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Zweites Capitel

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Es war wieder Donnerstag und das Museum war wieder geöffnet. In einem Zimmerchen, gerade groß genug, daß ein Tisch und zwei Stühle darin Platz hatten, saß der Custos, der Maler Walther. Vor ihm auf dem Tische lag an dem einem Ende der geschriebene Katalog der Gemälde und am anderen Ende das Foliobuch, in welches sich die Besucher einschrieben; dazwischen stand ein zinnernes Tintenfaß mit den drei unvermeidlichen Gänsefedern, an denen jedoch keine Spur von Tinte zu entdecken war, denn der Name des letzten Besuchers war bereits ganz roth geworden.

Während Walther gedankenlos durch das kleine Fenster hinausblickte, versammelte sich auf dem Marktplatz unten eine Anzahl Menschen um einen Leierkasten, bei welchem ein Vagabond die Bilder, die roh auf ein Stück Leinwand gemalt waren, erklärte, während seine Frau die Orgel drehte und mit dem anderen Arme einen Säugling wiegte. Das war zu viel für Walther. Dafür hatte das Volk Zeit und Aufmerksamkeit und nach seinem Museum sah Niemand sich um! Er konnte den Scandal nicht länger mit anhören, stand auf und ging auf eine Thür zu, an welcher ein weißes Papier angeheftet war, mit den Worten:

Heute geöffnet.

Regenschirme und Spazierstöcke am Eingang abzugeben.

NB. Es darf hier nicht geraucht werden.

Das war die Gemäldegalerie von Helmstadt. Es hingen daselbst ungefähr dreißig Bilder von verschiedener Größe und mehr oder minder werthvoll, so weit man sie bei dem mangelhaften Lichte, das rechts und links durch schmale Fenster einfiel, beurtheilen konnte. Walther selbst war der Erste, der dies einsah, und seit mehr denn zehn Jahren hatte er in zahlreichen Eingaben darauf gedrungen, daß das Museum verpflanzt werden möchte. Aber es schien, daß in ganz Helmstadt kein anderes Local zu finden war, als diese alte Thurmstube, und für die Gemäldegalerie hatte der Gemeinderath niemals mehr Geld übrig, als die 75 Gulden, welche durch das Legat Ronceval zur Erhaltung der Sammlung ausgesetzt waren.

Bevor Walther noch die Schwelle des Museums überschritten hatte, blieb er stehen. Die Töne des Leierkastens und die Stimme des Auslegers drangen plötzlich viel heller herein, also mußte die Thür geöffnet sein. Wirklich hörte man Fußtritte auf der Treppe, die nach dem Museum führte. Sollte es ein Besucher sein? Walther hätte gern nachgesehen, aber er bezwang sich im Gefühl seiner Würde als Custos und wartete mit gespannter Aufmerksamkeit auf die nahenden Tritte. Endlich war der Besucher oben, aber nun wollte Walther durchaus nicht merken lassen, daß ihn die Ankunft überraschte und er blickte so eifrig in den Katalog, als habe er ihn zum ersten Male und nicht schon seit vielen Jahren jeden Donnerstag vor Augen.

»Herr Walther,« begann der Eintretende.

»Ei, Herr Rohr, das treffen Sie gut, es ist gerade Niemand da.«

»So – wissen Sie – ich komme eigentlich im Namen meiner Tochter, die –«

»Wenn Sie nur so gut sein wollten, Ihren Namen einzuschreiben,« unterbrach ihn Walther, indem er ihm das Register vorlegte.

»Ach, das ist nicht nöthig, ich komme nur im Namen meiner Tochter –«

»Das hat nichts zu sagen, Herr Nohr, hier, wenn Sie so gut sein wollen, hinter Nummer 114, das Register ist nicht besonders treu fortgeführt.«

»Nein, wirklich nicht, Herr Walther, ich wollte Ihnen nur ein Wort von meiner Tochter Anna ausrichten; sie möchte Sie so gern einmal sprechen, und Sie wissen, mit den Krücken kann sie schlecht vorwärts.«

»Schön, schön Herr Nohr, ich komme heute Abend auf ein Stündchen – hier, wenn es gefällig ist,« und wieder schob Walther dem Küster das Einschreibebuch vor. Nohr konnte sich nicht länger weigern.

