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Erster Akt

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Eine Gegend auf der Insel Ithaka, bergig, hoch gelegen, zum großen Teil mit Waldungen uralter Eichen bedeckt. Vorn ein felsiger Aufstieg, der an das Tor eines Gehöftes führt, das Gehöft des Eumaios.

Es ist um die Mittagszeit.

Eumaios, der Sauhirt, über die Sechzig, aber noch voller Kraft, sitzt auf der Bank neben dem Tor und beschäftigt sich mit einem schöngearbeiteten Bogen, den er mit Talg einreibt. Die Holzschale mit der Scheibe Talgs darin steht neben ihm, ferner Weinkrug und Becher.

Tiefer unten werden zwei schöngewachsene Mägde sichtbar, die mit Wassergefäßen auf dem Kopf die Felsenstiege hinansteigen. Die vorangehende der Wasserträgerinnen ist Melantho, Tochter des Ziegenhirten Melantheus, die andere Leukone, Enkeltochter des Eumaios.

Beide Mädchen halten eine Rast, indem sie die Wassergefäße von den Köpfen nehmen. Melantho hat rotbraunes Haar und ist rundlich und sinnlich. Leukone, schlank und dunkelhaarig, ist von vollkommenem Wuchs und edelster Schönheit.

Melantho

Schrecklich ist diese Mühsal. Niemals hatt' ich

so schlimme Tage als bei euch! – Nun freilich

gibst du mir keine Antwort. Bin ich etwa

schlechter als du? Mein Vater ist so viel

als dein Großvater: dieser hütet Säue,

mein Vater Ziegen! Das ist alles – und

kein großer Unterschied.

Leukone

Melantho, du

hast recht. Allein, was soll ich tun? Du klagst

und klagst, und doch kann ich die wasserlose Zeit,

die Vater Kronion über uns verhängt,

nicht wandeln, kann die heil'gen Wasserquellen,

die trockenen, nicht wieder springen machen.

Und steig' ich nicht wie du den steilen Pfad

hinab ans Meer zum Born der Arethusa?

Melantho

Es möchte gehn, wenn du nur reden wolltest. –

Ich bin ein Leben im Palast gewöhnt.

Reichlich genoß ich Gunst und gute Worte.

Sind diese Fürsten denn nicht mehr als du,

die um Penelopeias Hand sich streiten

und denen doch Melantho nicht zu schlecht war?

Leukone

seufzt

Nun bleibt mir wieder nur das Schweigen, Mädchen.

Melantho

Schweig, immer schweige nur, Hochmütige!

Die Wahrheit ist doch wahr. Ich könnte reden,

da solltest du erst recht die Augen auftun. –

Das Haupt der Werber ist Eurymachos!

Kein Mann auf Ithaka bestreitet das,

und auch kein Weib: selbst nicht Penelopeia.

Sie lechzt nach ihm wie eine Hündin, aber

das ist's: er gönnt sie dem Antinoos. –

Mir läuft er nach: Eurymachos. Mein Schatten

ist mir nicht halb so treu, das glaube mir.

Leukone

Wollt' ich nun reden, müßt' es dich verdrießen,

Melantho, und so laß uns weitergehn.

Melantho

Und weshalb hat man mich hierher verbannt?

Wer das nicht wüßte, wäre blind, Leukone.

Warum? Du weißt es ebenso wie ich.

Weil nicht allein Eurymachos mich gern hat,

sondern ein jeder, der mich sieht, und dies

Penelopeias Neid nicht dulden mag.

Leukone

Männern wie jenen zu gefallen, die

das Gastrecht schänden unten im Palast,

ist etwa nicht so schwer, als manche meinet:

was mich angeht, der Freier Wohlgefallen

beleidigt bittrer mich als wie ein Steinwurf.

Melantho

Bist du so keusch, Leukone? Ach, man weiß

von deiner Keuschheit, weiß es auch, weshalb

du jene Helden im Palast so sehr

verfolgst mit deinem Haß. Du kostest gern

den schwellenden Mund des noch nicht flüggen Jünglings.

