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Zeugenbefragung

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Eine nach der anderen waren die vier Personen, die die Vermisstenanzeigen aufgegeben hatten, am Vormittag im Büro erschienen, das Clausen im LKA für Danner hatte bereitstellen lassen. Danner hatte die Vier in der Reihenfolge des Anzeigeneingangs eingeladen.

Zuerst war Frau Wiemann aus der Agnes-Bernauer-Straße erschienen. Frau Wiemann war Mitte fünfzig. Sie vermietete ein möbliertes Zimmer mit Küchen- und Badbenutzung in ihrer Vierzimmerwohnung. Sie wurde zu Laura Müller befragt. Nein, erklärte sie auf Danners Frage nach Verwandten der Laura Müller, sie wisse nicht genau Bescheid, nur dass die Eltern wohl schon sehr früh verstorben seien. Von Geschwistern oder sonstigen Verwandten wisse sie nichts. Laura Müller sei zweiundzwanzig Jahre alt, wohne seit Semesterbeginn bei ihr, sie studiere Psychologie. In dieser Zeit sei niemand zu Besuch gekommen, weder Männer noch Frauen. Sie sei wohl eher Einzelgängerin gewesen. Sie habe ihr einen Nebenjob in einem Hotel in der Nähe vermittelt. Dort habe sie am Samstag und Sonntag vormittags als Hilfskraft am Frühstücksbuffet gearbeitet. Mit der früheren Adresse von Frau Müller könne sie dienen, das sei eine Anschrift in Berlin. Ob Frau Müller etwas Konkretes zu diesem Projekt in Schäftlarn gesagt habe, wollte Danner wissen. Nein, antwortete Frau Wiemann, ihr sei zunächst nur aufgefallen, dass Laura Müller zwar von einem interessanten Projekt gesprochen habe, aber auf sie doch einen eher skeptischen Eindruck gemacht habe. Sie habe Frau Müller daraufhin angesprochen, und die habe nur gesagt, dass dies ja sicher keine Falle eines Mädchenhändlerrings sei, aber wenn sie morgen nicht zurück wäre, könne Frau Wiemann ja ruhig die Polizei informieren, was sie dann ja auch getan habe. Danner wollte noch wissen, ob sie den Mann beschreiben könne, zu dem Laura in das Taxi gestiegen sei. Sehr viel habe sie nicht gesehen, als sie aus dem Fenster geblickt habe. Nur den Kopf durch die heruntergekurbelte Seitenscheibe. Das sei so ein Typ mit langen blonden Haaren gewesen, so wie Thomas Gottschalk, den sie sehr verehre. Auch eine Brille habe er getragen, ergänzte sie nach kurzem Nachdenken. Sie habe jedoch keine Erinnerung mehr daran, was für eine Brille das gewesen war.

Ein Foto von Laura Müller habe sie nicht, aber sie glaube, dass auf dem kleinen Schreibtisch in ihrem Zimmer ein Bild stünde, das Laura mit einigen anderen Personen zeige. Danner kündigte noch an, dass er sie in Kürze besuchen werde, um Laura Müllers Zimmer zu untersuchen, dann wurde sie verabschiedet.

Danach wurde die Studentin Katja Zeidler über das Verschwinden ihrer Zimmernachbarin Sarah Jacobs befragt. Sarah sei genauso alt wie sie, nämlich dreiundzwanzig Jahre. Sie studierten beide Betriebswirtschaft. Da sie beide unter chronischem Geldmangel litten, hatten sie auch schon gemeinsam bei Messen wie der »Heim und Handwerk« als Aushilfen gearbeitet.

Zu den Verwandtschaftsverhältnissen befragt, wusste Katja, dass die Mutter von Sarah zwischen fünfzig und sechzig Jahren alt sei und wegen einer schon sehr früh aufgetretenen Demenz in einem Pflegeheim lebe. Wo der von seiner Frau geschiedene Vater von Sarah lebe, wisse sie nicht. Sarah habe erwähnt, dass sie seit mehr als zehn Jahren, seit der Scheidung ihrer Eltern, nichts mehr von ihm gehört habe. Ein Bild von Sarah habe sie vorsorglich mitgebracht, da sie sich denken könne, dass das wichtig sei.

