Читать книгу Blau Wasser - Gerstäcker Friedrich, Jurgen Schulze - Страница 2

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Dieser Zustand hat eine solche Konsistenz, daß die Vergangenheit, selbst wenn er endlich gewichen, doch nur wie mit einem dichten Schleier bedeckt hinter uns liegt und dem scharfen Schmerz des Abschieds keine Gewalt mehr über das Herz verstattet. Mit ihm beginnt gewissermaßen ein ganz neuer Abschnitt unseres Lebens, und eigenthümlich zu beobachten ist die Veränderung, die in dem ganzen Wesen und Betragen der Passagiere nach dem ersten eintretenden stillen Wetter vor sich geht. Die Leute sind gar nicht mehr dieselben; die heimathliche Küste ist außer Sicht, dieser furchtbare Zustand zwischen Leben und Sterben, vor dem sie sich nicht retten konnten, gewichen, und das weite, offene Meer um sie her, mit seinen leichten plätschernden Wogen, der Anblick der geblähten Segel, des vorn am Bug aufkräuselnden Schaumes und Gischts, wie das wackere Schiff so rasch die Fluth durchschneidet, füllt ihre Seelen mit neuer Lebenslust, mit frischer, fröhlicher Hoffnung bis zum Rand.

Amerika, das ist das Ziel jetzt, dem sie entgegen streben, und wenn sie Abends nach dem dünnen Thee oben auf dem Verdeck sitzen und die Sterne über sich funkeln sehen, die Wasser unter sich rauschen hören, dann schaaren sie sich zu kleinen Gruppen zusammen, wie sie sich eben einander gefunden an Bord, und bauen sich Schlösser in die blaue, reine Luft, die hoch zu den Wolken reichen und mit diesen gen Westen ziehen - aber traurig ist Keiner mehr.

Wie mancher schöne Plan wird da ersonnen, wie mancher phantastische Traum ausgebrütet und gehegt. Gar weh freilich würde Vielen von ihnen um's Herz sein, wenn sie vorher wüßten, wie bei den Meisten es nur eben Pläne, nur eben Träume bleiben sollten. Aber die Zukunft birgt das noch in ihrem dunkeln Schooß, und durch den tausendfarbigen /61/ Regenbogen der Hoffnung liegt ihnen das ferne Land schon jetzt in Paradieses Pracht und Schmuck vor Augen.

Wie sie lachen dabei und singen und jubeln - sind das dieselben Menschen, die erst vor wenig Wochen mit rothgeweinten Augen am heimischen Strande standen, und denen das Herz brechen wollte von bitterem Weh und Leid? - Fort mit den Sorgen! Amerika, das ist das Zauberwort, dem alle trüben Gedanken weichen mußten, und „wenn wir nur erst einmal dort sind!" lautet der Tröstungsruf. Indessen haben sie weiter nichts zu thun als zu essen, zu trinken und sich zu amüsiren, bis sie der Capitain an Ort und Stelle liefert, und sie thun das eben nach besten Kräften.

Hier sitzen ein paar oben an Deck um einen umgestülpten Waschkübel und spielen Karten; dort steht eine kleine Gruppe um einen kurzen, dicken Schuhmacher, den Spaßvogel des Schiffes, herum, den Geschichten zu lauschen, die er ihnen erzählt, und über die sie sich ausschütten wollen vor Lachen. Hier kauern Einige vorn auf der Back des Schiffes und singen, und Andere liegen lang ausgestreckt auf den warmen Planken in der Sonne und schauen zu den schwankenden, neigenden Masten und den über ihnen hinziehenden Wolken hinauf, die herüber und hinüber zu schießen scheinen am Firmament. Ein Theil hat sich aber nützlicheren Beschäftigungen gewidmet, reinigt sein Geschirr oder seine Kleider, wäscht und bessert aus, und die Frauen besonders sind mit den Kindern in voller Arbeit, an denen sie ebenfalls, gerade wie an dem Geschirr, zu putzen und zu scheuern haben, und die sich trotzdem am allerwohlsten an Bord zu fühlen scheinen.

Das Kind richtet sich auch am leichtesten in solch' neue Verhältnisse ein; sein junger Geist ist nur dem Augenblick empfänglich, und neue Eindrücke prägen sich so rasch dem Kinderherzen ein, als es die älteren schnell und leicht verwischt. Was weiß es von Vergangenheit und Zukunft; seine kleine Welt umschließt eben der Augenblick, und in dem engen Kreis hat es an Lust und Sorgen, Schmerz und Freude auch wieder gerade so viel zu tragen, wie's eben tragen kann.

So dauert es denn auch gewöhnlich gar nicht lange, und die Kinder, die überdies am wenigsten von der Seekrankheit /62/ ergriffen werden, spielen und haschen sich, selbst bei schwerem Wetter, munter über Deck, lachen und jubeln, wenn sie eine Spritzwelle trifft, und kennen selbst keine Furcht in dem grollenden Sturm, der an den Planken rüttelt und reißt.

Die schlimmste, schwerste Zeit an Bord haben die Frauen, denn außer der Sorge um die kleine Brut, die lustig tobend über Deck schwärmt, und klettert und steigt, und ewige Aufsicht erfordert, nicht dennoch zu Schaden zu kommen, nagt ihnen das, was sie verlassen haben, auch am meisten am Herzen. Die Frau ist weit mehr an die Scholle gebunden als der Mann; ihr ganzes Leben und Wirken schon liegt in der Häuslichkeit, in dem engen Kreis ihres eigenen Herdes, und nur mit Mühe und tiefem Schmerz reißt sie sich von diesem los. Hätten die Frauen darüber zu bestimmen, nicht der zehnte Theil der jetzt Auswandernden würde das Vaterland verlassen, und lieber ertrügen sie das Schwerste, ehe sie die wohnliche Stätte mieden, die ihre Heimath geworden. Bei ihnen wurzelt die Erinnerung an das, was sie verloren, auch am tiefsten; die Sorge für die Zukunft müssen sie doch dem Manne überlassen, und all' ihr Sinnen und Grübeln gehört der Zeit, die hinter ihnen liegt. Die Frauen sind deshalb gewöhnlich die stillsten Passagiere an Bord, und wenn sie auch nicht klagen und jammern über etwas, das nun doch einmal nicht mehr zu ändern ist, spricht die heimlich zerdrückte und rasch und ängstlich wieder entfernte Thräne, die ihnen nur zu oft die Wange feuchtet, desto lebendiger das aus, was ihnen auf der Seele liegt.

Gleichgültig gegen alles Derartige sind natürlich die Matrosen, Steuerleute und Capitain mit eingerechnet. Die See ist ihre Heimath, sie kennen keine andere, und das Schiff der Gegenstand, um den sich ihre ganze Sorge dreht.

Der Seemann gehört auch wirklich mit zu den Amphibien, d. h. zu den Wesen, die auf dem Lande und im Wasser oder wenigstens auf dem Wasser leben können, sonderbarer Weise aber sämmtlich das Wasser vorziehen und zu ihrem Hauptaufenthaltsort wählen. Am Lande sind sie unbehülflich und linkisch, man kann sie auf den ersten Blick erkennen: der schwankende Gang, die vom Körper abhängenden Arme, die /63/ etwas gedrückte Haltung selbst, machen die Burschen überall kenntlich, wo sie sich auf festem Boden sehen lassen. Sie fühlen sich auch dort nicht wohl, sie wissen, wie das ihr Element nicht ist, und halten sich wie Seehund, Frosch, Alligator, Schildkröte usw, immer dicht am Ufer auf, zu neuer Ausfahrt jeden Augenblick bereit. Ein ächter Matrose im innern Lande würde sich gerade so wohl da fühlen, wie ein Fisch auf einer Wiese.

Der ächte Matrose wechselt auch sein Schiff nicht gern. Wenn er es nur irgend mit Capitain und Steuermann aushalten kann und diese es ihm eben nicht gar zu bunt machen, bleibt er an Bord des einmal gewählten Fahrzeugs, und gewinnt das lieb, wie wir die eigene Heimath lieb gewinnen. Er wird sogar stolz darauf, und fühlt sich bitter gekränkt, wenn ein anderes Schiff besser aufgeriggt, reinlicher gehalten wäre, oder gar, das Schlimmste von Allem fast, schneller segelte, als das seine, und mit gleicher Anzahl von Segeln auf offener See an ihm vorbeiliefe. Es ist ein Theil seiner selbst geworden, und was dem Schiff geschieht, geschieht auch ihm.

Einen besondern Haß hat der Seemann, der ächte, richtige Matrose wenigstens, auf Passagiere - oder, wenn er sie auch nicht gerade wirklich haßt, verachtet er sie doch gründlich. Ein Passagier ist ihm das nutzloseste, unbequemste, störendste und fatalste Stück Fracht, das sich auf der weiten Gotteswelt nur denken läßt, und einem ordentlichen Matrosen wird es auch nie einfallen - wenn er das irgend ändern kann - sich ein Schiff auszusuchen, das regelmäßige Passagierfahrten macht - er ginge eben so gern auf einen Walfischfänger. Ueberall im Wege, wo sie nicht gebraucht werden, Alles beschmutzend und verderbend, woran sie die Hände legen können, auf allen Reisen fast Ungeziefer brütend, machen ihm die Passagiere das Schiff zu einer Hölle, und haben selber genug dabei seinem Unmuth und Schabernack zu leiden. Wozu, um Gottes willen, ist solch ein Passagier auch nütz? - Er kann nicht nach oben gehen, denn wenn er das Deck wirklich einmal verläßt, um in die Wanten zu steigen, hat er alle Hände voll zu thun, sich nur selber festzuhalten; er kann kein /64/ Segel nähen, kaum einen Reefknoten machen, kann nicht steuern, noch eine der gerade verlangten Brassen3 finden, und wenn er Monate lang an Bord wäre, und ist zu faul, Schiemanns Garn4 zu drehen oder Werg zu zupfen. Was also in der weiten Welt ist mit ihm anzufangen? Gar nichts. Dabei sitzt er gewiß immer an den Stellen, wo er gerade nicht sitzen sollte, hängt die gewaschene Wäsche an das laufende Tauwerk, daß die Falle, wenn sie einmal recht rasch angeholt werden sollen, in den Blöcken hängen bleiben und einklemmen, hat natürlich immer nägelbeschlagene Schuhe und zertritt die frisch gestrichenen Decks, und trampelt regelmäßig zur Unzeit über dem „Logis" herum, in dem der Theil der Mannschaft, der „seine Wache zur Koje hat", liegt und die paar Stunden schlafen will.

Außerdem kann er nur einen Menschen verachten, der seekrank wird, und zwar so seekrank, wie es eben nur ein Passagier werden kann. Und in der Zeit hat der Matrose auch wirklich seine wahre Last und Noth mit dem unglückseligen Volk in Zwischendeck und Kajüte, das, wie er nur kaum einmal das Deck rein gewaschen hat, aus irgend einer Luke vorgestürzt kommt, nur selten im Stande ist die Railing zu erreichen, und seiner Krankheit den Lauf läßt, wo er eben liegt. Wer dann wieder mit Eimer und Scheuerbesen hinterher kommen muß, ist natürlich der Matrose, und die einzige Erleichterung, die er sich dabei verschaffen kann, ist, seinem Herzen durch eine unbestimmte, ungemessene Anzahl Flüche Luft zu machen.

