Читать книгу Vor Sonnenaufgang - Gerhart Hauptmann - Страница 7
[11]Erster Akt.
ОглавлениеDas Zimmer ist niedrig; der Fußboden mit guten Teppichen belegt. Moderner Luxus auf bäuerische Dürftigkeit gepfropft. An der Wand hinter dem Eßtisch ein Gemälde, darstellend einen vierspännigen Frachtwagen von einem Fuhrknecht in blauer Blouse geleitet.
(Miele, eine robuste Bauernmagd mit rothem, etwas stumpfsinnigen Gesicht; sie öffnet die Mittelthür und läßt Alfred Loth eintreten. Loth ist mittelgroß, breitschultrig, untersetzt, in seinen Bewegungen bestimmt, doch ein [12]wenig ungelenk; er hat blondes Haar, blaue Augen und ein dünnes, lichtblondes Schnurrbärtchen, sein ganzes Gesicht ist knochig und hat einen gleichmäßig ernsten Ausdruck. Er ist ordentlich, jedoch nichts weniger als modern gekleidet. Sommerpaletot, Umhängetäschchen, Stock.)
MIELE.
Bitte! Ich werde den Herrn Inschinnär glei ruffen. Wolln Sie nich Platz nehmen?! (Die Glasthür zum Wintergarten wird heftig aufgestoßen; ein Bauernweib, im Gesicht blauroth vor Wuth, stürzt herein, sie ist nicht viel besser als eine Waschfrau gekleidet. Nackte, rothe Arme, blauer Kattunrock und Mieder, rothes punktirtes Brusttuch. Alter: Anfang 40, Gesicht hart, sinnlich, bösartig. Die ganze Gestalt sonst gut conservirt.)
FRAU KRAUSE
(schreit). Ihr Madel!! . . . Richtig! . . Doas Loster vu Froovulk! . . . Naus!!! mir gahn nischt! . . . (halb zu Miele, halb zu Loth:) a koan orbeita, a hoot Oarme. Naus! hier gibbt’s nischt!
LOTH.
Aber Frau . . . Sie werden doch . . . ich . . . ich heiße Loth, bin . . . wünsche zu . . . habe auch nicht die Ab . . . .
MIELE.
A wull ock a Herr Inschinnär sprechen.
FRAU KRAUSE.
Beim Schwiegersuhne batteln: doas kenn’ mer schunn. – A hoot au nischt, a hoot’s au ock vu ins, nischt iis seine! (Die Thür rechts wird aufgemacht. Hoffmann steckt den Kopf heraus.)
HOFFMANN.
Schwiegermama! – Ich muß doch bitten . . . (er tritt heraus, wendet sich an Loth) Was steht zu . . . Alfred!!! Kerl!!! Wahrhaftig ’n Gott Du!? Das ist aber ’mal . . . nein das is doch ’mal ’n Gedanke!
(Hoffmann ist etwa dreiunddreißig Jahre alt, schlank, [13]groß, hager. Er kleidet sich nach der neuesten Mode, ist elegant frisirt, trägt kostbare Ringe, Brillantknöpfe im Vorhemd und Berloques an der Uhrkette. Kopfhaar und Schnurrbart schwarz, der letztere sehr üppig, äußerst sorgfältig gepflegt. Gesicht spitz, vogelartig. Ausdruck verschwommen, Augen schwarz, lebhaft zuweilen unruhig.)
LOTH.
Ich bin nämlich ganz zufällig . . . .
HOFFMANN
(aufgeregt). Etwas Lieberes . . . nun aber zunächst leg ab! (Er versucht ihm das Umhängetäschchen abzunehmen.) Etwas Lieberes und so Unerwartetes hätte mir jetzt (er hat ihm Hut und Stock abgenommen und legt Beides auf einen Stuhl neben der Thür) hätte mir jetzt entschieden nicht passiren können, (indem er zurückkommt:) ent....schieden nicht.
LOTH
(sich selbst das Täschchen abnehmend). Ich bin nämlich – nur so per Zufall auf Dich (er legt das Täschchen auf den Tisch im Vordergrund).
HOFFMANN.
Setz’ Dich! Du mußt müde sein, setz’ Dich – bitte. Weißt De noch? wenn Du mich besuchtest, da hatt’st Du so ’ne Manier, Dich lang auf das Sopha hinfallen zu lassen, daß die Federn krachten; mitunter sprangen sie nämlich auch. Also Du, höre! mach’s wie damals.
(Frau Krause hat ein sehr erstauntes Gesicht gemacht und sich dann zurückgezogen. Loth läßt sich auf einen der Sessel nieder, welche rings um den Tisch im Vordergrunde stehen.)
HOFFMANN.
Trinkst Du was? Sag’! – Bier? Wein? Cognac? Kaffee, Thee? Es ist Alles im Hause.
(Helene kommt lesend aus dem Wintergarten; ihre große, ein wenig zu starke Gestalt, die Frisur ihres blonden, ganz [14]ungewöhnlich reichen Haares, ihr Gesichtsausdruck, ihre moderne Kleidung, ihre Bewegungen, ihre ganze Erscheinung überhaupt verleugnen das Bauernmädchen nicht ganz.)
HELENE.
Schwager, Du könntest . . . (sie entdeckt Loth und zieht sich schnell zurück). Ach! ich bitte um Verzeihung (ab).
HOFFMANN.
Bleib’ doch, bleib’!
LOTH.
Deine Frau?
HOFFMANN.
Nein, ihre Schwester. Hörtest Du nicht, wie sie mich betitelte?
LOTH.
Nein.
HOFFMANN.
Hübsch! Wie? – Nu aber erklär’ Dich! Kaffee? Thee? Grog?
LOTH.
Danke, danke für Alles.
HOFFMANN
(präsentirt ihm Cigarren). Aber das ist was für Dich – nicht?! . . . auch nicht?!
LOTH.
Nein, danke.
HOFFMANN.
Beneidenswerthe Bedürfnißlosigkeit! (Er raucht sich selbst eine Cigarre an und spricht dabei.) Die A . . Asche, wollte sagen der . . . der Tabak . . . ä! Rauch natürlich . . . der Rauch belästigt Dich doch wohl nicht?
LOTH.
Nein.
HOFFMANN.
Wenn ich das nicht noch hätte . . . ach Gott ja, das bischen Leben! – nu aber thu’ mir den Gefallen, erzähle was. – Zehn Jahre – bist übrigens kaum sehr verändert – zehn Jahre, ’n ekliger Fetzen Zeit – was macht Schn . . . Schnurz nannten wir ihn ja wohl? Fips, – die ganze heitere Blase von damals? Hast Du den Einen oder Anderen im Auge behalten?
[15]LOTH.
Sach ’mal, solltest Du das nicht wissen?
HOFFMANN.
Was?
LOTH.
Daß er sich erschossen hat.
HOFFMANN.
Wer? – hat sich wieder ’mal erschossen?
LOTH.
Fips! Friedrich Hildebrandt.
HOFFMANN.
I warum nich gar!
LOTH.
Ja! er hat sich erschossen – im Grunewald, an einer sehr schönen Stelle der Havelseeufer. Ich war dort, man hat den Blick auf Spandau.
HOFFMANN.
Hm! – Hätt’ ihm das nicht zugetraut, war doch sonst keine Heldennatur.
LOTH.
Deswegen hat er sich eben erschossen. – Gewissenhaft war er, sehr gewissenhaft.
HOFFMANN.
Gewissenhaft? Woso?
LOTH.
Nun, darum eben . . . . sonst hätte er sich wohl nicht erschossen.
HOFFMANN.
Versteh’ nicht recht.
LOTH.
Na, die Farbe seiner politischen Anschauungen kennst Du doch?
HOFFMANN.
Ja, grün.
LOTH.
Du kannst sie gern so nennen. Er war, dies wirst Du ihm wohl lassen müssen, ein talentvoller Jung. – Fünf Jahre hat er als Stuccateur arbeiten müssen, andere fünf Jahre dann, so zu sagen, auf eigene Faust durchgehungert und dazu kleine Statuetten modellirt.
HOFFMANN.
