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Der dritte Pfeil

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Dario, ein Reiterführer der germanischen Gepiden, sprengte durch den Wald, der im silbernen Mondlicht badete.

Königin Adas Befehl war erfüllt.

»Geht und erkämpft mir den Sieg«, hatte diese zu Arbo und ihm beim Abschied im Palast gesagt und mit scharfem Blick aus grünen Mandelaugen hinzugefügt: »Und solltet ihr euch gegenseitig umbringen wollen, dann bitte erst nach der Schlacht.«

Die Schlacht war geschlagen, der Sieg über die Hunnen, die seit Attilas Tod nicht mehr die gleichen waren, vollständig errungen, dank Arbos, des Oberbefehlshabers, Strategie, und seiner, Darios, Präzision, mit der er die Reiterei geführt hatte. Das Heer ihres Volkes hatte sich, nicht zuletzt dank der Erfahrung aus vergangenen Bündnissen mit dem byzantinischen Reich, als perfekte Kampfmaschine erwiesen.

Doch Arbo und Dario waren Feinde. Beide liebten sie Königin Ada, deshalb musste einer von ihnen verschwinden.

Am Versammlungshaus einer uralten, verlassenen, vom Buschwerk fast wieder verschlungenen Siedlung sprang Dario vom Pferd und ließ es grasen. Er betrat das halbwegs erhaltene Haus, durchquerte den riesigen, dämmrigen Raum und legte sich in der äußersten Ecke auf eine Bank.

Er musste ruhen, bis Arbo käme.

Bald hörte er zögernde Schritte, ein Schwirren, einen Schlag gegen die Wand über ihm. Dort sah er den vibrierenden Pfeil.

Er fuhr hoch, griff zum Schwert und sprang über den nächsten Tisch.

Am Eingang der Halle stand Arbo, der den Bogen erneut spannte. »Bist du bereit zum Kampf, Dario?«

»Ebenso wie du!«

Blitzschnell war Dario bei Arbo, dessen Pfeil ihn nur knapp verfehlte, und schon sausten und krachten die Schwertschläge.

Ungleichere Gegner konnte es nicht geben: Dario, hochgewachsen, blondlockig, von eher nachdenklicher Art, und Arbo, mittelgroß, schlank, schwarzhaarig, mit sehr beweglichem Naturell; aber jetzt beide wütend und hasserfüllt, beide verschlagen.

Wild sahen sie aus, staubig, verschwitzt, blutverkrustet, die Rüstungen aus Leder und Eisen teilweise zerfetzt.

Der Kampf war kurz und gnadenlos. Arbo brachte Dario zahlreiche leichte Wunden bei, dann brach er selber durchbohrt zusammen.

Ein irres Staunen trat auf sein Gesicht, er röchelte, aus seinen Mundwinkeln sickerte Blut. Mit letzter Kraft riss er sich ein Medaillon vom Hals, schob es Dario hin, der neben ihm kniete, und ächzte: »Gib es ihr. Sag ihr, dass ich sie liebte.«

Dario drückte dem Toten die Augen zu, stürzte hinaus, schwang sich aufs Pferd und jagte durch die silberdurchflutete Nacht. Er sprengte an müden, aber heiter singenden Heereskolonnen vorbei, die zu den Quartieren zurückkehrten. Er erreichte die Stadt, die in trunkener Siegesfreude brodelte. Am Palast sprang er vom Pferd und stürmte die Treppe empor, durcheilte das Portal, an reglosen Wachen vorbei, rannte durch Gänge und Hallen, die von Hunderten Fackeln in zuckendes Licht getaucht waren.

Im Thronsaal stand Ada, kriegerisch gekleidet, inmitten vertrauter Gefährtinnen, verbündeter Amazonen, mit denen sie über die Stadt gewacht hatte. Sie starrten ihn düster und feindselig an. Die Siegesbotschaft schien hier keine Rolle zu spielen.

Dario war beklommen zumute.

»Wo ist Arbo?«, fragte die Königin.

