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Der Wunsch nach Wasser ist nicht böse.

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Die Organisation, der der geheimnisumwitterte Oberst Nedbal vorsteht, sieht neue Probleme heraufziehen: Wie sollte es auch anders sein, es geht wie immer um Geschäfte! Inzwischen sind es natürlich weltweite Geschäfte! Seine engsten Mitarbeiter, es ist nur eine Handvoll, sitzen im Kreise. Alle kennen sich aus Kindertagen. Haben dann gemeinsam gekämpft und sich nach dem Krieg gemeinsam geschworen, stillschweigen über alle diese furchtbaren Vorfälle zu wahren. Das Leben geht eben weiter …

„Also, was haben wir an Fakten? Mohnanbau. Der wird zunehmend schwieriger, seit die Herkunft genmanipulierter Pflanzen in allen Stationen des Handelsweges nachgewiesen werden kann. Auch wenn alle anderen Einnahmefelder gut laufen, brauchen wir eine neue zusätzliche Einnahmequelle!“ „Es sollte etwas Zukunftssicheres sein. Öl, Gas, Banken, Ferienquartiere, Kommunikation, alles dies haben wir im Angebot. Nur eines fehlt uns. Wir handeln noch nicht mit Wasser!“

„Verspricht denn Wasser auch Gewinn?“ „Ich denke schon. Alle brauchen es und dort wo es im Überfluss vorhanden ist, will man soviel Wasser nicht mehr haben. Also Wasser erscheint mir das Richtige zu sein.“ „Und das könnte ein neues Standbein für auch künftigen Gewinn werden?“ „Ja, das brauchen wir! Aber könnte Wasser das schaffen?“ „Denken wir doch einmal genau nach: Der Mohnanbau war so ein Geldbringer. Mit dem haben wir bisher alle Beteiligungen finanziert. Wir könnten davon auch künftig leben. Aber es wird wie gesagt, zunehmend schwieriger! Nein, wir brauchen eine neue Idee! Etwas Zukunftsfestes! Noch denken alle Menschen in der Welt, Energie sei das Wichtigste. Gut und schön, aber was wird morgen in solchen Massen gebraucht und kann dann nicht in ausreichendem Maße beschafft werden? Menschen sind es ganz sicher nicht! Ich werde es Dir sagen, Wasser wird bald in gewaltigen Mengen gebraucht! Und wir müssen uns darauf einstellen, es überallhin leiten zu können.“ „Wie soll das gehen? Wir haben doch noch nicht einmal eine Vorstellung davon, wer es hat und wer es braucht.“

„Richtig! Das ist unsere neue Aufgabe! Wer hat Wasser und wer wird Wasser brauchen? Wir werden dafür sorgen, dass alle bekommen was sie wollen. Natürlich gegen Geld!“ „Und die übrigen Geschäftsfelder?“ „Die behalten wir vorerst bei. Die gehen zwar alle gut, besonders der Datenhandel und dessen Vermarktung ist genauso einträglich, wie der Mohnanbau einmal war. Aber wir müssen weiter denken. In die Zukunft planen.“

Die wenigen Vertrauten um Oberst Nedals besprechen noch viele Details aber das Wesentliche haben wir gehört. Und wir werden versuchen, immer wieder einmal in die Gespräche und Beschlüsse hineinzuhorchen. Aber eines kann man jetzt schon sagen: Wir werden dieser Handelsorganisation um Oberst Nedal, die hier gerade einen weitreichenden Beschuss fasste, noch viele Male begegnen. Heraus zubekommen, wer Oberst Nedal ist, wird uns genau sowenig gelingen wie auch einer ganzen Reihe von Kopfgeldjägern, die gerne die auf ihn gesetzte Millionenprämie kassieren würden ...

Und dann ist da noch Hano. Er ist ein Sohn aus dem Hause Sud. Dort wird Bildung als das Wichtigste angesehen und die nachwachsende Generation wird entsprechend erzogen. Als der große Krieg um Öl, Macht und Ideologien ausbrach, wurde er zurück gerufen von Oxford, wohin ihn seine Uni Kairo kurz zuvor und nach Abschluss des Staatsexamens zur Weiterbildung in Wirtschaftswissenschaften und Informatik gesandt hatte.

Im Krieg führte Hano, da hieß er noch anders, seine kleine Schar Königstreuer mit Gerissenheit und Begeisterung ebenso brutal wie erfolgreich. Das Nachdenken begann, als er mit Ene, einem Freund aus Kindertagen, auf einem Felsvorsprung über einem Wadi lag und das Lager der Islamisten auskundschaftete. Sie wurden entdeckt, überwältigt und verhört ...

... danach war nichts mehr wie vorher. Aber das Andere, das Neue, begann mit Fragen, mit Nachdenken und mit Großzügigkeit der Frager. Sie kannten sich ja, waren sie doch aus dem gleichen Ort, in dem auch Hano aufgewachsen war. Sie gingen sogar auf die gleiche Schule. Seitdem gilt der Mann, der nun Hano heißt, als verschollen. Nur wenige wissen, wer er wirklich ist. Die meisten haben den Krieg ohnehin nicht überlebt. Manchmal, nachts in einem Albtraum, sieht er Menschen sterben. Das möchte er in der Wirklichkeit nie wieder sehen müssen. Inzwischen hat Hano ein Handelshaus gegründet und pflegt über das Internet Beziehungen zu Menschen und Gesellschaften in der ganzen Welt. Es gehört zu seinen Leistungen, aus dem internationalen Datengewirr die Informationen herauszufiltern, die ihm nützlich sind.

Seine Wohnung liegt in dem neuen Staat, der aus dem Zusammenschluss dreier Kleinstaaten hervor ging. Sheikh Al Mood, der frühere Herrscher von Bruun, bekam von Hano Zuwendungen. Sie sicherten die freie Existenz der Firma. Das war der Anfang, die Basis. In einem Rechtsstaat moderner Prägung würde man dazu Korruption sagen. Seit die Forderungen des Sheikhs maßlos, die Dreistigkeit kaum noch zu überbieten war, und die Dummheit des Potentaten eine bessere Regierungsform nicht mehr erwarten ließ, prüften Hano und seine Frau Schar eine erneute Änderung in ihrem Leben. Und so entstand aus dem Zwang der Notlage heraus aus dem kleinen Handelshaus ein weltweit tätiger Konzern. Das erklärte Ziel des Hanos Handelshauses ist es, die Finanzkraft zu mehren. Nach außen hin tritt Hano als Konzernsprecher auf. Die Konzernleitung scheint aber gespalten zu sein. Irgendwo in den diversen Geschäftsfeldern steht eine Organisation, die von Oberst Nedal geführt wird. Nun ja, wenigstens Hano scheint Oberst Nedal zu kennen. Nur, zu Gesicht bekommen hat den außer Hano noch niemand. Wenn Probleme auftreten, wenn Hilfe gebraucht wird, wenden sich alle an Hano. Und der kann sich auf seine Freunde verlassen. Hano pflegt Beziehungen zu Nomadenstämmen im Norden Afrikas, Warlords in Afghanistan und Universitätsprofessoren diverser Universitäten genauso wie zur ersten Führungsriege der Vereinten Nationen (UN). Zurzeit bemühen sich Hano und seine Frau Schar, das Geschäftsfeld ihres Handelshauses noch einmal zu erweitern. Zu erweitern um den Wasserhandel! Und damit liegt die Handelsorganisation von Hano und Schar genau im Trend. Denn die Weltwirtschaft hat es begriffen: Wasser ist das weltweit angesagte Handelsgut. Aber um mit Wasser handeln zu können, muss zunächst ein Angebot verfügbar gemacht werden. Und wie sieht es mit dem Bedarf aus? Der ist einigermaßen bekannt, nur bezahlen kann kaum einer der armen Staaten das Wasser. Denn wo Wasser fehlt, herrscht die Armut! Daran muss gearbeitet werden! Das neue Geschäftsmodell muss dies alles berücksichtigen und darf nicht zu früh bekannt werden. Zu viele Kapitalgesellschaften auf der ganzen Welt suchen nach neuen Geschäftsfeldern ... Ob bei der gedanklichen Abrundung des neuen Betätigungsfeldes Oberst Nedal ebenfalls eingebunden ist, entzieht sich unserem Wissen. Allerdings, wir vermuten da so etwas …

Wir sollten uns auch noch einmal um diese Organisation, die von Oberst Nedal geführt wird, kümmern. Schön wäre es, wenn wir darüber etwas mehr in Erfahrung bringen könnten. Es bleibt schwierig! Nichts dringt nach außen! Keiner spricht. Es grenzt schon an ein Wunder, dass wir der Beschlussversammlung der wenigen Getreuen um Oberst Nedal so nahe kommen konnten ... Die meisten seiner Aktivitäten laufen im Verborgenen. Nur ganz Weniges wissen wir. Von seinen Gefährten aus vergangenen Kriegstagen weiß keiner so richtig, womit Oberst Nedal seinen Unterhalt verdient. Nur, dass er gut verdient, das ist bekannt! Und keiner weiß, wo er sich gerade aufhält. Er unterstütze und berate die Regierung des neuen Staates Kurdapotanien, sagt man. Aber wen er berät, wie er das macht? Keiner kann darauf eine Antwort geben. Früher haben sie alle zusammen vom Mohnanbau gut gelebt. Eines Tages hat Oberst Nedal alle seine Freunde wissen lassen, er stehe für den Transport und die Vermarktung nicht mehr zu Verfügung. Es sei zu gefährlich! Er hatte auch allen geraten, die Opiumproduktion einzustellen und stattdessen Korn anzubauen. Einen Rat, den natürlich nur wenige ernsthaft in Erwägung zogen. Und seitdem hat ihn keiner seiner früheren Freunde je wieder gesehen. Man könnte glauben, er sei tot. Aber nein, gelegentlich hört man von ihm. Kameraden aus alten Tagen berichten sich manchmal, er habe über eine Satellitenfrequenz angerufen, sich kurz beraten oder zu einem aktuellen Ereignis gratuliert und dann ohne Rückverfolgungsmöglichkeit wieder abgeschaltet. Er weiß scheinbar immer genau, wem ein Sohn geboren wird oder wer Ärger mit welchem Nachbarn hat. Wenn einer seiner Freunde in Not gerät, unterstützt er den dann. Oberst Nedal fragt selten nach dem Grund irgendeiner persönlichen Not. Unheimlich für die Betroffenen, den Grund scheint er immer zu kennen. Er ist eben auf unheimliche Weise präsent und doch nicht wirklich da! „Ich muss vorsichtig sein“, sagt er bei den wenigen Gesprächen, „ich werde ja noch immer gesucht.“ Dann wird die Frequenz abgeschaltet und es ist nichts mehr zu machen. Oberst Nedal bleibt unerreichbar.

Natürlich würden auch wir gern mehr über ihn wissen. Es bleiben uns nämlich immer nur und dazu lückenhafte Erkenntnisse darüber, womit er sein Geld im Moment nicht mehr verdient. Nichts ist zu erfahren darüber, womit er es jetzt verdient. Ich jedenfalls, ich würde es gerne wissen. Meine Neugier ist zu groß! Zum Beispiel war es einmal das Öl, das ihm großen Reichtum brachte. Ein geschätztes Handelsgut! Das Öl ist nun alle! Über den Mohnanbau sprachen wir schon. Was bleibt denn noch übrig? Menschen? Beteiligungen vielleicht, oder etwas, was die Bedürfnisse der Menschen sicherstellt? Menschen brauchen Infrastruktur, Wohnungen, Nahrung, Wasser. Wo könnten Oberst Nedals Aktivitäten liegen? Wir werden wohl auf einen Zufallstreffer hoffen müssen, wenn wir darüber etwas erfahren wollen.

Ganz anders Hano. Hano unterstützt seit Langem die UN-Universität Beirut. Dort hatte ja sein Stiefsohn Geno studieren können. Der ist heute ein angesehener wissenschaftlicher Mitarbeiter der UN mit Aussicht auf höchste Ämter. Noch heute begleitet er viele Forschungsprojekte seiner Uni-Beirut und es bleibt natürlich nicht aus, dass sich beide, Vater und Sohn, über das eine oder andere Vorhaben austauschen. Eines dieser Vorhaben, an dem Geno und dessen Studienfreund Ben Hagir schon zur Studienzeit geforscht haben ist das Projekt Aralsee. Es sind eigentlich zwei getrennte Teile. Zum einen die Verbesserung der Lebenssituation der Menschen rund um den Aralsee als Sofortmaßnahme. Und zum Anderen, die längerfristige Vorgabe, Wasser zum Aralsee zu leiten. Ben Hagir, Genos Freund, kommt von dort und ist deshalb für diese Arbeit besonders motiviert. Der erste Teil, die Verbesserung der Lebenssituation um den austrocknenden Aralsee wurde im Finanzausschuss der UN genehmigt und zur Ausführung freigegeben. Der Finanzrahmen soll 100 Millionen Dollar nicht überschreiten. Allerdings ist noch eine Eigenhilfe der dortigen Bevölkerung von ca. 20 Millionen Dollar zu erwarten. Zurzeit laufen die Ausschreibungen für die Ausrüstung und die Anwerbung des Personals. Inzwischen ist der leitende UN-Mitarbeiter Ben Hagir als Haupt-verantwortlicher für das Projekt benannt worden. Zunächst für den kleineren Teil, die UN-Sofortmaßnahmen. Er ist nicht allein. Seine Frau Fathma unterstützt ihn. Und Fathma ist die Zwillingsschwester von Fatima, und die ist Genos Frau.

Es ist ein Holzhauscamp in den Bergen. Es steht hoch über einer weiten Ebene, die langsam in die große Salzwüste übergeht. Dort sitzen zwei Männer zwischen ihren Computern und surfen im Internet. In diesem Monat ist dieses Camp hier die Kommandozentrale der Organisation, die sich mit der Bereitstellung von Wissen befasst. Es gibt noch fünf andere identische Einrichtungen auf der Welt, jede kann jederzeit die Gesamtführung übernehmen. Das Außenstehenden erklärbare Ziel der Organisation ist, der islamischen Welt die ihr zustehende Weltvormacht durch Geschäfte mit Firmenwissen zu sichern. Dies und die zunehmende Liberalisierung der ‚Islamischen Welt‘ soll eine Angleichung an westliche Normen sichern und sie konkurrenzfähig machen. Das interne Ziel der Organisation ist die Machtmaximierung und das Kapitalsammeln. Wie auch immer ...

Der geistige Kopf der Organisation, der sich Oberst Nedal nennen lässt, ist ein hochgebildeter Mann. Kein Mensch auf der Welt hätte jemals Kenntnis von ihm genommen, wären nicht einige spektakuläre Terrorakte verzweifelter Islamisten von ihm ausgewertet und über Internetseiten und unter seinem Namen an eine Reihe von Print- und Showmedien verkauft worden. Wegen der ungeklärten Urheberschaft der zum Teil grausigen Detailaufnahmen weigern sich inzwischen zwar eine Reihe von Sendern in der westlichen Welt seine Berichte zu veröffentlichen, aber alles zusammen führte nur dazu, Oberst Nedal weltweit zu suchen. Er soll für fast jeden Terrorismus zur Verantwortung gezogen werden. Die auf seinen Kopf ausgelobten Ergreifungsprämien sind hoch! Sein Einkommen aufgrund der Internetarbeit dieses und der anderen vier Camps sind aber um ein Vielfaches höher! Datenhandel eben! Seine Fachleute in der besagten Holzhaushütte, auf die er natürlich nicht verzichten kann und will, werden für ihre Datenarbeit blendend bezahlt ...

Die Hauptaufgabe der Camps besteht in der Ausforschung der über das Internet aus der ganzen Welt ausgetauschten Wirtschaftsdaten. Der Handel mit diesen Daten sichert die wirtschaftliche Basis der Organisation. Abnehmer der Daten sind hauptsächlich Firmen der westlichen Welt. Gehört, gesehen, verglichen, gespeichert, mit Wahrscheinlichkeitstheorien gefiltert, handlich präsentiert und verkauft. Ein schwunghafter Handel! Ein weltweites, ein gutes Geschäft. Zurzeit arbeiten die Computer im Camp 3 an einem Problem: Die Verschlüsselungstechnik einiger Globalplayer im Markt bereitet Verzögerungen. Es ist noch nicht gelungen, den neuesten Datensalat zu entwirren. Der Rechner arbeitet seit Stunden und liefert immer noch kein Ergebnis.

