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Gesammelte Schriften

von

Friedrich Gerstäcker.

Neunzehnter Band.

Volks- und Familien-Ausgabe.

T a h i t i.

Jena,

Hermann Costenoble.

Ausgabe letzter Hand, ungekürzt, mit den Seitenzahlen der Vorlage

Gefördert durch die Richard-Borek-Stiftung und Stiftung Braunschweigischer Kuilturbesitz

Friedrich-Gerstäcker-Gesellschaft e.V. und Edition Corsar, Braunschweig, 2020

Herausgegeben von Thomas Ostwald nach der von Friedrich Gerstäcker

eingerichteten Textausgabe für H. Costenoble

Geschäftsstelle: Am Uhlenbusch 17, 38108 Braunschweig

Alle Rechte vorbehalten! © 2016 / © 2021

1.

Der Walfischfänger.

Von einem leichten Ostpassat getrieben, dazu die Obersegel fest, ja sogar noch mit einem Reef im Kreuzsegel, der vor einigen Abenden hineingenommen, und den man sich gar nicht die Mühe gegeben hatte wieder auszustechen, kam ein schwerfälliges, schmutzig aussehendes Schiff langsam bei dem Winde nach Süden herunter und näherte sich einer in der Ferne eben sichtbar werdenden kleinen hohen Insel der Cooksgruppe.

Schon die großen fettigen Stellen in den Segeln, auf denen die Leute, nach dem Thranauskochen, beim Reefen allabendlich gelegen, verriethen den Walfischfänger, hätten ihn nicht auch die an besonderen Krahnen zu beiden Borden aufgehangenen und noch auf Querstützen über Deck besonders gehaltenen Boote als solchen dargethan. Andere Fahrzeuge besuchten auch selten diese Gewässer, und selbst die Walfischfänger nur in diesen Monaten Januar und Februar, ehe sie wieder mit anbrechendem Frühling nach Norden aufgingen, die einträglichere, wenigstens ergiebigere Jagd der „rechten Walfische" der der Spermacetis vorzuziehen. Es war diesmal aber noch ziemlich früh in der Jahreszeit, und der Delaware, wie der Walfischfänger getauft worden, hatte im Anfang beabsichtigt Tahiti anzulaufen. Durch den starken Ostpassat aber und die klein geführten Segel, wie mit der /6/ starken Aequatorialströmung gegen sich, zu viel nach Westen versetzt, mußte er erst wieder nach Süden hinunter, etwas mehr in die Region der veränderlichen Winde zu kommen, oder auch vielleicht einen der dann und wann einsetzenden Westwinde zu benutzen, und beschloß jetzt nur die erste in Sicht befindliche Insel anzulaufen, um einige Erfrischungen und vielleicht etwas Holz einzunehmen.

Das Wasser zwischen diesen Inseln ist übrigens, häufiger Riffe wegen, den Schiffen oft gefährlich, und die mit den Localitäten nicht sehr gut vertrauten Fahrzeuge machen, wenn sie in solchen Gruppen nichts zu thun haben, lieber einen ziemlich bedeutenden Umweg, sie zu umgehen, als daß sie sich leichtsinniger Weise hineinwagen. Mit einem Walfischfänger ist das aber ganz etwas Anderes; er versäumt, sobald er sich erst einmal auf seinem Jagdgrund befindet, keine Zeit mehr, denn wenn er segelt, hat er die Möglichkeit ebenso auf seiner Seite, daß er von den Fischen weg, als ihnen gerade entgegenläuft, und wenn er still liegt, kann er eben so gut eine ganze „school" versäumen, die vielleicht dort vorübergeht, wo er hätte sein können, als die auf ihn zukommenden, gerade wie auf der Lauer, abfangen. Das Ganze ist Glückssache und dem Bürschen auf Rothwild in einem fremden Walde nicht unähnlich. Kommen diese Walfischfänger also an solche Stellen, so suchen sie, ehe es dunkel wird, hinter irgend eine kleinere Insel oder Riffbank zu laufen, wo sie entweder Ankergrund oder Raum zum Kreuzen haben, und treiben dort die Nacht herum, bis ihnen die aufsteigende Sonne wieder ihre Bahn beleuchtet.

Gerade mit Sonnenuntergang war denn auch der Delaware bis westlich von Atiu, einer nicht ganz unbedeutenden Insel, gekommen, und der Capitain wäre gern die Nacht vor Anker gegangen. Die Stellen aber, die er untersuchte, waren überall, bis fast dicht an die schäumenden Riffbänke, so tief, daß er sich nicht der Gefahr aussetzen mochte, so nahe unter dem bösartigen Ufer von einem der hier oft sehr rasch eintretenden Weststürme überrascht zu werden. Er ließ also die Segel dicht reefen und kreuzte (eben nicht zum Vergnügen /7/ der Mannschaft, die sechs- bis achtmal in der Nacht mit dem Schiff herum mußte) in Lee der Insel auf und nieder.

Capitain Lewis kümmerte sich übrigens den Henker darum, ob er seinen Leuten damit einen Gefallen that oder nicht. Er und sie standen, wie man's am Lande nennen würde - „auf Hofton" mit einander - d. h. er sprach, seit einigen auf den Sandwichsinseln stattgehabten Auftritten, nur sehr höflich mit ihnen und nannte sie, wenn er sie zu einer Arbeit im Einzelnen aufforderte, gewöhnlich Mister, und if you please, mit starker Betonunng des letzten Wortes, aber mit einem Blick dabei, der deutsch genug sagte: „Wenn Du nicht springst, Canaille, zu thun, was ich Dir sage, so laß ich Dich bei den Beinen aufhängen".

Er, zum Dank dafür, hieß bei den Leuten, statt wie sonst gewöhnlich „der Alte" (the old man), nur „the old devil" (der alte Teufel), und wußte das auch recht gut. Ja es schien ihm ordentlich Spaß zu machen, daß er so genannt wurde, und er hatte seiner Mannschaft schon mehrmals versichert, er wolle sich bemühen, seinem Namen keine Schande zu machen; welches Versprechen er auch bis jetzt redlich gehalten.

Die Mannschaft eines Schiffes ist in solchen Fällen übel dran. -Widersetzt sie sich, so ist es Meuterei, und sie wird darnach bestraft, mögen die Leute Recht haben oder nicht, und halten sie auf der andern Seite aus bis zu Letzten und verklagen nachher den Capitain, so ist Zehn gegen Eins zu wetten, daß dieser dennoch Recht bekommt. In sehr vielen Fällen hat er's aber auch, und es giebt wohl auf keinen Fahrzeugen der Welt, Kriegsschiffe vielleicht ausgenommen, toller zusammengewürfeltes Volk, als auf diesen Walfischfängern. Ein ordentlicher Matrose geht selten oder nie darauf, es ist meist lauter aufgelesenes Ufervolk, die faul genug sind ihre eigene Arbeit bei Seite zu werfen, und Romantik genug im Kopfe haben, sich von einem „Walfischzug" ein ganz besonderes Vergnügen und außerdem einen bedeutenden Nutzen zu versprechen. Die guten Leute sehen dann gewöhnlich immer etwas zu spät ein, daß sie sich in der ersten Erwartung jedesmal, und nur zu häufig in der andern ge-/8/täuscht haben, und sie sind dann eben einmal und nicht wieder Walfischfängcr gewesen. Fast jedes neu ausgehende Schiff hat deshalb, die Officiere ausgenommen, auch eine durchaus neue Besatzung.

Schuster und Schneider, besonders die letzteren, sieht man sehr häufig dabei; Tischler und Maurer, Schmiede und Böttcher, Gerber und Cigarrenmacher - alles wird Walfischfänger, und der Capitain eines solchen Fahrzeugs hat dann oft, wie sich nicht leugnen läßt, eine entsetzliche Zeit, dies Volk, von dem er vorher weiß, daß es doch nur eine Reise bei ihm aushält - ja schon an den nächsten Plätzen, wo er anlegt, fortläuft, wenn er ihnen nur Gelegenheit dazu gäbe, so weit einzurichten, daß sie wenigstens erst einmal verstehen lernen, was sie nur überhaupt zu thun haben. Dies sie nachher wirklich thun zu machen, hat schon weniger Schwierigkeiten. Kommen nun ordentliche, ruhige Menschen manchmal zwischen diese hinein - d. h. die Mannschaft, denn die Officiere, vom Bootsteurer aufwärts, bilden ein ganz besonderes, abgeschlossenes Corps - so fühlen sich diese gewöhnlich höchst unglücklich und verwünschen den Augenblick, wo sie sich von der Romantik der Sache bethören ließen - aber leider zu spät, und die viertehalb Jahre, die eine solche Fahrt sehr häufig dauert, werden ihnen zur Hölle.

Doch zurück an Bord unseres Fahrzeugs. Zum Ausschauen auf der Back vorn stand ein junger Mann, dessen edle, fast schöne Gesichtszüge wie der schlanke, schmächtig gebaute Körper wohl passender für einen Salon als das Vorcastle eines Walfischfängers geschienen hätten. Das volle braune Haar quoll ihm in dichten Massen unter der breiten schottischen, dunkelblauen Mütze vor, und seine reinliche Kleidung selber unterschied ihn auffällig von der übrigen, besonders in diesem Punkt höchst nachlässigen Schaar. Es war ein junger Franzose aus sehr guter Familie, der sich in Boston, mehr einer tollen Laune oder ziellosen Reiselust zu Liebe als aus irgend einer andern Ursache, hatte verleiten lassen, an Bord des Delaware eine Reise nach der Südsee mitzumachen, und der jetzt still und brütend nach dem nahen /9/ Lande hinüberschaute, das mit dem dunkeln Schatten seiner Palmen in träumerischer Ruhe vor ihm lag.

„Nun, René, so in Gedanken?" sagte plötzlich neben ihm eine freundliche Stimme, und eine Hand berührte leise seine Schulter - „an was denkst Du?"

Der Angeredete fuhr wie erschreckt aus seinem Nachdenken empor und schaute sich um; als er aber den Sprechenden erkannte, sagte er rasch und fast erfreut:

„Es ist mir lieb, Adolphe, daß Du gerade in diesem Augenblick zu mir kommst, ich bin eben mit meinem Entschluß in's Reine gekommen - ich verlasse dies Schiff."

„Thorheit," sagte Adolphe kopfschüttelnd - „Du kennst die Verhältnisse hier nicht, René. Kämst Du wirklich glücklich an Land, so brauchte der Capitain nur eine unbedeutende Belohnung auf Deinen Fang zu setzen und Du würdest rettungslos ausgeliefert. Ich bin schon früher hier gewesen und habe den Fall zweimal ausgeführt gesehen. Die Eingeborenen sind seelensgut, aber wie die Kinder - ein Spielzeug könnte sie zu irgend etwas verführen - sei es nun zum Guten oder zum Bösen."

„Hab' ich erst festen Boden unter den Füßen, so könnten sie mich nur als Leiche wieder zurückschaffen," murmelte René mit düsterem Blick und fester Entschlossenheit zwischen den zusammengebissenen Zähnen durch.

„Das wäre Thorheit," sagte aber sein älterer Freund, ein Landsmann von ihm und jetzt dritter Harpunier auf dem Delaware, der mit René schon in Algier gefochten und in Kanada gejagt, und damals Alles versucht hatte, ihm einen so tollen Entschluß, wenn auch vergebens, auszureden: als gemeiner Matrose das Leben eines Walfischfängers zu versuchen. „Du bist noch jung, René, und das Leben steht Dir weit und freudig offen, bring Dich deshalb nicht gleich um Alles, blos weil es Dir in den Sinn kommt, die Suppe, die Du Dir selber eingebrockt, nicht ausessen zu wollen. Ein, höchstens zwei Jahre, und Du bist wieder frei wie der Vogel in der Luft, und selbst diese Zeit wird Dir dann, so schmerzvoll und entsetzlich sie Dir jetzt auch scheint, eine freudige, /10/ vielleicht liebere Erinnerung sein, als manch' frohe und glücklich verlebte Stunde."

„Ich halt' es nicht aus, Adolphe, ich halt' cs bei Gott nicht aus" sagte René kopfschüttelnd - „hier unter dem rohen Volk noch Jahre lang bleiben und an Geist und Körper zu Grunde gehen - ich vermag es nicht. Du weißt dabei, wie nahe ich zweimal schon daran war, mit dem Capitain selber, der fast schlimmer ist als der Schlimmste seiner Leute, zusammen zu gerathen, und wer schützt mich dann vielleicht sogar vor seinen rohen Mißhandlungen? Das Resultat bliebe dasselbe, auch das ertrüge ich nicht. Lieber will ich deshalb mein Leben hier wagen, wo mir noch die Möglichkeit eines Entkommens bleibt, als zuletzt gezwungen werden, dem Capitain ein Messer in den Leib zu rennen und über Bord zu springen. Nein, Adolphe, ich bin fest entschlossen" setzte er leise, aber mit ruhiger und überzeugter Stimme hinzu. - „Die erste Gelegenheit, die sich mir bietet an Land zu kommen, benutz' ich, - ich weiß und fühle, daß mir nichts Schlimmeres begegnen kann, als was ich setzt in Seelenqual und innerer Unruhe zu leiden habe."

„Hol's der Henker," sagte Adolphe nach kurzem Sinnen - „wer weiß, ob ich's nicht an Deiner Stelle und mit Deinem jungen Blut in den Adern am Ende auch thäte. Aber wie willst Du's ausführen? Es ist noch ganz ungewiß, ob der alte Teufel ein Boot abschickt, Erfrischungen einzunehmen oder nicht, - er traut uns Allen miteinander nicht."

„Doch" entgcgnete ihm René - „ich habe vorher zufällig gehört, daß unser Boot mit dem ersten Harpunier morgen mit Tagesanbruch hinüber soll, Brodfrucht und Cocosnüsse abzuholen. Die Gelegenheit will ich jedenfalls benutzen, noch dazu da es einen Vorwand giebt, reichliche Kleider mitzunehmen. - Die Leute haben ja sonst nichts, sich Kleinigkeiten von den Eingeborenen einzutauschen."

„Und sowie Du im Wald drin bist," sagte Adolphe immer noch kopfschüttelnd, „hetzt der alte Seehund von Harpunier Dir die ganze Einwohnerschaft hinterher - wie willst Du ihnen entgehen? - René, René es ist wahr, das Land liegt wohl verlockend genug vor uns da, und selbst mir /11/ zuckt's in den Knochen, einmal frei darauf herum zu spazieren und von diesem - verdammten Marterkasten los zu kommen, aber - ich weiß doch nicht - hast Du einmal das Schiff verlassen und wirst wieder eingefangen, so kommst Du nachher erst in eine Hölle, wenn Du vorher in keiner gewesen bist. Ich glaube nicht, daß es zwei Tage dauert, ehe sie Dich wieder haben - und die zwei Tage verlebst Du wie ein gehetzter Wolf."

„Und es hilft doch nichts," lächelte Rcné trübe; „ich hab's mir einmal in den Kopf gesetzt, und ich führ' es aus, mag daraus entstehen, was da will. Schlimmer kann's nicht werden."

„Doch, doch," sagte Adolphe, „es kann noch viel, viel schlimmer werden. Du hast es noch nicht gesehen, wenn es an Bord eines Schiffes einmal recht schlimm ist," setzte er schaudernd hinzu - „und ich verlang' es ebenfalls nie, nie wieder zu erleben. Außerdem bist Du der Sprache gar nicht mächtig - wie willst Du Dich den Leuten verständlich machen? René, es geht in der Welt Alles nach Eigennutz - bist Du erst einmal älter, wirst Du das auch selber erfahren - und die Eingeborenen hier wissen recht gut, daß sie von einem entlaufenen Matrosen nicht viel Gutes und gar keinen Nutzen zu gewärtigen haben, während ihnen der Capitain eine Masse Sachen geben kann, die für sie und ihr einfaches Leben förmliche Schätze sind."

„Ich habe Geld bei mir," sagte René rasch. - „Peste, Ich brauche des alten Schuftes Blutgeld nicht, mir meine Bahn auch im schlimmsten Fall zu erkaufen, wenn cs denn nicht anders sein kann."

„Das ist schon ein sehr großer Vortheil," lächelte Adolphe, „und cs werden wenig Matrosen von Walfischfängern weglaufen, die wirklich einen Franc in der Tasche haben, aber der Capitain bleibt immer im Vortheil. - Aexte, Beile, Kattune und Schmuck, und besonders Spirituosen sind ihnen weit lieber als Geld, und über derlei Sachen hast Du doch nicht zu verfügen."

„Vernünftiger Weise magst Du Recht haben, Adolphe," lächelte der junge Mann auf alle diese Argumente - „und /12/ ich glaube selbst, daß es ein fast verzweifelter Schritt ist, auf einer so kleinen Insel zu entlaufen - die Möglichkeit ist immer eher da, daß man eingefangen wird."

„Sag' lieber die Wahrscheinlichkeit," unterbrach ihn Adolphe.

„Und meinethalben auch die Wahrscheinlichkeit," murmelte René zwischen den zusammengebissenen Zähnen durch, „ich habe mir aber noch nie etwas so fest vorgenommen, ohne es durchzuführen, und - den Versuch will ich machen, oder zu Grunde gehen.'"

„Gut," lachte Adolphe, „sobald Du einmal so weit gekommen, ist es nicht nöthig, mehr darüber zu sprechen. Meine Wünsche für Dein Wohl hast Du übrigens, und ich wollte nur, daß ich Dir in irgend etwas dabei nützlich sein könnte; ich sehe nur nicht ein wie."

„Wer weiß, wie sich das Alles machen kann," sagte René - „aber auf dem Quarterdeck werfen sie schon wieder die Falle los - in der Mitternachtswache möcht' ich Dir noch etwas sagen."

„Ship about," unterbrach ihn hier der eintönige Ruf; die Leute traten sämmtliche an ihre Posten, und das Schiff wurde über den andern Bug gelegt, jetzt wieder vom Lande abhaltend. Mit der nächsten Morgendämmerung hatten sie die Küste, und zwar eine kleine Art Bai, die von zwei auslaufsenden Korallenriffen gebildet wurde, gerade vor sich, und der Ruf des ersten Harpuniers sammelte die Leute in sein Boot. Mehrere dort schon aufgeschichtete Sachen, Handels- und Tauschartikel für die Eingeborenen, wurden hineingelegt - das Boot schwang frei und auf das Wasser nieder, und die Mannschaft legte sich in die Ruder.

„Was sind das für Pakete da vorn?" sagte der Harpunier, als sie eben von Bord abgestoßen waren, „wer hat die eingeworfen?"

„Ein paar Hemden und andere Kleinigkeiten, Mr. Rowsy," erwiderte Einer der Leute - „wir wollten uns auch 'was von Früchten eintauschen!"

„Und das andere daneben?"

„Dasselbe" erwiderte René, den die Frage anging. Der Harpunier sagte nichts weiter, und René warf noch einen /13/ verstohlenen Blick nach Bord zurück, wo Adolphe stand und ihm zunickte. Er war ihm behülflich gewesen, die Sachen rasch und unbemerkt in's Boot zu schaffen, der Capitain hätte es sonst nicht zugelassen, obgleich dies etwas ziemlich Gewöhnliches an Bord von Walfischfängern ist.

Canoes sahen sie nicht, und nur erst als sie die Korallenbank berührten, erschienen oben zwischen den Büschen eine Anzahl Männer und Frauen mit Körben, aus Cocosblättern geflochten, in denen sie Früchte und Muscheln trugen. Aber sie mochten erst ein Zeichen der Fremden abwarten wollen, ehe sie sich näherten.

Der Harpunier, der sich seit seiner Jugend fast in diesen Meeren herumgetrieben, sprach ihre Sprache ziemlich geläufig, und ein paar freundliche Worte in dieser hatten fast eine zauberhafte Wirkung auf die Schaar. Die anfänglich Furchtsamsten riefen sich erstaunt untereinander zu, daß die Fremden Freunde seien und dieselbe Sprache mit ihnen hätten, und aus allen Büschen und Dickichten brachen ste jetzt heraus, und mischten sich so sorglos uud vertrauend wie Kinder zwischen die Leute, befühlten das Zeug ihrer Kleider, lachten über ihre Bärte und Schuhe, und sprangen und sangen, als ob ste schon Jahre lang mit thuen bekannt gewesen wären. Der Tauschhandel ging indessen rüstig vor sich; gegen Messer und Tabak, Kattune und Glasperlen brachten ste Massen der herrlichsten Früchte, besonders vortreffliche Orangen und Brodfrucht. So, während der Harpunier unter einem stattlichen Pandanus saß, die ihm gebrachten Waaren musterte, und bestimmte, was er dafür geben wolle, mischten sich die Leute, von denen nur Einer bei dem Boot blieb, ebenfalls unter die Eingebornen, die wenigen mitgebrachten Kleinigkeiten gegen Früchte und Muscheln zu vertauschen. Diesen Zeitpunkt benutzte Rcné, nahm sein kleines Bündel und verlor sich damit im Dickicht. Von den Eingeborenen sahen ihn vielleicht einige, achteten aber nicht auf ihn, und die Leute vom Schiff waren viel zu sehr mit sich selber und ihrer Umgebung beschäftigt, sich um irgend etwas Anderes zu bekümmern.

Zwei Stunden später etwa, als der Harpunier Alles weggegeben, was er mitgebracht, und sein Boot fast gefüllt war /14/ mit all' den Massen von Sachen, die er dafür eingetauscht, rief sein Befehl die Leute wieder zusammen, und er stieg selber in's Boot, an Bord zurückzukehren.

„Wo ist René!" frug er mit einem Blick über die Mannschaft.

„René!" tönte der Ruf der Matrosen - „oh René!"

Kein René ließ sich blicken, und Niemand wußte, was aus ihm geworden, ja ein paar bezweifelten, daß er überhaupt mit an Land gekommen sei, so hatte sie das Neue der Scene in Anspruch genommen. Jedenfalls fehlte aber ein Mann, und der Officier wußte auch, daß er bei der Herüberfahrt seine volle gewöhnliche Besatzung gehabt.

„Damn it!" rief der Harpunier endlich im Boot, in dem er seinen Sitz schon wieder eingenommen, in die Höhe springend - „er ist fort, die Pest über den Halunken; aber den wollen wir bald wieder haben. - Bleibt Ihr hier im Boot, bis ich zurückkomme!" rief er dann seinen Leuten zu, und über die Sitze wegspringend, eilte er wieder an Land und wandte sich dort an einen der Eingeborenen, der eine Art Oberherrschaft über die anderen auszuüben schien.

„Hallo, Freund!" redete er ihn an, „Einer von meinen Leuten ist mir weggelaufen, könnt Ihr ihn wieder fangen, und was wollt Ihr dafür haben?"

„Hat er Gewehr mit?" frug der Alte ziemlich vorsichtig, denn er schien danach den Preis des Einfangens bestimmen zu wollen.

„Nein, kein Schießgewehr, vielleicht nicht einmal ein Messer," lautete die ermuthigende Antwort.

Die Eingeborenen fingen jetzt eifrig an untereinander zu verhandeln, und zwar in so rascher und oft eigenthümlicher Sprache, daß der Amerikaner selber nicht verstehen konnte, was sie mitsammen hatten. Aus ihren Bewegungen wurde es ihm jedoch bald deutlich, denn zwei davon gingen nach einem besondern Theil im Busch und untersuchten hier die Fährten, und ihren Gesticulationen nach schien cs, als ob der Flüchtige sich dort hinein gewandt habe. Der alte Indianer zeigte sich auch bald erbötig, ihm den Mann wieder zu verschaffen; seine Forderung dafür war aber ziemlich bedeutend; er wollte /15/ Kattun und Messer, etwas Tabak und in der That ein wenig von Allem haben, und als Jener endlich einwilligte, ihm das Alles zu geben, hatte er noch ein Beil und ein Hemd und mehrere andere Kleinigkeiten vergessen. Der Harpunier wußte übrigens, daß sich der Capitain nicht lange hier aufhalten wollte und über die Flucht des Mannes wüthend sein würde; er sagte dem Alten seine sämmtlichen Forderungen zu, vorausgesetzt daß sie mit dem Gefangenen am Ufer wären, sobald sie mit dem Boot und den verlangten Sachen wieder vom Schiff zurück sein könnten.

Dies abgemacht, stieß das Boot augenblicklich vom Lande, die eingetauschten Früchte mit der fatalen Nachricht an Bord zu bringen und den Fanglohn für den Entflohenen herüber zu holen, während die Eingeborenen indessen wie Spürhunde den einmal angenommenen Fährten des Flüchtigen nachliefen..

2.

D ie Flucht, und welchen Dolmetscher René fand.

René war, als er sich nur einmal außer dem Bereich seiner Kameraden sah, einem der nächsten Hügel zugeeilt, und selbst das schien gerade kein kleines Unternehmen, denn an den Provisionen, die er sich für ein Hemd eingetauscht, trug er mehr und schwerer, als er gut durch das Dickicht bringen konnte. Er wußte aber, was ihm bevorstand, wenn er von den Leuten des Delaware wieder eingefangen wurde.