Du liebst den Flaum mehr als den Bart, den Scheuen,

den zage Schüchternen mehr als den Starken,

der ohne viel zu seufzen packt und raubt.

Ich sage dir, dein Muttersöhnlein ist

weichlich und aller ganzen Männer Spott. –

Mag sein, man spürt ein Mitleid, möchte ihm

die runde Wange streicheln wie 'ner Schwester.

»O Telemach, wie bist du doch so hilflos

und dumm in deiner Unschuld«, denkt man wohl,

»wie sollst du gegen Helden dich denn wehren?«

Dann sagt er wohl: »Ruf mir die Schaffnerin,

daß sie – der Sandmann kommt – mich schnell zu Bett bringt.«

Sie will sich ausschütten vor Lachen.

Wie ist dein Schoßkind doch so wunderlich.

Leukone

indem sie Melantho den Wasserkrug auf den Kopf heben hilft

Irrtümer, die du liebst, mußt du behalten,

Melantho. Doch mein Schoßkind, wie du's nennst,

ist dein und mein und unsrer Eltern Herr.

Du wirst dich einstens dran erinnern müssen,

wenn du's auch jetzt vergessen hast. Genug.

Auch Leukone hat ihr Wassergefäß auf den Kopf gehoben, und beide schreiten hintereinander nach oben weiter. Bald sind sie im Begriff, an Eumaios vorüber ins Gehöft zu gehen, als der Hirt sie aufhält.

Eumaios

Melantho!

Melantho

Ja. Und was?

Eumaios

Leukone, eure

Augen sind jünger als meine: steigt dort nicht

ein Mann zu uns herauf?

Leukone

Ich sehe niemand,

Großvater.

Eumaios

Niemand siehst du?

Leukone

Niemand! Nein!

Eumaios

Nun, so verwirrt ein Dämon meine Augen.

Denn immer seh' ich Männer unsre Höh'

erklettern, deutlich! Dieser hatte weißes Haar,

und jener gestern war ein Jüngling. Doch

erheb' ich mich, sie zu begrüßen, ist's,

als löste sie ein Gott in Rauch und Luft.

Melantho schreitet weiter durch das Tor und verschwindet im Gehöft.

Eumaios

Nun sag mir, wie die neue Magd sich anläßt.

Leukone

Nicht gut, Großvater. Hätte doch die Fürstin

uns diese Dirne nicht ins Haus gesetzt!

Sie lästert alles, was uns lieb und wert ist.

Eumaios

Regierte jetzt auf Ithaka ein Mann,

er hätte diese Dirne stäupen lassen

und sie in Ketten den Phöniziern

verkauft für ihre Buhlschaft im Palaste,

nicht aber sie herauf zu uns gesandt.

Anders Penelopeia, die allmilde.

Was ist zu tun? Die Hündin haben wir

nun hier und alle Hunde auf dem Hals,

die hitzigen: jene, denen man sie wegnahm. –

Als jüngst zur Nacht Antinoos die Mauer

mit seinen Spießgesellen überstieg

und wie der Bergwolf einbrach ins Gehöfte,

erkannt' ich deutlich auch Eurymachos:

dieser vor allen ist Melanthos Buhle.

Sie hat ihn zu der frechen Tat verlockt

und er dazu die andern angestiftet.

Nun, sie empfingen einen blutigen Willkomm,

und schmählich endete ihr Bubenstück. –

Wie oft sahst du Antinoos, Leukone?

Leukone

Ich sah ihn unten in der Volksversammlung,

als Telemach das Schiff zu seiner Reise

erbat und er dawiderredete.

Dort sah ich ihn sowie er mich zuerst

und später niemals wieder. Doch er sprach

mich an mit ekelhaftem Blick und Wort.

Eumaios

Richtig! »Der Hirte Paris auf dem Ida«,

so sagte er, »sah dich nicht, schöne Hirtin!

Die heilige Aphrodite hätte sonst

im Wettstreit um den Apfel nicht gesiegt.« –

Leukone

So war's, Großvater. Freier! Räuber! Freier!