Indes wird die Organisation in keiner Weise mit dem Datenhandel in Verbindung gebracht. Von einigen Geheimdiensten allerdings wird sie als islamitisch-terroristisch eingestuft. Na, wenn die das meinen ... Kleine Killerkommandos und auch einige Einzelkämpfer wollen sich das von den Amerikanern auf Oberst Nedal ausgesetzte Kopfgeld in Höhe von zurzeit fünfzehn Millionen Dollar verdienen. Mit jeder neuen der Organisation anlastbaren Aktion, egal ob zu Recht oder Unrecht, erhöht sich die ausgesetzte Summe. Und entsprechend viele zwielichtige Abenteurer suchen in den Bergen nach seiner Spur. Bis jetzt hat ihn keiner gefunden. Und auch uns bleibt Oberst Nedal weitgehend unbekannt! Da trifft es sich gut, dass wir gelernt haben, einige seiner Aktionen richtig zu deuten.

Von den internen Problemen, dem Entschlüsseln des Datensalates, an dem sich die beiden Mitarbeiter dort oben im Gebirge seit Tagen versuchen, weiß natürlich kein Außenstehender. Genauso wenig wie Außenstehende über das Datensammeln überhaupt etwas wissen. Eine leise effiziente Arbeit von hoch motivierten und wie schon gesagt, hoch bezahlten Spezialisten. Keiner der beiden indischen Mathematiker hier oben macht sich echte Sorgen, ob das Datengewirr rechtzeitig zu lösen sein wird. Ob es überhaupt zu lösen sein wird? Es wird gelöst! Es dauert eben nur etwas länger!

Der Gedanke, hier würden die Killerkommandos der terroristischen Islamisten gesteuert, erscheint abwegig. Wenn man den Betrieb hier oben beobachten könnte, käme man auf diesen Gedanken zuletzt. Aber es muss wohl etwas dran sein an der Vermutung. Hier jedenfalls regiert vor allem die Vorsicht! Zu jeder Zeit, zu jeder Stunde kann das Camp 3 aufgegeben werden. Die Rechner sind vermascht! Dann setzt dieselbe Arbeit eben Camp 5 am Rande der Arabischen Wüste fort. Wo das nun genau liegt, habe ich bisher nicht in Erfahrung bringen können. Nur durch einen Zufall erfahren wir soeben, dass Camp 3 im Grenzland von Pakistan zu Afghanistan gesucht werden muss.

Um der Neugierde der Welt etwas anzubieten, ließ Oberst Nedal kürzlich ein Video von sich drehen. Darin zu sehen ist, wie er über das Gebirge spaziert und seine Anhänger besucht. Die bedrohlichste Sequenz darin ist die, wo er mit seinem Stock in einem Mauseloch stochert. Wirklich bedrohlich daran ist nur, dass er darauf mit einiger Fantasie als Oberst Nedal erkannt werden könnte und dann gibt es noch die unterstellte Aussage, der er nicht widerspricht, dass er weitere Attentate der unfreien Islamisten nicht ausschließen will. Alle Welt ist gespannt, hinter welcher Internetseite sich sein nächstes Bekenntnis verbirgt. Es ist ein Spiel! Ein makabres Spiel! Oberst Nedal beherrscht und bestimmt die Spielregeln. Das kürzlich in einem Handelsblatt gemachte Eingeständnis, der beschriebene Datenhandel mit den amerikanischen Medien liege in arabischen Händen und der sei von allen bekannten Geschäften am einträglichsten, hat die Welt zu gleichen Teilen lachen und vor Zorn spucken lassen.

Oberst Nedals dagegen hat gegenwärtig ein anderes Problem: Er braucht dringend noch einen verlässlichen sehr guten Mathematiker. In der islamischen Welt ist der Bildungsstand nicht ausreichend hoch, einem Menschen aus der westlichen Welt, dem Kreis seiner Datenabnehmer, misstraut er wegen der offenen Denkweise und den Skrupeln der guten Leute. Sie wären nicht frei in ihrer Arbeit. Er wird doch noch einmal über das Internet versuchen, einen Inder oder Pakistani zu engagieren. Die Zeit drängt! Oberst Nadel geht derweil gänzlich unerkannt seinen ganz normalen Geschäften, seinen sozialen Engagements und Familienpflichten nach.

Grenzland zwischen Pakistan und Afghanistan: Mustafa hat keinen guten Tag. Sein Maisfeld grenzt an das des Nachbarn Ali. Genau so, wie auch unten im Dorf sein Haus an das des Nachbarn angelehnt zu sein scheint. Nicht nur, dass ihre Frauen Schwestern sind, nein, das ist bekannt, aber ihre Felder sind heuer gleichermaßen vertrocknet. In diesem Jahr gibt es noch eine weitere Gemeinsamkeit. Bisher konnten sich die Familien immer gegenseitig unterstützen. Wurde die Ernte des Einen vernichtet, gab es also keine Einnahmen für seinen Nachbarn, half das Korn von Mustafa den Verlust zu überbrücken. Das geschah so alle zwei bis drei Jahre und betraf nie das Kornfeld von Mustafa, baute er doch stets und immer nur ‚erlaubte Feldfrüchte‘ an. Er ist ein vorsichtiger und umsichtiger Mann und er ist Oberst Nedal sehr verbunden.

Natürlich war auch er viele Male von seinem Sheikh und dessen Oberst, der die kleine Miliztruppe unter den Augen des Militärs führt und ihm bei den Bauern Gehör verschafft, ermahnt worden. Er solle gefälligst genau wie die anderen auch Mohn anbauen, bisher waren den Drohungen aber keine Taten gefolgt. Im Gegenteil, seine Bohnen und Tomaten wurden von allen gern genommen. So hätte es ewig weiter gehen können.

In diesem Jahr wurde das Nachbarfeld nicht von den Soldaten verwüstet. Sie hatten eine andere, eine neue Strategie entwickelt und angewandt. Wirkungsvoller und viel weniger aufwendig als das Zerstören einzelner Feldern voller üppiger Mohnpflanzen. Oben am Taleingang war der kleine Bach, der hier bisher das Leben im Tal möglich machte, abgegraben worden. Sein Wasser fließt nun in das unbewohnte Nachbartal und wird dort in der Hochebene bald einen kleinen See bilden.

„Ich habe versucht, von unten her bis zum Damm zu kommen. Ich wollte ihn durchstechen. Ich fürchte aber, man kann mich von oben sehen und dann wird sicher sofort scharf geschossen. Wir müssten es vom Bergrücken her versuchen. Wir brauchen doch das Wasser. Die Soldaten können ja auch nicht ewig da oben ausharren. Und wir brauchen Sprengstoff, damit es schnell geht!“

Krisensitzungen im New Yorker UN-Hauptquartier: Der Unterausschuss Welternährungssituation nimmt von den Delegierten die Wasserberichte zur Kenntnis. Generalsekretär Hage Smith ist als Gast anwesend. Die Gesprächssituation ist angespannt. Einzelne Delegierte drohen mit Krieg, wenn ihrem Land nicht mehr Wasser zugestanden wird. Andere Delegierte drohen mit dem Zurückbehalten ihrer UN-Mitgliedsbeiträge, wenn ihnen nicht Baumaßnahmen gegen das Wasser zugestanden werden, das soll heißen, von den UN bezahlt werden.

Den Vorsitz führt Mr. Gatti, Kommissar für Welternährungsfragen. Vor der Sitzung hatte er sich mit Mr. Smith darüber verständigt, keiner Forderung direkt nachzugeben. Zu weit auseinander liegen die Meinungen darüber, was die UN zur Bewältigung der Wassernöte leisten können. Unbestritten ist, dass die Klimaerwärmung der letzten Jahrzehnte einigen Staaten ihre Existenz genommen hat. Andere Staaten erleben plötzlich Regenmengen, mit denen sie seit hundert Jahren nicht mehr rechnen konnten. Vieh und Ernten ertrinken im Wasser der überquellenden Flüsse. Der Meeresspiegel ist inzwischen so hoch angestiegen, dass tief liegende Landflächen eingedeicht oder aufgegeben werden müssen. Nicht alle Staaten können sich eindeichen leisten! Das ist das Szenario, vor dem die Sitzung abläuft. Jetzt sind wir mitten in den Wortmeldungen: Soeben beschreibt der Delegierte Russlands die Situation in der sibirischen Tiefebene: „... und, wenn die Herbststürme eher kommen als der Frost, eher kommen, als sich die Eisbarrieren der Flüsse gegen das Nordmeer bilden konnten, strömt über die Flussmündungen von Ob und Tas Salzwasser ein und vergiftet die tief liegenden Landstriche. Stürme im Sommer sind auch zu befürchten, bringen aber nicht ganz so hohes Wasser. Wir benötigen ein Sperrwerk, das den natürlichen ungehinderten Abfluss des Wassers aus den Flüssen in das Nordmeer zulässt, gegen Hochwasser aber schützt. Die von der Wasserbauversuchsanstalt in Moskau überschlagenen Kosten dieses Projektes sind mit mindestens vier Milliarden Dollar ermittelt worden. Dieses Vorhaben bitte ich, bittet die Russische Republik, in die Liste des weltweit dringendsten Bedarfes aufzunehmen.“ „Danke, Mr. Lugowoj, darf ich um die nächste Wortmeldung bitten?“

„Mr. Isla Turku, Republik Karsarsien, sie haben das Wort.“ „... seit wir im Jahre 2006 den Zufluss (1) für den kleinen Aral wieder hergerichtet haben, scheint auf einer kleinen Fläche von ca. 3600 qkm der See wieder lebensfähig zu sein. Das gilt aber nicht für den größeren Teil des Sees, der auch unser Territorium berührt. Immerhin war der ganze Aralsee einmal 60 000 qkm groß! Dort, wo heute das Wasser fehlt, breitet sich die Salzwüste ungehemmt aus. Stürme treiben das Salz über das Land. Nichts kann mehr in der umliegenden Steppe wachsen. Wir brauchen eine Entscheidung, den schon fertigen Plan der Uni Beirut zur Bewässerung des Landes um den Aralsee ausführen zu können! Es ist auch nicht damit getan, zu fordern, den Aralsee in Gänze wieder zu füllen, dazu fehlt den historischen Zuflüssen ohnehin das Wasser. Entscheidend muss sein, für den See wieder Wasser aus neuen Zuströmen zu finden. Der Wasserhaushalt der gesamten Region muss also stabilisiert werden.“

„Hört, hört! Wasser wird am Aralsee gebraucht!“ „Danke für den Zwischenruf! Aber so abwegig ist das gar nicht. Der Plan ist noch in Arbeit. Allerdings könnte dabei hilfreich sein, dass in der russischen Republik Wasser im Übermaße vorhanden ist. Warum könnte es nicht in die Aralregion geleitet werden?“ „Wie soll das denn gehen? Das sind doch mindestens zweitausend Kilometer!“ „Richtig! Was uns fehlt, ist ein Wasserausgleich zwischen dem Norden und dem Süden Asiens. Wir brauchen dafür noch die Kosten-Nutzen-Analyse, ob sich ein solcher Wasserausgleich wirtschaftlich machen ließe. Die ist wiederum von dem Trassenverlauf eines möglichen Kanals abhängig. Aber wie gesagt: Daran wird noch gearbeitet. Ich folge bei diesem Gedanken aber der Forderung meines Vorredners. Er sagte ja, dass Sibirien zu viel Wasser habe.“

Dazu ist es vielleicht nützlich, sich ins Bewusstsein zu rufen, wie der Bau eines solchen Kanals (4) in den dreißiger Jahren des Zwanzigsten Jahrhunderts viel Leid über die Menschen gebracht hatte. An diesem lange zurückliegenden Projekt war nur der Grundgedanke richtig. Der Kanal! Alles andere, alles das, was damit zusammenhing, war dann ja zu einer Katastrophe geworden. Richtig scheint mir der Gedanke aber immer noch zu sein. Über einen Kanal Wasser vom Norden in den Süden zu bringen. Mit heute möglicher Planungskompetenz und unbelastet von Ideologien ist ein solches Bauwerk sicher möglich! Wie gesagt, die Uni Beirut arbeitet noch daran.“ „Fahren sie fort, Mr. Isla Turku!“ „Sollte uns der Bau eines neuen Kanals gelingen, würden wir damit Lebensraum für mehrere Hundert Millionen Menschen schaffen!“

Wir werden hier an dieser Stelle unsere Aufmerksamkeit für diese Konferenz etwas reduzieren. Und außerdem, was ist schon ein Kanal angesichts der Tatsache, dass es auf der Welt an hundert und mehr Stellen zu wenig Wasser gibt! 9 Milliarden Menschen brauchen sauberes Trinkwasser, 2 Milliarden davon haben es nicht!

Die Liste der Redner ist noch lang, die Sorgen der Völker um sauberes Trinkwasser ist fast grenzenlos, aber es nützt nichts, sich hier zu verzetteln, wir wollen die Arbeit der UN verfolgen und sehen, wie sie versucht, sich aus dem gewaltigen Aufgabenstau herauszuarbeiten. Wir erkennen, die UN sehen die Probleme und arbeiten daran.

Der Unterausschuss Welternährungssituation hat als einen der letzten Punkte die Sofortmaßnahmen für die Anrainer des Aralsee-Gebietes auf der Tagesordnung: „… 100 Millionen? Dafür könnten wir die paar Leute dort jahrelang ernähren.“ „Das widerspricht allerdings unseren Vorgaben. Die lautet eindeutig: Wir dürfen nur Hilfe zur Selbsthilfe gewähren! Wir sollten deshalb die Hilfe geben. Die Bevölkerung will einen sehr hohen Eigenanteil an Selbsthilfe erbringen. Die in dem Hilfsantrag gemachte Vorgabe lautet: 20 Millionen Dollar werden selber aufgebracht.“ „So viel? Das ist ja ungewöhnlich viel!“ „Ja, die Prüf- und Planungszahlen kommen auf das gleiche Ergebnis. 20 Millionen Dollar für das Abtragen des salzigen Flugsandes von den Kulturflächen.“ „Dann komme ich nun zur Abstimmung.“ – „Danke! Das ist die Mehrheit. Der Antrag ist angenommen.“

Endlich sind Mustafa und Ali oben! Das Maultier wäre zu auffällig gewesen. Keuchend und schwitzend wirft Ali den Rucksack auf einen Felsvorsprung. „Na, na, sei etwas vorsichtiger, das Zeug soll doch nicht jetzt schon hochgehen.“ „Das fehlt uns gerade noch. Es war schließlich schwierig genug, daran zu kommen.“ „Und teuer war es außerdem!“ „So, nun lass uns doch mal sehen, wie wir es anstellen können.“ „Von hier aus habe ich einen guten Blick. He! Ali komme mal rüber!“ „Ja, gleich, aber von hier kann ich auch ganz gut sehen. Ich habe fünf Männer im Blickfeld! Siehst Du von dort noch mehr?“ „Ich sehe nur drei Soldaten, die sich sonnen.“ „Rechts ist noch einer hinter dem Stein. Der pinkelt. Und einer scheint zu kochen.“ „Was gibt es denn?“ „Ich gehe mal nachsehen.“ „Lasse den Blödsinn! Wenn Du Dich noch weiter vorbeugst, bist Du eher unten als Dir lieb ist.“ „Kennst Du die Uniformen? Wo kommen die her?“ „Ich habe keine Ahnung! Wie mögen diese Männer hier heraufgekommen sein? Mit einem Hubschrauber?“ „Ganz bestimmt! Die haben doch viel mehr Möglichkeiten als unsereins. Irgendwie machen die mir Angst.“ „Mir ist auch nicht wohl dabei. Müssen wir die etwa alle umbringen, wenn wir wieder an unser Wasser kommen wollen?“ „Oh, Allah, gib mir einen guten Gedanken!“

Die kühle frische Luft, die Quälerei beim Aufstieg vorhin, aber vor allem die Ratlosigkeit über das weitere Vorgehen lässt die beiden Männer sich erst einmal über ihren Proviant hermachen. „Esse nicht gleich alles auf. Wir wissen gar nicht, wie lange wir hier oben bleiben müssen.“ „Du verdirbst mir aber jeden Spaß. Ich werde doch wohl noch ein Stückchen Wurst essen dürfen.“ „Natürlich darfst Du das. Vor allem, weil Du unten im Dorf ja noch den ganzen Boden voller Schinken hängen hast. Oder etwa nicht?“ „Erinnere mich nur nicht daran, was wir morgen essen werden. Das weiß ich nämlich genau so wenig, wie eine Antwort auf die Frage, wie wir den Schutthaufen dort unten im Bachbett wegbekommen.“

Dass im Boden bei keinem von ihnen Schinken hängen, braucht hier nicht gesagt zu werden. Früher, ja, da hatten sie alle noch einige Tiere. Die Miliz hat sie mitgenommen. Mustafa argwöhnt, damit sich eine größere Bereitschaft zum Mohnanbau entwickelt. Jetzt ist fast jeder im Dorf davon abhängig. Alle gemeinsam besitzen ein einziges Maultier, ein schon sehr altes Viech. Es war ihnen vor Jahren verletzt zugelaufen. Es lahmt noch immer etwas. Wenn das Tier stirbt ... Ach, daran wollen wir jetzt noch nicht denken.

