Читать книгу Mord in der Harrer-Klinik - Gerd Hans Schmidt - Страница 7
Kapitel 1 – Krank
ОглавлениеKreuzverreck und jetzt nieselt es auch noch. Es ist ein kalter Novemberabend bei 2 Grad.
Der Doktor meinte, die Hüfte ist hin, da hilft nur noch eine »Totalendoprothese«, wie das schon klingt. Ich schlendere gerade durch die Weißgerbergasse, als mir irgendwie bewusst wird, dass da unten demnächst jemand hinein- und herumschneiden und gar so ein Plastik-Titangelenk einbauen wird. Der Orthopäde sagt, ich soll in die Harrer-Klinik gehen, die bringen das echt gut hin.
Aber eigentlich tut’s schon gar nicht mehr so arg weh und so lange ich noch ein Club-Spiel durchhalte kann’s nicht so schlimm sein.
Wolff Schmitt, 42 Jahre, ledig und schon lange Hauptkommissar bei der Mordkommission in Nürnberg, der Fuchs wie ihn die Kollegen nennen, spaziert trotz Nieselregen und schmerzender Hüfte Richtung Burg, wo er in seiner Stammkneipe den Abend nach dem Arztbesuch bei ein paar Bier ausklingen lassen will. Wolff Schmitt wohnt in der Nähe des Hauptmarktes in der Winklerstraße, wo er eine dreieinhalb Zimmerwohnung zur Miete hat. Er ist Junggeselle, wenn auch kein Überzeugter dieser Gattung. Da war schon die eine oder andere, aber eben nicht die Richtige. Der Beruf als Polizist lässt problemlose Beziehungen sowieso nicht zu, versucht er sich immer wieder einzureden, wenn mal wieder Schluss ist. Meistens versucht sich die Auserwählte in sein Leben einzumischen, sagt er sich. Nichts ist mehr an seinem Platz in der Wohnung, ständig muss irgendwas geputzt werden und wenn er dann in die Alm, seine Stammkneipe in der Burgstraße gehen will, schlägt die Dame einen Fernsehabend vor. Irgendwie haut das nicht hin, mit ihm und den Frauen. Helmi, der Wirt der Stammkneipe, setzt sich an seinen Tisch. Sie kennen sich schon lange. Wolff Schmitt versucht an diesem Abend alle Nachteile so einer Operation aufzuzählen und will das eigentlich gar nicht machen lassen. Nach dem dritten Bier ist er sich sicher, dass das auch nicht nötig ist. Helmi grinst nur vor sich hin und meint, Wolff solle sich die Entscheidung nach dem Fußmarsch nach Hause noch mal überlegen, wenn die Schmerzen wieder so groß sind, dass das Treppensteigen zur Gipfeltour wird.
Zwei Monate später.
Puls 88, Blutdruck 89 zu 57. Das klingt irgendwie nicht gesund. Ich liege zwischen anderen fremden Menschen, die in ihren Betten versuchen aufzuwachen. Ich bin wach, dafür tut die linke Hüfte saumäßig weh und ich kann da nichts bewegen. Spinal-Anästhesie nennen die das heute. An das Sägen und Hämmern werde ich mich lange erinnern. Auf meine Bemerkung während der OP, dass das hier wie in einer Autowerkstatt wäre, bekomme ich von einem Arzt zur Antwort, nein, sie seien hier eine Schreinerei.
»So Herr Schmitt, ich fahr’ sie wieder aufs Zimmer, alles vorbei und die Hüfte: wie neu!«
Gottseidank hatte ich meinen angeborenen fränkischen Geiz überwunden und ein schönes Einzelzimmer gebucht. Mit Blick auf die Burg. Schräg unten gegenüber Ärzte- und Besprechungszimmer. Von meinem vierten Stock recht gut einsehbar.
40 Zoll Fernseher, DVD, Ledersitzecke, dunkler Parkettboden und natürlich das eigene sehr komfortable Bad, das Zimmer vom feinsten. Hat auch einen netten Aufpreis. Nur die Krankenschwester war nicht buchbar, meine ist so gegen 60 mit russischem Akzent.
Sauweh tut’s immer noch und zur Ablenkung schau’ ich mir noch die Geschehnisse im Konferenzraum ein wenig an. Ärzte und Krankenschwestern mit Hochglanzunterlagen vor sich lassen sich von einem Referenten in die Welt des Power Point entführen und …
Schmitt schläft.
