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Vorwort

Einige Jahre vor dem Zusammenbruch der Deutschen Demokratischen Republik spielte mir der Zufall zwei verstaubte Koffer voller Bücher zu. Die meisten davon waren die damals sogenannten Klassikern des Marxismus/Leninismus, zusammen gut sechzigtausend Seiten wortreiches Material. Auf Grund meiner politischen Vorstrafen durfte ich zu dieser Zeit nicht mehr als Ingenieur arbeiten, aber immer nur unterqualifizierte Arbeiten waren mir auf Dauer zuwider. Mit dem Inhalt der beiden auf einem Dachboden entsorgten Koffern fand ich eine neue Herausforderung. Selbstverständlich musste ich mich ein wenig konspirativ verhalten, denn die marxistischen Genossen Geheimpolizisten witterten auch bei mir weiterhin staatsfeindliche Aktivitäten. Aus ihrer Sicht hatten sie nicht unrecht, denn wenn ein verurteilter "Staatsfeind" trotz Haft weiterhin uneinsichtig bleibt und im Stillen kritische Marx-Studien treibt, dann war revolutionäre Wachsamkeit angebracht.

Natürlich habe ich nicht alle Bücher und Broschüren aus den beiden Koffern komplett gelesen. Es musste ausgesondert werden. Allein die neunhundertdreiundsechzig Seiten des ersten Bandes des Marx´schen Hauptwerkes "Das Kapital"2 beinhalteten genug Stoff zum Lesen und Nachdenken. Aber ich bekam, wie andere vor mir auch schon, bereits am Anfang seiner Analyse des Kapitalismus Schwierigkeiten des Verstehens. Lag das wirklich nur an mir, oder gab es am Anfang seiner kritischen Untersuchung eine Ursache, die das Verständnis zwangsläufig erschweren musste? Die sollte heute offenkundig sein, denn beispielsweise ist bereits im Vorwort zum Buch die Gleichsetzung der "sehr inhaltlosen und einfachen" Wertform mit einer Körperzelle ein grundsätzlich falscher Ansatz.

Anstatt die angebliche Inhaltslosigkeit von Wert- und Zellenform auch noch rabulistisch durch das Wörtchen "sehr" zu steigern , wäre "scheinbar" das bessere gewesen. Richtig aber war, dass darin ein Geheimnis3 verborgen sein müsste.

Karl Marx hat dieses Geheimnis leider nicht aufgedeckt. Bezeichnend ist beispielsweise sein Brief vom Frühjahr 1851 an seine Freund Friedrich Engels, in dem er ankündigt: "Ich bin soweit, dass ich in fünf Wochen mit der ganzen ökonomischen Scheiße fertig bin."4 Abgesehen davon, dass es schon etwas erschreckend ist, wenn Marx die Ergebnisse seiner Studien für sein Lebenswerk so drastisch bezeichnet, dauerte es statt 5 Wochen dann doch noch 16 Jahre bis der erste Band Das Kapital endlich erscheint.

Aber auch bis zu seinem Tod, wieder 16 Jahre später, erscheinen die 1867 im Vorwort des 1. Bandes angekündigten drei Folgebände nicht. Die "ökonomische S…." war anscheinend komplizierter als gedacht.

Nichts Geringeres als das innere Bewegungsgesetz der modernen kapitalistischen Gesellschaft wollte er aufdecken, doch seine Analyse litt, wie gezeigt werden soll, bereits an einem kleinen Fehler am Anfang.

Heute wissen wir, dass pflanzliche und tierische Zellen alles andere als "inhaltlos" sind, denn sie sind bereits in ihrem Inneren gezielt energiesparend arbeitsteilig organisiert. Das zugrunde liegende Entwicklungsgesetz einer arbeitsteilig aufgebauten Zelle und das einer sich arbeitsteilig entwickelnden menschlichen Gesellschaft ist vielleicht ein und das selbe.

"Diese Form ist etwas schwierig zu analysiren, weil sie einfach ist" und zur Erinnerung dazu seine Anmerkung auf Seite 15 der Erstausgabe Das Kapital von 1867: "Sie ist gewissermassen die Zellenform oder, wie Hegel sagen würde, das An sich des Geldes."

"Schwierig weil einfach!", da hat Marx allerdings auch heute noch recht, denn auch ich habe mittlerweile mehr als 32 Jahre an der Lösung dieses Problems gearbeitet. Hätte Karl Marx bei seinen umfangreichen Studien auch die folgende Ansicht Aristoteles über Gerechtigkeit berücksichtigt: "Denn das Proportionale ist ein Mittleres, das Gerechte aber ist ein Proportionales. Die Mathematiker nennen es eine geometrische Proportion; denn in der geometrischen Proportion verhält sich die eine Summe zur anderen Summe wie das eine Glied zum anderen Gliede."5, dann wäre beispielsweise, zwar aufwändig mittels Wertetabelle und Zeichnung, aus der einfachen geometrischen Proportion 1: x = x: 2 folgende Grafik zu erstellen möglich gewesen:


Sie ist das abstrakte Bild einer Extremwertaufgabe, nämlich eines Minimierproblems, welches wir heute Dank Computer, Internet und Suchmaschinen mittels beider Terme und deren Summe in Sekundenschnelle erhalten können.

Wer aber glaubt, es handele sich bei diesem zu einer stetigen Proportion verallgemeinerten Problem nur um so relativ einfache Aufgaben wie beispielsweise die Minimierung des Umfangs von ungleichseitigen Rechtecken in flächengleiche Quadrate, der täuscht sich. Es verbirgt sich dahinter nichts Geringeres als das Grundgesetz der Arbeitsteilung mit ihrer optimalen und gerechten Gestaltung.

2 Karl Marx: Das Kapital. Berlin: Dietz Verlag 1960

3 Ebenda S.53

4 MEW. Bd.27. Dietz Verlag Berlin 1963. S.228

5 Nikomachische Ethik, I.Teil , a) Das Gerechte im Austeilen

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