Sie alle wollen Telemachens Tod:

doch keiner wütend so wie er, ich weiß es!

so wie Antinoos, der widrige.

Eumaios

Hast du wohl Kunde aus der Stadt, Leukone,

ob Telemach von Pylos schon zurück ist?

Leukone

Schwerlich, denn noch erkenn' ich dort die Späher.

Eumaios

Wo siehst du Späher?

Leukone

Oh, ich sehe sie,

ob sie sich gleich verbergen, ganz genau!

Es sind die Späher des Antinoos.

Sie lauern auf den Vorgebirgen! Lauern

seit Wochen schon! Wie Räuber lauern sie

auf unsern – ihren Herrn, daß sie ihn töten.

Eumaios

der sich erhebt und betrachtet, was er gemacht hat

Vater Kronion, Hort der Unterdrückten!

geleite Telemach auf seiner Fahrt

und gib ihm guten Wind in seine Segel!

Leukone

Und bring ihn sicher durch die Bucht ans Land!

Sie und Eumaios spähen hinaus und hinab übers Meer.

Eumaios

Antinoos! muß man es glauben!? den

Odysseus selber auf den Knieen wiegte

und ihn als einen künft'gen Helden pries,

du trachtest seinem Sohne nach dem Leben,

von andrem zu geschweigen, was du vorhast.

Er steht auf.

O käme doch der mächtige Arm ins Land,

den Bogen hier, die Senne neu zu spannen!

Leukone

mit Bezug auf den Bogen in Eumaios' Hand, ohne die Last vom Kopfe zu nehmen

Ist dies der Bogen des Odysseus?

Eumaios

Ja,

er und kein andrer ist es, Mädchen. Sahst

du jemals einen zweiten so wie ihn?

Ich nicht! Ich niemals! Diesen Bogen spannte

dereinst Apoll, bevor Silen ihn führte,

der kundige Kentaur und Lehrer des

Dionysos. Im grauen Altertum

kam er nach Lakedaimon, und ihn fand

ein Jäger, ein Agid', und endlich kam er

bis auf Iphitos, der ihn unserm Herrn

dereinst als Gastgeschenk bescherte. – Du

blickst fragend, und du sahst die Waffe nie

in meiner Hand. Wisse: ich halte sie

seit Jahr und Tag verschlossen in der Lade.

Und wären nicht die Knechte draußen bei

den Herden, wäre das Gehöfte nicht

verlassen, hätt' ich endlich diese Nacht

nicht wunderlich geträumt, ich säße jetzt

nicht hier, mit dieser Waffe in den Händen.

Leukone

Was hast du wohl geträumt?

Eumaios

Ich weiß nicht. Niemand

darf es erfahren als der Seher, Kind!

Und morgen steig' ich in die Stadt hinab,

ihm alles zu eröffnen. – Sage mir:

Warst du heut nacht an meinem Lager?

Leukone

Ja.

Eumaios

Und hattest einen Speer im Arm?

Leukone

Ich hatte

den Speer ergriffen und im Arm.

Eumaios

Warum

nahmst du den Speer und tratst an meine Ruhstatt?

Leukone

Ich hörte Stimmen rufen und mir war,

die Wölfe kläfften wieder um die Mauer.

Eumaios

So hast du träumend meinen Traum bevölkert,

Leukone, denn auf deiner Schulter saß

der Vogel der Athene, und du sprachst

mit Götterstimme Göttliches. Genug:

Ich tat, was mir befohlen ward; mit Stiertalg

rieb ich den Bogen, auch die frische Senne

aus Schafsdarm liegt bereit. Mag er nun kommen,

der Schütz, dem ich die Pfeile aufbewahrt.

Man hört Hundegebell.

Was gibt's, was für ein Aufruhr?

Leukone

's ist der Bettler,

ich seh' ihn! – dort! – der aus dem Eichwald tritt.

Eumaios

He, Bettelmann! heb einen Stein auf, schleudre!