Danner versprach sich von dieser Befragung weitere wichtige Informationen, denn Katja war dem ominösen blonden Mann im Flur begegnet und würde sicher eine gute Beschreibung abgeben können. Auch sie bestätigte die schulterlangen, blond gelockten Haare. Sie war sich sicher, dass er eine Brille mit kreisrunden Gläsern getragen habe. An das Material und die Farbe der Fassung könne sie sich nicht erinnern. Weiter beschrieb sie den Mann als groß, schlank und durchtrainiert. Danner wollte eine genauere Angabe zur Größe haben, und erhielt als Antwort, dass sie die Größe auf ungefähr 1,90 Meter schätze. Bekleidet war er mit blauen Jeans und einfarbigem schwarzem T-Shirt. Und ja, sie sei bereit, gleich an einer Phantomzeichnung dieses Mannes mitzuwirken. Auch ihr kündigte Danner an, dass er sie demnächst im Studentenwohnheim besuchen werde, und sich in Sarahs Zimmer umsehen wolle. Danner fragte noch nach näheren Informationen über das Projekt, und auch von dieser Zeugin erhielt er die Information, dass Sarah einen etwas ängstlichen Eindruck gemacht habe. Den Grund dafür wusste sie allerdings nicht.

Als Katja Zeidler nichts mehr zu berichten hatte, wurde sie in das Büro des Spezialisten gebracht, der nach ihren Angaben am Computer ein Phantombild erstellen sollte.

Dann erschien Rainer Leitner, um seine Aussage zu Anne Petersen zu machen. Der Rentner, der angab, einundsiebzig Jahre alt zu sein, machte einen sehr besorgten Eindruck. Er beschrieb seine Nachbarin, die seines Wissens Informatik studiere, als überaus nett und hilfsbereit. Sie habe schon gelegentlich, wenn er sich nicht wohlfühlte, Besorgungen für ihn gemacht. Da er wisse, dass sie finanziell nicht besonders gut gestellt sei, habe er ihr angeboten, diese Gefälligkeiten zu entlohnen. Das habe sie strikt abgelehnt. Danner fragte interessiert, woher er die Information über ihre finanziellen Verhältnisse habe. Leitner antwortete, sie habe sich bei ihm erkundigt, ob es in der Gegend Verdienstmöglichkeiten als Aushilfsbedienung im Lokal, mit Babysitting oder Ähnlichem gebe. Daraus habe er die Schlussfolgerung über ihre finanzielle Situation gezogen. Leider habe er ihr nicht helfen können. Über Verwandte und Freunde könne er leider auch nichts sagen, außer dass es bei ihr immer sehr ruhig gewesen sei. Gefeiert habe sie auf jeden Fall nicht. »Ach ja«, sagte er am Ende, sie habe ihn auch gefragt, ob es in diesem Stadtteil von München eine Laienspielgruppe gebe. Sie würde sehr gerne Schauspielern und suche Anschluss an eine Gruppe. Auch mit Herrn Leitner vereinbarte Danner einen Besuch und bat ihn, den Schlüssel für Frau Petersens Apartment bereitzuhalten.

Ganz zum Schluss berichtete Vanessa Kohnen über ihre Beobachtungen im Zusammenhang mit Lisa Wanderers Verschwinden. Sie selbst und Lisa, Studentin der Kommunikationswissenschaften, wohnten mit einer weiteren Frau und einem Mann in einer Wohngemeinschaft in vier Zimmern mit Küche und Bad in der Siegfriedstraße. Am 9. Juli habe ein ihr unbekannter blonder junger Mann Lisa abgeholt. Sie wollte mit ihm nach Schäftlarn fahren, wo sie sich für ein interessantes Medienprojekt bewerben könne. Der junge Mann sei der Vertreter der zuständigen Agentur. Lisa habe zu ihr gesagt, dass der ja ganz seriös aussehe und sicher nichts Böses im Schilde führe, worauf sie ihr im Scherz versichert habe, im Bedarfsfall die Polizei zu ihrer Unterstützung zu rufen.