Als er hügeligen Boden erreichte, wurde seine Flucht dadurch sehr erleichtert, daß er cultivirtes und eingefenztes, wenn auch durch Unkraut ziemlich arg überwachsenes Land traf. Dort hatte er sich wenigstens durch keine verwachsenen Büsche mehr Bahn zu brechen und konnte sein Terrain ein /16/ wenig freier übersehen. Blieb er da in der Nähe, so brauchte er auch keinen Mangel an Lebensmitteln zu fürchten, denn die Guiaven standen mit Früchten bedeckt. Nur die Cocospalmen reichten nicht so weit hinauf, doch sah er hier in den Feldern eine Masse Wassermelonen, die ihn reichlich dafür entschädigen konnten. Weiter durfte er sich für jetzt aber nicht beladen, denn er trug schon, was er überhaupt tragen konnte, und die Hitze war groß.

Durch die Felder ging das auch ganz gut, oberhalb dieser wurde das Dickicht aber wieder so schlimm wie je, und die Guiavenbüsche schienen hier eine fast undurchdringliche Hecke zu bilden. Nur erst, wo diese endlich aufhörten, und mit ihnen jede Art von Frucht, begannen hohe dunkle Kasuarinen, die einen weit besseren Durchgang gewährt hätten, wären nicht so viele trockene und dürre Aeste von ihnen abgestürzt gewesen.

Aber er mußte hindurch, und das war ein tüchtiges Wort, ihn alle Schwierigkeiten mit leichtem Muth überwinden zu lassen. Hier wurde der Grund auch steinig, und als er den höchsten Punkt endlich erreichte, fand er zu seiner Freude einen kleinen felsigen Platz, den er sich selber nicht hätte schöner und passender zu einem Castell ausbauen können, als es die Natur für ihn gethan. Zehn Fuß war er dort oben von allen Seiten frei, und das bröckelige Gestein, was den steil auflaufenden Gipfel bildete, konnte ihm im Anfang eben so wohl zum Verbergen, als später, sollte er gefunden werden, als Waffe dienen, es auf irgend einen andringenden Feind nieder zu rollen.

Mit einem Triumphruf nahm er von dieser kleinen Festung Besitz, und als er oben seine Last abgeworfen und sich die nassen Haare aus der Stirn gestrichen hatte, sagte er lächelnd:

„Beim Himmel, mit Adolphe und zwei guten Gewehren wollt' ich mir hier die ganze Besatzung des Delaware vom Leibe und einen ordentlichen Sturm abhalten. - Ha - 1e Delaware!" unterbrach er sich plötzlich, selber überrascht, und fast unwillkürlich trat er hinter einen der Felsblöcke, denn als er den ersten Blick nach außen warf, sah er, daß er frei über das Meer schauen konnte. Dort oben lag sein altes /17/ Schiff so klar und nah vor ihm, die einzelnen Leute an dessen Bord zu erkennen. Mit dem Glas mußten sie im Stande sein, ihn, sobald er sich nur frei zeigte, vollkommen gut zu unterscheiden. Er sah selbst, wie die Leute an Bord kletterten.

Jedenfalls war er also schon vermißt und mußte darauf gefaßt sein, daß ihn die Eingeborenen aufspüren würden, denn mit seiner Ladung hatte er an vielen Stellen eine ziemlich breite und tiefe Fährte zurückgelassen. Die kurze Zeit also, die ihm bis dahin blieb, wollte er benutzen, sich noch so gut als es anging zu befestigen, nachher dem Schicksal und seinem guten Glück das Uebrige zu überlassen. Er war jung und ein Franzose - also weit davon entfernt, sich Sorgen vor der Zeit zu machen.

Schießwaffen trug er, zwei kleine Terzerole ausgenommen, keine; außer diesen aber ein langes zweischneidiges schweres Messer in lederner Scheide, wovon er sich die meiste Hülfe versprach, und ein trotziges, fast muthwilligcs Lächeln überflog seine schönen Züge, als er die beiden kleinen Pistolen aus der Tasche nahm und vor sich auf die Steine legte.

„Es sind zwar keine Zweiunddreißigpfünder," sagte er dabei lachend vor sich hin, „und ich weiß in der That nicht einmal, ob sie überhaupt losgeheu werden, aber sie haben doch Mündungen, und ist den Eingeborenen hier schon überhaupt jemals ein solches Instrument wie eine Pistole zu Gesicht gekommen, so müßte ich mich sehr irren, wenn ich nicht glauben sollte, die ganze Insel damit von mir abzuhalten. Kurze Frist werden sie mir aber doch wohl Ruhe lassen, und die will ich wenigstens benutzen, meinen Körper ein wenig zu restauriren und mit Speise und Trank zu erquicken."

Damit schnürte er wohlgemuth sein Bündel wieder auf, in dem er auch ein paar Schiffszwieback und ein Stück Salzfleisch verborgen hatte, und mit einem Theil von diesen und einigen Bananen, wozu er eine der Cocosnüsse anzapfte und etwas davon trank, seinen allerdings brennenden Durst zu löschen, hielt er eine so vortreffliche und ruhige Mahlzeit, als ob er sich in voller Sicherheit, in irgend einem guten Gasthaus befände, und nicht jeden Augenblick fürchten müßte, umstellt und gefangen zu werden. /18/

Die Feinde waren ihm übrigens weit näher, als er je vermuthet, denn kaum hatte er sein Mahl beendet und eben wieder die Cocosnuß an die Lippen gehoben, noch einen letzten Schluck zu thun, als er gar nicht weit von sich entfernt ein Geräusch zu hören glaubte. Er hielt horchend inne – da krachten wahrhaftig wieder die Büsche. Nichtsdestoweniger trank er erst in aller Ruhe, denn er wußte recht gut, daß er hier oben in seiner festen Stellung nicht so plötzlich über-

rascht werden konnte, stellte dann die Nuß vorsichtig bei Seite, daß sie nicht umfiel und auslief, griff seine beiden Terzerole auf und schaute dann, hinter irgend einen der größten Steine

gedrückt, aufmerksam dorthin, von woher sich jetzt vorsichtig irgend Jemand zu nähern schien. Es dauerte auch nicht lange, so konnte er schon die bunten Kattunüberwürfe mehrerer Eingeborener erkennen, die langsam und aufmerksam den Boden betrachteten, seinen hinterlassenen Spuren zu folgen.

Wie viele es waren, ließ sich noch nicht erkennen, das blieb sich aber auch gleich; war er erst einmal aufgefunden, so konnten sie bei feindlichen Absichten leicht Verstärkung holen, und er mußte vor allen Dingen sehen, sich auf friedliche Art mit ihnen zu verständigen. Die Indianer ließen ihn indessen nicht lange mehr über ihre Absicht im Zweifel. Der erste, der voranging, mochte eine gewisse Obergewalt über die anderen haben, denn dicht unter den Steinen, auf denen sie den Flüchtling gar nicht zu vermuthen schienen, sandte er zwei rechts und zwei links ab, zu sehen, wohin sich die Spuren etwa den Berg wieder hinunterzögen, während er selber gerade auf den Felsen zukam. Renö wußte recht gut, daß er von diesen wenigen Leuten noch weiter keine Gefahr zu fürchten hatte. Seinen Aufenthalt konnte er aber auch nicht länger verheimlichen, und sich also aufrichtend und mit beiden Ellbogen auf einen der vor ihm liegenden Blöcke gestützt, sah er dem Mann unten erst eine kurze Weile lächelnd zu, und sagte dann plötzlich mit lauter Stimme den schon mehrfach gehörten und behaltenen Gruß:

„Joranna boy"!

Wäre dem Eingeborenen, der, gebückt und die Augen fest auf den Boden geheftet, fast gerade unter ihm stand, ein /19/ grimmer Tausendfuß über den Nacken gelaufen, er hätte nicht rascher und mehr erschreckt in die Höhe und zur Seite springen können, und erst das laute Lachen René‘s, der auf ihn herunterschaute, als ob Jemand aus dem Fenster einer höheren Etage sieht, brachte ihn wieder ein wenig zu sich. Der erste Schrei, den er aber in voller Ueberraschung ausgestoßen, war hinreichend gewesen, seine Gefährten um ihn zu sammeln, und die fünf rothe Burschen, die hier mit so feindseligen Absichten heraufgekommen waren, wußten eigentlich nicht recht, wie ihnen geschah, als sie Den gerade, von dem sie die grimmigste Gegenwehr erwartet, in der größten Gemüthlichkeit vor sich und so friedlich gesinnt fanden, wie sie es nimmer hätten erwarten dürfen.

Erst sahen sie eine ganze Zeit lang schweigend zu ihm empor - es war augenscheinlich, sie mißtrauten noch dem äußern Ansehen der Dinge; denn obgleich ihnen der Weiße unten die Versicherung gegeben hatte, daß der Flüchtling unbewaffnet sei, wußten sie doch nicht, welche außerordentlichen Mittel ihm sonst vielleicht zu Gebote stehen möchten, ihnen zu schaden. Sie waren allerdings willens, die ausgesetzte Belohnung zu verdienen, dachten aber dabei gar nicht daran, ihren Leib oder gar ihr Leben irgend einer unnöthigen und zu vermeidenden Gefahr auszusehen. René blieb übrigens in seiner nichts weniger als feindlichen Stellung, und ihre Furcht verlor sich denn auch endlich. Der Führer sah seine Begleiter erst ganz ernsthaft an, und dann verzog ein breites Grinsen seine sonst gutmüthigen Züge, während sich diese noch eine kleine Weile zu geniren schienen, - endlich mochte ihnen das Komische ihrer Lage aber auch wohl einleuchtend werden. Der eine schnitt auf einmal ein ganz freundliches Gesicht, und war dann urplötzlich wieder so ernst und finster als vorher; als er aber den Häuptling ansah und dessen ausbrechende Fröhlichkeit bemerkte, glaubte auch er wahrscheinlich dem Anstand volle Genüge geleistet zu haben, und platzte nun auf einmal so rasch und laut heraus, daß sich die anderen ordentlich erschreckt nach ihm umsahen.

„Joranna! Joranna" rief jetzt der erste hinauf, dem augenscheinlich ein Stein vom Herzen gefallen schien, da er /20/ die Sache sich so friedlich lösen sah. Dabei zeigte es sich jetzt auch, daß er etwas gebrochen Englisch sprach, wie man fast auf allen diesen Inseln Einzelne findet, die Worte und Redensarten im Verkehr mit den Fremden aufgefangen und behalten haben, „Joranna boy! - wie geht's - wie geht's, Freund - komm herunter, komm herunter - weißer Mann Capitain sagt, soll herunterkommen."

„So?" lachte René in derselben Sprache, - „weißer Mann Capitain sagt also: ich soll herunterkommen?"

Der Indianer nickte auf das Freundlichste, daß er ihn so gut verstanden hatte, und versicherte seinen Begleitern, daß er die Sache jetzt augenblicklich in Ordnung bringen würde.

„Und wenn ich weißer Mann kein Capitain nun nicht will?" lachte René.

„Nicht will?" rief der Führer der Eingeborenen erstaunt aus und sah den Fremden an; aber er konnte in dessen Gesicht noch immer keinen Ernst entdecken, und dies ebenfalls für einen guten Spaß desselben haltend, schaute er sich nach den anderen um, lachte laut auf und erzählte ihnen mit der größten Freundlichkeit, was der Weiße da oben eben so Lustiges gesagt habe. Die übrigen Eingeborenen, die gleich von allem Anfang gar nichts Anderes erwartet hatten, konnten darin aber nicht den mindesten Spaß entdecken, und ein paar zu diesem Zweck an den Alten gerichtete Worte machten diesen ebenfalls wieder ernsthaft und ließen ihn doch an die Möglichkeit glauben, daß der Fremde am Ende wirklich nicht selber herunterkommen wollte - und ihn da herunter zu holen, war jedenfalls eine mißliche Sache.

„Bah, bah," sagte der Alte jetzt kopfschüttelnd und mit einem Gesicht, als ob man einem unartigen Kinde irgend eine Thorheit verweisen wollte - „närrisch Ding - weißer Mann Capitain guter Mann, verlangen weiter nichts wie herunterkommen."

„Was bekommt Ihr dafür, mich zu holen?" frug ihn aber René so gerade mitten in alle seine Berechnungen hinein, daß er ihn ganz wieder außer Fassung brachte und er erst den Weißen, und dann seine Begleiter erstaunt ansah, augen-/21/scheinlich unschlüssig, ob er diese etwas indiscrete Frage so geradezu und der Wahrheit gemäß beantworten sollte. Er hielt es auch für besser, erst mit den Seinen darüber zu berathen. Da diese aber nicht das mindeste Bedenken darin fanden, seinem Wunsche zu willfahren, wandte er sich wieder zu dem jungen Franzosen und zählte ihm jetzt mit der größten Ernsthaftigkeit alle die Artikel auf, die sie bekommen würden, und zwar mit einem Eifer und einer Genauigkeit, als ob das noch ein besonderer Beweggrund für ihn selber sein müsse, jetzt augenblicklich niederzusteigen und ihnen den Besitz aller dieser Herrlichkeiten nicht länger, widerrechtlicher Weise, vorzuenthalten.

Zu ihrem Erstaunen ließ sich aber der Fremde selbst nicht durch die Erwähnung des Handbeils und der fünf Yards rothen Kattun bestechen, sondern blieb nur ruhig und unbeweglich in seiner Stellung. Angenehm war es ihm aber nicht, diese Masse verschiedenartiger Gegenstände aufzählen zu hören, und er konnte daraus nicht allein sehen, wie viel dem Harpunier daran gelegen gewesen war, ihn wieder zu bekommen, als auch, wie sehr schon die Habgier dieser sonst einfachen und gutmüthigen Leute erregt worden, den ausgesetzten Lohn so rasch als möglich zu verdienen. Ueberredung half hier nichts, so viel sah er recht gut ein, wäre er selbst ihrer Sprache vollkommen mächtig gewesen, und das Einzige, was sich noch mit ihnen im Guten anfangen ließ, war, ihnen an Geld und vielleicht Kleidern gleichen Nutzen zu bieten. Dabei hatte er das noch zu seinen Gunsten, daß sie bei dessen Annahme ihre Gliedmaßen keiner Gefahr aussetzten.

„So?" sagte er also, da sie geendet hatten und nun nichts Anderes zu erwarten schienen, als daß er nach solchen dargelegten Gründen ihren Beweisen nicht länger werde widerstehen können - „so? - das also hat Euch weißer Mann Capitain Alles geboten, mich einzig und allein wieder unten abzuliefern?"

„Ja, Freund - blos unten abzuliefern," lautete die Antwort.

„Todt oder lebendig?" frug aber der junge Mann mit größter Kaltblütigkeit zurück, und erschreckte dadurch den Alten /22/ nicht wenig, der jetzt zum ersten Mal zu begreifen anfing, daß der Fremde doch am Ende nicht so ganz gutwillig mit ihnen gehen werde.

„Todt oder lebendig?" wiederholte er erstaunt und versuchte zu lachen, was ihm aber mißglückte - „todt? wir sollen doch weißen Mann nicht todt abliefern - lebendig versteht sich."

„Und wenn sich nun weißer Mann zur Wehr setzt?" sagte René.

„Zur Wehr setzen?" frug der Alte, der das Wort nicht so recht zu verstehen schien - „zur Wehr setzen?"

„Nun ich meine, wenn weißer Mann unter keiner Bedingung gutwillig mitgehen will und sich vertheidigt," erklärte es ihm der Fremde deutlich genug.

„Aber fünf Yards rothen Kattun - ein Handbeil - zwei Messer," begann der erstaunte Eingeborene alle die Herrlichkeiten wieder aufzuzählen. René aber lag nichts daran, sie nur hinzuhalten, was er mit Leichtigkeit den ganzen Tag hatte thun können, denn diese Leute haben gar keinen Begriff von dem Werth der Zeit. Mitten in der schon gehörten Liste unterbrach er ihn deshalb und sagte freundlich, während er eine ganze Hand voll Silbergeld aus seiner Tasche nahm und ihnen vorzeigte:

„Was wollt Ihr denn thun, wenn ich Euch nun eben so viel an baarem Gelde gebe, als Euch weißer Mann Capitain für mich versprochen hat, heh, und dann bei Euch bleibe und mit Euch lebe?"

Das war jedenfalls ein Vorschlag zur Güte, und die Eingeborenen beriethen lange unter sich; endlich erkundigte sich der Alte näher danach, wie viel Geld er da eigentlich in der Hand halte. Rcné zählte es über - es waren sechs Fünf-Frankenthaler und vielleicht zehn Franken an kleiner Münze, Geld, was sie hier, in ihrem Verkehr mit Tahiti, recht gut kannten. Für eine solche Summe wußten sie auch gut genug, daß sie selbst in Papetee eben so viel an Waaren bekommen könnten, als ihnen geboten worden. Erstlich aber war der Verkehr mit jenem Platz nicht sehr bedeutend, und dann hatten sie ja auch die Sachen noch nicht hier, während sie /23/ dieselben von Bord des Walfischfängers gleich richtig und ohne weitere Mühe überliefert bekamen. - Die Unterhandlung fiel deshalb für den Matrosen ungünstig aus, und der Alte suchte ihm nun, gewissermaßen als Entschuldigung seiner abschlägigen Antwort und als einziges Motiv ihrer Weigerung, auseinander zu setzen, wie sich auf dieser Insel Niemand ohne Beistimmung ihres fu-a oder Königs von fremden Völkern aufhalten dürfe, und daß sie also, wenn sie auch selber wünschten, ihn bei sich zu behalten, ihn darin doch nicht unterstützen dürften. „Ja," setzte dann der Alte mit vieler Aufrichtigkeit und auch gewiß Wahrheit hinzu - „wollten wir jetzt selbst Dein Geld nehmen und Dich zufrieden lassen, wir könnten Dich doch nicht schützen. Der König würde bald Andere schicken, Dich trotzdem abzuholen."

René sah dies recht gut ein, und beschloß also deshalb mit Sr. Majestät selber zu unterhandeln - wie aber war das möglich zu machen? Stieg er hinunter, so gab er sich vollkommen in die Gewalt seiner Feinde, und überfielen und banden ihn diese nachher, so konnten sie ihm mit leichter Mühe abnehmen, was er bei sich hatte, ohne daß er je im Stande gewesen wäre, auch nur einen Centime seines Geldes wieder zu bekommen. - Und Sr. Majestät zuzumuthen, hier herauf zu klettern, um mit einem entlaufenen Matrosen wegen einiger Thaler zu unterhandeln, war doch auch ein wenig viel verlangt. Nichtsdestoweniger beschloß er den Versuch zu machen, und bat also den Alten, der überhaupt der Leiter der Schaar zu sein schien, ihn erst noch einmal kurze Zeit hier oben zu lassen, und indessen selber hinunter zu Sr. Majestät zu gehen, oder wenigstens Einen von seinen Leuten hinunter zu schicken, der dem König Kunde von seinem Vorschlag brächte. Er bäte ihn um die Erlaubniß längeren Aufenthalts auf dieser Insel, bis sich das fremde Schiff entfernt hätte, wofür er dann seinerseits willens sei, Sr. Majestät, falls dieser ihm seine Sicherheit garantire, zwanzig Fünf-Frankenthaler - ein Capital

für diese Menschen - auszuzahlen.

„Ja - sehr gut das“, sagte der Alte nach einer kurzen Pause rascher Ueberlegung – „sehr gut das, weißer Mann nicht Capitain kannmit fu-a sprechen, aber muß hinunter-/24/gehen - König nicht heraufkommen hier oben auf Berg -- König sehr faul, nicht viel Berge steigen."

„Ja, ich kann ihm da aber doch nicht helfen," lachte René - ,,wenn er die zwanzig großen Stücke Silber verdienen will, muß er auch etwas mehr dafür thun, als blos mit dem Scepter winken. Also marsch, Ihr guten Freunde, bringt Sr. Majestät meinen freundlichen Gruß und Handschlag, und meldet ihm, was ich ihm hiermit entbieten lasse. Er soll einen vortrefflichen Vasallen an mir haben, und kann auch, wenn er es nur irgend anzustellen weiß, noch weit mehr Nutzen aus mir ziehen. Ich bin gelehrig, und wer weiß, ob ich mich nicht selbst ganz vortrefflich zum Schwiegersohn und Nachfolger eignen würde."

Der Alte verstand sicher nicht die Hälfte von alle dem, was ihm der Fremde da in seinem leichten, fröhlichen Muth vorplauderte, so viel aber begriff er, daß er dem König eine gewisse Summe, und zwar eine ziemlich bedeutende, bot, ihn frei zu lassen, und nicht die mindeste Absicht habe, vorher herunter zu kommen. Ging nun der König diese Bedingung ein, so verlor er selber jedenfalls seinen Antheil an dem ausgesetzten Lohne, ging er sie aber nicht ein, so war der ganze Weg doch umsonst gewesen, und es erschien ihm also weit besser, gleich das Letztere von vornherein anzunehmen und den jungen Burschen, der da oben doch so freundlich lachte und sich gewiß nicht gegen sie wehren würde, nur vor allen Dingen erst einmal herunter zu holen und mitzunehmen. Das Andere konnten sie nachher unten ausmachen. Ein paar mit seinen Begleitern rasch gewechselte Worte setzten diese von dem gefaßten Entschluß in Kenntniß, und sich dann wieder zu dem Matrosen wendend, der ihn aufmerksam betrachtete, seine Entscheidung zu hören, sagte er mit bedächtiger Stimme, indem er sich das Lendentuch etwas fester anzog und einsteckte: „Ja, weißer Mann, Alles recht gut, weißer Mann Capitain hat aber gesagt, müssen unten sein, bis Boot mit Kattun und Tabak und Messer und Beil und Hacke und anderen Sachen wieder zurückkommt; so steig nur herunter so lange; wollen unten erst zu König gehen, und nachher zu weiße Mann Capitain." /25/

„Ich habe Dir aber schon gesagt, Du etwas harthöriger Bursche Du," rief René, fast ungeduldig werdend, „daß ich nicht eher hinunterkommen will, bis ich Se. Majestät den König gesprochen habe - also mache, daß Du zu ihm kommst. Je eher er hier ist, desto schneller können wir unsern Handel in's Reine bringen."

Der Alte aber, ob er dies Letzte nicht recht verstanden oder für eine Einladung genommen, oder ob er auch vielleicht glaubte, es sei jetzt über die Sache genug gesprochen worden und müsse einmal gehandelt werden, rief seinen Begleitern zwei oder drei Worte mit einem entschiedenen Ton zu, und stieg dann mit weit mehr Entschlossenheit, als er bis jetzt überhaupt gezeigt hatte, die bröckeligen Felsen hinan, dem Orte zu, wo der Fremde ihn ruhig erwartend stand.

René hätte ihm mit leichter Mühe einen der schweren, nur kaum in der Balance liegenden Steine auf den Kopf rollen können, aber er wollte selber in seinem eigenen Interesse Feindseligkeiten so lange als möglich hinausschieben, und solch nur ein letztes, wirklich verzweifeltes Mittel sein lassen. Er behinderte deshalb auch den Alten nicht im Blindesten bei seinem Marsch, und dieser fand sich gleich darauf, vielleich selbst gegen seine eigene Erwartung, oben auf der kleinen Plattform neben seinem vermutheten Opfer, während seine vier Begleiter eben bemüht waren, ihm langsam nachzufolgen „So," sagte der Indianer mit freundlichem Kopsnicken, als er endlich neben René stand und eben die Hand aus streckte, ihn auf die Schulter zu klopfen, „so Freund weiße Mann, nun wollen wir —" aber er sprach nichts weiter - nur ein Blick war auf das Terzerol gefallen, das der Weiße ruhig in der Hand hielt, und mit einem Satz, der selbst diesen um seine Sicherheit besorgt machte, sprang er von der kleinen Steinfeste ab nach der Wurzel eines tiefer liegenden Baumes, und von dieser wieder auf die Erde hinunter, wo er nicht eher stehen blieb, bis er den schützenden Stamm ein Kasuarine erreicht hatte. Hinter dem vor begann er ab jetzt mit den Händen auf das Lebhafteste zu gesticuliren, und schrie dabei und tobte, als ob ihm das schmählichste Unrecht geschehen wäre. Die anderen warteten natürlich, als sie des /26/ Führers Flucht sahen, gar nicht darauf, die Ursache so schnellen Rückzugs zu erfragen, sondern folgten nur eben, so rasch sie konnten, dem gegebenen Beispiel des Alten. Sonderbarer Weise richtete sich aber dieser Zorn keineswegs auf den jungen Mann, sondern nur auf den „weißen Mann Capitain", der ihn hier unter falscher Vorspiegelung, mit Aussetzung eines weit geringeren Lohnes, auf eine Expedition ausgeschickt hatte, wo er gegen jede Verabredung Waffen, und sogar ihm recht gut bekannte Schießwaffen fand.