»Es wird recht albern aussehen, Herr Walther,« versicherte er, indem er vergeblich versuchte, die Feder wieder abzugeben –, »ich gehöre ja nur zur Kirche.«

»Der gesellschaftliche Stand hat nichts zu sagen,« erwiederte Walther, »es giebt Grafen und Barone, sie sich nicht um die Kunst bekümmern, und dagegen arme, blutarme Menschen, die dafür leben und sterben.«

Nohr schrieb seinen Namen hinter Nummer 114, ohne zu bemerken, daß Nummer 113 vor zwei Jahren ausgefüllt war; dann frug er, ob er noch etwas hinzufügen müsse.

»Das Uebrige werde ich selber ausfüllen,« sagte Walther, »wir können uns nun ein wenig umsehen.«

»Ein andermal,« antwortete Nohr, »ich mußte hier vorüber zur Bibelstunde und da sagte ich zu Anna, daß ich rasch bei Ihnen einmal vorkommen wollte.«

»Es hat nichts zu sagen, Herr Nohr, Sie brauchen nicht länger zu bleiben, als Sie wollen,« und ob Nohr folgen wollte oder nicht, er mußte mit und stand bald neben Walther im Museum.

»Schön, wirklich schön!« sprach Nohr, ehrerbietig seinen Hut in der Hand haltend, während er den Kopf zurückgeworfen hatte, um ein großes Gemälde zu besehen, welches gerade gegenüber vom Eingang hing, »das ist eine Jagd, nicht wahr, Herr Walther?«

»Richtig,« nickte Walther, »das ist eine Jagd von Wouverman; Verboeckhoven könnte sie nicht schöner gemalt haben. Kommen Sie einmal hierher, von hier aus müssen Sie das Stück besehen.«

Nohr schlich einige Schritte auf den Zehen in der angewiesenen Richtung und erklärte dann, daß es von diesem Standpunkte eigentlich noch schöner sei.

»Aber,« fuhr Walther fort, »dabei müssen Sie sich nicht zu lange aufhalten, Sie sollen noch etwas ganz Anderes zu sehen bekommen, die größten Bilder sind nicht immer die besten.«

»Richtig,« sagte Nohr, »das ist gerade wie bei uns; die längsten Predigten sind auch nicht immer die besten, so eine kurze Nachmittagspredigt, wie wir am vergangenen Sonntag hatten –«

Wenn Nohr auf Predigten zu sprechen kam, war er unbezwinglich. Walther unterbrach ihn noch bei Zeiten und indem er den redseligen Küster an einem Zipfel des Aermels fortzog, brachte er ihn vor ein Portrait. »Das ist ein Raphael, Sie wissen doch, wer Raphael ist?«

Nohr bedachte sich einen Augenblick. »Hat er nicht in –«

»In Amsterdam gelebt,« wollte er fragen, aber Walther wartete die ganze Bemerkung nicht ab.

»Er war der größte Maler, der jemals gelebt hat, und von ihm haben wir hier ein Bild, oder wenigstens eine Copie, aber eine Copie von Meisterhand. Und sehen Sie dort die zwei Portraits, ich möchte darauf schwören, daß sie von Miereveld sind.«

Nohr folgte der angedeuteten Richtung und nickte voll Bewunderung.

»Aber sehen Sie, das Juwel unserer Sammlung ist hier,« und damit führte Walther den guten Nohr in eine Ecke, wo ein kleines Bild hing, das Walther ihm als echten Ostade vorstellte.

»Ja, lieber Freund,« sagte er dann, »wir haben hier sehr viel, weit mehr, als die Menschen wissen. Hier ist noch ein Hobbema, zum wenigsten, wenn es nicht von ihm ist, muß es von seinem besten Schüler sein.«

Nohr blieb zuletzt lange vor einem Bilde stehen, auf dem ein Bürgermeister mit Schöffen abgebildet war und das ihm besonders gefiel.

»Herr, mein Gott,« sagte er, »damals sahen solche Herren anders aus, nicht wahr, Herr Walther?«

»Ja, Herr Nohr, ganz anders. Und sie waren auch danach. Gegenwärtig ist es ein Elend, kein Einziger darunter, der etwas taugt, der Bürgermeister so wenig als der Rest.«

Nohr sah sich um und war froh, daß Niemand gegenwärtig war, aber die offene Thür machte ihm bange; mit einem vielbedeutenden Blick sah er nach dieser hin.

Ein Legat

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