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Felix würde wohl niemals den wahren Grund erfahren, warum man ihn im frühesten Alter von knapp zehn Wochen, an der Nationalstraße von Ferreiras aussetzte. Er hatte noch versucht, dem davonfahrenden Fahrzeug nachzurennen, was natürlich vollkommen sinnlos gewesen war. Niedergeschlagen saß er nun am Straßenrand. Das Unvermeidliche war nicht mehr abzuwenden. Da half auch kein winseln und klagen. Er war ein Straßenhund. Einer von den unzähligen, obdachlosen Vierbeinern, die vergeblich nach einem Menschen suchen, dem sie vertrauen können. Vertrauen, das würde ihm in Zukunft schwer fallen, das ahnte er jetzt schon.

Voller Selbstmitleid, raffte er sich auf und lief am Rande der Straße entlang, bis er sich müde und erschöpft unter einen mit reifen Früchten übervollen Orangenbaum legte und sofort einschlief. Er träumte von einem vollen Fressnapf und seinen beiden Geschwistern Angel und Rosiana. Und wie er sich so eingebettet in das Familienleben sah, fiel eine überreife Orange vom Baum, direkt auf seine Schnauze. Er war um ein Stück Lebenserfahrung reicher, unter reifen Orangenbäumen wollte er in Zukunft keine Ruhe suchen. Dabei hatte ihn sein Traum mit Glück erfüllt. Gähnend stand er auf und streckte sich. Ein paar Sonnenstrahlen verirrten sich durch den wolkenverhangenen Himmel auf sein Fell. Der stürmische Westwind trieb die Wolken rasch vor sich her, als er wieder an der Nationalstraße unterwegs war. Seine hochempfindliche Nase, witterte in nicht allzu weiter Entfernung einen Artgenossen. Die letzte Mahlzeit lag lange zurück und sein Magen knurrte vor Hunger. Aber vielleicht hatte ja der Unbekannte eine reichhaltige Speisekarte?

Doch kaum hatte er sich auf den Weg in die Richtung gemacht, in der er Witterung aufgenommen hatte, wurde er von einer Meute Hunde bellend begrüßt. Ein schwarzer, struppiger Wasserhund, mit weißem Brustfleck, kam knurrend von einem Hügel herab, während Felix sich hinter den anderen Hunden versteckte.

„Wohl neu hier, was?“, fragte der Struppige.

„Man hat mich ausgesetzt“, erwiderte Felix.

„Er hat Hunger!“, rief der Struppige seinen Freunden zu. „Als ob wir nicht schon genug Arbeit mit der Futtersuche hätten.“ Nachdem er Felix eingehend beschnuppert hatte, scharrte er mit seinen Hinterläufen, dass die Erde durch die Luft flog.

„Ja, ja, wir sind immer auf der Suche“, wiederholte ein alter, graubärtiger deutscher Schäferhund.

Felix schaute sich in der Runde um. Neben dem Deutschen und dem Struppigen, scharten sich noch einige kleinere Hunde.

„Man hat dich ausgesetzt?“, fragte der Deutsche. Dabei knurrte er: „Menschen haben von einem Hundeleben keine Ahnung.“ Voller Stolz erklärte er, dass er beste Rasse wäre.

Felix schaute ihn nachdenklich an. „Was ist Rasse?“, fragte er.

Der Deutsche erklärte ihm all das Verwirrende über Zucht, Stammbaum, Vorbeißer, Rute... Es schien ihm sichtlich Spaß zu machen. „Menschen lieben reinrassige Hunde“, sagte er abschließend. Er warf Felix einen neugierigen Blick zu. „Du siehst auch nicht gerade übel aus. Deinen Pfoten nach zu urteilen, wirst du einmal so groß wie ich.“ Er lief um Felix herum. „Ich habe deine Rasse auf der Jagd gesehen, oben in den Bergen.“ Er zeigte mit seiner Schnauze nach Norden.