Abstoßendes Zeug. Ich will von der Kunst erheitert sein. . . . Nee! diese Sorte Kunst war durchaus nicht mein Geschmack.
LOTH.
Meiner war es auch nicht, aber er hatte sich nun doch einmal drauf versteift. Voriges Frühjahr schrieben sie da ein Denkmal aus; irgend ein [16]Duodezfürstchen, glaub’ ich, sollte verewigt werden. Fips hatte sich betheiligt und gewonnen; kurz darauf schoß er sich todt.
HOFFMANN.
Wo da die Gewissenhaftigkeit stecken soll, ist mir völlig schleierhaft. – Für so was habe ich nur eine Benennung: Spahn – auch Wurm – Spleen – so was.
LOTH.
Das ist ja das allgemeine Urtheil.
HOFFMANN.
Thut mir leid, kann aber nicht umhin mich ihm anzuschließen. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
LOTH.
Es ist ja für ihn auch ganz gleichgültig, was . . .
HOFFMANN.
Ach überhaupt lassen wir das. Ich bedauere ihn im Grunde ganz ebenso sehr wie Du, aber – nun ist er doch einmal todt, der gute Kerl; – erzähle mir lieber was von Dir, was Du getrieben hast, wie’s Dir ergangen ist.
LOTH.
Es ist mir so ergangen, wie ich’s erwarten mußte. – Hast Du gar nichts von mir gehört? – durch die Zeitungen mein’ ich.
HOFFMANN
(ein wenig befangen). Wüßte nicht.
LOTH.
Nichts von der Leipziger Geschichte?
HOFFMANN.
Ach so, das! – Ja! – Ich glaube . . . . nichts Genaues.
LOTH.
Also, die Sache war folgende:
HOFFMANN
(seine Hand auf Loth’s Arm legend). Ehe Du anfängst: willst Du denn gar nichts zu Dir nehmen?
LOTH.
Später vielleicht.
HOFFMANN.
Auch nicht ein Gläschen Cognac?
LOTH.
Nein. Das am allerwenigsten.
HOFFMANN.
Nun, dann werde ich ein Gläschen . . . . Nichts besser für den Magen (holt Flasche und zwei [17]Gläschen vom Buffet, setzt Alles auf den Tisch vor Loth). Grand Champagne, feinste Nummer; ich kann ihn empfehlen. – Möchtest Du nicht . . . . ?
LOTH.
Danke!
HOFFMANN
(kippt das Gläschen in den Mund). Oah! – na, nu bin ich ganz Ohr.
LOTH.
Kurz und gut: da bin ich eben sehr stark hineingefallen.
HOFFMANN.
Mit zwei Jahren, glaub ich?!
LOTH.
Ganz recht! Du scheinst es ja doch also zu wissen. Zwei Jahre Gefängniß bekam ich, und nachdem haben sie mich noch von der Universität relegirt. Damals war ich – einundzwanzig – nun! in diesen zwei Gefängnißjahren habe ich mein erstes volkswirthschaftliches Buch geschrieben. Daß es gerade ein Vergnügen gewesen, zu brummen, müßte ich allerdings lügen.
HOFFMANN.
Wie man doch einmal so sein konnte! merkwürdig! Sowas hat man sich nun allen Ernstes in den Kopf gesetzt. Baare Kindereien sind es gewesen, kann mir nicht helfen. Du! – nach Amerika auswandern, ’n Dutzend Gelbschnäbel wie wir! – wir und Musterstaat gründen! Köstliche Vorstellung!
LOTH.
Kindereien?! – tjaa! In gewisser Beziehung sind es auch wirklich Kindereien gewesen; wir unterschätzten die Schwierigkeiten eines solchen Unternehmens.
HOFFMANN.
Und daß Du nun wirk–lich hinaus gingst – nach Amerika – all–len Ernstes mit leeren Händen . . . . Denk doch mal an, was es heißt, Grund und Boden für einen Musterstaat mit leeren Händen erwerben zu wollen: das ist ja beinah ver . . . . . , jedenfalls ist es einzig naiv.
[18]LOTH.
Ach, gerade mit dem Ergebniß meiner Amerikafahrt bin ich ganz zufrieden.
HOFFMANN
(laut auflachend). Kaltwasserkur, vorzügliche Resultate, wenn Du es so meinst . . .
LOTH.
Kann sein, ich bin etwas abgekühlt worden; damit ist mir aber gar nichts Besonderes geschehen. Jeder Mensch macht seinen Abkühlungsprozeß durch. Ich bin jedoch weit davon entfernt, den Werth der . . . . nun, sagen wir hitzigen Zeit zu verkennen, sie war auch gar nicht so furchtbar naiv, wie Du sie hinstellst.
HOFFMANN.
Na, ich weiß nicht?!
LOTH.
Du brauchst nur an die Durchschnittskindereien unserer Tage denken: das Couleurwesen auf den Universitäten, das Saufen, das Pauken. Warum all’ der Lärm? Wie Fips zu sagen pflegte: um Hekuba! Um Hekuba drehte es sich bei uns doch wohl nicht; wir hatten die allerhöchsten menschheitlichen Ziele im Auge. Und abgesehen davon, diese naive Zeit hat bei mir gründlich mit Vorurtheilen aufgeräumt, ich bin mit der Scheinreligion und Scheinmoral und mit noch manchem anderen . . . .
HOFFMANN.
Das kann ich Dir ja auch ohne Weiteres zugeben: Wenn ich jetzt doch immerhin ein vorurtheilsloser, aufgeklärter Mensch bin, dann verdanke ich das, wie ich gar nicht leugne, den Tagen unseres Umgangs. – Natürlicherweise! – Ich bin der Letzte, das zu leugnen. – Ich bin überhaupt in keiner Beziehung Unmensch. Nur muß man nicht mit dem Kopfe durch die Wand rennen wollen. – Man muß nicht die Übel, an denen die gegenwärtige Generation, leider Gottes, krankt, durch noch [19]größere verdrängen wollen; man muß – Alles ruhig seinen natürlichen Gang gehen lassen. Was kommen soll, kommt! Praktisch, praktisch muß man verfahren! Erinnere Dich! Ich habe das früher gerade so betont: Und dieser Grundsatz hat sich bezahlt gemacht. – Das ist es ja eben. Ihr Alle – Du mit eingerechnet –, Ihr verfahrt höchst unpraktisch.
LOTH.
Erklär’ mir eben mal, wie Du das meinst.
HOFFMANN.
Einfach! Ihr nützt Eure Fähigkeiten nicht aus. Zum Beispiel Du: ’n Kerl wie Du, mit Kenntnissen, Energie etc., was hätte Dir nicht offen gestanden! Statt dessen, was machst Du? Com–pro–mit–tirst Dich von vornherein der–art . . . . na, Hand aufs Herz! Hast Du das nicht manchmal bereut?
LOTH.
Ich konnte nicht gut bereuen, weil ich ohne Schuld verurtheilt worden bin.
HOFFMANN.
Kann ich ja nicht beurtheilen, weißt Du.
LOTH.
Du wirst das gleich können, wenn ich Dir sage: die Anklageschrift führte aus, ich hätte unseren Verein Vancouver-Island nur zum Zwecke parteilicher Agitation ins Leben gerufen, dann sollte ich auch Geld zu Parteizwecken gesammelt haben. Du weißt ja nun, daß es uns mit unseren colonialen Bestrebungen Ernst war, und was das Geldsammeln anlangt, so hast Du ja selbst gesagt, daß wir Alle miteinander leere Hände hatten. Die Anklage enthält also kein wahres Wort, und als Mitglied solltest Du das doch . . . .
HOFFMANN.
Na – Mitglied war ich doch wohl eigentlich nicht so recht. – Übrigens glaube ich Dir selbstredend. – Die Richter sind halt immer nur Menschen, muß man nehmen. – Jedenfalls hättest Du, um praktisch zu [20]handeln, auch den Schein meiden müssen. Überhaupt: ich habe mich in der Folge manchmal baß gewundert über Dich: Redacteur der Arbeiterkanzel, des obscursten aller Käseblättchen – Reichstagscandidat des süßen Pöbels! Und was hast Du nu davon? – versteh’ mich nicht falsch! Ich bin der Letzte, der es an Mitleid mit dem armen Volke fehlen läßt, aber wenn etwas geschieht, dann mag es von Oben herab geschehen! Es muß sogar von Oben herab geschehen, das Volk weiß nun mal nicht, was ihm noth thut – das »Von-unten-herauf«, siehst Du, das eben nenne ich das »Mit-dem-Kopf-durch-die-Wand-rennen«.
