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Unklare Verhältnisse

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„Tolle Party!“, meinte Freddie zu Maximilian, den aber alle Birdie nannten, denn man wusste von ihm, dass es sein Traum war, dass er frei wie ein Vogel sein wollte.

„Ja, wirklich tolle Fete!“, schloss sich Charlie, ein anderer Freund Birdies Freddies Meinung an. „So, wie man es eben von euch gewohnt ist!“

Birdie nickte zufrieden. „Das Leben ist kurz!“, rief er laut aus. „Deswegen lasst es uns in jedem Augenblick auskosten!“

Er hob sein Glas, das mit Sekt gefüllt war, und leerte es in einem Zug. Seine beiden Freunde taten es ihm gleich.

„Schade, dass du nur einmal im Jahr Geburtstag hast!“, rief Freddie bewundernd. „Die Stimmung bei euren Feten ist irgendwie immer besser, als sonst wo! Kann ich mir gar nicht erklären!“

„Ich mir schon!“, brüllte Charlie laut lachend los. „Ich glaube, das liegt daran, dass es hiervon genug gibt!“ Er zeigte auf sein Sektglas, das er inzwischen wieder gefüllt hatte und trank es in einem Zug aus.

Die drei kannten sich seit der Grundschule und seit dieser Zeit waren sie unzertrennlich, waren zusammen aufgewachsen und hatten schon viel miteinander erlebt.

Freddie sah ihm zu und musste ebenfalls lachen. „Mag sein, dass du Recht hast. Jedenfalls schade, dass du nur einmal im Jahr Geburtstag hast, das ist sicher!“

„Ich glaube, ihr kommt schon nicht zu kurz!“, bemerkte Birdie lallend. „Meine Geburtstagsfete ist ja nicht die einzige Fete, die ich schmeiße.“ Er begann die Feiern chronologisch nach dem Jahresverlauf an seinen Fingern aufzuzählen. „Es geht los mit meiner Geburtstagsparty im Pauluar …!“

„Herzlichen Glückwunsch!“, schrie Charlie und stürzte das nächste Glas Sekt hinunter.

„Es folgt eine Faschingsparty, dann feiern wir eine Frühlingsfete, vergesst nicht unser Sommerfest im Garten, schließlich Halloween und Sylvester!“

„Und Janas Geburtstag, du hast Janas Geburtstag im November vergessen!“

„Ach ja, die auch noch, an die hab ich gar nicht mehr gedacht!“, meinte Birdie.

„Da kommt sie grade!“, bemerkte Freddie. „Wenn man vom Teufel spricht!“

„Ein Hoch auf die Hausherrin!“, rief Charlie einer wunderschönen Blondine mit langen Beinen zu, die gerade an ihnen, beladen mit einem Tablett voller russischer Eier auf dem Weg zum Buffet an ihnen vorbeikam.

„Ja, ein Hoch auf Jana, die bezauberndste aller Gastgeberinnen!“, stimmte nun Freddie zu.

Jana, Birdies Freundin, sah die drei mit strahlenden Lachen an, Birdie langte vom Sofa aus, wo die drei saßen, nach ihr, um sie zu packen, sie wich ihm elegant wie eine Slalomläuferin aus, besorgt um die Speisen und um den Zustand ihres Freundes und seiner Kumpels wissend. Jana bahnte sich ihren Weg weiter zum Buffet, hinter dem Sofa vorbei, schlängelte sich am Rande der Fläche, die sie in ihrem Wohnzimmer zum Tanzen freigeräumt hatten und auf der sich ihre Freunde drängelten, bis hin zum Buffet. Sie zog mit der einen Hand ein leeres Tablett weg und schob mit der anderen das gefüllte auf den Tisch. Sie blieb kurz stehen und kontrollierte sowohl die noch vorhandenen Speisen und Getränke. „Fehlt schon wieder einiges an Getränken!“, stellte sie fest. „Na ja, bei der Stimmung, die hier herrscht, ist klar, dass da schon einiges weggetrunken wurde. Sie sah zu Birdie hinüber und begriff, dass mit dem heute nicht mehr viel anzufangen war.

Sie dachte kurz nach, was sie als nächstes tun sollte und beobachtete dabei die Lage. Das Wohnzimmer war voller lachender, tanzender, feiernder Menschen.

Birdie hatte seine besten Freunde geladen, ebenso seine Sportkameraden, er spielte Fußball und Tennis, die Gäste tanzten, saßen auf ihrer Sitzecke oder einfach auf dem Boden, einige saßen an ihrer Essecke, sogar in der Küche hatten sich niedergelassen.

Für einen Augenblick wurde ihr schwindelig vom Lärm der Musik und den Unterhaltungen, vom Durcheinander der tanzenden und sich bewegenden Menschen. „Das muss der Alkohol sein!“, versuchte sie sich ihre Schwäche zu erklären. „Ich sollte nichts mehr trinken!“ Da fiel ihr Blick wieder auf die Getränke. Sie checkte, was fehlte. Dann zwängte sie sich an den Gästen vorbei in den Keller und holte Nachschub.



2


„Neidisch?“, fragte Paul vorsichtig und trat von hinten zu Claudia, die am Fenster stand und hinaussah in die Nacht. Er legte vorsichtig seine Hände an ihre Hüften und zog sie an seinen Körper zu sich heran. Er wusste, dass sie nicht einfach in die Dunkelheit starrte, sondern genau das Treiben in den hell beleuchteten Räumen des gegenüberliegenden Reihenhauses beobachtete.

Sie sah ihn lächelnd an. „Nicht die Bohne!“, meinte sie leise.

„Bestimmt nicht?“

„Bestimmt nicht!“

Sie lehnte sich genüsslich an ihn und schloss die Augen.

Er küsste sie auf ihre Wange, sie drehte sich herum, nahm ihn ganz fest in die Arme und küsste ihn lange und fest auf den Mund.

Dann lächelten sie sich an.

Dann wandte sie sich wieder dem Geschehen gegenüber zu und beobachtete neugierig, was geschah.

Dort, im Nachbarhaus, wohnten Birdie und Jana und veranstalteten wieder einer ihrer inzwischen schon berühmten Partys. Die Straße vor ihrem Haus war erhellt von den Lichtern aus ihren Wohnräumen und vom Lärm der Musik.

„Dir entgeht aber einiges, was man so bei denen sieht!“, begann er wieder.

„Nichts Wichtiges!“

„Und du hast noch nicht viele solcher Partys erlebt!“

Sie hatten jung geheiratet.

„Nein, da hast du Recht! Da habe ich eigentlich noch nicht viel vom Leben gehabt!“, meinte sie nachdenklich.

Er sah sie besorgt an. „Also doch! Dachte ich es mir doch. Du vermisst etwas in unserem Leben!“, antwortete er besorgt.

Sie schüttelte den Kopf. „Dummkopf!“, meinte sie. „Nichts vermisse ich, gar nichts. Für nichts in der Welt möchte ich mit Jana tauschen, glaub mir!“

Er sah sie skeptisch an. „Bist du sicher?“

„Ich habe hier alles, was ich wollte!“, versicherte sie ihm. „Ich habe einen wunderbaren Mann, der sehr aufmerksam zu mir ist und mir ein schönes Leben bietet …!“

„Das vor allem aus Kochen, Putzen und Waschen besteht!“

„… und aus Kindergroßziehen, nicht vergessen!“

„Und aus Kindergroßziehen!“

Sie lächelte. „Ich habe zwei wunderbare Kinder, die ich über alles liebe und ich habe ein wunderschönes Heim. Und das ist es, was ich wollte. Und nicht jeden zweiten Abend diesen Lärm und dieses Geschrei, das dort drüben stattfindet!“

„Bist du dir da ganz sicher?“

„Ganz sicher!“

Er atmete auf.

„Aber es ist schön, genau zu beobachten, was da drüben geschieht!“, schmunzelte sie und wandte sich wieder dem Geschehen auf der anderen Seite der Straße zu.

„Das ist wahr!“, stimmte er zu. „Aber eigentlich steht mir der Sinn nach etwas Anderem!“

„Später, später, später, mein Lieber!“, kicherte sie plötzlich. „Jetzt bin ich erst Mal so richtig neugierig. Denn interessant ist das schon, was da abgeht!“

Damit lugten sie beide wieder zum Fenster hinaus.



