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3. Intolerantes Evangelium1

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Die frühchristliche Botschaft sagt eine von Gott herbeigeführte neue Epoche an. Sie begann mit dem Kommen seines Sohnes in die Welt, fand in der Auferstehung Jesu von den Toten einen vorläufigen Höhepunkt und sollte sich bei dessen Wiederkunft am Ende der Zeit vollenden. Das Evangelium, wörtlich übersetzt »Frohbotschaft«, hat Jesus Christus zur Mitte. Am Glauben daran, dass Gott ihn zum Heiland bestimmt hat, entscheiden sich Heil und Unheil der Menschen. »Wer da glaubt und getauft wird, wird gerettet werden, wer aber nicht glaubt, wird verdammt werden« (Mk 16,16), heißt es griffig am Schluss des ältesten Evangeliums.

Die Frohbotschaft wandelte sich unversehens zur Drohbotschaft, wenn das Angebot zur Rettung verweigert wurde. Kirchenführer setzten bald Rechtgläubigkeit mit Gehorsam gleich. Sie projizierten ein an der Unterdrückung orientiertes soziales Gefüge in den Himmel und zeigten sich von einer Kultur der Unterordnung geprägt. Vor allem der kanonische Status, durch den die Texte des Neuen Testaments zur ewigen Norm für die Kirche erklärt wurden, hat den Blick dafür getrübt, dass die »heiligen Schriften« aus massiven Machtkämpfen hervorgingen und durch sie geprägt sind.

Bis zum Ende des ersten Jahrhunderts – mit begünstigt durch die Zerstörung Jerusalems im Jahre 70 – hatte die Kirche sich über das ganze römischen Reich ausgedehnt, und zweieinhalb Jahrhunderte später war sie bereits Staatsreligion. Den Boden für ihren enormen Erfolg hatte das Judentum bereitet. Ihm verdankte die Kirche die hochstehende Ethik und das Alte Testament. Welch eine Ironie der Geschichte, dass die christliche Religion ihrer jüdischen Mutter keinerlei Dankbarkeit zeigte, sondern sie zusammen mit anderen Widersachern in das Reich der Finsternis verbannte. Doch erwies sie sich auch gerade darin als eine Tochter, die von der Mutter gelernt hatte. Denn Erbe Israels war auch das Bewusstsein der Erwählung und vor allem der exklusive Monotheismus, der alle anderen Formen der Verehrung Gottes oder der Götter als Götzendienst verurteilte.

Bei ihrer Mission führten die Christen die religiöse Intoleranz des Ersten Gebotes (»Ich bin Jahwe, dein Gott, du sollst keine anderen Götter haben neben mir«) in die griechisch-römische Welt ein. Kein Wunder, dass die rivalisierenden heidnischen Religionen, die eine große Duldsamkeit auszeichnete, der Kirche kein Paroli zu bieten vermochten. Diese konnte sich fast ungehindert durch den römischen Staat ausbreiten und war Nutznießerin von dessen toleranter Religionspolitik.

Auch hielten sich die Christenverfolgungen in Grenzen. Von der Sehnsucht nach dem Martyrium getrieben, schlugen sich die Christen oft selbst die Köpfe blutig, weil viele römische Statthalter ihnen nicht den Gefallen der Hinrichtung taten. Einmal an der politischen Macht beteiligt, wussten Bischöfe das staatliche Schwert gegen Heiden, Ketzer und Juden in einem Ausmaß zu lenken, das die Intensität bisheriger Religionsverfolgungen weit übertraf. Beidieser Unduldsamkeit blieb es bis an die Schwelle der Neuzeit.

Entgegen der populären These, dass Luthers Freiheitsverständnis von Toleranz geprägt sei, steht die Unduldsamkeit des Reformators gegenüber Katholiken, Juden, Türken, Heiden und evangelischen Ketzern fest. Die Forderung nach Toleranz erhoben Humanisten und christliche Minderheiten zunächst ohne Erfolg. Sie hat sich historisch gegen die christlichen Kirchen durchgesetzt. Und nicht zufällig verlief der Prozess so und nicht anders. Denn die Gesamtrichtung der Heiligen Schrift im Alten und Neuen Testament hat Gott und seine Herrschaft zum Ziel.

Es mag mit dieser gewalttätigen Seite des christlichen Glaubens zusammenhängen, dass im und vom christlichen Abendland aus so viele Kriege geführt wurden, obwohl »Friede« ein Grundbegriff der Heiligen Schrift ist. Indes kommt es darauf an, wie sich »Friede« – der Bibel zufolge – ereignet. Und hier lautet ihre Botschaft, dass der Herr Jesus Christus das Friedensreich durch die Macht, die ihm seit seiner Auferweckung durch Gott zu eigen ist, notfalls mit Zwang durchsetzt. Damit ist für die an ihn Glaubenden ein Gewaltpotential zugänglich gemacht, das sie guten Gewissens gegen Feinde des Evangeliums einsetzen dürfen.

Intoleranz scheint notwendig ein Wesensmerkmal der christlichen Religion zu sein. Das bekennt ein so renommierter Theologe wie Karl Barth auch ganz offen: »Kein gefährlicherer, kein revolutionärerer Satz als dieser: dass Gott Einer, dass Keiner ihm gleich ist! Wird dieser Satz so ausgesprochen, dass er gehört und begriffen wird, dann pflegt es immer gleich 450 Baalspfaffen miteinander an den Leib zu gehen. Gerade das, was die Neuzeit Toleranz nennt, kann dann gar keinen Raum mehr haben.« Es wäre daher verfehlt zu meinen, die Freiheit im allgemeinen und die Religionsfreiheit im besonderen liege in der Konsequenz der christlichen Lehre – auch wenn die »aufgeklärten« Funktionäre der Volkskirche es gern anders hätten, da nur unter dieser Voraussetzung die weitere Mitarbeit der Kirchen im säkularen Staat möglich ist.

Tatsächlich können Theologie und Kirche, welche die Bibel als Richtmaß nehmen, die Religions- und Gewissensfreiheit – Toleranz – ohne taktische Hintergedanken schwerlich gutheißen. Denn Toleranz bedeutet, die Menschenwürde auch ohne ausdrückliche oder stillschweigende Berufung auf Gott unbedingt anzuerkennen. Damit wird sich der eifernde, Gehorsam fordernde Jahwe der Bibel nie abfinden.

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