Sie erkannte ihn auf dem ihr vorgelegten Phantombild, das der Zeichner inzwischen nach den Angaben von Sarah Jacobs erstellt hatte, sofort wieder. Allerdings habe er etwas längere Haare gehabt, und das Gesicht sei schmaler gewesen, aber insgesamt sei er sehr gut getroffen.

Nach ihrem Wissen habe Lisa keine lebenden Verwandten, und derzeit auch keinen festen Freund. Gelegentlich habe sie für eine Werbeagentur als Model gejobbt. Nachdem Danner auch ihr einen Besuch in der Wohngemeinschaft angekündigt hatte, wurde sie verabschiedet.

»Nun, was haben Ihre Befragungen ergeben?«, fragte Clausen interessiert, als Danner nach Abschluss seiner Gespräche zu ihm ins Büro trat.

»Wie schon nach meiner ersten kurzen telefonischen Recherche vermutet, es gibt wirklich signifikante Übereinstimmungen in den Fällen. Vier Studentinnen, alle unter fünfundzwanzig, allerdings mit verschiedenen Studienfächern. Die Müller: Psychologie. Die Jacobs: Betriebswirtschaft. Die Petersen: Informatik. Die Wanderer: Kommunikationswissenschaft. Gemeinsam ist ihnen: Alle sind wohl eher einzelgängerisch, ohne lebende Eltern und sonstige Verwandte, so weit bekannt. Nein, ich muss mich korrigieren: Die Mutter von Sarah Jacobs ist dement und lebt in einem Pflegeheim. Zu ihrem von der Mutter geschiedenen Vater hat sie seit 10 Jahren keinen Kontakt mehr. Für Anne Petersen fehlt die Information über Eltern und Verwandte noch.«

Clausen blickte Danner Stirnrunzeln an. »Ich schätze Ihr außerordentliches Gedächtnis wirklich, aber auf diese Informationen müssen auch Andere zugreifen können. Bitte legen Sie eine entsprechende Datei an.«

Wie nicht anders zu erwarten, reagierte Danner nicht auf diese Anmerkung und setzte seine Zusammenfassung fort.

»Weiter ist den vier gemeinsam, dass sie nicht besonders gut mit finanziellen Mitteln ausgestattet sind. Zumindest sind alle sehr interessiert an Nebeneinkünften. Die Müller erledigt einen Nebenjob im Hotel. Die Jacobs hat Aushilfsjobs bei Messen. Die Petersen sucht gerade einen Nebenjob, und die Wanderer arbeitet nebenher als Model.« Danner überlegte einen Moment und ergänzte dann »Und bevor Sie mich noch mal ermahnen, diese Info nicht nur in meinem Kopf zu behalten: Ja, ich werde eine Datei anlegen.«

»Dann sind wir uns ja einig. Was haben Sie noch zu bieten?«

»Der Themenkomplex Medien, Film, Schauspiel oder etwas aus diesem Umfeld muss eine besondere Rolle spielen. Nicht nur, weil der große blonde mit der Nickelbrille als Medienagent auftrat und ein Casting veranstalten wollte. Die vermisste Lisa Wanderer studiert Kommunikationswissenschaft und arbeitet nebenher als Model, Anne Petersen spielt gern Theater und Sarah Jacobs macht irgendwelche Jobs bei Messen. Nur bei Laura Müller fehlt noch eine entsprechende Information, aber ich bin sicher, da werden wir auch noch was finden. Was mich stutzig macht: Alle schienen wohl etwas skeptisch zu sein, ob dieses Casting-Angebot seriös sei. Zumindest fielen solche Bemerkungen, wenn sie manchmal auch eher scherzhaft klangen. Vielleicht war es auch nur die Rechtfertigung der Zeugen vor sich selbst, dass sie mit einem solch vagen Anfangsverdacht zur Polizei gingen und Vermisstenanzeigen aufgaben.«