3


„Schade, dass du nicht auf unserer Party warst, Claudia. Es war toll und ich hätte mich wirklich gefreut, wenn ihr auch mal dabei gewesen wärt!“, meinte Jana ehrlich. Sie mochte Claudia seit sie in das Reihenhaus gegenüber ihrem gezogen war, ein paar Gespräche über den Gartenzaun, einige Einladungen zum Tee und sie waren echte Freundinnen geworden.

„Ja, ich wäre gerne dabei gewesen. Aber die Kinder, du weißt ja, wir können sie nicht allein lassen!“, antwortete sie höflich.

„Zu dumm, dass eure Eltern nicht hier wohnen und mal auf die Kinder aufpassen können! Aber es gibt doch auch Babysitter!“, überlegte Jana.

Claudia wand sich. „Wenn ich ehrlich bin, dann habe ich da kein richtiges Vertrauen zu so einem Babysitter. Sind doch wildfremde Menschen. Man liest auch so viel. Nein, meine Kinder möchte ich keinen wildfremden Menschen anvertrauen!“

Jana lachte. „Na, leidest du da nicht ein bisschen unter Verfolgungswahn. Die meisten Babysitter leisten bestimmt gute Arbeit und sind vertrauenswürdig. Sonst stünde darüber doch sofort etwas in der Zeitung, wenn das nicht so wäre!“

Claudia nickte. „Wahrscheinlich hast du Recht!“

„Bestimmt!“ Jana nickte. „Beim nächsten Mal nehmt ihr euch einen Babysitter und dann könnt ihr mitfeiern!“

Jana sah sie nachdenklich an. „Ich, ich weiß dass das blöd ist und komisch klingt, aber ich möchte meine Kinder nicht einem wildfremden Menschen anvertrauen. Ich glaube, dabei bleibt es. Sie sind mir einfach zu wichtig!“

Die beiden sahen sich eine Weile schweigend an.

„Na, na jedenfalls war es sehr lustig und hat uns allen riesig Spaß gemacht. Die Stimmung war umwerfend!“

„Ich weiß!“

„Woher willst du denn das wissen? Du warst doch gar nicht dabei?“, sah Jana Claudia fragend an.

„Ich stand hinter dem Vorhang und habe in euer Haus gespitzt!“, gestand Claudia. „Da ging ja wirklich die Post ab!“

Jana war baff. „Hast du also sozusagen gegafft!“, lachte sie und nahm Claudia in den Arm. „Also wärst du doch gerne dabei gewesen!“

Claudia nickte. „Natürlich wäre ich gerne dabei gewesen. Aber es war mir dann doch nicht so viel wert, dass ich dafür meine Kinder allein oder bei einem wildfremden Menschen gelassen hätte. Das wollte ich damit sagen, sonst nichts!“

Jana sah sie nachdenklich an. „Na ja, irgendwann wird es schon mal klappen!“, lachte sie. „Spätestens, wenn die Kinder groß oder aus dem Haus sind!“

Auch Claudia lachte.

Damit verabschiedeten sie sich.



4


„Ja, der Grand Canyon, der ist wirklich grandios, da habt ihr vollkommen Recht!“, schwärmte Birdie und sah verträumt zur Decke. „Und erst die durchsichtige Aussichtsweg, der Viewers Point, der Skywalk. Da kommst du dir wirklich vor, als ob du im Himmel spazieren gehst. Wenn du da nach unten guckst, da wird es dir ganz anders!“

„Ich hab mich gar nicht drauf getraut!“, gestand Jana und machte eine ängstliche Miene.

„Ja, du, du bist ja auch ein Angsthase!“, kommentierte Birdie.

„Ja, das bin ich wohl!“

„Es gibt ganz verschiedene Ängste!“, meinte Anne, die mit ihrem Freund Georg zum Urlaubsfotoabend bei Birdie und Jana eingeladen waren. „Jeder Mensch hat vor etwas Anderem Angst, niemand ist ohne Angst!“

„Da spricht wohl die Psychologin aus dir!“, grinste Birdie frech.

Birdie und Jana hatten sich im Sommerurlaub einen ihrer Träume erfüllt, einen dreiwöchigen USA-Urlaub mit der Harley und hatten eine Tour von Los Angeles über die Nationalparks nach San Francisco gemacht. Nun zeigten sie voller Stolz im Wohnzimmer ihre Fotos am Beamer.

„Toll, einfach toll!“ kommentierte Georg. „Von so einer Tour, gerade mit der Harley, träume ich auch schon lange. You get your kicks on …!“

„…Route sixty-six!“, sprach Birdie zusammen mit Georg den Satz fertig.

Sie lachten, nahmen die Sektgläser vom Tisch und stießen an.

„Jedenfalls wäre es toll, wenn ihr uns dann einige Insidertipps bei der Planung geben könntet. Hotelauswahl und so!“

„Aber immer doch!“, versprach Birdie. „Jana hebt ja alles gewissenhaft auf, auch das, was man nie mehr braucht!“ Er grinste überheblich.

Jana verzog etwas beleidigt die Miene, schwieg aber dazu.

Sie unterhielten sich weiter über verschiedene Dinge, tranken Sekt, griffen zu den Nachos, die Jana hingestellt hatte.

„Und, was habt ihr für den nächsten Sommerurlaub geplant?“, wollte schließlich Anne wissen, um Interesse zu zeigen.

„Tja, haben wir uns was ganz Besonderes vorgenommen!“, schmunzelte Birdie und sah geheimnisvoll in die Runde.

„Nun rück schon raus mit der Sprache!“, bat Georg schließlich.

Birdie druckste gespielt herum. „Tja, tja, was ganz Besonderes, das kann ich euch verraten!“

„Schieß schon los!“, bat nun auch Anne.

„Natürlich wieder mit dem Bike durch das ganze Land!“, verriet Birdie vorsichtig.

„Ist ja schon mal gut!“, urteilte Georg.

„Können wir nicht einfach mal wohin und dort an einem Ort in einem schönen Hotel bleiben. Wandern und Strand, relaxen und so. Ich habe die weiten Strecken satt!“, brummte Jana.

„Relaxen kannst du, wenn du tot bist!“, winkte Birdie ab. „Nein!“, verriet er nun. „Wir wollen vier Wochen mit der Harley durch Australien cruisen. Da ist dort Winter und nicht ganz so heiß!“

„Klasse!“, rief Georg begeistert aus.

„Na, das ist aber dann wahrscheinlich schon eine verdammt lange Strecke!“, überlegte Anne.

„Mindestens 6000 Kilometer!“, wusste Birdie. „Na, wenn schon!“

„Mir tut jetzt schon der Po weh!“, knurrte Jana.

„Mir wäre das auch zu weit!“, gab ihr Anne Recht.

„Quatsch, wenn man erst mal sitzt, dann fährt man und fährt man und fährt man!“, schätzte Georg die Sache ein

„Vielleicht sollten ja wir beide fahren und unsere Mädchen zuhause lassen!“, schlug Birdie vor.

„Klasse Idee!“, kommentierte Georg. „Wir cruisen durch Australien und die Mädchen sollen so lange sie wollen an irgendeinem Strand versauern!“

„Vielen Dank!“, meinte Anne ärgerlich. „Wollt ihr uns loshaben?“

„Neeeeiiiinnn!“, raunten Georg und Birdie.

„Aber drüber nachdenken sollten wir vielleicht schon mal! Vielleicht wäre das mal für alle das Beste!“, überlegte Birdie.

„Vielleicht habt ihr Recht!“, meinte nun auch Anne. „Vielleicht sollten wir mal drüber nachdenken!“

„Schaut, die da drüben haben nicht solche Luxusprobleme!“ Jana zeigte über die Straße, wo Claudia und Paul gerade mit ihren Kindern heimkamen. „Die waren in diesem Jahr gar nicht in Urlaub. Die Kinder sind am liebsten zuhause, brauchen ihre vertraute Umgebung. Na ja, und mit dem Kindern und dem Hauskauf, da haben die es auch nicht so dicke im Moment, denke ich!“

„Grauenhaft, wie die festgebunden sind!“, kommentierte Birdie leise. „Das wäre nichts für mich. Sowas macht mir fast Angst!“

„Tja, wie ich schon vorhin sagte: So ist das mit den Ängsten“, meinte Anne. „Jeder hat eben andere!“

Da sahen sie sie alle nachdenklich an.