Und wie sieht so ein Auswanderer-Schiff in der Zeit von außen aus! - Was müssen die Fische denken, wenn sie vorüberschwimmen! - denn von der Schiffsmannschaft schaut gewiß Keiner über Bord. Doch genug von den Leuten; wir wollen an Bord selber zurückkehren.

Es war Abend - eigentlich der erste warme, freundliche und stille Abend, den die Auswanderer gehabt, seit sie in der Schelde ihren Anker gelichtet, und die Passagiere versäumten nicht, ihn zu genießen. Der kleine dicke Schuster besonders /65/ war unter ihnen thätig, einen Ball zu arrangiren, holte aus den Tiefen seiner Kiste eine alte Violine - eine „Schwester von Paganini's Instrument", wie er behauptete -, setzte sich damit auf den Windlaß, der hinter dem Hauptmast stand, und dessen blank gescheuerter Messingknopf mit einer ledernen Ueberkappe bedeckt war, und begann eine wahrhaft nichtswürdige Polonaise zu spielen.

Wo sich aber, bei wirklich guter Musik, Mancher nach der so kurzen Trennung von der Heimath gescheut haben würde zu tanzen, überwand das Komische dieser kreischenden, ohrzerreißenden Melodie, die kein anderes Verdienst hatte, als ihre Mißtöne wenigstens im richtigen Tact herauszustoßen, bald jede weitere Bedenklichkeit. Selbst die sonst Ernstesten lachten erst über die wirklich entsetzlichen Passagen, die der Schuster mit einer unzerstörbaren Ruhe und endlich, als er mehr in Hitze kam, selbst im Schweiße seines Angesichts herausarbeitete, und traten dann langsam selber mit zu der endlosen Polonaise an, die sich um den Windlaß herum am Larbordgangweg hin, vorn vor dem Logis vorüber, und dann auf dem Starbordgangweg zurück wieder zu dem Platze bewegte, von dem sie ausgegangen war. Selbst einige hannöversche Bauern in Holzschuhen nahmen an dem Tanze Theil, und wie der Schuster erst einmal sah, daß er sie Alle in Bewegung hatte, sprang er mit seinen Dissonanzen plötzlich in einen muntern Rutscher über, dessen Erfolg über sein Erwarten gut ausfiel.

Eine Masse junger Leute, Burschen und Mädchen, waren an Bord, bei denen es eben keiner besondern Einladung bedurft hätte, sie zum Tanz zu bringen, und die fingen natürlich rasch an, sich lustig im Kreise zu drehen. Die Uebrigen folgten, wenn auch etwas langsamer, dem gegebenen Beispiel, und selbst von den Matrosen mischten sich einige zwischen die wie von der Tarantel Gestochenen, griffen sich die hübschesten Mädchen heraus und flogen im Tact herum, den jetzt die Holzschuhe der Hannoveraner, selbst ohne die dazwischen quietschende Violine, auf dem Deck der Captaube schlugen und stampften.

Der Capitain hatte nichts gegen das fröhliche Treiben an Bord; bis acht Uhr, wo doch sämmtliche Mannschaft an /66/ Deck versammelt war, konnten sie toben, die Bewegung war ihnen überdies gesund, dann freilich, mit dem Ton der Glocke, war Feierabend - die Schiffs-Polizeistunde - und die Nacht begann. Die Zeit bis dahin mußte also nach besten Kräften benutzt werden.

Rasch und schäumend, über die nur leise wogende See, verfolgte indessen das wackere Schiff seine Bahn; der Wind hatte sich nach Nordosten gedreht, und mit allen Segeln gesetzt, bis in die obersten Stengen hinauf, durchschnitt der scharfe Bug lustig die zischend und spritzend zur Seite schlagende Fluth. Vorn im Westen erhob sich zwar eine dunkle Wolkenschicht, hinter der die Sonne jetzt gluthroth niedersank, aber die obere Luftströmung ist der untern, über das Wasser streichenden, oft ganz entgegengesetzt, und keinesfalls bekümmerten sich die Passagiere um den grauen Saum, der ihren Horizont umzog.

Hell und klar funkelten die Sterne schon vom sonst wolkenreinen Himmel nieder, und zu ihrer Rechten wurde ein rothschimmernder Punkt dicht über dem Wasserspiegel sichtbar - ein Leuchtfeuer der englischen Küste, unter der sie hinsegelten. - Wie das so still und freundlich zu ihnen herüberglühte von dem fernen Strand, der sichere Führer nach dem Hafen dort. Aber ihr Ziel lag weiter; kein gastliches Ufer konnte sie ablocken von der bestimmten Bahn, und weiter und weiter zurück blieb das Nachtlicht, dort drüben, bis andere vor ihnen auftauchten, die Bahn bezeichnend, die sie nahmen.

Der Tanz hatte jetzt aufgehört; die Tänzer waren allerdings so wenig müde geworden wie der Geiger, aber die Saiten des Instruments - wenn der violinartig geformte Kasten wirklich einen solchen Namen verdiente - weigerten längeren Dienst, mußten, da sie in der feuchten Abendluft mehr und mehr nachgaben, höher und höher hinauf geschraubt werden und platzten endlich. Nur die Holzschuhe waren einmal in Gang und Tact gekommen und klapperten fort, bis endlich des Capitains lauter Ruf auch ihre Fröhlichkeit unterbrach und den mißhandelten Schiffsplanken Ruhe gönnte.

Es wurden Leute nach oben geschickt, die leichteren Segel einzunehmen und ein paar gegen Abend ausgesetzte Leesegel /67/ wieder einzuholen; die Wolkenwand im Westen hob sich höher und drohender, und der vorsichtige Seemann wollte sein Segelwerk bei doch etwa eintretendem andern Wind besser in der Gewalt haben.

Die Oberbramsegel flatterten und schlugen im nächsten Augenblick an ihren Raaen, die „leichten Matrosen" sprangen nach oben, um sie an ihren Hölzern festzuschnüren; die Leesegel kamen ebenfalls blähend an Deck und wurden dort geborgen, und die nächste Wache, die von Acht bis Zwölf zu stehen hatte, lag, ihre Antrittszeit erwartend, vorn auf der Back, den Erzählungen des Segelmachers lauschend, der einst an Bord eines englischen Kriegsschiffes gedient hatte, und die nöthige Gabe besaß, ein „Garn zu spinnen", d. h. seine Erzählungen mit der fabelhaftesten Phantasie auszuschmücken und zu würzen.

Die Auswanderer hatten sich indessen ebenfalls in kleinen Gruppen gesammelt. In Lee5 stand eine Anzahl von ihnen zusammen und sang ihre heimischen Weisen; Andere lehnten über Bord und schauten still und schweigend nach den einzelnen Leuchtfeuern hinüber, die jetzt auch von der französischen Küste her sichtbar wurden und untergehenden Sternen glichen, und wieder Andere lagen über die an Deck festgeschnürten Wasserfässer zerstreut, oder im großen, zwischen dem Haupt- und Fockmast befestigten Boot, bliesen den Rauch ihrer Pfeifen oder Cigarren in die stille Nachtluft hinein, und schauten zu den Sternen und den schwankenden Masten hinauf.

Ein eigenthümlich schriller Laut pfiff da über die See, und das Schiff neigte sich plötzlich und scharf nach Lee hinüber, daß, wer nicht fest stand, zur Seite rutschte und rollte und alles an Deck stehende lockere Geschirr und Geräth polternd nach Larbord über kollerte.

„Steht bei den Fallen! Los mit den Bramfallen, um Euer Leben, los mit den Marsen!" schrie in diesem Augenblick die Stimme des Capitains gellend über Deck. Die Matrosen sprangen erschreckt herbei, aber sie selber hatten /67/ Noth, sich im ersten Augenblick der Ueberraschung festzuklammern und nicht ebenfalls nach Lee zugeworfen zu werden, und ehe sie nur die Falle, an denen die oberen Raaen befestigt waren, erreichen und, wie der Befehl lautete, abwerfen konnten, brach es und knatterte es oben in den Stengen und kam, unter dem Heulen der plötzlich aufgesprungenen Bö, rasselnd an Deck nieder, zwischen die ängstlich aufschreienden Passagiere hinein.

Noch standen die unteren Masten, und durch die niedergeschmetterten Stengen hatte der so plötzlich herangebrauste Sturm wenigstens seine größte Macht auf das Schiff verloren, das sich langsam wieder aufrichtete. Aber die Captaube trieb auch, ein halbes Wrack, auf den Wellen, und unter dem Flattern der Segel, da der Mann am Steuer in plötzlichem Schreck das Schiff gerade in den Wind hineingedreht hatte, daß es nicht den mindesten Fortgang mehr durch's Wasser machte, sprangen die Matrosen jetzt an ihre Plätze, lösten die Schoten des großen Segels und den Fock, ließen die Clüver nieder - der Clüverbaum war ebenfalls abgebrochen - und warfen das Besansegel los.

In furchtbarer Schnelle hatte sich indessen die im Westen aufgekommene Wand gehoben; von der Windsbraut getragen, kam sie herauf, und wie die Leute nahe dabei waren, das indessen wieder seinem Steuer gehorchende Schiff von Allem frei zu kappen, was darum herhing, an Deck zu ziehen, was zu retten war, und das Uebrige über Bord zu schneiden, kam ein fluthender Regen wolkenbruchartig niedergeströmt, sammelte sich an Deck und schlug, da er so rasch gar nicht durch die jetzt noch überdies mit Segel und Tauwerk verstopften Speygaten ablaufen konnte, in die noch offenen Luken hinein.

Die Passagiere hatten den ersten Anprall des Sturmes mit dumpfem, starrem Schweigen hingenommen. So plötzlich war das Unwetter aus vollkommen heiterer Luft über sie hereingebrochen, so wild und toll schlugen ihnen die Stengen und Segel dazu um die Köpfe, daß sie die Größe des Unfalls nicht einmal gleich begriffen. Nur die Frauen bemächtigten sich instinctartig zuerst der Kinder, um diese vor den fallenden Hölzern, wenn es sein mußte, mit den eigenen Kör-/69/pern zu decken, gewannen aber auch zuerst ihre Stimmen wieder, und schrieen und wehklagten jetzt in das Heulen und Brausen der Elemente hinein.

Hatten die Seeleute übrigens die Passagiere, die ihnen mehr als je überall im Wege waren, noch bis jetzt unbelästigt an Deck gelassen, so war das die alleinige Ursache gewesen, daß sie auch noch nicht einen Augenblick Zeit bekommen, sich mit ihnen zu beschäftigen. Jetzt aber, wo der niederströmende Regen seine Fluth selbst auch in die noch offenen Luken des Zwischendecks ergoß und die darunter liegende Fracht zu beschädigen drohte, änderte sich die Sache, und die Passagiere wurden beordert, niederzuklettern, damit die Luken geschlossen werden konnten.