Felix schaute den Deutschen an. Man sah doch an ihm, dass auch Rassehunde herrenlos waren. Und nachdenklich wandte er sich ab, um wieder zurück zur Nationalstraße zu laufen. Doch kaum war er dort nur wenige Meter unterwegs, als ein Auto neben ihm hielt und ein dickleibiger Mann das Fenster auf der Fahrerseite herunterließ. „Du bist aber ein Feiner“, sagte der Dicke. Erschrocken ergriff Felix die Flucht. Der Deutsche hatte ihm von Hundefängern erzählt, vor denen er sich in acht nehmen musste. Also suchte er Schutz hinter einer prall gefüllten Mülltonne. Ab diesem Moment gewannen Mülltonnen schon vom ersten Tage seiner Aussetzung, an Bedeutung. Man musste sich oft in ihrer Nähe aufhalten, dann fiel immer etwas zum fressen ab.

Ein kleiner Schnauzer, den Felix nach einigen Tagen traf, erzählte ihm von einem Club- Campingplatz. „Dort wirst du immer einen vollen Fressnapf finden“, sagte er gewichtig und er fügte noch hinzu: „Es wird dir an nichts fehlen, wenn erst die Saison beginnt.“

„Saison?“, fragte Felix neugierig. Das ist die Zeit, in der die Menschen in wahren Rudeln hier eintreffen. Touristen! Noch nie etwas davon gehört?“ Er warf Felix einen fragenden Blick zu. „Und sie kaufen Hundefutter, nur um ihr Gewissen zu erleichtern, bei all dem Elend, das uns Straßenhunden widerfährt. In den touristischen Hochburgen werden Hunde sogar getötet. Glaub mir, so manch einen meiner Freunde hat es schon erwischt.“

„Aber warum tötet man sie?“

„Gute Frage. Und ich werde sie dir auch beantworten. Einige von ihnen streunen gerade dort herum, wo sich sehr viele Touristen aufhalten. Und weißt du warum?“, er warf Felix einen fragenden Blick zu. „Weil sie Hunger haben, so wie du und ich. Verstehst du jetzt?“

„Verstehe“, knurrte Felix.

„Ich sage dir, die Menschen haben genug zu essen. Wenn nicht zu sagen, zu viel. Glaub‘ mir, ich habe das mit eigenen Augen gesehen. Es gibt so viele dicke Bäuche, da wird einem Hund angst und bange. Verbessere mich, wenn ich etwas falsch sage, mein Freund!“

Felix hatte davon doch überhaupt keine Ahnung und er fragte: „Weil sie ihnen zu nahe kommen, werden sie getötet?“

„So ist es, mein Freund! So ist es!“ Pedro leckte sich sein Maul, als hätte er einen fetten Leckerbissen zwischen seine Zähne bekommen. „Ich habe Appetit auf ein schönes Stück Braten“, knurrte er.

„Kannst du mir das mit der Saison näher erklären?“, bohrte Felix weiter.

Pedro räusperte sich. „Ha, ich sehe schon, du bist neu in dem Geschäft. Das ist die Urlaubszeit von Juli bis September. Die Menschen essen und das nicht wenig. Da fällt so mancher Happen für uns ab.“ Pedro ließ seine Ohren hängen, was ihm einen melancholischen Ausdruck verlieh. Felix schaute ihn von der Seite an. Ganz zu Anfang ihres Kennenlernens hatte er sich vorgestellt und er hatte auch Felix nach seinem Namen gefragt. Er hatte ihm seine kleine Lebensgeschichte erzählt: „Sie nannten mich Felix. Ich glaubte an ein sicheres Zuhause.“ Aber wenn er das schon nicht mehr hatte, dann wollte er wenigstens mit Namen genannt werden, sagte er sich.

„Es gibt Menschen, die pochen schon sehr auf ihren Namen“, erklärte Pedro. Er kratzte sich mit dem linken Hinterfuß am Bauch. „Diese verdammten Flöhe.“

„Flöhe?“, fragte Felix. Er musste auf Pedro einen sehr komischen Eindruck gemacht haben, denn er lachte und zeigte dabei sein Gebiss, mit den kleinen Eckzähnen.