5


„Ach bitte, Claudia, sag doch nicht schon wieder nein!“, flehte Jana, nahm ihre Freundin am Arm und drehte sie zu sich. Sie sah ihr mit freundlich bittendem Gesicht in die Augen. „Du kannst doch nicht jedes Mal eine Einladung zu uns ausschlagen. Das ist doch schon unhöflich!“, grinste sie.

Jana und Claudia waren ebenso, wie ihre Männer alte Freunde. Sie kannten sich schon von der Schule, waren zusammen in gemeinsamen Cliquen, waren nun Nachbarn, hatten sich aber in den letzten Jahren voneinander entfernt. Jana und Birdie waren ständig unterwegs, während Paul und Claudia durch die Kinder mehr und mehr ans Haus gebunden waren.

„Sei nicht böse!“, meinte Claudia. „Ich will dich wirklich nicht beleidigen. Du warst eine meiner besten Freundinnen und du bist es noch. Es geht halt nicht so einfach für mich, wegen der Kinder, du weißt ja!“ Claudia sah Jana vorsichtig an und hoffte auf Verständnis und Vergebung.

Aber die gab sich damit nicht zufrieden und hatte beschlossen, nicht locker zu lassen. „Denk doch auch mal an dich, Claudia! Gönn dir doch auch mal was. Gönn Paul auch mal was! Denkt er genauso, wie du? Oder bedauert er es, noch so jung zu sein und durch die Kinder auf so vieles verzichten zu müssen und ständig ans Haus gebunden zu sein!“

„Der denkt genauso, wie ich!“, beeilte sich Claudia schnell zu sagen, aber sie fühlte, wie sie sich nicht so ganz sicher war.

„Sicher? Irrst du dich auch nicht?“, fragte Jana auch sofort nach.

„Ganz sicher!“, konterte Claudia, wurde aber zusehends nachdenklicher.

„Vermutest du das oder weißt du es?“

„Ich weiß es!“

„Habt ihr darüber gesprochen? Hast du ihn gefragt?“

Ihr wurde bewusst, dass eigentlich immer nur er nach ihrer Befindlichkeit gefragt hatte, aber nie sie nach seiner. „Ja!“, log sie.

„Und er sieht das so wie du?“

„Ja!“

Jana überlegte. „Und du hast auch auf die Zwischentöne gelauscht?“

„Zwischentöne?“

„Na ja, ob er es auch meint?“

Jetzt wurde es Claudia zu viel. „Ja, verdammt noch Mal. Wir haben es besprochen und wir sind einer Meinung und ich habe auch auf die Zwischentöne gelauscht und ich kann nicht kommen, weil ich bei den Kindern sein muss!“

Jana schwieg kurz, weil sie Claudia nicht ärgern wollte. Dann versuchte sie es noch Mal. „Das ihr nicht auf eure Eltern zählen könnt, ist schade. Aber doch noch mal über einen Babysitter nach!“

Claudia sah sie empört an. „Ich überlasse meine Kinder nicht wildfremden Menschen! Dabei bleibt es!“

„Babyphones?“

„Und wenn die Technik versagt. Oder wenn ein Einbrecher kommt?“

„Ach, das ist doch alles lächerlich!“, meinte Jana jetzt. „Du wirst doch mal deine Kleinen ein paar Stunden allein lassen können. Es sind doch nur Kinder!“

Claudia sah sie an, als ob sie von einem anderen Stern sei. „Das, das verstehst du nicht, weil du keine Kinder hast! Du weißt gar nicht, wovon du sprichst!“

Das saß. Obwohl Jana keine Kinder wollte, schmerzte es sie doch, wenn sie darauf angesprochen wurde.

Claudia merkte es. „Entschuldige, ich wollte dich nicht verletzen!“

„Schon gut!“, meinte Jana scheinbar gleichgültig. „Wir brauchen also nicht für euch planen. Ich weiß Bescheid.“

„Sei bitte nicht beleidigt!“, meinte Claudia schnell und hielt Jana am Arm fest. „Es ist ganz besonders lieb von dir, von euch, uns immer und immer wieder einzuladen. Und ich sehe ja auch, dass ihr von uns immer und immer wieder vor den Kopf gestoßen werdet.“

„Das kannst du wohl laut sagen!“, brummte Jana.

„Ich glaube, ich glaube, es ist einfach so, dass ich mir aus euren Partys, ich meine aus Partys überhaupt nichts mache. Nein, ich glaube, ich sehe einfach keinen Sinn in dem Leben, das ihr führt!“ Sie erschrak über ihre eigenen Worte und sah ängstlich zu Jana, um zu sehen, wie sie ihre Offenheit aufnehmen würde.

„Keinen Sinn?“ Jana sah sie verwirrt an. „Aber es geht nur um Partys. Es geht doch nicht um einen Sinn!“

„Das sehe ich anders.“ Claudia sah an Jana vorbei ins Leere und dachte laut nach. „Ich glaube, hinter allem steckt ein Sinn. Alles hat Sinn, nur eben für jeden etwas Anderes!“

Jana schwieg kurz nachdenklich. „Und was macht für dich Sinn, Claudia?“

Claudia lachte ein bisschen verlegen. „Nichts Besonderes, Jana. Ich wage es kaum zu sagen.“

„Raus mit der Sprache!“, drängte nun Jana interessiert.

„Na, meine Familie eben, was sonst!“ Claudia atmete erleichtert darüber aus, weil sie froh war, dass sie es gewagt hatte, so etwas Banales als Lebenssinn anzugeben. „Meine Kinder und Paul, meine Familie eben. Und etwas Anderes brauche ich nicht!“ Neugierig beobachtete sie Janas Reaktion.

„Das ist ja ganz schön spießig, Claudia!“, schüttelte Jana den Kopf. „Und ein bisschen sehr von gestern, meinst du nicht?“

„Es ist das einzige, was mich glücklich macht!“, rief Claudia begeistert aus. „Es ist der einzige Sinn, den ich im Leben erkennen kann. Warum sollte ich ihn nicht leben?“

„Weil dir so viel vom Leben entgeht, Claudia!“, hielt nun Jana laut dagegen. „Du nimmst ja gar nicht am Leben teil. Am Ende hast du gar nicht gelebt!“, rief sie mit lauter Stimme und ehrlich um Claudias Glück besorgt aus.

„Ich denke, dass nur das das Leben ist, Jana! Du brauchst dir um mich keine Sorgen machen. Ich mache mir eher um dich Sorgen!“, warf Claudia ein.

„Du dir um mich. Das ist ja lächerlich!“, erwiderte Jana nun ein bisschen beleidigt. „Wieso denn das?“

„Weil ich den Eindruck habe, dass du nicht so recht weißt, was du vom Leben willst!“

„Also, also das ist ja echt frech!“, schätzte Jana Claudias Antwort nun ein. „Da will man einer Freundin helfen und am Schluss wird man noch belehrt!“ Sie warf verärgert den Kopf nach hinten.

„Dann sag mir doch einfach, was dein Lebenssinn ist, Jana!“, drängte Claudia nun weiter.

„Weißt du was, weißt du was?“, stammelte Jana überrumpelt. Sie wand sich hin und her, versuchte einen klaren Gedanken zu fassen und ärgerte sich, weil es ihr nicht gelang. „Ich glaube, das geht dich gar nichts an!“

„Ich glaube, du weißt es einfach nicht, Jana!“

„Also, das ist doch die Höhe!“, rief Jana entrüstet aus. „Dann noch einen schönen Tag, Claudia!“

Damit drehte sie sich um und stürmte davon.



6


„Hallo, bist du zuhause? Wo bist du denn?“

Sie kam von der Arbeit und wusste ja, dass er zuhause war, denn sein Auto war in der Garage und seine Schuhe standen in der Diele. Aber sie stellte beim Betreten der Wohnung immer diese Frage. Sie dachte nicht mehr darüber nach. Es war zur Routine geworden – wie vieles.