Unter dem Schreien und Jammern der Frauen und Kinder, und dem Fluchen der Männer, die sich größtentheils nur ungern dem Befehle fügten, wurde das endlich bewerkstelligt, und die übergehobenen Luken deckten wenige Minuten später den untern, dunkeln, dumpfigen Raum des Zwischendecks mit Nacht und Schweigen. Die Mannschaft an Deck bekam freien Raum, das zerrissene Takelwerk wie die zersplitterten Masten soviel als möglich in Ordnung zu bringen, um das Schiff wenigstens regieren zu können, und als das geschehen war, änderte der Capitain ihren Cours. Mit den wenigen noch möglichen Segeln konnten sie sich aber nur langsam durch die rasch erregte Fluth fortbewegen, und das Sicherste für sie war, nach Norden hinauf zu laufen, um mit Hülfe der Leuchtthürme einen schützenden Hafen zu erreichen, wo der erlittene Schaden wieder ordentlich reparirt werden konnte. Mit dem Wrack durfte er nicht wagen, seine Reise durch den Atlantischen Ocean fortzusetzen.

An Deck arbeiteten die Matrosen jetzt mit unermüdlichem Eifeir, ihr Schiff von Allem, was es noch behinderte, nicht allein frei zu bekommen, sondern auch die noch stehenden kurzen Masten und das Takelwerk zu untersuchen, das Schiff auszupumpen, ob die Erschütterung nicht vielleicht irgendwo eine ,,Naht" aufgerissen habe, und dann soviel als möglich Segel zu setzen, um rascheren Fortgang zu machen. Die so plötzlich hereingebrochene Bö hatte sich indessen wieder vollständig /70/ gelegt; die See brauste und wogte allerdings noch heftig und unruhig, und weiße Schaumadern zischten durch die aufgeregten Wasser, aber die Luft war ruhig geworden, und nur im Nordwesten dichteten sich die Wolken mehr und mehr, und sandten von dort aus breite Schattenstreifen ab, hinter denen die funkelnden Sterne bald vollständig verschwanden. Nur die jetzt aufgehende Mondessichel warf dann und wann einmal einen flüchtig matten Schein durch die zerrissenen Schleier nieder und beleuchtete das rege, thätige, ängstlich schaffende Leben an Bord des Wracks.

Im Zwischendeck sah es indessen traurig aus. Abgeschlossen von Luft und Licht, mit den nassen Kleidern nach unten geschickt, die jetzt einen feuchten, unangenehmen Dunst ausströmten, in vollständiger Dunkelheit dabei, hatten die armen Auswanderer, unter dem Wimmern und Schreien der Frauen und Kinder, und dem Stöhnen Einzelner, die von der Seekrankheit wieder erfaßt worden, eine traurige Stunde zu verbringen. Durch das ruhige Wetter sorglos gemacht, war eine Masse von Geschirr, halbgefüllte Flaschen, Gefäße mit Wasser oder Thee und anderen Sachen, im Laufe des Abends oberflächlich auf die Kisten gestellt, oder nur leicht verwahrt worden, dem geringen Schaukeln des Schiffes zu begegnen. Wie aber dem Steward in der Kajüte, bei dem plötzlichen Ueberwerfen des Fahrzeugs, ein ganzer Korb Geschirr nach Lee hinübergeworfen und meist zertrümmert worden, so stürzte hier unten mit dem ersten Stoß das ebenfalls über den Haufen, was nicht fest verwahrt und angebunden war, und kleine Kisten und Körbe, zerbrochene Krüge und Glasscherben, mit den ausgegossenen Flüssigkeiten, und dem Erbrechen der wiederum Erkrankten, vermehrten nur noch in dem engen, dumpfigen, dunkeln Raum die entsetzliche Lage der Uebrigen.

Glücklicher Weise dauerte dieser Zustand nicht so lange. Der Capitain, der sich wohl denken konnte, wie den unglücklichen Passagieren drunten zu Muthe sein mußte, ließ, als der Regen aufgehört hatte niederzuströmen, die Luken öffnen, um wenigstens frische Luft einzulassen, und die Zwischendecks-Laternen hinunterschaffen, damit die Passagiere bei dem mat-/71/ten Schein derselben den engen Raum wieder ein wenig in Ordnung bringen und sich dann zu Bett legen konnten. An Deck wurden jedoch nur Einzelne nach einander hinaufgelassen, um die Arbeiten der dort noch immer beschäftigten Matrosen nicht zu hindern - unter Deck konnten sie machen was sie wollten - wenigstens was ihnen die Schiffsgesetze erlaubten oder nicht verboten.

Wie sich die Leute aber nur einmal von dem ersten Schreck erholt und sich vergewissert hatten, daß ihnen weiter keine unmittelbare Gefahr drohe, kehrte auch bei den Meisten der frische, fröhliche Lebensmuth zurück, und nachdem sie sich, so weit das die Umstände erlaubten, getrocknet, oder ihre Kleider gewechselt und das Zwischendeck selber von den umherliegenden Scherben und Sachen gesäubert hatten, sammelten sie sich unter den beiden Laternen, die neben der vordern und hintern Luke hingen, um die Erlebnisse des Abends zu besprechen, wie ihre verschiedenen Meinungen über die erlittene Havarie auszutauschen.

„Schöne Geschichte das," sagte ein breitschultriger Schneider, der wegen revolutionärer Umtriebe in Deutschland hatte landesflüchtig werden müssen und auch schon steckbrieflich verfolgt, aber noch glücklich an Bord der Captaube entkommen war - „vortreffliche Geschichte das - aber das kommt nur von der Ueberklugheit der Herren Matrosen, die Alles besser wissen wollen wie andere vernünftige Leute. Ich hab' es dem Holzkopf von Steuermann schon heute Morgen gesagt, daß die Segel zu hoch wären und das Schiff nächstens einmal umkippen müßte - ob er mir nur darauf geantwortet hätte, und jetzt haben wir die Bescheerung. - Mir ist eine Flasche Syrup ausgelaufen, und gerade über mein Kopfkissen weg und in meinen einen Stiefel hinein, und dem Bäcker da drüben haben sie eine Flasche Dinte in die Wäsche gegossen."

„‘s ist wirklich schade, daß Du nicht Capitain geworden bist," sagte ein Lohgerber, der mit dem Schneider in einer Koje schlief, „und hier könntest Du's gleich großartig betreiben, denn heut Abend sind uns in der einen Viertelstunde mehr Lappen über Bord gegangen, wie Du in /72/ Deiner ganzen Lebenszeit wahrscheinlich unter den Tisch gesteckt hast."

„Ja, Ihr braucht auch noch darüber zu spotten," sagte aber ein Instrumentenmacher, der seine kleine Familie und eine Anzahl fertiger Fortepianos an Bord hatte, um sie nach Amerika überzuführen; „oben sieht's schön aus, und daß wir diesmal so mit dem Leben davongekommen sind, können wir eben nur dem Capitain Dank wissen. Wie wir aber mit den Maststumpfen nach Amerika hinüber kommen wollen, weiß ich nicht."

„Wir sind auch noch nicht davon," sagte da die tiefe, dumpfe Stimme eines alten, wetterharten Burschen, der jedenfalls schon mehr von der See gesehen, als Einer der Uebrigen, und in seinem ganzen Wesen, obgleich er nicht so gekleidet ging, kaum den Matrosen verleugnen konnte, an Bord der Captaube aber als Passagier eingeschrieben war - „dahinten im Westen steht noch faules Wetter genug, und ich will keinen Zwieback mehr kauen, wenn ich nicht glaube, daß wir die Nacht noch 'was Tüchtiges auf die Mütze kriegen."

„Ach, Dummheiten," sagte der Schneider, „jagen Sie Einem keinen Schreck ein; das Wetter ist ja wieder recht still und freundlich geworden -"

„Na, mir soll's recht sein," meinte der Alte, „denn wenn's von da drüben herüberkäme, wo die Wolken jetzt so dicht und dunkel herausziehen, und wo das erste auch schon hergekommen ist, dann könnten wir uns gratuliren. Mit den paar Lappen da oben wären wir nicht im Stande, uns gegen den Wind noch einmal zu halten, und in Lee haben wir die fatalste Sandküste, die sich ein Mensch eben zu wünschen braucht. - Wer weiß, ob uns nicht schon vor Tag der Hals voll Wasser gelaufen ist!"

„Das ist ja eine schreckliche Unke," brummte der Lohgerber. „Hals voll Wasser laufen - ja wohl, wer das Maul aufmacht, hätte das Vergnügen schon vor einer Stunde haben können."

„Glauben Sie wirklich, daß es noch einmal anfängt?" rief eine der Frauen, die dem Gespräch zugehört hatte /73/ und sich jetzt, mit einem kleinen Kind auf dem Arm, ängstlich zwischen die Männer hineindrängte, dem Alten zu.

„Ach papperlapapp!" rief aber der Schneider ärgerlich. „Herr Meier weiß eben auch nicht mehr davon wie wir Anderen, und da uns noch nichts gemeldet worden, brauchen wir uns auch an nichts zu kehren. Die Matrosen werden die Geschichte schon wieder in Stand setzen; sie haben ja eine ganze Portion Nothmasten und andere Stücke Holz, die sie zu Querbalken und Latten gebrauchen können, an Bord, und die Segel sind auch wieder zu flicken; das ist keine Kunst."

„Ehe der Morgen dämmert, sind vielleicht so viele Nähte6 an dem alten Kasten auszubessern, daß alle Schneider der Welt eine Lebenszeit daran zu thun hätten," brummte der Alte wieder - „'s wäre mir lieb, wenn ich mich irrte. Hat Jemand von Euch hier einen Barometer?"

„Einen Korkzieher habe ich bei mir," sagte der Schneider, „aber einen Barometer nicht."

Die Anderen lachten, und Meier, wie der alte Mann hieß, zog sich finster auf seine eigene Kiste in die vordere Ecke zurück, wo er, mit seinem Rücken an die Koje gelehnt und vollkommen im Schatten, keinen Antheil an dem Gespräch weiter nahm und sitzen blieb.

„Wichtigthuer," brummte der Schneider noch mürrisch hinter ihm her - „der Art Leute meinen immer, wenn sie nur recht 'was Unglückliches prophezeien können, nachher hätten sie Recht, und dann soll man sie für 'was Großes ansehen - Hals voll Wasser laufen - ja wohl und was sonst noch."

„Na, so viel weiß der Capitain ja wohl auch noch," sagte der Lohgerber, „und wenn der glaubte, daß Gefahr bei der Sache wäre, führ' er doch gewiß einfach an's Land und ließe uns aussteigen. Ich hab's in meinem Contract, daß er uns sicher hinüber bringen muß."

„Herr Gott von Danzig," mischte sich der Schuster, der /74/ bis dahin ziemlich still und vor sich hinbrütend gesessen hatte, mit in das Gespräch, „was die Kerle da oben an Deck herumtrampeln und einen Spectakel machen, als ob sie die Planken durchtreten wollten. Das thun sie uns doch nur justament zum Possen, gerad' über unseren Köpfen hin."