„Das sind zwei Handbeile," rief er heftig, „und zehn Ellen Kattun - zwei fünf," indem er die eine Hand mit gespreizten Fingern zweimal von sich drückte, - „und vier Messer und zwei zehn Stangen Tabak" - er wiederholte, wie mit sich selber redend, die Bewegung der Hand - „und zwei Hacken, und zwei Handvoll Nägel und eine Handvoll Knöpfe - weißer Mann Capitain sagt, was nicht wahr ist - keine Waffen - puh - was ist das? - kleine blanke Ding da - puff! macht Loch in armen Kanaka."

„Habe keine Angst, wackerer Krieger," rief ihm René, der sich nicht wenig über den Eindruck freute, den seine kleinen Terzerole gemacht hatten, jetzt lachend hinunter - „ich will Euch nicht das Mindeste zu Leide thun - ja im Gegentheil, Euer König soll sogar eine von diesen beiden Handkanonen bekommen, falls er auf meine Bedingungen eingeht. Wir werden auch gewiß nachher in Fried' und Freundschaft zusammen leben, ja uns möglicher Weise noch einige benachbarte Inselgruppen zusammen unterwerfen; aber nun mache auch, daß Du Se. Majestät von meinen Vorschlägen in Kenntniß setzest, würdiger Greis, denn ich sehe schon, daß vom Schiff aus wieder ein Boot abgeht, und möchte vorher noch Deine trostbringenden Nachrichten haben."

Der Alte sah jetzt allerdings selber ein, daß hier mit seinen wenigen Mann und mit Gewalt nichts auszurichten war; dann genügte ihm auch der auf das Einfangen des Entlaufenen gesetzte Preis nicht mehr. Dieser hatte Schießwaffen, und er glaubte von dem „weißen Mann Capitain", wie er den Harpunier nannte, vorher erst noch leicht die doppelte Ration herausdingen zu können, noch dazu, da er /27/ das erst Geforderte so leicht und schnell bewilligt hatte. Da der Weiße übrigens nicht die geringsten feindlichen Absichten zeigte und wieder ganz in seine frühere friedliche Stellung zurückgefallen war, kam er auch hinter seinem in der ersten Geschwindigkeit angenommenen Baume vor, und sich erst kurze Zeit mit seinen Leuten besprechend, wandte er sich dann plötzlich wieder zu dem Flüchtling und sagte:

„Gut, gut - Raiteo will gehen, will mit fu-a sprechen - weißer Mann nicht Capitain bleibt hier so lange - Raiteo kommt wieder - Sonne dort" - und er zeigte dabei mit der Hand die Himmelsgegend an, an welcher sich die Sonne befinden würde, wenn er wieder zurückkäme. Damit zog er sich, ohne weiter eine Antwort abzuwarten, in die Büsche zurück, und wie es schien, folgten ihm alle seine Leute. Außer Sicht ließ er aber seine sämmtliche Mannschaft auf Wache und vertheilte sie so, daß sie die Bergkuppe nach allen vier Seiten umgaben. Dadurch wollte er nicht etwa eine Flucht des Weißen dort verhindern, denn das, wußte er recht gut, konnten sie nicht, sondern nur genau wissen, wo er bliebe, falls er den Ort aus freien Stücken verlassen sollte.

Raiteo, wie er sich selbst genannt, dachte übrigens gar nicht daran, Sr. Majestät dem König den ganzen Nutzen dieses Fanges allein zu lassen, und beschloß vor allen Dingen einmal zu sehen, wie viel mehr Belohnung er, dieser neuer Entdeckung nach, aus dem fremden Schiff herauslocken könne Demzufolge, und da er jetzt selbst durch eine lichte Stelle in den Guiavenbüschen das auf's Neue heranrudernde Boot erkennen konnte, eilte er so rasch er vermochte dem Strand wieder zu und traf dort mit dem eben auf dem weißen Korallensand auflaufenden Boot fast in ein und derselbe Minute ein.

Der Harpunier fluchte übrigens nicht wenig, als er hörte, daß die Eingeborenen den Entlaufenen allerdings gefunden aber noch nicht zum Strand gebracht hätten; ja erst noch eine neue, erhöhte Forderung stellten. Gern hätte er ihnen je das Sechsfache gegeben, wäre der entlaufene Matrose nur damit in seinen Händen gewesen, denn der Capitain des Delaware wüthete ordentlich, als er die Flucht dees Mannes /28/ und seinen dadurch erzwungenen Aufenthalt vernahm. Raiteo sollte aber die Sache nicht mehr allein auszufechten haben, sondern Se. Majestät, die von dem reichen, für den Flüchtling versprochenen Lohn gehört hatte, mischte sich jetzt selber in das Geschäft und schien Raiteo mehr als Führer wie Leitenden betrachten zu wollen.

Der Harpunier hatte nun zwar selber schon Raiteo eine Belohnung geboten, wenn er ihn nur zu dem Platz hinbringen wolle, wo der Flüchtling sei; Jener schien das aber einestheils nicht gern zu thun, und andererseits zeigte dies wieder eine neue Schwierigkeit. Der Harpunier hätte seine Leute entweder zurücklassen oder mitnehmen müssen, und in beiden Fällen konnte es am Ende gar noch einem Andern einfallen, sein Glück ebenfalls in den Wäldern zu versuchen. Nach kurzem Ueberlegen suchte er deshalb die Indianer zu bewegen, so rasch als möglich zurückzugehen und den Weißen zu holen, und die Versprechungen, die er ihnen dafür machte, ja, mehr noch, die mitgebrachten Sachen, die er ihnen zeigte und von denen er Einiges dem König schon gab, seine Habgier zu reizen, schienen ihm allerdings das günstigste Resultat zu versprechen.

Die Leute waren diesmal in sehr bedeutender Anzahl, sogar mit einer Menge neugieriger Frauen, aufgebrochen, den Gefangenen zum Strand zu holen, der auch solcher Masse nicht hätte widerstehen können. Der Harpunier erwartete sie jeden Augenblick zurück; da erhielt er plötzlich, sehr zu seinem Erstaunen, ein Zeichen von seinem Schiff, so rasch er könne an Bord zurück zu kommen.

„Was zum Teufel kann nur los sein?" brummte er, als ihn Einer der Leute auf die eben aufsteigende Flagge aufmerksam machte- „Fische, bei Gott!" rief er aber, als diese, zum verabredeten Signal, dreimal auf- und niedergezogen wurde - „die hätten auch noch ein paar Stunden warten können. An Bord, boy's, an Bord - rasch an Eure Riemen!" - rief er dann seinen Leuten zu, die schnell dem Befehl gehorchten. Er selber blieb noch ein paar Momente wie unschlüssig am Ufer stehen, während sich die zurückgebliebenen Eingeborenen um ihn sammelten. So viel hatten sie schon mit Schiffen verkehrt, um zu wissen, daß die aufgezogene Flagge /29/ etwas Besonderes bedeute, und sie waren jetzt nur neugierig, was die Weißen zu thun beabsichtigten.

Der Harpunier wußte das in der That im Anfang selber nicht - mußten sie jetzt hinter Fischen her, wie es allen Anschein hatte, so konnten ein paar Tage vergehen, ehe sie wieder hierher zurückkamen, und sollte er indessen die für das Einfangen des Mannes bestimmten Güter in den Händen des Königs lassen? That er cs nicht, so war es die Frage ob sich die Eingeborenen, sobald sie das Schiff absegeln sahen weiter um den Weißen bekümmern würden, und ließ er die Sachen da, so hieß das ein wenig viel der Ehrlichkeit dieser Leute vertraut, von der er, nach ziemlich langer Erfahrung in solcher Hinsicht gerade keinen besondern Begriff zu haben schien. Er entschloß sich aber doch zuletzt dazu, denn einestheils lag in den mitgebrachten Sachen kein wirklicher Wert und anderntheils durfte er dann auch darauf rechnen, dass die Leute - wenn sie eben nicht mit dem Ganzen durchbrannten - ihr Bestes thun würden, sein Vertrauen zu rechtfertigen. Sich also zu dem König wendend, sagte er ihm in kurzen Worten, er müsse jetzt auf sein Schiff gehen, er wolle aber den Lohn für das Einfangen des Entlaufenen bei ihm niederlegen, und er verlange dafür von ihm, daß sie den Mann, wenn sie ihn einbrächten - sollte das Schiff noch dort dort liegen, wo sie es jetzt sähen, augenblicklich in ein Canoe nähmen und an Bord brächten, sollte cs aber unter See sein, so lange gut verwahren, bis er selber zurückkäme.

Se. Majestät versprach ihm dafür, die Sachen in sein eigenes Haus zu legen und versicherte dem Harpunier, würde nichts davon kommen, denn sie seien alle Christen und zwei „Mitonares" hier auf der Insel.

Der alte Harpunier schien ihm etwas daraus erwidern wollen und sah ihn einen Augenblick wie zweifelnd an, endlich aber brummte er nur leise ein paar Worte in den Bart sprang in sein Boot, und schoß gleich darauf, so rasch ihn mit äußerster Kraft der Leute geführten Riemen1 bringen /30/ konnten, dem etwa zwei englische Meilen entfernten Schiffe zu, von dessen Gaffel die Flagge noch immer wehte und dann und wann gezogen wurde - ein Zeichen größter Eile.

3.

Das Mädchen von Atiu.

René saß indessen, nachdem ihn die Eingeborenen verlassen, eine ganze Weile sinnend auf den Steinen seines kleinen Forts und überlegte, was er am besten thäte - hier auf dieser Stelle bleiben und die Rückkunft der Männer zu erwarten, oder sich vielleicht mit mehr Vorsicht ein neues Versteck zu suchen. Dort hoffte er wenigstens bis Dunkelwerden unentdeckt zu bleiben, und hatte dann die ganze Nacht vor sich, eine Stelle zu finden, seinen Verfolgern zu entgehen oder sie hinzuzögern; er wußte recht gut, daß der Capitain des Delaware bald ungeduldig werden würde, wenn er ihn nicht rasch wieder zurückbekäme. Es war überdies auch möglich, daß er selber in der Nacht ein Canoe fand, mit dem er getrost in See gehen konnte; denn in Nordwesten lagen noch mehrere Inseln, und lieber wollte er sich der Gefahr aussetzen, von einem Sturm bedroht, als wieder an Bord zurückgeschafft zu werden. Er entschloß sich also endlich, von dieser Kuppe einer andern Hügelspitze zuzugehen, die er von hier aus gut erkennen konnte; jedenfalls nahm es dann seinen Feinden einige Zeit, bis sie ihn wieder fanden, und die Nacht verbarg dann seine Spuren den Verfolgern.

Diesen Versuch mußte er aber bald aufgeben, denn kaum hatte er hundert Schritt den Berg hinunter gethan, so entdeckte sein scharf umherspähendes Auge die Gestalt des dort sta- tionirten Insulaners, der sich allerdings, als er ihn kommen hörte, in das dichte üppige Kraut, was überall den Boden /31/ bedeckte, niederdrückte. Er war also umstellt, und es half ihm nichts, seinen Schlupfwinkel zu verändern, denn diese Wachen würden ihm natürlich auf den Fersen gefolgt sein; ja die Möglichkeit lag vor, daß sich seine Feinde, vielleicht zahlreicher als er selber eine Ahnung hatte, hier in den Hinterhalt gelegt, nur eben auf sein Niedersteigen wartend, um ihn dann in dem dichten Gestrüpp so viel leichter überfallen und binden zu können. Scheu deshalb, hinter jedem Stamm einen versteckten, zum Ansprung bereiten Feind vermuthend, das gespannte Terzerol in der Hand, zog er sich rasch, aber unbelästigt, wieder zu dem verlassenen Versteck zurück.

„Gut," murmelte er dabei zwischen den fest zusammengebissenen Zähnen durch, als er zu seiner kleinen Feste zum zweiten Mal aufstieg - „laß sie dann die Folgen nehmen, wenn sie mich mit Gewalt zum Aeußersten treiben wollen; aber lebendig bringen sie mich, beim ewigen Gott! nicht von diesen Steinen hinunter."

Er untersuchte jetzt auf das Sorgfältigste seine kleinen Terzerole, schraubte die Pistons los und that frisches Pulver wie nachher frische Kupferhütchen drauf. Als er sich wenigstens dieser Hülfe versichert und sein Messer gefühlt hatte, ob es ihm locker und zum Griff bequem an der Seite hing, wußte er, daß er für den Augenblick nichts weiter thun konnte, und warf sich auf die Steine nieder, seine Kräfte wenigstens nicht durch unnöthige Anstrengungen vor der Zeit zu erschöpfen.

Etwa eine halbe Stunde mochte er so gelegen haben, als der Lärm der jetzt zu ihm heraufsteigenden Schaar an sein Ohr drang - er horchte einen Augenblick auf, blieb aber, als er die lauten Stimmen einer großen Zahl Menschen deutlich unterschied, ruhig in seiner Stellung, denn er wußte, daß sie, mit solchem Geräusch ankommend, ihn nicht überraschen wollten. Aber der entscheidende Augenblick nahte auch; er hatte das Boot wieder zurückkommen sehen und erwartete kaum Anderes, als daß sich der Harpunier selber mit seinen Leuten der Schaar angeschlossen habe.

Diese kam jetzt so rasch und mit solchem Geplapper und Lachen und Schreien näher, daß er sich endlich aufrichten mußte; ein Blick verrieth ihm aber, daß er es hier nur mit /32/ Insulanern und keinem seiner früheren Kameraden zu thun habe, und mit der Ueberzeugung zog ihm auch wieder neue Hoffnung durch die Seele. In seine frühere Stellung lehnte er sich auf den Stein zurück, und als er Männer und Frauen in bunter Masse um sich versammelt sah, konnte er selbst ein Lächeln nicht zurückhalten.

„Was für eine herrliche Situation wäre dies jetzt für einen der frommen Missionäre," murmelte er leise vor sich hin - „Kanzel und Auditorium fix und fertig, und welch' zahlreiche, bunte Versammlung - wahrhaftig auch Frauen - die lieben Dinger müssen doch überall dabei sein, selbst wenn es gilt, einen armen Teufel von Matrosen wieder an seine Henker auszuliefern. Aber prenez-garde, mes dames, noch habt Ihr ihn nicht, und billig sind die zehn Ellen rother Kattun usw. wahrhaftig nicht verdient, wenn Ihr ihn bekommt."

Die Schaar versammelte sich indessen um den Felsen, und obgleich diesmal eine höhere Person als Raiteo, nämlich der Sohn des Königs selber, mitgekommen war, behielt doch Jener bei den nachfolgenden Unterhandlungen als Dolmetscher das Wort. Er war aber augenscheinlich verdrießlich durch die Hartnäckigkeit des Burschen, um den ihm von Gott und Rechts wegen zustehenden Lohn gebracht zu sein, und forderte ihn einfach und barsch auf, herunter zu kommen und mit ihnen zu gehen, weil sie sonst Gewalt brauchen müßten. Ihr König erlaube ihm nicht länger hier auf der Insel zu bleiben, also helfe ihm weiter kein Widerstand.

René hatte sich hoch aufgerichtet, die jetzt frisch von der See herüberwehende Brise schlug ihm das dunkle lange Haar wild um die Schläfe, und sein Gesicht war von der innern Aufregung vollkommen bleich geworden, aber seine Augen funkelten und ein trotziges Lächeln kräuselte ihm selbst die Lippe, als er mit lauter, herausfordernder Stimme hinunter rief:

„So kommt denn, wenn Ihr den Muth habt, mich zu holen - kommt und seht, wessen Blut diese Steine zuerst färben soll - kommt und überliefert einen Mann, der Euch nie ein Leid gethan, seinen Feinden, Ihr seid ja am Ende /33/ gar Christen und wollt nach Gottes Geboten handeln - kommt, aber ehe ich jenes Schiff wieder lebendig betrete -"

Er schwieg plötzlich, denn sein Auge hatte in diesem Moment fast unwillkürlich das ferne Fahrzeug gesucht, und er sah jetzt zum ersten Mal das von der Gaffel flatternde Zeichen, wie das zu dem Schiff zurückkehrende Boot. Ein zweiter Blick überzeugte ihn sogar, daß nach Westen hin die drei anderen Boote ebenfalls voll unter Segel waren, und die Wahrheit des Ganzen durchzuckte ihn im Nu.

Als die unten Stehenden sahen, daß er plötzlich seine Blicke so ausmerksam nach der Richtung hin sandte, wo das Schiff lag, suchten sie ebenfalls dorthin Aussicht zu gewinnen, und zwei junge Leute, die rasch eine der Casuarinen erstiegen hatten, riefen bald etwas in ihrer Sprache herunter. Von den Männern vertheilten sich jetzt mehrere nach lichteren Punkten hin, wo sie die See besser überschauen konnten, und es zeigte sich gar bald, daß etwas Besonderes dort an Bord vorgehen müsse, was für den Augenblick, da es ja auch mit ihren Verhandlungen hier in naher Beziehung stehen mußte, ihre Aufmerksamkeit vollkommen von dem jungen Matrosen ablenkte.

René selber dachte kaum mehr an die Eingeborenen - er sah, wie das Boot, das ihn hatte abholen sollen, an Bord des Delaware zurückkehrte, der augenblicklich seine Raacn umbraßte und mit geblähten Segeln den vorangeeilten Booten nach Westen folgte. Jedenfalls hatten sie dort eine große Zahl Fische bemerkt, und hielt die Jagd nur bis Abend an, daß das Schiff dadurch eine tüchtige Strecke nach Westen versetzt wurde, so war die Frage, ob der Capitain seinetwegen hier wieder gegen den Passat ankreuzen würde; jedenfalls behielt er einen, vielleicht mehrere Tage Zeit, auf Flucht von der Insel zu denken, und die Gefahr war wenigstens für den Augenblick von ihm genommen. Daß er die Insulaner jetzt leicht von sich abhalten konnte, daran zweifelte er keinen Augenblick.

Der Erfolg zeigte denn auch, daß er darin vollkommen Recht gehabt. Die Insulaner wußten nicht recht, woran sie waren, und mußten erst wieder einen Boten nach unten /34/ schicken, neue Verhaltungsbefehle einzuholen. Allerdings begegnete diesem schon ein anderer, der ihnen die Ordre brachte, den jungen Fremden nur einstweilen einzufangen und mit herunter zu nehmen. Das war aber weit eher gesagt, als gethan; wenn er gutwillig kam, ja; aber sollten sie ihr Leben wagen, ehe sie einmal sicher wußten, ob das Schiff hierher zurückkäme?

Die Frauen und Mädchen waren dem Zug aus Neugierde gefolgt und hielten sich im Anfang scheu zurück; da aber Alles friedlich abzulaufen schien, so kamen sie weiter vor, und suchten Plätze zu bekommen, von denen sie den jungen Fremden genau beobachten konnten. Nur ein junges Mädchen allein war schon früher so weit vorgedrungen, daß sie sich dem Umstellten auf einer andern kleinen Erderhöhung fast gegenüber befand, und hatte die ganze Zeit keinen Blick von ihm gewandt.

Es war ein junges bildschönes Kind von vielleicht sechzehn Jahren, schlank gewachsen wie die Palme ihrer Wälder, aber mit vollem, rundem Gliederbau; die rabenschwarzen, mit wohlriechendem Cocosöl getränkten Locken wild um die braune Stirn flatternd, und die schönen großen dunkeln Augen halb ängstlich, halb mitleidig auf den jungen Mann geheftet. Sie war nach Art der übrigen Mädchen gekleidet: ein Lendentuch von farbigem Kattun, das ihr bis auf die feingeformten Kniee niederging, schloß sich ihr dicht um die Hüften, und ein anderes Tuch war nur lose über die linke Schulter gehangen und auf der rechten mit einem Knoten locker zusammengehalten, den rechten Arm vollkommen nackt und zu freier Bewegung lassend. In den vollen Locken trug sie einen dünnen Kranz weißer und rother Blüthen, mit den Fasern des Cocosblattcs fest zusammengebunden, in den Ohren aber zwei der großen weißen duftenden Sternblumen, und wie sie dort stand auf dem bröckeligen Gestein, um das sich dicht hinter ihr die vollen dunkeln Büsche schmiegten, den linken Arm um die dünne Casuarine geschlungen, die sie da oben auf ihrer etwas gefährlichen Stelle stützte, glich sie eher einer lauschend aus dem Dickicht gebrochenen Waldnymphe, als einem einfachen, schlichten Kind dieser Inseln. /35/

René war im Anfang natürlich zu sehr mit der Gefahr seiner eigenen Lage beschäftigt gewesen, einzelne Gestalten der ihn umgebenden Insulaner beachten zu können. Vorzüglich hatte er die Männer und ihre Bewegungen im Auge behalten, da er ja auch gar nicht wissen konnte, ob sie nicht einen plötzlichen Angriff auf ihn beabsichtigten. Jetzt aber, als sein leichter Sinn ihn rasch über die geringere Gefahr hinwegsetzte, fühlte er mehr das Eigenthümliche, ja Interessante seiner Lage, und während das Blut in seine Wangen zurückkehrte und ein leichtes Lächeln über seine schönen Züge flog, schaute er sich nach den einzelnen Gruppen um. Da begegnete sein Blick zum ersten Mal dem dunkeln, brennenden Auge des Mädchens.

Das holde Kind schlug aber verschämt den Blick zu Boden, und so zart war die lichtbraune Haut, daß René deutlich darauf das dunkle Erröthen, das ihre Schläfe und Wangen färbte, erkennen konnte. Gerade jetzt wurde aber seine Aufmerksamkeit wieder auf die Schaar der Männer gelenkt, die sich ihm näherten und ihn noch einmal frugen, ob er gutwillig zu ihnen heruntersteigen wolle oder nicht.

„Gewiß!" rief René jetzt freudig, und war es früher schon seine Absicht gewesen, so hatte ihn jetzt die Gestalt des holden, ihm gegenüber stehenden Kindes nur noch darin bestärkt - „gewiß will ich hinunter kommen und bei Euch bleiben, aber Ihr müßt mir versprechen, daß Ihr mich nicht festhalten oder binden wollt. - Freiwillig komme ich in Eure Mitte, und freiwillig werde ich darin bleiben, denn das Schiff, was mich zurückforderte, hat die Insel verlassen, um nicht wieder zurück zu kehren. Wollt Ihr mir also fest und aufrichtig Sicherheit für meine Person versprechen, so steige ich augenblicklich zu Euch nieder, und ich hoffe, wir sollen recht gute Freunde zusammen werden. Seid Ihr das zufrieden?"

Die Insulaner, denen Raiteo die Worte des jungen Mannes verdolmetscht hatte, besprachen sich kurze Zeit in lauter, lärmender Stimme mit einander, und dieser wandte sich dann wieder zu ihm und sagte, freundlich dabei mit der Hand winkend:

„Gut, weißer Mann, - a haere mai - sei willkommen /36/ und bleib bei uns, bis Dein Schiff wieder zurückkommt, oder so lange Du willst!"

„Vortrefflich!" rief der junge Franzose lachend - „das ist ein Vorschlag zur Güte, und die Sache löst sich freundlicher als ich erwarten durfte." Damit schob er seine Terzerole in die Tasche, drückte sich die Mütze wieder in die Stirn, und wollte sich eben über die Steine, die seine Festungswerke bildeten, hinüberschwingen, als ihn ein Ruf in gutem Englisch plötzlich nicht allein daran verhinderte, sondern auch erstaunt und überrascht ausschauen machte.

Es war das junge holde Mädchen, das, den rechten Arm gegen ihn ausgestreckt, laut und fast ängstlich im reinsten Englisch rief:

„Halt, Fremder - halt - sie sind falsch - sie wollen Dich binden und halten, und dem Schiff, das ihnen das Lösegeld zurückgelassen hat, wieder ausliefern - traue ihnen nicht und bleibe wo Du bist, bis Dich der König selber seines Schutzes versichert hat." Dann sich aber gegen die unten Stehenden wendend, unter denen Raiteo die hervorragendste und jedenfalls bestürzteste Persönlichkeit bildete, denn er allein hatte zu seinem Schrecken verstanden, wie das junge Mädchen ihre eigenen Landsleute an den Fremden, seiner Meinung nach, verrieth, rief sie mit zürnender, fast drohender Stimme in der schönen, klangvollen melodischen Sprache ihres Stammes:

„Schäme Dich, ahina2 - schämt Euch Ihr Alle, den armen hutupanutai3 verrätherisch unter Euch locken und überfallen zu wollen. - Wo sind seine Verwandten - wo seine Eltern - wo seine Geschwister? - weit, weit von hier, und um schnöden Lohn drängt es Euch, ihn seinen Feinden zu überliefern. Und Ihr nennt Euch Christen? Ihr prahlt damit in den öffentlichen Versammlungen, daß Ihr Euern Nächsten lieben wollt wie Euch selbst, und Anderen /37/ nicht das zufügen möchtet, was Euch nicht selbst geschehen solle? Schämt Euch in Eure Seele hinein, daß Euch ein armes junges Mädchen zurechtweisen und Eure Ehre retten muß vor dem Fremden!"