„Flöhe gehören zu einem Straßenhund, wie das Amen in der Kirche“, klärte Pedro ihn auf. „Wenn die dich erst einmal als ihr Wirtstier ausgesucht haben, hast du keine ruhige Minute mehr.“

„Hast du noch nie daran gedacht, dir einen Herrn zu suchen?“, fragte Felix.

„Ich sehe schon, du hast keine Ahnung von den Menschen, wie sonst würdest du mir eine so dumme Frage stellen. Ich sage dir, wenn die fertig sind, mit Urlaub machen, scheren die sich nicht mehr um unsereins. Du kannst mir glauben, die vergessen sehr schnell.“

„Und dann?“

„Reisen sie zurück in den Norden. Dort gibt es Heime für herrenlose Tiere. Mit gratis Essen. Ja, so ist das! Aber da lebe ich doch lieber unter freiem Himmel und bin Portugiese!“

„Und warum kommen diese Touristen zu uns in den Süden?“

Pedro lachte, dabei zeigte er wieder sein Gebiss. „Sie liegen in der Sonne und bräunen wie Grillfische. Zu komisch ist das. Ab und zu hüpfen sie auch ins Wasser. Am Abend dann findest du sie in den Restaurants und den Bars.“

„Woher weißt du das?“

„Weil ich das schon jahrelang miterlebe. Glaub‘ mir, Sommer für Sommer immer dasselbe.“

„Du kennst die Menschen“, erwiderte Felix anerkennend.

„So wahr ich Pedro heiße, habe ich schon so manches erlebt, das kannst du mir glauben. In meinem Alter ist man weise und erfahren.“

Also war das mit dem Norden und der Unterbringung in einem Heim ja auch nicht erstrebenswert. Wenn die nur wegen der Sonne hier sind, dann muss es dort keine Sonne geben und Felix fragte Pedro danach.

„Die schauerlichsten Geschichten habe ich gehört. Es kann eisig kalt werden und tagelang schneien. Die Fahrbahnen verwandeln sich dann in spiegelglatte Eisflächen und die Autos rutschen buchstäblich davon.“

Felix stand vor Verwunderung das Maul offen.

„Ich sehe schon, du bist erstaunt, mein guter Freund“, sagte Pedro.

Erstaunt war wohl das richtige Wort, das musste er Pedro gestehen, als sie langsam neben dem Fahrbahnrand dahin trotteten. Plötzlich hob Pedro seine Schnauze in die Luft und schnupperte. „Die Konkurrenz war hier“, meinte er gewichtig.

„Wer?“, wollte Felix wissen.

Da setzte Pedro bereits seine Duftnote an einen Olivenbaum. „Das ist mein Revier“, sagte er mit einer Bestimmtheit, die keinen Widerspruch zuließ.

Respektvoll schaute Felix ihn von der Seite an. „Verstehe!“, erwiderte er kleinlaut, obwohl er große Lust verspürte, seinen Urinstrahl an die gleiche Stelle zu setzen. Schließlich waren sie doch Freunde.

„Wir müssen uns umsehen, bevor die Nacht hereinbricht, damit wir noch etwas zum beißen zwischen die Zähne bekommen.“

„Das mit dem Fressen hört sich doch gut an, warum gehen wir nicht zu diesem, wie war der Name...?“, fragte Felix.

„Club-Camping!“

Pedro hatte recht gehabt, als er ganz zu Anfang ihrer Bekanntschaft sagte: „Du wirst dich an viele Menschentypen gewöhnen müssen, mein lieber Felix. Die einen geben freiwillig, bei den anderen musst du dir schon so manches leckere Stück Braten direkt vom heißen Grill stehlen.“ Felix hatte das beherzigt. Es wurde ihm deshalb schon so mancher Prügel nachgeworfen.

Eines Tages lernte er eine junge Deutsche kennen. Tinta hatte ein Mobilheim bezogen. Mann, roch die gut. Felix verliebte sich sofort in sie. Die erste Nacht schlief er heimlich vor ihrer Türe. Sie musste ihn wohl am frühen Morgen entdeckt haben, denn aus ihrem Fenster flog eine Scheibe bester Schinken, direkt vor seine Nase. Das versprach gut zu werden. Er beschloss also, sein Quartier direkt unter Tintas Mobilheim zu verlegen. Aber warum nur war sie damit nicht einverstanden? Wegen der Katzenkinder, die dort auf ihr Fressen warteten? Felix schmeckte das Katzenfutter doch auch. Von der Milch, die Tinta in kleinen Schälchen aufstellte, konnte er nicht genug bekommen. Sie aber wurde böse und brachte ihn kurzentschlossen zu Philipp und Luisa.