„Ich will einmal hinaufgehen und zuschauen, wie's oben aussieht," sagte der Schneider, indem er aufstand und seinen Hut hinter sich von der Kiste nahm; „wenn der Koch nur noch heiß Wasser in der Cambüse hätte, daß man sich einen Grog machen könnte - auf den Schreck und die Nässe wär' der famos."

„Donnerwetter, ja, Heidelberger, versuchen Sie's einmal," rief der Schuster, von dem Gedanken ergriffen, „wenn Sie dem Burschen ein paar Groschen in die Hand drücken, thut er's auch, und nachher legen wir zusammen."

Der Schneider stieg mit dem doppelten Auftrag an Deck, und das Gespräch drehte sich unten indessen um allerlei häusliche Angelegenheiten, umgestoßene Senfbüchsen, ausgelaufene Milch- und Essigkrüge, zerbrochene Flaschen und Tassen und durchweichten Zwieback. Nur die Frauen drängten sich noch manchmal ängstlich heran, wenn das Schreien und Stampfen der Matrosen an Deck gar zu arg wurde, und wollten wissen, ob der Sturm wieder angefangen hätte zu wehen. Von den Männern wurden sie aber gewöhnlich kurz abgefertigt, und die meisten waren auch durch das erneute Schaukeln zu unwohl geworden, sich in lange Gespräche einzulassen - wenn die Matrosen an Deck nur nicht gar solch' entsetzlichen Spectakel gemacht hätten!

Oben an Deck wurde jetzt die große, vorn hängende Schiffsglocke in regelmäßigen Schwingungen angezogen, während zugleich Heidelberger, der Schneider, wieder nach unten kletterte, mit dem einen Fuße von der Leiter ab vorsichtig nach seiner Kiste fühlte, und dabei sagte:

„Herr Du meine Güte, ist das eine Finsterniß und ein Nebel da oben; keine Hand kann man vor Augen sehen."

„Vierzehn, fünfzehn, sechzehn, siebzehn, achtzehn -" zählte der Lohgerber - „an was schlagen die denn da oben an? Die Uhr ist wohl mit ihnen durchgegangen." /75/

„Nein," sagte der Schneider, der an Deck zufällig gehört batte, wie der Befehl dazu gegeben wurde, „das ist immer bei Nebel, und soll nur ein Zeichen sein, daß wir mit keinem andern Schiff zusammenrennen."

„Wie sieht es denn oben aus, Herr Heidelberger?" frug die Frau des Instrumentenmachers, ein junges, blühendes Weibchen, die eben ihr Kind beruhigt hatte, aber aus Sorge selber nicht schlafen konnte.

„Stockpechrabenschwarze Dunkelheit, verehrte Madame Halter," erwiderte Heidelberger achselzuckend, „man kann nicht einmal bis dahin an die Masten hinauf sehen, wo die Stücken abgebrochen sind; kein Stern am Himmel, keine Ecke Mond, kein Leuchtfeuer mehr zu sehen - blos noch Licht in der Cambüse und am Compaß -"

„Nun, kriegen wir heiß Wasser?" frug der Schuster schnell.

„Der Koch bringt's selber herunter," lachte Heidelberger, „der trinkt auch gern einen Schluck und will die Gelegenheit nicht unbenutzt vorüberlassen. Sie sind gleich fertig mit ihren Arbeiten, und dann hat er „seine Wacht zur Koje", wie er gesagt. Es geht übrigens kein Lüftchen mehr oben, und die Segel hängen wie Lappen am Mast herunter."

„Das wär' bös!" sagte Meier, jetzt zum ersten Mal wieder aus seiner Ecke aufstehend und ebenfalls an Deck kletternd.

„Bös?" brummte der Schuster hinter ihm drein. „Jetzt seh' Einer den Holzkopf an; ärgert sich, weil es still geworden und der Sturm nicht gekommen ist, den er prophezeit hat - alter Barometermacher, der."

„Ach, laß ihn gehen," sagte aber Heidelberger, „wir wollen lieber unterdessen Alles zum Grog zurechtmachen, bis der Koch mit dem Wasser kommt - er meinte, der Capitain müßte nur erst von Deck sein, daß er nicht etwa 'was merkte. Vor dem Alten hat er einen heillosen Respect."

Oben an Deck wurde es jetzt ruhig - es war wirklich so dunkel, daß sie keine weitere Arbeit vornehmen konnten. Was sich von den abgeschlagenen Spieren und dem Takelwerk bergen ließ, lag an Deck, die Segel, die jetzt angebracht werden konnten, standen, den geringsten wiederkehrenden Luftzug zu /76/ fangen, und alles Weitere mußte bis zu dem dämmernden Tag verschoben werden, wo sich der erlittene Schaden dann freilich erst ordentlich übersehen ließ. Nur die eine Beruhigung hatten sie, daß sich kein Wasser im Raum fand. Der Schlag, der die Stengen über Bord jagte und das ächzende Schiff bis in seinen Kiel hinab erschütterte, hatte nicht vermocht, die Nähte zu trennen oder zu lockern, und sie durften hoffen, am nächsten Tag einen Hafen irgendwo an der englischen Küste anzulaufen, um dort den erlittenen Schaden wieder auszubessern. Freilich mußte das die Reise um Wochen lang verzögern.

Wie still und unheimlich das auf dem Wrack jetzt aussah, mit den an Bord geholten gebrochenen und zersplitterten Hölzern, den zerrissenen Segeln und wirr durcheinander geschlungenen Tauen, und wie das klappte und schlug von noch locker hängenden Enden und losgegangenen Blöcken, die mit dem faulen Schlingern des Schiffs, das keinen Widerhalt im Wind mehr fand und auf den Wogen herüber und hinüber taumelte, an die Maststumpfe und großen Raaen klopften. Dick und schwer lag dabei ein feuchter Nebel auf dem Wasser, daß man nicht einmal von Bord zu Bord des eigenen Schiffes sehen konnte, und was dabei das Schlimmere war: er verdeckte auch das Licht der Leuchtthürme, das Einzige, wonach der Capitain im Stande gewesen wäre den Platz jetzt zu bestimmen, wo er sich gerade befand, und die Strömung zu erfahren, die ihn, wie er fast fürchtete, dem südlich gelegenen flachen Land zu setzte. Hierüber mußten sie sich aber Gewißheit verschaffen, und die war auch außerdem durch das Senkblei zu bekommen.

Mit dem kleinen Loth erreichten sie allerdings noch keinen Grund, das größere ergab jedoch eine Tiefe von fünfzig Faden7, und als sie das Senkblei einige Secunden auf dem Boden liegen ließen, fanden sie ihre Befürchtung der Strömung wegen allerdings gegründet, denn das Schiff trieb über die Leine hin, nach Südosten zu. Trotzdem ließ sich für den Augenblick nichts weiter thun, denn das Wasser war /77/ zum Ankern zu tief und das Ankern selber auch für sie gefährlich. Die Brise konnte nicht mehr lange ausbleiben, dann verzog sich auch wahrscheinlich der Nebel, und ihr einziges Streben mußte jetzt sein, so rasch als möglich einen Hafen zu erreichen. Das Schiff selber war dicht und unbeschädigt, und die paar Hölzer und Segel ließen sich dann bald wieder herstellen.

Fortgang machten sie indessen gar nicht, vielleicht nur eine oder zwei englische Meilen die Stunde, nichtsdestoweniger wurde vorn am Bug die Glocke zeitweilig angeschlagen, ein mögliches Zusammenstoßen mit einem andern Schiff, dem sie kaum hätten ordentlich ausweichen können, zu vermeiden.

Der Capitain hatte jetzt seine Wacht zur Koje und ging nach unten. Was geschehen konnte, war geschehen, und sie durften ihre Kräfte nicht vor der Zeit aufreiben, da man allerdings nicht wissen konnte, was dem arg beschädigten Schiff noch bevorstand. Der Steuermann, der mit seiner Wache an Deck blieb, hatte aber strenge Ordre, das Senkblei von Zeit zu Zeit auswerfen zu lassen, so wie bei einer Veränderung der Witterung, oder sonst etwas Auffälligem, den Capitain augenblicklich zu wecken und davon in Kenntniß zu setzen.

*

„Na, da kommt er endlich!" rief unten im Zwischendeck Heidelberger, als der Koch, ein eben nicht besonders reinlich aussehender Bursche, mit einem großen dampfenden Blechgefäß in der Hand, rasch die schmale Treppe, die in der Vorderluke lehnte, herabstieg, sich die Mütze dann abnahm und den Schweiß von der triefenden Stirn mit einem rothbaumwollenen Tuche abtrocknete.

„Hurrah, der Koch soll leben!" wollte der Schuster eben, in dem Vorgefühl bald befriedigten Durstes, ausrufen, als ihn aber das also zu ehrende Individuum selber eben nicht sanft gegen die Schulter stieß und bedeutete, „das Maul zu halten“.

„Hol' Euch doch der Henker hier mit Eurem ewigen /78/ Brüllen!" knurrte er dabei; „muß' es denn immer gleich das ganze Schiff wissen, wenn man Euch einmal einen Gefallen thun will? - Und dann werdet Ihr überdies nicht mehr lange zu hurrahen haben - beten wär' Euch besser und nützlicher."

Der Koch war ein mürrischer, finsterer Gesell, trotzdem aber mit einem ziemlichen Theil trockenen Humors begabt, der ihn schon bei seinen Passagieren sehr beliebt gemacht hatte. Auch kochte er nicht übel und verstand die Behandlung einer Auswanderungsküche aus dem Fundament. Nur mit der Reinlichkeit sah es nicht besonders aus, und das in tausend kleine bewegliche Falten gezogene Gesicht ließ ihn dabei immer noch schmutziger erscheinen, als er vielleicht wirklich war. Der einzige Fehler nur klebte ihm an: er trank, und ließ sich auch deshalb mehr und intimer mit den Passagieren ein, als das auf der langen Reise für den Koch nützlich und den Officieren des Schiffes angenehm ist. Die Auswanderer führten aber eine Menge spirituöser Getränke bei sich, und denen konnte er, da an Bord selber kein Branntwein verabreicht wurde, nicht widerstehen.

„Beten? Hallo, was ist nun im Wind?" lachte der Schneider, der ihm indessen das Wasser abgenommen hatte, und einen Theil desselben in eine große Blechkanne auf die darin schon vorbereitete Mischung von Rum und Zucker goß; „weil die paar Stücken Holz und Ellen Leinwand über Bord gegangen sind?"

„Der Klabautermann ist fort!" flüsterte aber der Koch dem Schneider heimlich zu, und sah sich dann scheu im Kreise um, die Wirkung zu beobachten, die diese Worte auf die Umstehenden machen würden.

„Der Klabautermann?" rief der Schneider erstaunt und lachend, denn es war das erste Mal in seinem Leben, daß er den Namen auch nur erwähnen hörte - „wer heißt Klabautermann? Nennt Ihr einen von Euern Masten so?"

„Kennt Ihr den Klabautermann nicht?" rief der Koch, auf's Aeußerste erstaunt - „na Gott sei Dank, weiß nicht einmal, wer der Klabautermann ist, und geht zur See; Ihr Passagiere seid noch schrecklich dummes Volk." /79/

„Na, Donnerwetter, woher sollen wir denn in Preußen erfahren haben, wer der Klabautermann ist?" brummte der Schuster - „heraus mit ihm denn, was ist mit ihm los, und wo ist er hin?"