LOTH.
Ich bin aus dem, was Du eben gesagt hast, nicht klug geworden.
HOFFMANN.
Na, ich meine eben: sieh mich an! ich habe die Hände frei: ich könnte nu schon anfangen, was für die Ideale zu thun. – Ich kann wohl sagen, mein praktisches Programm ist nahezu durchgeführt. Aber Ihr . . . . immer mit leeren Händen, was wollt denn Ihr machen?
LOTH.
Ja, wie man so hört: Du segelst stark auf Bleichröder zu.
HOFFMANN
(geschmeichelt). Zu viel Ehre – vorläufig noch. Wer sagt das? – Man arbeitet eben seinen soliden Stiefel fort: das belohnt sich naturgemäß – wer sagt das übrigens?
LOTH.
Ich hörte drüben in Jauer zwei Herren am Nebentisch davon reden.
HOFFMANN.
Ä! Du! – Ich habe Feinde! – Was sagten die denn übrigens?
LOTH.
Nichts Besonderes. Durch sie erfuhr ich: daß Du [21]Dich zur Zeit eben hier auf das Gut Deiner Schwiegereltern zurückgezogen hast.
HOFFMANN.
Was die Menschen nicht alles ausschnüffeln! Lieber Freund! Du glaubst nicht, wie ein Mann in meiner Stellung auf Schritt und Tritt beobachtet wird: Das ist auch so ’n Übelstand des Reich . . . . – Die Sache ist nämlich die: ich erwarte der größeren Ruhe und gesünderen Luft wegen die Niederkunft meiner Frau hier.
LOTH.
Wie paßt denn das aber mit dem Arzt? Ein guter Arzt ist doch in solchen Fällen von allergrößter Wichtigkeit. Und hier auf dem Dorfe . . . .
HOFFMANN.
Das ist es eben, der Arzt hier ist ganz besonders tüchtig; und, weißt Du, so viel habe ich bereits weg: Gewissenhaftigkeit geht beim Arzt über Genie.
LOTH.
Vielleicht ist sie eine Begleiterscheinung des Genie’s im Arzt.
HOFFMANN.
Mein’twegen, jedenfalls hat unser Arzt Gewissen. Er ist nämlich auch so’n Stück Ideologe, halb und halb unser Schlag – reussirt schauderhaft unter Bergleuten und auch unter dem Bauernvolk. Man vergöttert ihn geradezu. Zu Zeiten übrigens ’n recht unverdaulicher Patron, ’n Mischmasch von Härte und Sentimentalität. Aber, wie gesagt, Gewissenhaftigkeit weiß ich zu schätzen! – Unbedingt! – Eh’ ich’s vergesse . . . . es ist mir nämlich darum zu thun . . . man muß immer wissen, wessen man sich zu versehen hat . . . . Höre! . . . . sage mir doch . . . . ich seh’ Dir’s an, die Herren am Nebentische haben nichts Gutes über mich gesprochen. – Sag’ mir doch, bitte! was sie gesprochen haben.
[22]LOTH.
Das sollte ich wohl nicht thun, denn ich will Dich nachher um zweihundert Mark bitten, geradezu bitten, denn ich werde sie Dir wohl kaum je wiedergeben können.
HOFFMANN
(zieht ein Checbuch aus der Brusttasche, füllt Chec aus, übergiebt ihn Loth). Bei irgend einer Reichsbankfiliale . . . . Es ist mir ’n Vergnügen . . . .
LOTH.
Deine Fixigkeit übertrifft alle meine Erwartungen. – Na! – ich nehm’ es dankbar an und Du weißt ja, übel angewandt ist es auch nicht.
HOFFMANN
(mit Anflug von Pathos). Ein Arbeiter ist seines Lohnes werth! – doch jetzt, Loth! sei so gut, sag mir, was die Herren am Nebentisch . . . .
LOTH.
Sie haben wohl Unsinn gesprochen.
HOFFMANN.
Sag mir’s trotzdem, bitte! – Es ist mir lediglich interessant, ledig-lich interessant –
LOTH.
Es war davon die Rede, daß Du hier einen Anderen aus der Position verdrängt hättest, – einen Bauunternehmer Müller.
HOFFMANN.
Na-tür-lich! diese Geschichte!
LOTH.
Ich glaube, der Mann sollte mit Deiner jetzigen Frau verlobt gewesen sein.
HOFFMANN.
War er auch. – Und was weiter?
LOTH.
Ich erzähle Dir Alles, wie ich es hörte, weil ich annehme: es kommt Dir darauf an, die Verleumdung möglichst getreu kennen zu lernen.
HOFFMANN.
Ganz recht! Also?
LOTH.
So viel ich heraus hörte, soll dieser Müller den Bau einer Strecke der hiesigen Gebirgsbahn übernommen haben.
HOFFMANN.
Ja! Mit lumpigen zehntausend Thalern [23]Vermögen. Als er einsah, daß dieses Geld nicht zureichte, wollte er schnell eine Witzdorfer Bauerntochter fischen; meine jetzige Frau sollte diejenige sein, welche.
LOTH.
Er hätte es, sagten sie, mit der Tochter, Du mit dem Alten gemacht. – Dann hat er sich ja wohl erschossen?! – Auch seine Strecke hättest Du zu Ende gebaut und noch sehr viel Geld dabei verdient.
HOFFMANN.
Darin ist einiges Wahre enthalten, doch – ich könnte Dir eine Verknüpfung der Thatsachen geben . . . . Wußten sie am Ende noch mehr dergleichen erbaulichen Dinge?
LOTH.
Ganz besonders – muß ich Dir sagen – regten sie sich über Etwas auf: sie rechneten sich vor, welch ein enormes Geschäft in Kohlen Du jetzt machtest und nannten Dich einen . . . . na, schmeichelhaft war es eben nicht für Dich. Kurz gesagt, sie erzählten, Du hättest die hiesigen dummen Bauern beim Champagner überredet, einen Vertrag zu unterzeichnen, in welchem Dir der alleinige Verschleiß aller in ihren Gruben geförderter Kohle übertragen worden ist gegen eine Pachtsumme, die fabelhaft gering sein sollte.
HOFFMANN
(sichtlich peinlich berührt, steht auf). Ich will Dir was sagen, Loth . . . . Ach, warum auch noch darin rühren? Ich schlage vor, wir denken an’s Abendbrod, mein Hunger ist mörderisch. – Mörderischen Hunger habe ich. (Er drückt auf den Knopf einer elektrischen Leitung, deren Draht in Form einer grünen Schnur auf das Sopha herunter hängt; man hört das Läuten einer elektrischen Klingel.)
LOTH.
Nun, wenn Du mich hier behalten willst – dann sei [24]so gut . . . . . ich möchte mich eben ’n bischen säubern.
HOFFMANN.
Gleich sollst Du alles Nöthige . . . . (Eduard tritt ein, Diener in Livree.) Eduard! führen Sie den Herrn in’s Gastzimmer.
EDUARD.
Sehr wohl, gnädiger Herr.
HOFFMANN
(Loth die Hand drückend). In spätestens fünfzehn Minuten möchte ich Dich bitten, zum Essen herunter zu kommen.
LOTH.
Übrig Zeit, also, Wiedersehen!
HOFFMANN.
Wiedersehen!
(Eduard öffnet die Thür und läßt Loth vorangehen. Beide ab. Hoffmann kratzt sich den Hinterkopf, blickt nachdenklich auf den Fußboden, geht dann auf die Thür rechts zu, deren Klinke er bereits gefaßt hat, als Helene, welche hastig durch die Glasthür eingetreten ist, ihn anruft.)
HELENE.
Schwager! Wer war das?
HOFFMANN.