Er pfeift den Hunden, deren rasendes Gebell näher kommt, nimmt Steine auf und läuft ab.

He, Wächter! Wolf! Saupacker! Halt! Hierher!

Ein Bettler erscheint atemlos, gehetzt und stürzt vor Leukone nieder, ihre Knie umfassend. Es ist Odysseus selbst, unkenntlich vor Alter, Elend und Lumpen.

Odysseus

Du Hohe! Ob du eine Göttin seist,

ob eine von den Töchtern dieser Insel:

schutzflehend siehst du mich zu Füßen dir.

Von Antlitz gleichst du einer Himmlischen!

Selig dein Vater! selig deine Mutter!

Und dreimal selig, wer dereinst dich heimführt!

Leukone

Ich bin nur eine Hirtin, fremder Mann.

Odysseus

So wünscht' ich, dich nach Würde zu erhöhen,

mehr, als ich je es wünschte, das zu sein,

was ich, der beßre Tage sah, einst war.

Er läßt, scheinbar entkräftet, den Kopf sinken.

Leukone

zu Eumaios, der eilig wieder erscheint

Er atmet nicht mehr!

Eumaios

– Atmet nicht mehr?

Leukone

Nein!

Eumaios

Ins Haus, Leukone, eile, bring den Balsam,

den ich, du weißt es, in dem Schiffe der

Phönizier jüngst mir tauschte, und bring Wein.

Wein ist ein Arzt, wenn allzu bittre Mühsal

den Mann, wie diesen hier, entkräftet hat.

Leukone schreitet ins Haus. Odysseus und Eumaios bleiben allein; dieser, um ihn bemüht, fährt fort

Zu spät! Der Pfeile Freundin Artemis

hat ihn mit sanftem Bogenschuß erlöst.

Odysseus

Du irrst! Der hier vor dir im Staube Tränen

vergießt – ihn meidet Artemis' Geschoß!

Taub bleibt die Göttin seinem Flehn! Er muß

das Leben tragen! weitertragen! und

ein Elend schleppen ohne Maß und Ziel,

verhaßt den Himmlischen, von den Geschlechtern

der Menschen ausgestoßen und vergessen.

Eumaios

Wer du auch sein magst, Mann, verzage nicht!

Es ziemt mir nicht zu fragen, ehe du

mit Speise dich und einem Trunk erquickt,

von welcher Art dein Leiden sei und welcher

von allen Göttern dich zumeist verfolgt. –

Doch glaube mir: nur die Unsterblichen

sind frei von Trübsal! ... Ja, auch diese nicht

durchaus! – Steh auf! gedenk der Himmlischen!

und trink.

Leukone hat Wein in einen Becher gegossen und reicht ihn dar.

Odysseus

Soll ich der Himmlischen gedenken,

umringt von Schatten? ich? ein Toter? ein

Vergessener!? der aus Aïdes' Reich,

gewohnt an Finsternis, emportaucht! –? der

sie, die im Lichte wandeln, kaum noch kennt,

verschwornen Auges blinzelnd! – Soll ich opfern?

Wem soll ich opfern? Helios, der mich

mit seinem unbarmherzigen Glanze scheucht?

Poseidaon, dem Unversöhnlichen?

Wem soll ich opfern? – Aïdes und dir,

Persephoneia, opfr' ich, gieß' ich meine Spende aus!!

Er gießt Wein aus dem Becher, ihn mit beiden Händen haltend, dann trinkt er mit Gier. Nachdem er getrunken hat, gibt er das leere Gefäß an Leukone zurück.

Hab Dank, Ehrwürdige, daß du die Seele

mir labst mit diesem Trunk! So goß ich Blut

den Toten in die Grube, schwarz und süß

aufduftend, gleich dem Wein, und rauchend! – und

die Schatten tranken gierig, wie ich hier!