„Fort ist er," sagte der Koch wieder mit unterdrückter Stimme - „fort und vom Schiff, und nun ist die Geschichte aus."

„Aber wer ist der Klabautermann?" rief der Lohgerber, jetzt auch ungeduldig werdend - „schwafelt der Mensch da in den Tag hinein, daß keine Seele daraus klug wird, und antwortet auf keine vernünftige Frage. Was haben wir mit dem Klabautermann zu thun?"

„Was Ihr mit dem Klabautermann zu thun habt?" wiederholte der Koch, „das wird Euch bald klar werden. Der Klabautermann ist der Schiffsgeist, ein kleines kurzes Männchen, ganz wie ein Matrose angezogen, der unten im Raum der Fahrzeuge seine Wohnung hat, und das Schiff, wenn ihm ein Unglück bevorsteht, warnt, sobald es aber nicht mehr zu retten ist, von Bord geht und nicht wiederkommt. Wenn die Ratten und der Klabautermann ein Schiff verlassen, dann gnade Gott der Mannschaft!"

„Na, die Geschichte muß uns der Koch nachher einmal ein bischen näher auseinandersetzen," sagte der Instrumentenmacher, der ungemein gern Geschichten erzählen hörte, „jetzt macht nur, daß Ihr mit Eurer Mischung fertig werdet, denn der Schreck vorhin und die Nässe sind mir dermaßen in die Glieder geschlagen, daß mich's ordentlich wie im Fieber schüttelt. Dagegen ist ein guter Grog die beste Medicin, und ich habe hier auch noch eine famose Flasche Rum."

„Bravo," sagte Heidelberger, „solche milde Beiträge lassen wir uns gefallen - der Wohlthätigkeit werden keine Schranken gesetzt, und Eure Becher her, Ihr Leute. Wer ist denn da hinten noch so seekrank? Herr Du meine Güte, würgt der Mensch-“

„Das ist der Nadler aus Nummer Sieben," lachte der Lohgerber; „so wie sich das Schiff anfängt zu bewegen, liegt der auf der Nase."

„So gebt ihm einen Schluck von der Mischung hier," /80/ meinte der Instrumentenmacher gutmüthig, „das wird ihn wieder auf die Beine bringen."

Des Nadlers Frau wurde gerufen, um ihrem Mann etwas von dem Grog zu bringen, der aber stöhnte und ächzte, und weigerte sich zu trinken, und bat, man solle ihn lieber über Bord werfen. Die Anderen lachten und nahmen weiter keine Notiz von dem Seekranken.

Die Becher wurden indeß fleißig gefüllt und geleert; der Schreck von heut Abend war Manchem in die Glieder geschlagen, und von allen Seiten kamen Flaschen und Krüge mit Rum gefüllt aus den verschiedenen Kojen vor, daß der Koch noch zweimal in die Cambüse mußte, mehr heißes Wasser herbeizuholen. - Der Steuermann trank ebenfalls gern ein Glas, und wenn es ihm auch nicht einfiel, das mit den Zwischendecks-Passagieren zu thun, ließ er es doch geschehen, daß ihnen der Koch gefällig sein durfte - noch dazu an dem heutigen Abend. Auch Meier hatte sich bei der Bowle eingefunden, von der er aber oft fort und nach oben ging, um nach dem Wetter und Wind zu sehen.

Der Koch, der dem Grog fleißig zugesprochen, übrigens eine sehr bedeutende Quantität davon vertragen konnte, hatte indeß den aufmerksam und vergnügt lauschenden Passagieren die Sage vom Klabautermann ausführlich erzählen müssen. Es war ein kleiner gemüthlicher Geist, ein Ueberbleibsel noch der alten Heinzel- oder Wichtelmännchen, der im Innern des Schiffes, aber immer nur einzeln und einsam, sein Quartier aufgeschlagen und die weitesten Reisen mit dem einmal erwählten Fahrzeug machte. Bei gutem Wetter ließ er sich dabei weder hören noch sehen, und kam nicht vor; wenn aber dem Schiff Gefahr drohte, rief er aus den Masten herunter den Leuten zu, zu reefen, oder warnte sie auch wohl vor drohenden Klippen und Bänken, und nur wenn das Schiff rettungslos verloren war, nahm er sein kleines Matrosenkistchen, das er, wie jeder andere Seemann, bei sich führte, unter den Arm und zeigte sich gewöhnlich noch einmal, ehe er ging, denen an Bord, die er während seiner Anwesenheit am liebsten gehabt. Nachher war er fort, und was aus ihm wurde, konnte Niemand sagen.

Heut Abend aber war er fortgegangen. Er, der Koch, der ihm immer die gebührende Ehrfurcht erwiesen, und dem er deshalb auch gut geblieben war, hatte ihn mit eigenen Augen gesehen, und wenn Einer von ihnen wieder das Land sehe - meinte der Mann mit leiser, unheimlich flüsternder Stimme - sei es ein Wunder des Himmels.

Die Passagiere, die den Koch dicht umdrängten, hatten im Anfang über das „Märchen" gelacht und ihren Spaß damit gehabt; als der Mann aber so gar ernsthaft dabei blieb und das überdies finstere und faltige Gesicht noch weit mehr zusammenzog und die Kunde, die auch sie so nahe betraf, so geheimnißvoll flüsterte, daß man ihm wohl ansehen konnte, wie er selber jede Silbe glaube, wurden doch auch Manche der vorher noch ganz Beherzten und Ungläubigen stiller — das Lachen verstummte, und die noch immer unheimlich durch die Nacht tönenden Schläge der Schiffsglocke über ihren Häuptern mahnten sie dabei, daß allerdings nicht Alles an Bord sei, wie es eigentlich sein solle.

„Aber es giebt doch keine Geister," sagte endlich der Instrumentenmacher, der das ihm fatale Grausen zuerst abzuschütteln suchte mit einem allgemeinen Beweisgrund gegen jede derartige Erzählung.

„So? - giebt es nicht?" erwiderte ihm der Koch, ohne von seinem Becher aufzuschauen - „und mich haben sie wohl nicht einmal an der Weser drüben zehn Meilen in's Land hinein gesetzt, ohne daß ich wußte wie?"

„Zehn Meilen in's Land?" rief der Schneider erstaunt.

„Zehn Meilen in's Land," bestätigte der Seemann, den Becher jetzt bis auf den letzten Tropfen leerend und wieder zum Füllen gegen Heidelberger vorstreckend, „und die Geschichte war merkwürdig genug. Wir lagen mit dem Robert Fulton, einem andern deutschen Schiff, auf dem ich damals meine erste Reise als Koch machen sollte, unter Bremerhafen vor Anker und warteten auf den letzten Lichter, der mit Fracht von Bremen herunter kommen mußte. Abends nach dem Essen schickte mich der Capitain mit dem Kajütsjungen und zwei Leuten an Land, um in dem nächsten Dorf eine Partie Eier und Hühner und andere Sachen für die Kajüts /82/Passagiere und den Capitainstisch einzukaufen. Der Eine von den Leuten, die ich mithatte, war aber ein alter Matrose, der damals schon seine sechzig Jahre auf dem Rücken haben mochte und die ganze Zeit, von Kindheit auf, zur See zugebracht hatte, und der behauptete, daß ihm an dem nämlichen Abend der schwarze Mann an Bord erschienen sei."

„Der schwarze Mann?" rief der Lohgerber, der mit offenem Munde der Erzählung lauschte.

„Ja, der schwarze Mann," bestätigte der Koch, „auch so ein Wesen, das sich nur sehen läßt, wenn es mit Einem von uns zu Ende geht, und der alte Bursche, sonst immer einer der Flinksten und Muntersten von Allen, ließ den Kopf hängen und sprach kein Wort. Wir anderen jungen Burschen lachten ihn jetzt aus, neckten ihn, daß er einen Schluck zu viel genommen und den Pumpstock für den schwarzen Mann angesehen habe, und ich - ein junger Kehrdichannichts, der ich damals war - trieb es am tollsten, ja behauptete zuletzt sogar, es gäbe gar keine Geister, weder schwarze noch Klabautermänner, und rief, wenn wirklich welche da wären, sollten sie sich mir auch einmal zeigen, und dann wollte ich an sie glauben. Der Alte bat mich nun zwar, ich möchte still sein; wenn ich älter würde, erfuhr' ich das Alles überdies noch zeitig genug; mit ein paar Gläsern Grog im Kopf machte ich mir aber aus der ganzen Sache nichts und trieb es toller als vorher. Unter der Zeit war es ziemlich dunkel geworden; das Dorf lag jedoch keine fünfhundert Schritt vom Fluß ab und ein breiter Fahrweg lief von der Landung gerade daraus zu, so daß wir gar nicht irre gehen konnten. Wir machten also unser Boot fest, stiegen an's Land und fanden auch glücklich den Platz, wo wir kauften, was wir brauchten, und dann mit den Sachen den Rückweg antraten.

„Ziemlich schwer zu tragen hatten wir übrigens und gingen deshalb einzeln hintereinander her auf der Straße, ich hintennach, weil ich auf das Ganze sehen mußte. Gerade halbweg zwischen dem Dorf und Fluß lag ein kleines Erlendickicht, vielleicht hundert Schritt breit, wie denn überhaupt die ganze Entfernung vom Dorf bis nach der Weser ja kaum einen Büchsenschuß betrug. Als wir nun mitten im Erlen-/83/busch drin sind, hör' ich links neben mir, vielleicht zehn Schritt vom Wege ab, den Alten fluchen und mich rufen; er wäre von der Straße abgekommen und hätte ein paar Hühner verloren. „Na, ja," sag' ich, „und in der Dunkelheit - wie sollen wir die nur wieder finden," und dann rief ich ihm zu, er möchte stehen bleiben, wo er wäre, ich wollte zu ihm kommen. Den Korb, den ich trug, behielt sich übrigens umhängen und drängte mich durch die kleinen Büsche der Stelle zu, wo ich ihn noch immer hören konnte; - auf einmal war Alles still. - „Steffen," sagte ich - keine Antwort - „Steffen, wo steckst Du denn - mach' keine Dummheiten -" keine Antwort.

„Jetzt wurde mir's unheimlich zu Muthe, und was ich heute mit dem Alten gesprochen, fiel mir wieder ein; dann dachte ich aber auch daran, daß er mich wahrscheinlich zu fürchten machen wollte, weil ich nicht an Geister geglaubt hatte, und nun fing ich an zu lachen und rief ihm zu, so dumm wär' ich nicht, daß ich mich bange machen ließe. Wenn er das Maul nicht aufthun wollte, damit ich ihn im Finstern fände, möcht' er stehen bleiben wo er wär', und arbeitete mich dann wieder rasch zurück auf die Straße - mit dem schweren Korb war's auch in den doch ziemlich dichten Büschen eben nicht angenehm zu marschiren.