Das war einer von meinen Gymnasialfreunden, der älteste sogar, Alfred Loth.
HELENE
(schnell). Ist er schon wieder fort?
HOFFMANN.
Nein! Er wird mit uns zu Abend essen. – Womöglich . . . . ja, womöglich auch hier übernachten.
HELENE.
Oh Jeses! Da komme ich nicht zum Abendessen.
HOFFMANN.
Aber Helene!
HELENE.
Was brauche ich auch unter gebildete Menschen zu kommen, ich will nur ruhig weiter verbauern.
HOFFMANN.
Ach, immer diese Schrullen! Du wirst mir sogar den großen Dienst erweisen und die [25]Anordnungen für den Abendtisch treffen. Sei so gut! – Wir machen’s ’n bischen feierlich. Ich vermuthe nämlich, er führt irgend was im Schilde.
HELENE.
Was meinst Du, im Schilde führen?
HOFFMANN.
Maulwurfsarbeit – Wühlen, Wühlen. – Davon verstehst Du nun freilich nichts. – Kann mich übrigens täuschen, denn ich habe bis jetzt vermieden auf diesen Gegenstand zu kommen. Jedenfalls mach’ Alles recht einladend, auf diese Weise ist den Leuten noch am leichtesten . . . Champagner natürlich! Die Hummern von Hamburg sind angekommen?
HELENE.
Ich glaube, sie sind heut früh angekommen.
HOFFMANN.
Also, Hummern! (es klopft sehr stark) herein!
POSTPACKETTRÄGER
(eine Kiste unter’m Arm, eintretend, spricht er in singendem Tone). eine Kist-e.
HELENE.
Von wo?
PACKETTRÄGER.
Ber-lin.
HOFFMANN.
Richtig! es werden die Kindersachen von Herzog sein. (Er besieht das Packet und nimmt den Abschnitt.) Ja, ja, es sind die Sachen von Herzog.
HELENE.
Die-se Kiste voll? Du übertreibst.
HOFFMANN.
(Lohnt den Packetträger ab.)
PACKETTRÄGER
(ebenso halb singend). Schön’n gu’n A-bend (ab).
HOFFMANN.
Wieso übertreiben?
HELENE.
Nun, hiermit kann man doch wenigstens drei Kinder ausstatten.
HOFFMANN.
Bist Du mit meiner Frau spazieren gegangen?
HELENE.
Was soll ich machen, wenn sie immer gleich müde wird?
[26]HOFFMANN.
Ach was! immer gleich müde. – Sie macht mich unglücklich! Ein und eine halbe Stunde . . . sie soll doch um Gottes Willen thun was der Arzt sagt. Zu was hat man denn den Arzt, wenn . . .
HELENE.
Dann greife Du ein, schaff’ die Spillern fort! Was soll ich gegen so ’n altes Weib machen, die ihr immer nach dem Munde geht.
HOFFMANN.
Was denn? . . . ich als Mann . . . was soll ich als Mann? . . . und außerdem, Du kennst doch die Schwiegermama.
HELENE
(bitter). Allerdings.
HOFFMANN.
Wo ist sie denn jetzt?
HELENE.
Die Spillern stutzt sie heraus, seit Herr Loth hier ist; sie wird wahrscheinlich zum Abendbrod wieder ihr Rad schlagen.
HOFFMANN
(schon wieder in eigenen Gedanken, macht einen Gang durch’s Zimmer; heftig). Es ist das letzte Mal, auf Ehre! daß ich so etwas hier in diesem Hause abwarte. – Auf Ehre!
HELENE.
Ja, Du hast es eben gut. Du kannst gehen, wohin Du willst.
HOFFMANN.
Bei mir zu Hause wäre der unglückliche Rückfall in dies schauderhafte Laster auch sicher nicht vorgekommen.
HELENE.
Mich mache dafür nicht verantwortlich! Von mir hat sie den Branntwein nicht bekommen. Schaff’ Du nur die Spillern fort, ich sollte bloß ’n Mann sein.
HOFFMANN
(seufzend). Ach, wenn es nur erst wieder vorüber wär’! – (in der Thür rechts) also Schwägerin, Du thust mir den Gefallen: einen recht apetitlichen Abendtisch! Ich erledige schnell noch eine Kleinigkeit.
[27]HELENE
(drückt auf den Klingelknopf. Miele kommt). Miele, decken Sie den Tisch! Eduard soll Sekt kalt stellen und vier Dutzend Austern öffnen.
MIELE
(unterdrückt, batzig). Sie kinn’n ’s ’m salber sagen, a nimmt nischt oa vu mir, a meent immer: a wär ok beim Inschinnär gemit’t.
HELENE.
Dann schick’ ihn wenigstens rein.
(Miele ab. Helene tritt vor den Spiegel, ordnet dies und das an ihrer Toilette; währenddeß tritt Eduard ein.)
HELENE
(immer noch vor dem Spiegel). Eduard, stellen Sie Sekt kalt und öffnen Sie Austern! Herr Hoffmann hat es befohlen.
EDUARD.
Sehr wohl, Fräulein. (Eduard ab. Gleich darauf klopft es an die Mittelthür.)
HELENE
(fährt zusammen). Großer Gott! – (zaghaft:) Herein! – (lauter und fester:) herein!
LOTH
(tritt ein ohne Verbeugung). Ach, um Verzeihung! – ich wollte nicht stören, – mein Name ist Loth.
HELENE
(verbeugt sich tanzstundenmäßig).
STIMME HOFFMANN’S
(durch die geschlossene Zimmerthür). Kinder! keine Umstände! – ich komme gleich heraus. Loth! es ist meine Schwägerin Helene Krause! und Schwägerin! es ist mein Freund Alfred Loth! Betrachtet Euch als vorgestellt.
HELENE.
Nein, über Dich aber auch!
LOTH.
Ich nehme es ihm nicht übel, Fräulein! bin selbst, wie man mir sehr oft gesagt hat, in Sachen des guten Tons ein halber Barbar. – Aber wenn ich Sie gestört habe, so . . .
HELENE.
Bitte, – Sie haben mich gar nicht gestört, – durchaus nicht. (Befangenheitspause, hierauf:) Es ist . . . . [28]es ist schön von Ihnen, daß – Sie meinen Schwager aufgesucht haben. Er beklagt sich immer von . . . er bedauert immer, von seinen Jugendfreunden so ganz vergessen zu sein.
LOTH.
Ja, es hat sich zufällig so getroffen. – Ich war immer in Berlin und daherum – wußte eigentlich nicht wo Hoffmann steckte. Seit meiner Breslauer Studienzeit war ich nicht mehr in Schlesien.
HELENE.
Also nur so zufällig sind Sie auf ihn gestoßen?
LOTH.
Nur ganz zufällig – und zwar gerade an dem Ort, wo ich meine Studien zu machen habe.
HELENE.
Ach, Spaß! – Witzdorf und Studien machen, nicht möglich! in diesem armseligen Neste?!
LOTH.
Armselig nennen Sie es? – Aber es liegt doch hier ein ganz außergewöhnlicher Reichthum.
HELENE.
Ja doch! in der Hinsicht . . .
LOTH.
Ich habe nur immer gestaunt. Ich kann Sie versichern, solche Bauernhöfe giebt es nirgend wo anders, da guckt ja der Überfluß wirklich aus Thüren und Fenstern.
HELENE.
Da haben Sie recht: in mehr als einem Stalle hier fressen Kühe und Pferde aus marmornen Krippen und neusilbernen Raufen! das hat die Kohle gemacht, die unter unseren Feldern gemuthet worden ist, die hat die armen Bauern im Handumdrehen steinreich gemacht (sie weist auf das Bild an der Hinterwand). Sehen Sie da – mein Großvater war Frachtfuhrmann; das Gütchen gehörte ihm, aber der geringe Boden ernährte ihn nicht, da mußte er Fuhren machen. – Das dort ist er selbst in der blauen Blouse – man trug damals noch solche blaue Blousen. – Auch mein Vater als junger Mensch [29]ist darin gegangen. – Nein! – so meinte ich es nicht – mit dem »armselig«; nur ist es so öde hier. So . . . gar nichts für den Geist giebt es. Zum Sterben langweilig ist es.