Punkt sieben am Morgen. Grell dringt das Neonlicht der Zimmerdeckenlampe durch meine Netzhaut. Links eine mir noch unbekannte Frau mit spitzer Kanüle in meinem Arm, die mein Blut anzapft. Rechts meine russische Krankenschwester, die sich an meinen Puls und Blutdruck heranmacht. Nicht zu vergessen das Fieberthermometer im Ohr und – der Nachttischausleger bebt – hier ist ihr Frühstück.
Ein herrlicher Morgen!
Endlich Nachmittag. Es wird ruhiger auf der Station und man kann in Ruhe Musik hören und etwas lesen. Meine Kollegin Ilse ist zu Besuch.
»Vermisst mich jemand im Kommissariat? Nicht wirklich? Wer macht jetzt den Schaffnerfall? Der Herbert? Nein, nicht wirklich der Herbert! Der kann doch einen Fingerabdruck nicht von einer Reifenspur unterscheiden! Doch? Mittlerweile schon?«
»Sei froh, dass du hier deine Ruhe hast«, scherzt Ilse, »die dürfen hier die Leute ganz legal aufschlitzen.« Welche Ironie. Aber ich mag die Ilse, irgendwie.
Heute Abend gibt’s laut Menüwahl Nürnberger Bratwürste. Endlich was Gescheites. 17 Uhr, ich decke den Teller auf und da liegen sie: Vier arme Nürnberger Bratwürstl, kalt, ein Klecks Senf, ein Stück undefinierbarer Käse und ein labbriger Toast. Dazu Tee! Käse zu Nämbercher! Der Koch gehört zum Hauptmarkt in die Lochgefängnisse, dauerhaft!
Nach dem Abendessen wird’s dann eher öde. Heute aber nicht. Mein Freund Jürgen klopft an die Tür, in der Tasche drei Weißbier, eins für ihn und zwei für mich! Hat der Arzt erlaubt. Jürgen wohnt gleich gegenüber und betreut mich kulinarisch. Wir unterhalten uns heute besonders gut.
Nachdem Jürgen gegangen ist, sehe ich etwas fern, lese noch und langsam werde ich müde. Es ist gegen 20.30 Uhr und ich lege das Buch beiseite.
Mein Blick fällt durch das bodentiefe Fenster hinunter in den noch hell erleuchteten Konferenzraum. Das Rollo ist etwas herabgelassen, gerade so, dass man die Gesichter von Personen nicht genau erkennen kann. Am großen Tisch in der Mitte des Raumes stehen sich zwei Personen gegenüber, ein Mann und eine Frau, so viel kann ich erkennen. Aus den Gesten der beiden entnehme ich einen Streit, die Mimik bleibt mir verborgen.
Er schlägt mehrmals mit der flachen Hand auf den Tisch, so als ob er Vorwürfen Nachdruck verleihen will. Sie streckt ihren rechten Arm vor und bewegt ihre Hand mit ausgestrecktem Zeigefinger auf und ab. Sie weist eine Schuld zurück und wirft sie dem Mann vor.
Der schlägt ihre Hand plötzlich und kräftig zur Seite. Sie erwidert mit einem Trommelfeuer ihrer Fäuste auf seine Brust. Er weicht unvermittelt zurück und sie stürzt gezogen von der Kraft ihrer Schläge nach vorne und dann zu Boden.
Da geht das Licht aus. Ich kann nur noch Schatten sehen, dann nichts mehr.
Zwei, drei, vier Minuten, vielleicht länger. Trotz meiner zwischenzeitlich aufgezogenen Brille ist nichts erkennbar.
Plötzlich geht das Licht wieder an und jemand zieht ein paar Lamellen des Rollos auseinander um hindurchzusehen. Es ist vermutlich der Mann. Ich erschrecke, weil mein Leselicht noch an ist und er mich wohl gut sehen kann. Aber auf die Entfernung? Da er das Licht im Rücken hat, kann ich nur Umrisse erkennen. Es scheint ein kräftiger Mann zu sein. Ein Arzt?
Schnell lösche ich mein Licht, aber wohl zu spät, ich war zu lange auf dem Präsentierteller.
Unten ist wieder alles dunkel. Soll ich die Kollegen alarmieren? Dann war’s ein harmloser Streit und ich blamier’ mich. Die Nachtschwester macht noch ihre Aufwartung und aus irgendeinem Grund erwähne ich meine Beobachtung.
»Streitet das Personal hier immer abends im Besprechungszimmer?«, bemerke ich beiläufig. Sie wünscht mir eine gute Nacht. Ich beschließe zu schlafen.
Der nächste Morgen um sieben. Das gleiche Ritual. Links die Blutschwester rechts die Pulsschwester, vor mir das Frühstück. Guten Appetit.