„Die Anderen konnten übrigens kaum hundert Schritt vor mir sein, und da mir's doch jetzt, wie Alles so still und ruhig um mich war, ein wenig unheimlich zu Muthe wurde, schrie ich ihnen laut nach, auf mich zu warten - keine Antwort. Ich schrie noch einmal, und wie ich jetzt immer noch nichts hörte, fing ich an auszukratzen, und lief, so rasch ich mit meinem schweren Korbe nur vorwärts kommen konnte, dem Flusse zu. Es war jetzt so dunkel geworden, daß man keine Hand mehr vor den Augen sehen konnte, vor mir aber schimmerte ein Licht - wie ich glaubte aus meiner eigenen Cambüse an Bord - und ich fing jetzt wieder an ein wenig aufzuathmen und langsamer zu gehen. Sonderbar kam es mir freilich dabei vor, daß ich noch immer Büsche zur Seite hatte, und vorher war mir es doch, als ob das Ufer vollkommen von Buschwerk gewesen wäre. Ich dachte mir aber doch /84/ nichts weiter dabei und kam dem Lichte immer näher; - das Schiff war es aber nicht, und, Jungens, ich sage Euch, der Schweiß trat mir in großen Tropfen auf die Stirn, als ich plötzlich vor einem kleinen niedern Hause stand, aus dessen Fenstern ein Licht schimmerte, und von Fluß oder Schiff auch nicht die Spur zu finden war."

„Natürlich," lachte jetzt der Instrumentenmacher, „Sie hatten sich vorher in der Angst falsch herumgedreht und waren, anstatt nach dem Fluß zu, wieder nach dem Dorf zurückgelaufen."

„Das dacht' ich auch," erwiderte der Koch, der jetzt in der Erinnerung an das damals Geschehene selbst des Trinkens vergaß, „setzte den Korb nieder, um ein wenig auszuruhen, und wollte dann eben umdrehen, als ich aus dem Dorf heraus einen Wagen kommen hörte, der jedenfalls nach dem Strom zu fuhr. Die Schultern thaten mir überdies von dem Schleppen weh, und ich beschloß den Wagen abzuwarten und meinen Korb da aufzusetzen. Der Wagen kam auch und hielt, als ich ihn anrief, und der Fuhrmann, der erst dicht zu mir herantrat, um zu sehen, wen er vor sich hätte, sagte ganz freundlich, er wolle meinen Korb gern mitnehmen, und ich möchte mich dazu oben aufsetzen. „Aber wo wollt Ihr denn hin," frug er mich dann, „mit dem schweren Ding?" - Blos bis zum Fluß, sagte ich. - „Zur Elbe?" - Ja Gott bewahre, zur Weser. „Zur Weser?" rief der Mann er staunt aus, „an die Elbe meint Ihr wohl." - Nein, sagte ich wieder, an die Weser, mein Schiff liegt ja drüben, dicht unter Bremerhafen. - „Na, Du lieber Himmel!" rief da der Mann, „da habt Ihr noch einen schönen Weg vor Euch, und bliebt am besten hier über Nacht, vielleicht könnt Ihr dann morgen früh eine Fuhre dorthin bekommen; durch den Ort durch müßt Ihr doch." Durch den Ort durch? rief ich erschreckt, ja das ist ja doch gar nicht möglich, ich kann doch nicht darum hingelaufen sein. „Das weiß ich nicht," lachte der Fuhrmann, „aber die zehn Meilen seid Ihr doch nicht mehr im Stande heut Abend mit der Last zu machen." Zehn Meilen? schrie ich, und ich konnte mich vor Schreck kaum auf den Füßen erhalten, so fingen mir die Kniee an zu zittern; - das kann ja aber gar nicht sein, denn ich bin vor einer Stunde etwa - der Fuhrmann ließ mich aber gar nicht ausreden und meinte: „Kann nicht sein; - wenn Ihr die mit dem Korb da laufen wolltet, würdet Ihr glauben, es wären fünfzehn. Von Buxtehude aus werden's zehn gute Meilen nach der Weser gerechnet." - Aber das ist doch nicht Buxtehude? schrie ich, halb todt vor Schreck. - „Das ist Buxtehude, Freund," sagte der Mann; „doch ich muß fort jetzt, will noch die Nacht nach Harburg und habe ebenfalls einen langen Weg vor mir. Gleich links, wenn Ihr in's Städtchen kommt, ist ein gutes Wirthshaus, da könnt Ihr übernachten," und damit schwang er seine Peitsche um den Kopf, trieb seine Pferde an und ließ mich allein auf der Straße stehen. Wie mir aber zu Muthe war, könnt Ihr Euch denken - und der Mann hatte Recht. Ich mußte die Nacht in Buxtehude bleiben, wo sie mir aber mein Unglück nicht glaubten und mich für einen Deserteur von einem Hamburger Schiff hielten. Dorthin wurde ich am nächsten Morgen geschickt, und später erst mit meinem Korb nach Bremen ausgeliefert, mein Schiff war aber indessen natürlich abgesegelt, und ich blieb zurück."

„Koch, Ihr gingt besser nach oben und wecktet den Capitain," unterbrach.plötzlich Meier's tiefe und hochklingende Stimme das athemlose Schweigen, das der Erzählung des Kochs gefolgt — „es ist die höchste Zeit."

„Höchste Zeit?" rief der Koch, erschreckt aufspringend; „was ist nun wieder los?"

„Noch nichts," sagte Meier, „aber es kommt, der Wind hat sich nach Nordwesten gedreht und - es riecht draußen nach Schwefel.“

„Ich hätte bald 'was gesagt," brummte der Koch ärgerlich; „wenn der Steuermann den Alten wach haben will, wird er ihn schon selber wecken. Bis er nicht morgen früh das Frühstück verschläft, weck' ich ihn gewiß nicht."

„Wir werden morgen früh wohl kein Frühstück brauchen," sagte Meier rughig und setzte sich wieder auf den Platz in die Ecke.

„Um Gottes willen, was ist vorgefallen?" riefen ein paar /86/ der leicht geängstigten Frauen, die den Platz umstanden und der Erzählung des Kochs ebenfalls gelauscht hatten; „hat der Sturm wieder angefangen?"

„Unsinn," sagte der Koch, der aufgestanden war und durch die Luke nach oben gehorcht hatte; „es ist todtenstill draußen - man kann die Segel an die Masten schlagen hören."

Die Zwischendecks-Passagiere waren aber, schon durch die Erzählung aufgeregt, ängstlich gemacht worden, tranken ihre Becher aus und stiegen nach oben, um selber zu sehen, wie es an Deck ausschaue. Die See lag todtenstill und der Nebel noch immer dick und schwer auf der Fluth. - Wie das so unheimlich um sie her rauschte und schwoll und in dem zerrissenen Takelwerk klapperte und schlug! Vorn am Bug standen die wachthabenden Matrosen und hatten eben wieder das Senkblei ausgeworfen, das diesmal dreißig Faden gab. Mit einem Flaschenzug holten sie das schwere Blei herauf, und der Steuermann ging langsam auf dem Quarterdeck auf und ab.

Hinten an der kleinen Compaßglocke schlug es elf Uhr, die große Glocke vorn antwortete den Schlägen; der Mann am Steuer wurde abgelöst und das Log geworfen, die Fahrt des Schiffes zu prüfen; die Brise hatte sich ein klein wenig verstärkt und das Schiff lief drei Meilen durch's Wasser, aber dicht am Winde, der jetzt gerade von Nordwesten zu wehen anfing. Als Log- und Senkbleiwerfen vorüber war, nahm Alles wieder seinen ruhigen Gang, und der Steuermann stieg in die Kajüte hinunter, um Lauf und Richtung des Schiffes, wie vermuthete Abdrift, auf seiner Tafel für die letzte Stunde zu notiren.

Die Zwischendecks-Passagiere blieben eine Weile an Deck, da sich aber nichts Außergewöhnliches erkennen ließ und die Nachtluft kalt und unfreundlich über die See herüberkam, stiegen sie nach und nach wieder einzeln hinunter, ihre Kojen zu suchen.

Es war recht still unten geworden; die Passagiere lagen sämmtlich in ihren Betten, der alte Meier ausgenommen, der noch immer angezogen vor seiner Koje auf der Kiste saß und den Kopf in beide auf die Kniee gestemmte Arme gestützt hatte. Nur das Schnarchen und regelmäßige Athmen der Schläfer /87/ unterbrach die Ruhe, und dann und wann einmal das ängstliche Aufschreien eines Kindes, das von der Mutter wieder beschwichtigt wurde.

Ein hohler, brausender Laut tönte über das Wasser, dem die dröhnenden Schritte der rasch über das Deck laufenden Matrosen folgten. Meier hob den Kopf, horchte einen Augenblick und stieg langsam nach oben.

„Capitain, kommt an Deck!" rief der Steuermann mit lauter, fast ängstlicher Stimme in die Kajüte hinunter, daß die Kajüts-Passagiere ebenfalls in ihren Betten auffuhren und die Männer sich rasch ankleideten. Der Capitain hatte unausgekleidet auf seinem Bett gelegen, sprang mit beiden Füßen aus seiner Koje, griff seinen Südwester und den dicken Ueberrock auf, sie unterwegs aufzusetzen und anzuziehen, und stand im nächsten Augenblick neben dem Steuermann und dem Ruder vor dem Compaß.

„Was ist, Steuermann, was giebt's?" frug er mit ruhiger Stimme.

„Es kommt!" sagte dieser lakonisch.

„Wie viel Faden?"

„Zwanzig," lautete die Antwort.

„Böser Platz, wo es herweht," sagte der Capitain, nach dem Compaß sehend und seinen Rock dabei anziehend, „aber wir können mit bestem Willen nicht mehr Segel anbringen, und wenn's zu arg wird, müssen wir sehen, daß wir irgendwo Anker werfen."

„Wär' eine schlimme Geschichte," brummte der Steuermann zwischen den Zähnen durch, „hallo, wie das zu heulen anfängt!"

„Werft das kleine Loth noch einmal," sagte der Capitain, während er den Fortgang seines armen Schiffes beobachtete und einen scheuen Blick nach Lee hinüber sandte. „Wenn man wenigstens die Leuchtfeuer erkennen könnte! Wie viel Uhr ist's?"

„Dreiviertel auf Zwölf," sagte der Mann am Ruder, indem er sich bückte und nach der im Compaßgehäuse hängenden Uhr sah.

„In einer Viertelstunde wissen wir, woran wir sind," /88/ meinte der Steuermann - „wie viel Faden?" rief er dem vorn postirten Matrosen zu.

„Bei der Mark neunzehn," lautete die Antwort.

„Wie viel Kette haben wir oben, Steuermann?" fragte der Capitain.

„Ungefähr vierzig Faden."

„Ist der zweite Anker klar?"

„Noch nicht."

„Laßt ihn klar machen."

Ueber die Wasser heulte es dabei in scharfem, pfeifendem Ton herüber und schäumte und zischte über die erregte Fluth. So scharf als möglich lag das seiner meisten Segel beraubte Schiff dabei gegen den Wind an, aber nicht verkennen ließ es sich, daß es, mit zu wenig Kraft den schweren Bau vorwärts zu treiben, unverhältnißmäßig viel Abdrift machte und mehr und mehr nach Lee hinübersetzte.