O meine Mutter! mit dem blanken Schwert

mußt' ich es dir verwehren, von dem Blut

zu schlürfen! Qual im Herzen, tat ich's! doch

ich tat's! ich wehrte dir! dann endlich trankest

auch du! – und deine Lippen regten sich,

und Worte, selbst wie Schatten, flüsterte

des Schattens Mund! – O Mutter! dreimal sprang ich

hinzu, dich zu umarmen! dreimal löste

dein Bild in nichts, gleich wie ein Traum, sich auf! –

O Mutter! – Traum ist alles um mich! – Traum! –

Eumaios

Verworrne Dinge sprichst du, Fremdling! und

du machst mich schaudern! – Der das Gastrecht hütet:

Zeus! sei uns gnädig. – Komm und setze dich!

Er geleitet den Bettler zur Bank und läßt ihn niedersitzen. Dann fährt er fort

Ein Hirte bin ich: Diener meines Herrn

und herrenlos! – Dies scheint dir wunderlich

vielleicht! – So ist's! 's ist wunderlich und ist

kein allzu freundlich Schicksal, leicht zu tragen!

vielmehr, der ärgsten Bürde gleich, oft schwer! –

Doch still davon! die Götter wollen's, und

er, der mein Herr ist – und nicht ist! –, er trägt

schwerer als ich, der ich, von Mangel nicht

berührt, daheim von seinem Wohlstand zehre,

während er fern ist, irrend – oder tot!

In seinem Namen sei willkommen, Fremdling!

Und wie ich mit dir teile Wein und Brot,

so mögen es die Götter fügen, daß

man ihm ein Gleiches tue wie ich dir,

wo er, entblößt von allem Nötigen

vielleicht – dir ähnlich – Mitleid heischend anklopft!

Verzieh ein wenig! Stärke dich mit Wein,

dem herzerfreuenden! indessen schlacht' ich

und rufe dich, ist alles wohl bestellt,

hinein zur Mahlzeit.

Eumaios, Bogen und Pfeile mit sich nehmend, geht in den Hof. Der Bettler sitzt eine Weile in sich gesunken da. Leukone steht in der Nähe und betrachtet den Fremden gedankenvoll. Er bewegt plötzlich die Lippen.

Odysseus

Welchen Namen trägt

dies Land, auf das ich blicke?

Leukone

Ithaka!

Odysseus

wendet sich langsam und betrachtet Leukone fremd und geistesabwesend

Ich frage, wie dies Land heißt, wo ich bin! –?

Leukone

Dies Land ist Ithaka!

Odysseus

scheint nicht zu begreifen, läßt den Blick langsam durch die Fernen der Insel wandern

Ich werde nie –

ich fühl's – grausame Mächte! ... werde nie

auch nur den Rauch von meinem Heimatsherde

am fernsten Himmel steigen sehn! –

Leukone

Wenn du –

unmöglich kamst du doch zu Fuße, Fremdling ...

wo zoget ihr die Kiele auf den Strand?

Odysseus

blickt, ohne die Frage des Mädchens zu hören oder zu beantworten, unverwandten Auges in die Landschaft

Welch eine Qual ward mir nun wiederum

ersonnen? – Hilflos tast' ich um mich her,

gehüllt in Wahnsinn! – Wo ich landete? –

Es ist mir unbekannt! – Mit wem ich kam? –

Ich weiß es nicht! – Woher? – Könnt' ich es sagen!

Leukone

Bist du so sehr verwirrt, daß du nicht weißt,

woher und wie du zu uns kamst, so müssen

die Schmerzen, die du littest, furchtbar sein

und grauenvoll der Zorn der Himmlischen,

die dich verfolgen: denn ich wüßte mir

nicht eine Strafe auszudenken, schlimmer

als Wahnsinn! – Wenn die leere Finsternis

herrscht hinter eines Mannes Stirn, wo sonst

Zeus' Tochter thronend sitzt, die klare Gottheit:

so ist der Wurm im Schlamme glücklicher

und herrlicher als er! – Wie wäre dies

wohl für ein Menschenauge zu erdulden –

geschweige für ein göttliches! –, wenn Tote

im Licht sich spreizten, tränken, Speise schlängen

und wandelten!?