(Miele und Eduard ab- und zugehend decken den Tisch rechts im Hintergrunde.)
LOTH.
Giebt es denn nicht zuweilen Bälle oder Kränzchen?
HELENE.
Nicht ’mal das giebt es. Die Bauern spielen, jagen, trinken . . . was sieht man den ganzen Tag? (sie ist vor das Fenster getreten und weist mit der Hand hinaus) hauptsächlich solche Gestalten.
LOTH.
Hm! Bergleute.
HELENE.
Welche gehen zur Grube, welche kommen von der Grube: das hört nicht auf. – Wenigstens ich sehe immer Bergleute. Denken Sie, daß ich alleine auf die Straße mag? höchstens auf die Felder, durch das Hinterthor. Es ist ein zu rohes Pack! – und wie sie einen immer anglotzen, so schrecklich finster – als ob man geradezu was verbrochen hätte.
Im Winter, wenn wir so manchmal Schlitten gefahren sind[,] und sie kommen dann in der Dunkelei in großen Trupps über die Berge, im Schneegestöber[,] und sie sollen ausweichen, da gehen sie vor den Pferden her und weichen nicht aus. Da nehmen die Bauern manchmal den Peitschenstiel, anders kommen sie nicht durch. Ach, und dann schimpfen sie hinterher. Hu! ich habe mich manchmal so entsetzlich geängstigt.
LOTH.
Und nun denken Sie an: Gerade um dieser Menschen willen – vor denen Sie sich so sehr fürchten, bin ich hierher gekommen.
HELENE.
Nein aber . . .
[30]LOTH.
Ganz im Ernst, sie interessiren mich hier mehr als Alles andere.
HELENE.
Niemand ausgenommen?
LOTH.
Nein.
HELENE.
Auch mein Schwager nicht ausgenommen?
LOTH.
Nein! – das Interesse für diese Menschen ist ein ganz anderes, – höheres . . . verzeihen Sie, Fräulein! Sie können das am Ende doch wohl nicht verstehen.
HELENE.
Wieso nicht? ich verstehe Sie sehr gut. Sie . . . (sie läßt einen Brief aus der Tasche gleiten, Loth bückt sich darnach) ach, lassen Sie . . . es ist nicht wichtig, nur eine gleichgültige Pensionscorrespondenz.
LOTH.
Sie sind in Pension gewesen?
HELENE.
Ja, in Herrnhut. Sie müssen nicht denken, daß ich . . . nein, nein, ich verstehe Sie schon.
LOTH.
Ich meine[,] die Arbeiter interessiren mich um ihrer selbst willen.
HELENE.
Ja, freilich, – es ist ja sehr interessant . . . so ein Bergmann . . . wenn man’s so nehmen will . . . es giebt ja Gegenden, wo man gar keine findet, aber wenn man sie so täglich . . .
LOTH.
Auch wenn man sie täglich sieht, Fräulein . . . man muß sie sogar täglich sehen, um das Interessante an ihnen herauszufinden.
HELENE.
Nun, wenn es so schwer herauszufinden . . . was ist es denn dann? das Interessante mein’ ich.
LOTH.
Es ist zum Beispiel interessant, daß diese Menschen, wie Sie sagen, immer so gehässig oder finster blicken.
[31]HELENE.
Wieso meinen Sie, daß das besonders interessant ist?
LOTH.
Weil es nicht das Gewöhnliche ist. Wir Anderen pflegen doch nur zeitweilig und keineswegs immer so zu blicken.
HELENE.
Ja, weshalb blicken sie denn nur immer so . . . so gehässig, so mürrisch? es muß doch einen Grund haben.
LOTH.
Ganz recht! und den möchte ich gern herausfinden.
HELENE.
Ach Sie sind! Sie lügen mir was vor. Was hätten Sie denn davon, wenn Sie das auch wüßten?
LOTH.
Man könnte vielleicht Mittel finden, den Grund, warum diese Leute immer so freudlos und gehässig sein müssen, wegzuräumen; – man könnte sie vielleicht glücklicher machen.
HELENE
(ein wenig verwirrt). Ich muß Ihnen ehrlich sagen, daß . . . aber gerade jetzt verstehe ich Sie doch vielleicht ein ganz klein wenig. – Es ist mir nur . . . nur so ganz neu, so – ganz – neu!
HOFFMANN
(durch die Thüre rechts eintretend, er hat eine Anzahl Briefe in der Hand). So! da bin ich wieder. – Eduard! daß die Briefe noch vor 8 auf der Post sind (er händigt dem Diener die Briefe ein, der Diener ab).
So, Kinder! jetzt können wir speisen. – Unerlaubte Hitze hier! September und solche Hitze! (Er hebt den Champagner aus dem Eiskübel.) Veuve Cliquot: Eduard kennt meine stille Liebe; (zu Loth gewendet:) habt ja furchtbar eifrig disputirt. (Tritt an den fertig gedeckten, mit Delicatessen überladenen Abendtisch, reibt sich die Hände.) Na! das sieht ja recht gut aus! (mit einem verschmitzten Blick [32]zu Loth hinüber:) meinst Du nicht auch? – Übrigens, Schwägerin! wir bekommen Besuch: Kahl-Wilhelm. Er war auf den Hof.
HELENE
(macht eine ungezogene Geberde).
HOFFMANN.
Aber Beste! Du thust fast, als ob ich ihn . . . was kann denn ich dafür? hab’ ich ihn etwa gerufen? (Man hört schwere Schritte draußen im Hausflur.) Ach! das Unheil schreitet schnelle.
(Kahl tritt ein ohne vorher angeklopft zu haben. Er ist ein vierundzwanzigjähriger, plumper Bauernbursch, dem man es ansieht, daß er, so weit möglich, gern den feinen, noch mehr aber den reichen Mann herausstecken möchte. Seine Gesichtszüge sind grob, der Gesichtsausdruck vorwiegend dumm-pfiffig. Er ist bekleidet mit einem grünen Jaquet, bunter Sammtweste, dunklen Beinkleidern und Glanzlack-Schaftstiefeln. Als Kopfbedeckung dient ihm ein grüner Jägerhut mit Spielhahnfeder. Das Jaquet hat Hirschhornknöpfe, an der Uhrkette Hirschzähne etc., stottert.)
KAHL.
Gun’n Abend mi’nander! (Er erblickt Loth, wird sehr verlegen und macht stillstehend eine ziemlich klägliche Figur.)
HOFFMANN
(tritt zu ihm und reicht ihm die Hand aufmunternd). Guten Abend, Herr Kahl!
HELENE
(unfreundlich). Guten Abend.
KAHL
(geht mit schweren Schritten quer durch das ganze Zimmer auf Helene zu und giebt ihr die Hand). ’n Abend och, Lene.
HOFFMANN
(zu Loth). Ich stelle Dir hiermit Herrn Kahl vor, unseren Nachbarssohn.
KAHL
(grinst und dreht den Hut. Verlegenheitsstille).
[33]HOFFMANN.
Zu Tisch Kinder! fehlt noch Jemand? Ach, die Schwiegermama. Miele! bitten Sie Frau Krause zu Tisch.
(Miele ab durch die Mittelthür.)
MIELE
(draußen im Hausflur schreiend). Frau!! – Frau!! Assa kumma! Se sill’n assa kumma!
(Helene und Hoffmann blicken einander an und lachen verständnißinnig, dann blicken sie vereint auf Loth.)
HOFFMANN
(zu Loth). Ländlich, sittlich!
(Frau Krause erscheint, furchtbar aufgedonnert. Seide und kostbarer Schmuck. Haltung und Kleidung verrathen Hoffart, Dummstolz, unsinnige Eitelkeit.)
HOFFMANN.
Ah! da ist Mama! – Du gestattest, daß ich Dir meinen Freund Dr. Loth vorstelle.