Kaum aber hatte sie diese Worte gesprochen, und sah wie Aller Blicke auf sie gerichtet waren, als auch die natürliche mädchenhafte Scheu wieder jedes andere Gefühl verdrängte. Das Blut schoß ihr in Strömen nach den Schläfen, und die Blicke niederschlagend, als ob sie selber jetzt gerade eine unrechte Handlung gethan, und nicht im Gegentheil Andere von einer solchen zurückgehalten hatte, glitt sie in die sie dicht umschließenden Büsche zurück, und war auch im nächsten Moment hinter dem Felsenhang verschwunden.

René, der bei dieser so zeitgemäßen Warnung der Jungfrau rasch seine Stellung wieder eingenommen hatte, und jetzt mit gezogenen Waffen und finsterem Blick die etwas verlegen unter ihm stehende Schaar betrachtete, konnte an deren ganzem Betragen leicht und deutlich sehen, wie viel Grund zu jener Anschuldigung vorhanden gewesen. Raiteo besonders, der bei den allsonntäglichen religiösen „meetings" eine Hauptrolle spielte, schien sich über den ihn am tiefsten verletzenden Vorwurf zu ärgern. Die Mädchen und Frauen flüsterten aber lebhaft untereinander, und aus den freundlichen ihm zugeworfenen Blicken durfte René wohl urtheilen, daß er den schönen Theil seiner Feinde nicht mehr zu seinen Feinden zählen durfte, und daß dieser vollkommen mit dem Betragen einer ihrer Schwestern einverstanden sei.

Die Männer beriethen sich indessen eine ganze Zeit lang mit einander, sahen dann wieder nach dem Schiff aus, das mehr und mehr in der Ferne, und zwar nach Westen hin verschwand, und schienen total rathlos zu sein, was sie eigentlich thun sollten. So verging der Nachmittag; René beschloß aber nichts zu unternehmen, bis das Schiff erst einmal gänzlich aus Sicht sei. Zeigten sich die Indianer dann morgen noch eben so hartnäckig, dann wollte er versuchen, ein Canoe zu bekommen und von der Insel zu fliehen, denn er /38/ konnte sich nicht verhehlen, daß der Delaware, nach Allem, was ihm das junge Mädchen davon gesagt, wenigstens die Absicht habe, die Insel wieder anzulaufen. Das hing indessen noch Alles theils von dem Weg ab, den die Fische nahmen, theils ob er an einem oder mehreren festkam, denn so lange er den Fisch langseit hatte, konnte er nicht segeln und trieb immer weiter nach Westen ab. Indessen stellte sich aber auch bei ihm wieder Hunger und Durst ein, und theils diesen zu befriedigen, theils den Insulanern zu zeigen, daß er nicht die mindeste Furcht und noch ganz guten Appetit habe, setzte er sich oben auf seine Befestigungswerke und begann seine etwas hinausgeschobene Mahlzeit nach Kräften zu halten.

Erst als es Abend wurde, verließen ihn die Insulaner - und zwar ohne weiter mit ihm zu verhandeln - bis auf den letzten Mann, und seine einzige Sorge war jetzt, daß sie ihn in der Nacht, wenn er eingeschlafen wäre, überrumpeln möchten. Einen solchen Versuch machte der Feind aber wahrscheinlich erst mitten in der Nacht, und seine Kräfte nicht unnütz und übermäßig anzustrengen, beschloß er sich gleich nach Dunkelwerden eine Stunde zum Schlafen niederzulegen. Nasch dem Entschluß die That folgen lassend, schob er sein Bündel als Kopfkissen zurecht, gebrauchte nur die Vorsicht, an dem am leichtesten zu ersteigenden Platz einen Stein so locker zu placiren, daß er bei der leisesten Berührung niederfallen mußte - und warf sich dann mit sorgloser Ruhe auf den harten Boden und dem Schlaf in die Arme.

Um den armen René möchte es aber schlecht gestanden haben, hätten die Insulaner wirklich beabsichtigt, in der Nacht etwas gegen ihn zu unternehmen, denn lange nach Mitternacht berührte eine leichte Hand seine Schulter, ohne daß er erwacht wäre.

„Fremder," sagte da eine sanfte, weiche Stimme, und das junge schöne Mädchen, das neben ihm stand, legte ihre kalten Finger an seine vom festen Schlaf erhitzte Stirn.

„Ja," sagte René, die Augen öffnend und umschauend - /39/ „ja - schon acht Glasen?"4 - die kalte Nachtluft strich über ihn hin - um ihn rauschte das Laub des Waldes und die hellen, funkelnden Sterne blickten klar auf ihn nieder. In dem Moment schoß ihm auch die ganze Gefahr seiner Lage durch die Seele, und rasch emporspringend, das Terzerol wie instinctartig im Griff, schien er den Angriff zu erwarten.

„Ihr seid eine vortreffliche Schildwache," lachte aber das junge Mädchen, das ruhig auf seinem Platz stehen geblieben war - „wenn Ihr nicht besser über anderer Leute Gut wacht, als Eure eigene Sicherheit, möchte ich Euch wahrlich nicht einer Banane Werth vertrauen."

René faßte sich an die Stirn - er wußte im ersten Augenblick wahrhaftig nicht, ob er wache oder träume. Das ganze Fremdartige seiner Umgebung, das schöne lachende Mädchen dicht vor ihm, ein dunkles Bewußtsein drohender Gefahr, die über ihm schwebe, und seine Sinne noch halb von dem kaum erst abgeschüttelten tiefen Schlaf befangen, verlangte alles, daß er sich erst sammle, und es verging wohl eine Minute, ehe er seine wirkliche Lage wieder vollständig begriff.

Das junge Mädchen stand indeß, mit untergeschlagenen Armen, die zarten Lippen fest zusammengepreßt, und den Kopf schüttelnd vor ihm, und sagte endlich halb lachend, halb erstaunt:

„Bist Du nicht ein wunderlicher Mann, Fremder - schläfst hier mitten zwischen Deinen Feinden, als ob Du daheim im sichern Hause, von den Deinen bewacht, lägest und nicht ein Preis auf Dein Einbringen gesetzt sei, der habgierige Menschen zu Deinem Verderben reizen muß."

„Und durft' ich nicht schlafen, wenn ein solcher Schutzgeist über mich wachte, Du holdes Kind!" sagte René herzlich, die Hand nach der ihren ausstreckend - sie trat aber vor /40/ der Berührung einen Schritt zurück und erwiderte, mit ernstem Blick nach oben deutend:

„Allerdings hattest Du einen Schutzgeist, der über Dich wachte, aber es ist das Auge Gottes, das jedes Haar Deines Hauptes gezählt hat, und ohne dessen Willen keins zur Erde fällt - ihm danke für Deine bisherige Sicherheit, nicht mir. Aber komm, Fremder," setzte sie dann freundlicher hinzu - „nimm Dein Bett und wandere und folge mir, ich will Dich vor Tag, und ehe böse Menschen im Thale neue Anschläge schmieden könnten, an die andere Seite der Insel bringen. Dort steht das Haus eines frommen Mannes, das Dich schützen wird, bis Dein Schiff diese Gegend verlassen hat, und dann kannst Du später nach Tahiti hinübergehen, wo viele Deiner Landsleute leben, und dort in Sicherheit wohnen."

„Mein Bett mitzunehmen, möchte hier schwer werden," lachte aber René, dessen leichter Sinn ihn in der Nähe des schönen Mädchens, das so freundlich um ihn besorgt war, schon über alles Andere weggesetzt hatte, „das wollen wir lieber liegen lassen; mit dem Kopfkissen mochte es eher gehen - und wie ist's mit den Provisionen - soll ich die Cocosnuß und Bananen -"

„Wir finden genug auf unserem Weg," unterbrach ihn aber das Mädchen - „iß und trink, wenn Du jetzt Hunger hast, und sorge nicht weiter."

„Dann mag es sich mein Dolmetscher morgen als schwachen Beweis meiner Erkenntlichkeit mit hinunter nehmen," lachte René, „der alte Bursche wird schön schauen, wenn er das Nest leer und den Vogel ausgeflogen findet."

„Oh, sprich nicht mit so leichtem Muth über eine Gefahr, der Du noch keineswegs entgangen bist!" bat aber das Mädchen; „ich selber kann nichts für Deine Sicherheit thun, als Dich zu einem Andern führen und diesen bitten, Dir zu helfen. - Er ist selber ein Weißer und ein Diener des Herrn und wird gewiß Alles für Dich thun, was in seinen Kräften steht. - Er ist aber doch auch nur ein Mensch, und vermag Dir keinen andern als eben nur menschlichen Schutz zu gewähren." /41/

„Ein Weißer? - und ein Diener des Herrn?" sagte aber René rasch und nachdenkend - „ein Missionär also?"

„Gewiß, ein Missionär," bestätigte die Jungfrau - „er hat mich von frühester Jugend auferzogen und seine Sprache und Religion gelehrt - er ist ein stiller, friedlicher und guter Mann."

René blieb nachdenkend eine kleine Weile stehen, und es ging ihm im Kopf herum was er Alles, vielleicht in seinem katholischen Vaterland noch übertrieben, über die protestantischen Missionäre dieser Inseln gehört und gelesen. Durfte er doch auch für sich selber schon aus zwei Gründen keine freundliche Aufnahme erwarten, erstlich als entlaufener Matrose und dann als Katholik. Er war aber nicht der Mann, sich vor der Zeit vielleicht unnöthige Sorgen zu machen, that er's doch nicht, wenn er selbst Ursache dazu hatte.

„So sei es denn!" rief er fröhlich und entschlossen - „wohin Du mich führst, Du holdes Kind, geh' ich gern, und wäre es in den Tod. Hier kann ich doch nicht bleiben," setzte er lächelnd hinzu, als er einen halb komischen, halb verlegenen Blick umherwarf - „der Bequemlichkeiten sind nicht besonders viel, und vor Tag stöberte mich doch am Ende der alte Bursche von Dolmetscher wieder auf - also vorwärts, vorwärts, Du liebes Mädchen - aber welchen Namen hast Du' wie kann ich Dich nennen?"

„Meine Landsleute nannten mich Sadie," sagte das schöne Mädchen leise - „Sadie, nach einem jener freundliche Sterne dort oben; aber mein Pflegevater verwarf den Name als heidnisch, und ich heiße jetzt Prudentia. - Nur die Insulaner können das noch nicht gut aussprechen und nennen mich lieber mit dem alten Namen."

„Oh, so laß mich Dich auch Sadie nennen, Du holdes Kind," bat da René - „bist Du nur nicht auch ein freunlicher Stern geworden, der mich hier aus meiner Trübsal hinausführen soll? - und wie gern folg' ich ihm - Prudentia, lieber Gott, der Name mag für des würdigen Mannes Mutter oder Gattin recht gut klingen, aber Deinen Namen hinein verwandeln, Sadie, heißt die Saiten einer Harfe zerreißen und Bindfaden darüber spannen - nein, so /42/ leuchte mir voran, und jener Stern soll nicht genauer seine Bahn halten, als ich der Deinen folge."

Das junge Mädchen, das wohl den alten liebgewonnenen Namen auch lieber hörte als das fremde, selbst für ihre Zunge schwere Wort, erwiderte nichts weiter, und wie eine Gemse von dem ziemlich steilen Hang hinunterkletternd und den Arm vermeidend, den René nach ihr ausstreckte, sie dabei zu unterstützen, glitt sie auf den Boden nieder, daß René kaum ihren Schritten zu folgen vermochte.

4.

Der Mi-to-na-re.

Es war ein ziemlich langer Marsch durch eine wilde Gegend und oft durch Dickichte, durch die der junge Flüchtling allein nie seinen Weg gefunden. An den Sternen sah er dabei, wie sie viele Umwege machten, entweder vollkommen undurchdringliche Stellen zu umgehen, oder auch vielleicht mögliche Verfolger irre zu führen. Endlich erreichten sie wieder eingezäunte Gartenplätze mit Bananen, Brodfrucht, Orangen, Wassermelonen und süßen Kartoffeln bepflanzt, und als die Sonne eben über dem wieder vor ihnen liegenden Meeresspiegel emporstieg, betraten sie eine freundliche Ansiedelung wohnlicher Bambushütten, sogar mit einigen weiß übertünchten Häusern dazwischen, dicht in den Schatten hoher Cocospalmen und breitästiger Brodfruchtbäume hineingeschmiegt und von einer hohen, festen Umzäunung rings umschlossen.

René zögerte im ersten Augenblick, den Ort zu betreten - er blieb stehen und betrachtete forschend den kleinen freundlichen Platz, der wie ein in sich abgeschlossenes Paradies /43/ stillen Friedens vor ihm lag. Sadie schaute nach ihm um und frug ihn lächelnd, ob er sich fürchte, näher zu kommen.

„Fürchten?" sagte der junge Mann leise mit dem Kopf schüttelnd, „wenn ich überhaupt etwas fürchtete auf der weiten Welt - hätte ich da je diese Insel betreten?"

„Fürchtest Du nichts?" sagte das Mädchen rasch und erstaunt, und schaute zu ihm auf - „fürchtest Du nicht Gott?" -

Der junge Mann fühlte, daß er hier ein Feld berühre, das er vermeiden müsse. - So wenig er sich selber aus irgend einem Religionsbekenntniß machte, besaß er doch zu viel gesunden Sinn für Recht, es in Anderen zu achten, und er hätte besonders dem holden Kind nicht durch eine rauhe Antwort wehe thun mögen - er sagte deshalb ausweichend: „Ich sprach nicht von Gott, Sadie - ich sprach von den Menschen - also hier wohnt der weiße Missionär?"

„Hier wohnt er, wenn er auf der Insel ist," erwiderte das Mädchen, durch seine Antwort vollkommen wieder beruhigt - „gerade jetzt aber besucht er mehrere andere Inseln in Missionsgeschäften. Doch schon seit drei Tagen erwarten wir ihn zurück, und jede Stunde kann er wieder eintreffen."

„Also in diesem Augenblick wohnt kein Missionär auf dieser Insel?" - frug der junge Mann rasch und, wie es fast schien, erfreut.

„Kein weißer Missionär wenigstens," sagte die Jungfrau; „aber Du scheinst Dich darüber eher zu freuen, und ich hatte geglaubt, es würde Dich beruhigen, wenn Du einen Landsmann in der Nähe wüßtest."

„So habt Ihr auch eingeborene Missionäre hier?" umging der junge Mann die halbgestellte Frage durch eine andere - „und sind die auf allen Inseln?"

„Nicht auf allen, doch auf vielen - hier aber," fuhr sie auf das Haus deutend fort - „wirst Du jedenfalls Schutz finden, bis Dein Schiff zurückkehrt, denn von den Bewohnern dieser Insel wird es keiner wagen, Hand an Dich zu legen, so lange Du Dich in den Mauern dieses kleinen Wohnortes befindest. Was Deine eigenen Landsleute freilich thun, wenn sie zurückkommen, weiß ich nicht, doch ich fürchte, sie werden /44/ kaum die Heiligkeit dieses Ortes anerkennen, obgleich sie alle dem Namen nach Christen sind. Mein Pflegevater hat mir oft erzählt, daß auf den Schiffen viel böse, gottlose Menschen hausen, und wir Insulaner hier manchmal viel bessere Christen sind als jene - aber nicht wahr, Du gehörst nicht zu denen?"

„Oh, da mag Dein Pflegevater wohl vollkommen Recht haben," lächelte René, „denn viel Christenthum darf man auf den Walfischfängern nicht suchen. Darum sind aber doch auch viel gute, brave Menschen zwischen ihnen, liebe Sadie, und ich mag leichtsinnig sein," setzte er gemüthlich hinzu - „aber schlecht bin ich doch wohl nicht. Du wußt mir das freilich auf mein ehrlich Gesicht hin glauben, denn andere Bürgen habe ich weiter nicht dafür."

Das Mädchen lächelte, vollkommen zufrieden gestellt, vor sich hin, und jetzt zum ersten Mal seine Hand ergreifend, führte sie ihn durch die ihrem Druck nachgebende kleine Gartenpforte, durch den breiten gutgehaltenen Gang des Gartens und eine dichte Allee regelmäßig gepflanzter Bananen oder Pisang dem Hause zu, unter dessen Schutzdach René die kleine, etwas wohlbeleibte Gestalt eines, wie es schien, halbcivilisirten Insulaners erkannte.

René konnte ein leises Lächeln kaum verbergen, als er die Gestalt mit flüchtigem, aber forschendem Blick überflog, und fast unwillkürlich drängte sich ihm der wunderliche Gedanke auf, daß der Mann, wenn ihm der Geist und die Civilisation wirklich von oben gekommen sei, jedenfalls noch mit den Beinen im Heidenthum stecke.

Der kleine gelbbraune Missionär sah auch in seiner halb frommen, halb wilden Tracht eigenthümlich genug aus. Er ging in bloßem Kopf, aber die sonst langen schwarzen Haare waren kurz abgeschnitten und zugestutzt - ferner trug er ein weißes baumwollenes Hemd und eine weiße leinene Halsbinde, mit hellgelber, blankknöpfiger Weste, und über diesem allen einen, dem Klima keineswegs zusagenden - schwarzen Frack. Bis so weit also war der Geist gekommen, darunter aber fing der Heide wieder an - der Mann konnte sich an die fremde Religion, aber nicht an Hosen gewöhnen, und /45/ während er um die Lenden ein langes Stück roth und gelben Kattun, der höchst freundlich gegen den schwarzen Frack abstach, mehrfach geschlagen hatte, trug er die Beine vollkommen nackt. Nur unter dem Kattun schauten noch die alten heidnischen Tätowirungen früherer Zeiten, wie scheu, von dem christlichen Kleidungsstück bedroht, hervor.

Der kleine Mann schien übrigens ungemein erstaunt über den Besuch und auch vielleicht gerade nicht besonders erfreut, als ihm Sadie in seiner Sprache mit kurzen Worten das auf der andern Seite der Insel Vorgefallene erzählte und ihn um seinen Schutz für den Verfolgten ansprach. Er hatte auch erst, wie es René vorkam, eine Menge Einwendungen dagegen zu machen, und das Wort Mitonare kam sehr häufig dabei vor. Sadie oder Pu-de-ni-a, wie sie der kleine Missionär in seinem wunderlichen Kauderwelsch statt Prudentia nannte, wußte diesem Allen aber zu begegnen, und da er wohl selber gutmüthig und gastfrei war, schien er sich endlich zu fügen. Er streckte dem jungen Mann mit einem halb freundlichen, halb salbungsvollen Blicke die dicke, fette Hand entgegen, deren Finger auch noch frühere Tätowirungen zeigten, und sagte in einer Sprache, die jedenfalls Englisch sein sollte, aber meistens wieder auf Tahitisch auslief:

„Gu – day bodder – gu day – a haere mai gu fend here – ehoa ino – very gu fend -" und dann folgte noch eine längere Auseinandersetzung, jetzt auf einmal in reinem Tahitisch, als ob er glaube, daß der Fremde durch die vorigen einleitenden Worte in seiner eigenen Sprache nun auch vollkommen vorbereitet für jede weitere Anrede in gutem Insulanisch sein müsse.

Sadie, die übrigens mit halbverstohlenem Lächeln sah, wie der junge Fremde verlegen vor ihm stand und nicht recht zu wissen schien, was er aus dem Ganzen machen solle, übersetzte ihm schnell, was der kleine Mann gesagt hatte, und bat ihn, in das Haus zu treten, sich mit Speise und Trank zu stärken und von den überstandencn Strapazen auszuruhen.

„Aber wie kann ich jetzt erfahren," frug René das junge Mädchen - „was aus dem Schiff geworden ist, das schon /46/ vielleicht in diesem Augenblick die Insel wieder von anderer Seite ansegelt?"

„Kümmere Dich nicht deshalb" lächelte das Mädchen. „Eben habe ich einen Knaben nach der nächsten Bergspitze gesandt, von wo er das Meer rings überschauen kann, der bringt uns Nachricht, ob das fremde Segel noch in der Nähe ist. - Und nun in's Haus, denn wie ich Dir schon gesagt habe, bis das Schiff zurückkehrt, bist Du sicher - und selbst dann finden sich vielleicht, Mittel Dich zu verbergen," setzte sie freundlich hinzu.

Der kleine Mitonare, denn als solchen hatte er sich René – mi mitonare — mi mitonare - schon selber vorgestellt - ging ihnen jetzt geschäftig voran in's Haus, und obgleich heute wirklich ihr Sonntag fiel5, brachte er nichtsdestoweniger eigenhändig erst Teller und Messer und Gabel, die, sonst wahrscheinlich nur wenig benutzt, tief in einer Schrankecke zu ruhen schienen, und dann kaltes Fleisch, Früchte und Cocosnußrnilch herbei, und lud nun den jungen Mann auf das Freundlichste ein, sich niederzusetzen und nach Herzenslust zuzulangen.

René sah Sadie au und dann die Speisen - er schämte sich, sie zu bitten mit ihm niederzusitzen, und doch hätt' er es gar zu gern gethan. Das schöne Mädchen mochte aber errathen, was er wünsche, denn sie schüttelte lächelnd mit dem Kopf und war im nächsten Augenblick schon durch die offene Thür verschwunden.

Der kleine Missionär begann nun eine Unterhaltung, die Rcné zu jeder andern Zeit ungemein amüsirt haben würde. In diesem Augenblick hatte er aber wirklich einen höchst bedeutenden Hunger, und die steten Fragen des Kleinen, die an und für sich schon des wunderlichen Kauderwelsch / 47/ wegen eben so viele Räthsel waren, forderten eine Theilung seiner Aufmerksamkeit, die er jetzt weit lieber ungetheilt dem delicaten kalten Schweinebraten und den saftigen Früchten zugewandt hätte. Der Kleine ließ aber nicht nach und frug vor allen Dingen, wie er selber hieße - der Name war einfach genug und er konnte ihn ziemlich gut nachsprechen - dann wie das Schiff hieße, auf dem er gekommen sei, und von wo es gesegelt wäre. Er interessirte sich besonders, da er in den letzten Jahren mit Hülfe des weißen Missionärs etwas Geographie getrieben, für die Hafenplätze der englischen und amerikanischen Küste, und schien sich ungemein zu freuen, als er einen ihm bekannten Namen, Boston - das er übrigens hartnäckig bo-son aussprach - erwähnen hörte.

Eine Hauptfrage des kleinen unermüdlichen Mannes war aber zuletzt nach des Fremden Religion und Vaterland, und René hätte sich selber keinen schlimmeren Namen machen können, als daß er sich ohne Weiteres für einen Franzosen ausgab.

„Wi-wi?" sagte der kleine Mann etwas erstaunt, zog die Augenbrauen in die Höhe und spitzte den Mund - „Wi - wi?6 - hm -"

„Wi-wi?" sagte René, der diesen Ausdruck noch nicht kannte, erstaunt - „was Wi-wi? - nicht Wi-wi - frenchman - Francais – ferani - " denn diesen Ausdruck hatte ihn schon Adolph gelehrt.

„Es.es," nickte der Kleine schmunzelnd – „Fe-ra-ni – Wi-wi"-

„Was zum Henker will er denn mit dem Wi-wi?" dachte René - „das muß ein besonderer Dialekt für den Namen sein.

„Viel - viel Wi-wis in Tahiti," - sagte der kleine Missionär wieder - „keine Christen, Wi-wis!"

„Keine Christen?" rief René lachend - „nun ich weiß doch nicht - einige sind sicher darunter, die sich wenigstens so nennen -" /48/

„Es, Christen," nickte der unverwüstliche Kleine - „aber keine guten - aita matai –“

Jetzt begriff René erst, worauf der kleine protestantische Missionär oder Prediger eigentlich abziele, denn dieser mußte natürlich glauben, was ihm die protestantischen Geistlichen über die Religion der anderen Weißen, die sich ebenfalls Christen nannten und doch, in ihren äußeren Gebräuchen besonders, so bedeutend von diesen abwichen, gesagt hatte, Er hütete sich aber wohl, auf irgend einen religiösen Streit einzugehen und beschränkte sich nur darauf, ihm zu erklären, er wisse nicht was es in Tahiti für Christen gäbe, er sei noch nie dort gewesen, in seinem eigenen Vaterland – was er in aller Unschuld jetzt selber Wi-wi, und zwar sehr zum Ergötzen des kleines Mannes nannte - gäbe es aber sehr gute, fromme Christen.

René hätte vielleicht noch eine Masse ihm gerade nicht gelegener Fragen beantworten müssen, wäre in diesem Augenblick nicht draußen vor der Thür eine kleine Glocke geläutet worden und zu gleicher Zeit Sadie wieder in der Thür des Gemaches erschienen. René sprang fast mit einem Fremdenruf empor.