Der neue Platz ist auch nicht übel, sagte sich Felix. Luisa kaufte für ihn Hundefutter in großen

Dosen. Sie bürstete sogar sein Fell, was ihm sehr gefiel. Er stöhnte vor Wohlbehagen. Sie hätte ihn stundenlang bürsten können.

So ging das bis zu dem Tag, an dem Luisa und Philipp alles abbrachen. Felix ahnte, dass er sich einen neuen Platz suchen musste. Von Pedro wusste er, dass die Touristen nach ihrem Urlaub zurück in den Norden fuhren. Tinta war ja auch längst abgereist. Pedro hatte ihm gesagt, dass es im Winter von Vorteil sei, ein Dach über dem Kopf zu haben. Pedro hatte noch nie so ein Dach gehabt. Er war abgebrüht und mit jedem Wetter vertraut. Er hatte von Regenfällen und Sturm erzählt, der sich auf dem Atlantik zusammenbraute. „Aber es gibt immer ein Plätzchen, wo du geschützt schlafen kannst“, hatte er tröstend hinzugefügt. „Du musst dich nur umschauen.“

Zu alledem Neuen kamen noch die verschiedenen Sprachen, die Felix verstehen lernen musste. Kaum konnte er sich mit den Deutschen verständigen, da wollten sie am nächsten Morgen schon wieder abreisen. Das traf ihn wie ein Faustschlag. Und niedergeschlagen verbrachte er die letzte Nacht unter ihrem Wohnwagen.

Beim ersten Morgengrauen schon, kurbelte Philipp die Metallstützen hoch und hängte den Caravan an sein Fahrzeug an. Ein letztes streicheln von Luisa, mit Tränen in ihren Augen. „Leb‘ wohl, mein kleiner Liebling“, hauchte sie, bevor sie zu Philipp ins Auto stieg.

Bellend rannte Felix vor dem Fahrzeug hin und her. „Nehmt mich mit, nehmt mich mit. Ihr könnt mich doch nicht einfach zurücklassen.“

Das Gespann setzte sich in Bewegung. Felix bellte jetzt laut und fordernd und sprang neben dem Auto her. „Lasst mich nicht zurück! Nicht zurück...!“ Warum verstanden sie ihn denn auf einmal nicht mehr. Philipp bog nach dem Supermarkt links ab und stoppte nach etwa hundert Metern vor dem Kleinen Bungalow mit der Rezeption.

„Wie oft hast du mir eine Dose mitgebracht und sie auf mich zugerollt? Soll das alles vorbei sein? Ich suche keinen neuen Herrn. Ich brauche dich, Philipp!“, bellte Felix flehend.

Philipp versuchte ihn zu beruhigen, tätschelte ihm den Rücken und verschwand dann in dem Bungalow. Luisa entfernte den Aufkleber des Campings von der Windschutzscheibe. „Du wirst mir fehlen, mein Kleiner“, sagte sie dabei, und sie kraulte Felix hinter seinem Ohr, einmal links und dann wieder rechts. „Aber du hast ja hier ein sicheres Zuhause...“ Sie hielt inne, bevor sie hinzufügte: „Ich würde dich am liebsten gleich mitnehmen.“

„Habe ich richtig gehört?“ Er drückte sich an Luisas Bein. „Du willst mich mitnehmen? Träume ich? Dann kneife mich, Luisa. Kneife mich in mein Hinterteil, damit ich erwache.“

„Mein Kleiner!“ Luisa hatte sich vor ihn auf den Boden gekniet.