FRAU KRAUSE
(macht einen undefinirbaren Knix). Ich bin so frei! (Nach einer kleinen Pause:) Nein, aber auch, Herr Doctor, nahmen Sie mir’s ock bei Leibe nicht ibel! Ich muß mich zurerscht muß ich mich vor ihn’n vertefentiren, (sie spricht je länger, um so schneller) vertefentiren wegen meiner vorhinigten Benehmigung. Wissen Se, verstihn Se, es komm’ ein der Drehe bei uns eine so ane grußmächtige Menge Stremer . . . . Se kinn’s ni gleba, ma hoot mit dan Battelvulke seine liebe Noth. A su Enner, dar maust akrat wie a Ilster; uf da Pfennig kimmt’s ins ne ernt oa, ne ock ne, ma braucht a ni dreimol rimzudrehn, au ken’n Thoaler nich, eeb ma’n ausgibbt. De Krausa-Ludwig’n, die iis geizig, schlimmer wie a Homster egelganz, die ginnt ke’m Luder nischt. Ihrer is gesturba aus Arjer, weil a lumpigte zwetausend ei Brassel verloern hoot. Ne, ne! a su sein mir dorchaus nicht. Sahn Se, doas Buffett kust’t mich zwehundert Thoaler, a [34]Transpurt ni gerechent; na, d’r Beron Klinkow koans au ne andersch honn.
(Frau Spiller ist kurz nach Frau Krause ebenfalls eingetreten, sie ist klein, schief und mit den zurückgelegten Sachen der Frau Krause herausgestutzt. Während Frau Krause spricht, hält sie mit einer Art Andacht die Augen zu ihr aufgeschlagen. Sie ist etwa fünfundfünfzig Jahre alt, ihr Ausathmen geschieht jedesmal mit einem leisen Stöhnen, welches auch, wenn sie redet, regelmäßig wie – m – hörbar wird.)
FRAU SPILLER
(mit unterwürfigem, wehmüthig gezierten moll-Ton, sehr leise). Der Baron Klinkow haben genau dasselbe Buffet – m –.
HELENE
(zu Frau Krause). Mama! wollen wir uns nicht erst setzen, dann . . . . .
FRAU KRAUSE
(wendet sich blitzschnell und trifft Helene mit einem vernichtenden Blick; kurz und herrisch). Schickt sich doas? (Frau Krause, im Begriff sich zu setzen, erinnert sich, daß das Tischgebet noch nicht gesprochen ist, und faltet mechanisch, doch ohne ihrer Bosheit im Übrigen Herr zu sein, die Hände.)
FRAU SPILLER
(spricht das Tischgebet).
Komm’, Herr Jesu, sei unser Gast,
Segne, was Du uns bescheeret hast.
Amen.
(Alle setzen sich mit Geräusch. Mit dem Zulangen und Zureichen, welches einige Zeit in Anspruch nimmt, kommt man über die peinliche Situation hinweg.)
HOFFMANN
(zu Loth). Lieber Freund, Du bedienst Dich wohl?! Austern?
[35]LOTH.
Nun, will probiren, es sind die ersten Austern, die ich esse.
FRAU KRAUSE
(hat soeben eine Auster geschlürft. Mit vollem Munde). In dar Seisong mein’n Se woll?
LOTH.
Ich meine überhaupt.
(Frau Krause und Frau Spiller wechseln Blicke.)
HOFFMANN
(zu Kahl, der eine Citrone mit den Zähnen auspreßt). Zwei Tage nicht gesehen, Herr Kahl! Tüchtig Mäuse gejagt in der Zeit?
KAHL.
N . . . n . . ne!
HOFFMANN
(zu Loth). Herr Kahl ist nämlich ein leidenschaftlicher Jäger.
KAHL.
D . . d . . die M . . mm . . maus, das ist ’n in . . . in . . infamtes Am . . am . . amf . . ff . . fibium.
HELENE
(platzt heraus). Zu lächerlich ist das, Alles schießt er todt, Zahmes und Wildes.
KAHL.
N . . nächten hab ich d . . d . . die alte Szss . . sau vu ins t . . todt g . . g . . geschossen.
LOTH.
Da ist wohl Schießen Ihre Hauptbeschäftigung?
FRAU KRAUSE.
Herr Kahl thut’s ock bloßig zum Prifatvergnigen.
FRAU SPILLERN.
Wald, Wild, Weib pflegten Seine Exellenz der Herr Minister von Schadendorf oftmals zu sagen.
KAHL.
I . . i . . iberm . . m . . murne hab’n mer T . . t . . tau . . t . . taubenschießen.
LOTH.
Was ist denn das: Taubenschießen?
HELENE.
Ach, ich kann so was nicht leiden; es ist doch nichts als eine recht unbarmherzige Spielerei. [36]Ungezogene Jungens, die mit Steinen nach Fensterscheiben zielen, thun etwas Besseres.
HOFFMANN.
Du gehst zu weit, Helene.
HELENE.
Ich weiß nicht –, meinem Gefühl nach hat es weit mehr Sinn, Fenster einzuschmeißen, als Tauben an einem Pfahl festzubinden und dann mit Kugeln nach ihnen zu schießen.
HOFFMANN.
Na, Helene, – man muß doch aber bedenken . . . .
LOTH
(irgend etwas mit Messer und Gabel zerschneidend). Es ist ein schandbarer Unfug.
KAHL.
Um die p . poar Tauba . . . . !
FRAU SPILLER
(zu Loth). Der Herr Kahl – m –, müssen Sie wissen, haben zweihundert Stück im Schlage.
LOTH.
Die ganze Jagd ist ein Unfug.
HOFFMANN.
Aber ein unausrottbarer. Da werden zum Beispiel eben jetzt wieder fünfhundert lebende Füchse gesucht, alle Förster hier herum und auch sonst in Deutschland verlegen sich auf’s Fuchsgraben.
LOTH.
Was macht man denn mit den vielen Füchsen?
HOFFMANN.
Sie kommen nach England, wo sie die Ehre haben, von Lords und Ladys gleich vom Käfig weg zu Tode gehetzt zu werden.
LOTH.
Muhamedaner oder Christ, Bestie bleibt Bestie.
HOFFMANN.
Darf ich Dir Hummer reichen, Mama?
FRAU KRAUSE.
Meinswejen, ei dieser Seisong sind se sehr gutt!
FRAU SPILLER.
Gnädige Frau haben eine so feine Zunge – m –!
FRAU KRAUSE
(zu Loth). Hummer ha’n Sie woll auch noch nich gegassen, Herr Ducter?
[37]LOTH.
Ja, Hummer habe ich schon hin und wieder gegessen –, an der See oben, in Warnemünde, wo ich geboren bin.
FRAU KRAUSE
(zu Kahl). Gell, Wilhelm, ma weeß wirklich’n Gott manchmal nich mee, was ma assen sull?
KAHL.
J . . j . . ja, w . . w . . weeß . . . weeß G . . Gott, Muhme.
EDUARD
(will Loth Champagner eingießen). Champagner.
LOTH
(hält sein Glas zu). Nein! . . . danke!
HOFFMANN.
– Mach’ keinen Unsinn.
HELENE.
Wie, Sie trinken nicht?
LOTH.
Nein, Fräulein.
HOFFMANN.
Na, hör mal an: das ist aber doch . . . das ist langweilig.
LOTH.
Wenn ich tränke, würde ich noch langweiliger werden.
HELENE.
Das ist interessant, Herr Doctor.
LOTH
(ohne Tact). Daß ich langweiliger werde, wenn ich Wein trinke?
HELENE
(etwas betreten). Nein, ach nein, daß . . . . daß Sie nicht trinken . . . . , daß Sie überhaupt nicht trinken, meine ich.
LOTH.
Warum soll das interessant sein?
HELENE
(sehr roth werdend). Es ist . . . . ist nicht das Gewöhnliche. (Wird noch röther und sehr verlegen.)
LOTH
(tollpatschig). Da haben Sie Recht, leider.
FRAU KRAUSE
(zu Loth). De Flasche kust uns fufza Mark, Sie kinn’ a dreiste trink’n. Direct vu Rheims iis a, mir satz’n Ihn’ gewiß nischt Schlechtes vier, mir mieja salber nischt Schlechtes.
[38]FRAU SPILLER.
Ach, glauben Sie mich – m –, Herr Doctor, wenn Seine Exellenz der Herr Minister von Schadendorf – m – so eine Tafel geführt hätten . . . .