Das junge Mädchen sah aber auch wunderlieblich in der Kleidung aus, die sie der Sonntagsfeier zu Ehren angelegt hatte. Diese bestand in einem langen faltigen Gewand, das ihr oben von den Schultern bis auf die Knöchel niederfiel, im Gürtel aber von einer leichten rothseidenen Schärpe zusammengchalten wurde; die Haare hatte sie wieder frisch mit wohlriechendem Oel getränkt und die langen, vollen Locken glatt niedergekämmt, daß sie ihr bis auf die Schultern herabfielen. - Aber keine Blume schmückte sie jetzt, wo sie zu Gottes Altar treten wollte, nur eine dünne Schnur, aus den Erhöhungen der reifen Ananas geschnitten, zog sich ihr um das Haar und die Stirn, den wilden Lockenschatz in etwas zu bändigen. In der Hand hielt sie ein kleines Buch mit goldenem Schnitt - ein englisches Neues Testament, und das erst so wilde, muthige Kind sah jetzt so mädchenhaft fromm , und schüchtern aus, das dunkle Auge ruhte mit einem so milden, sanften Blick auf ihm, daß er sie kaum wieder erkannt /49/ hätte. Und doch war sie jetzt fast noch schöner als damals, wie sie, den nackten Arm um den Baum geschlungen, von dem Felsen herab auf die verrätherischen Landsleute niederzürnte.

„Wie schön Du bist, Sadie!" rief René fast unwillkürlich aus und streckte ihr seine Hand entgegen.

„Nicht Sadie jetzt," sagte aber das junge Mädchen und schüttelte leise mit dem Kopf - „Prudentia heiß' ich, denn ich gehe jetzt zu meinem Gott, durch dessen heiliges Wasser ich den Namen bekommen habe. Aber hier, mein Freund," setzte sie mit bittendem Ton hinzu, indem sie die ihr gebotene Hand ergriff und dabei dem jungen Mann zugleich das kleine Buch entgegenhielt - „nimm das hier und lies darin, während wir in der Kirche für Dich und Dein Wohl beten wollen - es ist ein gutes Buch und wird Dich trösten."

Es lag etwas so rührend Herzliches in dem Ton, mit dem das holde Kind diese Worte sprach, daß René das Buch nahm, ihr leise die gereichte Hand drückte und sagte:

„Ich danke Dir, Sadie - Du mußt mir nun schon erlauben, Dich so zu nennen - das andere Wort will mir gar nicht über die Lippen - aber Du bleibst doch nicht lange?"

„Vielleicht nur zu kurze Zeit für so schwere Sünder, als wir sind," sagte das Mädchen ernst und fast traurig - „aber lebe wohl und fürchte nichts für Deine Sicherheit. Von der andern Seite der Insel sind eben Männer zur Kirche herüber gekommen, und sie berichten, daß Dein Schiff nirgends mehr zu sehen sei - es ist weit nach Westen gegangen und müßte lange Zeit brauchen, wollte es gegen den Wind wieder nach uns aufkreuzen. - Bleibe aber hier im Hause und zeige Dich nicht den Leuten draußen; doch davon sprechen wir nachher, jetzt darf ich nicht an weltliche Sachen denken - ich dachte aber auch nur Deinetwegen daran" - setzte sie leiser hinzu, und eine tiefe Röthe breitete sich über ihre schönen, so engelsanften Züge.

Auf den kleinen Mitonare hatte der Ton der Glocke aber ebenfalls eine fast zauberhafte Wirkung ausgeübt. - Noch im Lachen über den Fremden hörte er den ersten Ton dersel-/50/ben, und wie ein in seiner Lust von dem strengen Blick des Lehrers ertappter Schulknabe, zog sich sein Gesicht nicht, nein zuckte es förmlich in die alten ehrbaren Falten hinein, die ihm dabei fast noch komischer standen, als das Lachen vorher. Er erhob sich hastig, ergriff seine Bücher - alle in die ta hitische Sprache durch die Missionäre übersetzt, - und Sadie einige Worte sagend, verließ er mit dieser langsamen Schrittes das Haus.

René blieb allein zurück; Sadie hatte ihn heute absichtlich nicht aufgefordert, sie in die Kirche zu begleiten, was sie sonst gewiß nicht versäumt haben würde. Es waren aber viele Insulaner, die gestern Theil an den Vorfällen gehabt, von der andern Seite herübergekommen, und sie wollte beide Parteien nicht jetzt schon wieder zusammenbringen. Der Aufenthalt des Fremden konnte übrigens, wie sie recht gut wußte, nicht lange geheim bleiben, wenn er das überhaupt nur bis jetzt noch geblieben war. Den Frieden des Missionsgebäudes störten aber selbst die Verhärtesten ihres Stammes nicht so leicht, und sie glaubte den armen, von allen Uebrigen verlassenen Fremden wenigstens hier sicher.

René warf sich auf eine der überall in dem hohen, luftigen Gebäude ausgebreiteten Matten und lag lange in tiefem Brüten über die letzten für ihn so verhängnißvoll gewesenen Stunden. Er war einer sehr dringenden Gefahr für den Augenblick entgangen, aber kam das Schiff zurück - und er zweifelte kaum daran, daß der Capitain wenigstens noch einen Versuch machen würde, ihn wieder zu bekommen - wie sollte er dann sich retten? - Er durfte auch kaum hoffen, von einem englischen und protestantischen Missionär beschützt zu werden, und das Beste blieb immer, daß er weder Schiff noch Missionär abwartete und so rasch als möglich die Insel zu verlassen suchte. - Aber Sadie? - würde sie ihn begleiten? - Er erschrak ordentlich vor dem Gedanken sie zurückzulassen, und mochte sich selber kaum gestehen, wie gewaltig dies holde Kind des Waldes sein Herz schon gefesselt habe und halte.

„Das ist Thorheit," murmelte er vor sich hin - „Wahnsinn, jetzt an Liebe zu denken, wo Du selber noch nicht einmal eine Stätte hast, Dein Haupt hinzulegen. Sei vernünf-/51/tig, René- hier an die Inseln geworfen, hat das erste hübsche Gesicht, was Dir in den Weg kam, Dein überhaupt etwas leicht entzündliches Herz in lichterlohe Flammen gesetzt - das ist ein Strohfeuer und brennt in der ersten Woche aus."

Er stützte den Kopf in die Hand und schlug das Buch auf, das noch immer vor ihm lag; aber die Buchstaben tanzten ihm vor den Augen; zwischen jeder Zeile lachten die holden schelmischen, und doch so sanften Züge des lieben Kindes heraus, und weder St. Lukas noch die Korinther vermochten den Zauber zu lösen, der seine Seele mit der wilden Gluth plötzlicher, aber gewaltig erwachter Liebe entzündet hatte.

Der Tag verging ihm langsam - Sadie kehrte mit dem kleinen Missionär wohl um die Mittagszeit zurück, aber es war Sonntag - kein Lächeln stahl sich über ihre Züge. - Selten oder nie begegnete ihr Blick dem seinen, und die Stunden flossen ihm träge unter Gebeten und Hymnen dahin.

Schon vor Tag am nächsten Morgen war er auf, badete in dem krystallhellen Wasser der Korallenbänke, und harrte dann mit wirklicher Sehnsucht des schönen Kindes, das aber heute lange, lange ausblieb und sich ihm gar nicht wieder zeigen wollte. Vergebens erfrug er sie bei dem Mitonare.

„Pu-de-ni-a?" sagte dieser kopfschüttelnd und mit seinem rätselhaften Englisch - „der Herr weiß, wo man das Mädchen suchen soll, wenn man sie haben will – Pu-de-ni-a ataetai - wie kleine Eidechse, hier im Laub und da im Laub - kann sie nicht fassen - ist weg unter den Augen."

Der Kleine schien heut übrigens besonders zu einer Unterhaltung aufgelegt, lehnte sich auf seine Matte zurück, faltete die kurzen dicken Finger auf dem runden Magen und begann wieder auf das herablassendste eine ganze Reihe von Fragen an den jungen Mann zu stellen, die ihm oft kaum Zeit ließen, nur den Sinn zu verstehen, ehe sie wieder, ohne die Beantwortung der ersten abzuwarten, von anderen verdrängt wurden. Er trug aber heute weder den schwarzen Frack, noch die hellgelbe Weste mit den blanken Knöpfen. Selbst das weiße Halstuch lag, sorgfältig in ein Stück gelbes englisches Packpapier eingewickelt auf einem kleinen Bücherbrett, neben seinem geistlichen Schatz. Seine Bewegungen waren /52/ aber dadurch auch freier geworden, und er schien mit dem Frack auch den ganzen Mitonare ausgezogen zu haben. Er war, wie er jetzt selber René aus freien Stücken erzählte, noch vor zehn Jahren ein entsetzlicher Heide gewesen, der glaubte, daß das höchste Wesen Taaroa und nicht Gott hieß, der sogar seinen Götzen Früchte und Schweinefleisch zum Opfer brachte und Gefallen an den sündhaften Tänzen der eingeborenen Mädchen fand, Mitnorae o-no-so-no, Gott weiß, wie der Mann in wirklichem Englisch hieß, hatte ihn jedoch gerettet, sein Vater aber und sein Großvater, und seinem Großvater sein Großvater waren alle in der Hölle - konnten aber nichts dafür - waren aus Versehen hinuntergekommen. - Er hatte sich sogar tätowiren lassen, und als er sah, daß René, wahrscheinlich unbewußt, ein erstauntes Gesicht dabei machte, was er vielleicht für Unglauben nahm, lüftete er mit einer halben Wendung den Kattun, fiel aber erschrocken wieder in seine alte Stellung zurück und sah sich nach allen Seiten um, als René der sich nicht helfen konnte, bei der Bewegung plötzlich in ein schallendes Gelächter ausbrach. Das hätte der kleine Mann aber bald übel genommen, René wußte ihn jedoch wieder zu beruhigen, und er begnügte sich von da an ihm seine Lebensgeschichte ohne Illustrationen zu geben. Das Mitonaresein war seiner Meinung nach ein sehr schweres Geschäft - weniger des Predigens, als des Frackes wegen - und der viele Aerger mit den Mädchen - so viel junges, leichtsinniges Volk - denken immer, können in den Himmel kommen, wenn sie lustig sind - bah - wissen's nicht besser. - Da in dem Buch steht Alles drin - sehr gutes Buch - ein bischen dick - aber sehr gutes Buch, und viele schwere Worte drin. Jetzt kam aber bald eine böse Zeit - weiße Mitonares - vier, fünf, sechs kamen hier herüber - sahen zu, ob Mitonare rother Mann viel weiß und kleine Kanakas iti-iti gut unterrichtet hat - viele schwere Worte auswendig lernen und viel Aerger mit iti-iti. Pu-de-ni-a gutes Kind," setzte er dann hinzu - ,,aber ein bischen wild - ein bischen sehr wild für /53/ waihini - Mitonare O-no-so-no Tochter - aber nicht Tochter - nur so Tochter -" und er bemühte sich dann in langer Rede und mit großer Anstrengung dem jungen Mann begreiflich zu machen, daß Pu-de-ni-a O-no-so-no's Pflegetochter sei.

Das war etwa der Inhalt seiner Unterhaltung, bei der er ziemlich allein das Wort führte und René allerdings nur nothdürftig den Sinn des Ganzen verstand, indem der Alte oft mehr tahitische als englische Worte gebrauchte, und selbst diese wenigen noch auf wahrhaft grausame Art verstümmelte. René konnte es zuletzt nicht länger aushalten - die Sehnsucht, die ihn auf der einen Seite quälte, Sadie wieder zu sehen, und die peinlich scharfe Aufmerksamkeit, die er auf der andern genöthigt war, dem Kauderwelsch des Kleinen zu schenken, wenn er nur überhaupt den ungefähren Sinn der Rede fassen wollte, machten ihm die Unterhaltung zu einer wahren Folter, und er benutzte die erste nur einigermaßen passende Gelegenheit, aufzustehen und in den Garten zu gehen. - Aber Sadie war nirgends, weder zu hören noch zu sehen. Die Sonne stieg indessen schon ziemlich hoch, und er warf sich endlich, als er die Gänge unzählige Male auf- und abgelaufen, ermüdet in dem Schatten eines Orangen- und Citronendickichts nieder, von wo aus er, da der Platz erhöht lag, das ruhige Binnenwasser, das die Insel umgab, und die weiter draußen von der Brandung hoch beschäumtcn Riffe deutlich übersehen konnte. Dicht hinter dem kleinen Orangenhain lief die Einfriedigung des Gartens hin, und gleich von diesem ab begannen ziemlich steil die nächsten, mit Guiaven- und Citronenbüschcn bedeckten Hügel emporzusteigen.

Wohl eine halbe Stunde hatte er so so gelegen, und wilde wunderliche Luftschlösser gebaut mit träumenden Gedanken. - Oh wie reizend lag seine künftige Heimath unter den wehenden Palmen und duftigen Orangenblüthen dieser Wälder - wie schaukelte sein Canoe so still und friedlich auf der klaren herrlichen Fluth, wenn er Abends vom Fischfang heimkehrte - und welch' holdes Bild stand in der niedern Thür der Bambushütte und winkte ihm mit dem wehenden Tuch das fröhliche, herzliche Joranna entgegen - Halt! - das waren /54/ Schritte - dicht hinter den Orangenbäumen den Hügel herab - ein leichter Sprung über den Zaun - er fuhr

empor, und an ihm vorüber schoß mit flüchtigen Schritten die holde Wirklichkeit seiner schönsten Träume.

„Ha!" sagte das Mädchen und warf halb scheu, halb erschreckt den Kopf zurück, den die vollen dunkeln Locken heut wild umflatterten. Als sie aber ihren Schützling erblickte, färbte wieder jenes dunkle Roth, das ihrem Antlitz einen so unendlichen Zauber verlieh, die lieblichen Züge der Maid. Rasch auf ihn zutretend, reichte sie ihm freundlich und zutraulich die Hand, die er fest in der seinen hielt, während seine Blicke mit inniger Lust an den ihrigen hingen.

Es war aber heute ganz wieder das wilde Kind wie an jenem Tage, wo sie wie ein zürnender Geist zwischen Verfolger und Verfolgten getreten. Das lange Gewand von gestern hatte sie abgeworfen, und das Schultertuch verrieth mehr von den üppigen Formen des wunderschönen Mädchens, als es verdeckte. Auch durch die Locken wand sich wieder ein dichter Kranz duftender Blumen mit einem hochgefärbten Farn durchflochten, während zwei große weiße Sternblumen über ihren Ohren staken und die feine Bronzefarbe der Haut nur noch mehr und reizender hervorhoben.

„Wo bist Du aber nur so lange geblieben, Sadie!" sagte jetzt René mit leisem, fast zärtlichem Vorwurf.

„Lange geblieben?" lachte das wilde Mädchen - „lange geblieben? hab' ich denn überhaupt kommen wollen? - wunderlicher Mann, wie weißt Du nur, wo ich überall heute Morgen schon gewesen bin - und Deinetwegen noch dazu" - setzte sie mit leichtem Erröthen und halb abgewandtem Gesicht hinzu - „doch komm," fuhr sie rasch fort, als sie mehr fühlte wie sah, daß er etwas darauf erwiedern wolle - „komm, ich habe gute Nachrichten für Dich, und wir wollen indessen ein wenig zu meinem Lieblingsplätzchen auf jenem Hügel gehen."

„Aber ich habe meine Waffen im Haus gelassen," sagte der junge Mann.

„Du brauchst sie nicht mehr, wenigstens für den Augen /55/blick nicht," hielt ihn das Mädchen zurück - „unser Häuptling selber hat mir sein Wort gegeben, daß Du unbelästigt auf der Insel bleiben sollst, bis das Schiff wiederkommt und Dich noch einmal zurückfordert - und selbst dann wird er nicht streng mit Dir sein, - wenn sie ihn nicht dazu treiben. Er ist ein guter Mann, und nur erst seit Ihr Weißen uns so viel Sachen herübergebracht habt, ohne die wir nun einmal nicht mehr glauben leben zu können, ist seine Habgier geweckt, und er thut Manches, was er sonst nicht gethan haben würde."

„Und bist Du meiner wegen heute Morgen schon drüben an der andern Seite der Insel gewesen?" rief René erstaunt, fast erschreckt aus - „Mädchen, da mußt Du ja vor Mitternacht aufgebrochen und die ganze Zeit gewandert sein, durch Dorn und Wildniß, mit den zarten Gliedern."

„Bah!" lachte das wilde Kind und warf sich mit rascher Kopfbewegung die Locken um die Schläfe, daß die losgeschüttelten Blüthen auf ihre Schultern niederfielen - „ist das der Rede werth? - schon als kleines Mädchen von vier Jahren hab' ich den Weg allein gemacht, und jetzt bin ich fünfzehn. - Aber gestern durft' ich ja doch nicht gehen," setzte sie ernster hinzu - „gestern war Sabbath, und - ich wollte doch auch nicht, daß Du wie ein Gefangener im Hause sitzen bleiben solltest. - Doch wir wollen ja hier nicht stehen bleiben, ich bin müde und will mich setzen - komm," sagte sie und zog ihn nach sich, der Gartenpforte zu, durch die sie gingen und links davon einen kleinen Hügel emporstiegen, wohinaus ein ordentlicher Pfad ausgehauen und geebnet war.

Es ließ sich kaum ein lieblicheres Plätzchen auf der weiten Gotteswelt denken als das, wohin das schöne Mädchen jetzt den jungen Mann führte. - Drei niedere Palmen, in ihren Kronen fast gleich, überhingen die kleine Stelle, und zwar so, daß die schattigen Blätter, weil nach vorn überneigend, die Sonne auffingen, wenn sie nur wenige Stunden hoch am Himmel stand. - Der Boden war mit einem feinen wohlriechenden Farrn bedeckt; der duftende anei, wie reich mit Blumen geschmückte Büsche bildeten die Rückwand, und mehrere mit Blüthen überstreute und zu gleicher Zeit von /56/ goldenen Früchten fast niedergebeugte Orangenbüsche die Seitenwände, während ein breiter niederer Sitz, mit feingeflochtenen Matten doppelt und dreifach weich überlegt, mit einer von Bambus gezogenen Rücklehne, die weite, freie Aussicht

auf das blaue Meer und die schäumende Brandung der Riffe gewährte.

René stand lange in schweigender Bewunderung der reizenden Scene, mit dem schönen Mädchen, das ihn lächelnd betrachtete, an seiner Seite.

„Nicht wahr, das ist ein lieblicher Platz hier auf der kleinen freundlichen Insel?" - sagte sie endlich leise, als ob sie fürchtete das, was sein Herz in diesem Augenblick fühlte, zu unterbrechen.

„Oh wunder - wunderschön!" rief René begeistert, ihre Hand ergreifend - „ein Paradies, dem selbst die Engel nicht fehlen."

„Pfui, Fremder," sagte aber das Mädchen ernst und fast traurig - „Du mußt nicht lästern, während der liebe Gott das Licht seiner Sonne auf Dich niedergießt und die Wunder seiner Welt um Dich her ausgebreitet hat - und Du thust mir auch weh damit, und ich habe Dir doch nichts zu Leide gethan."

„Sadie!" bat der junge Mann, tief ergriffen non der einfachen, rührenden Natürlichkeit des holden Kindes.

„Laß nur gut sein," sagte sie aber wieder etwas freundlicher, „und setze Dich hierher - nein, nicht so nahe zu mir - da in die Ecke - so, und nun sollst Du mir eine Frage beantworten."

Sie sah ihm dabei treuherzig in die Augen, und wenn sie auch nicht duldete, daß er den Arm um sie legte, ließ sie doch ihre Hand in der seinen ruhen.

„Und was willst Du fragen, Du holdes Lieb?"

„Zuerst heiß' ich Prudentia, höchstens Sadie, aber nicht anders - doch wie heißt Du eigentlich?"

„René!"

„René - das ist ein hübscher kurzer Name und klingt nicht so schwerfällig wie die anderen englischen Worte, René; - das könnte auch der Mitonare im Haus behalten," setzte sie /57/ leise hinzu, und ein schelmisches Lächeln blitzte ihr durch die Augen; es war aber auch im Moment wieder verschwunden.

„Und was wolltest Du mich fragen, Sadie?"

Das junge Mädchen wurde in diesem Augenblick recht still und ernsthaft, und sah ihm erst eine ganze Weile forschend, schweigend in die Augen, als ob sie dort lesen wolle, wie es selbst in seinem innersten Herzen beschaffen sei. Dann aber schüttelte sie mit dem Kopf - hatte sie nicht gefunden, was sie suchte, oder war sie über sich selbst böse? - und sagte jetzt, aber noch immer keinen Blick dabei von ihm verwendend:

„Ist es wahr, René daß Du ein Ferani bist?"

„Wenn Du, wie ich glaube, Franzose darunter verstehst - ja," erwiderte René, offen, aber auch halb erstaunt über den tiefen Ernst dieser doch gewiß höchst gleichgültigen Frage.

„Und bist Du ein Christ?" frug das Mädchen ängstlich.

René konnte ein Lächeln kaum verbergen, er erinnerte sich aber auch zugleich der Fragen des kleinen Mitonares und sagte kopfschüttelnd:

„Liebes Kind, wer hat Euch solch' tolle Grillen hier in den Kopf gesetzt, daß die Franzosen keine Christen wären? - gewiß sind wir Christen, wenn Dich das beruhigen kann."

„Aber habt Ihr nicht heidnische Gebräuche bei Eurer Religion?" frug ihn das Mädchen jetzt dringender.

„Aber, Du gutes Kind," bat sie René, „sage mir nur -"

„Oh bitte, bitte, beantworte mir meine Frage treu und wahr," unterbrach ihn aber in fast ängstlicher Hast das schöne Mädchen - „ich will Dir dann auch mit Freuden jeder Frage Rede stehen."

„Nun gut denn, Sadie, Dich zu beruhigen, will ich Dir jeden Aufschluß geben, der nur in meinen Kräften steht. Du weißt gewiß von Deinem Pflegevater, daß es viele, viele Weiße in anderen Welttheilen giebt. Diese glauben wohl Alle an einen Gott, aber sie haben verschiedene Namen für ihn - sie beobachten verschiedene Formen, ihn anzubeten."

„Und Alle beten wirklich zu dem einen Gott!" sagte Sadie staunend - „nicht andere Götter sind es, die Ihr verehrt?" /58/

„Sie haben sich große Mühe gegeben, Sadie," sagte René, „Dir den Glauben so vieler Tausende von der schlimmsten Seite zu schildern - und schon das allein wäre nicht christlich."

„Aber Eure Sünden werden Euch für Geld vergeben," sagte Sadie, während ihr Auge angstvoll an dem des Fremden hing.

„Um Geld nicht, mein Herz," erwiderte aber René - „und wo es geschieht, ist es eben ein Mißbrauch der Geistlichen, die Manches in den Formen unserer Gottesverehrung zu verantworten haben. - Aber sollen wir etwa glauben, daß Gott dem schwachen Menschen, der da einmal gesündigt, auf immer zürnt? ist es nicht wahrscheinlicher, daß er in seiner unendlichen väterlichen Huld uns, wenn wir wirklich Reue fühlen, verzeiht? Dürfen wir uns denn Gott, den Allbarmherzigen, als einen ewig zürnenden Richter denken, der sogar ungerecht bis hinab in's dritte, vierte, ja zehnte Glied straft und richtet? - Nein, Sadie - dieser Glaube mag oft durch böswillige oder eigennützige Geistliche gemißbraucht sein, ich will das nicht leugnen, aber es ist immer kein G ö tz e n dienst, und wer Dir das gesagt hat, mag es vielleicht recht gut gemeint haben, aber er übertrieb die Sache. - War es Dein Pflegevater, Sadie?"

„Nein," sagte das junge Mädchen, leise und nachdenklich mit dem Kopf schüttelnd - „mein Pflegevater ist nicht so streng und ernst. Er hat mir oft gesagt, daß unter den Franzosen auch gewiß recht viel brave und gute Menschen wären, vielleicht eben so viel wie unter den Engländern - nur daß ihre Religion nicht die rechte sei und daß sie noch viele Mißbräuche duldeten."

„Und wer hat Dir sonst so Böses von uns erzählt, mein Lieb?" lächelte -René - „in Deinem eigenen Köpfchen ist es doch Wahrlich nicht entsprungen."

„Nein," sagte das Mädchen treuherzig - „aber auf Tahiti wohnt ein frommer, ernster, strenger Mann - der kommt des Jahres wohl ein- oder zweimal auf unsere Insel herüber und predigt hier. - Wir fürchten uns aber Alle vor ihm, denn wir dürfen dann keine Blumen in den Haaren tragen

/59/ und nicht lachen und fröhlich sein, und er macht uns das Herz dabei auch so schwer, daß wir, wenn er schon selbst Wochen lang fort ist, immer noch an die entsetzlichen Strafen denken müssen, die uns, selbst nach leichtem Vergehen, in der Ewigkeit erwarten. - Oh, er ist gar so finster, aber auch sehr fromm, und er besonders hat uns vor Deiner Religion gewarnt und uns mit ewiger Verdammniß gedroht, so Eins der falschen Lehre lauschen würde - und Du bist auch Katholik, René?"