Kleiner hatte sie ihn schon wieder genannt. Das passte Felix ganz und gar nicht. Er war doch nicht so einer wie Pedro, der mit seinem Fell den Boden fegen musste. Und ein sicheres Zuhause war das hier lange nicht. Also stellte er sich vor Luisa auf und schaute sie eindringlich an. Da sah er Pedro, der nur einige Meter entfernt, unter einem Orleanderbusch ruhte. „Pedro!“, rief er mit heiserer Stimme und sprang zu ihm hinüber.

Pedro blinzelte ihn unter seinen buschigen Augenbrauen an. „Was hast du?“, fragte er. „Du siehst traurig aus.“

„Das mag schon sein. Es trifft mich sehr hart.“

„So erzähl‘ schon!“

„Philipp und Luisa reisen ab“, brach es aus Felix heraus. „Und außerdem...“

„Was außerdem?“

„Ich habe dich vermisst.“ Er setzte sich neben Pedro auf den von der Hitze ausgedorrten Boden.

„Meine Zeit ist im Augenblick sehr begrenzt“, gab Pedro ihm zu verstehen.

„Begrenzt?“ Fragend schaute Felix seinen Freund an. „Was soll das heißen?“

„Ich habe mich verliebt“, erwiderte Pedro. Dabei verdrehte er seine Augen. „Angelina ist ein Traum von einer Dackeldame.“

„Lass mich damit in Ruhe. Ich hatte mir nach Tinta die Augen verdreht...“ Felix scharrte mit seinen Vorderpfoten, so als wollte er das Gesagte damit untermauern.

„Aber Angelina“, säuselte Pedro. „Glaub' mir, ohne sie wäre ich der unglücklichste Hund unter der Sonne.“

„Ich bin es!“, rief Felix.

„Du bist doch viel zu jung, um überhaupt mitreden zu können. Aber ich weiß, von was ich spreche. Ich liebe Angelina.“

Felix schaute ihn von der Seite an und er gestand sich, Pedro hatte sich verändert. Außerdem hielt er wohl überhaupt nichts von Rasse. Eine Dackeldame! Verständnislos schüttelte er seinen Kopf und knurrte vor sich hin. „Grüße deine Angelina herzlich von mir.“

„Sie hat mir ewige Treue geschworen“, rief Pedro ihm nach, als Felix schon wieder zurück zu Luisa unterwegs war.

Das glaubt dieser blöde Kerl auch noch. Mit dem war ja nichts mehr anzufangen und ein vernünftiges Gespräch konnte man schon gar nicht führen. Doch kaum hatte Felix zu Ende gedacht, da startete Philipp seinen Mercedes. Und wieder sprang er vor der Motorhaube hin und her.

„Sei doch vernünftig!“, rief Luisa aus dem offenen Fenster, während Philipp den Caravan hinaus auf die Nationalstraße zog. Felix rannte was seine Beine hergaben. „Halte an Philipp! Du bist es, der nicht vernünftig ist. Lässt mich neben dir her rennen!“ Außer Atem blieb er stehen. Ob er Menschen je begreifen würde, fragte er sich. Traurig wandte er sich um und trottete zurück. Bevor er auf den Campingplatz einbog, schaute er sich noch einmal nach dem Gespann um, das inzwischen zu einem winzigen Punkt zusammengeschrumpft war, bevor es ganz verschwand.

Um sich von den Strapazen des frühen Morgen zu erholen, legte er sich unter einen Johannisbrotbaum, und zwar genau dort, wo Philipps Wohnwagen gestanden hatte. Er träumte von den zurückliegenden drei Wochen. Von dem vollen Fressnapf und der Schüssel mit frischem Wasser, die ihm Luisa immer hingestellt hatte. „So etwas passiert dir nicht alle Tage“, hatte Pedro einmal gesagt, und Felix hatte ihm das aufs Wort geglaubt.

Felix hatte lange geschlafen. Müde reckte er sich und leckte seine Vorderpfoten. Danach biss er sich in seinem Fell fest um nach Flöhen zu suchen.