Clausen war sichtlich beeindruckt. »Das ist doch schon eine ganze Menge, was Sie da zusammengestellt haben. Und wenn wir dann das auch noch schön übersichtlich dokumentiert in einer Datei finden, dann können auch andere an dem einen oder anderen Detail arbeiten, ohne Sie vorher immer interviewen zu müssen.«

»Ich möchte nicht, dass irgendjemand etwas an diesem Fall bearbeitet, ohne dazu von mir beauftragt worden zu sein«, intervenierte Danner. »Da darf nicht gepfuscht werden. Ich will die Fäden in der Hand behalten und jederzeit den Überblick über das vollständige Geschehen haben.«

»Ja doch, es ist Ihr Fall, Sie entscheiden über das Vorgehen, Sie haben aber auch die Verantwortung. Und was ist Ihr Plan, wie wollen Sie weiter vorgehen?«

Nun war Danner wieder voll in seinem Element.

»Erstens: Ich möchte alles über diese vier Studentinnen wissen. Wie gestaltete sich ihr bisheriges Leben? Ich möchte eine endgültige Abklärung haben, ob es Verwandte gibt. Wer sind ihre Freunde und Freundinnen? Mit wem hatten oder haben sie Kontakte in sozialen Netzwerken, über welche Themen haben sie sich unterhalten? Welche Vorlieben haben sie in ihrer Freizeit? Zu diesen Fragen müssen Sie Mitarbeiter aus Ihrem Team einsetzen, Herr Clausen. Die sollen mir dann umgehend das Ergebnis ihrer Arbeit berichten. Wir brauchen auch noch möglichst aktuelle Porträtaufnahmen der Vermissten, auch von denen, deren Bilder wir jetzt schon haben.«

»Wird gemacht«, bestätigte Clausen.

»Zweitens: Der große Unbekannte. Ich möchte eine Aufstellung aller Firmen im Großraum München, die als Geschäftszweck Medienagentur oder inhaltlich Vergleichbares nennen. Da können dann Mitarbeiter aus dem LKA mit dem Phantombild hingehen und überprüfen, ob es diese Person dort als Mitarbeiter gibt und ob denen ein Projekt oder ein Casting in Schäftlarn bekannt ist.«

Zu diesem Punkt hatte Clausen einen Einwand. »Wenn der große Unbekannte aber ein Einzelkämpfer ist, ein Freiberufler, oder in Wirklichkeit gar kein Medienagent ist und diese Berufsbezeichnung nur vorgeschoben hat, dann werden wir ihn mit dieser Methode sicher nicht finden.«

»Das kann sein«, bestätigte Danner. »Aber diese Arbeit müssen wir trotzdem leisten, es könnte sich ja ein Hinweis daraus ergeben. Doch kommen wir nun zum dritten Punkt meines Plans: Wir wissen von allen vier Frauen jeweils den Zeitpunkt und den Ort, an dem sie ein Taxi bestiegen haben, und wir kennen das wahrscheinliche Ziel, nämlich den Ort Schäftlarn. Damit sollte es möglich sein, die Taxifahrer ausfindig zu machen. Die können wir dann befragen«

»Und was machen Sie selbst, während Ihnen hier das halbe LKA zuarbeitet?«

»Ich denke nach«, antwortete Danner, und Clausen war bewusst, dass Danner das in vollem Ernst gesagt hatte. »So, Sie denken nach. Und weiter?«, hakte er nach.

»Ich werde die Wohnungen der vier Studentinnen nach Hinweisen untersuchen. Wenn alle Informationen vorliegen, werde ich sie auswerten. Dann sollten Sie eine Pressekonferenz einberufen, denn wir müssen die Öffentlichkeit bei der Suche nach den Frauen und dem blonden Mann einbinden.«

*

Sachlich und trocken präsentierte Curt Clausen die Fakten auf der Pressekonferenz. Vier Frauen seien innerhalb weniger Tage als vermisst gemeldet worden. Die Bilder der vier Studentinnen wurden nacheinander an die Wand projiziert und mit einigen Informationen, wie Name, Alter, Wohnort, Studienfach, usw. ergänzt. Clausen betonte vor allem, dass die Vier keine lebenden oder an ihnen interessierte Verwandte hätten, keine festen Beziehungen oder kürzlich zurückliegende Trennungen, keine Feinde, nichts. Auch hätte keine der Frauen ein nennenswertes Vermögen.

