ist das so?

Hans hat ein anderes Erfolgsmodellsein Wertesystem ist nämlich verrückt, denn scheinbar Wertloses ist ihm kostbar. Wissen Sie, an was das erinnert? Ein kleines Kind mit einem völlig zerzausten Teddybären bekommt einen wunderbaren neuen geschenkt, der sehr teuer war. Was macht das Kind? Ja es lutscht weiter an seinem alten, schäbigen, zerzausten Teddybären, aus dem schon die Holzwolle raus lugt, und lässt das neue, teure Modell achtlos in der Ecke liegen. Der alte Teddy ist so wertvoll, hat so viele Geschichten gehört und Nächte mit dem Kind verbracht, dass es ihn nicht mehr missen möchte. Wir würden doch bei Hans denken, das Gold sei Fundament für die Zukunft, für Haus, Familie, Kinder und eigenes Geschäft.

Hans hat andere Werte, erfolgreich und reich gehören für ihn nicht zusammen. Denn Hans ist seine Mutter wichtiger; er hat eine stabile Beziehung, hat jemanden, der auf ihn wartet, jemanden, den er liebt und der ihn liebt. So gesehen hängt Erfolg von der Beschaffenheit des Ziels ab. Es scheint für Hans das einzige, was ihm etwas wert ist – das macht ihn frei von allem anderen, von jedem unnützen Ballast, selbst wenn es ein Lottogewinn (Goldklumpen) ist. Hans bringt seiner Mutter keine materiellen Güter heim, sondern sich selbst, gesund und fröhlich. Am Ende ruft Hans laut: „Alles, was ich wünsche, trifft mir ein, wie einem Sonntagskind!“ Denn die Weisheit des Hans im Glück ist die Weisheit des Sonntags: Sechs Tage lang sollt Ihr schaffen und am siebten dürft Ihr ruhen und Euch daran erinnern, dass Ihr selbst einen Lebenswert habt, den Ihr Euch nicht erst verdienen müsst und auch gar nicht könnt. Hans muss nichts nach Hause bringen, muss nichts leisten – Ich darf leben, so wie ich bin. Ich werde geliebt, weil es mich gibt (Wie schön, dass Du geboren bist!). Man kann Hans mit nichts bestechen, und er trägt den Sonntag in sich; das ist sein Glück und Erfolg. Man muss sich um Hans keine Sorgen machen, er ist ein gesegneter Mensch.

Sie sehen, wir haben hier verrückte Welten. Glück und Unglück, Sieg und Niederlage sind sehr relative Begriffe und haben völlig unterschiedliche Bedeutungen aus der jeweiligen Sicht ihrer Betrachter.

Ein ganz anderes Beispiel ist das von Millionen Computerspielern täglich, die zu 90 Prozent nicht das nächste Level erreichen und trotz Niederlage verbissen weiterspielen. Hier scheint die Niederlage geradezu die bestimmende Motivation zu sein, es trotzdem noch mal zu versuchen. Eigentlich müssten jeden Tag Millionen von Spielern weltweit frustriert aufgeben, doch die Niederlage scheint Droge zu sein. Immer wieder versuchen Spieler im Internet, ihren Computer auszutricksen, und den wenigsten gelingt es. Finnische Forscher sprechen hier gar von der Energie des Scheiterns. Spieler erleben dagegen einen wahren Glücksflash, spielen sie sich auf ein neues Level hervor. Spielergruppen tun sich zusammen und kämpfen unter Anleitung eines “Leaders“ gegen andere Gruppen, teils geht es dabei auch um Internetgeld (z.B. virtuelles Geld wie Bitcoins).

Forscher haben festgestellt, dass dieser Glücksrausch noch viel intensiver ist, wenn Spieler scheitern, wenn sie Fehler machen und den Monkey wieder ins All schießen und von vorne starten dürfen. Scheitern und kein Frust? Das widerspricht jeder Psychologie. Entscheidend für das High in der Niederlage ist die Art und Weise des Scheiterns. Der Affe stirbt eben nicht einfach, sondern explodiert wirbelnd und jaulend in sein elektronisches Grab. Der spektakuläre Abgang ist eine Ovation an die Spielkunst der Akteure und ist ein Erfolgserlebnis in der Niederlage. Das vermittelt den Spielern das Gefühl, ein solches Spiel auch gewinnen zu können. Gescheiterte Spieler erweisen sich deshalb als besonders motiviert und optimistisch. Man kann es Selbstbetrug nennen. Die Forscher definierten daraus, unter welchen Bedingungen wir das Scheitern zu lieben beginnen: wenn es von einem System aus Regeln und Werten umgeben ist, die ein Gefühl von Beherrschbarkeit vermitteln. Das können Spielregeln sein, die gemeinsamen Werte einer Firma oder die eigene Idee vom guten Leben. Wichtig dabei ist, im Spiel zu bleiben und zu wissen: Der Kampf geht weiter, das Leben geht weiter. Scheitern ist dann nicht nur Vorstufe des Erfolgs, es führt uns an die Grenzen unserer Möglichkeiten – dorthin, wo wir am lebendigsten sind, als Monkey, Mensch, Spieler oder Hans im Glück.

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