„Nun bist du wieder ohne Herrn und ohne Futter“, rief ein wohlgenährter, schwarzer Kater, vom Baum herab. Felix schaute zu ihm hinauf. Er hatte schon so manche Stunde unter einem Baum ausgeharrt, um auf eine Katze zu warten. Er sprang auf und setzte seinen Urinstrahl an den Stamm. Fauchend kletterte der Kater bis in die Baumkrone und balancierte mit erhobenem Schwanz auf einem schwankenden Ast. „Verschwinde! Miauuu...“ Felix dachte nicht daran. Er hatte Zeit. Also legte er sich zu Füßen des Baumes, mit dem Gedanken, dass der Kater irgendwann einmal herunterkommen musste. Außerdem war es ihm eine willkommene Ablenkung, nachdem Luisa und Philipp fort waren. Zwar hatte Pedro ihn vor Katern gewarnt und ihm dabei seine Narben gezeigt. Eine Tatze direkt auf die rechte Augenbraue, eine auf die Stirn. Hiebe, die für immer sichtbare Spuren im Fell hinterließen.

Felix träumte von Luisa, als der Kater vom Baum herab, direkt vor seine Schnauze sprang. Fauchend und mit erhobenem Schwanz stellte er sich vor ihm auf.

Warum musste dieses Ungeheuer von einem Kater ausgerechnet jetzt herunterkommen? fragte sich Felix.

„Don Juan“, stellte sich der Kater siegesbewusst vor.

„Felix der Große“, erwiderte er mit geschwellter Brust.

Don Juan machte einen gefährlichen Buckel. Er stellte seinen Schwanz steil auf. „Miaaauuu...“ Felix erinnerte sich an Pedros Narben und wie er selbst nach einem Kampf mit Don Juan aussehen würde. Zähneknirschend wandte er sich um. Katzen würde er wohl nie begreifen, und Kater noch viel weniger, sagte er sich, während er langsam über den Platz, hinauf zu dem Restaurant lief. Vielleicht hatte ja der Wirt etwas zum Fressen für ihn. Bevor er Philipp und Luisa kennenlernte, hatte er oft bei ihm aus einem vollen Napf gespeist. Touristen lassen immer etwas auf dem Teller zurück. Fisch, Fleisch, er fraß auch Kartoffeln oder Teigwaren, wenn es nichts anderes gab. Er war nicht heikel. Das wusste der Wirt. Deswegen hatte er ihn auch schon gelobt und sogar den Rücken gestreichelt. Streicheleinheiten werden ihm fehlen, nachdem Luisa ihn verlassen hatte. Sie erinnerten ihn an die ersten Wochen seines Lebens, als er noch glaubte, ein sicheres Zuhause zu haben. Das hatte er schon fast vergessen, wie es damals war, mit seinen Geschwistern, Angel und Rosiana. Vielleicht wurden ja auch sie ausgesetzt?

Felix wurde mitten aus seinen Gedanken gerissen, als der Wirt aus der Küchentüre schaute. „Na mein Kleiner, zurück von deiner Tour!“, fragte er.

„Ich war doch nur ein paar Meter von dir entfernt. Also stell dich nicht so an“, knurrte Felix und scharrte mit seinen Hinterläufen. „Ich habe liebe Menschen verloren und ich habe Hunger.“

Der Wirt brachte einen Teller mit Fleischresten, ein paar Kartoffeln und eine gegrillte Sardine.

„Miauauau... Mioooauauau...“, hörte Felix es dicht hinter sich. Fauchen! Er drehte sich um und bums, spürte er Don Juans Tatze auf seiner Schnauze.

„Was soll das?“

„Der Fisch gehört mir!“

„So nimm ihn dir! Und dann lass mich in Ruhe!“ Knurrend wich Felix zur Seite.

„Kein knurren und kein bellen!“ Und wieder machte Don Juan seinen bekannten Katzenbuckel. „Wenn ich nervös werde, dann...“

„Pass nur auf, wenn ich groß bin!“, knurrte Felix und er konnte gar nicht mehr aufhören zu knurren. Als der Kater mit dem Fisch schon lange weg war, scharrte er immer wieder in dem trockenen Grasboden, um sich selbst Mut zu machen. „Eines Tages, wenn ich groß bin, werde ich euch allen zeigen, wer hier der Boss ist.“

Der Hund mit den verlorenen Ohren

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