»Arbo ist tot. Ich habe ihn im Zweikampf erschlagen.«

Ada erstarrte und wurde bleich. Ihr ovales, kühnes Gesicht verzerrte sich. Ihre lang wallenden Haare schienen in Hassflammen zu glühen. Sie atmete heftig und wankte. Mit dem Schrei »Mörder!« stieß sie Dario zurück, der sie festhalten und stützen wollte. »Mörder!« Dann brach sie zusammen.

Am Boden liegend, das Gesicht in die Armbeuge gewühlt, fast ganz von ihren Haarfluten bedeckt, weinte und wehklagte sie, laut schreiend und schluchzend. Ihr feingliedriger und dennoch muskulöser Körper wurde von Krämpfen geschüttelt.

Die Amazonen standen bewegungslos in bedrohlichem Schweigen.

»Arbo! Arbo!«, schrie Ada immer wieder. »Warum konntest du nicht besser auf dich achten!?«

Schließlich hob sie den Kopf und rief: »Geht alle hinaus!«

Während sich die Amazonen zurückzogen, kniete Dario neben Ada nieder, ergriff ihre Hand und legte das Medaillon Arbos hinein.

»Fass mich nicht an!«, schrie die Königin. »Fort! Fort von mir!«

»Er liebte dich. Es tut mir leid, dass es so kommen musste.«

Ada sprang hoch und trat Dario mit dem Fuß gegen die Brust. »Verschwinde! Du bist jetzt nur noch mein Waffenknecht. Wachen! Werft ihn hinaus!«

»Du weißt, Ada, wie sehr ich dich liebe«, rief Dario, indem er die Wachleute einen nach dem anderen zu Boden warf.

Ada lachte bitter und höhnisch, vermischt mit Schluchzen. »Du hast mein Leben zerstört! Du hast meine Liebe vernichtet. Geh mir aus den Augen!«

Dario erkannte, dass er nichts ausrichten konnte, und zog sich zurück.

Die Totenfeier für Arbo wurde mit heroischem Pomp begangen. Ada selbst setzte den Scheiterhaufen in Brand, auf dem der Getötete ruhte.

Das Volk klagte, Soldaten schlugen Waffen und Schilde zusammen, aber die Amazonen blieben unbeteiligt und rührten sich nicht.

Dario fühlte nichts als innere Leere und manchmal ein eigenartiges Schweben oder ein unerträgliches Gewicht, das seinen Körper zuweilen bedrängte.

In den nächsten Wochen war er rastlos mit seinen Aufgaben beschäftigt, wenn die Zeit ihrem normalen Fluss folgte und nicht plötzlich abriss, so dass Lücken entstanden, über deren Verlauf er dann keine Erinnerung hatte.

Er trainierte das Heer, organisierte es neu, überprüfte Ausrüstung und Proviant, erteilte Befehle, belohnte und strafte. Sich selbst folterte er mit den härtesten Leibesübungen, um seinen Unmut und seine Leidenschaft zu ersticken.

Obwohl stets unter Menschen, erkannte er niemanden. Unschärfe, Unberechenbarkeit und Fremdartigkeit traten ein, die Gegenstände zerflossen; denn ohnehin sah er überall nur Adas hassverzerrtes Gesicht, und er wünschte sich oft, dass steinerne Gefühllosigkeit in sein Inneres einzöge.

Bei allem, was er tat und erlebte, spürte Dario einen seltsamen, aufdringlichen Hauch von Unwirklichkeit. Auch das Zähflüssige und Traumähnliche aller Ereignisse und Vorgänge irritierte ihn fortwährend.

Vor allem Königin Adas Ablehnung, die sie ihm, Dario, gegenüber so vehement an den Tag legte, obwohl sie früher in seiner Gesellschaft stets die Liebenswürdigkeit in Person gewesen war, konnte er nur äußerst mühsam verkraften.

Er begriff Adas Schmerz über Arbos Tod nicht, weil er, Dario, für ihre unbegreifliche Liebe zu dem toten Feldherren niemals auch nur das geringste Anzeichen, die winzigste Spur bemerkt hatte.

Allerdings war es natürlich auch möglich, dass sie, wenn sie wirklich etwas für Arbo empfand, es geheim gehalten und sich perfekt verstellt hatte, um ihre Würde als Königin zu bewahren und keine unnötigen Angriffsflächen zu bieten. Dazu passte auch, dass sie jetzt, im Schmerz über Arbos Tod, nach so langer Selbstbeherrschung ihren Gefühlen, die sie so machtvoll überwältigten, freien Lauf ließ.