Nichts kann die Klimaerwärmung noch rückgängig machen. Es ist zu spät! Der Meeresspiegel ist fast einen Meter gestiegen. Der Kilimandscharo hat keine weiße Polkappe mehr. Alpengletscher laden im Sommer nicht mehr zum Skilaufen ein. Jetzt kommt ein neues Phänomen auf die Menschen zu: Das abschmelzende Polkappeneis der Arktis verdünnt das Meereswasser des Nordmeeres so stark, dass die Wassermassen des Golfstromes nicht mehr salzhaltig genug sind, um in die Tiefe sinken zu können, damit es zur Saragossa-Tiefsee zurückfließen kann. In Folge droht nun der Golfstrom zum Halten zu kommen. Die Warmwasserheizung Europas wird versiegen. Europa wird merklich kälter. Trotz des Klimawandels zur Warmzeit hin. Man weiß noch nicht, ob die Abkühlung ausreicht, das Abschmelzen des Nordpols zu verhindern. Das Süßwasser würde ja wieder gefrieren und der Golfstrom könnte sich abermals in Bewegung setzen. Wissenschaftler rechnen jedenfalls damit. Für die Landwirtschaft ist das dann aber zu spät. Auf Jahrzehnte ist es in Europa für Feldfrüchte zu kalt – mitten in der Klimaerwärmung. Nun hat es auch der letzte Ignorant gegriffen: Es wird ernst! Die landwirtschaftlich intensiv genutzten Flächen Nordeuropas fehlen für die Ernährung der Menschen. Die fehlenden Ernteerträge müssen die Industriestaaten nun in der ganzen Welt einkaufen. Dafür liefern sie Technik, die früher als Umwelttechnik bezeichnet wurde, Windräder, Solaranlagen, Wärmepumpen und Wasser sparende Beregnungsanlagen. Das sichert als Exportschlager in alle Welt noch ein einigermaßen sicheres Überleben.

Einzelne Staaten sind den auf sie zukommenden Problemen alleine nicht mehr gewachsen. Aber, um Hilfe rufen eigentlich alle Staaten. Welchem Staat geht es eigentlich noch so gut, dass er allen anderen helfen könnte? Die Rufe werden wohl vergeblich bleiben. Oder? Tatsache ist doch: Hier fehlt Wasser, dort ist es im Überfluss! Die Erderwärmung um ca. 3 Grad und das Ansteigen der Weltbevölkerung auf 9 Milliarden Menschen kann man dabei getrost als zwei Weltkatastrophen gleichzeitig begreifen! Das zwingt zu enormen ökonomischen und ökologischen Anstrengungen.

Friedlicher sind die Menschen in der Welt dadurch auch nicht geworden! Es ist eigentlich alles so, wie es immer schon war. Staaten mit vergleichsweise geringeren Problemen sind nicht bereit, stärker betroffene Staaten zu unterstützen! „Staatsegoismus!“, knurrt Mr. Smith, der UN-Generalsekretär, und sieht vielsagend zu Mr. Gatti, dem Welternährungskommissar hinüber. „Nun haben wir die eigene UN-Planungsgruppe einsatzfähig und die Probleme werden nicht weniger! Und warum ist das so? Weil immer noch die von den einzelnen Ländern delegierten Experten eben nur in Interesse ihrer eigenen Staaten arbeiten. Wir müssen wohl den Druck auf sie erhöhen. Sonst gibt es keine Kompromisse! Und gleichzeitig als Druckmittel, die Kompetenzen auf unsere eigenen Fachleute verlagern.“ „Das Team Geno Ben Tut und Ben Hagir arbeitet doch schon ganz hervorragend.“ „Ja, das stimmt. Und alle unsere anderen neuen jungen Mitarbeiter, die wir nach deren Studium an der UN-Uni in Beirut anwerben konnten, werden eine genau so hervorragende Arbeit leisten.“

Mustafa und Ali äugen nun schon eine ganze Weile in das Tal hinunter und auf ihren kleinen trockenen Bach, der nur noch ein trockenes Bachbett ist. Eine Lösung für ihr Problem ist ihnen dabei noch nicht in den Kopf gekommen ...

„Wie haben die das denn gemacht? Meinst Du, die mühten sich damit ab, einen Felsen ins Bachbett zu rollen, um ihn dann mit Schutt zu bedecken?“ „Glaube ich nicht. Die Kerle werden einfach eine Handgranate in der Böschung vor der Engstelle gezündet haben. Das reichte für die Verstopfung.“ „Dann hätte das ja jeden Tag auch ohne die Soldaten passieren können.“ „Ja, sehe ich auch so!“ „Und nun?“ „Nun muss der Schutt wieder weg. Leider bewachen die Soldaten den Haufen.“ „Viel Wasser hat sich ja noch nicht vor der Sperre gesammelt. Es scheint irgendwo anders hinzufließen.“ „... und gräbt sich dort eine neue Rinne.“ „Du hast recht, wir müssen uns beeilen sonst kommt nie mehr etwas zu uns.“ „Hoffentlich schlafen die Männer heute Nacht. Dann könnten wir in den Schuttberg oben eine kleine Rinne kratzen. Den Rest macht das Wasser dann selber.“ „Ja, das müsste klappen ...“

„Deckung! Der Hubschrauber kommt!“ – „Verfluchtes Pack, hoffentlich steigen sie alle ein und es bleibt keiner von den Halunken zurück.“ Und schon startet die Maschine wieder. „Sind jetzt wirklich alle weg?“ „Komm mit, wir gehen nachsehen. Nimm den Rucksack auf. Hierher werden wir wohl nicht mehr zurück müssen.“ „Passe doch besser auf! Du trittst ja Steine los. Wenn da unten wirklich noch jemand ist, wird er uns hören.“

Beide machen sich an den Abstieg zu der Hütte unten im Tal. Ständig auf der Suche nach Deckungsmöglichkeiten für den Fall, dass der Hubschrauber wiederkommt. „Kannst Du schon was sehen? Ist noch eine Wache zurückgeblieben?“ „Stopp! Was funkelt denn dort in der Sonne?“ „Ein Draht? Ja, da ist ein Draht gespannt.“ „Was soll der denn dort?“ „Kannst Du Dir das denn nicht denken? Warst Du nicht im Krieg? Das ist eine Sprengfalle.“ „Das ist ja furchtbar. Stell Dir vor, wir wären von unten gekommen. Was machen wir jetzt?“ „Na, ganz einfach. Ich entschärfe das Ding. Den Sprengstoff nehmen wir mit.“ „Kannst Du das denn?“ „Du nicht? Was hast Du denn im Krieg gemacht?“ „Ich habe die Maultiere versorgt.“ „Ist ja gut, lege den Rucksack ab und bleibe hier in Deckung, ich bin gleich wieder zurück. Wenn es nicht gelingt, grüße meine Frau.“

Derweil lässt sich keiner der Soldaten sehen. „So, geschafft! Das Zeug nehmen wir mit. Wer weiß, was wir noch alles in die Luft jagen müssen.“ „Ob wir auch in der Hütte nachsehen sollten?“ „Das werden wir wohl müssen, um sicher zu gehen.“ „Das ist aber gefährlich!“ „Ja, das ist gefährlich, deshalb bleibst Du besser hier! Ich gehe jetzt nachsehen.“ „Ich habe Angst!“ „Ich habe auch Angst, aber es muss sein ... Bis gleich!“

Mustafa schlängelt sich zwischen den Felsen hindurch, bis er die Rückseite der kleinen Hirtenhütte erreicht hat. Er kennt die Hütte. Als Junge war er oft hier oben und auch allein über Nacht geblieben. Es gibt vorne nur ein Fensterloch ohne Glas hoch unter dem flachen Dach und daneben die Tür, um hineinzukommen. Der Fensterkloben liegt auf dem Boden unter dem Loch. Das hatte er schon von Weitem gesehen. Heißt das nun, jemand ist noch in der Hütte? Oder heißt das, die Kerle waren zu faul, das Lichtloch wieder zu verschließen, als sie gingen? Egal, hier hinten war immer schon ein Brett lose. Mal sehen, wie es drinnen aussieht ...

Vorsichtig biegt Mustafa das lose Brett zur Seite und erstarrt! Vor ihm stehen ein paar Stiefel und bewegen sich wippend in irgendeinem unhörbaren Musiktakt. Nichts ist zu hören! Langsam beruhigt sich sein Pulsschlag wieder. Ob da noch mehr Männer im Raum sind? Es ist wohl doch nur einer. Aber warum steht der denn so dicht an der Wand? Das könnte auch meine Chance sein. Gehe ich zur Tür und versuche von dort in die Hütte zu kommen, stehe ich im Licht und er ist im Dunkel. Das ist mir zu gefährlich. Aber was macht sich der Kerl an der Wand zu schaffen? Was hing denn da immer? Mustafa zergrübelt sich den Kopf. Steht da ein Schrank, hängt da ein Bord? Reinigt er sein Gewehr? Oder noch schlimmer, steht er etwa mit der Hubschrauberbesatzung in Funkkontakt und das Gerät hängt an der Wand? Was macht der da? Kratz, kratz? Der rasiert sich, glaube ich! Ja, das könnte es sein! Es ist aber auch egal, ich muss handeln! Ich muss etwas tun, ich muss den Kerl loswerden! Es kann nur einer sein. Wehe mir, wenn es mehrere sind!

Leise nimmt Mustafa sein Seil von der Schulter, schlingt sich das eine Ende in loser Schlinge um den Leib, legt das andere Ende um einen runden Felsen zum Umlenken genau gegenüber dem losen Brett und zieht das Seilende bis hin zu den Stiefeln, immer bemüht, nicht den geringsten Laut zu geben. Nun knotet er eine Schlinge und sucht sich einen stabilen Knüppel. Jetzt kommt es darauf an! Ich muss schnell sein! Leise und behutsam zieht Mustafa mit der einen Hand das Brett etwas nach außen und legt mit der anderen Hand das Seil um den Stiefel und dann wieder nach draußen. Jetzt schnell noch die Seilschlinge in die eben geknotete Endschlinge und den Knüppel hinein in die sich bildende Seilschlinge! Fertig! Ein gewaltiger Ruck mit dem Körper. Und nun ragt der Stiefel mitsamt dem Bein aus dem Loch. Poltern! Fluchen! Ein Stich in den Oberschenkel! Das Blut des soldatischen Wächters verströmt in pulsendem Strahl ...

„Wo warst Du denn so lange? Ich wäre fast gestorben vor Angst. Oh, das Seil ist ja ganz blutig, hast Du Dich verletzt?“ „Ich bin unversehrt. Aber beinahe wären wir beide gestorben. Nun lass uns rasch den Bachlauf öffnen. Komm jetzt!“ Es war wirklich nur eine Rinne zu kratzen. Das Wasser bahnt sich seinen gewohnten Weg. Rinnt erst in dünnem, schmutzigem Strahl, dann stärker und schließlich als Bach wie schon immer. Noch etwas trübe, aber er fließt!

Haben wie schon Geno Ben Tut vorgestellt? Ich glaube nicht. Er war es, der noch als Student der Uni Beirut den Auftrag bekam, den Aralsee zu sanieren und der Bevölkerung dort wieder eine Lebensperspektive zu geben. Geno ist der Stiefsohn von Hano und seiner Frau Schar. Der von Geno gemachte Vorschlag enthielt zwei Zeithorizonte: Erstens sollten Sofortmaßnahmen ergriffen werden. Zweitens sollte der etwas größere Sanierungsteil in einer Hinleitung von Wasser bestehen. Wasser im Überfluss gibt es in Sibirien. Eintausend bis zweitausend Kilometer Kanal wären dafür nötig. Je nachdem, wo der Zugriff auf das Wasser erfolgen könnte. Geno hat die Uni längst verlassen. Die Planung des ganzen Projektes liegt aber nach wie vor bei ihm. Er arbeitet nun für die UN, und er verfolgt auftragsgemäß den Plan, einen großen Kanal in das Aralsee-Gebiet zu bauen, nach wie vor mit angespanntem Interesse.

Nun stehen Geno und Ben an dem großen Zeichentisch im Arbeitsraum neben der Bibliothek. Sie bereiten sich auf eine erneute Exkursion in die Steppen und Senken des Kaspischen Meeres und des Aralsees vor. Jetzt, nach dem UN-Beschluss, die Planungen für Sofortmaßnahmen am Aral zu finanzieren, ist dies und die Planung des großen Kanals ihre Hauptaufgabe.

Geno brummelt zu Ben Hagir rüber: „Mir macht die Vorstellung Probleme, dass diese beiden Seen, der Aral und das Kaspische Meer, einmal miteinander verbunden waren. Wo ist denn das Wasser geblieben? War dieses Land hier wirklich vor langer Zeit vom Wasser bedeckt?“ „Ja, natürlich, darüber gibt es keine Zweifel, das ist ein vorliegendes früheres Forschungsergebnis.“ „Aber ist das Wasser verdunstet oder hat sich der Erdboden gehoben?“ „Fest steht jedenfalls, in den letzten sechzig Jahren sind die Wasserspiegel der beiden Seen besonders schnell abgesunkenen. Ihre Zuströme wurden woanders übermäßig genutzt. Das gilt sowohl für das Kaspische Meer wie auch für den Aralsee.“ „Und nun? Warum bringen die verbliebenen Zuflüsse nicht wenigstens so viel Wasser, um den Bedarf der Menschen zu decken? Das muss doch ein Planungsfehler gewesen sein, den müsste man korrigieren! Sahen das denn die Verantwortlichen bei der Planung des ersten Kanals (4) nicht auch?“ „Aber nun haben wir ja von den UN genau diesen Auftrag bekommen, und genau diesen Umstand werden wir untersuchen.“ „Den Wasserhaushalt der beiden Seen konnten die Zuflüsse aber bestimmt schon seit tausend Jahren nicht mehr auszugleichen. Sonst läge das ganze Gebiet nicht so tief.“ „Ja, das könnte stimmt! Aber dann darf man doch erst recht nicht die Zuflüsse unterwegs für die Bewässerung so riesiger Baumwollflächen verwenden.“ „So ist es! Das war damals aber sicher gar nicht als Lösung gedacht. Die frühere Sowjetunion wollte Baumwolle für den Weltmarkt erzeugen. Koste es, was es wolle! Und so ist die Situation noch heute, also 70 Jahre danach!“ „Wird für die Baumwollplantagen wirklich so viel Wasser verbraucht? Wieso überhaupt: ‘Verbraucht‘, wo bleibt es denn? Vielleicht sollte man sparsamer damit umgehen. Jetzt verdunstet oder versickert es vielleicht und ist dann einfach weg.“ „Man müsste hingehen, um sich das anzusehen. Vielleicht werden die Baumwollkulturen wirklich falsch bewässert?“ „Ja, und vielleicht will aber auch keiner etwas an dem gegenwärtigen Zustand ändern. Da wo die Baumwolle wächst, gibt es doch noch genug Wasser.“ „Du wirst recht haben, das müssen wir genauer untersuchen ...“

Eine Weile wird still gearbeitet. Höhenkoordinaten werden verglichen, Wasserangebote notiert, der Salzgehalt der Bodenproben ausgewertet.