KAHL.
Ohne men’n Wein kennt ich nich laben.
HELENE
(zu Loth). Sagen Sie uns doch, warum Sie nicht trinken?
LOTH.
Das kann gerne geschehen, ich . . . .
HOFFMANN.
Ä, was! alter Freund! (Er nimmt dem Diener die Flasche ab, um nun seinerseits Loth zu bedrängen.) Denk dran, wie manche hochfidele Stunde wir früher mit einander . . .
LOTH.
Nein, bitte bemühe Dich nicht, es . . .
HOFFMANN.
Trink heut mal!
LOTH.
Es ist Alles vergebens.
HOFFMANN.
Mir zu Liebe!
(Hoffmann will eingießen, Loth wehrt ab; es entsteht ein kleines Handgemenge.)
LOTH.
Nein! . . . nein, wie gesagt . . . nein! . . . nein danke.
HOFFMANN.
Aber nimm mir’s nicht übel . . . das ist eine Marotte.
KAHL
(zu Fr. Spiller). Wer nich will, dar hat schunn’.
FRAU SPILLER
(nickt ergeben).
HOFFMANN.
Übrigens, des Menschen Wille . . . und so weiter. So viel sage ich nur: ohne ein Glas Wein bei Tisch . . .
LOTH.
Ein Glas Bier zum Frühstück . . .
HOFFMANN.
Nun ja, warum nicht? ein Glas Bier ist was sehr gesundes.
LOTH.
Ein Cognac hie und da . . .
HOFFMANN.
Na, wenn man das nicht ’mal haben [39]sollte . . . zum Asceten machst Du mich nun und nimmer, das heißt ja dem Leben allen Reiz nehmen.
LOTH.
Das kann ich nicht sagen. Ich bin mit den normalen Reizen, die mein Nervensystem treffen, durchaus zufrieden.
HOFFMANN.
Eine Gesellschaft, die trockenen Gaumens beisammen hockt, ist und bleibt eine verzweifelt öde und langweilige, – für die ich mich im Allgemeinen bedanke.
FRAU KRAUSE.
Bei a Adlijen wird doch auch a so viel getrunk’n.
FRAU SPILLER
(durch eine Verbeugung des Oberkörpers ergebenst bestätigend). Es ist Schentelmen leicht viel Wein zu trinken.
LOTH
(zu Hoffmann). Mir geht es umgekehrt: mich langweilt im Allgemeinen eine Tafel, an der viel getrunken wird.
HOFFMANN.
Es muß natürlich mäßig geschehen.
LOTH.
Was nennst Du mäßig?
HOFFMANN.
Nun, . . . daß man noch immer bei Besinnung bleibt.
LOTH.
Aaah! . . . also Du giebst zu: die Besinnung ist im Allgemeinen durch den Alkohol-Genuß sehr gefährdet. – Siehst Du! deshalb sind mir Kneiptafeln – langweilig.
HOFFMANN.
Fürchtest Du denn so leicht Deine Besinnung zu verlieren?
KAHL.
Iiii . . . . . i . . ich habe n . n . . neulich ene Flasche Rrr . . . r . . rü . . . rüd . . desheimer, ene Flasche Sssssekt get . . t . . trunken. Oben drauf d . . d . . d . . dann nnoch eine [40]Flasche B . . b . . bordeaux, aber besuffen woar ich no n . . nich.
LOTH
(zu Hoffmann). Ach nein. Du weißt ja wohl, daß ich es war, der Euch nach Hause brachte, wenn Ihr Euch übernommen hattet. Ich hab’ immer noch die alte Bärennatur: nein, deshalb bin ich nicht so ängstlich.
HOFFMANN.
Weshalb denn sonst?
HELENE.
Ja, warum trinken Sie denn eigentlich nicht? bitte sagen Sie es doch.
LOTH
(zu Hoffmann). Damit Du doch beruhigt bist: ich trinke heut schon deshalb nicht, weil ich mich ehrenwörtlich verpflichtet habe, geistige Getränke zu meiden.
HOFFMANN.
Mit anderen Worten, Du bist glücklich bis zum Mäßigkeitsvereinshelden herabgesunken.
LOTH.
Ich bin völliger Abstinent.
HOFFMANN.
Und auf wie lange, wenn man fragen darf, machst Du diese . . . .
LOTH.
Auf Lebenszeit.
HOFFMANN
(wirft Gabel und Messer weg und fährt halb vom Stuhle auf). Pf! gerechter Strohsack!! (Er setzt sich wieder.) Offen gesagt, für so kindisch . . . verzeih’ das harte Wort.
LOTH.
Du kannst es gerne so benennen.
HOFFMANN.
Wie in aller Welt bist Du nur darauf gekommen.
HELENE.
Für so etwas müssen Sie einen sehr gewichtigen Grund haben – denke ich mir wenigstens.
LOTH.
Der existirt allerdings. Sie, Fräulein! – und Du, Hoffmann! weißt wahrscheinlich nicht, welche furchtbare Rolle der Alkohol in unserem modernen Leben spielt . . . Lies Bunge. wenn Du Dir einen Begriff [41]davon machen willst. – Mir ist noch gerade in Erinnerung, was ein gewisser Everett über die Bedeutung des Alkohols für die Vereinigten Staaten gesagt hat. – Notabene es bezieht sich auf einen Zeitraum von zehn Jahren. Er meint also: der Alkohol hat direct eine Summe von 3 Milliarden und indirect von 600 Millionen Dollars verschlungen. Er hat 300 000 Menschen getödtet, 100 000 Kinder in die Armenhäuser geschickt, weitere Tausende in die Gefängnisse und Arbeitshäuser getrieben, er hat mindestens 2000 Selbstmorde verursacht. Er hat den Verlust von wenigstens 10 Millionen Dollars durch Brand und gewaltsame Zerstörung verursacht, er hat 20 000 Wittwen und schließlich nicht weniger als 1 Million Waisen geschaffen. Die Wirkung des Alkohols, das ist das Schlimmste, äußert sich so zu sagen bis in’s dritte und vierte Glied. – Hätte ich nun das ehrenwörtliche Versprechen abgelegt, nicht zu heirathen, dann könnte ich schon eher trinken, so aber . . . meine Vorfahren sind alle gesunde, kernige und wie ich weiß, äußerst mäßige Menschen gewesen. Jede Bewegung[,] die ich mache, jede Strapaze, die ich überstehe, jeder Athemzug gleichsam führt mir zu Gemüth, was ich ihnen verdanke. Und dies, siehst Du, ist der Punkt: ich bin absolut fest entschlossen die Erbschaft, die ich gemacht habe, ganz ungeschmälert auf meine Nachkommen zu bringen.
FRAU KRAUSE.
Du! – Schwiegersuhn! – inse Bargleute saufen woarhaftig zu viel: Doas muuß woar sein.
KAHL.
Die saufen wie d’ Schweine.
[42]HELENE.
Ach! so etwas vererbt sich?
LOTH.
Es giebt Familien[,] die daran zu Grunde gehen, Trinkerfamilien.
KAHL
(halb zu Frau Krause, halb zu Helene). Euer Aaler, dar treibt’s au a wing zu tull.
HELENE
(weiß wie ein Tuch im Gesicht, heftig). Ach, schwatzen Sie keinen Unsinn!!!
FRAU KRAUSE.
Ne, do hier Enner a su ein patziges Froovulk oa; a su ne Prinzessen. Hängst de wieder a mol de Gnädige raus, wie? – A su fährt se a Zukinftigen oa. (Zu Loth, auf Kahl deutend:) ’s is nämlich d’r Zukinftige, missen Se nahmen, Herr Ducter, ’s is Alles eim Renen.
HELENE
(aufspringend). Hör auf! oder . . . hör auf, Mutter! oder . . .
FRAU KRAUSE.
Do hiert doch aber werklich . . . . na, do sprecha Se, Herr Ducter, iis das wull Bildung, hä? Weeß Gott, ich hal’ se wie mei egnes Kind, aber die treibt’s reen zu tull.
HOFFMANN
(beschwichtigend). Ach, Mama! thu’ mir doch den Gefallen . . . .