Er antworte nicht, aber sie vernahm Geräusche, die aus dem Wohnzimmer kamen. Also ging sie dorthin.

„Hallo Schatz!“, meinte sie, beugte sich zu ihm, küsste ihn auf die Wange und setzte sich dann zu ihm-

„Hallo!“, antwortete er geschäftig und sah kaum zu ihr auf. Er blätterte eifrig in Katalogen.

„Machst du denn?“, wollte sie wissen.

„Siehst du doch. Ich wälze Kataloge für unseren nächsten Urlaub!“ Er drückte ihr einen in die Hand. „Hier, hilf mir mal ein bisschen! Ist ja schließlich auch dein Urlaub!“

Sie nahm den Katalog und betrachtete ihn. „Jetzt schon Urlaubskataloge! Ich denke, die kommen erst im November, die neuen Kataloge!“

Er verzog die Miene. „Schau doch mal genau hin: Da steht „Winter“ drauf. Die Winterkataloge kommen nicht erst im November auf den Markt!“, belehrte er sie und blätterte weiter.

Sie sah genauer hin und las murmelnd: „Herbst, Winter, tatsächlich!“

Er sah sie kopfschüttelnd an und blätterte weiter.

„Ich wusste gar nicht, dass wir im Winter verreisen wollen!“, sagte sie ohne Nachzudenken vor sich hin. „Hatten wir das abgemacht?“

Er sah auf und runzelte die Stirn. „Abgemacht? Was soll denn das heißen? Wie das klingt!“

„Na ja, ich meine. Hatten wir schon darüber gesprochen?“

Er machte ein beleidigtes Gesicht. „Nein, hatten wir nicht!“

Sie bemerkte, wie er sich aufzuregen begann und lächelte ihn sicherheitshalber an.

Er reagierte nicht. „Die Idee ist mir erst heute beim Gespräch mit einem Kollegen gekommen und ich dachte, sie gefällt dir auch!“

„Hast du denn Urlaub? Wir haben doch fast keinen Urlaub mehr.“

„Stell dir vor, das habe ich mir gut überlegt.“ Er richtete sich auf und sah sie belehrend an. „Wir haben noch ein paar Tage Resturlaub, die wir ja immer als Brückentage um Weihnachten legen. Das machen wir in diesem Jahr genauso. Dann haben wir genug Urlaub. Und ob wir den Urlaub zuhause verbringen oder nochmals verreisen, das ist doch gleich!“

Sie machte ein missmutiges Gesicht und lehnte sich enttäuscht zurück. „Ach nein!“, seufzte sie. „Wo ich doch über Weihnachten so gerne zuhause bin. Da kann man es sich so gemütlich machen, sich zuhause einigeln, alles ist so verzaubert, wenn es geschneit hat und da hat man endlich mal Zeit für die Familie.“

„Weihnachten ist das gefährlichste Fest überhaupt!“, antwortete er gleichgültig. „Da hat man endlich Zeit, sich mal ordentlich die Meinung zu sagen.“

„Und alles wird so ruhig. Ja, man hat endlich mal seine Ruhe, kann abschalten und ganz zu sich kommen!“

„Grabesstille!“

„Ich möchte da nicht weg, es ist so schön, mal die Familie zu sehen!“

„Lieber ´ne Ratte im Haus als die Verwandtschaft!“, zitierte er eines seiner Lieblingsphrasen.

Sie wand sich angewidert hin und her und seufzte wieder.

„Schau dir doch wenigstens mal die Kataloge an. Einer deiner Träume wird wahr.

Sie nahm den Katalog, betrachtete ihn und las „Thailand“.

„Thailand, einer deiner großen Träume!“, erklärte er ihr.

„Oder einer deiner großen Träume!“, kommentierte sie.

Er sah sie überrascht an. „Wie? Du liegst mir doch dauernd in den Ohren damit!“

„Oder du mir!“, konterte sie wieder. „Ich höre eigentlich nur zu!“

Er runzelte überrascht die Stirn.

„Außerdem muss man bei so ´nem langen Flug mindestens zwei Wochen bleiben, damit es sich rentiert. Das ist mir echt zu lang. Da müssen wir am ersten Urlaubstag weg und kommen erst am letzten Urlaubstag wieder. Ich hasse das!“

„Hasse das?“ Er schüttelte verständnislos den Kopf. „Ich biete dir einen Traumurlaub und du sagst, du hasst das!“

„Außerdem waren wir erst zwei Wochen im Urlaub. Das reicht doch auch mal!“

„Reicht mal. Was soll das denn heißen?“

„Das heißt, dass ich auch mal zuhause bleiben will und nicht dauernd irgendwohin sausen will!“

Er sprang auf. „Aber ich brauche meine Erholung!“, rief er empört aus. „Ich habe einen stressigen Job, muss viele Überstunden machen, bin am Rande meiner Nervenkraft, ich brauche auch mal Erholung!“

Sie zog ihn wieder zu sich aufs Sofa. „Wäre es da nicht besser, einfach mal zuhause zur Ruhe zu kommen?“

Er setzte sich ratlos neben sie. „Aber alle meine Kollegen fahren über Weihnachten in Urlaub. Wie stehe ich denn da, wenn wir wieder nirgendwo waren?“, fragte er mehr sie als sich.

„Ach deine Kollegen und unsere Freunde und die ganze Welt. Was gehen mich die an.“ Sie atmete tief aus, so als ob sie sich entspannen wollte. „Ich habe den Urlaubsterror einfach satt!“

Er sah sie nun völlig entgeistert an. „Urlaubsterror?“

„Ja, Urlaubsterror!“

„Jetzt übertreibst du aber!“

„Nein, ich sage Urlaubsterror und ich meine es auch!“

„Unsinn! Was soll das denn heißen, Urlaubsterror!“ Sie holte Luft und legte dann los. „Ich habe es satt immer allen zu beweisen, wo ich wieder meinen Popo hinbewegt habe. Ich habe die langen Autofahrten mit den endlosen Staus einfach satt, ich habe es satt mit stinkenden Leuten in einem Bus oder in einem unterkühlten, engen Platz in einem Flugzeug zu sitzen, wo ich mir vorkomme, wie ein Huhn in einem Käfig. Ich habe genug von dem Durchschnittsfraß in bahnhofshallenähnlichen Speiseräumen, ich habe es satt, in Betten mit angeschimmelten Matratzen zu liegen, ich habe es satt für alles den zehnfachen Preis im Vergleich mit zuhause bezahlen zu müssen und ich habe es vor allem satt, diese Verhältnisse zuhause auch noch loben zu müssen, weil es alle loben, wie immer jeder rumheuchelt und sich keiner die Wahrheit sagen getraut, weil man sonst als Depp dasteht. Ich habe das alles satt und will einfach nur meine Ruhe!“

Er sah sie mit offenem Mund sprachlos an.

„Ich sehne mich nach Ruhe und Stille. Ich will nicht nach Thailand und auch sonst nirgendwo hin.“ Sie machte eine Pause. „Ich glaube, ich möchte einfach mal zu mir kommen, ja nur mal zu mir!“ Sie atmete tief durch. „Ich möchte einfach wieder einmal so sein, wie ich wirklich bin!“






7


„Oh, nein! Nicht schon wieder ´ne Party!“, rief Jana entsetzt aus. „Wir hatten doch erst die Sommerfete. Und mein Geburtstag ist ja auch bald!“

Birdie sah sie verständnislos an. „Aber, wir machen immer eine Halloween-Party. Das ist schon Tradition!“

„Tradition, Tradition, Tradition!“, schimpfte sie laut. „Das ist vor allem die Tradition, dass sich unsere Freunde und unsere Bekannten auf unsere Kosten hier vollfressen und volllaufen lassen. Und da du bei den Vorbereitungen so gut wie nie hilfst und während der Feten und am Tag danach wegen deiner Sauferei zu nichts zu gebrauchen bist, bleibt auch die ganze Arbeit an mir hängen!“

Er sah sie fassungslos an. „So siehst du das?“

„So und nicht anders!“

„Ich, ich dachte, dir machen die Partys auch Spaß, ich, ich wusste ja nicht …!“, starrte er sie ehrlich überrascht an.

