Читать книгу König Eberherz und der Drache - Gerhard Kunit - Страница 3
König Eberherz
Оглавление„Nur Du weißt, was richtig ist.“
Die Abenddämmerung tauchte das Tal in ein sanftes Licht, das nicht zu den Gefallenen am Talgrund passen wollte. König Eberherz war erschöpft. Sein Schwertarm schmerzte. Die eingedellte Schulterplatte behinderte seine Bewegungen.
Müde ließ er seinen Blick über das zusammengeschmolzene Häuflein seiner Getreuen gleiten. Hundertzwanzig mochten es noch sein oder hundertvierzig. Kaum einer war unverletzt. Sie hatten gekämpft, als wären sie von KORON’CHA, dem leibhaftigen Kriegsgott beseelt. Doch was zählte persönliche Tapferkeit gegen die Armbrüste und Schleudern der zahlenmäßig überlegenen Zwerge?
Reinalf von Schwanenau lächelte ihm aufmunternd zu. Ein tiefer, kaum verkrusteter Schnitt lief über seine Wange. Reinalf gehörte zu seinen tapfersten Männern. Es war keine drei Monde her, dass er den jungen Heißsporn zum Baron erhoben hatte. Neben ihm hockte Orima von Graueneck. Ihr verdrecktes Gesicht war fahl und leer. Ihre gebirgserfahrenen Grenzer hatten dem Feind tagelang schwer zugesetzt. Jetzt war von ihren Männern und Frauen kein halbes Dutzend mehr am Leben.
Eberherz sah der Wahrheit ins Auge. Es war zu Ende. Sie würden den morgigen Tag nicht überstehen. Traurig sah er zu seiner Tochter, Prinzessin Rian hinüber. Sie lag auf einer einfachen Pferdedecke am rauen Fels und war vor Erschöpfung eingeschlafen. Nicht einmal ein Zelt konnte er ihr bieten, seit der Tross dem nachrückenden Gegner in die Hände gefallen war. Dreizehn Jahre war das Mädchen alt, hochgewachsen und hübsch. Sie wirkte so friedlich und so verletzlich. Es gelang ihm nicht, die Tränen zurückzuhalten. Er hatte ihr ein Königreich hinterlassen wollen, das ihre würdig wäre. Jetzt warteten Erniedrigung und Tod auf sie, weil er versagt hatte.
Selbst seine Gattin, Königin Rosalind und der kleine Prinz Farwin waren in Gefahr. Die starken Mauern von Burg Balenstein boten nur vordergründig Sicherheit. Einem Angriff durch ein kampfstarkes Feldheer würde die Festung nicht lange widerstehen.
Karina, seine Knappin, befreite ihn von der kaputten Schulterplatte. „Sieglunde wird das bis morgen ausklopfen, Sire.“
„Danke.“
Danke? Mehr brachte er nicht über die Lippen? Hier lagen die Männer und Frauen, die das Königreich Bael mit ihm aufgebaut hatten, die morgen an seiner Seite sterben würden und er sagte „Danke“?
Mit der fortschreitenden Dämmerung wurden am Ausgang des Tals die Feuer der Zwerge sichtbar. Es waren viele. Zu viele. Weitere Punkte glommen auf. Auf den Gipfeln und am Gegenhang. Eberherz war eingekesselt und das wollten sie ihn wissen lassen. Die Nacht würde ruhig verlaufen. Die Zwerge hatten gewonnen. Kämpfe im Finsteren waren unberechenbar. Warum sollten die sicheren Sieger das Risiko eingehen und auf den Vorteil der überlegenen Fernwaffen verzichten?
Sollte er sein Glück im Dunkel der Nacht versuchen? Er verwarf den Gedanken, als er an die müden Blicke seiner Männer dachte. Er selbst würde nach dem heutigen Tag keine Stunde mehr durchhalten und den Übrigen erging es nicht besser.
Der König verfluchte seinen Stolz. Er hatte die Zwerge in Allem unterschätzt: In Bezug auf Mannstärke und Kampfkraft ebenso, wie in ihrer Bereitschaft, die heimatliche Wüste zu verlassen und sich in die unbekannten Berge zu wagen, nur um eine Beleidigung zu sühnen. Der Anlass war nichtig gewesen. In seiner Halsstarrigkeit hatte er die Eskalation des Konflikts in Kauf genommen.
Würde der Ban‘Tir der Zwerge seiner Familie und seinen Getreuen gegenüber Gnade walten lassen, wenn er stürbe? Eberherz zog Wertung aus der Scheide. Nachdenklich betrachtete er die vertraute Klinge, die ihm in so vielen Kämpfen treu gedient hatte. „Wirst Du mir auch dieses letzte Mal dienen?“, flüsterte er, während er die Steine nach einer Stelle absuchte, in die er das Heft klemmen könnte.
„Mein König?“
Eberherz schrak hoch. Orima sah ihn forschend an. Wirst Du uns im Stich lassen?, schienen ihre Augen zu fragen. Wirst Du den Weg des Feiglings gehen? Sie sah ihn nur an, schweigend und durchdringend.
„Bis in den Tod“, sprach der König das Ende der Eidesformel, die seine Getreuen an ihn band. Sie bindet auch mich, wurde ihm schmerzlich bewusst. Der Freitod ist kein Weg für einen König. Ich muss es zu Ende bringen.
„Bis in den Tod“, wiederholte Orima erleichtert. Ihre eiserne Faust schlug gegen ihre gepanzerte Brust.
Schreckensrufe und entsetzte Schreie erhoben sich im Lager. Griffen die Zwerge doch an?
Eberherz und Orima rannten los. Eine dumpfe Erschütterung ließ den Fels erbeben. Was ist das für eine neue Teufelei?
Eine Feuerlohe schoss in den Himmel und erhellte die Nacht. Ein gewaltiger Drache mit riesigen, halb ausgebreiteten Schwingen stand inmitten des Lagers. Die Baeler umringten ihn mit erhobenen Schilden und blanken Waffen, doch die ängstlichen Blicke, die sie sich zuwarfen wollten nicht zu ihrem kriegerischen Gehabe passen.
„König Eberherz! Auf ein Wort!“, dröhnte eine mächtige Stimme durch die Nacht.
Wenn der für die Zwerge kämpft, brauche ich an Morgen gar nicht mehr zu denken, schoss es ihm durch den Kopf.
„Tue ich nicht“, beruhigte der Drache. „Ruf Deine Kämpfer zurück.“
Habe ich gerade laut gesprochen?, dachte der König. Und wieso kann nur ich ihn hören?
„Erstens Nein: Du hast nur laut gedacht. Und zweitens: Weil ich das so will. Können wir reden?“
Eberherz schob Wertung in die Scheide. „Senkt die Waffen!“, befahl er. Die Frauen und Männer gehorchten zögernd, während sie das gewaltige Tier misstrauisch beäugten.
Ich bin gespannt, was er wirklich will, dachte Eberherz.
„Sagte ich doch schon!“, dröhnte die Stimme durch seinen Kopf. „Reden. Ich möchte Dir einen Handel vorschlagen. Er ist fair, doch er wird Dir nicht gefallen.“