„Ich gehöre allerdings zu jenen Entsetzlichen," sagte René fast scherzend; als er aber den schmerzlichen Zug um des lieben Kindes Mund gewahrte, setzte er rasch hinzu - „aber fürchte nicht für mich, Du treues Herz - ich selber hänge nicht an jenen Gebräuchen, obgleich sie unsere Kirche verlangt, wenn ich sie auch nicht für so gefährlich halte, als Deine Priester Dich gelehrt haben."

„Ach, das beruhigt mich recht, René," sagte die Maid und preßte die Hand auf das Herz, als ob sie da Alles niederdrücken wolle, was ihr jetzt Gram und Kummer machen wolle - „und Vater Osborne sagt ja auch, daß Gott so gut - so unendlich gut sei und die Menschen alle wie seine Kinder liebe - würde er dann so hart und grausam strafen können? - Lieber Gott," setzte sie mit recht treuherziger bewegter Stimme hinzu - „ich möchte ja nicht einmal ein fremdes armes Kind für ein wenig Muthwillen hart strafen - viel weniger denn mein eigenes."

„Und glaubst Du, Sadie, daß Euch Gott ein Paradies zum Aufenthalt gegeben und Eure Wohnungen weit, weit von dem Verkehr habgieriger, schlechter Menschen gelegt hatte, Ihr Jahrhunderte lang die Einfachheit Eurer Sitten bewahrtet, wenn er auf Euch zürnte und Euch für einen falschen Glauben strafen wolle? - Nein, mein Herz; solchen traurigen und selbst ungerechten Gedanken gieb in Deiner Seele keinen Raum. Doch fort mit diesen trüben Gedanken, laß uns von uns selber reden, Sadie; von Dir, von mir, von unserem künftigen Leben - mir wenigstens ist es zu Muthe, als ob mit dem letzten tollkühnen Schritt, den ich gewagt, ein neues, herrliches Dasein für mich erschlossen wäre. /60/ - Und nicht dieser sonnige Himmel, diese blaue See, diese wehenden Palmen sind es, die mir dies selige Gefühl in's Herz gelegt - Deine Nähe ist es, Mädchen, die mich mit einer Ahnung künftigen seligen Glücks umfängt. Rastlos und von einem innern Drang getrieben, dem ich keinen Namen zu geben wußte, jagte es mich in der Welt umher - die afrikanischen Wüsten und kanadischen Wälder konnten die Sehnsucht nicht befriedigen, die mich weiter und weiter drängte. Als Soldat zog ich in die Raubstaaten der Algierer - umsonst; als Jäger in die Felsengebirge Amerikas - umsonst; selbst die See versuchte ich, und in den Eismeeren des Nordens glaubte ich vielleicht den Punkt zu finden, der mir nicht Rast noch Ruhe ließ. Aber wie Spott klang es mir überall entgegen, und das rohe, widerliche Wesen meiner letzten Umgebung zwang mich endlich auch zu dem letzten entscheidenden Schritt, die mir unerträglich gewordenen Fesseln abzuschütteln - oder darüber zu Grunde zu gehen. Da fand ich Dich, Sadie - und ich fühle nun - oh mit jubelnder Stimme hallt es in meinem Herzen wieder, daß Du bis jetzt, Sadie, das nur geahnte, aber so heiß ersehnte Ziel gewesen, dem meine Seele entgegenstrebte. Werde mein Weib - laß uns auf dieser freundlichen Insel, fern von den Sorgen, dem gefühllosen Treiben der Welt, unsere Heimath gründen. - Tief im Laub dieser Palmen versteckt, von diesem lachenden Himmel überspannt, von diesen blauen Wogen umspült, an Deiner Seite, Sadie, und die Welt, die mir bis jetzt nur eine kalte, freudlose Straße gewesen, meinen Wanderstab darauf zu setzen, würde mir zum Himmel."

Er hatte ihre rechte Hand, die sie ihm willenlos überließ, leidenschaftlich in seine beiden Hände gefaßt, und schaute mit leuchtenden Blicken und hochgerötheten Wangen dem jungen schönen Mädchen bittend in's Angesicht.

Sadie saß mit klopfendem Herzen und niedergeschlagenen Augen neben ihm - sie war recht ernst, ja fast traurig geworden, und schaute lange sinnend vor sich nieder. - Endlich blickte sie wieder zu ihm auf, sah ihn mit den treuen, in einer Thräne schwimmenden Augen an und sagte mit leiser, kaum hörbarer, wie furchtsamer Stimme: /61/

„Und wenn Du wieder fortgingst von mir?"

„Nie - nie - Sadie!" rief René leidenschaftlich und preßte, sie an sich ziehend, einen heißen, glühenden, Kuß auf ihre Lippen. Sie duldete den Kuß, ohne ihn zu erwiedern, dann aber sich langsam seinem Arm entziehend, sagte sie leise:

„Willst Du mir etwas versprechen, -René?"

„Alles, Sadie, was in meinen Kräften steht," rief René, die Hand nicht lassend, die er noch in der seinen hielt.

„Dann versprich mir," flüsterte das schöne, jetzt tief erröthende Mädchen, „daß Du davon nicht wieder mit mir reden willst, bis mein Vater, der Missionär, zurückgekehrt ist, und -" ihre Stimme war so leise geworden, daß er die Worte kaum verstehen konnte - „und mich auch bis dahin nicht wieder küssen willst."

„Sadie!"

„Versprich mir das - nicht wahr, Du sagst es mir zu?" bat sie dann, und schaute ihm dabei so lieb und unschuldsvoll in die Augen, daß er ein Heiligenbild zu erblicken glaubte.

„Wie könnte ich Dir die erste Bitte abschlagen, Sadie," sagte er mit tiefem Gefühl.

Da schwand der fast traurige Ernst von den Zügen des Mädchens. Wie die Sonne aus trüben Wolken plötzlich über grüne wogende Saatfelder bricht, so überflog ein frohes Lächeln die engelschönen Züge.

„Das ist gut von Dir," sagte sie mit inniger Herzlichkeit - „das ist recht gut von Dir. Nun können wir ja auch zusammen durch unsere Berge wandeln und Abends auf dem stillen blauen Wasser fahren, wo unten die tausend kleinen bunten Fischchen zwischen den Korallenbüschen spielen und sich haschen - sonst hätte ich mich ja vor Dir verstecken müssen" - setzte sie treuherzig hinzu. „Und nun komm, mein Freund - Mitonare steht schon da unten vor seiner Thür und schaut sich überall nach uns um. Er hat Dein Mahl bereitet, was Du nicht im Stich lassen darfst, und gegen Abend komm' ich und hole Dich ab."

„Und jetzt willst Du mich verlassen, Sadie?" bat René.

„Du mußt Dich jetzt schon ein bischen mit Mitonare /62/ unterhalten," lächelte das junge Mädchen neckisch, „ich kann Dir nicht helfen - wir sind aber dann den ganzen Abend zusammen," setzte sie tröstend hinzu, und als ob sie trotz dem Versprechen einen vielleicht zu zärtlichen Abschied fürchte, glitt sie wie ein Reh durch die Seitenbüsche dieser natürlichen Laube und war im nächsten Moment im Dickicht verschwunden.

René, das Herz voll und überglücklich, saß noch eine lange Zeit an diesem wunderlichen Platz, der ihm durch das neue und so gewaltig in seinem Herzen ausgekeimte Gefühl förmlich heilig geworden war - er hatte ganz vergessen, daß der kleine Missionär mit dem Essen auf ihn warte. Desto mehr dachte dieser aber daran, und als der fremde Wi-wi, wie er ihn jetzt immer schmunzelnd nannte, gar nicht kommen wollte, schickte er seine ganze Schule nach allen Richtungen auf Kundschaft aus, und René fand sich bald von drei oder vier jungen nackten Burschen aufgetrieben, die ihm lachend und schreiend eine Masse Zeug vorplauderten, von dem er keine Silbe verstand. Nur das dann und wann wiederkehrende Wort Mitonare rief ihn seinen kleinen freundlichen Wirth in's Gedächtniß zurück, und er folgte der muntern Schaar, die, rasch zutraulich geworden, ihn umsprang und umjubelte. Dem kleinen Mitonare schien übrigens ein Stein vom Herzen zu fallen, als er seinen so heiß ersehnten Gast erblickte, und er versicherte ihm, er habe schon eine volle Stunde mit Schmerzen auf ihn gewartet, indeß das Essen wahrscheinlich kalt geworden und verdorben wäre. Mitonare war aber viel zu gutmüthig, um böse zu werden, und als René nun tüchtig zulangte und erst mit ihm scherzte und lachte, hatte er an ihm seinen Mann gefunden. Er nannte René den besten Wi-wi, den er je gesehen habe, und das wolle viel sagen, denn er sei schon einmal auf Tahiti gewesen, wo sie wild umherlaufen. Dann erzählte er ihm die tollsten Geschichten aus der alten fröhlichen Heidenzeit - wie sie's hier gehalten und getrieben hätten - natürlich damals, wie er nie vergaß hinzuzusetzen, als wir noch entsetzliche Sünder waren. - Auch auf religiöse Gegenstände kam er ein paar Mal wieder zu sprechen, obgleich die René, so gut das eben gehen wollte, abzulenken suchte. Am meisten schmerzte es ihn, daß sein /63/ Vater in der Hölle sein mußte, denn der war, obgleich ihm die Missionäre damals sehr zugesetzt, ein hartnäckiger Heide geblieben. Aus seinem Großvater schien er sich wenig zu machen.

René gewann übrigens bald sein ganzes Vertrauen, er zeigte ihm seine Schreibebücher und Rechenexempel, ja sogar sein Allerheiligstes, das wichtigste Document seines Lebens - ein Diplom, was ihm von der Missionsgesellschaft in O-no - wahrscheinlich London - ausgestellt war, und ihn hier als wirklichen „Prediger in der Wüste" anerkannte.

Dicht neben dem Diplom lag in der kleinen Schieblade, zu der er René geführt hatte, auch ein schmales, nicht sehr langes, aber zierlich gearbeitetes Kästchen aus Sandelholz, das er aber, als René's Auge darauf fiel, rasch bei Seite zu schieben und mit daneben liegenden Papieren zu bedecken suchte. Dadurch wurde aber des jungen Franzosen Neugierde rege gemacht, der es sonst vielleicht gar nicht beachtet hätte, und er drang nun darauf, daß er ihm zeige, was so Geheimnißvolles darin verborgen sei.

Mitonare wollte erst gar nicht mit der Sprache heraus, endlich aber nahm er das Kästchen vor, hielt es noch eine ganze Zeit lang in der Hand, während sein Auge fast mit einem Ausdruck von Anhänglichkeit darauf ruhte - und dann kam die ganze Geschichte heraus.

Mitonare war in früherer Zeit - als er noch im blinden entsetzlichen Heidenthum gelebt - ein vortrefflicher und in der That der Haupttätowirer der Insel gewesen, und dies Kästchen enthielt seine damaligen Werkzeuge, die er jetzt allerdings nicht mehr gebrauchte - denn „bodder Au-e" von Tahiti hatte ihm die Augen geöffnet, zu was diese abgöttischen, heidnischen Gebräuche führten - aber doch gewissermaßen noch als eine Art Reliquie aufbewahrte. -

Trotzdem freilich, daß der kleine Mann Alles aufbot, seinen Gast zu unterhalten, wäre diesem wohl die Zeit zuletzt gar lang geworden, denn er sehnte sich nach weit lieberer Gesellschaft; aber Sadie ließ ihn auch nicht so lange warten, und die Sonne war noch mehrere Stunden hoch, als sie zu ihnen in die Thür trat. - Doch es war nicht dieselbe Sadie /64/ von heute Morgen, als sie leicht geschürzt, das Schultertuch um den nackten Oberkörper flatternd, mit wild tanzenden Locken, hochgerötheten Wangen und blitzenden Augen aus dem Dickicht sprang. Das leichte Schultertuch hatte sie mit dem langen, mehr europäischen Sonntagsgewand vertauscht, und wenn auch ihren Zügen dasselbe liebe Lächeln geblieben war, schien sie doch in den wenigen Stunden ernster, gesetzter, ja älter geworden zu sein.

Fast schüchtern reichte sie dem jungen Mann die Hand, und sie gingen, als sie bald darauf das Haus verließen, wohl eine ganze Weile schweigend nebeneinander her. Das verlor sich aber bald, René's leichter Sinn ließ ihn nur sein Glück, die Seligkeit des jetzigen Augenblicks fühlen, und Sadie, ats sie sah, daß er sein Versprechen von heute Morgen hielt, verlor bald gleichfalls jede Scheu, jedes ängstliche, sie beengende Gefühl und war, als sie kaum den dunkeln Schatten des Waldes betreten hatten, ganz wieder das fröhliche Kind wie früher. - Sie scherzte und lachte, erzählte dem Freunde tausend drollige Geschichten, beschrieb ihm ihre früheren Tänze und Gebräuche, auch das schöne Tahiti drüben, wo ihre Eltern gewohnt und wo jetzt fremde Menschen Haß und Feindschaft gesäet um Gottes willen, und führte ihn dabei einen schmalen Pfad entlang, unter überhängenden Cocospalmcn hin und, durch fruchtbedeckte Guiaven, Orangen und Brodfruchtbäume nach einem andern kleinen Grundstück, das zu einer Art Gemüsegarten eingerichtet schien, aber auch mit einer Masse Fruchtbäumen, wie tappotappos, Kaffee, Zuckerrohr, Bananen und anderen bepflanzt war.

Mit der unbedeutendsten Arbeit gab die Erde hier das Hundertfache des ihr anvertrauten Samens zurück, und René glaubte in seinem Leben kein schöneres, herrlicheres Land gesehen zu haben, als diese kleine Insel. Oh wie gern hätte er jetzt zu dem Mädchen von ihrer künftigen Heimath gesprochen, aber als ob sie fühle, daß solche Gedanken in ihm aufsteigen möchten, lenkte sie ihn rasch und geschickt wieder davon ab, zeigte ihm und pflückte für ihn die verschiedenen saftigen Früchte, und führte ihn zuletzt an den Strand hinunter, wo in einer natürlichen kleinen Bai ein schmales langes Canoe /65/ lag. Dies bestiegen sie und fuhren hinaus in das spiegelglatte und krystallhelle Binnenwasser, das durch die außenherum- laufenden Riffe vor jeder eindringenden See geschützt wird, und so still und friedlich in nie gestörter Ruhe liegt, als diese schönen Inseln bis jetzt selber im weiten Ocean lagen.

René hatte früher noch nie die Bildung dieser Korallenbäume, tief unter dem klaren Wasser, gesehen, und er traute seinen Augen kaum, als sich an mehreren Stellen, zu denen ihn Sadie jetzt selber hinruderte, in Farbenspiel und Form eine ganz neue, nie geahnte Welt vor ihm eröffnete. Er konnte sich nicht satt sehen an den mit Zauberschnelle wechselnden Gruppen und Bildern, und Sadie hatte eine ordentlich kindische Freude darüber.

„Nun Dir das so gefällt," sagte sie endlich lächelnd, „will ich Dich auch zu meinem Korallengarten bringen und Dir meine kleinen Gold- und Silberfischchen zeigen; die darfst Du mir aber nicht mit der Hand oder dem Ruder scheu machen, denn es sind gar furchtsame kleine Dinger." Und während sie noch sprach, lenkte sie das Canoe weiter den Riffen zu, über die tiefe, dunkelblau daliegende Seitenfahrt, in der selbst große Boote die ganze Insel umsegeln konnten, bis wieder in flacheres Wasser hinein, wo dunkelbraune und röthlich graue Korallenbäume an vielen Stellen selbst bis zur Oberfläche des Wassers emporragten, und dann wieder, von dünnen, feineren Zweigen und Armen durchwachsen, verhältnißmäßig tiefere Stellen zwischen sich ließen oder sie umgaben.

Ueberall wimmelte es hier von kleinen blauen, gelben, weißen, rothen, gestreiften und gefleckten Fischchen; in Schaaren und einzeln schwammen sie herum, oft als ob ein Blitz zwischen sie eingeschlagen hätte, auseinander schießend, wenn sie irgendwo nur Gefahr zu entdecken glaubten, aber dann auch gleich wieder, wie über ihre unbegründete Furcht beschämt, sich sammelnd und die erst unterbrochenen Spiele auf's Neue beginnend.

René wollte hier mit dem Canoe kurze Zeit still liegen, dem wunderlichen Treiben da unten zuzuschauen, aber Sadie ließ ihn nicht - „Nur noch kurze Strecke," bat sie, „dann sollst Du Dich satt sehen an all' den Herrlichkeiten der Tiefe." Und das Ruder stärker einsetzend, trieb sie das

/66/ leichte Fahrzeug rasch durch die vorn am Bug leicht aufkräuselnde Fluth einer Stelle zu, wo ein starker Korallenzweig eben über die Oberfläche des Wassers vorragte. Hier hielt sie plötzlich an, und den Zweig erfassend, rief sie René zu, den Stein, der vorn, an einem Bastseil befestigt, im Bug liege, hier hinaus und oben auf die Koralle zu werfen. René that dies, und sie brachten dadurch das Canoe förmlich vor Anker, das nun mit der schwachen Strömung, so weit es das Bastseil gestattete, still liegen blieb. Eine kleine Werre konnte René aber noch nichts unter sich erkennen; das Wasser war noch nicht ruhig genug und die kleine Fischwelt da unten durch das plötzliche Erscheinen des Bootes gestört worden. Sadie aber legte den Finger auf die Lippen, und sie sahen wohl ein paar Minuten schweigend nieder.

Die Korallenbäume schienen hier einen vollkommen dichten Kranz zu bilden, der, von unten aufsteigend, erst nach außen ein wenig abneigte und sich dann an manchen Stellen bis selbst zur Oberfläche des Wassers gerade emporhob. Der innere Raum mochte vielleicht zwanzig Fuß im Durchmesser halten, und das Ganze glich fast einer aufgebrochenen Riesenblume, die aus ihrem innersten Kelch bunte zackige Fasern ausschickte.

Aber die Blume lebte - hier und da, tief unten aus dem Kelch heraus, kamen ein paar kleine Fischchen aufgeschossen, als wenn sie recognosciren wollten, ob die Gefahr vorüber sei - das dunkle Canoe, das mit seinem Schatten auf dem Wasser lag, machte sie vielleicht noch mißtrauisch - aber nicht lange mehr. - Sic verschwanden wieder, und gleich darauf quoll es aus allen Winkelchen und Spalten herauf in Schaaren und Massen - alle Farben wild und bunt durcheinander, auf und nieder fahrend, herüber und hinüber schießend.

„Eita, eita!" rief da Sadie „iti iti iti" - und zu gleicher Zeit warf sie kleine Krumen indessen zerbröckelter Brodfrucht auf die Oberfläche des Wassers. Im Nu lebte dies, von allen Seiten schossen sie herauf, fünf, sechs manchmal eine etwas größere Krume fassend und damit niedertauchend, andere an einem etwas zu großen Stück herumstoßend, ohne im Stande zu sein es zu bewältigen, und wieder /67/ andere sich mit dem kleinsten begnügend und wohl dabei fahrend.

Mit der wiederkehrenden Ruhe waren aber auch, und zugleich mit den kleinen wunderniedlichen Bewohnern dieses eigenthümlichen Aufenthaltes, dessen Feinde zurückgekehrt. - Zwei große dunkelbraune Fische, mit breiten Mäulern und tückisch blitzenden Augen, wohl ganze zwölf Zoll lang, für die kaum fingerlangen zierlichen Dinger aber natürlich entsetzliche Ungeheuer, kamen an den äußern Rand der Blume, deren Spalten zu schmal waren, um sie durchzulassen. Die kleinen Dinger schienen auch recht gut zu wissen, daß ihnen der Feind hier im Innern nichts anhaben könne, ausgenommen er kam von oben herein, und dann waren sie auch wie der Blitz in ihren Schlupfwinkeln7.

Manchmal wagte sich wohl, selbst dicht hinter oder über den Feinden, ein leichtsinniges Fischchen hinaus in's Freie, gerade als ob es das Ungeheuer verhöhnen wolle; ehe dieses aber nur im Stande war sich nach ihm umzuwenden, obgleich das oft rasch genug ging, war jenes schon wieder zwischen die zackigen Palissaden hineingeschlüpft, und erzählte nun wahrscheinlich den anderen da drinnen seine Heldenthaten.

So trieben sie hier draußen, in den Wundern dieser für René jedenfalls neuen, fast zauberhaften Welt, bis die Sonne groß und glühend in das Meer tauchte und Stern nach Stern am reinen Himmel auffunkelte, und Sadie erzählte dem ihr gegenübersitzenden Freund von dem stillen Frieden dieses Landes und dem glücklichen Leben, das die Bewohner desselben führen könnten - wären nicht oft böse Menschen da, die sie störten und kränkten, und Leidenschaften in ihnen weckten, die ihnen in früheren Zeiten fremd gewesen.

René hätte die Nacht hindurch diesen lieben weichen Tönen lauschen mögen, aber das junge Mädchen lenkte endlich, trotz seinen Bitten noch nicht heimzukehren, das Canoe zum Lande zurück, und jetzt zwar gerade der Wohnung des kleinen Mitonare zu, der sie schon am Ufer empfing und etwas ungeduldig erwartet zu haben schien. Er that auch an Sadie mehrere Fragen in ihrer Sprache, die das Blut in ihre Wangen trieben; aber sie antwortete ihm endlich lächelnd

/68/ darauf und verschwand wieder wie gestern mit einem freundlichen Kopfnicken gegen René.

Dem kleinen Mitonare schienen aber heut Abend eine Menge von Dingen im Kopf herum zu gehen. - Beim Abendbrod, das sie sehr frugal aus etwas Brodfrucht und Cocosmilch und einigen Bananen hielten, war er einsilbig und sah René immer, wenn er sich unbeobachtet glaubte, von der Seite an; nach dem Essen aber, und als gerade der Mond draußen über die das Haus umgebenden Palmen aufstieg, fasste er den jungen Mann bei dem Arm, führte ihn hinaus an den Strand unter einen stattlichen Tuituinußbaum und nahm ihn hier, durch ein wenig Aufregung im noch mehr gemißhandelten Englisch als gewöhnlich, in's Gebet. René mußte tüchtig aufpassen, daß er den Zusammenhang verstand, denn sich an einzelne Worte zu halten, hatte er lange aufgegeben, der Name Pu-de-ni-a aber, der mehrfach vorkam, ließ ihn wohl ahnen, was der kleine Mann eigentlich meinte, und er wollte ihm jetzt über das ganze Verhältniß zu dem Mädchen klaren und offenen Aufschluß geben; er hatte ja nichts, weshalb er sich zu schämen brauchte, hätte ihn eben der kleine Mitonare nur zu Worte kommen lassen. Sowie er aber nur den Mund aufthat, rief dieser ihm sein verhinderndes aita aita dazwischen, und redete dann nur noch lauter und heftiger, und er mußte ihn jetzt wohl schon gewähren lassen, bis er es von selber müde werden würde.

„Weißer Mann," sagte indessen der kleine Mitonare, aber wenigstens die Hälfte seiner Rede im Tahitischen oder doch solchen Worten, die recht gut tahitisch sein konnten - „weißer Mann kommt her und findet Brodfrucht und Fleisch und Bananen und Cocosnüsse, Yams und Kartoffeln, und Mitonare ist freundlich mit ihm; zeigt ihm Diplom und andere Sachen, und thut gar nicht als ob Fremder Ferani wäre und an keinen Gott glaubte - und weißer Mann hat Schutz hier vor den anderen weißen Männern. Tane taue Aitu sind freundlicher gegen ihn als Leute von seiner eigenen Farbe, und was thut Ferani? - geht hin und macht kleines Mädchen von Mitonare unglücklich - schwatzt ihr allerlei tolles Zeug /69/ vor - aber Pu-de-ni-a ist nicht wie viele andere Mädchen auf der Insel und auf Tahiti. - Ferani kann Mädchen genug bekommen - puh - so viel, aber nicht Pu-de-ni-a, Ferani geht nachher weg und Pu-de-ni-a sitzt - gutes Kind und weint und ist nicht mehr glücklich, und alte Mann Mitonare O-no-so-no weint, weil er Pu-de-ni-a weinen sieht, Ferani sollte sich schämen, und wenn Ferani auch kein Christ wäre, könnte er doch darum immer thun, was recht wäre. - Sie wären auch früher keine Christen, nein, schreckliche Heiden gewesen, die sich tätowirt und nach einer Trommel und nach dem Rauschen der Brandung getanzt, ja sogar ganzen kleinen, winzig kleinen Gott angebetet hätten, - aber darum konnten sie doch thun, was recht wäre - und thaten es auch, wenn sein Vater auch jetzt dafür in der Hölle säße.