Er tat ihr plötzlich leid. „Machen mir ja auch Spaß!“, gestand sie. „Machen mir ja auch Spaß, die Feten, aber nicht so viele. Wir kommen ja gar nicht mehr raus aus dem Feiern! Unsere Feiern, die Feiern der Anderen, das ist alles ein bisschen viel!“

„Aber nur so erarbeitet man sich Freunde. Das ist halt mal so!“ Er stand ratlos vor ihr.

„Ich weiß!“, meinte sie leise. „Ich weiß, dass der Hase so läuft. Und ich will ja auch Freunde haben. Aber, es wird mir ehrlich gesagt zu viel!“

Er stand wie ein begossener Pudel vor ihr und schwieg hilflos.

„Verzeih, dass ich gesagt habe, dass du zu viel trinkst und mir nicht bei den Vorbereitungen hilfst. Ich weiß, dass das so nicht stimmt!“

Er schien aufzuatmen. „Geschenkt, geschenkt!“, versicherte er. „Ich will ja nur, dass du glücklich bist. Wenn ich was falsch gemacht habe, dann tut´s mir leid und ich will mich bessern! Indianerehrenwort!“. Er hob die Hand zum Schwur.

Sie musste lachen.

„Also, wie steht es jetzt mit der Halloween-Party?“

Sie verzog entsetzt die Miene. „Nein, wirklich nicht!“

Er blickte sie wieder ratlos an. „Was nun?“

„Wir machen jetzt mal ´ne Partypause!“, bestimmte sie. „Und ehrlich gesagt: Sind wir für diesen Halloween-Mist nicht einfach zu alt. Das ist doch Kinderkram, vielleicht noch ein Motto für Teenager. Aber für erwachsene Menschen?“

Er sah sie an, als käme sie von einem anderen Stern. „Aber, wir hatten doch alle immer so viel Spaß dabei!“

Sie schüttelte erneut den Kopf. „Ich sicher nicht. Ich fand das immer albern, dass sie erwachsene Menschen wie kleine Kinder verkleiden!“

„Aber, an Fasching tust du´s doch auch!“

„Mmh!“, überlegte sie. „Eigentlich fand ich das auch schon immer albern!“

Da standen sie sich ratlos und völlig fremd gegenüber.



8


„Ach komm, habt euch halt nicht so!“, rief Birdie fast schon ein bisschen beleidigt aus. „Kommt halt auch mal zu einer unserer Partys. Noch dazu, wo das Janas Geburtstagsfete ist. Sie ist doch auch eure Freundin!“ Er sah Paul auffordernd an.

Birdie und Paul hatten sich beim Rausstellen der Mülltonne auf der Straße getroffen, Birdie hatte Paul von Janas Geburtstagsparty erzählt und wollte ihn und Claudia nun dazu einladen.

„Das ist total lieb von euch!“, meinte Paul ehrlich verlegen. „Ja, ihr seid unsere Freunde und wir würden gerne zu Janas Fete kommen. Aber ihr kennt unser Problem. Wir finden keinen Baysitter, bzw. wenn man ganz ehrlich ist, Claudia will glaube ich die Kinder niemand anderem anvertrauen. Da ist sie übermisstrauisch. Bildet sich ein, dass der Babysitter eben doch nicht so auf die Kleinen aufpasst, wie sie und die Kinder sind ja auch wirklich noch sehr klein. Da darfst du wirklich keine Sekunde die Augen von denen lassen, sonst ist schon das nächste Unglück passiert. Und davor hat Claudia eben wahnsinnige, vielleicht auch übertriebene Angst!“ Er machte eine Handbewegung des Bedauerns.

„Puh, das klingt nicht gut. Wäre nichts für mich!“, entfuhr es Birdie spontan. „Aber, wie wäre es, wenn du dann einfach alleine kämst?“

Paul winkte ab. „Ach, ich bin doch eh nicht so oft zu Hause, bin doch immer für den Job unterwegs. Da möchte ich Claudia und die Kinder nicht auch noch alleine lassen, wenn ich bei ihnen sein könnte. Das fände ich nicht so fair!“

„Dann wechselt euch doch ab!“, suchte Birdie weiter nach einer Lösung.

„Ich weiß auch nicht, ich werde es Claudia vorschlagen!“

„Gut!“

„Mach dir keine Hoffnungen! Ich glaube, Claudia ist nicht so verrückt nach Partys.“

„Was, eine Frau und nicht verrückt nach Partys. Dass ich nicht lache!“ Birdie hielt sich den Bauch und tat so, als ob er losbrüllen wollte. „Alle Weiber sind verrückt nach Partys, glaub mir. Vielleicht hast du deine Frau nur noch nicht auf ´ner Party erlebt. Am Ende weiß sie es selbst nicht. Glaub mir: Alle Frauen sind verrückt nach Partys. Ich weiß, wovon ich spreche. Kennste eine, kennste alle!“

„Ich weiß nicht, Claudia ist anders. Vielleicht ist sie anders als andere Frauen, vielleicht liebe ich sie gerade deshalb.“

„Eine ist wie die andere, glaube mir. Aber wie gesagt, wenn sie nicht will, dann komm doch alleine. Oder wechselt euch ab und probiert es jeder für sich alleine!“

„Ach, nein, das würde doch nur darauf hinauslaufen, dass ich alleine käme und das fände ich wiederum nicht fair!“

„Aber, du kannst doch auch mal alleine weg! Was habt ihr denn für eine Beziehung?“

„Für uns sind halt andere Dinge wichtiger. Aber auf jeden Fall danke für die Einladung. Das ist echt lieb von euch!“

Birdie sah Paul verständnislos an. „Mann, ihr geht ja vollkommen am Leben vorbei!“ Er schüttelte den Kopf.

„Ich weiß nicht, es kommt darauf an, was man unter Leben versteht!“

„Wie meinst du das?“ Birdie sah Paul skeptisch an.

„Na ja, ob dein Partyleben wirklich das Leben ist, das ist doch die Frage!“

„Na, na, na, das ist ja allerhand!“ Birdie sah Paul leicht verärgert an. „Ich lade dich zu einer Fete ein und das Ergebnis ist, dass du mir die Fete schlecht machst!“ Er verzog leicht angesäuert die Miene.

„Oh entschuldige, das wollte ich nicht. Ich wollte dir nicht den Spaß verderben!“

„Was wolltest du denn dann?“

„Ich wollte dir nur sagen, dass es vielleicht Menschen, vielleicht auch Frauen gibt, Frauen wie Claudia, die eine andere Sehnsucht in ihrem Leben verspüren, einen anderen Sinn im Leben suchen, als nur von einer Party zur anderen zu hüpfen!“

„Jetzt machst du mir ja schon wieder unsere Party madig. Also, das lass dir gesagt sein, dass ich dich nicht so schnell wieder einlade!“, entfuhr es Birdie. Dann holte er tief Luft. „Vergiss es, war nicht so gemeint. Aber deinen Moralischen hättest du dir echt sparen können. Und ich weiß auch gar nicht, woran du denkst, wenn du von anderen Sehnsüchten sprichst!“

Paul drehte zur Erläuterung die Hände zur Seite. „Na ja, Ehe, Kinder, Familie und so. Claudia will jedenfalls das und keine Partys!“

Birdie winkte ab. „Glaub ich nicht. Vielleicht wollen die Frauen das auch mal, irgendwann mal. Aber erst wollen sie es krachen lassen. Glaub mir. Kennste eine, kennste alle!“ Er sah Paul mit sicherer Miene an.

„Ich weiß nicht!“, grübelte der. „Vielleicht kennst du doch nicht alle! Vielleicht kennst du nicht mal deine!“

Da winkte Birdie ab. „Also das wird mir jetzt wirklich zu viel! Da meint man es gut und will jemanden zu einer Party einladen. Und am Ende kriegt man noch eine Lehrstunde in Leben. Das brauche ich nun wirklich nicht!“ Er drehte sich um und ging ins Haus.






9


„Kann ich dir helfen, schöne Krankenschwester?“, fragte Robin, einer aus Birdies Fußballmannschaft Jana, die wieder einmal neben dem Buffet stand und festgestellt hatte, dass die Getränke alle waren.