„Man kann rechnen so viel man will, es fehlt eine riesige Menge Wasser.“ „Wenn alles nichts nützt, werden wir das Wasser doch von Norden holen müssen.“ „Sicher, das müsste ganz leicht sein. Nach meiner Erkenntnis ist es bis zu einem ausreichenden Wasserangebot nur knapp zweitausend Kilometer weit. Also, wirklich, das ist doch wieder so ein neuer Flitzgedanke von Dir! Mensch Geno, hast Du noch mehr solche Vorschläge? Sehe Dir doch erst einmal diese Entfernung an.“ „Die Idee, über einen Kanal Wasser heran zu holen, ist nicht so ganz neu, es gibt schon Kanäle, siehst Du den hier, der ist über sechshundert Kilometer lang. Aber leider, es wird zehnmal so viel Wasser gebraucht, als alle diese bestehenden alten Kanäle zusammen heranschaffen können.“ „Meinst Du wirklich, dann, wenn ein neuer Kanal ausreichend bemessen wäre, könnte das funktionieren?“ „Ich weiß es noch nicht. Immerhin, das sind keine ganz neuen Gedanken. Man sollte da schon noch genauer nachsehen.“

„Du könntest richtig liegen. Der Ob führt ja sehr viel Wasser, und es wird nur wenig genutzt. Auch der Jenissei ist kraftvoll.“ „Es gab aber immer Gegner, die ein solches Großprojekt nicht wollten.“ „Nein, nein, waren das nicht die Nutzerstaaten der ehemaligen Aralseezuflüsse weiter oben im Norden! Die wollten kein Wasser mehr hergeben. Die haben natürlich emotional argumentiert und sich gegen eine vernünftige Wasseraufteilung der Flüsse gewehrt. Ihre Baumwollfelder würden vertrocknen, meinten sie. Damit konnte jede andere Argumentation erstickt werden!“ „Wurden die nicht früher Bruderstaaten genannt? Schöne Brudervölker sind das ... Vielleicht hätte ein Besuch an den trockenen Aralsee sie besser überzeugt. – Am besten bei einem richtigen Sandsalzsturm ...“

„Nein, nein, die Baumwollvölker nördlich des Aralsees waren das nicht. So dumm, noch mehr Wasser angeboten zu bekommen und es nicht zu nehmen, so dumm ist wohl keiner. Die Situation war etwas anders: Das war wohl eher die damalige Sowjetunion. Die Verantwortlichen wussten, dass das Wasser nicht reicht und sie wollten einen Kanal bauen. Aber Ökologen warnten eindringlich vor unabsehbaren Folgen. Recht hatten sie! Es konnte ja noch keine Forschungsanstalt das Gegenteil beweisen. Heute können wir das, wir arbeiten schließlich nach neuen Vorgaben und mit neuen Computer-Programmen. Außerdem, die Situation hat sich seitdem vollständig geändert. Heute sehen doch alle gebannt auf den Klimawandel und den damit verbundenen stetig steigenden Meeresspiegel. Dies kalkulieren wir in unsere Vorschläge mit ein." „Sehen wir uns doch noch einmal Deinen Vorschlag, diesen langen Kanal genauer an.“ „Gut, auf den ersten Blick scheint das wirklich ganz einfach zu sein. Vor allem, beide Flüsse, die man anzapfen könnte, strömen heute in die sibirische Tiefebene. Und da sehen wir schon, was dort mit dem Flusswasser passiert!“ „Natürlich, das sieht jeder. Es vermischt sich mit dem vom Meere her eindringenden Salzwasser und aus ist der Traum. Aus und vorbei! Das Wasser wird wertlos.“ „Ja, so ist es leider. Seit dem beschleunigten Abtauen der Polkappen dringt das Salzwasser immer weiter in die Ebene ein. Da und dort gehen schon die Bäume zugrunde.“ „Ich habe neulich ein paar Infrarotaufnahmen von diesen weiten Flächen gesehen, auf denen kann man es gut erkennen. Warte, ich hole sie.“ – „Siehst Du es auch?“ „Ja, natürlich, an der braunen Farbe.“ „Das Süßwasser vermischt sich mit dem Salzwasser aus dem Nordmeer, damit ist es zum Bewässern von Kulturen verloren.“

„Das hätte doch dort, so hoch im Norden, auch nicht viel Sinn, da wachsen ja nur Nadelbäume, für etwas anderes ist es viel zu kalt.“

Und so geht es stundenlang weiter. Seit sechs Stunden arbeiten unsere beiden nun schon ohne Pause, angetrieben von ihren Visionen. Jetzt verschnaufen sie ein wenig und überlegen die nächsten Schritte ...

„Was meinst Du, sollten wir einen ersten Rechnerdurchlauf starten? Daten haben wir meines Erachtens genug.“ „Kann nicht schaden. Dann sehen wir gleich, an welchen Stellen noch Daten fehlen.“ „Na bestimmt bleibt er vorher stehen, weil wir irgendetwas falsch eingegeben haben, bisher war es jedenfalls immer so.“

Später, der Rechner kommt wider Erwarten zu einem ersten Ergebnis ... „Das sieht ja alles ganz einfach aus. Wenn das klappt, wäre es wunderbar! Im Süden könnte man das Süßwasser gut gebrauchen.“ „Natürlich! Und nun die Frage: Wie bringen wir das Flusswasser dazu, statt in die sibirische Tiefebene bis in den Süden zum Aralsee zu fließen? Ich meine, ganz abgesehen vom Widerstand emotional geladener Bürgerbewegungen und von den Kosten ...“ „Ja, wie könnten wir es machen?“ „Am besten ist es immer, wenn es von selber fließt!“ „Geno, Du lieferst heute wieder unglaublich weise Beiträge. Das ist ja nicht auszuhalten.“ Geno grinsend: „So arbeite ich doch immer! Du bist doch aber auch nicht anders! Also, wir haben doch beide schon erkannt, wie es von selber fließen kann, allein mit dem Blick auf die Karte. Wir starren doch schon lange genug darauf. Warum wäre uns sonst diese riesige Entfernung aufgefallen. Hier ist das Wasser und kann nicht genutzt werden, dort fehlt das Wasser! Jeder braucht es dort im Süden!“ – „Ich habe übrigens eben nachgemessen, es sind bis zu den beiden Flüssen nur tausendeinhundert Kilometer.“ „Damit bleibt es aber trotzdem eine gewaltige Strecke.“ „Du hast ja recht, das sehen wir beide. Was uns Angst macht, hat wohl auch schon andere davon abgehalten, das Wesentliche zu tun. Die Entfernung ist sehr groß und sie zu überwinden, also, so ein langer großer Kanal ist nicht umsonst zu bekommen. Die Kosten werden unglaublich hoch sein. Aber das Wasser wird von selber fließen!“ „Ja, es wird fließen, aber nur, wenn sich die Staatengemeinschaft dazu bereitfindet, dieses Wasserbauwerk auch zu finanzieren. Machst Du Dir überhaupt eine Vorstellung, wie viel das alles kosten wird?“ „Und welchen Nutzen die Sache hat ...“ „Fragen wir doch die Computer.“ „Na gut, sehen wir uns einmal an, wie wir weiter vorgehen müssen.“ „Welche Maßnahmen schlägst Du vor, und in welcher Reihenfolge?“ „Ich weiß auch noch nichts Vernünftiges.“ „Ich denke, wir können hier alles so lange liegen lassen.“ „Ja, komm jetzt, heute lösen wir sowieso keine Jahrhundertprobleme mehr. Wir werden zur Entspannung ein paar Runden laufen. Gute Idee!“ „Dann komm jetzt!“

Das Abendrot gibt letztes Licht. Drei Stunden Arbeit liegen hinter ihnen. Nun machen sich Ali und Mustafa Gedanken über den Abstieg. Der wird um zwei Rollen Draht und fünf Kilo Sprengpatronen schwerer als beim Aufstieg. Neben ihnen fließt jetzt trübe vom Schutt ihr Bach.

„Wir werden den gleichen Weg zurückgehen, so wie wir gekommen sind. Das ist ungefährlicher.“ „Gut! Suchen wir uns einen Platz für die Nacht.“

Rückkehr vom Berg: Die Nacht war kalt. Mit dem ersten Licht des Tages machen sich Mustafa und Ali an den Abstieg. Jetzt wollen sie schnell zurück. Zwei Stunden Bergarbeit werden sie für den Abstieg brauchen.

Später, kurz vor ihrem Dorf … „Jetzt könnte uns mein Hund aber schon hören.“ „Bilde Dir doch nichts ein, der schläft noch genau so wie alle anderen.“ „Da unten ist es wirklich ausgesprochen leise ...“ „Finde ich jetzt auch ...“ „Was ist hier passiert?“ „Bei Allah, der Esel ist tot! Wer hat den denn abgestochen?“ „Wer macht denn so etwas? Der Hund kommt auch nicht!“ „Was ist hier los?“ Mustafa wirft den Rucksack in den Staub, rennt los zu seinem Haus. Wirft sich gegen die Tür. Die geht nur einen Spalt auf. Etwas drückt von innen dagegen. Mit der Hand fasst er nach innen, eine furchtbare Angst, eine unaussprechliche Ahnung drückt ihm die Kehle zu! Fühlt klebrigen Stoff. Blut! Drückt mit aller Gewalt gegen die Tür, dass sie fast bricht. Schafft es, sie Millimeter für Millimeter aufzubekommen. Röchelnd liegt seine Aynur dagegen. Kann nur noch sagen: „Die Milizen wollen nicht, dass wir Korn anbauen. Schnell, geh weg! Die bringen Dich auch um! Alle anderen sind tot. Geh! Schnell! Geh, lass mich hier, für mich ist es zu spät.“

Vorsichtig schneidet Mustafa das Tuch auseinander. Die Wunde im Bauch ist riesig! Sie ist tief, blutet stark. Wie soll er ihr nur helfen? Er will nicht allein bleiben. Will nicht ohne sie leben! Er weiß sich keinen Rat. Er ist kein Arzt.

Da, ein Schuss! Wer hat geschossen? Auf wen? Mustafa hat nur noch Angst. Er zittert am ganzen Körper! Aynur flüstert mit letzter Kraft: „Sie sind noch da. Geh weg! Schnell, geh weg!“ „Ich komme gleich wieder. Ich bringe sie um.“ „Nein, geh weg, die bringen Dich sonst auch noch um!“

Er weiß nicht; wie er es machen soll, aber sein Schmerz und Zorn ist riesig. Vorsichtig lugt er um die Hausecke auf die Dorfstraße, dorthin woher der Schuss kam. Nichts! Nur sein Hund liegt da und rührt sich nicht mehr. Ein leises Knacken hinter ihm lässt ihn zusammenzucken. Ein Zischen. Das ist Ali! Mustafa kratzt zur Antwort zweimal am Holz, zieht sich zurück. Und versinkt schon wieder fast im Boden, als sich eine Hand auf seine Schulter legt. „Alle sind tot!“ „Aynur lebt noch! Sie braucht Hilfe.“ „Leise, die Soldaten wollen gerade abfahren. Uns haben sie nicht bemerkt. Ich glaube, die sind betrunken. Es sind fünf, zu viele um es mit ihnen aufzunehmen.“ „Ich bringe sie um, die haben meiner Aynur in den Bauch gestochen.“ „Wir könnten versuchen, ihr zu helfen. Komm schnell! Die Milizen entkommen uns nicht. Aynur braucht jetzt Hilfe! Komm, schnell, wir müssen versuchen wenigstens sie zu retten! Ich verbinde sie und Du wirst mit dem Brennspiegel versuchen, auf uns aufmerksam zu machen. Immer gleichmäßig, blinken! Ohne aufzuhören! Ich zeige Dir die Stelle, von wo Hilfe kommen könnte. – Dort oben ist ein Posten von Oberst Nedal. Vielleicht sehen die das Blinken.“ „Meinst Du, das klappt?“ „Ich weiß es nicht, aber wenn zurück geblinkt wird, rufe mich, ich morse dann Hilfe herbei.“ „Aynur bleibe ruhig liegen. Bewege Dich nicht. Ich drücke die Wunde jetzt zusammen.“ Sie hört es nicht mehr, sie ist ohnmächtig geworden. Nun braucht Mustafa ihr auch nicht mehr zu sagen, dass ihre Schwester tot ist.

Mustafa schnell, dort oben sind wirklich Leute. Die blinken zurück. Die blinken genau so, wie Du es mir gesagt hast, immer nur einmal.

Mustafa rennt nach draußen, nimmt den Spiegel und morst sein Unglück nach oben zum Berg. Er morst mit atemberaubendem Tempo. Kurze Unterbrechung für eine Antwort. Es kommt nur ein: Verstanden, bitte warten! Warten? Wie soll ich warten? Dann, nach unendlichen 10 Minuten: „Der Heli kommt um 5 Uhr. Wie viele Personen müssen aufgenommen werden? Zum Landeanflug bitte ein Signal setzen! Der Leitstrahl wird von der Organisation programmiert!“ „Allah sei Dank, wir sind außer der Kranken noch zwei Mann. Wir werden warten!“

Heute ist die Entscheidung für Sofortmaßnahmen gefallen! Mr. Gatti ist fast aus dem Häuschen vor Freude und ruft sofort Geno an: „In einer Sitzung des Welternährungsrates der UN in New York heute unter meiner Leitung wurden Sofortmaßnahmen für eine Reihe von Sanierungsgebieten beschlossen. Unter anderen wurde wegen der lebensbedrohlichen Zustände rund um den früheren Aralsee entschieden, die gemäß der ersten Stufe der Sanierungsvorschläge gemachten Hilfsvorschläge sofort in Angriff zu nehmen. Genau so!“

„Das ist ja wunderbar!“, freut sich Geno. „Können wir nun Ben Hagir zum Leiter der UN-Aktionen vor Ort ernennen?“ „Das ist nicht mehr nötig! Das haben wir gleich mit erledigt! Weil er doch auch schon früher Untersuchungen in der Gegend vorgenommen hat und auch von dort stammt.“

„Herzlichen Glückwunsch! Dann werde ich die Planungen für den großen Kanal auch so schnell wie möglich vorlegen.“ „Machen Sie das. Der wird wirklich gebraucht!“ „Und mir fällt dazu ein, das Gebiet um den Aralsee zum Versuchsgebiet für eine Wiederansiedlung zu erheben! Wenn wirklich ein Kanal Wasser zum Aral bringt, werden auch Menschen dorthin kommen. Deren Ansiedlung muss genauso genau geplant werden, wie der zu bauende Kanal!“

In das von Oberst Nedal eingerichtete Internet-Überwachungscamp 3 kehrt allmählich wieder die Routine ein. Wenigstens wurde das Warten auf die Entschlüsselung des Boeing-Codes etwas unterbrochen. „Ich weiß gar nicht, warum ich dort hinunter ins Tal gesehen habe?“ „Das weißt Du doch nie. Du hast einfach geträumt und das Glück gehabt, etwas zu sehen.“ „Weißt Du, was ich mich frage, woher wusste der Bauer da unten so genau, wohin er blinken muss?“ „Frag ihn doch! Jedenfalls hatte der ein unglaubliches Morsetempo drauf. Seine Wünsche waren ganz genau formuliert. Und wen wir informieren sollten, wusste er auch genau.“ „Dann war es wohl kein Bauer.“ „Kann doch sein!“ „Hat dann ja wohl auch alles geklappt. Es kam ein Hubschrauber. Nur, ich habe das Fluggerät nicht gesehen, ich habe es nicht gehört, ich hatte nur den Leitstrahl auf meinem Ortungscomputer. Genial, genial, wie die ganze Anlage hier. Ich glaube, der Mann da unten ist ein ganz Wichtiger in der Organisation. Wie schnell der Hilfe bekam ...“ „Wenn Du in Not bist, bekommst Du die auch sofort!“

Jetzt meldet sich erst einmal das Entschlüsselungsprogramm und unterbricht damit die Gedanken der Besatzung von Camp 3 mit der Leuchtschrift: Code ermittelt! Speichern? „Hurra! Natürlich, sonst hätten wir ja völlig umsonst einen ganzen Tag darauf gewartet ...“ Speichern in Datei Boeing, USA! Code, gespeichert! Fertig! „Wollen wir Boeing einen Brief mit der Klarschrift ihrer Vereinbarung zuschicken?“ „So etwas solltest Du nicht einmal leise denken. Es wäre Dein Ende!“

Hanos Hubschrauber ist noch in der Luft, der am Morgen erteilte Auftrag aber schon ausgeführt. Die Piloten freuen sich auf den nahen Feierabend. „Hano ruft Helikopter.“ „Wir hören.“ „Welche Kraftstoffmenge benötigen sie noch für den Heimflug? Könnten sie hundert Meilen zusätzlich zurücklegen?“ „Ja, bei gedrosselter Turbine gehen auch zweihundert Meilen.“ „Gut, sie bekommen gleich über Leitstrahl verschlüsselte Koordinaten. Ein Notfall! Wegen der aufzunehmenden Last wird sich drosseln wohl nicht machen lassen. Informationen nur über Schlüsselfunk. Ende!“

Sofort drosselt der Pilot die Maschine und wartet gespannt, was kommen wird. Beide Piloten starren jetzt auf das Leuchttableau. Da, der Eingang einer neuen Mail! Alle warten gespannt auf die Entschlüsselung. Nur Sekunde, dann läuft der Schriftzug schon!

