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ОглавлениеVorwort
„Sich mit fremden Federn schmücken“
Wenn man sich mit Redewendungen näher beschäftigt, wird man unweigerlich in andere Zeiten und Kulturkreise versetzt. Es ist erstaunlich, wie viel Einfluss fremde Kulturen auf unsere Sprache gehabt haben. Die Sprache wimmelt geradezu von Redensarten, die ihre Wurzeln in Religion, Handwerk, Geschichte, Mythologie, Natur, Märchen, Militär und anderen Zusammenhängen haben. In meinen Büchern „Das geht auf keine Kuhhaut“ und „Wer’s glaubt wird selig!“ bin ich bereits auf Redensarten eingegangen, die sich aus historischen Quellen des Mittelalters und der frühen Neuzeit sowie aus dem Alten und Neuen Testament herleiten lassen.
Aber auch das klassische Altertum hat deutliche Spuren in unserer Sprache hinterlassen. Das hat etwas mit der überragenden Bedeutung zu tun, die diese Periode für die europäische Kultur hat. Die lange und große Tradition der griechischen und lateinischen Literatur – Texte von Herodot und Platon, Caesar und Cicero wurden in den Höheren Schulen im Original gelesen – hat auch die Sprache geprägt. Übertragungen von Homers „Ilias“ und „Odyssee“ gehörten noch vor wenigen Jahrzehnten zum Standard-Lesestoff der Jugend dim Gymnasium, und Achilleus und Odysseus waren Figuren, mit denen sich Jugendliche ebenso identifizierten wie mit Karl Mays Winnetou und Old Shatterhand.
Dies mag sich inzwischen deutlich abgeschwächt haben, mit dem Wort „Castor“ wird heutzutage ein Transportbehälter von radioaktivem Material identifiziert, während der gleichnamige Zwillingsbruder des Pollux in Vergessenheit geraten ist. Das Interesse an den archaischen Mythen hat nachgelassen, von gelegentlichen Ausnahmen wie dem „Troja“-Film von 2004 abgesehen, der aber nur oberflächliche Ähnlichkeit mit Homers Epos hat, und mehreren sehr freien Adaptionen antiker Stoffe. Die Unterhaltungsindustrie produziert ständig neue Helden, und so haben Batman und Spiderman schon vor einiger Zeit Odysseus und Herakles abgelöst, die Argonauten sind untergegangen und haben dem Raumschiff Enterprise Platz gemacht.
Die Sprache aber ist, bei aller Wandlungsfähigkeit, ein Museum von historischen Ausdrücken. Diese sind meist auf dem Umweg über die klassische Bildung der letzten 200 Jahre in unsere Sprache gelangt, manchmal auch über die deutschen Klassiker wie Schiller oder Goethe, die sich aus dem Fundus der Antike bedienten – Was tun, sprach Zeus ist ein Beispiel.
Es gibt eine ganze Reihe von Wörtern und Redewendungen, die, kaum noch als solche bemerkt, ihren Weg aus der Antike in unseren alltäglichen Wortschatz gefunden haben. Redewendungen wie In Morpheus’ Arme sinken oder Eine Sisyphusarbeit verrichten und Ausdrücke wie Achillesferse oder Ödipuskomplex sind bekannte Vertreter aus dieser Gruppe, auch wenn die Bedeutung dieser klassischen Anspielungen kaum noch jemandem bekannt sein dürfte. Vor gar nicht langer Zeit war die Zahl der an antike Sagen erinnernden Redensarten sogar noch erheblich größer. Heute in Vergessenheit geraten sind Redewendungen wie Midasohren haben, Aus dem Lethebecher trinken oder Auf das Prokrustesbett spannen. Redewendungen sterben nun mal aus, wenn sie nicht mehr benutzt werden, besonders wenn ihr Bezug im Bewusstsein der Bevölkerung nicht mehr präsent ist.
Bei diesem Buch handelt es sich nicht um eine wissenschaftliche Abhandlung; es will vielmehr auf unterhaltsame Weise zeigen, dass man viele Redewendungen auf antike Wurzeln zurückführen kann. Erläutert werden heute noch gebräuchliche und von jedem gemäß ihrer Aussage verstandene Redensarten wie Die Büchse der Pandora öffnen oder Eulen nach Athen tragen.