Odysseus

Sag mir: wie heißt dies Land? –

Leukone

Weißt du schon nicht, woher der Wind dich trug,

so wisse – und des magst du sicher sein,

Greis! –, dies ist Ithaka! Hier herrschte einst

Odysseus! Einst, nicht heut! – Heut herrschet hier

Gewalttat, Raub, Haß, Unterdrückung, Mord!

Odysseus

Und wer ... wer, sagst du, führte ehmals hier

das Szepter, Stimme? – Welcher Mann?

Leukone

Ein Gott!!

Odysseus

Und welchen Namen liehst du ihm?

Leukone

Odysseus!!

Odysseus

Sprich dies noch einmal, klar – und Laut für Laut.

Leukone

Es ist kein Ziegenhirt in Hellas' Grenzen

so taub und so geschieden von der Welt,

daß ihm vom Ruhme des Odysseus nicht

die Seele schauderte ... daß er vom Klange

des Namens nicht erbebte bis ins Mark,

den du, Unseliger, vorgibst, nicht zu kennen.

Odysseus

Ich kenne ihn!

Er verhüllt sein Haupt.

Leukone

Du mußt ihn kennen! Ja!

Den Städtezertrümmerer! im Völkerrat

den Ersten! jenen Mann, durch dessen List

die große Ilion zuletzt dahinsank.

Odysseus

enthüllt sein Haupt wiederum. Rätselhaft scheint die ausgebreitete Insellandschaft seinen Blick anzuziehen

Trug der Dämonen! – Wälder, ihr umgrünt

des Felsens Flanke wie ein Vlies. Zur Bucht

ergießt ein Strom sich. Weiden stehen dort

und Pappeln. Fischer liegen auf dem Fang,

und draußen kreuzen Segel. – Schließ' ich nun

mein Auge, oder tu' ich's auf: es ist

das gleiche Bild – dem innern Sinne und

dem äußeren die gleiche Wohltat! Und

beschränkt, befriedet gleichsam, ruht der Blick,

obgleich ihn sichtbar keine Schranke einschließt,

wie ein Verfolgter auf dem Bette der

Herberge eines Gottes selig aus! –

Und doch ist's Trug.

Leukone

So wäre dir dies Land

nicht fremd?

Odysseus

Gemach, und laß mich sinnen! Sage:

liegt hinter jenen sanften Hügeln dort,

die, vom Gewölk des Ölbaums grau umschattet,

den Strom verbergend, nach der Küste streben ...

liegt hinter ihnen ... zwar verborgen ...? Nein! –

Du lügst! ich weiß es! ... Und dort ist die Stadt

und liegt der königliche Sitz des Mannes,

den du mit Namen nanntest!

Leukone

Ja, so ist's!

Odysseus

Pallas Athene, Göttin, sprachst du das?

Teilst du die Nebel mir mit einem Strahle,

der mich nicht tötet! –? Heimat, bist du das? –

Stehst du noch da? – noch immer hier? – hast du

gewartet, treu, als wäre nichts geschehen?

Bist du von irdischem Stoffe?

Er hebt eine Handvoll Erde auf.

Ja, hier ist –

Gold – nicht Erde ... ist Ambrosia –

nicht Erde ... nein, nur Erde ist's!

Nicht schlechtes Gold und nicht Ambrosia.

Nur Erde! Erde! –

Sieh, hier dieser Staub

ist köstlicher als Purpur, köstlicher

als alle Frachten der Phönizier!

ist wundervoller als Kalypsos Bett!

süßer als Kirkes Leib, der Zauberin,

und schmeichlerischer anzufühlen! Biete

mir Helena – ich bin ein Bettler, habe

nichts außer diesen Lumpen –, biete mir

die heilige Troja, wie sie ging und stand:

Ein Korn von diesem Staube wiegt sie auf!

Leukone

Wer bist du?

Odysseus

Ich? Odysseus! ... war mein Freund.