Erster Auftrag: fünf Grad Abweichung nach Osten. Bis auf Weiteres ... „Gut, machen wir.“ Nach zehn Minuten: ein pling! Nur ein Satz auf dem Bildschirm: Dem Leitstrahl folgen! „Mensch, der führt ja direkt in die Berge!“ Noch ein Satz: Positionslampen löschen! Und dann, nach drei Minuten: Drei Personen aufnehmen, eine schwer verletzt in zwei Minuten.

„Und wie finden wir die da oben in dem Berggewirr? Jetzt ist es schon völlig dunkel!“ „Das weiß ich doch nicht!“ Sie starren aus der Frontscheibe. Die Berghänge sind bedrohlich nahe. „Wenn der Leitstrahl aussetzt, müssen wir augenblicklich hochsteigen. Hier ist es ja eng wie in einer Großstadt.“ Eine Minute verstreicht ... Da, wieder dieses Pling: Auf Befeuerung unten voraus achten, steht auf dem Bildschirm. „Ja, wir sind da, dort brennt eine Flamme! Die ist aber mickerig! Hoffentlich ist ausreichend Landeplatz vorhanden.“

Die Frau ist schwer verletzt. Sie ist ohnmächtig. Der erste Pilot sieht mit einem Blick, dass sie sich beeilen müssen. Kaum ist die Trage im Rumpf verstaut, springen alle hinterher und zwei Minuten nach der Landung steigt der Heli wieder. Schneller ging es wirklich nicht! „Werden wir es noch schaffen? Es ist meine Frau. Die Soldaten haben sie so schwer verletzt. Wie lange werden wir bis Kabul fliegen? Werden wir es noch schaffen? Sie muss weiterleben!“, Mustafa presst die Fragen heraus. „Nicht so lange. Vielleicht zwanzig Minuten. Aber wir haben fast keinen Sprit mehr, deshalb werden wir nicht Vollgas fliegen können.“ „Aber wir werden es schaffen?“ „Wir werden es schaffen, wenn der Kraftstoff reicht ...“

Ein Blick auf den Leitstrahlcomputer? Der zeigt nun schon den Rückflug an: Drei Minuten in Richtung Norden zurück, dann auf den Richtungswechsel nach Westen achten. Höhe nach eigenem Ermessen fliegen. Sobald der Direktstrahl geortet wird, diesem folgen! Damit ist eine sichere Höhe programmiert! „Was würden wir wohl ohne den Leitstrahl hier in der Nacht machen?“, stellt der Funkpilot seine Gedanken in den engen Raum. Außer der hastigen Begrüßung und natürlich seinen Sorgen um seine Frau hat Mustafa bisher noch kein weiteres Wort gesprochen. Er ist noch vollkommen geschockt und sagt nur: „Sie haben ihr einfach in den Bauch gestochen. Hoffentlich muss sie nicht sterben. Wir sind doch noch so jung.“

Ein grünes Blinklicht neben dem Bildschirm signalisiert, dass sie jetzt auf dem Direktstrahl geleitet werden. „Wir sind gleich da! Dort vorne, das Leuchten am Himmel, das ist schon Kabul.“ „Hubschrauber ruft Hano.“ „Hano hört!“, klingt es fast augenblicklich aus dem Kopfhörer.

„Wo sollen wir landen?“ „Nehmen sie den offiziellen Krankenhauslandeplatz. Sie werden erwartet. Nur Pilot und Kopilot übergeben die Verletzte und dann sofort mit allen anderen an Bord wieder zum Firmengelände starten. Keiner soll aussteigen oder sich sehen lassen. Sofort wieder starten!“

„Na, da ist aber dicke Luft! Was mag denn das wieder heißen?“ „Egal, wir fliegen nur ...! Hoffentlich bekommen wir den Vogel da ohne Sprit wieder in die Luft.“

Oberst Nedal ist zufrieden. Der Umzug in das etwas außerhalb der üblichen Verkehrswege liegende Camp 2 klappte reibungslos. Der Umzug war nötig geworden, weil ein Vorkommnis die Entdeckung des Camps 3 möglich erscheinen ließ.

Der Code der Boeing-Korrespondenz war noch dort in Camp 3 neu berechnet worden. Damit lassen sich jetzt alle diese so wunderbar verschlüsselten Mails lesen, was ja eigentlich Sinn der Tag- und Nachtarbeit an der Programmierung war. Die übermittelten Daten müssen nun nur noch gewinnbringend aufbereitet werden. Für Oberst Nedal eine der leichteren Übungen ... So wie jetzt: Oberst Nedal liest die Reinschrift und beginnt bereits beim Lesen zu überlegen, was mit der Information wohl anzufangen sein könnte. Der Staat Karsarsien soll für einen Jet tatsächlich 13 Millionen Dollar mehr bezahlen als der Staat Durbey. Wenn Karsarsien den Preis, den Durbey bezahlen soll, erführe, würde diese Information wohl gut und gerne 3 Millionen Dollar Gewinn bedeuten. Das ist nicht so viel, und nicht genug, um damit das Entschlüsselungsprogramm zu amortisieren, nein, das nicht, aber wenn es sich bei dem Deal um 50 Jets handelt, wird die Sache lohnend. Jetzt muss nur noch ermittelt werden, warum Durbey weniger bezahlen soll. Ach ja, da haben wir ja schon einen Anhaltspunkt: Airbus liefert 20 Flugzeuge an den Verkehrsminister Jemina. Ich glaube, dahinter verbirgt sich eine verbotene Preisabsprache zwischen Boeing und Airbus. Also, gut, genau weiß ich es nicht. Pokern! Da will ich doch mal sehen, was Karsarsien mein Wissen wert ist. Und Airbus? Vielleicht wollen die ja auch die Preise von Boeing kennenlernen. Dann sind alle diese schönen Preisabsprachen nicht mehr viel wert. Und soll ich ihnen den niedrigen Preis für Durbey nennen? Ja, könnte sehr schön ins Geschäft passen. Aber natürlich gegen Bezahlung. Den Preis kennen die vielleicht schon ... Nein, das könnte das ganze Geschäft gefährden! Daran glaube ich aber nicht! Diese ganze Verschlüsselungsmühe, die sich die Boeing-Leute gemacht haben, muss doch einen Sinn haben? Ich bin sicher, die bezahlen ... Und Karsarsien? Die werden ganz sicher auch gerne für diese schöne Information zahlen, bei solchen hohen Forderungen an sie ... Nein, nicht so schnell, ich brauche erst noch den Preis, den der Staat Jemina an Airbus zahlt. Ich wette, der ist um 50 % zu hoch! „Mr. Laags, wen haben wir in der Airbuszentrale?“ „Es ist Monsieur Kaal, soll ich ihn kontaktieren?“ „Nein, das ist erst einmal nicht nötig.“ Und bei sich denkt Oberst Nedal: Ich werde den Finanzminister von Jemina ansprechen. Oder, noch besser, ich werde zunächst das Privatkonto des Verkehrsministers durchleuchten. Das macht weniger Mühe, zeigt den Umfang seiner Korruptionsanfälligkeit überdeutlich und ist unauffällig zu beschaffen ...

Ja, jetzt geht es Mustafa besser! Jetzt weiß er, seine Frau wird wieder gesund. Er fiebert dem Tag entgegen, an dem sie wieder aus dem Spital entlassen wird. Nun will Mustafa zurück zu seinen Feldern. Es ist jetzt die Zeit, in der alles wächst. Die Zeit, die er am meisten liebt. An sein erst vor wenigen Jahren beendetes erstes Leben, das nur aus Kämpfen, Kämpfen und immer wieder Kämpfen bestand, will er nicht mehr erinnert werden. Der Überfall auf sein Dorf war für ihn ein Trauma. Nun wohnt er bei Achmed Ohamadi im früheren Bruun. Der macht sich Sorgen um ihn und auch um dessen Freund Ali, der seit dem Vorfall neulich ebenfalls hinten im Gartenhaus wohnt. Bei Ali ist es anders. Der will natürlich auch zu seinen Feldern zurück. Dessen Sorgen sind aber wesentlich größer. Ali hat von seinem Mohnaufkäufer einen Kredit angenommen in der sicheren Gewissheit, das Geld mit der nächsten Ernte zurückzahlen zu können. Jetzt plagen ihn Existenzsorgen. Er hätte das Geld eigentlich schon im letzten Jahr zurückzahlen müssen aber Milizsoldaten verwüsteten ihm im Sommer seine Felder und danach war an eine Ernte nicht mehr zu denken. Der Mohnaufkäufer hatte Verständnis gezeigt aber für eine geringe Steigerung des Zinssatzes Stundung bis zur nächsten Ernte angeboten. Dafür wird Ali dieses Jahr alles, was er erntet, an den Aufkäufer abliefern und dann alle seine Schulden wieder los sein.

Nur, wovon er leben soll, das weiß er noch nicht. Es ist ihm auch egal. Seine Frau ist von den Soldaten ermordet worden und auf ihn allein kommt es nicht so sehr an. Seine Schulden allerdings, die will er zurückzahlen. Das ist ihm eine Frage der Ehre! Nur, dafür jetzt muss er erst einmal zurück zu seinen Feldern. Wenn er dieses Jahr wieder nicht bezahlen kann, ist Ali seinen Acker los! Dann gehört der dem Mohnaufkäufer und der schickt zum Bewirtschaften andere fremde Leute. Ali will seine kleine Wirtschaft aber doch behalten ... Achmed hört sich jeden Tag, wenn er vom Dienst zurückkommt, das Klagen seiner Einquartierung an.

„Ich halte das für keine gute Idee, jetzt wieder zurück in Euer Dorf zu gehen. Es ist gefährlich!“, sagt er, aber seine beiden Freunde lassen keine Ruhe aufkommen. Sie wollen zurück! Achmed wird mit Hano darüber sprechen müssen.

„... wir dürfen die beiden auf gar keinen Fall in ihr Dorf zurücklassen!“ „Das sehe ich auch so. Mustafa und seine Frau sind ja auch nicht das Problem. Aber Ali ist so furchtbar naiv. Der glaubt, für sein Land kämpfen zu können. Wie sollen wir ihm die Wahrheit beibringen?“ „Ja, wie sollen wir ihm die Wahrheit beibringen? Wenn er sich da sehen lässt, wird er sofort ermordet. Er ist immerhin einer der letzten Zeugen der Aktion, mit der sich dort jemand gutes sicheres Mohnland angeeignet hat.“ „Können wir etwas dagegen tun? Im Moment noch nichts. Da steckt bestimmt der Khan oder sein Hauptmann Dshamar dahinter. Ich denke es ist Dshamar. Der will sich für die Zeit nach der sicher bevorstehenden Vertreibung seines Warlords, diesem Khan, noch schnell ein größeres Landkontingent zusammen rauben.“ „Wenn wirklich Hauptmann Dshamar hinter der Schweinerei steckt, sind Ali, Mustafa und seine Frau und aber auch hier sehr gefährdet.“ „Stimmt! Die sollten wir also sofort in Sicherheit bringen.“ „Und wohin?“ „Zuerst müssen wir ihre Aussagen zu Protokoll nehmen und notariell beglaubigen lassen. Mit dieser Urkunde werden sich beide ihr Land für eine spätere Rückübertragung sichern. Dann muss Ali von Mustafa getrennt werden. Denn, wenn Ali irgendwo sein Leid herausredet und ihm jemand von den Zuträgern Khans dabei zuhört, sind alle drei in größter Gefahr!" „Könnte Ali vielleicht in das Strandhaus ziehen und Thea zur Hand gehen?“ „Sicher, das geht, aber erst muss ihm einer für die gefährliche Situation, in der er sich befindet, die Augen öffnen!“ „Ja, das ist wichtig! Ich mache das. Zumindest werde ich es versuchen.“ „Und wie könnten wir Mustafa und seiner Frau helfen?“ „Denen werden wir ein Häuschen besorgen. Vielleicht mit Garten. Da können die beiden die nächsten Wochen abwarten. Sprechen müssen wir mit den beiden aber auch. Sie sind in zu großer Gefahr und ich will auf gar keinen Fall auf einen so guten Mann wie Mustafa verzichten!“ „Gut Hano, so sollten wir es machen!“ „Und um den Khan kümmere ich mich selber. Der wird uns noch nützlich sein. Erst einmal lassen wir ihn in Ruhe …“

Das Programm ist entschlüsselt. Und so kann sich Oberst Nedal daranmachen, sein Wissen zu Geld werden zu lassen. Soeben hat er die Vertragstexte der Jet-Lieferungen in seinen Festplattenspeicher verschoben und überlegt, auf welche Art er dieses Mal mit den beteiligten Konzernen ins Gespräch kommen kann.

So hilfreich sein Wissen den Firmen auch sein mag, vorsichtig zu sein, ist oberstes Gebot! Auf gar keinen Fall möchte er Nachforschungen nach der Quelle seines Wissens zum Erfolg führen lassen! Dieses Mal, überlegt er sich, sollte man eine Homepage ins Netz stellen. Das ist dann der Schlüssel, um die Vorstände neugierig zu machen. Nur eine Stunde wird sie im Internet zugänglich sein, dann nicht mehr! Das muss reichen! Und wie gebe ich den Herren den entscheidenden Hinweis, dass sie die Homepage öffnen sollen? Bald öffnen sollen! Das ist einfach! Eine Email an eines der Vorstandsbüros gesandt und zwar ohne Kennung, müsste klappen. Und das Ganze wird aus Zambia abgeschickt. Na, wenn das dann noch rückverfolgbar ist ...“

So, wie wir ins Gespräch kommen, ist damit geklärt. Mit wem ins Gespräch zu kommen ist, muss noch entschieden werten. Mit den Abnehmerfluggesellschaften sicher nicht! Die haben so schöne Verträge gemacht, die sollte man nicht beunruhigen. Ich fange mal mit den stolzen Boeing-Leuten an. Die wollen ja weiterhin so stolz bleiben. Dieses Gefühl lassen sie sich bestimmt etwas kosten ... Warum soll ich mir nicht auch noch einen kleinen Scherz mit Airbus erlauben? Ich nehme die Airbus-Homepage, etwas abgewandelt! Das erregt bei Boeing gleich eine ganz andere Aufmerksamkeit! Das sieht doch dann gleich nach etwas Großem aus!