Von den Kajüts-Passagieren kamen jetzt ebenfalls mehrere an Deck und frugen den Capitain ängstlich, ob Gefahr vorhanden sei. So freundlich und zuvorkommend aber dieser auch sonst gegen seine Passagiere war, so kurze, abfertigende Antwort bekamen sie jetzt, wo er andere Sachen im Kopf hatte, und er bat sie mit ziemlich dürren Worten, in ihre Kojen wieder zurückzugehen, da sie an Deck doch nichts helfen könnten und nur im Wege ständen.

Es war zwölf Uhr, der Wind hatte sich wieder zu vollem Sturm erhoben und die leichterregte See rollte mit den kurzen aber schweren Wogen ärgerlich gegen den Bug des Schiffes an, über den sie die schäumenden Kronen an Deck spritzte; die weißen, zähen Nebelschwaden wälzten sich dabei in dichten Massen vor ihm her, dem Lande zu, und wenn sie auch, hier und da zerrissen, einen Blick nach den jagenden Wolken verstatteten, hüllten sie doch das leewärts gelegene Land noch immer in tiefe Nacht.

„Bei der Mark siebzehn!" tönte der monotone Ruf des am Senkblei stationirten Matrosen, und die schwere Kette des Starbordankers rasselte, von der jetzt ebenfalls an Deck gerufenen andern Wache gehoben, der Ankerwinde zu.

„Bei der Mark sechzehn -" /89/

„Steuermann, wir müssen wahrhaftig den Anker fallen lassen!" rief der Capitain; „steht bei da vorn, Anker klar?"

„Alles klar, Capitain!" lautete die Antwort.

„Wie viel Faden jetzt?"

Der zischende Schlag des Senkbleis auf das Wasser antwortete der Frage, und gleich darauf tönte wieder der eintönige Ruf:

„Bei der Mark zwölf!"

Noch immer zögerte der Capitain - sie konnten sich gerade hier an einer Bank befinden, die sie vielleicht im nächsten Augenblick passierten. Solcher Art in offener See zu ankern, wo die Wogen mit ungebrochener Kraft heranwälzen können, ist auch immer eine ängstliche, gewagte Sache; so lange er sich flott halten kann, thut es kein Seemann.

Wieder wurde das Blei geworfen, und der Ruf zeigte dreizehn Faden.

„Gott sei Dank!" rief der Capitain mit einem aus innerster Brust herausgeholten Seufzer -, „das Wasser wird tiefer - es war richtig nur eine Bank."

„Bei der Mark vierzehn -"

„Bravo, mein Bursche, fahr so fort!"

„Bei der Mark vierzehn ein halb."

„Dort drüben, glaub' ich, sehe ich ein Licht durch den Nebel schimmern," rief plötzlich der Steuermann - „dort nach der Richtung hin!"

Der Capitain strengte seine Augen an, das Dunkel zu durchsuchen, und glaubte selber einen Schein zu erkennen.

„Bei der Mark fünfzehn!" rief der Mann.

„Sobald wir das Licht ausmachen können, daß wir herausbekommen wo wir sind," sagte der Capitain, ohne auf das Senkblei jetzt weiter zu achten, „wollen wir die Peilung nehmen, und wenn der Sturm nicht nachläßt, wird uns nichts weiter übrig bleiben, als in Lee Schutz zu suchen."

„Der Henker soll die Küste holen!" brummte der Steuermann; „weiß es Gott, da ankere ich lieber hier mitten im Kanal."

„Bei der Mark elf!" schrie der Mann vorn. /90/

„Elf?" fuhr der Capitain empor; „was ist das - bist Du gewiß? - Steht klar bei Eurem Anker da vorn."

„Alles klar, Capitain!" rief der zweite Steuermann zurück.

„Bei der Mark sieben!"

„Nieder mit Eurem Anker!" gellte der schrille Ruf des Capitains über Deck, und zu gleicher Zeit rasselte die Kette donnernd durch die Klüsenlöcher. In demselben Augenblick aber auch, und noch ehe der Anker den Grund erreicht haben konnte, zitterte das Schiff bis in seinen Kiel hinab von dem furchtbaren Stoß, den es erhielt, und der Capitain mußte sich an den Compaßkasten halten, um nicht vorn überzustürzen.

„Heiliger Gott, wir sind verloren!" schrie eine Stimme vom Bug aus, und eine See wusch hochausbäumend an dem gestrandeten Schiffe über Deck und schleuderte ihre Fluth in die noch offenen Luken des Zwischendecks hinab.

Ein gellender Wehschrei antwortete von dort her, und in der nächsten Minute stürzten die halb entkleideten Passagiere aus Kajüte und Zwischendeck jammernd und wehklagend an Deck»

„Wir sind verloren - wir sind verloren!" tönte der gellende Ruf von den bleichen Lippen, und Männer das, was sie gerade im ersten Augenblick gefaßt, Frauen, ihre Kinder auf dem Arm oder an den zitternden Händen, drängten dem höher gelegenen Quarterdeck zu, um Rettung, Hülfe von dem Capitain zu erflehen.

„Die Luken zu - hinunter mit Euch!" schrie dieser aber, der rasch seine Geistesgegenwart wiedergewonnen hatte, als eine neue Woge sich an der Seitenwand des Schiffes brach und ihre Fluth die steilen Zwischendeckstreppen niederwusch - „die Luken zu - wir füllen sonst das Schiff - hinunter mit den Passagieren, sag' ich!"

Ja, der Befehl war wohl gegeben, aber wie auszuführen? - Nicht allein die eindringende Fluth, sondern auch die wiederholten Stöße, die das seinem Untergang geweihte Schiff erhielt, und die es dermaßen erschütterten, daß sich weder Passagiere noch Matrosen auf den Füßen halten konnten, weckten auch den festesten Schläfer aus seinem Schlum/91/mer und donnerten ihm die furchtbare Wirklichkeit im das betäubte Ohr - wir sind verloren! Wieder ein Stoß, der mit einer Wucht gegen den Kiel traf, als ob die Planken von einander bersten müßten, und schäumend, schmetternd wälzten die mehr und mehr emporgerüttelten Wogen über Deck, wieder und wieder einzelne der Passagiere, die sich nach oben retten wollten, von den Treppen hinunterwaschend. Die Matrosen suchten jetzt die Klappen auf die Luken zu werfen, die übersteigende See zu verhindern hineinzuschlagen, aber der von den Passagieren hatte noch ein Kind unten, der eine Schwester oder Mutter, und die Leute, in der Verzweiflung des Augenblicks ihrer Sinne kaum mächtig, warfen die Matrosen zurück und hielten den Eingang frei und offen.

„Sie wollen uns nicht herauf lassen - da unten sollen wir ersaufen und ersticken, während sie sich in den Booten retten!" schrieen sie dabei. „Nein, die Boote nieder - wir haben unsere Passage bezahlt - wir müssen an's Land gesetzt werden. Herr Capitain, um Gottes willen, die Boote nieder!"

Der Capitain hatte indessen mit vollkommener Ruhe die Wassertiefe um das Schiff her untersuchen lassen, und es blieb bald keinem Zweifel mehr unterworfen, daß sie auf einer weiten gleichhohen Sandbank aufsaßen, wo sie nicht hoffen durften, so bald wieder frei zu kommen. Ja, im Gegentheil schien die Bank in Lee höher, als zu windwärts, und jeder Stoß, den das unglückliche Schiff von den anprallenden Wogen bekam, setzte es höher und fester hinauf.

Die Passagiere, die jetzt über Deck schwärmten, ließen endlich, da sich keiner weiter von ihnen im untern Raum befand, die Luken schließen, die untersuchten Pumpen ergaben aber gleich darauf sieben Fuß Wasser im Raum; das Schiff hatte jedenfalls bei den furchtbaren Stößen einen Leck möglich und Rettung schien nur jetzt in den Booten

Aber guter Gott, wie waren die zu benutzen? Die kleine Jolle hing allerdings unter den eisernen Krahnen, aber Dollen und Ruder fehlten und konnten in der jetzt /92/herrschenden Verwirrung gar nicht gleich gefunden werden8, und das große Boot, die sogenannte Barkasse, stand mitten auf Deck und mußte erst mit Flaschenzügen über Bord gehoben werden.

Die Verwirrung, die indessen unter den Passagieren herrschte, war furchtbar; ein Theil von ihnen riß die Luken wieder auf, hinunter zu klettern und das im ersten Schreck unten vergessene Geld heraufzuholen und zu retten; Andere lagen auf den Knieen und beteten und weinten. Die Frauen drängten, mit ihren Kindern auf dem Arm, der Kajüte zu, den Capitain anzuflehen, nur diese, nur die Kleinen zu retten, und wieder Andere standen, an irgend ein Tau oder Holz geklammert, in stumpfer, starrer Verzweiflung da, ließen die Sturzwellen über sich hinübergehen und sahen mit stierem Blick hinaus über die anstürmenden Wogen, die mit immer wachsender Kraft wieder und wieder gegen das Wrack anschmetterten und es wild und heftiger auf die Sandbank aufstießen. Konnten doch in jedem Augenblick seine Rippen brechen und in Trümmer auseinander bersten.

„Heiliger Gott, Du wirst doch nicht wollen, daß wir hier so elend umkommen sollen!" schrie eine Frau, die, ihre zwei Kinder fest an sich gedrückt, auf den Knieen lag und mit einem umklammerten Tau sich vor dem Werfen des Schiffes zu schützen suchte. Da bäumte eine See, stärker als eine der vorigen, an dem Starbordbug des Fahrzeugs auf und riß, niederschlagend, die Kambüse und einen Theil der Wasserfässer, wie die ganze vordere Schanzkleidung des Larbordquater mit über Bord. Zehn oder zwölf Menschen, die sich dort angeklammert hatten, wurden ebenfalls mit in die See gewaschen, /93/und ihr Wehfgeschrei schlug dumpf und entsetzlich an das Ohr der noch Lebenden, denen sie vergebens die Arme nach Hülfe entgegenstreckten. Auch die Frau war von der Woge erfaßt und an die andere Seite des Schiffes geschleudert worden, wo sie sich wieder festklammerte - aber ein Kind fehlte ihr, und ihr gellender Hülfeschrei übertönte selbst den Sturm. Eine neue Woge brach mit solcher Kraft gegen die Seitenwand des Wracks an, daß sie das Schiff ganz auf die Seite warf, und nur die strenge Disciplin an Bord eines Schiffes konnte noch einen Theil der Matrosen zusammenhalten, den Befehl des Capitains Folge zu leisten und die Barkasse klar zu machen.