Dieses Mal hatten sie ihre Freunde und Bekannten zu einer Faschingsfete geladen und Jana hatte sich als Krankenschwester verkleidet. Tagelang hatten sie das Haus mit Girlanden und anderen Gegenständen faschingsmäßig vorbereitet, Birdie hatte die Getränke besorgt und Jana die Speisen angerichtet. Und obwohl sie nach Janas Ansicht Speisen und Getränke in Hülle und Fülle vorbereitet hatten, schienen diese nun wieder zur Neige zu gehen und nicht auszureichen.

„Gut, dass wir noch Vorräte im Keller haben!“

Sie schaute sich nach Birdie um, entdeckte ihn auf einer Couch, fühlte einen Stich im Herzen, nicht, weil er wieder ziemlich betrunken war, sondern weil er an Mary, der Freundin eines Arbeitskollegen herummachte. „Fasching, was soll´s!“, versuchte sie sich zu trösten. Sie atmete tief durch.

Ihr Blick streifte über die Gäste, die sich wieder über den gesamten Wohnbereich verteilt hatten und ausgelassen feierten.

„Oh, nein!“, entfuhr es ihr, als sie bemerkte, wie ein Gast aus Versehen sein Glas über ihre weiße Ledercouch kippte. „Das dauert wieder Tage, bis ich das wieder rauskriege!“

Dann fiel ihr Blick wieder auf die Getränke, dann auf Birdie, der immer weiter die Freundin seines Arbeitskollegen bearbeitete. „Wo ist eigentlich Marys Freund?“, überlegte sie. „Kann der nicht auf seine Freundin aufpassen?“ Da entdeckte sie ihn, wie er völlig betrunken neben dem Sofa lag und schlief.

„Fasching!“, versuchte sie sich zu beruhigen. Sie begriff, dass auf Birdie wieder einmal nicht zu zählen war und beschloss, selbst die Getränke zu holen.

Da war plötzlich Robin neben ihr aufgetaucht. „Kann ich dir helfen?“, wiederholte er sein Angebot.

„Gerne, Robin!“, meinte sie dankbar. „Du siehst ja, Birdie ist ja anderweitig beschäftigt. Und ich glaube in seinem Zustand ist es besser, wenn er nicht mehr die Kellertreppe benutzt!“

Robin nickte lachend. „Fasching!“

Jana nickte bestätigend.

Sie stiegen die Kellertreppe hinunter und liefen zum Getränkekeller.

„Vielleicht kannst du einen Bierkasten nehmen …!“

„Zwei schaffe ich schon!“

„Dann eben zwei und ich sorge für Asbach!“

„Geht klar!“

„Wenn es dir nichts ausmacht, holen wir dann gleich danach noch Cola!“, fragte sie vorsichtig.

„Ich nehm einen Kasten Bier und einen Kasten Cola, dann sind die da oben versorgt und dann holen wir das gleich nochmal!“, schlug er vor.

„Danke!“, meinte sie ehrlich.

Sie trugen die Kästen nach oben und kehrten in den Keller zurück. Jana stellte in wieder einige Flaschen mit scharfen Getränken in ihren Getränkekorb und wollte wieder nach oben, aber Robin verstellte ihr den Weg.

„Was ist?“, fragte sie unbedarft.

„Die Gäste sind erst mal versorgt. Da dachte ich, vielleicht hast du Lust, mich mal zu verarzten?“ Er grinste sie spitzbübisch an.

„Das ist jetzt nicht dein Ernst!“, antwortete Jana und verzog die Miene.

„Wieso nicht?“, wunderte sich Robin. „Du bist eine umwerfende Frau und so übel bin ich auch nicht!“

„Das mag ja alles wahr sein, aber ich bin fest liiert, schon vergessen?“ Sie sah ihn vorwurfsvoll an.

„Das ist Birdie auch!“, konterte Robin. „Das hindert ihn aber nicht, es da oben mit Marry krachen zu lassen. Da ist noch nicht sicher, wo die zwei sich am Morgen wiederfinden!“

Jana ärgerte sich, weil sie wusste, dass er Recht hatte, wollte es sich aber nicht anmerken lassen. „Fasching, so ist es halt im Fasching!“

Robin sah sie bestätigend an. „Na klar, Fasching, was sonst. Das hier ist auch bloß Fasching. Also, genieße den Fasching!“ Er lächelte sie liebevoll an. „Obwohl, wenn ich ehrlich bin, es könnte mehr als nur Fasching zwischen uns sein!“

Sie sahen sich eine Weile in die Augen.

„Lieb von dir, Robin. Aber ich glaube, das wird nichts mit uns beiden. Ich liebe nun mal den Kerl da oben, auch wenn er mir gerade weh tut!“

Robin sah sie verständnisvoll an. „Schade!“, meinte er. „Ich glaube an dir wäre ich noch mehr interessiert gewesen, als an einer flüchtigen Faschingsbekanntschaft!“

„Danke!“, meinte sie ehrlich.

„Also, dann, was soll ich jetzt mit nach oben nehmen?“



10


„Oh, schaut mal, Jana hat den Brautstrauß gefangen!“, rief einer der Hochzeitsgäste seiner Frau zu und begann zu klatschen.

Auch alle anderen Hochzeitsgäste klatschten Beifall und jubelten. „Jana, Jana!“, riefen einige.

„Na, da sind wir aber gespannt, was du uns da zu sagen hast?“

Jana stand verlegen da, sah von einem zum anderen und wusste nicht, was sie sagen sollte. Sie war abgelenkt worden, als die Braut den Strauß hinter sich warf, als sie sich wieder ihr zuwandte, flog ein schwarzer Schatten auf sie zu, sie hob reflexartig die Hände zum Schutz, dann berührte etwas ihre Hände, sie griff zu. Da hatte sie den Strauß gefangen.

Jana räusperte sich verlegen. „Ich, ich wollte, äh, …!“

Sie sah zu Birdie. Der stand mit breitem Grinsen neben ihr. Das verwirrte sie.

„Birdie, kannst du uns etwas sagen, Jana bringt ja kein Wort heraus, so aufgeregt ist sie!“

Jana wusste wirklich nicht, was sie sagen sollte. Sie waren schon eine ganze Weile zusammen, sie hatte schon des Öfteren darüber nachgedacht, zu heiraten, sehnte sich irgendwo danach, verheiratet zu sein, eine Familie zu haben, kannte Birdies ablehnende Haltung und wagte es deshalb nicht, das Thema anzusprechen. Nun sah sie Birdie fragend an, wunderte sich über sein Grinsen, das sie richtig nicht als Lächeln identifizierte.

„Ich will euch nicht eure Illusionen rauben!“, begann er.

„Ooohhhhh!“, riefen die Umstehenden.

„Damit meine ich mehr, als ihr denkt!“

„So?“, fragte eine Frau spitz. „Was kann man da mehr meinen, als man denkt?“ Alle lachten.

Aber Birdie blieb ganz souverän. „Ich meine damit, dass ich euch den Glauben an den Firlefanz, der hier heute abgeht, nicht nehmen will!“

„Ohhhh!“ Die Festgemeinde verstand und war enttäuscht, wollte sich nicht aus der Stimmung bringen lassen.

„Doch, doch, nun müsst ihr schon meine Meinung ertragen!“, fuhr Birdie unbeirrt fort. „Ihr wolltet es so!“ Er räusperte sich. „Ich glaube nicht an die Ehe. Ich denken, dass man sich schon eine Weile attraktiv findet, liebenswert findet, aber ein ganzes Leben. Schaut euch doch um! Die meisten Ehen gehen doch schief.“

„Spielverderber!“

„Ich für meinen Teil brauche die Ehe nicht, ich will nicht verheiratet sein, weil ich nicht an die ewige Dauer glaube. Das ist klar!“

„Arschloch!“, rief eine Frau.

„Außerdem!“ Birdie hob den Zeigefinger. „Jana und ich haben unser Reihenhaus gemeinsam gekauft. Da sind wir sozusagen kalt verheiratet!“, grinste er.

„Ohhhh!“, raunte die Menge wieder. Einige winkten mit der Hand ab. „Den kannste doch vergessen!“

„Ihr wolltet meine Meinung wissen. Nun müsst ihr damit leben!“

„Und Jana, was meint eigentlich Jana dazu?“, fragte plötzlich jemand.