Und oben drüber: ‚Jetstream-Handelshaus‘. Rätseln sie nicht mehr, wer ihre Bilanzen verbessert! Tun sie es selber! Wünschen Sie sich, dass Ihre Verträge mit der Fluggesellschaft des Staates Jemina nur dem Jetstream-Handelshaus bekannt bleiben? Ja? So könnte es bleiben! Wir haben die Lösung! Push the Kontakt-Link! Und schon geht die persönliche Seite des Mr. Ronald R. Wang auf. Andere können von dieser Seite nicht senden. Das müsste eigentlich klappen ...

Und, was sage ich diesem stolzen Mr. Ronald R. Wang von Boeing? Ja, was will ich ihm sagen? Dass ich pro Flugzeug nur eine Million Dollar beanspruche! Das wird ihn sicher erfreuen, hat er sich doch vertraglich abgesichert, pro Flugzeug fünf Millionen mehr als üblich, bezahlt zu bekommen! Ich denke, wir erhöhen jetzt unseren Preis erst einmal auf zwei Millionen …

Mr. Jill, würden sie bitte diese Homepage etwas umbauen? Ich sage ihnen, wie ich es mir denke. Hier an dieser Stelle schieben wir einen Airbus A 380 ins Bild und dorthin, genau auf die Tür, kommt der Link zu unserem Überwachungscamp Afghanistan. Aber unter dem Link steht nur: Ich bin mir des Gesprächsbedarfes bewusst! Ja / nein! Mehr nicht! Und dort in die Ecke stellen wir die abwärts laufende Verfallszeit der Homepage. Beginnen wir einmal mit 60 Minuten ...

Mr. Jill macht sich an die Arbeit. Länger als eine halbe Stunde wird er nicht brauchen. Er ist darin sehr geübt ...

Schon seit einer Stunde redet Hauptmann Dshamar auf den Khan ein. „Ich will, dass sie augenblicklich still sind!“, schreit der plötzlich los. Der Hauptmann, der sich nur noch rechtfertigen will für sein Vorgehen bei der Erweiterung der Mohnanbaugebiete in den Bergen, kann überhaupt nichts mehr verstehen. „Wenn ich freie Hand habe, wie sie vorgeben, brauche ich mir jetzt keine Vorwürfe anzuhören!“, schreit er nun ebenfalls zurück.

Der Khan ist platt. So hat seit Langem niemand mehr mit ihm geredet. Was fällt dem Kerl ein? Natürlich habe ich ihm freie Hand gelassen. Aber gleich das ganze Dorf umbringen? Das geht dann doch zu weit. Wer soll denn dann noch arbeiten? „Wer soll denn nun die Mohnfelder bestellen?“, schreit er. „Das war als Exempel gedacht! Keiner der Bauern wird nun noch einmal versuchen, sich uns zu widersetzen!“ „Ach nein? Fällt Ihnen nichts anderes ein? Brennen Sie doch die Getreidefelder nieder, dann müssen die Mohnbauern ihr Getreide bei uns kaufen und wir können die Preise bestimmen! Das wäre konstruktiv gewesen. Ich wette, der Vorfall ist auch Oberst Nedal nicht verborgen geblieben.“„Das glaube ich nicht. Es ist niemand entkommen.“

„Hoffentlich haben Sie recht. Wenn nicht, werde ich mit Oberst Nedal sprechen müssen, und ihn um Hilfe gegen die UN-Eindringlinge bitten. Ich werde sagen, die UN bedrohen unsere Eigenständigkeit, sie bedrohen unser Land. Ich werde ihn davon überzeugen, dass die UN das Mohndorf da oben verwüstet haben.“ „Das ist sicher ein guter Gedanke ...“

Wir, die wir ein wenig mehr über die Zusammenhänge ermittelt haben, glauben aber nicht, dass Oberst Nedal dem Gedanken, die UN haben das Dorf ausradiert, glauben wird.

Derweil schreit der Khan seine Wut weiter gegen seinen Hauptmann: „Sie sollten nur für Wasser in dem Hintertal sorgen, damit wir die Mohnanbauflächen da oben vergrößern können. Verschwinden Sie jetzt! Ich will Sie so schnell nicht wieder sehen!“ Über die Beweggründe für irgendwelches Handeln von Oberst Nedal macht sich der Khan ganz offensichtlich ganz falsche Vorstellungen. Über die Beweggründe für das Handeln seines Hauptmannes weiß er gar nichts!

Der Welternährungsrat tagt heute im UN-Hauptgebäude im Sitzungszimmer von Mr. Gatti, dem Hochkommissar für Landwirtschaft. Themen sind die bereits angelaufenen Projekte im mittleren Orient zur Rückgewinnung ehemaliger Kulturflächen. Wobei der Ordnung halber gesagt werden muss, es laufen eine Reihe von Untersuchungen. Aber nur in einem einzigen der betrachteten Gebiete konnte bisher eine gravierende Verbesserung der Struktur erzielt werden. Das ist kein Fortschritt! Das ist im Angesicht der verheerenden Weltversorgungslage einfach nur deprimierend!

Betrachten wir aber zunächst das eine, das erfolgreich laufende Projekt. Das Gebiet liegt im nordafrikanischen Bergland und wurde gerade aus dem Machtbereich regierungsunfähiger Potentaten herausgelöst. Hinzu kommt, dass es Privatland ist und das Gebiet eines dort ansässigen Stammes ist. Ein Teil davon gehört allerdings Geno Ben Tut (2), einem erfolgreichen UN-Mitarbeiter und der Rest seinen Nachbarn. Wenn Geno nicht so beschäftigt wäre, könnte er täglich sehen, welche Fortschritte die eingesetzten Siedler auf seinem Land erreichen. Nur, Zeit dort hinzufahren, hat er nicht. Er arbeitet an einem neuen Sanierungsgebiet der UN. Das liegt am Aralsee. Und dafür muss er noch erhebliche Planungsarbeit aufwenden.

Allerdings, nach dem Vorbild und dem Erfolg in Genos Tal soll nun auch in anderen Teilen der Welt gehandelt werden. Zunächst heißt es aber immer: Die gegenwärtige politische Lage muss betrachtet werden. Wenn sich Potentaten gegen Hilfen für die hungernde Bevölkerung aussprechen, kann keine Hilfe geleistet werden. Sind aber erst einmal die politischen und wirtschaftspolitischen Probleme erfasst, kann sofort eine Strukturverbesserung der Wirtschaft erfolgen. Die Schwerpunkte liegen fast immer ähnlich: Inwieweit können frühere landwirtschaftliche Flächen wieder für eine Besiedelung zurückgewonnen werden? Diese Gebiete wurden ja viele Jahrtausende lang landwirtschaftlich genutzt. Erst in jüngster Zeit scheinen sie verloren. Überweidung, zu viele Menschen, falsche Wasserführung und Ähnliches sind die Ursachen.

Die Diskussion darüber, welches frühere Ackerland wieder nutzbar gemacht werden könnte, zeigt die Defizite in den einzelnen Ländern auf:

Einer Analyse der UN über die Ursachen für die gravierenden Landverluste in nur knapp zweihundert Jahren ergibt aber regelmäßig, dass fast überall die gleichen Fehler von den Verantwortlichen gemacht wurden. Aber es lohnt eine Detailbetrachtung. Es sind auch meist mehrere sich gegenseitig verstärkende Gründe. Über Allem aber steht die Überbevölkerung und damit die Überweidung mit den zur Versorgung lebensnotwendigen Weidetieren. Die Schädigung der Weiden hat in allen Teilen der Welt gravierende Ausmaße angenommen. Aber auch die politische Situation ist eigentlich überall geprägt von kleinstaatlichem Behauptungswillen einzelner Potentaten, die ohne überregionalen Bezug und ganz ohne Erfolg versprechende Ideen, dem schon eingetretenen Nahrungsmangel der Bevölkerung nichts entgegensetzen können.

Mr. Gatti hat dies von seinem Amt feststellen lassen und darüber referiert er nun: „Im Folgenden ergibt sich daraus, wie auch anderenorts, eines aus dem anderen: Überweidung, weil mehr Menschen mehr Vieh brauchen, falsche, unökonomische Bewässerung lässt aus dem Boden Salz aufsteigen oder das wenige vorhandene Wasser wird verschwendet, Kriege um die verbliebenen fruchtbaren Gebiete werden geführt und verwüsten damit auch noch die letzten Reste der zur Nahrungsmittelproduktion brauchbaren Landstriche.

Heute stellt sich die Situation für die einzelnen Staaten in allen davon betroffenen Regionen scheinbar aussichtslos dar. Gemeinsame Anstrengungen oder Absprachen über die aufgezeigten Probleme sind nicht in Sicht. Nach dieser niederschmetternden Analyse kommt Mr. Gatti jetzt zu Lösungsansätzen:

„Ich denke, nur fremde Hilfe von außen, also den UN, kann einen Ausweg aus dieser Situation bringen. Eine Basis für systematisches Handeln muss gefunden werden. Die in unserer vorletzten Sitzung von mir angeforderten Forschungsergebnisse liegen nun für einige wenige Gebiete vor. Dort wo unsere Untersuchungen noch nicht abgeschlossen sind, liegt das an massiven Behinderungen. Dessen ungeachtet wird an dem einmal erarbeiteten Strukturaufbau festgehalten! Wurde er doch von unserer für diese Zwecke extra gegründeten Forschungs- und Umweltuniversität Beirut für alle gleich konstruiert. Dort läuft ja auch noch dieses andere Projekt, die Schulung neuer Führungskräfte und Mitarbeiter, über das ich nachher noch kurz referieren möchte.“

Und dann erst berichtet Mr. Gatti von den schon vorliegen Forschungsergebnissen, und beginnt mit der Region ‚Mittlerer Orient‘:

„Die Gutachten zeigen auf, welche Rekultivierungsaufgaben erforderlich werden. Ich komme hier nur auf einige gravierende Punkte zu sprechen, ohne in die Details gehen zu wollen. Es zeigte sich nämlich, und das ist das Erfreuliche, dass der vorhandene Niederschlag rein rechnerisch ausreicht. Die Niederschlagsmenge ist durch die allgemeine Erderwärmung sogar noch gestiegen. Eine moderne Bewuchsbewässerung ist dadurch also möglich. Vorhandene technische Anlagen zum Wasserausgleich über lange Trockenphasen hinweg sind aber entweder zu klein dimensioniert, veraltet, oder schlicht nicht mehr funktionsfähig. Die Bewässerungsanlagen müssen deshalb flächendeckend neu konzipiert beziehungsweise instand gesetzt werden.

Es fehlt zudem an profiliertem Personal mit einem gewissen Sendungsbewusstsein. Wir denken dabei an Menschen mit Überzeugungskraft, die diese Region wieder auf ein wirtschaftlich interessantes Produktionsniveau führen können. Auch hierbei versprechen wir uns Hilfe von dem Führungskräfteausbildungsprogramm unserer UN-Universität in Beirut.“

Und wie vorhin schon angedeutet, gibt Mr. Gatti noch einmal einen Hinweis darauf, dass er einige Anmerkungen zu diesem Projekt im Anschluss an seine Ausführungen geben möchte.

„Flächendeckend müssen neben der Sicherung des Wasserhaushaltes Bodenstrukturmaßnahmen einsetzen, um das Bodennährstoffangebot konstant zu halten. Dazu gehören sowohl ein Abtrag der Sandaufwehungen, wie auch das Binden der Wanderdünen mit anschließender Bewuchsmanifestierung durch trockenheitsresidente Bodendecker.

Im Übrigen ist an Beschattungsanlagen gedacht, die gleichzeitig fotosynthetisch Strom erzeugen, der sowohl ein Handelsprodukt ist als auch Wasserpumpenergie für den Eigenbedarf darstellt.“

Die lange Liste seiner Vorschläge und Pläne ist noch nicht zu Ende.

„Wir wissen es ja schon lange, nicht unbeteiligt an der gegenwärtig unbefriedigenden Situation in der besagten Region ist die politische Führung. Nach dem vergangenen Ölboom erscheint dies allerdings auch kein Wunder zu sein. Das Umdenken auf die neue Wirtschaftskonstellation braucht Zeit und ganz sicher Hilfe von außen. Vor allem aber ist eines ganz wichtig: Wir müssen die Korruption in den verbliebenen Kleinstaaten überwinden!“

Und erklärend fügt Mr. Gatti ein: „Es rächt sich jetzt, dass die führenden Politiker eine rechtzeitige Hinwendung zu alternativen Energiequellen und zum Aufbau einer neuen Wirtschaftsbasis nicht für erforderlich hielten. Zurzeit haben wir dort zwar ein quasi stabiles System, das einer kleinen Oberschicht aus den letzten Ölreserven einen bescheidenen Lebensunterhalt ermöglicht, an eine Produktion von Lebensmitteln zur Selbstversorgung der Bevölkerung oder gar einen Export im großen Stil mit einhergehender wirtschaftlicher Gesundung ist aber nicht zu denken.“

Genau genommen ist dies alles den Teilnehmern der Sitzung seit Langem bekannt. Die verschiedenen Kriege in den letzten sechzig Jahren haben zudem gezeigt, in welch desolatem Zustand sich die sozialen Strukturen befinden. Das Ganze war nur durch den Ölexport überlebensfähig. Dabei haben Staaten ohne Ölvorkommen schon über Jahrzehnte hinweg eine ausreichende Landwirtschaft entwickelt und können darüber hinaus sogar noch für den Export Lebensmittel produzieren. Deren Möglichkeiten, auch künftig den Lebensmittelexport zu bedienen, sind allerdings durch die ständig bedrohlicher werdende Überbevölkerung und mangelnde Anpassung an diese neuen Bedürfnisse erschöpft.

„Wenn die bereits laufenden Verhandlungen mit den einzelnen Staaten zu keinen ausreichenden Ergebnissen führen, sind weitere Anklagen wegen eklatanter Menschenrechtsverletzungen nötig. Wir erwarten von den politisch Handelnden ein Umdenken und kooperative Mitarbeit statt Blockade der nötigen auch weltpolitisch wichtigen Maßnahmen. Als letztes Mittel bleibt uns wohl wieder nur eine Anklage der Verantwortlichen vor dem Internationalen Gerichtshof. So, wie wir bei den Potentaten der Kleinstaaten Bruun Tibrisien und Irasien (2) schon erfolgreich waren.“

Oberst Nedal weiß nun, wie er das Geld der habgierigen Flugzeugbauer gut anlegen kann. Langsam wird sein Traum war. Die Welt in der neuen Zeit braucht Wasser. Es muss ihr nur geliefert werden! Und er wird der Welt Wasser liefern! Allah sei Dank für diesen Gedanken! Danke Dir mein toter Freund Ene, dass Du mir geholfen hast, diese Vision zu erträumen. Alles wird sich fügen, wie Du es vorausgesagt hast und wie wir es vor langer Zeit beschlossen haben. Allah siegt mit seinem Propheten Mohammed. Wir alle sind seine Werkzeuge!

Draußen auf dem Flur nähern sich Schritte. „Die Boeing-Leute fragen an, ob es nicht ein persönliches Gespräch geben könnte zwischen ihrem Vorstandsprecher, Mr. Buscher, und ihnen über die Transfersumme für das Flugzeuggeschäft mit dem Staat Jemina.“ „So, so, die wollen verhandeln. Das bringt doch nichts! Die sollen einfach nur bezahlen. Sende ihnen eine Mail, wir sind hoch erfreut über ihre Verhandlungsbereitschaft, wir möchten sie bitten, diese Bereitschaft auf das Bezahlen unsrer Forderung auszuweiten. Im Falle einer solchen Bereitschaft werden wir alle ihre Flugzeuge in der Luft mit unseren besten Wünschen begleiten ...“ „Soll ich das so schreiben?“ „Natürlich! Und verschlüssele es in den Boeing-Code und sende es aus Camp 1 über einen unserer privaten australischen Internetserver.“ „Wird gemacht. Soll ich wieder den Kontonamen der UN-Lebensmittelhilfe für den Mittleren Osten angeben und eine IBAN-Nummer unserer Bank in New Sealand?“ „Ja, natürlich!“ „Soll ich auch noch eine kleine Drohung an Boeing anhängen, den Betrag nicht mithilfe der interstaatlichen Rechtshilfe zurückzufordern?“ „Nein, das ist wohl unnötig. Die wissen genau, dass sie dann ihr Geschäftsmodell offenlegen müssten. Das muss reichen!“ „Wird sofort erledigt!“ „Danke!“

Im Nachgang und nur um es nicht zu vergessen: Die Boeing-Companie, USA, gaben kürzlich in ihrem Spendenbericht bekannt, an die UN-Organisation für weltweite Lebensmittelhilfen eine großzügige Spende über zwölf Millionen Dollar gezahlt zu haben. Leider ging bei keiner der auch nur irgendwie ähnlich genannten UN-Organisation ein solcher Betrag ein. Ein Mitarbeiter der Organisation um Oberst Nedal dankte daraufhin aber dem Boeing-Vorstand mit den Worten, wir freuen uns, Ihren Geschäftsbetrieb nicht stören zu müssen ... Und das natürlich ohne Absenderkennung aber in höflichster Geschäftssprache.