Das ungefähr war der Sinn von des kleinen Mitonare Rede, die wohl über eine Stunde dauerte. Wenn aber auch René im Anfang manchmal gern über die oft wunderlich genug klingenden Worte des Eifernden gelacht hätte, sah er doch aus dem Ganzen, wie lieb der kleine Mann das Mädchen selber haben mußte, wie viel er von ihr halte, und daß Bcsorgniß um sie ihn so ängstlich und eifrig gemacht. Er faßte endlich seine Hand, die ihm der Mitonare im Anfang aber gar nicht lassen wollte, und sagte ihm nun Alles, wie es ihm auf dem Herzen lag.

Er liebte Sadie und wollte sie heirathen, und hier auf der Insel bei ihnen bleiben und Yams und Kartoffeln bauen, und Cocospalmen pflanzen - er wollte nie, nie wieder fort von ihnen gehen und weder ihn noch Prudemia verlassen. Er erzählte ihm aber dann auch, wie er das heute Morgen Sadie selber gesagt, und welches Versprechen sie ihm dafür abgenommen, und daß er sich fest darauf verlassen könne, er würde es halten und Sadie, bis der alte Missionär zurück- komme, als seine Schwester ansehen, der kein Leid geschehen solle so lange er es hindern könne.

Der kleine alte Mann war freundlicher und freundlicher geworden, je nachdem er mehr und mehr begriff, was der Fremde mit seinen Worten meine und was er beabsichtigte.

Als er aber erst verstand, welches Versprechen er dem Mädchen /70/ gegeben hatte, und wie er versicherte, es treu halten zu wollen, da überkam die Freude jedes andere Gefühl, er fiel dem jungen Mann um den Hals und rieb sogar - sehr zu dessen Erstaunen, der gar nicht wußte, was er aus solcher Ceremonie machen sollte - Nasen mit ihm, die größte, innigste Freundschaftsversicherung, die er ihm überhaupt geben konnte.

Der kleine Bursche war jetzt ganz wie ausgelassen. - Er erklärte -René - dessen Namen er ebenfalls behalten hatte und ganz gegen seine sonstige Gewohnheit richtig aussprach - für den besten Wi-wi, der je einen Götzen angebetet habe, und meinte, wenn er bei ihnen auf der Insel bliebe, dann wolle er und der andere Mitonare und Pu-de-ni-a doch einmal sehen, ob sie nicht aus diesem Wi-wi auch einen Christen machen könnten, wenn das auch vielleicht schwieriger halten würde, als einen verheiratheten Mann aus ihm zu machen. Er wußte in der That gar nicht, was er vor lauter Lust und Vergnügen angeben sollte, und es fehlte nicht viel, so hätte er wirklich ein paar Mal bald zu tanzen angefangen, nur daß er sich noch immer zur rechten Zeit dabei erwischte. - Das hätte sich doch im Leben nicht für einen Mitonare geschickt.

So vergingen René die nächsten drei Wochen in einem Glück, von dem er früher nicht geglaubt hätte, daß es eine Menschenbrust im Stande wäre zu fassen; aber nicht allein Sadie und der Mitonare gewannen ihn in dieser Zeit weit lieber, je näher sie mit ihm bekannt wurden, nein, auch die Eingeborenen der Insel, denn das leichte, fröhliche Temperament des jungen Franzosen sagte auch ihren Neigungen gerade zu. Sie sahen ihn gern, und der alte König, außer dem hochklingenden Titel eine sehr unschuldige Persönlichkeit, die jedoch trotzdem viel Einfluß auf die übrigen ausübte, wurde sein bester Freund. Allerdings hatte ihm René mehrmals Geldgeschenke gemacht, was ihm des Mannes Herz zuerst öffnete; als er aber später mit Sadie hinüberkam und der alte Mann erfuhr, in welchem Verhältniß die Beiden standen, und daß René sogar beabsichtige einer seiner Unterthanen zu werden, da versicherte er ihm denn auch, daß er ihn, falls sein Schiff wirklich wieder zurückkommen solle, nicht mehr /71/ ausliefern werde, und daß der weiße Mann Capitain - wie Raiteo als Dolmetscher übersetzte - schon sehen solle, wie sie ihm eine Nase drehen wollten. Er dachte nämlich keineswegs daran, den einmal erhaltenen und in der That schon theils benutzten, theils vertheilten Fanglohn wieder heraus zu geben.

Am komischsten betrug sich Raiteo; - trotzdem daß er früher sich die größte Mühe gegeben hatte, des Flüchtlings habhaft zu werden, ja sich damals sogar nicht scheute, Verrath zu gebrauchen, um seinen Zweck zu erreichen und den ausgesetzten Lohn zu verdienen, so that dieser doch jetzt, als wenn er gleich von dem ersten Augenblick an des jungen Mannes Hauptfreund und Beschützer gewesen wäre. Er erklärte ihn auch bald für seinen innigsten tajo und trug wohl Sorge dabei, daß er René besonders darauf aufmerksam machte, wie uneigennützig er damals den Dolmetscher zwischen ihm und den Uebrigen abgegeben habe, und wie einige kleine Stückchen Geld, selbst jetzt noch dafür ausgelegt, keineswegs zu spät kämen. René war klug genug, sich auch diesen Burschen, den er übrigens leicht durchschaute, zum Freund zu halten, und ein paar Thaler thaten dies denn auch, wenn Versicherungen nur irgend einen Maßstab für Raiteo's Gefühle geben konnten, auf das Vollständigste.

René schrieb übrigens in dieser Zeit nach Frankreich, um nicht allein einen Theil seiner noch dort stehenden Gelder, sondern auch Empfehlungsbriefe für Papetee unter seiner Adresse an den französischen Consul nach Tahiti übersandt zu bekommen. Wenn er ihrer auch jetzt noch nicht bedurfte, wußte er doch nicht, wie sich seine Verhältnisse in späteren Zeiten gestalten würden, und er wollte jetzt wenigstens nichts versäumen, dem vorzuarbeiten. Den Brief mußte er natürlich liegen lassen, bis sich einmal Gelegenheit fand, ihn nach Papetee, der Hauptstadt Tahitis, zu schicken.

Das Herz des kleinen Mitonare gewann er sich übrigens noch auf ganz besondere Weise durch den regelmäßigen Besuch seiner Kirche, in der er allerdings nichts von der Predigt verstand, aber doch die Melodien der Hymnen mit summte, und den Mitonare nur in dem Glauben befestigte, daß doch uoch am Ende ein Christ aus ihm zu machen sei. Der gute /72/ kleine Mann war viel zu unschuldig, auf den Gedanken zu kommen, daß René einzig und allein Sadie's wegen das Gotteshaus besuche.

5.

Das Geständnis.

Das Einzige, was jetzt manchmal Sadie sowohl als auch den kleinen Mitonare beunruhigte, war das so außergewöhnlich lange Ausbleiben des Mr. Osborne. Wenn auch die Missionäre ihre bestimmte und feste Wohnung hatten, so geschah es übrigens doch gar nicht selten, daß sie kleine Abstecher nach anderen Inseln machen mußten, wo keine festen Prediger wohnten. Widrige Winde hielten sie dann oft länger auf, als sie im Anfang selber beabsichtigt; keinenfalls ließ sich ihre Rückkunft immer vorher genau bestimmen.

So standen die Sachen, als eines Morgens, in den letzten Tagen des Februar, ein Bursche über die Berge herüberkam und meldete, der Missionskutter - ein kleines Fahrzeug das sic Alle gut genug auf der Insel kannten - sei in Sicht und halte gerade nach hierher zu. Gegen Mittag umsegelte es auch die südliche Spitze der Insel, und von Sadie's Licblingsplätzchen aus konnten sie sein Näherkommen deutlich beobachten.

Sadie und René standen dort schweigend Hand in Hand - war ihnen Beiden doch das Herz übervoll, denn in dem kleinen Fahrzeug kam der Mann, der ihr Schicksal entscheiden sollte - und Keins von ihnen wagte, dem, was ihr Herz bewegte, Worte zu geben. Als aber der Kutter sich immer mehr und mehr näherte, jetzt sogar in die natürliche Einfahrt der Korallenriffe, von einer günstigen Brise getrieben, einbog und in dem ruhigen Wasser pfeilschnell auf /73/ seinen gewöhnlichen Ankerplatz zuglitt - als die Segel fielen, der Anker niederschlug und das kleine Fahrzeug herumschwingend kaum mehr als hundert Schritt vom festen Land der Insel ab einbog, da sagte René leise, Sadie zu sich herüberziehend:

„Willst Du zuerst allein mit Deinem Vater reden, Sadie, oder wollen wir ihm Beide zusammen entgegengehen? - wie ist es Dir am liebsten?"

„Ich weiß es nicht, René," flüsterte das Mädchen schüchtern - „ich weiß es nicht - oh, mir ist auf einmal so bang und weh um's Herz, als ob ich irgend ein großes Unrecht gethan hätte - und ich bin mir doch nichts Bösen auf der weiten Gotteswelt bewußt. Ich glaube, ich fürchte mich meinem Vater entgegen zu treten - und er ist doch so gut - so unendlich gut."

„Dann laß mich zuerst mit ihm sprechen, Sadie," bat René - „laß mich zu ihm gehen - ich habe Papiere, die ihn über meine Abkunft und Verhältnisse beruhigen können. Ich bin kein gewöhnlicher Matrose, wie sie hier über diese Inseln zerstreut sein sollen; das allein ist auch die Ursache, daß ich nicht im Stande war, an Bord jenes Walfischfängers zwischen dem rohen, wüsten Volk auszuhalten. - Wenn er hört, wie innig wir uns lieben, kann er ja nichts gegen eine Vereinigung mit Dir einzuwenden haben. Aber was hast Du? - was erschreckt Dich so sehr, Du süßes Lieb?"

Der Ausdruck in Sadie's Zügen ließ sich nicht verkennen - irgend etwas mußte sie beunruhigt haben, aber sie schüttelte schweigend mit dem Kopf und blickte nur scharf nach dem Kutter hinüber, an dessen Seite jetzt ein kleines Boot niedergelassen war, um den zurückkehrenden Missionär an Land zu rudern. René hatte auf das Fahrzeug, mit der Geliebten beschäftigt, gar nicht mehr geachtet; als er aber jetzt der Richtung ihrer aufgehobenen Hand folgte, sah er, wie vom Bord des Schooners zwei dunkelgekleidete Männer in die Jolle niederstiegen, statt Einem.

„Kennst Du den Mann, der dort mit Deinem Pflegevater kommt?" frug er das Mädchen. /74/

Sadie nickte langsam und schweigend mit dem Kopf und sagte endlich leise:

„Das ist der einzige Mann, das einzige Wesen anf dieser Insel, das ich fürchte - und ich weiß nicht weshalb. - Er hat noch Niemandem Böses und Vielen schon Gutes gethan, aber er ist so ernst und streng, und ich weiß nicht, aber wenn ich mir seinen Gott als einstigen Richter denke, so überläuft mich's mit Fieberfrost. Feste Formeln und Gebräuche hat er dabei, von denen er nicht weicht, ja von deren Beobachtung er unser Seelenheil abhängig wacht, und nur wenn ich dann meinen Pflegevater dagegen reden höre, ist es mir wie Trost und Linderung für das kalte Wort des finstern Mannes."

„Das ist der Mann denn, von dem Du mir schon gesprochen, Sadie," sagte René - „aber wo wohnt er? - was thut und treibt er?"

„Er ist Missionär wie mein Vater, aber der ärgste Feind, den Deine Landsleute auf den Inseln haben können. Sein Name ist Rowe, und obgleich er auf Tahiti seinen festen Wohnsitz hat, besucht er doch, als eine Art geistlicher Oberhirt, zu Zeiten die einzelnen Inseln, ihren Zustand zu untersuchen und an dem Sonntag, wo er sich dort aufhält, zu predigen. Aber so lange er auf der Insel ist, hörst Du kein Lachen und Singen fröhlicher Menschen, siehst keine Blume in den Haaren der Mädchen - selbst die Kinder fürchten den Mann."

„Und was kann er uns schaden, Du holdes Lieb," sagte René - „Dein Pflegevater allein hat Deine Hand zu vergeben, und wenn es selber dann Dein Wille ist, was kümmert uns da der stolze Priester?"

„Aber er wird meinem Pflegevater heftig zureden, uns seine Einwilligung zu versagen," flüsterte ängstlich das Mädchen.

„Dann -" René biß die Lippen zusammen, zwischen denen sich ihm ein heftiges Wort herauszupressen drohte, aber er wollte dem lieben Kinde auch nicht wehe thun und sagte, rasch abbrechend: „Hab guten Muth, Sadie; es wird noch Alles gut gehen und das Beste sein, daß wir die beiden Her/75/ren erst eine Weile landen lassen. Der kleine Mitonare mag mich gern leiden, und wenn Dein Vater nach Dir frägt, wird er schon einen günstigen Vorbericht für uns ablegen. Nachher gehen wir dann gerade und offen zu ihm und sagen ihm, wie lieb wir uns haben und wie wir hier bei ihm auf der Insel bleiben und wohnen wollen, und er wird uns seine Einwilligung gewiß nicht versagen."

„Mache es, wie Du willst, René," sagte das arme Mädchen leise und schüchtern - „aber ich fürchte mich recht sehr, und ich wollte zu Gott, der ehrwürdige Mr. Rowe wäre nur diesmal nicht mitgekommen."

Das Boot war indessen an Land gerudert, der kleine Mitonare aber, in aller seiner Unschuld niemand Andern als seinen Missionär, den alten ehrwürdigen Mr. Osborne, erwartend, an den Landungsplatz gegangen, ihn zu begrüßen. Er trug sein gewöhnliches weißes Hemd und das rothe Lendentuch fest um den runden, stattlichen Leichnam geschlagen, außerdem aber noch, da er als Mitonare nicht gur im bloßen Kopf in der Sonne herumlaufen konnte, einen breitrandigen Strohhut mit schwarzem Bande, und stand schon schmunzelnd am Ufer, seinem alten Freund die Hand mit einem herzlichen Joranna entgegen zu strecken, als er plötzlich die zweite Gestalt im Boot zuerst überrascht bemerkte, und dann erschreckt erkannte. Mitonare hatte nämlich einen noch viel größeren Respect vor dem finstern geistlichen Mann, der ihm diesmal so unverhofft über den Hals kam, als selbst alle Kinder der Insel zusammengenommen, nur daß er nicht ausreißen durfte, wenn ihm der fromme Mann in den Weg kam. Umdrehen aber und in das Haus, und dort angekommen in den schwarzen Frack und die gelbe Weste fahren, war das Werk eines Augenblicks. In beide Kleidungsstücke kam er zuerst in das verkehrte Aermelloch, aber wie eine gehetzte Ratte fand er zuletzt das rechte, und griff nun in wahrer Verzweiflung das eingewickelte Halstuch von dem Bücherbrett herunter, wo es friedlich bis zum nächsten Sabbath hatte ruhen sollen, riß es aus dem Papier, fuhr dann mit dem Halstuch in die Tasche statt mit dem letzteren, ehe er seinen Irrthum gewahrte, bekam es aber zuletzt doch noch glücklich um, und hätte nun fast, /76/ als er wieder mit einem Satze aus der Thür hinaus wollte, das Versäumte gut zu machen, die beiden geistlichen Herren umgerannt, die, the reverend Mr. Rowe voran, indeß gelandet waren und auf die freundliche Wohnung Mitonares zuschritten.

Mr. Rowe, der übrigens wohl erkannte, weshalb der kleine Mann so in Hast gewesen, denn dieser hatte in aller Eile den Hemdkragen gar nicht mit in das Halstuch hineingebunden, begrüßte ihn mit einem gütigen, väterlichen Blick und Handdruck, wobei Mitonare ein Gesicht machte, als ob er seine Hand in einem Schraubstock hätte.

„Nun, Bruder Ezra," sagte Mr. Osborne freundlich, als dieser zu ihm hinantrat und seine Hand auf das Herzlichste schüttelte, was Mitonare mit ungemein gutem Willen erwiderte - „wie ist es Euch in der Zeit meiner Abwesenheit ergangen? - immer wohl und gesund gewesen, und in keiner Weise zu Schaden gekommen? Nicht wahr, ich bin weit länger entfernt geblieben, als ich im Anfang beabsichtigte?"

Ich muß hier jedoch bemerken, daß die Geistlichen mit dem kleinen Mann nur in seiner eigenen Sprache redeten. Blos wenn sich Mr. Osborne mit Bruder Ezra - wie der kleine Mitonare bei der Taufe genannt worden - allein befand und gerade nichts Wichtiges zu verhandeln hatte, sprach er Englisch, um ihm diese Sprache geläufiger zu machen und seine etwas schwere Zunge an die fremden Worte besser zu gewöhnen.

Bruder Ezra antwortete auf das Befriedigendste; als jedoch die drei Männer in das Haus traten, sah sich Mr. Osborne erstaunt und vergebens nach seiner Pflegetochter um, die ihn sonst stets zuerst begrüßt hatte. Er frug rasch, fast ängstlich nach dem Mädchen. Mitonare hätte aber in diesem Augenblick eben so gern seinen ganzen Katechismus aufgesagt - ihm sonst die schrecklichste aller Religionsübungen - als vor Bruder Rowe zu erzählen, was mit Pu-de-ni-a vorgegangen sei, und welcher Gast sich indessen auf der Insel eingefunden habe. Er wußte ja am besten, in welcher Achtung die Feranis bei dem frommen finstern Manne standen, und sollte er jetzt erzählen, was hier unter seinen eigenen Augen /77/ geschehen und was er selber geduldet hatte? denn jetzt kam es ihm auf einmal wunderbarer Weise vor, als ob das ein entsetzliches Verbrechen gewesen wäre.

Durch sein Schweigen wurde der alte Mann aber nur noch besorgter; er glaubte jetzt wirklich, es sei dem Mädchen, das er fast wie sein eigenes Kind liebte, etwas widerfahren, und als nun auch Bruder Rowe dazutrat und Mitonare zum Sprechen aufforderte, konnte er natürlich nicht mehr zurückhalten. Der Angstschweiß stand ihm auf der Stirn, aber die ganze Sache kam nach und nach zu Tage, und erst als er mit sämmtlichen Factas geendet hatte, fing er an den jungen Ferani zu loben, der ein wahres Muster von einem Menschen sei und sogar als Ferani in seine Kirche gekommen wäre - und so andächtig zugehört hätte, als ob er jedes Wort davon verstände. Er erwähnte auch des Versprechens, das ihm Pu-de-ni-a abgenommen, was er ja auch als Hauptentschuldigung für sich ausstellte, und Mr. Osborne, der den Charakter des Mädchens kannte, athmete leichter, als er dies hörte.

Bruder Rowe's Züge hatten sich aber indessen mehr und mehr verfinstert. Schon als er hörte, daß ein von einem Walfischsänger entsprungener Matrose auf der Insel geblieben und nicht wieder von seinem eigenen Schiff mit fortgenommen sei, horchte er hoch auf, und als es nun gar herauskam, daß es ein Franzose sei, der schon in aller Geschwindigkeit ein Liebesverhältniß mit der Adoptivtochter des Geistlichen angesponnen habe, sah man es ihm ordentlich an, daß er sich Mühe geben mußte, seinen Groll und Zorn zu bemustern. Vergebens waren jetzt Bruder Ezra's Loblieder, die er dem jungen Franzosen sang, vergebens selbst Mr. Osborne's Einwurf, daß man jedenfalls erst einmal den jungen Mann sehen und sprechen wolle. - Er war Matrose eines Walfischfängers und Franzose - also Katholik, und ein richtiger Missionär der Südsee-Inseln haßt nichts auf der Welt herzlicher, als diese beiden Individuen.

Sein Urtheilsspruch war auch ohne Weiteres gefällt - ehe das Uebel tiefer fraß, mußten schnelle Maßregeln dagegen ergriffen werden und er wollte jetzt selbst ohne Weiteres zu dem Häuptling hinübergehen und mit diesem /78/ dazu besprechen. Der Häuptling oder König brauche dem Fremden nur zu gebieten, die Insel zu verlassen, so müsse er dem Befehl Folge leisten, und Gelegenheit habe er jetzt gerade am besten in dem kleinen Schooner, der in einigen Tagen wieder mit ihm nach Tahiti zurück sollte. Weigerte er sich aber, dem Befehl Folge zu leisten, so war nichts einfacher, als ihn als Gefangenen mit fortzunehmen und an den französischen Konsul in Papetee auszuliefern. - Diese Inseln standen unter englischem Schutz, und es war ihnen von der englischen Regierung versprochen, sie gegen jede Aufdringlichkeit, besonders von französischer Seite, zu schützen.

In dieser Hinsicht wußten sie sich also vollkommen auf gesetzlicher Bahn, und außerdem verstand es sich von selbst, daß man einen katholischen weggelaufenen Matrosen so rasch wieder hier los werden mußte, wie irgend möglich. Daß der die Pflegetochter des Geistlichen heirathen wollte, verdiente natürlich nicht einmal eine Antwort.

Mr. Osborne ersuchte ihn allerdings, den Fremden wenigstens erst rufen zu lassen und mit ihm zu sprechen, daß sie mit eigenen Augen sähen, zu welcher Klasse von Menschen er gehöre. - Bruder Rowe's Entschluß war aber gefaßt, nämlich direct zum König der Inseln zu fahren und von diesem die Ausweisung des Fremden zu verlangen. - Da er außerdem, durch seinen langen Aufenthalt zwischen diesen Inseln als Missionär, sich daran gewöhnt hatte, unbedingt zu befehlen, indem seine Stimme für das Wort und den Willen des Herrn galt - ja da er die feste Ueberzeugung hatte, daß alle diese Tausende von Insulanern nur durch ihn und die wenigen anderen Geistlichen einer ewigen Qual entrissen und der Seligkeit zugeführt seien, ihm also mehr als ihr Leben, ihr ganzes einstiges Heil danken mußten, so verstand es sich wohl von selbst, daß er auch die weit geringere Leitung ihrer weltlichen Angelegenheiten wenn auch nicht gerade führen, doch in die Bahn leiten konnte und durfte, die e r als die richtige bestimmte.

Er beorderte jetzt ohne Weiteres - denn ihre Mahlzeit hatten sie schon an Bord eingenommen - zwei Eingeborene, ihn in einem kleinen Boot, das er schon mehrfach dazu be-/79/nutzt hatte, um die Insel herum zu rudern; es fiel ihm nicht ein, den langen Weg zu Fuß zu gehen. - In diesem wurde ein schmales Sonnendach aufgespannt, und eine Viertelstunde später schoß das kleine, scharfgebaute Fahrzeug, von den kräftigen Armen der Insulaner getrieben, pfeilschnell über das spiegelglatte Binnenwasser, von der Strömung jetzt noch überdies begünstigt, hin und war in kurzer Zeit um die nächste vorragende Landspitze verschwunden.

René und Sadie hatten indessen mit freudigem Staunen die rasche Abreise des finstern Mannes gesehen, die sie irgend einer Ursache in seinem geistlichen Wirken zuschrieben, und sie beschlossen nun auch ohne Weiteres hinunter zu Mr. Osborne zu gehn, ihm Alles zu erzählen und ihn um seinen Segen zu bitten.

Mitonare war indessen, nur erst einmal der beengenden Gegenwart des bodder Au-e enthoben, nicht müßig gewesen, Mr. Osborne den jungen Fremden von der besten Seite zu schildern. Natürlich lag in diesem Lobe ein großer Theil Eigennutz verborgen, denn es mußte ja auch einzig und allein seine Entschuldigung sein, daß er Prudentia's Umgang mit ihm überhaupt geduldet hatte. Solcher Art war er denn noch emsig dabei beschäftigt, und Mr. Osborne saß gar ernst und sinnend vor ihm in seinem Lehnstuhl, den rechten Ellbogen auf die Lehne und das graue Haupt in die rechte Hand gestützt. Es schien ihm recht weh und trüb um's Herz zu sein.

Da traten die beiden jungen Leute in die Thür, und Sadie blieb erst einen Augenblick schüchtern in der Ferne stehen; als er aber den Blick zu ihr aufhob und sie in das liebe, ehrwürdige, jetzt so kummerschwere Antlitz schaute, da flog sie wie in alter Zeit auf ihn zu, barg ihr Gesicht an seinem Herzen und rief:

„Mein lieber, lieber Vater!"

„Mein liebes, liebes Kind!" sagte der alte Mann und küßte das fest an ihn angeschmiegte Haupt des schönen Mädchens – „was habt Ihr denn hier unter der Zeit meiner Abwesenheit für böse, böse Streiche getrieben?"