Sofort war es totenstill, alle wandten sich Jana zu und sahen sie interessiert an.

Sie stand ein bisschen zusammengesackt da, richtete sich schnell wieder auf, mit einem Gefühl aus Enttäuschung und Verunsicherung. Dann zwang sie sich zu einem Lächeln. „Ich denke genauso, wie Birdie!“, log sie.

„Ohhhhh!“, riefen die Umstehenden.

„Dann gib den Strauß gefälligst her!“

„Ja, warum fängst du den Strauß erst und willst ihn dann doch nicht?“

„Gib ihn der Braut, sie soll nochmals werfen!“

„Aber, nicht dass du ihn wieder fängst!“

So riefen die Gäste durcheinander und lachten laut. Sie waren wieder guter Stimmung, wollten sich den Tag nicht von Birdie verderben lassen.

Jana gab schnell den Strauß zurück. Sie lächelte dabei, aber sie war den Tränen nahe. Und sie konnte Birdie nicht ansehen.



11


„Na, macht die Alte wohl wieder Stress?“, fragte Robbie und grinste Birdie von oben herab an.

Der blickte vom Schreibtisch hoch und verzog gequält lächelnd die Miene. „Sieht man mir das an?“

Robbie setzte sich an den Schreibtisch, der Birdies Schreibtisch gegenübergestellt war. „Was will sie denn wieder?“

Birdie schnaufte tief durch. „Was wird sie wollen, das Übliche!“

Robbie schüttelte ungläubig den Kopf. „Ich dachte, ihr hättet das ein für alle Mal geklärt!“

Birdie atmete tief durch. „Das dachte ich auch!“

„Und?“

Birdie lehnte sich zurück. „Ich dachte, dass sie nach dem letzten Streit den Kinderwunsch aufgegeben hätte. Aber denkste: Kommt einfach immer wieder durch.“ Er schüttelte den Kopf. „Es ist bei uns jetzt immer das Gleiche: Sie bringt ihren Kinderwunsch vor, ich mache ihr klar, dass ich nicht daran denke, mir meine angenehme Lebenszeit kaputt machen zu lassen, …!“

„… und unsere!“, warf Robbie ein.

„… dann streiten wir, dann fließen die Tränen, wir versöhnen uns, beschließen, das Thema ruhen zu lassen, eine Weile geht es gut und dann kommt es wieder durch und das Ganze geht von vorne los!“

Die beiden sahen sich eine Weile schweigend an.

„Das ist nicht gut!“, meinte Robbie. „Das ist gar nicht gut!“

Birdie schüttelte den Kopf. „Und sie begreift gar nicht, was sie kaputt macht, was sie mir kaputt macht!“

„Und uns!“ Robbie hob den Zeigefinger. „Die Stimmung ist jedes Mal am Boden, wenn du zu unseren gemeinsamen Unternehmungen verärgert ankommst. Das färbt auch auf unser Leben ab, begreift die Tussi das nicht, begreifst du das eigentlich?“

Birdie zuckte zusammen. „Was soll denn das heißen? Was willst du mir denn damit sagen?“ Er lugte gespannt über die Schreibtische.

Robbie winkte ab. „Ach, ach nichts, vergiss es. Der Gaul ist nur mit mir durchgegangen!“

Birdie wollte sich aber damit nicht zufrieden geben. „Jetzt hast du gegackert, jetzt musst du auch aussprechen, was du angedeutet hast!“

Robbie nickte. „Na gut!“ Er holte tief Luft. „Die Leute in der Clique überlegen, ob es nicht besser wäre, wenn wir in Zukunft ohne dich losziehen würden!“

Jetzt war es heraus. Birdie zuckte wieder zusammen. „Aber, aber das könnt ihr doch nicht machen. Ich meine, wir sind doch schon ewig Kumpels!“

Robbie nickte schuldbewusst. „Ist ja wahr!“ Er sah Birdie ernst an. „Du bist ja auch ein echter Kumpel, warst immer ein echter Kumpel. Aber Mann, deine Alte nervt. Alle Weiber nerven. Machen den ganzen Spaß kaputt. Und deine besonders! Du musst eine Entscheidung treffen: Entweder du bringst ihr bei, dass sie sich fügen soll, oder …!“

Birdie nickte. „Verstehe!“ Er dachte nach. „Ich werde sehen, dass es besser läuft!“

Damit schwiegen sie und erledigten ihre Arbeit.



12


Paul und Claudia hatten sich zum Schlafen ins Bett gelegt. Da überkam Paul die Lust auf Sex und er schob seinen Körper an Claudias und begann, sie zu küssen. Zu seiner Überraschung drehte sie sich von ihm weg. Da umarmte er sie, küsste sie gleichzeitig heftig und begann mit den Händen ihre Brüste zu massieren.

„Aua!“, schrie Claudia leise auf und schob mit ängstlichem Blick Pauls Hand beiseite.

Der sah sie überrascht an. „Keine Lust heute, oder was?“, fragte er und begriff im selben Moment, dass seine Frage nicht zu Claudias Aussage passte. „Was ist mit dir?“, wollte er nun vorsichtiger mit leiser Stimme wissen.

„Es, es tut mir leid!“, begann sie vorsichtig. „Mir ist heute nicht danach!“

„Dir ist schon eine ganze Weile nicht danach!“, beschwerte er sich kurz, bis ihm wieder ihr Schmerzensschrei einfiel.

„Es tut mir leid, vielleicht morgen, ja?“, versuchte sie, ihn trösten. „Ich bin heute sehr, sehr müde!“

Er ging nicht darauf ein, erinnerte sich an ihren Aufschrei. „Tut dir was weh?“

„Ach, nein!“, beeilte sie sich mit der Antwort. „Es ist nichts!“

„Aber, du hast aufgeschrien, als ich dich an der Brust massiert habe“, ließ er nicht locker. „Hast du da Schmerzen?“

Sie schwieg, hoffte, dass er sie in Ruhe ließe und gleichzeitig, dass sie mit ihm darüber reden könnte.

„Du hast da Schmerzen!“, bohrte er nach. „Warum sagst du mir nicht, dass du da Schmerzen hast?“

Sie drehte sich zu ihm um. „Ich möchte da keine Schmerzen haben. Es ist so schön, wenn du mich da streichelst und ich möchte, dass du auch bekommst, was du willst.“ Sie schwieg wieder und sah ihn flehend an.

„Aber es tut dir weh, wenn ich dich massiere und du willst gleichzeitig kein Spielverderber sein“, vermutete er.

Sie nickte ängstlich, weil sie nicht wusste, wie er reagieren würde.

Er dachte nach. „Lass mich bitte mal deine Brust abtasten“, bat er.

Sie sah ihn überrascht an.

„Ich werde ganz vorsichtig sein“, versprach er. „Und ich fange mit der linken Brust an. OK?“

Sie sah ihn kurz an, dann nickte sie zum Zeichen der Einwilligung.

Er streichelte die Brust, dann begann er, sie zu massieren, bis er sie fest drückte.

Claudia ließ es regungslos über sich ergehen.

„Jetzt gehe ich zur anderen Brust“, meinte Paul. „Ich werde ganz besonders vorsichtig sein!“, versprach er.

Claudia nickte wieder, aber bereits als er sie ganz leicht berührte, schrie sie wieder auf.

Paul zog erschrocken die Hand zurück und starrte Claudia ängstlich an.

Die sah ihn ebenfalls erschrocken an.

Sie schwiegen eine Weile.

„Du solltest zu einem Arzt gehen, Claudia!“

„Ach, dafür habe ich doch gar keine Zeit! Die Kinder und die viele Arbeit und was weiß ich, was noch!“, rief sie aus.

Er sah sie tief besorgt an. „Du musst dringend zu einem Arzt. Lass dir morgen gleich einen Termin geben, und mache es dringend. Damit ist nicht zu spaßen!“

Sie sah ihn noch ängstlicher an. „Meinst du, es ist etwas Schlimmes?“

Er spürte ihre Furcht. „Nein, wahrscheinlich nur eine Zyste. Die hat man in vielen Geweben mal. Aber auch die muss behandelt werden.“

„Du siehst so geschockt aus. Denkst du, es ist etwas Schlimmeres?“ Sie fühlte sein Entsetzen.