Oberst Nedal glaubt, damit die Zukunft in seinem Sinne beeinflussen zu können. Recht hat er! Er sitzt nun auf seiner Dachterrasse, natürlich unter einem anderen Namen, insofern unerkannt, und sinniert über Änderungen seiner Geschäftsbesorgungen: Es wird wohl nicht möglich sein, künftig auf solche einkommensstarken Geschäftsfelder zu verzichten, denkt er gerade. BASF und Boeing sei Dank, haben wir überlebt! Vielleicht sollte ich den Kundenschwerpunkt ein wenig verschieben. Im Fernen Osten wachsen die neuen Probleme heran. Und wir glaubten schon, sie überwunden zu haben …

Na gut, wir sind dabei, sie zu überwinden und wir glauben jetzt, es schaffen zu können. Wir müssen es schaffen! Dabei ist Freiheit auch ein Geschäftsfeld, und ein leises Lächeln umspielt sein Gesicht. Aber die sehr viel lukrativere Geschäftstätigkeit, die mit den Daten, Fakten, Vertragsgegenüberstellungen und dem Wissen um heimliche Absprachen, nein, das wird sicher auch künftig gebraucht. Da wird Geld verdient. Das erfordert aber auch zunehmend meine ganze Aufmerksamkeit. Gut, dass ich immer auf asiatische Mitarbeiter wert gelegt habe. Die sind gut, die sind verschwiegen und nach zwei Jahren, wenn ihr Vertrag abläuft, wenn sie mit ihrem Gewinn zurückkehren, bleiben sie danach noch immer meine Geschäftspartner in Indien oder Pakistan. Aus China habe ich noch keine Bewerbung erhalten. Darüber sollte ich einmal nachdenken.

Das verdiente Geld muss aber neues Geld verdienen. Womit könnte das besser gehen, als mit dem, was die Welt am dringendsten braucht? Menschen gibt es genug. Und alle haben Hunger und alle wollen leben. Die Menschen brauchen Land und Wasser und Frieden zum Leben! Dann werden wir es ihnen geben müssen! Und Geld? Ja, Geld werde ich damit wohl weiterhin verdienen müssen (er grinst leise in sich hinein bei dem Wort: Verdienen). Mitsubishi, Daimler und alle die großen Globalplayer werden es möglich machen. Ich werde mir damit den Übergang in eine neue Welt finanzieren. Fruchtbares Land wird gebraucht, und das dazu nötige Wasser! Fruchtbares Land ist knapp! Aber unfruchtbares Land wird durch Wasser fruchtbar! Ja, vor allem durch Wasser!

Und insoweit ist Oberst Nedal sehr zufrieden mit sich und seinen Überlegungen. Wo Land ohne ausreichende Bewässerung liegt, weiß er nämlich! Und wenn irgendwo Wasser im Überfluss ist, weiß er das auch. Herrscht irgendwo Wassermangel und woanders Überfluss kann man es, muss man es, ausgleichen! Das wird seine Organisation nutzen! Ja, das könnte lohnend werden. Und nun lehnt er sich gemütlich zurück und genehmigt sich noch einen kleinen Schluck von dem vorzüglichen Rotwein. Andere Probleme müssen nun durchdacht werden. Eine andere Sparte seiner umfangreichen Betätigung erfordert nämlich zunehmend seine Aufmerksamkeit, weil der frühere Erfolg zu lahmen beginnt. Obwohl, im Moment eröffnet die moderne Bürokommunikation gerade ganz neue Perspektiven. Ja, die bisher erfolgreichen Geschäfte laufen gut! Trotzdem, in letzter Zeit haben mehr und mehr Zugriffe auf den Datentransfer keinen Erfolg gebracht. Etwas wird an der Vorgehensweise des Auskundschaftens von Industriedaten geändert werden müssen! Da kann es nicht schaden, noch ein weiteres Standbein im Geschäft zu haben …

Oberst Nedal ist sich da ganz sicher. Die ausgespähten Firmen werden Gegenmaßnahmen ergreifen. Lange kann die Situation nicht mehr aufrechterhalten werden. Gut wäre es, wenn dann eine neue Programmgeneration zur Verfügung stünde. Seit einiger Zeit arbeiten deshalb eine Reihe junger asiatischer Männer an dem Problem. Manchmal scheint es, als sei die Aufgabe gelöst: „Trojaner sind die neueste Idee“, sagt Schar, seine Frau. „Wir installieren in dem Fremdrechner ein kleines internes Programm mit einer 2bit-Adresse. Die wird aktiv, wenn wir Zugriff auf den Rechner haben. Und Zugriff haben wir, sobald der fremde Rechner unseren Code erkennt.“ „Und Lee meint, dass dies so einfach funktioniere?“ „Ja, er sagt, mit unserer ersten und legitimen Korrespondenz mit dem fremden Rechnersystem schaffen wir es bereits, den sogenannten Trojaner im fremden Rechner zu installiert. Die weitere Verbreitung unterhalb der Erkenntnisoberfläche auf alle anderen Programme im fremden System folgt dann automatisch. Bei jedem späteren ganz legitimen Zugriff auf Websites der jeweiligen Firma können dann immer auch Suchbegriffe mit eingeschleust werden und der Rechner antwortet artig wie ein kleiner Hund und bringt das Stöckchen. Verzeihung, bringt die Information zu uns ins eigene Rechnernetz.“ „Ja natürlich so soll es sein.“ „Das hört sich so einfach an, ist es das auch?“ „Nein, das ist es nicht! Es gibt da nämlich noch ein kleines Detail zu klären. Unsere Adresse erweitert den Datenumfang eines angesprochenen Programms um genau diese 2bit-Adresse, das kann ein internes Sicherheitsprogramm erkennen. Und dann sind wir raus aus dem schönen neuen Rechnertummelplatz!“ „Haben unsere asiatischen Profis schon eine Idee?“ „Nein, haben sie nicht. Es kann sich aber nur noch um Tage handeln, dann klappt es!“ „Und wie soll das dann funktionieren? Hast Du mal nachgefragt?“ „Natürlich habe ich Lee gefragt, ob er schon an einer Lösung dran sei. Er hat nur gegrinst und gesagt, in jedem Programm ist immer so viel Müll, dass es überhaupt nicht auffallen wird, wenn wir genau so viel von dem überschüssigen Schrott einfach löschen, wie wir für unseren Trojaner brauchen. Dann stimmt die Gesamt-bit-Bilanz wieder. Und die schöne Computerwelt ist für ein Fehlersuchprogramm wieder in Ordnung! Es merkt nicht, dass wir Adressen installiert haben.“ „Aber ich habe doch richtig gehört: So weit sind unsere Programmklempner noch nicht, stimmt das so?“ „Stimmt, sie müssen noch etwas nachdenken. Es muss nämlich auch der Wert der Quersummen erhalten bleiben. Und der ändert sich mit jedem offiziellen Aufruf. Hier liegt wohl das eigentliche Übel.“ „Hoffentlich haben wir die richtigen Leute beauftragt ...“

Und deshalb dankt Oberst Nedal Allah, dass der ihm geholfen hat, sich zu entschließen, in ein sehr viel realeres Projekt zu investieren. Der Datenhandel bringt Geld. Es bildet den Kapitalstock für das sehr viel größere, das realere Projekt, das er jetzt beginnen wird! Jetzt weiß er es! Wasserhandel wird das neue Geschäftsfeld sein!

Die Planung des zurzeit größten UN-Vorhabens läuft auf vollen Touren und kommt nun in die Entscheidungsphase. Ein riesiger Kanal soll quer durch Asien bis zum Aralsee gebaut werden! Bisher sind schon erste kleinere Sofortmaßnahmen zur Sicherstellung der Lebensgrundlagen der Bevölkerung rund um den Aralsee angelaufen. Aber das folgende Projekt, der große Kanal, der wird fast unermesslich groß!

Zurzeit überwacht Geno Ben Tut die letzten Planungen dieses großen Wasserkanals, der von den Flüssen Ob und Irtysch ausgehen soll und Wasser nach Süden zum Aralsee bringen wird. Wegen des Umfangs der Aufgabe und der politischen und finanziellen Probleme werden wir noch oft mit Geno Arbeit konfrontiert werden. Geno ist sich darüber im Klaren: Ganz problemlos wird das alles nicht laufen. Recht hat er! Aber das sehen wir später noch viel genauer. Es wird eine gewaltige Aufgabe!

Heute Abend aber wird sich Geno ein wenig verwöhnen lassen. Er wird mit Fatima, seiner Frau hinüber zu seinen Eltern, zu Hano und Schar zum Abendessen fliegen. Da kann er sich entspannen und sich mit seiner Mutter und seinem Stiefvater über seine Arbeit unterhalten. Solche großen Projekte wie das, an dem er gerade arbeitet, unterliegen natürlich strenger Geheimhaltung. Da ist es gut, mit jemandem seines Vertrauens sprechen zu können. Seine Eltern erscheinen ihm da gerade richtig.

Der Heli landet auf dem Vorplatz der Villa und wirbelt gewaltig Staub auf. Mit dem auslaufenden Rotor legt sich der Staub und Hano kommt vom Haus zur Tür gelaufen. „Da seid Ihr ja! Schar schon ist ganz aufgeregt, weil Ihr es endlich mal geschafft habt herzukommen. So weit ist der Weg zwar gar nicht, aber sie meint, wir sollten Euch nicht bepesten mit Forderungen, uns zu besuchen.“ „Hallo! Ja, wir hatten schon ein schlechtes Gewissen. Aber nun sind wir ja hier, und wir freuen uns auf den Abend mit Euch!“

Thea hat sich mal wieder übertroffen. Sie hat ein Menü von ausgesuchter Qualität bereitet. Das allerdings hat sich Schar einfallen lassen. Lachshappen an frischen Salaten, geschmorte Kalbsbäckchen mit Saisongemüse garniert und danach Apfel-Pflaumen-Kompott auf Quittengelee. Gekocht hat es aber Thea. Natürlich!

Nun sitzen Schar, Hano, Geno und Fatima in den bequemen Sesseln auf der Terrasse und genießen den feinen alten Bordeaux in den Gläsern. Geno berichtet von seiner Arbeit und auch davon, dass alles an der Planung des großen Kanals zum Aral geheim bleiben muss. Geheim bleiben soll, bis die UN-Versammlung endgültig den Bau beschlossen hat. Hano interessiert sich für Genos Arbeit. Er fragt, wo die Trasse verlaufen soll und wann etwa mit der Genehmigung zum Baubeginn zu rechnen sein könnte. Es wird ein schöner Abend. Entspannend und sehr angenehm. Als Geno und Fatima gegen ein Uhr nachts wieder im Heli auf dem Rückflug sind, fallen ihnen allerdings vor Müdigkeit fast die Augen zu.

Gegen zehn Uhr am nächsten Vormittag ruft Geno seine Eltern an, um sich für den schönen Abend zu bedanken. Nur Schar ist zu Hause. „Es ist wunderbar, dass Ihr Zeit hattet, herzukommen! Und vergesse nicht, die aufgetragenen Grüße an Mr. Gatti auszurichten!“ „Natürlich nicht, ich muss ihn ohnehin gleich anrufen. Ich muss nur die Zeitverschiebung zu New York abwarten. Sonst klingele ich ihn aus dem Bett!

Oberst Nedal weiß nun, wo der geplante Kanal verlaufen soll. Jetzt muss schnell gehandelt werden. Er ruft alle seine engsten Vertrauten zusammen. Und als er eintritt, sitzen sie im Besprechungszimmer schon beisammen. Kurze Begrüßung, kleine Gespräche über die Familien, dann ein Räuspern von Oberst Nedal und die kleine Runde ist erwartungsvoll und aufmerksam.

„Wir werden einen schmalen Steifen Land von Sibirien bis zum Aralsee kaufen. Zweihundert Meter breit, an manchen Stellen breiter und zwar über die gesamte Länge von ca. eintausenddreihundert Kilometern. Das sind ca. zweihundertfünfzig Quadratkilometer. Und die müssen wir uns sofort sichern!“ „Was sollen wir denn mit diesem Land, mit dieser Wüste? Das ist und das war nutzlos und das wird es sicher bleiben!“ „Ja, liebe Freunde, nutzlos kann es heute sein. Der Preis wird deswegen wohl nicht sehr hoch sein, aber wertlos ist es nicht!“ Und nun entwickelt Oberst Nedal seine Strategie: nur leider nicht uns gegenüber. Verständlich! Wir werden wohl noch warten müssen, ehe wir sehen können, was daraus wird …

Die UN hat ihr Versprechen wahr gemacht. Die vor einiger Zeit in kleinen Arbeitsrunden vorgeschlagenen Sofortmaßnahmen zur Sicherstellung der Lebensvoraussetzungen der Bevölkerung rund um den Aralsee haben alle Genehmigungshürden genommen. Es ist sozusagen als Kernzelle und als Einstieg gedacht. Später, wenn der Große Kanal gebaut wird, soll dann dieses erste Siedlungsgebiet erheblich erweitert werden, um das neue Wasserangebot auch entsprechend nutzen zu können.

Zum Bauleiter für das Gesamtprojekt ist Ben Hagir bestellt worden. Es ist seine erste große Aufgabe im Dienste der UN. Begleitet wird er von seiner Frau Fathma. Gleichberechtigte Partner sind die Aralseeanwohner. In strenger Arbeitsteilung werden sie die Kulturflächen vom salzigen Flugsand befreien. Das nötige Gerät, das heißt, Generatoren, Windräder, Wasserentsalzer und anderes werden gerade von den UN ausgeschrieben, gekauft und bezahlt. Ben Hagir wohnt dazu nun schon im Hotel seiner Eltern am Aralsee und hat dort vorläufig auch sein Büro eingerichtet. Täglich telefoniert er mit Geno und diskutiert mit ihm Varianten des Vorhabens. Die aktuelle Frage lautet: Könnten wir das Restwasser aus der Süßwassergewinnung schon gleich am Anfang in einem Salzwasserkanal ins Kaspische Meer leiten? Immerhin sind dem Aralseewasser 30% Süßwasser entzogen worden und der Rest ist also sehr salzig. Früher einmal war angedacht, dieses Restwasser über dem früheren trockenen Aralseegrund zu verregnen aber dort soll ja früher oder später wieder der See entstehen, dann könnte der hohe Salzgehalt für die Fischzucht schädlich werden. Geno und Ben überlegen hin und her!

„Gut“, sagt Geno, „bauen wir diesen Kanal gleich mit. So groß wird der bestimmt nicht. Ich werde mal den Rechner befragen, welchen Querschnitt wir brauchen.“ Ben meint auch: „Mehr als 10 m³/Sekunde brauchen wir nicht. Später, wenn Wasser von Norden kommt, wird das dann der Seeüberlauf und der Aralsee wird im Laufe der Zeit immer weniger salzhaltig sein.“ Die beiden besprechen Detail um Detail des gesamten großen Vorhabens. Müde werden sie nicht! Nach wochenlangem Arbeiten an den Einzelproblemen kommt aus New York diese Meldung und beflügelt den Arbeitseinsatz noch einmal erheblich. Ben erfährt es zuerst.