»In Bezug auf ein mögliches Motiv für ein Verbrechen an den Studentinnen tappen wir völlig im Dunklen. Was uns Anlass zur Sorge gibt, ist die Tatsache, dass alle vier zuletzt mit ein und demselben Mann gesehen wurden.« Während Clausen das sagte, wurde die Phantomzeichnung des Verdächtigen gezeigt.

»Dieser Mann hat die Studentinnen jeweils mit einem Taxi abgeholt, um sie zu einem sogenannten Casting nach Schäftlarn zu bringen«, sprach Clausen und fixierte dabei das Bild. »Wir konnten die Taxifahrer ermitteln.« Er fuhr fort, die Insassen hätten sich während der Fahrt angeregt unterhalten. Alle Fahrer hätten mitbekommen, dass es bei diesen Unterhaltungen um Probeaufnahmen für eine Kriminalkomödie ging, die in Schäftlarn stattfinden sollten. Sie bestätigten auch, dass die Fahrt jeweils in Schäftlarn endete, und zwar an einem Selbstpflücker-Blumenfeld auf der linken Straßenseite, kurz hinter der Ausfahrt Schäftlarn der Garmischer Autobahn in Richtung Hohenschäftlarn. Eine Straßenkarte wurde gezeigt, auf der die Stelle markiert war. Eifrig notierten die anwesenden Pressevertreter die angezeigten GPS-Koordinaten 47.994015 und 11.438094. Der Unbekannte habe den Taxifahrern in allen vier Fällen erklärt, dass man noch einige Sonnenblumen für die Ausstattung bei den Filmaufnahmen benötige. Er habe die Taxis dann weggeschickt mit der Begründung, man habe noch genügend Zeit, um nach dem Blumenpflücken die wenigen Schritte auf dem Radweg nach Hohenschäftlarn zu spazieren. »Ab da verliert sich jede Spur, wir wissen weder, was aus den vier Studentinnen geworden ist, noch ist der Unbekannte wieder aufgetaucht«, schloss Clausen seinen Bericht.

Nach dieser kurzen Präsentation ging ein Gewitter an Fragen über Clausen nieder. Als einer der anwesenden Journalisten lautstark rief »vermuten Sie, dass da ein neuer Serienmörder unterwegs ist?«, wurde es leise im Raum.

Clausen wartete einen Augenblick, bis es wirklich still war, und antwortete dann. »Wir haben noch keine begründete Hypothese, was da wirklich passiert sein könnte. Deswegen bitten wir die Bevölkerung um Mitarbeit. Wer hat eine der vier Frauen nach dem 10. Juli gesehen? Wer kennt den blonden jungen Mann? Wer weiß etwas über ein Casting oder auch über eine geplante Kriminalkomödie in Schäftlarn? Wer hat andere, sachdienliche Hinweise?«

Ganz zum Schluss wollte eine Journalistin wissen, wer denn die Ermittlungen leite. Clausen deutete auf Danner, der ganz am Rande saß und bisher niemandem aufgefallen war.

»Die Ermittlungen leitet Achim Danner.«

Ein erstauntes Murmeln setzte ein, dann drängelten sich die Pressevertreter lautstark um Danner, der aber sofort aufstand und mit dem Hinweis »die Pressekonferenz ist nun beendet« aus dem Raum eilte.