Es lag eine so innige Zärtlichkeit in dem Ton, mit dem er diese Worte sprach, und nur ein so leiser - von jedem Ver-/80/dacht freier Vorwurf, daß sich Sadie nur fester gegen seine Brust preßte, aber ihre Hand zurück nach René ausstreckte, diesen herbei zu rufen und zu ihrem Vater zu bringen.

Der alte Mann, der wohl auf den ersten Blick sah, daß er keinen gewöhnlichen Matrosen vor sich habe, grüßte den sich ihm jetzt offen und vertrauensvoll nähernden jungen Mann freundlich, winkte ihm einen Stuhl zu nehmen, den Mitonare indessen mit großer Bereitwilligkeit herbeigebracht halte, und bat dann René, was er ihm zu sagen habe, ihm ohne jeden Umschweif, mit jedem Vertrauen zu eröffnen. Er habe Prudentia als sein Kind angenommen und von klein auferzogcn, als ihre Eltern gestorben waren und die kleine Waise allein zurückgelassen hatten, und hege dieselben Gefühle noch jetzt für das erwachsene Mädchen, als ob sie seine eigene, leibliche Tochter sei. Er wolle auch nur ihr Glück, möchte das aber gesichert wissen, da es keins der gewöhnlichen Mädchen der Eingeborenen sei, sondern eine fast europäische Erziehung genossen habe und dabei auch vielleicht jetzt tieferfühle, besonders andere Ansichten über die Ehe habe, als sie in diesen Gruppen bei ihren Landsmänninnen wohl meist gefunden würden.

René hatte trotz seinem Vorurtheil gegen Missionäre von dem ersten Augenblick an Vertrauen zu dem alten Herrn gefaßt, und erzählte ihm jetzt so getreu, aber auch so gedrängt als möglich, seine ganze Lebcnsgeschichte, schilderte ihm, so wahr er es selber vermochte, seinen ganzen Charakter, was ihn in die Welt, was ihn zuletzt an Bord eines Walfischsängers getrieben habe, von dessen ganzem Wesen und Treiben er früher keinen Begriff gehabt, und wie er aus dieser Insel sich jener Eristenz zu entziehen gesucht und hier Sadie gefunden und lieben gelernt habe. Er zeigte ihm dann die Papiere, die er mit sich führte - und Mr. Osborne verstand nicht allein das Französische, sondern sprach es auch sehr geläufig - erklärte ihm, daß es sein fester Wille sei, sich hier aus einer dieser Inseln, am liebsten auf dieser, niederzulassen, und bat den alten Mann, ihm Sadie, die er in der kurzen Zeit seines Aufenthalts recht von Herzen lieb gewonnen habe, zum Weibe zu geben. Er wollte sich dann bei /81/ ihnen seine Heimath gründen, und Mr. Osborne solle einen guten Sohn und Nachbar an ihm finden.

„Sie sind Katholik?" frug ihn der alte Mann, als René schon eine ganze Zeit lang geschwiegen und er ihn indessen mehr sinnend als forschend betrachtet hatte.

Des jungen Mannes Antlitz röthete sich ein wenig, als er erwiderte:

„Lieber Herr, Sie haben gewiß genug von der Welt gesehn, zu wissen, wie es mit der Religion unter jungen Leuten meistens steht. - Ich bin allerdings als Katholik erzogen, und die Meinigen waren sämmtlich, einige sogar sehr strenge Katholiken; ich selber muß Ihnen aber aufrichtig gestehen, habe mich nie streng an die Gebräuche weder meiner noch einer andern Seele gehalten, und Sie können überzeugt sein, daß ich nie daran denken würde, Jemanden zu meinem Glauben überreden zu wollen. Sadie ist in dem ihren aufgewachsen und ein so liebes, braves Mädchen geworden; sie wird ihm auch treu bleiben, und ich wäre der Letzte, sie darin zu stören. Was mich selber betrifft, so suche ich recht zu thun, und hoffe dann mit meinem Gott schon fertig zu werden - er allein weiß ja auch nur, wer den rechten Glauben hat. Sie werden aber auch nie finden, daß ich über den Glauben eines Andern spotte - ein Jeder hat ein Recht zu seiner Meinung."

Der Missionär hatte nun allerdings gar sehr verschiedene Ansichten über Religion, aber René gewann sich doch durch diese Offenheit sein Herz, denn keineswegs gehörte er zu jener stolzen Priestersecte, die, ihr Religionspanier in der gehobenen Rechten, das Volk vor sich auf die Kniee werfen und so lange damit fortschreiten, bis sie zuletzt ganz zu vergessen scheinen, daß das Volk eigentlich vor dem Panier und nicht vor ihnen kniet. Aber der alte Mann hatte doch noch andere und recht ernste Bedenken, und je mehr er den jungen, lebensfrischen Mann da vor sich stehen sah, so viel schwerer ward ihm das Herz. Aber er wollte das Alles nicht vor der Tochter aussprechen und bat also das Mädchen, auf kurze Zeit das Haus zu verlassen, er habe mit dem jungen Mann etwas allein zu reden. /82/ Sadie war ein viel zu folgsames Kind, auch nur mit einem Blick zu zögern - sie küßte des alten, ehrwürdigen Mannes Hand und verließ dann rasch das Zimmer.

Der alte Mann saß, schon als die leichte Bambusthür lange hinter ihr zugefallen war, noch viele Minuten schweigend da, als ob er selber nicht rechte Worte für das finden könne, was er sagen wolle.

„Lieber junger Freund," begann er endlich, „Sie sind frei und aufrichtig gegen mich gewesen, und ich will Ihnen Gleiches mit Gleichem vergelten; Sie werden mir deshalb auch nichts übel nehmen, was ich zu Ihnen sage, denn Gott weiß es, es geschieht sowohl zu Prudentia's als Ihrem eigenen Wohl. Sie sind, wie ich aus Ihren Papieren gesehen habe, von guter Herkunft, in dem gebildeten, geselligen Leben Europas erzogen, an europäische Sitten, an ein Leben gewöhnt, das Ihnen mehr bietet, als nur einfach Essen und Trinken und ein einzelnes Wesen, dem Sie sich anschließen können - mögen Sie dies noch so sehr lieben. Die Beweise haben Sie selber in Ihrem unsteten Leben. Weder in Afrika noch Amerika fanden Sie, was Sie suchten, d. h. was das Bedürfniß Ihres Herzens und Geistes befriedigen konnte - die rohe Gesellschaft des Walfischfängers trieb Sie sogar zu einem verzweifelten Schritt, bei dem Sie lieber Ihr Leben einsetzten, als in jenes Verhältniß zurückkehren wollten. Sie fanden hier, gerade in Ihrer größten Gefahr, auf höchst romantische Weise ein junges reizendes Mädchen, dessen liebe regelmäßige Züge, dessen Gestalt zuerst Ihre Leidenschaft weckte, und dessen Unschuld und Liebreiz, als Sie dasselbe näher kennen lernten, Ihr Herz gewannen. Scenerie und Umgebung, selbst sogar die verschiedene Farbe und Abstammung des Mädchens trug dazu bei, den Reiz in Ihrem eigenen jugendlichen Herzen zu erhöhen. Unser herrliches Klima, die tropische Vegetation, das stille blaue Meer, ja das ganze Stillleben unseres lauschigen Plätzchens hier bestach Ihre Sinne mehr und mehr, und Sie glaubten jetzt - ja Sie sind fest überzeugt davon, daß Sie in dem Mädchen und dieser Insel das Ideal Ihres Lebens gefunden, das Ziel Ihres ganzen Strebens und Drängens erreicht haben. - Wenn Sie sich /83/ aber nun irren? - Ich weiß, was Sie sagen wollen - Sie folgen dem Drange Ihres Herzens und fürchten nicht, daß Sie dieses irre führt, aber hören Sie mich ruhig darüber an. Sie sind jung, das Leben liegt noch offen vor Ihnen - ich bin alt, meine Bahn ist bald durchwandelt, - Sie haben die Hoffnung, ich die Erfahrung,und dreiundzwanzig Jahre meines Lebens hab' ich auf diesen schönen Inseln zugebracht. In dieser Zeit habe ich aber auch viele Leute kommen und gehen, habe Hoffnungen und Träume aufblühen und verwelken sehen und weiß, was ein Mann in Ihren Verhältnissen hier zu finden glaubt - und was er findet.

„Jetzt ist Ihnen noch Alles neu - die Palmen selber, die ganze tropische Vegetation übt einen Reiz auf den Neuankommenden aus, dem er selten, wenigstens in seinem ersten Andrang, wiederstehen kann; nur wenige Jahre führen aber darin eine gewaltige Aenderung herbei, denn das Herz, besonders das junge Herz bedarf einer Veränderung, bedarf eines Reizes für seine Thätigkeit, wenn es nicht erschlaffen oder in neuem, dann aber recht schlimmen Schmerz vergehen soll. Viele, sehr viele Europäer haben sich besonders in den letzteren Jahren hierher gezogen, die aber von ihnen, die wirklich hier geblieben sind, waren schon ältere Leute und brachten auch meistens ihre Familien, die ihnen an Stand und Erziehung gleich waren, mit sich. Fast alle diese kamen hierher, ein Geschäft zu treiben und sich ein Vermögen zu erwerben, und sie werden fast alle wieder nach Europa zurückkehren, wenn ihre Kinder erwachsen sind. Dorthin passen sie auch – ihre Frauen stammen selbst von dort und sehnen sich nach dort zurück, und sie lassen dann nichts hier zurück, als eine freundliche Erinnerung. Die Fasern ihres Herzens haben nicht zwischen den Palmen und Bananen Wurzel geschlagen.

„Sehr viele von ihnen haben auch indianische Mädchen geheirathet - die ersten und hübschesten, die ihnen begegneten - auf allen Inseln zerstreut finden Sie solche Beispiele; aber es sind das fast nur einzig und allein rohe Matrosen, denen das müßige Leben zusagt, die sich auch in ihrem Vaterlande in keinen anderen Cirkeln bewegt haben, als wo das materielle Wohl ihr Hauptziel und Streben war. Aber /84/ selbst diese verlassen gewöhnlich, nach einer längeren Reihe von Jahren, ihr leicht genug angetrautes Weib; selbst diesen genügt zuletzt nicht mehr diese tropische Ruhe, und sie sehnen sich nach Abwechslung, nach einer Veränderung ihrer Verhältnisse, sollten sie diese auch wieder mit harter Arbeit, ja sogar dem früheren Leben erkaufen müssen.

„Auf Tahiti haben Sie einige wenige Beispiele unter Ihren Landsleuten, die sich mit tahitischen Mädchen wirklich verheiratet haben; jetzt sind diese Frauen jung und schön, sie könnten sie nach Europa zurückführen und vielleicht stolz darauf sein - wenn Sie das Gefühl einer etwas wunderlichen und bizarren Eitelkeit so nennen wollen. Werden sie aber alt - weibliche Körper blühen und verblühen in unserem tropischen Klima so rasch wie unsere üppige Pflanzenwelt - dann ist das vorbei. Sie können keine alte indianische Frau nach Europa bringen, sie dort in Ihre Kreise einführen. - Sie möchten das auch nicht, denn Sie wüßten recht gut, wie Sie hinter Ihrem Rücken dem Gespötte der Menge, welche die näheren Beweggründe nicht kennt und nicht achtet, verfallen würden. Und wollen Sie das Wesen, das sich an Sie angeschlossen hat und mit Herz und Seele an Ihnen hängt, nicht unglücklich und elend machen, so müssen Sie bei ihm und hier auf den Inseln bleiben, und Unmuth und Sehnsucht nach einem andern Leben zehrt dann an Ihnen weit schlimmer und gewaltiger, als es an dem jungen Herzen gethan. Dem lag die Welt noch frei - es konnte noch dem ersten Drange folgen, ob ihn der auch gleich manchmal irre führte. Jetzt aber ist das vorbei - die Möglichkeit, frei zu handeln, ist genommen und nur der Drang selber geblieben, der dann wie ein ewiger Wurm an Ihrem Herzen nagt.

„Ich spreche nach mehreren Beispielen, die ich selber kenne, junger Mann, und die innige Liebe auch, die ich für Prudentia fühle, macht mich besorgt, ihr ein solches Schicksal ersparen zu wollen. Prudentia ist, wie ich Ihnen schon gesagt habe, und wie Sie auch selber nach einem Zusammensein mit ihr von mehreren Wochen gewiß finden mußten, keins der gewöhnlichen sinnlichen Mädchen dieser Inseln, die sich /85/ dem Ersten Besten, ohne Arges dabei zu denken, hingeben, und gar nichts Anderes erwarten, als daß er sie, sobald er ihrer müde ist, wieder verläßt. Ich fürchte im Gegentheil, Sie haben Prudentia's Herz schon zu sehr gewonnen; jetzt wäre aber doch noch vielleicht eine Trennung möglich. - Sie würden Beide an diese Zeit wie an einen schönen Traum zurückdenken, von dem es das Herz nur eine kurze Zeit schmerzt - daß es eben nichts weiter als ein Traum war; aber Sie können Beide auch dadurch vielleicht einen verfehlten Lebensziele entweichen, das dann später nicht mehr zu ändern wäre und leider für Beide auch verderblich werden müßte.

„Ich bin fest überzeugt, daß Sie in diesem Augenblick Prudentia mit aller Leidenschaft einer innigen, vielleicht gar ersten Neigung lieben - aber wird der alte Hang eines unsteten Lebens, das in dem Herzen nur erst eingewurzelt, gar zu so leicht verderblich werden kann, diesem Herzen in dem Stillleben unserer Inseln Ruhe und Frieden lassen? - Unsere Palmen sind grün und herrlich - aber so wie sie dort stehen, stehen sie das ganze Jahr - kein gilbendes, fallendes Blatt, keine Schneedecke, keine auskeimenden wachsenden Knospen geben ihnen im nächsten Frühjahr immer wieder denselben Reiz. - Unsere Bäume sind mit Früchten bedeckt - aber die Blüthenzeit fehlt uns - wir brauchen die Frucht nie zu erwarten - zu erhoffen - sie hängt voll und reif am Baume, während heimlich, von uns kaum bemerkt, andere indessen nachblühen und nachwachsen, die fehlenden immer wieder zu ersetzen und die Plätze der niederfallenden auszufüllen. Wir kennen auch hier nicht die Sorgen und Mühen des Lebens - das Salz jedes gesellschaftlichen Verkehrs, durch das eine erworbene Existenz erst ihren ganzen uns beglückenden Reiz gewinnt - wir stehen Morgens auf und essen und trinken und legen uns Abends wieder schlafen. Nachrichten von der äußern Welt dringen nur selten zu uns, und wie sie kommen, wäre es fast bester, sie blieben ganz aus, denn anstatt zu befriedigen lassen sie, selbst in dem Herzen der Aeltesten von uns, eine Leere zurück, die wir vergebens auszufüllen suchen. /86/

„Wollen Sie nun mit Ihrem jungen thatkräftigen Herzen in dieses felsenumgürtete Thal, aus dem es keine Rückkehr für Sie giebt, hinabspringen? - schauen Sie um sich her, junger Freund - noch stehen Sie oben - noch liegt die ganze übrige Welt ausgebreitet vor Ihren Blicken - haben Sie nichts, nichts mehr darin, was auch nur den geringsten Anhaltepunkt an Ihr Herz hätte? - bedenken Sie, bei einem sinkenden Schiff kann das kleinste, unbedeutendste vergessene Tau das Boot, auf dem sich der Schiffbrüchige sonst vielleicht sicher den Wellen anvertrauen könnte, rettungslos mit in den Abgrund ziehen."

Der alte Mann schwieg, und eine Thräne zitterte in seinem Auge; ernst und forschend schaute er dabei den jungen Mann an, und es war, als ob er seine innersten Gefühle ergründen wollte, ehe sie auf die Lippen kämen - ja wahrer, als sie der Mund vielleicht auszusprechen vermöchte. René begegnete aber, zwar gerührt, doch fest entschlossen, dem Blick und erwiderte endlich mit fester Stimme:

„Sie verstehen es, alter Herr, Einem Herz und Seele mit Ihren Worten zu fassen, aber ich springe getrost hinab in das Thal, denn da oben blüht für mich kein Glück, keine Freude mehr. Die Meinen sind todt oder schlimmer als so - ich stehe eine Waise in der Welt, weder Bruder noch Schwester leben, die Ansprüche auf meine Nähe machen dürften; Alles, was mein Herz sonst hätte binden können, ist für mich verloren, und stießen Sie mich jetzt wieder kalt und erbarmungslos in die Welt zurück, ich müßte rettungslos untergehen - und wäre recht elend. Auch Sadie hängt mit inniger Liebe an mir, und ihr Herz ist nicht geschaffen, einmal zu lieben und so leicht wieder vergessen zu können - wollten Sie auch aus ihrem Herzen die erste Neigung reißen? - Sie haben Sadie zu lieb dazu, wenn ich selber Ihnen auch gleichgültig sein müßte. Aber - ich kann mich auch irren," brach er dann plötzlich ab - „ich täusche mich vielleicht selber in Sadie's Herzen, und ihre Neigung wäre eines Rückschrittes fähig. - Sprechen Sie selbst mit ihr, werther Herr - fragen Sie das Mädchen selber, und halten Sie unsere Vereinigung für gefahrbringend für sie, und /87/ glaubt Sadie, daß sie mir jetzt noch ohne großen Schmerz entsagen könne - dann, beim ewigen Gott, will ich nicht in den Frieden dieses Thales getreten sein, Thränen und Kummer zu säen, dann sollen Sie finden, daß ich auch im Stande bin zu entsagen, und wenn mir des Herz darüber bräche. Kein Wort des Unmuths - keine Klage soll über meine Lippen kommen, das erste beste Canoe mich zu einer andern Insel - aus ihrer Nähe führen."

Er war aufgesprungen, und seine Mütze ergreifend wollte er das Zimmer verlassen, der alte Missionär streckte ihm aber die Hand entgegen und sagte mit herzlichem, bewegtem Tone:

„Das ist recht brav und ehrlich von Ihnen gehandelt, junger Mann und ich gebe ihnen mein Wort, ich habe auch, seit dem ersten Augenblick, wo ich Sie sah, noch nicht einen Augenblick daran gezweifelt, daß Sie Alles so auch fühlten, wie Sie es dem Mädchen versprochen. Ich kenne übrigens Prudentia oder, wenn Sie denn lieber wollen, Sadie viel zu gut um bei ihr langer Rede zu bedürfen. In wenigen Minuten haben Sie meine Antwort, treten Sie indessen hier in das nächste Haus - aber glauben Sie nicht, junger Freund, daß ich Ihnen das Wort reden werde," setzte er ernster hinzu, „Sie müssen es meinem Gewissen überlassen mit Sadie zu handeln, wie ich es vor dem verantworten kann."

„Handeln Sie, als wenn Sie ihr Vater wären," sagte René herzlich - „ich will Sadie's Glück, nicht das meine," und er verließ mit schnellen Schritten das Zimmer.

Auf des alten Mannes Ruf betrat das Mädchen schüchtern und mit niedergeschlagenen Blicken das Gemach. - Sie schaute nicht auf, aber sie fühlte, daß René nicht mehr im Zimmer sei, und ihr Herz klopfte fast hörbar in der Brust. - Ihr Vater hatte ihn abgewiesen, und der schöne Traum ihres Glücks war in Nacht und Thränen zerflossen.

„Prudentia," sagte der alte Mann und zog das zitternde Mädchen sanft zu sich - „ich habe den jungen Fremden fortgeschickt von hier. - Er hat Dich jetzt wohl lieb, aber wenn er eine Zeit lang von seiner Heimath entfernt ist, sehnt er sich wieder nach ihr zurück und läßt mein armes Mädchen /88/ hier allein, und dann wärst Du wohl recht, recht unglücklich geworden und elend. Jetzt ist der Eindruck, den er auf Dein Herz gemacht, noch flüchtig, noch leicht wieder zu verwischen - Du wirst einen oder zwei Tage weinen, ihn nachher vergessen, und nicht wahr, mein Kind, ich habe darin recht und gut gehandelt - ich wollte ja nur Dein Wohl."

„Ich will Alles thun, was Du mir sagst, mein Vater," flüsterte das Mädchen, dicht an seine Brust geschmiegt, so leise, daß er kaum ihre Worte verstehen konnte.

„Das ist mein gutes Kind," sagte der Greis, aber die Stimme zitterte ihm; er fühlte nur zu gut, was in dem Herzen des armen Mädchens vorging, und wie die Liebe für den Fremden schon viel zu tief Wurzel geschlagen habe, um je wieder, ohne das Gefäß selber zu zerbrechen, herausgerissen zu werden. Er mußte sich aber selber einen Augenblick sammeln, ehe er fortfahren konnte, und mit lebhafter Stimme, wie ermuthigend setzte er hinzu:

„Und nicht wahr, mein Kind - dann wirst Du auch wieder glücklich und froh sein, wie bisher? - wirst wieder lachen und singen und nicht das Köpfchen so trübe hängen lassen?"

„Ich will mir rechte Mühe geben, lieber Vater," flüsterte das Mädchen und barg ihr Haupt fester an dem Herzen des alten Mannes.

„Und willst Du auch den Fremden vergessen, meine Tochter? - willst Du mir das recht fest und aufrichtig versprechen, mein braves Mädchen?" frug sie jetzt leise der Greis.

Das aber war zu viel für das arme gequälte Herz - einen Augenblick schien es, als ob sie sich von seiner Brust emporheben wolle, ihm in die Augen zu schauen - aber sie sank wieder zurück und klagte nur leise:

„Ach, das weiß ich nicht - das weiß ich wahrhaftig nicht, lieber, lieber Vater" - damit war aber auch ihre Kraft gebrochen, und laut und heftig schluchzend, als ob ihr das Herz vergehen wolle in unendlichem Weh, hing sie in seinen Armen.

Und sie schluchzte nicht allein; denn aus der Ecke des /89/ Zimmers vor tönte es noch weit lauter und heftiger, und der kleine Mitonare saß da auf einem der niederen Bambusschemel, ganz allein und vergessen, und weinte, in Thränen zerfließend, wie ein kleines Kind.

Da vermochte sich aber der alte Missionär auch nicht länger zu halten, und der Tochter thränenüberströmtes Antlitz zu sich erhebend und küssend und wieder küssend, rief er:

„Nein, nein, Prudentia, ich bin ja kein Tyrann, daß ich mein Kind so elend und unglücklich machen möchte, nur weil die Möglichkeit existirt, daß es später noch einmal so kommen könne. - Nein, wenn Gott Dir eine so gewaltige und innige Liebe für ihn in's Herz gelegt hat, dann nimm ihn, nimm ihn - der Herr segne Euch, und er wird Alles zum Besten lenken. Aber sei auch wieder mein gutes, fröhliches Mädchen, lache wieder, singe wieder und mache das Herz Deines alten Vaters froh durch Dein heiteres, glückliches Angesicht."

„Vater - lieber Vater!" rief das Mädchen in jubelnder, kaum gefaßter Lust. - Mitonare hatte aber kaum gehört, was die Sache, die ihm selber das Herz abzustoßen drohte, für eine Wendung nahm, als er, wie aus einer Pistole geschossen, zur Thür hinausfuhr und nach kaum zwei Minuten mit dem „verzweifelten Wi-wi" - wie er ihn nannte, in's Zimmer geschleppt kam.

René lag mit an dem Herzen des alten Mannes - er wußte selber kaum wie, und der Greis flüsterte einen leisen Segen über die Häupter der Glücklichen.

6.

Was der ehrwürdige Mr. Rowe dazu sagt.

Der Abend verging den beiden Liebenden wie ein Augenblick – sie hatten sich so tausenderlei zu sagen, so tausender/90/lei zu besprechen, daß sie den Flug der Stunden gar nicht bemerkten, und der alte gute Mann saß lächelnd dabei, und wohl auch ihm stiegen in der Erinnerung alte liebe, vergangene Bilder auf und führten seine träumenden Gedanken zurück zur Jugendzeit. - Aber auch die Gegenwart erheischte seine Umsicht, denn manchmal gedachte er ebenfalls seines in ziemlicher Aufregung fortgegangenen Kollegen und der Schritte, die dieser jetzt zu thun suchte, das Glück, was er selber heut Abend hier geschaffen, wieder zu zerstören. Er hielt es auch für seine Pflicht, dieses dem jungen Mann mitzutheilen und ihn wenigstens darauf vorzubereiten, daß seine Bahn von jetzt an noch immer keine ganz ebene sein könne. Hätte er dem von seinem Glück förmlich Trunkenen aber auch eine wirkliche Gefahr genannt, er würde ihr mit leichtem Herzen begegnet sein, vielweniger denn, wo es nur den bösen Willen oder Zorn eines fremden Geistlichen betraf. Des Königs selber glaubte er dabei ziemlich gewiß zu sein, noch dazu, da diese geistlichen Herren selten oder nie Geschenke verschwenden und nur den Willen Gottes als Gebot aufstellen.

Tahiti

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