Insgesamt sind vier Kapitel entstanden. Zwei große Abteilungen widmen sich jeweils der Mythologie und der Historie, jede noch einmal in die griechische und die römische Tradition unterteilt. Die Abfolge der Artikel innerhalb der Kapitel richtet sich nach inhaltlichen bzw. historischen Gegebenheiten. So sind innerhalb der mythologischen Themen die Redewendungen aus Sagenkreisen wie denen um Herakles oder der Odyssee im Zusammenhang behandelt. Ebenso werden Redensarten aus Politik, Philosophie, Kultur, Literatur oder Architektur in Folge dargestellt.
„Zustände wie im alten Rom“
Bei den historischen Fakten kann man selbstverständlich sauber trennen – ein Scherbengericht fand nun mal in Griechenland statt, dagegen konnte man nur in Italien den Rubikon überschreiten.
Bei der Mythologie ist das etwas komplizierter. Der griechische Götterhimmel und die Heldensagen wurden nämlich von den Römern adaptiert, weil die Kultur der Griechen der römischen zu Beginn des „römischen Zeitalters“ weit überlegen war. Viele Götter der Römer wurden mit den griechischen gleichgesetzt, zum Beispiel Jupiter mit Zeus oder Neptun mit Poseidon. Durch den starken Einfluss der griechischen Literatur wurden auch die Heldensagen romanisiert; so wurde der eigentlich griechische Nationalheros Herakles als Herkules auch in Rom verehrt. Insofern kann in den Kapiteln die Regel, griechische und römische Mythologie zu trennen, nicht konsequent durchgehalten werden; so kommt die Achillesferse im griechischen Kapitel vor, die sprichwörtlichen Brüder Castor und Pollux dagegen wegen der Schreibweise im römischen, obwohl sie eigentlich griechische Sagenhelden waren.
Bei der Erläuterung der Herkunft der Redewendungen ergab sich die Schwierigkeit, auf begrenztem Raum teilweise umfangreiche inhaltliche Zusammenhänge zu erklären. Sowohl bei den mythologischen Themen wie bei denen aus der Geschichte war es unmöglich, komplizierte Verwicklungen der Handlung wie beispielsweise in der Tantalos-Sage oder verfassungsrechtliche Probleme wie bei der Überschreitung des Rubikon durch Julius Caesar in wenigen Worten zu erklären. Hier ist der Leser aufgerufen, durchaus noch einmal die „Sagen des klassischen Altertums“ oder ein Geschichtsbuch in die Hand zu nehmen; vielleicht ist die Lektüre des vorliegenden Buches ja der Anlass, wieder einmal in die Sagenwelt des Altertums einzutauchen oder gar Tacitus zu lesen.
Auch seien die Schwierigkeiten nicht unerwähnt, sich bei der Erklärung der Herkunft einer Redewendung für eine bestimmte Sagenvariante zu entscheiden. Für Leser, die sich intensiver mit der Materie beschäftigen wollen, seien die teilweise sehr aufschluss- und kenntnisreichen Beiträge im Internetlexikon Wikipedia empfohlen.
Wenn man sich mit den klassischen Sagen beschäftigt, stellt man schnell fest, dass meist die latinisierten Namen der Protagonisten im Gebrauch sind. „Apollo“ und „Herkules“ sind gute Beispiele dafür, von eingedeutschten Versionen wie „Apoll“ oder „Achill“ ganz zu schweigen. In diesem Buch wird in der Regel der Originalname verwendet, also Achilleus statt Achilles. Eine Ausnahme ist natürlich, wenn die lateinische Namensform Grundlage einer Redewendung geworden ist wie in Eine Herkulestat vollbringen.
Aber es geht ja in diesem Buch nicht um die Antike selbst, sondern um die Spuren, die sie in unserer Sprache hinterlassen hat. Dafür will das Buch die Augen öffnen. Wenn dabei ab und an etwas Augenzwinkern im Spiel ist, sollte man nicht gleich aus einer Mücke einen Elefanten machen.
Bevor man sich also im Labyrinth der Sprache verirrt und niemand mehr weiß, woher das Damoklesschwert seinen Namen hat, kann man mit diesem Buch, epische Breite vermeidend, den Pegasus reiten. Denn auch wenn es eine Sisyphusarbeit zu sein scheint, steigen wir noch nicht in den Hades hinab, und bevor wir wie Herkules am Scheidewege stehen oder gar wie Ikarus abstürzen, werden wir den Rubikon überschreiten. Das ist dann kein Pyrrhussieg, sondern das Nonplusultra.
Quo vadis? Das wissen die Götter …
Gerhard Wagner