Nach der Pressekonferenz gab es die erwarteten reißerischen Schlagzeilen, von denen »Serienmörder in Schäftlarn?« noch eine der mildesten war. In einem lokalen Blatt wurde spekuliert, ob es eine Verbindung zwischen den vier in Schäftlarn verschwundenen Frauen und den vier »Monster-Windrädern« gebe, die gerade gegen den Willen vieler Schäftlarner Bürger von der Nachbargemeinde Berg dicht an der Schäftlarner Gemarkungsgrenze errichtet wurden. Der Autor des Artikels stellte die Frage, ob es nicht sinnvoll sei, in der unmittelbaren Umgebung der vier Baustellen mitten im Wald nach den Leichen der vier Studentinnen zu suchen. Vielleicht seien sie ja auch in den gerade fertiggestellten Betonfundamenten verschwunden.

Den Vogel schoss ein Boulevardblatt ab, das sich mit einer an den Haaren herbeigezogenen Glosse einen intellektuellen und kulturell hochstehenden Anstrich geben wollte. Unter dem Titel »Gänsebraten in Schäftlarn« war folgender Text zu lesen:

»Gänsebraten in Schäftlarn?

Wenn ich Schäftlarn höre, muss ich immer an den wunderbaren Gänsebraten denken, den es in einem Lokal beim Kloster Schäftlarn gibt. So war es auch, als die Polizei über die verschwundenen Frauen von Schäftlarn informierte. Meine Gemahlin warnt mich immer wieder, dem Gänsebraten zu sehr zuzusprechen, denn der sei zu fett und der Gesundheit abträglich. Aber wer lässt sich schon gern durch solche Warnungen den Appetit verderben? Ich nicht. Der blonde Unbekannte vielleicht? Wer weiß, was er mit den Frauen angestellt hat? Mein Lieblingsrezept für den Gänsebraten, den ich mir immer wieder in jenem ausgezeichneten Lokal beim Kloster Schäftlarn servieren lasse, verleitet mich zu mancherlei Spekulationen.

Man reibt die Gans mit Salz und Paprikapulver ein und lässt sie liegen, während man den nächsten Schritt vorbereitet. Dazu schneidet man Äpfel, Zwiebeln und Sellerie klein und fügt Thymian, Salbei und Beifuß dazu. Alles wird gut gemischt. Dann wird die Gans damit gefüllt und am Bauch mit Holzspießchen verschlossen. Die Keulen werden mit Bindfaden miteinander verbunden. Wenn der Backofen 180 Grad erreicht hat, wird die Gans mit der Brustseite nach unten auf ein tiefes Backblech gelegt und ein Glas Wasser hineingegossen. Auf der ersten Schiene von unten lässt man das dann eine dreiviertel Stunde garen. Danach wendet man die Gans und lässt sie noch drei weitere Stunden bei 180 Grad zu Ende braten. Nicht vergessen: sie muss immer wieder mit Wasser begossen werden. Nach der Hälfte der Garzeit kann es notwendig sein, ausgetretenes Fett abzugießen, damit das Backblech nicht überläuft. Eine viertel Stunde vor Ende der Garzeit wird die Ofentemperatur auf 220 Grad erhöht.

Wenn die Gans fertig gebraten ist, nimmt man sie heraus. Nun beginnt der schwierigste Teil der Essensvorbereitung, das Tranchieren. Ich habe im Lokal zugesehen.

Da die Gans sehr fettig ist, zieht sich der Koch Einweghandschuhe an. Die Keulen und Flügel löst er aus, indem er die Gelenke durchschneidet. Dann schneidet er von der Mitte aus in den Brustkorb und löst das Brustfleisch entlang der Rippen mit einem scharfen Messer. Um die Füllung herauszunehmen, schneidet er den Brustkorb mit einer Geflügelschere auf. Dann kann die Füllung leicht mit einem Löffel entnommen werden.

Diese Szene ging mir durch den Kopf, als ich von möglichen Serienmorden in Schäftlarn hörte. Hatten die vier vermissten Frauen vielleicht ein ähnliches Schicksal wie die Gänse in jenem Schäftlarner Lokal? »Der hat aber eine makabre Fantasie«, denken Sie? Mitnichten! Vielleicht haben Sie ja von dem Fall des Joachim Georg Kroll gehört, besser bekannt als ›Menschenfresser von Duisburg‹. Als er verhaftet wurde, fand die Polizei in einem Kochtopf, der noch auf seinem Herd stand, zwei Hände, zwei Füße, einen Unterarm und einen Oberarm eines Mädchens. Insgesamt hat er mindestens acht Menschen ermordet.