Dennoch war all das für Dario absolut rätselhaft, es überraschte und bestürzte ihn in zunehmendem Maße, so dass für ihn die Welt immer unbegreiflichere Züge annahm.

Bald entglitt ihm sein Ich, die Umwelt versank im Nebel.

Er betrank sich zunehmend mit immer größeren Mengen an Wein, ließ seinen Geist zerfließen, aber Adas Schrei »Mörder!« war überall.

Dann kam die Nachricht, ein neues Hunnenheer rücke heran.

Die Königin ließ Dario zu sich rufen. Steif und bleich saß sie auf dem Thron, flankiert von den finsteren Amazonen.

»Kannst du mir jemals verzeihen?«, fragte Dario heiser.

Ada überhörte die Frage. In ihren Augen flammte eisige Glut. »Vernichte unsere Feinde!«, befahl sie mit Eiseskälte.

»Ich werde sie vernichten, verlass dich darauf.« Dario atmete schwer. »Ich liebe dich, Ada. Ich werde alles tun, um dich glücklich zu sehen.«

»Bring mir Arbo zurück!«, schrie Ada höhnisch. »Dann bin ich glücklich. Geh jetzt und tu deine Pflicht. Die Schlacht soll dich für alle Zeiten verschlingen!« Aus ihren Augen glühte unermesslicher Hass.

Der Zusammenstoß der Gepiden mit den Hunnen war so mörderisch, dass beide Seiten ins Wanken gerieten, aber letztlich behauptete sich Darios Phalanx, die bald zu wuchtigen Schlägen ausholte, als sei sie mit der Wut ihres Feldherrn aufgeladen. Indessen zerfetzten Formationen der Reiterei die vernachlässigten Flanken des Gegners. Ein allgemeiner Vernichtungstaumel begann. Die Heere wälzten sich wie in zuckender, kosmischer Epilepsie. Der Geruch des spritzenden Blutes war ein böses Narkotikum, das alle wahnsinnig zu machen schien. Allmählich wurden die hunnischen Reiterhorden zerrieben. Ihre Attacken verliefen sich wie die Wellen eines versickernden Flusses.

Nachdem die Reste des fliehenden Feindes niedergemacht waren, verließ Dario das Schlachtfeld. Sein Blick glitzerte irre, sein schrilles, bitteres Lachen war weithin zu hören. Sein Inneres raste und tobte, er krümmte sich unter den zerstörenden Blicken Adas, deren Gesicht ihn überallhin verfolgte.

Erst im Wald bei der alten Siedlung wurde er ruhiger.

Er sprang vom Pferd, betrat das Versammlungshaus, durchquerte den riesigen, dämmrigen Raum und legte sich auf eine Bank in der äußersten Ecke.

Es war eine Szene, die er schon einmal erlebt hatte, wie er sich vage erinnerte.

Dann löschte willkommener Schlaf die Qualen seines Bewusstseins.

Zögernde Schritte weckten ihn. Er glaubte etwas schwirren und gegen die Wand schlagen zu hören, doch als er empor spähte, konnte er keinen Pfeil entdecken. Verwirrt schlief er wieder ein.

Schließlich, von stärkeren Geräuschen beunruhigt, fuhr er hoch, griff zum Schwert und sprang über den nächsten Tisch.

Etwa zehn Schritte von ihm entfernt stand – Arbo, der den gespannten Bogen auf ihn angelegt hatte.

Arbos silberglänzender Helm umrahmte ein scheußliches, höhnisch verzerrtes, von Schadenfreude belebtes Gesicht.

Der Pfeil schnellte von der Sehne, aber als er durch Darios Kehle fuhr, spürte dieser seltsamerweise keinerlei Schmerz, nur grenzenlose Verwunderung.

Er konnte noch einmal lächeln, und sein letzter Gedanke war, dass es nichts gab, weswegen ihm Ada weiterhin zürnen musste, und dass sie vielleicht erst jetzt einen Anlass erhielt, wirklich zu trauern.

Der dritte Pfeil

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