Er dachte nach, was er ihr sagen sollte. „Lass es bitte so schnell, wie möglich abklären, ja!“, bat er sie. „Und jetzt wollen wir schlafen!“

Er umarmte sie und hielt sie fest. Erst nach langer Zeit, fielen sie in einen nervösen Schlaf.



13


„Echt lieb von dir, dass du mich zu deinem Geburtstag einlädst, Schwesterherz!“, schmunzelte Sören, Janas Bruder. „Auch wenn dir klar sein muss, dass ich nicht kommen kann!“

Sören war Betriebsleiter in der mexikanischen Filiale einer internationalen Firma tätig. Obwohl es schon 22 Uhr mexikanischer Zeit war, saß er noch in seinem Büro in Mexiko City und arbeitete.

„Na ja, vermutet habe ich es ja schon!“, kommentierte Jana seine Antwort traurig.

„Ich kann hier wirklich nicht weg. Ich arbeite auch jetzt noch!“

Jana lag in ihrem Bett und hielt sich das Handy ans Ohr. „Oh, ich habe dich doch hoffentlich nicht bei der Arbeit gestört. Ich dachte, ich hätte die Zeitverschiebung beachtet. Ich dachte, wenn ich nach 18 Uhr anrufe, dann erwische ich dich vielleicht schon zuhause“, stammelte sie verlegen.

Aus dem Handy erklang ein schallendes Lachen. „Du bist gut!“, lachte Sören. „Ich arbeite meist bis 24 Uhr und dann schon wieder ab acht. Wenn man nicht hinterher ist und alles unter Kontrolle hat, machen die hier mit einem, was sie wollen. Obwohl, ich glaube, das ist überall so. War jedenfalls so, wo ich bisher war! Aber nicht mit mir, Jana, das kannst du mir glauben. Nicht mit mir!“ Wieder ertönte schallendes Lachen.

Eine Weile dachte Jana schweigend nach und überlegte, ob sie sagen konnte, was sie dachte. Sie wollte Sören nicht verletzen. Schließlich rückte sie doch mit der Sprache heraus. „Da hast du aber keine Zeit, eine Frau zu finden und eine Familie zu gründen!“

Wieder ertönte Lachen aus dem Handy. „Nein, Jana, das habe ich nicht!“ Sören schien sich vor Lachen den Bauch zu halten. „Ich weiß schon wie du tickst, Jana. Frau, Kinder, Familie und so. Glaub mir, ich will das nicht und ich vermisse nichts!“

„Ich kann mir das nicht vorstellen, so ganz allein!“

„Ich bin gerne allein. Ich habe keine Nerven für den täglichen Hickhack mit einer Frau oder das Kindergeplärr. Nein, die Nerven habe ich nicht!“

Er machte eine Pause, weil er wohl etwas an seinem Schreibtisch machte. „Wenn ich hier mit einem Stress habe oder einer nicht spurt, dann werfe ich ihn einfach raus.“ Er schmunzelte plötzlich süffisant. „Und glaub mir, für alle anderen Bedürfnisse findest du auf der ganzen Welt immer jemanden. Ist auch nicht so langweilig, wie immer mit der gleichen!“

„Also Sören, hör mal!“, meinte Jana empört.

„Lass die Heuchelei, Jana. Du weißt, ich mag das nicht!“, entgegnete er nun ernst. „Nein, nein, nein. Ich weiß, dass das die meisten Leute nicht verstehen, aber ich sehne mich nach niemandem! Ich brauche und ich will keine Familie.“

„Ich glaube, ich würde sterben vor Einsamkeit!“, warf Jana ein.

„Ich bin hier rund um die Uhr beschäftigt, glaub mir. Ich habe gar keinen Gedanken an Einsamkeit!“

„Man kann auch einsam sein, obwohl man nicht allein ist. Wie ich so deinen Birdie kenne, kann ich mir nicht vorstellen, dass er all deine Träume erfüllt. War doch früher dauernd unterwegs, das Schlitzohr. Und mit Heirat und Familie ist es doch bei euch auch nichts, oder hab ich was verpasst. Übrigens, ich hätte auch keine Zeit zu eurer Hochzeit zu kommen. Habe hier einfach zu viel zu tun!“

Jana ärgerte sich ein bisschen und wollte es Sören zeigen. „Und du, du opferst dich für eine Firma auf, gibst dein Leben für die Firma, deren einziges Ziel es ist, noch mehr Profit zu machen. Dann gehst du in Pension, niemand dankt dir deine Arbeit, deine Nachfolger schimpfen auf dich, die Firma macht noch mehr Profit und dein Leben ist verschwendet. Dann sitzt du alt und allein irgendwo und erkennst, dass dein Leben umsonst war!“, bellte sie ihn an.

„Hoppla, da hab ich wohl einen wunden Punkt angesprochen, mit dem Thema Heirat, Kinder und Familie. Ist wohl mit Birdie nicht hinzukriegen?“

„Das geht dich gar nichts an, du Angeber!“, schrie Jana wütend ins Handy.

Wieder ertönte Lachen aus dem Handy. „Ganz ruhig, Jana. Wenn du mich fragst, ist Birdie auch nicht der Richtige für die Sache. Ist doch ein Taugenichts, der selbst gar kein Interesse hat an Familie und so. Das bildest du dir doch nur ein. Lass die Finger von ihm und such dir einen anderen!“

„Das geht dich gar nichts an. Denk lieber über das nach, was ich dir gesagt habe. Du wirst alt und verlassen sterben, das wirst du!“

Wieder lachte er. „Glaub mir, Jana, ich tue das hier gar nicht für die Firma. Und auch nicht für Geld!“, begann er wieder und machte eine geheimnisvolle Pause. „Ich tue es, weil es meine Berufung ist. Und weil ich der Beste sein will. Weil ich einfach der Beste im ganzen Unternehmen sein will. Das, und allein das, ist mir wichtig. Wer weiß, vielleicht ergibt sich ja später noch was in Richtung Familie. Aber im Moment und in den nächsten Jahren, da zählt nur das, weil nur dieses Gefühl, der Beste, der Wichtigste zu sein, für mich zählt. Das ist es, was mich glücklich macht. Das Gefühl, hier der Wichtigste zu sein, dass macht mich glücklich, sonst nichts!“

„Aber, es kann doch nicht der Sinn des Lebens sein, sich für eine Firma aufzuopfern! Da verpasst man doch alles im Leben!“, warf sie ein.

„Ich opfere mich nicht für eine Firma auf!“, konterte er. „Ich lebe meine Berufung! Das ist das, was meinem Leben einen Sinn gibt. Und deswegen folge ich dieser Berufung!“

„Ach, ich kann gar nicht glauben, dass ein Beruf der Sinn des Lebens sein kann. Ich mache mir um dich ehrlich Sorgen!“

„Das musst du nicht,“ erklärte er. „Bei mir ist alles in Ordnung. Aber ich mache mir Sorgen um dich!“

„Du um mich, was soll denn das nun?“

„Nun, irgendwie glaube ich, dass du nicht so recht weißt, was du willst!“

„Also, also …!“ Sie war sprachlos.

Sie schwiegen eine Weile nachdenklich.

„Wann kommst du denn wieder nach Hause?“, fragte sie schließlich in die Stille.

„Du meinst nach Europa? Denn mein Zuhause ist da, wo mein Schreibtisch ist!“

„Zu uns halt, zu den Eltern und zu mir, du grober Klotz!“, schimpfte Jana nun ebenfalls lachend. „Du wirst es nicht glauben, ich vermisse dich!“, fügte sie sicherheitshalber hinzu.

„Alle vermissen mich, das ist normal!“, lachte Sören.

„Angeber, ich könnte dich …!“

„In diesem Jahr kannst du mir gar nichts, da komme ich sicher nicht heim!“

„Nicht mal zu Weihnachten?“

„Weihnachten, was ist das?“

Sie mussten beide lachen.

„Und jetzt muss ich leider wieder arbeiten, Jana!“

„Verstehe. Schön, deine Stimme wieder mal gehört zu haben!“

Es folgten noch einige Abschiedsfloskeln, dann legte Jana auf.



Janas Entscheidung

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