Geno: „Soll ich Dir etwas verraten? Wir können feiern! Der große Kanal ist jetzt schon in der letzten Phase des Genehmigungsverfahrens angekommen. Nur ein letztes Mal sollen die Wasser in der sibirischen Tiefebene geprüft werden! Man will sich nicht allein auf das Gejammer der Russen verlassen, dass dort wegen des vielen Wassers schon lange nichts mehr wachsen könne. Jetzt wollen die es doch nur noch loswerden!“ „Habt Ihr schon über Wasserpreise gesprochen?“ „Nein, das haben wir nicht. Das steht Dir noch bevor. Aber ich glaube, sobald es um Geld geht, werden wohl alle Beteiligten in Russland vergessen haben, dass sie heute händeringend um Rettung vor dem vielen Wasser betteln.“ „Dann lassen wir uns nur rechtzeitig etwas einfallen, wie Du mit den Russen umgehen könntest.“

Natürlich weiß Geno längst, dass die Duma eine Kommission eingesetzt hat, die das Land nicht nur von dem vielen Wasser in der sibirischen Tiefebene befreien soll, sondern daraus dem Land auch noch den größtmöglichen Gewinn bescheren soll. Nur leider ist es zurzeit überhaupt nicht klar, ob die Wasserwünsche, die aus der Aralseeregion kommen, erfüllt werden können. Es fehlt in der Duma schlicht und einfach an kompetenten Fachleuten. Jedenfalls, so scheint es, mangelt es dort an Fachleuten ohne eigene Interessen. Und es gibt viele Einzelinteressen. Private Interessen, die politische Entscheidungen mit beeinflussen. Eigene Ländereien mit Baumwollpflanzungen, die von sklavenartigen Pächtern betrieben werden, Fischfarmen in den großen Flüssen, Fährschiffsbetriebe, Holzhändler, die Staatswälder plündern und noch vieles mehr.

Seit etwa einer Stunde überfliegt der Regierungshubschrauber nun schon den Unterlauf des Ob. Wasser gibt es hier im Überfluss!

„Wir befinden uns etwa in Flussmitte!“, Professor Abramow von der geophysikalischen Fakultät der Universität Petersburg erläutert den Kommissionsmitgliedern über Kopfhörer das, was unten zu sehen ist. Der Fluglärm übertönt ansonsten jedes andere Geräusch. Aber zu sehen ist außer Wasser nichts. Kein Küstenstrich, kein Land, kein Haus, kein Baum. Seit etwa einer Stunde hat keiner der Mitfliegenden auch nur eine einzige Landmarke ausmachen können. Wasser, nichts als Wasser, soweit das Auge reicht!

Wenn Prof. Abramow meint, dass das da unten der Fluss ist, wird es wohl stimmen. Für mich sieht es wie das Meer aus, denkt Pjotr Potemkin bei sich. Er ist der Sachverständige für Wasserfragen in der Duma. „Jetzt, nach der Schneeschmelze wird der Fluss seine Wassermassen an das Nordmeer nicht mehr los. Er staut sich auf und steht meterhoch auf dem niedrigen Land.“ „Wie breit könnte der Überflutungsbereich hier sein?“ „Ich schätze, es sind vierzig Kilometer. Noch ist es Süßwasser. Aber nach jeder Ebbe und mit jeder Flut des Meeres ragt eine Salzzunge weiter hinein in ertragreiches Waldland.“ „Ein so gewaltiges Ausmaß habe ich mir nicht vorgestellt. Was kann man dagegen tun?“ „Jetzt? Nichts mehr! Vor Jahren schon hätten wir Sperrwerke planen müssen. Nur damit könnte man das ansteigende Meer vom Land fernhalten. Dafür ist es aber nun wohl zu spät! So etwas kostet Milliarden von Rubeln und braucht mindestens zehn Jahre Zeit! Jetzt können wir nur noch versuchen, den Schaden zu begrenzen.“ „Das ist ja ungeheuerlich“, schreit jetzt der Dumapräsident Dimi in sein Mikrofon, „das hätten sie uns vor zehn Jahren sagen müssen!“

Professor Abramow kann sich ein Lächeln nicht verkneifen: „Das ist richtig! Ich habe meinen Lehrstuhl seit zwanzig Jahren und solange warne ich schon vor diesem Problem. Vielleicht hätten sie es in all den Jahren einmal auf die Tagesordnung der Duma setzen sollen ...“ „Das ist ja ungeheuerlich ...“, wiederholt sich der sonst so würdige Dimi.„Meine Herren, ich will Ihnen hier auf diesem Flug nur zeigen, mit welchem neuen Handelsgut wir künftig die Welt erfreuen können. Sie sehen es selbst! Mit Wasser!“ „Wir müssen jetzt zurückfliegen.“ Der Pilot unterbricht mit seiner monotonen Stimme den beginnenden Streit und kurvt in einem großen Bogen in den Rückweg ein.

Tatsächlich hat Russland schon vor Jahren in verschiedenen UN-Beiräten mit dem Wunsch nach Flusssperrwerken auf das Problem des steigenden Meeresspiegels aufmerksam gemacht und Mittelzuschüsse beantragt. Erfolglos! Der von Russland angebotene Eigenanteil an den Kosten war einfach zu klein geblieben.

Wie dieser Umstand Herrn Dimi so lange verborgen bleiben konnte, wird wohl als sein persönliches Problem für immer bei ihm verbleiben. Warum dies alles Herrn Dimi, als dem Präsidenten der Duma verborgen blieb, wird wohl auch eines der großen russischen Geheimnisse bleiben. Richtig ist nämlich, das Projekt „Sperrwerk“ war niemals ernsthaft in Erwägung gezogen worden. Es gibt deshalb keine Planung, keine Kostenschätzung, keine Entscheidungsvorlage.

Professor Abramow knurrt derweil: „Ein Sperrwerk werden wir trotzdem noch brauchen. Es muss nun nur etwas anders aussehen, als wir es früher hätten bauen können. Zwei sich gegenüberstehende Dämme quer zum Fluss mit einem Durchlass in Flussmitte müssten eigentlich reichen. Den hohen Wasserstand können wir damit zwar nicht verhindern. Gegen das Versalzen würde es aber genügen ...“ „Ja, dann würde es wohl schon einen Erfolg bedeuten, wenn das Wasser unter uns Süßwasser bliebe und nicht versalzte.“ „Kann man so sagen!“ „Und was können wir mit dem vielen Wasser hier anfangen? Verkaufen?“, fragt jetzt Pjotr Potemkin, der vom Präsidenten bestimmte Vorsitzende dieser Parlamentarier-Exkursion laut und blickt fragend in die Runde.

Nun hebt Dimi wieder seinen Kopf. Langsam werden ihm doch noch einige Zusammenhänge klarer. Langsam verbindet er Gehörtes miteinander: „Da wurde doch einmal ein Kanal gebaut bis in die kasachischen Baumwollgebiete ...“

Professor Abramow schmunzelt schon wieder. Zu diesem Anschauungsflug hätte ich die Herren schon vor Jahren einladen sollen, nicht erst jetzt auf Weisung unseres Präsidenten, denkt er und doziert weiter: „Das Wasser wäre natürlich in den knochentrockenen Landgebieten südlich der sibirischen Tiefebene nötiger als hier. Da wird künftig noch weniger Regen fallen als in früheren Jahren. Nur, der alte Kanal, von dem Sie da gehört haben, verehrter Herr Dimi, reicht dafür nicht aus. Der war nie leistungsfähig! Der war eine glatte Fehlplanung! Ein Investitionsgrab! (Und ein Grab für viele Tausend Arbeiter! Sinniert der Professor). Aber ansonsten ist der Gedanke richtig: Das Wasser sollten wir verkaufen!“ „Und wie soll das Wasser dann von hier in die kasachische Steppe gelangen? Das geht doch nur mit einem Kanal! Und ein neuer Kanal würde doch viel Geld kosten!? Wer würde ein so großes Interesse an unserem Wasser haben, um uns den Kanal und dann auch noch das Wasser bezahlen zu wollen? Der Kanal könnte doch wieder ein Flop werden.“ „Aber bitte, meine Herren, das stelle ich mir einfacher vor, als es sich jetzt anhört. Es scheint für uns wirklich einfach zu werden: Wir stellen das Wasser den UN zur Verfügung. Sollen die doch einen Kanal entwerfen oder den alten Graben vergrößern. Wir bauen ihn und bekommen dafür auch noch Geld. Geld für das Wasser und Geld für den Bau des Kanals und dann noch einmal Geld für den Betrieb des Bauwerkes. Ein Sperrwerk, wie es mir vorschwebt, könnten wir daraus auch noch leicht finanzieren.“ Dimis Kopf ruckt jedes Mal, wenn das Wort „Geld“ fällt, höher und höher. Geld gefällt ihm! Und sein schlauer Beitrag zu dieser Diskussion: „Das Wasser können wir ihnen geben – wenn sie genug dafür bezahlen.“

Richtig ist, dass sich die UN schon lange um einen Wasserausgleich bemühen. Und in den Weiten Zentralasiens wird schon lange mit großer Begehrlichkeit auf die gewaltigen Wassermassen der sibirischen Flüsse gesehen.

Wir verraten hier sicher nicht zu viel, wenn wir vorhersagen, dass „Wasserausgleich“ bald auf der ganzen Welt zum Schlagwort wird. Nur die Kommissionsmitglieder hier im Hubschrauber sehen sich erst einmal verständnislos an. Längst sind nämlich die überregionalen Planungen über ihre Köpfe hinweggegangen. Sie wissen es nur noch nicht.

„Wie soll das gehen?“, fragt Potemkin in die Runde. „Ist dieses Flusswasser unsere Verfügungsmasse? Mir ist egal, wie viel Land damit fruchtbar werden kann – wenn wir es nur bald von hier weg brächten!“ Und angesichts der unendlichen Wassermassen da unten denkt er unweigerlich an den bisherigen Nutzen, den ihm sein privater zweiundzwanzig Quadratkilometer großer Wald bisher brachte. Jetzt ist er von Wasser bedeckt und wird wohl nie mehr weiter wachsen ...

Von solchen Überlegungen ist Professor Abramow frei. Er verfolgt seit Jahren die Entwicklung, sitzt in internationalen Gremien und kennt vor allem Mr. Gatti, den UN-Kommissar für Welternährungsfragen. Sie beide sind sich in einem Punkt einig: Das Flusswasser darf sich künftig nicht mehr so nutzlos wie bisher verströmen. Beide wissen um den Nutzen des vielen Wassers: Und deshalb war der Präsident Russlands nach Amerika geflogen und kommt gerade zurück aus New York vom Welternährungsgipfel. Und dort wurden ihm die neuesten Zahlen über die hungernden Menschen auf der Welt nahe gebracht. Nun denkt er, der russische Präsident, genau wie Professor Abramow, mit einem solchen Projekt wie dem Wasserausgleich zwischen Sibirien und der Aralsee-Gegend ließen sich bestimmt Punkte vor der Welt sammeln. Nur deswegen kam der Hubschrauberflug zustande. Zur Meinungsbildung seiner verantwortlichen Fachleute und einiger Duma-Mitglieder. Seine eigene Meinung hatte sich der russische Präsident schon viel früher bei Gesprächen in New York im mit Mr. Gatti, dem Kommissar der Welternährungs-Kommission, gebildet. Er weiß, sein Land braucht Ansehen in der Welt und frische Devisen. „Aber Vorsicht!“, warnt er sich selber. Noch sind die schlechten Erfahrungen der Sowjetunion mit Fluss-Umleitungen und Kanal-Fehlplanungen in der Erinnerung sehr vieler Menschen. Dieses Mal sollen den Kanal doch andere planen. Vielleicht die UN? Aber warum weiß er denn nicht, dass das meiste der Planungsarbeit längst gemacht ist, ja, das Ganze schon vor dem Abschluss steht? Mr. Gatti hätte es ihm sagen können …

Zunächst einmal waren die früheren Versuche eines Wasserausgleiches zu untersuchen und zu bewerten. Dazu gehört also eine Analyse, warum die früheren Versuche nicht zu einem Erfolg führten. Immerhin wurde schon in der Mitte des Zwanzigsten Jahrhunderts ein Wasserkanal zur Versorgung der nördlich des Aralsees angelegten Baumwollfelder gebaut. Und das unter Aufopferung von Millionen versklavter Menschen. Nutzen brachte dieses Bauwerk nicht! Ja, die Arbeit war erfolglos, zu schwach, zu schlecht geplant. Administrative Entscheidungen wurden gegen physikalische Gesetze gestellt. Das musste schief gehen. Was ging dabei nicht alles verloren? Neben unzähligen Menschen scheinbar auch eine grandiose Idee und eine unglaubliche Natur. Nur war der dem Kanal zugrunde liegende Gedanke wirklich so falsch? Ideen sterben nicht. Sie bleiben erhalten, werden befördert und irgendwann wieder aufgegriffen, manchmal auch neu erfunden. Mit dem neuesten Stand der menschlichen Erkenntnis sind sie vielleicht besser zu realisieren, als es zuvor jemals möglich gewesen wäre. Hat ein solcher Kanal nun vielleicht doch eine Zukunft? Wir werden sehen …

Müssen wir uns noch einmal erinnern? Baumwolle für den Weltmarkt lautete das Schlagwort der alten Sowjetregierung. Und das war dann der ideologische Antrieb für eine der größten Umweltkatastrophen der Welt. Der frühere Stolz der Menschen, der große Aralsee, ist dadurch zu einer unfruchtbaren Sandlandschaft mit einem immer kleiner werdenden Seerest verkommen. Dämme und Fluss-Ausbaggerungen, um wenigstens einen Restsee zu erhalten, können niemals das Gesamtproblem lösen. Es fehlt an großen Zuflüssen! Damals, vor hundert Jahren ging das alles gründlich schief! Der geplante Kanal war zu schwach, die umgeleiteten Flüsse waren zu klein, der Wasserbedarf für die Baumwollfelder zu mächtig. Für den Aralsee blieb nichts übrig! Nichts! Denn dem bekam das gar nicht gut! Der wurde immer kleiner. Man hätte es wissen müssen. Wissenschaftler haben es kommen sehen. Und Stalin, der damalige Sowjetherrscher, ließ Kritik an seinem Traum nicht gelten! Im Gegenteil, Kritiker wurden zum Bau von sinnlosen Kanälen verurteilt. Es wurden ja schließlich mehrere davon gebaut, nicht nur einer! Und es ist nicht vergessen, dass die ehemaligen sowjetischen Herrscher Millionen von Menschen zur Zwangsarbeit an diesen Kanälen verpflichtet hatten. Unglaubliches wurde geschaffen! Es reichte aber nicht! Der Kanal, der die Baumwollfelder in Kasachstan bewässern sollte, ging verloren, genauso wie seitdem der Aralsee verloren zu sein scheint! Könnte ein Wasserausgleich mit dem heute zu Verfügung stehenden Equipment erfolgreicher sein? Ganz sicher! In vielen Ländern der Welt wurden noch viel größere Projekte erfolgreich bewältigt. Nur eben nicht in diesem Teil der Welt. Nicht in Asien ...

Während die von Russland eingesetzten Mitglieder der Regierungskommission nach der Wasserbesichtigung per Hubschrauber noch immer nach Lösungen suchen, hat die Idee des Irtysch-Aralsee-Kanals schon längst das Stadium einer Seminararbeit der UN-Universität in Beirut verlassen. Die Studenten der Uni Beirut sind heute Entscheidungsträger in der Verwaltungsarbeit der UN. Und sie alle wissen: Der Kanal wird benötigt. Der Kanal wird gebaut werden! Das heute zu Verfügung stehende Equipment lässt ein solches Projekt möglich erscheinen.

Es ist nun kein Problem mehr allein des russischen Präsidenten. Die UN sehen die Möglichkeit, Menschen mit Lebensraum zu versorgen. Wie viele Menschen könnten durch einen Kanal, durch ein neues Siedlungsgebiet, neuen Lebensraum bekommen? Eine Million Menschen? Oder 500 Millionen Menschen? Gigantische Aussichten, und doch ist es nur eine Teillösung! Viel mehr Menschen, als wir denken können, sind auf der Flucht vor den Folgen der Klimaveränderung. Sind in Lagern eingepfercht. Leben in ohnmächtiger Unzufriedenheit ...

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Das Wasser und das Böse

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