Leukone

O fremder Vater, möge dieses Wort

dir nicht entschlüpfen, wenn du erst im Haus

gastlich bewirtet mit Eumaios tafelst:

denn allzuoft kommt einer so wie du

und fabelt, aus Gewinngier oder Not,

er wisse von Odysseus zu erzählen.

Worauf er dann, bis sich die Balken biegen,

zumeist mit dreister Gaunerstirne lügt.

Ich rate dir: schweig von Odysseus! Weder

behaupte, daß du ihn mit Augen sahst,

noch, daß ein Gastfreund dir von ihm berichtet,

noch, daß er kurz zuvor in einem Lande

gewesen sei, in das du kämest! Sage

nicht, daß er lebe! komm' es dir nicht bei

zu schwören, daß du sein Speerträger warst

vor Troja oder gar im Bauch des Pferdes

verborgen saßest, neben ihm! Vor allem,

wenn du auf Gaben hoffst, Nachtlager, Schutz,

so hüte dich, daß nicht ein Dämon dich

verleitet, bis du etwa prophezeist

und irreredest von Odysseus' Heimkehr!

Denn dies ist nun gewiß: er kehrt nie heim!

Odysseus

Wieso ist das gewiß?

Leukone

Die Götter haben

ihm fern von hier den Untergang bereitet,

und keine Hoffnung bleibt uns mehr!

Odysseus

So habt

ihr die gewisse Nachricht seines Todes?

Starb er denn rühmlich?

Leukone

Frag Poseidaon,

der ihn auf salziger Flut umhergehetzt,

ob er im Kampfe mit den Räuberschiffen

dahinsank oder ob den ruhmlos Ringenden

die See verschlang.

Odysseus

Man sagt – und wissen möcht' ich,

ob man mit Fug sagt –, dreizehn hauptumlockte

Achaier aus dem Schwarm, den einst der Held

gen Troja führte, seien wohlbehalten

jüngst heimgekehrt?!

Leukone

Jüngst heimgekehrt? Nicht einer

seit zwanzig langen Jahren. Er ist tot.

Und also zweifle niemand, daß er's ist,

und harre niemand sinnlos der Verschollnen,

denn dies heißt freveln! Unheil übergenug

hat Zweifeln, Zaudern, Harren uns gebracht. –

Was tust du?

Odysseus

Nichts! Mich schaudert's nur! Die Luft

ist kalt auf euren Felsen! – Gut, ich will,

um Essens willen, denn mich hungert! – will

den Namen, der mir auf der Zunge schwebt,

festbinden! Um ein Stück verschimmelt Brot

aus dem Gedächtnis tilg' ich ganz ihn aus. –

Doch sage mir: Wer ist es, der dem Helden

den Hügel wölbte? Totenopfer ausgoß? –

Blieb irgendwer zurück, um dies zu tun?

Leukone

Dies ist die Frage, Greis, die meine Seele

in Sorge zittern macht, seit Telemach

zu Schiffe ging, sich in der sandigen Pylos

Rats zu erholen bei dem alten Nestor;

ich selber war's, die ihn dazu bewog!

Auch riet ich ihm, zum allerletztenmal,

Kundschaft zu suchen von dem Vater, ob

noch irgend, daß er lebe, Hoffnung sei.

Ich riet – nichts hoffend und des Gegenteils

vielmehr gewiß – nur darum, daß er hier

männlich der unheilträchtigen Trauer steure,

der tatenlosen, kurzerhand den Hügel

aufhäufe, opfere, Geschenke bringe

und fortan, frei jedweden Zauderns, selbst

das Szepter halte, in dem Seinigen

als ein Gebieter waltend. Doch nun ist

zwiefach peinvolles Harren unser Los,

seitdem er fort ist: harrten wir des Vaters –

nun harren wir des Vaters und des Sohnes!

Fast dünkt des Sohnes Wiederkunft mir heut

ein Glück, weit inniger zu wünschen als

Odysseus' Wiederkehr! denn er ist jung

und jener alt, wo wir der Kraft bedürfen

und eines starken, jugendlichen Arms!