FRAU KRAUSE.
Neee!! groade – iich sah doas nich ein – a su ane Goans wie die iis . . . . do hiert olle Gerechtigkeet uff . . . . su ane Titte!
HOFFMANN.
Mama, ich muß Dich aber wirklich doch jetzt bitten, Dich . . . .
FRAU KRAUSE
(immer wüthender). Stats doaß doas Froovulk ei der Wertschoft woas oagreft . . . bewoare ne! Doa zeucht se an Flunsch biis hinger beede Leffel. – Oaber da Schillerich, oaber a Gethemoan, a sune tumme Scheißkarle, die de nischt kinn’n als lieja: vu dan’n läßt [43]se sich a Kupp verdrehn. Urnar zum Kränke krieja iis doas (schweigt bebend vor Wuth). . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
HOFFMANN
(begütigend). Nun – sie wird ja nun wieder . . . es war ja vielleicht – nicht ganz Recht . . . es (giebt Helenen, die in Erregung abseits getreten ist, einen Wink, auf den hin sich das Mädchen, die Thränen gewaltsam zurückhaltend, wieder auf seinen Platz begiebt).
HOFFMANN
(das nunmehr eingetretene peinliche Schweigen unterbrechend, zu Loth). Ja . . . von was sprachen wir doch? . . . Richtig! – vom biederen Alkohol. (Er hebt sein Glas.) Nun, Mama: Frieden! – Komm, stoßen wir an, – seien wir friedlich, – machen wir dem Alkohol Ehre, indem wir friedlich sind. (Frau Krause, wenn auch etwas widerwillig, stößt doch mit ihm an. Hoffmann, zu Helene gewendet.) Was, Helene?! – Dein Glas ist leer? . . . Ei der Tausend, Loth! Du hast Schule gemacht.
HELENE.
Ach . . . nein . . . ich . . .
FRAU SPILLER.
Mein gnädiges Fräulein, so etwas läßt tief . . . .
HOFFMANN.
Aber Du warst doch sonst keine von den Zimperlichen.
HELENE
(batzig). Ich hab eben heut keine Neigung zum Trinken, einfach!
HOFFMANN.
Bitte, bitte, bitte seeehr um Verzeihung . . . Ja, von was sprachen wir doch?
LOTH.
Wir sprachen davon, daß es Trinkerfamilien gäbe.
HOFFMANN
(auf’s Neue betreten). Schon recht, schon recht, aber . . .
[44](Man bemerkt zunehmenden Ärger in dem Benehmen der Frau Krause, während Herr Kahl sichtlich Mühe hat, das Lachen über etwas, das ihn innerlich furchtbar zu amüsiren scheint, zurückzuhalten. Helene beobachtet Kahl ihrerseits mit brennenden Augen, und bereits mehrmals hat sie durch einen drohenden Blick Kahl davon zurückgehalten, etwas auszusprechen, was ihm so zu sagen auf der Zunge liegt. Loth, ziemlich gleichmüthig, mit Schälen eines Apfels beschäftigt, bemerkt von alledem nichts.)
LOTH.
Ihr scheint übrigens hier ziemlich damit gesegnet zu sein.
HOFFMANN
(nahezu fassungslos). Wieso? . . . mit . . . mit was gesegnet?
LOTH.
Mit Trinkern natürlicherweise.
HOFFMANN.
Hm! . . . meinst Du? . . , ach . . . jaja . . . , allerdings, die Bergleute . . . . .
LOTH.
Nicht nur die Bergleute. Zum Beispiel hier in dem Wirthshaus, wo ich abstieg, bevor ich zu Dir kam, da saß ein Kerl so: (er stützt beide Ellenbogen auf den Tisch, nimmt den Kopf in die Hände und stiert auf die Tischplatte).
HOFFMANN.
Wirklich? (Seine Verlegenheit hat den höchsten Grad erreicht; Frau Krause hustet, Helene starrt noch immer auf Kahl, welcher jetzt am ganzen Körper vor innerlichem Lachen bebt; sich aber doch noch so weit bändigt, nicht laut herauszuplatzen.)
LOTH.
Es wundert mich, daß Du dieses – Original – könnte man beinahe sagen, noch nicht kennst. Das Wirthshaus ist ja gleich hier nebenan das. Mir wurde gesagt, es sei ein hiesiger steinreicher Bauer, der seine Tage und Jahre [45]buchstäblich in diesem selben Gastzimmer mit Schnapstrinken zubrächte. Das reine Thier ist er natürlich. Diese furchtbar öden, versoffenen Augen, mit denen er mich anstierte.
(Kahl, der bis hierher sich zurückgehalten hat, bricht in ein rohes, lautes, unaufhaltsames Gelächter aus, so daß Loth und Hoffmann, starr vor Staunen, ihn anblicken.)
KAHL
(unter dem Lachen hervorstammelnd). Woahrhaftig!!! das is ja . . . . das is ja woahrhaftig der . . . der Alte gewesen.
HELENE
(ist entsetzt und empört aufgesprungen. Zerknüllt die Serviette und schleudert sie auf den Tisch. Bricht aus). Sie sind . . . (macht die Bewegung des Ausspeiens) pfui!!! (Sie geht schnell ab.)
KAHL
(die aus dem Bewußtsein, eine große Dummheit gemacht zu haben, entstandene Verlegenheit gewaltsam abreißend). Ach woas! . . . Unsinn! ’s iis ju zu tumm! – iich gieh menner Wege. (Er setzt seinen Hut auf und sagt, indem er abgeht, ohne sich noch einmal umzuwenden.) ’n Obend!!!
FRAU KRAUSE
(ruft ihm nach). Koan Der’sch nich verdenken, Willem! (Sie legt die Serviette zusammen und ruft dabei.) Miele! (Miele kommt.) Räum’ ab! (Für sich, aber doch laut:) Su ane Gans.
HOFFMANN
(etwas aufgebracht). Ich muß aber doch ehrlich sagen, Mama . . !.
FRAU KRAUSE.
Mahr Dich aus. (Steht auf, schnell ab.)
FRAU SPILLER.
Die gnädige Frau – m – haben heut manches häusliche Ärgerniß gehabt – m –. Ich empfehle mich ganz ergebenst. (Sie steht auf und betet still, unter Augenaufschlag, dann ab.)
[46](Miele und Eduard decken den Tisch ab, Hoffmann ist aufgestanden und kommt mit einem Zahnstocher im Mund nach dem Vordergrund, Loth folgt ihm.)
HOFFMANN.
Ja, siehst Du, so sind die Weiber!
LOTH.
Ich begreife gar nichts von alledem.
HOFFMANN.
Ist auch nicht der Rede werth. – So etwas kommt wie bekannt in den allerfeinsten Familien vor, das darf Dich nicht abhalten ein paar Tage bei uns . . .
LOTH.
Hätte gern Deine Frau kennen gelernt, warum läßt sie sich denn nicht blicken?
HOFFMANN
(die Spitze einer frischen Cigarre abschneidend). Du begreifst, in ihrem Zustand . . . die Frauen lassen nun ’mal nicht von der Eitelkeit. Komm! wollen uns draußen im Garten bischen ergehen. – Eduard! den Kaffee in die Laube.
EDUARD.
Sehr wohl.
(Hoffmann und Loth ab durch den Wintergarten. Eduard ab durch die Mittelthür, hierauf Miele, ein Brett voll Geschirr tragend, ebenfalls ab durch die Mittelthür. Einige Augenblicke bleibt das Zimmer leer, dann erscheint
HELENE
(erregt, mit verweinten Augen, das Taschentuch vor den Mund haltend. Von der Mittelthür, durch welche sie eingetreten ist, macht sie hastig ein paar Schritte nach links und lauscht an der Thür von Hoffmann’s Zimmer). Oh! nicht fort! (Da sie hier nichts vernimmt, fliegt sie zur Thür des Wintergartens hinüber, wo sie ebenfalls mit gespanntem Ausdruck einige Secunden lauscht. Bittend und mit gefalteten Händen, inbrünstig:) Oh! nicht fort, geh’ nicht fort!
Der Vorhang fällt.