Und nun: Vier junge Frauen verschwinden in Schäftlarn. Klar ist, Kroll kann es nicht gewesen sein, er ist 1991 gestorben. Aber was treibt den unbekannten, diesen blonden Mann, dazu, vier Studentinnen ohne Verwandte, ohne größeres Vermögen nach Schäftlarn zu bringen und dort einfach verschwinden zu lassen? Wohin sind sie verschwunden? Leben sie noch? Ungelöste Fragen. Das LKA ermittelt, in alle Richtungen, wie man uns versichert. Auch in diese?

»Was für ein unsinniges und widerliches Geschreibe, dem Autor sollte man wirklich kein Forum bieten«, entsetzte sich Clausen.

»Nun, immerhin nennt er ein Motiv, ein extrem unwahrscheinliches zwar, aber auch nicht unmöglich«, sagte Danner. »Manchen wird bei dieser wilden Spekulation vielleicht das Wasser im Mund zusammenlaufen.«

»Danner, schweigen Sie«, rief Clausen genervt.

Danner schwieg, dachte aber bei sich, dass alles möglich sei, solange er es noch nicht definitiv ausschließen könne.

In allen Medien wurde am Ende erwähnt, dass der früher sehr erfolgreiche Kriminalbeamte Achim Danner, der seit ungefähr einem Jahr aus gesundheitlichen Gründen nicht mehr in der Öffentlichkeit erschienen war, mit den Ermittlungen beauftragt sei. Offenbar sei sein Gesundheitszustand inzwischen so gut, dass er seine frühere Tätigkeit wieder aufnehmen könne. Seine Zuständigkeit für den Fall deute darauf hin, dass man es mit einem komplizierten und schwierig aufzuklärenden Verbrechen zu tun habe.

*

»Klasse, es klappt«, rief Katharina begeistert, nachdem sie die ersten Schlagzeilen gelesen hatte. »Unser Spiel hat volle Aufmerksamkeit bei den Medien.«

»Hoffentlich richtet sich die Aufmerksamkeit irgendwann auch noch auf mich als Autor dieser Kriminalkomödie«, seufzte Tobias Hartmann.

»Lass mich nur machen, ein wenig zappeln müssen die schon noch«, versuchte Katharina ihn zu beruhigen.

Mario Eder ergänzte. »Du musst ja auch noch das Skript für die Kriminalkomödie fertig schreiben. Es wäre gut, wenn du dich darum kümmerst und alles andere uns überlässt.« Dann lachte er. »Und bringe nicht zu viele Frauen ins Spiel. Wir können nicht alle um die Ecke bringen.«

Katharina nickte. »Ja, nur noch Eine. Fünf insgesamt, wie das Vorbild. Die Nummer fünf, das werde ich selbst sein. Daran wird die Polizei zu beißen haben. Die Männer, die wir für das Spiel brauchen, habe ich schon über die Schauspielschule engagiert, die müssen nicht verschwinden, das würde nicht in das Bild passen.«

»Und die halten dicht?«, wollte Tobias wissen.

»Klar, die sind verrückt nach mir, die tun alles für mich, die schweigen auch als Lebende wie ein Grab«, kicherte Katharina. Tobias hüstelte dezent, Mario schüttelte den Kopf. »Du bist ein richtiges Luder«, sagte er.

»Das ist es doch, was ihr beide an mir so liebt«, antwortete Katharina.

*

Das Spiel hat also begonnen. Sie hat ihre ganze Aufmerksamkeit nur noch auf die Details der Inszenierung fokussiert, ich bin überhaupt nicht mehr wichtig. Für sie dreht sich alles nur um ihr Ego, wie immer. Ich spiele da keine Rolle mehr. Das wird sich ändern! Die Spielregeln werden sich ändern! Es wird Zeit, dass ich eingreife, es muss nach meinen Regeln weitergehen.

Das Spiel des Frauenmörders

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