Nun steh' ich hier seit Wochen, spähend, blicke,

bis mich die Augen schmerzen, ferne hin.

Hätt' ich doch Fittiche, dem Kranich gleich,

zu fliegen, daß ich ihn verwarnte, ihm,

dem ahnungslosen Telemach, mit Fingern

die Meuchler wiese, die mit vielen Schiffen,

verteilt um unsre Küsten, auf ihn lauern:

um ihn zu töten, wie ihr Vorsatz ist!

Odysseus

Du sprichst von einem Manne!? Telemach? –

So lebt ... hieß nicht Odysseus' einz'ger Sohn,

den er zurückließ, saugend an den Brüsten

der Mutter, Telemach? Lebt Telemach?

Lebt dem Verschollnen, sage mir, ein Sohn?

Leukone

Träumst du noch immer? Auch die göttliche

Penelopeia lebt, des Sohnes Mutter!

Freilich, die sonderbarste Mutter, die

je einem Sohn beschieden war: umgeben

von einem Hofstaat wilder Freier, die

ihr huldigen, des Sohnes Gut verprassen,

ihm selber nach dem Leben trachtend! – Wohl,

du lächelst, Greis: dies scheint dir Widersinn!

Und doch sind jene Männer, die dort draußen

mit schamlos aufgeblähten Segeln kreuzen,

Penelopeias fürstliche Schmarutzer,

die ihre Duldung großzog, ihre Schwäche

ausbrütete, die ihr mit Schmeicheleien

die angsterfüllte Seele sättigten,

bis daß sie dumm und haltlos ward und ein

Gewebe webt, was sie zu endigen

nicht wünscht und webend immer wieder auftrennt.

Und wenn es diesen Werbern nun gelingt,

den Sohn zu morden der Umworbenen,

so ist, was sie trotzdem gewoben hat,

das Leichenhemde des Laertes nicht!

vielmehr des Sohnes, Telemachens Tod!

Odysseus

zerbricht seinen Stab

Das werdet ihr nicht wollen, Himmlische!

Eumaios

erscheint durch das Hoftor

Zween Ferkel braten, Fremder, uns am Spieß!

Komm nun.

Leukone

Er röchelt.

Eumaios

Bist du krank?

Leukone

Man sieht

das Weiße seines Auges nur, Großvater!

Eumaios

Laß gut sein, und bereite uns den Mischkrug,

Leukone. Dieses Mannes Seele ist

verschmachtet, und wer wüßte nicht, wie Mangel

den Menschen niederbeugt, der umgeworfen

im Raum des Schiffes wie ein totes Gut

geduldig Monde überdauern muß.

Leukone begibt sich in den Hof.

Du hast den Fuß auf festem Grunde, Vater!

Steh auf, tritt in mein Haus und tue Ehre

dem Tische an, der drinnen dir gedeckt steht.

Odysseus

erhebt sich langsam, von Eumaios gestützt, starrt nach der Stelle, wo Leukone gestanden hat

Die Göttin? – Sage mir, wohin entschwand

die Himmlische? – die aus Kronions Haupt

Entsprungene? – Sie war bei mir, sie stand

zween Fußbreit nur von dir entfernt! dort stand sie

und sprach! – Und was sie sprach, will ich bewahren

in meinem Herzen, bis die gute Stunde

des Glücks, wo eine mir beschieden ist,

den Mund mir überfließen macht! – Für jetzt

laß mich ... gewähre mir's, daß ich die Schwelle,

eh ich sie überschreite, mit den Lippen

berühren darf! Denn niemand fordere

von mir, daß ich das Antlitz dieses Steins

beleidige, das altehrwürdige:

durch ach wie viele schlummerlose Nächte

im wilden, ringenden Gebet ersehnt.

Er läßt sich nieder, drückt die Lippen auf die Eingangsschwelle des Hofes und liegt so, lange und schweigend. Endlich erhebt er sich und geht mit Eumaios in das Gehöft, wo beide verschwinden.

Der Bogen des Odysseus

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