»Ham’s es schö g’hört«, meint die Blutschwester, »gestern Nacht ham’s da unten a Fraa umbracht!«
Blitzartig bin ich hellwach und mein Kopf schnellt sofort nach links und der Puls hoch. Mein Blick fällt nach unten zum Konferenzraum, wo die weiß verhüllten Kollegen von der Spurensicherung bereits ihre Arbeit machen. Das Rollo ist ganz oben und der Raum hell erleuchtet. Neben dem hinteren Tischende liegt eine Frau am Boden. Tot, ganz offensichtlich.
Ich Hirsch. Warum habe ich gestern Abend nichts unternommen?
Rechts das Croissant eingetaucht, links das Telefon an meinem Ohr. »Ja, Herbert ich schwör’s dir. Da haben gestern Abend zwei miteinander gestritten. Ja, unten in dem Konferenzraum. Ich hab’s doch gesehen. Die sind auch fast aufeinander losgegangen. Nein, eben nicht. Erkannt habe ich niemanden, weil die Köpfe hinter dem Rollo waren. Zum Schluss war da noch der Mann, der zu mir hochgesehen hat. Ja, durch das Rollo. Nein, kein Arzt, glaube ich. Jedenfalls hatte er keinen Kittel an. Genau, so gegen halb neun und neun. Herbert, ich muss da runter. Ach so, ich bin krankgeschrieben und erst operiert. Gut, hatte ich gerade vergessen. Herbert, du musst das mit der Ilse in den Griff kriegen. Sonst sind wir blamiert. Polizist als Mordzeuge und kein Verdächtiger. Ich seh’ schon die Schlagzeilen! Herbert? Allmächd. Bloß nichts an die Presse, du hast recht. Erst recht, wenn der mich gesehen hat! Ihr informiert mich? Gut, bis später.«
Chefarztvisite. »Na Herr Schmitt, wie geht’s heute? Noch Schmerzen? Wie sieht das Bein aus? Sehr gut, sehr gut. Das gefällt uns. Schwester, die Blutwerte?« Gleich vier weißgekittelte Ärzte und eine Ärztin machen mir ihre Aufwartung und stehen um mein Bett herum. Einer davon, groß, kräftig, dunkelhaarig, Frauentyp, scheint sich allerdings wenig für mich zu interessieren. Er steht mit dem Rücken zu mir und blickt angespannt aus meinem bodentiefen Fenster hinunter zum Konferenzraum. Dann sieht er kurz zu mir herüber. Ich habe den Eindruck er versucht nachzuvollziehen, was man von meinem Bett aus gestern Abend so alles beobachten konnte.
»Na dann bis morgen, Herr Schmitt, und alles Gute!« Und schon schwebt die versammelte Ärzteschaft samt Schwester und Versorgungswagen zur Tür hinaus. Bin gespannt, was dafür auf der Rechnung steht.
Nächster Tag Physiotherapie. Ich muss schon aufstehen und kurz gehen. Mit Stecken natürlich. Entschuldigung, mit Unterarmgehstützen. Früher hat man Krücken g’sacht.
Ich laufe also vierfüßig in Begleitung der Therapeutin den Gang entlang vorbei am Schwesternzimmer. Da steht er wieder, der große Dunkelhaarige. Menzinger heißt er, Dr. Menzinger, wie ich zwischenzeitlich in Erfahrung bringen konnte. Ich fühle, wie er mir mit wachsamen Augen nachschaut, als wir an ihm vorbei die Station entlanglaufen. Zurück im Zimmer folgen noch einige Übungen.
»Herr Schmitt, das Knie nach unten durchdrücken, die Zehen nach oben, nein, das andere Bein bleibt liegen, liegen lassen, so, und die Spannung halten, halten …« Können die einen zwei Tage nach der OP nicht einfach in Ruhe lassen?
Der Herbert besucht mich. »Erzähl!«, fordere ich ihn auf.
»Also, die Fraa g’hört net zum Klinikpersonal. Heißt Margit Winkler, 36, alleinstehend, gutaussehend und wohnt in Ferth in an noblen Appartement. Tod durch Schlag auf’n Hinterkopf, beziehungsweise is sie rücklings auf die Tischkant’n aufgschlog’n. War sofort tot. Aber vorher haterrer aner mit aner Krückn von vorn auf’n Kopf gschlag’n. Mit voller Wucht. Den Stock hammer gfundn. Kaane Spurn! Vermutlich Latexhandschuh. Der Tod ist zwischen 21 und 22 Uhr eingetreten.«
»Der, den ich gesehen habe, hat die derschlag’n?«
»Des wiss mer net gwiess, weil an dem Abend wegen dem Vortrag a mords«, (lacht), »Publikumsverkehr war in dem Bereich. Ein ständiges Kommen und Gehen.«