„Hurrah, hurrah!" schrie in dem Augenblick der Koch, der - mit dem vollen Bewußtsein, nach der Flucht des Klabautermanns doch hier unterzugehen und zu ersaufen - in die ihm bekannte Vorrathskammer der Kajüte geschlichen war und jetzt mit einem kleinen Anker Rum unter dem Arm auf dem Larbordgangweg hin nach vorn sprang, um seine Beute mit den Matrosen und den Passagieren zu theilen - „hurrah, Jungens, hier ist der Stoff, der uns aus dem Wasser hilft; hier ist die richtige Mischung mit Salzwasser zu nehmen. Ein Spließeisen her, daß wir den Spund herauskriegen. Hol' der Teufel die Boote und den alten Kasten, der Klabautermann ist fort, und die Latten gehen doch in der nächsten Viertelstunde aus dem Leim - hurrah, der Rum soll leben!"

„Her mit dem Rum!" schrieen die Matrosen, in wilder Verzweiflung zu dem letzten Mittel greifend, ihre Todesangst zu betäuben, und der Zimmermann hatte rasch mit einem Spließeisen den Korkspund hinein gestoßen, als der Capitain, ein Enterbeil in der gehobenen Rechten, zwischen sie sprang und aus voller Kraft einen mächtigen Hieb gegen den aufgedrehten und unter dem Schlag zusammenbrechenden Boden führte.

„Wahnsinnige!" schrie er dabei, während er zu gleicher Zeit das Faß mit dem Fuße um- und in das dort strömende Seewasser stieß; „wollt Ihr Euch die letzte Möglichkeit rauben, unser Aller Leben zu retten, und wie feige Schufte, die sich vor dem Tode fürchten, in viehischem Trunk vor Euren Gott treten? An die Arbeit mit Euch, die Barkasse in See, /94/ und bei dem Himmel dort oben, der jetzt seine Schrecken über uns herabgießt, dem Ersten, der einen weiteren solchen Versuch macht, schlag' ich mit diesem Beil den Schädel ein, wie ich dem Faß den Boden ausgeschlagen habe. - In See mit dem Boot!"

„Schade um den Rum!" brummte der Koch, der sich scheu vor der gehobenen Waffe hinter die Uebrigen zurückdrückte; aber die Besseren der Schaar sahen doch ein, daß der Capitain Recht hatte, und warfen sich, trotz der jetzt mit immer wilderer Wuth überschlagenden Wogen, in die Wanten hinauf, die Flaschenzüge oben an den Raaen zu befestigen und das Boot, das sie mit Armeskraft allein gar nicht hätten regieren können, empor zu heben und über zu lassen.

Die Zwischendecks-Passagiere drängten indessen fast sämmtlich dem Quarterdeck zu, das gegen den Anprall der Wogen noch am meisten geschützt lag, und herzzerreißend war der Jammer, das Elend der Unglücklichen. Mütter schrieen nach ihren Kindern, Gatten nach ihren Weibern, und suchten die noch unter den Lebenden, die schon, von den wilden Sturzwellen erfaßt, über Bord in ihr Verderben gerissen waren. Gerade die Männer aber, die sonst mit keckem Wort die Gefahr herausgefordert, betrugen sich am muthlosesten, am verzagtesten von Allen. Der Lohgerber, ein großer, starker Mann, mit ein paar Fäusten wie ein Bär, lag, das Gangspill umklammernd, auf den Knieen und wimmerte zu Gott um Vergebung seiner Sünden und Rettung aus dieser Noth, und der Schneider hing mit beiden Armen in der Starbord- Besanwant und weinte und schluchzte wie ein Kind.

Andere dagegen sahen dem Unvermeidlichen, das über sie hereinzubrechen drohte, mit stillem, entschlossenem Muth entgegen, und unter ihnen der Instrumentenmacher, der sein junges Weib und das zweijährige Kind fest umklammert hielt, sie gegen eine etwaige Sturzsee soviel als möglich zu schützen, während er der an seinem Halse weinenden Frau mit leiser Stimme Muth und Trost einsprach.

Am wildesten geberdete sich einer der Kajüts-Passagiere - ein Kaufmann Wolf, der, in Unterkleidern aus der Kajüte gestürzt, in wirrer Todesangst kaum mehr wußte was er that. /95/

Von einem Ende des Decks taumelte er schreiend zum andern, warf sich vor den Matrosen auf die Kniee und rief, er dürfe nicht sterben, er habe Geld, viel Geld, und sie sollten ihn retten - er würde sie reich, er würde sie steinreich machen. Die Seeleute stießen den Mann mit Ekel von sich, und winselnd lag er zuletzt lang ausgestreckt und mit dem Schwanken des Schiffs herüber und hinüber rollend auf dem Verdeck, kratzte sich die Nägel blutig an den Planken, raufte sich die Haare und fluchte und betete.

Der Einzige von Allen, der kein Wort sprach, keinen Klageruf, keinen Fluch über die Lippen brachte, war Meier. So ängstlich und besorgt er gewesen, ehe das Unglück geschehen war, so ruhig betrug er sich jetzt und trat zwischen die Matrosen hinein, um die von dem Capitain gegebenen Befehle mit ausführen zu helfen. Er war auch der Erste, der nach oben lief, einen Block an der Raae zu befestigen, um die Barkasse überheben zu können, und wie das Tau hindurchgebracht und an Deck eingeholt war, stieg er wieder nieder, faßte es auf und sang vor, wie das an Bord Sitte ist, als ob gar nichts vorgefallen wäre und sie sich auf sicherem Schiff draußen in offener See, statt auf einem zertrümmerten, gestrandeten Wrack befänden.

Sein Beispiel wirkte auch ermuthigend auf den Rest der Seeleute, die sich über ihren früheren Kleinmuth, wie daß sie jetzt ein Passagier beschämte, ärgerten, und unbekümmert um den heulenden Sturm, um die überstürzenden Seen, griffen sie wacker und unverdrossen zu.

Das Aufwinden des Bootes brachte aber eine eigenthümliche Wirkung auf die Passagiere hervor. Da war Hoffnung; ein Mittel, eine Aussicht wurde ihnen geboten, das Land zu erreichen, die gefährdeten Planken, die in jedem Augenblick auseinander zu brechen drohten, zu verlassen, und ohne Verabredung, aber still und sicher, ja Jeder in der Angst, das ihm der Andere zuvorkommen könnte, drängten die Unglücklichen der Stelle zu, wo das Boot über Bord gelassen werden sollte. Nur einmal in dem kleinen Fahrzeug, und sie waren ihrer Meinung nach gerettet.

„Ein Licht - dort ist der Leuchtthurm!" schrie Meier /96/ plötzlich, der bei der Arbeit fortwährend sehnsüchtig den Blick dorthin geworfen hatte, wo er Land vermuthen mußte.

,,Ein Licht! - der Leuchtthurm! Land!" jubelten und schrieen die Passagiere durcheinander. „Gott sei Dank, Gott sei ewig gelobt und gepriesen, oh, er konnte, er wollte uns nicht verlassen!"

Land? - Guter Gott! Noch eine weite Strecke stürmischer See lag zwischen ihnen und dem rettenden Lande, aber die Schiffbrüchigen begrüßten es, als ob sie den festen Boden schon unter sich fühlten.

Jetzt hob sich die Barkasse, von den starken Tauen getragen und von hundert Händen dabei in krampfhafter Angst gezogen, empor, und schwang gleich darauf, durch die schräge Lage des nach Lee zu übergedrückten Schiffes begünstigt, über Bord. Der Capitain erkannte aber ganz das Gefahrvolle ihrer Lage, wenn sich die Passagiere voll wilder Todesfurcht in das hinuntergelassene Boot, das sie nicht alle tragen konnte, geworfen hätten. Zwischen sie springend, bat und beschwor er sie deshalb, nur erst die Frauen und Kinder hinunter- und überhaupt nicht mehr Menschen hineinzulassen, als möglicher Weise in dem kleinen Fahrzeug sicher gegen die Wogen ankämpfen konnten - umsonst. Es war, als ob wilder Wahnsinn die Unglücklichen erfaßt hätte und sie nicht hören wollten.

„Hinunter mit dem Boot!" schrie und brüllte die Schaar - „hinunter damit - sie wollen uns zurücklassen - die Matrosen wollen sich allein retten - hinunter!" Und die losgegebenen Taue ließen im nächsten Augenblick das breite, etwas schwerfällige Boot, rücksichtslos ob es schöpfe oder schwimme, auf die Wogen hinunterschlagen. Glücklicher Weise kam es, nur wenig Wasser einnehmend, unten auf, und das Fahrzeug selber, in dessen Lee es lag, schützte es die ersten Augenblicke vor den anprallenden Wellen.

Ein Theil der Matrosen hatte indessen Ruder und Segel aufgegriffen und war hineingesprungen, wild und blind folgten ihnen dabei Männer, Frauen und Kinder in furchtbarem Gemisch, als ob sie sich an festes, schützendes Land retteten, und nicht in ein schwimmendes, gebrechliches Boot, das /97/ sinken mußte, sobald es mehr bekam, als es tragen konnte.

„Stoßt ab - kappt die Taue!" schrien die unten Befindlichen dabei wirr durcheinander, als sich das Boot mit Menschen füllte - „zurück da - es kann Niemand mehr hinein!“ Aber lieber Gott! was halfen die Rufe, was selbst die Gewalt mit der sich die im Boot des weiteren gefährlichen Andrangs erwehren wollten; die Todesgefahr gab den Schüchternsten Muth und Stärke, und ehe die Matrosen unten im Stand waren, die Taue zu kappen und die Barkasse abzustoßen, war sie bis zum Rand gefüllt. Ja, selbst noch, als sie das Schiff verließ, sprangen Einzelne in die unten kochende Fluth, den Bootrand theils mit den Händen fassend, theils um Hülfe und Rettung die Arme danach ausstreckend. Aber wo war Erbarmen von den selbst Verzweifelten zu hoffen - die Hände der sich Anklammernden wurden abgeworfen, selbst mit Messern zerschnitten, wo sie sich krampfhaft eingehakt, und im nächsten Augenblick trieb das überfüllte Boot, von den ihm nachstürzenden Wogen gefaßt und wild umhergeschaukelt, nach Lee zu.

Der Instrumentenmacher hatte mit seiner jungen Frau und dem Kind unwillkürlich mitgedrängt, dem Boot entgegen, als er sich am Arm gefaßt und zurückgehalten fühlte. Wie er sich umsah, stand Meier neben ihm und flüsterte ihm zu: „Bleibt da - das Boot ist verloren und wird nimmer das Land erreichen."

„Aber wir hier?" rief der Mann in Todesangst - „meine Frau, mein Kind -"

„Sind vielleicht auch verloren," sagte der alte Mann erregt, „aber noch nicht so gewiß, als die da draußen. Wenn Sie meinem Rathe folgen wollen, bleiben Sie auf dem Schiff - ich bleibe bei Ihnen."

„Auf dem Wrack?"

„Immer besser aus einem Schiffswrack auf dem Sand sitzen, als auf den Trümmern eines untergegangenen Bootes, draußen in solcher See schwimmen."

Noch zögernd stand der Mann, als das Abstoßen des Bootes draußen ihm keine weitere Wahl ließ. Zu gleicher /98/ Zeit war auch das Capitainsboot in See gelassen, in das sich die Steuerleute mit einem Theil Matrosen und vier oder fünf Damen aus der Kajüte retteten. Der Kaufmann Wolf war einer der Ersten gewesen, die, rücksichtslos um alles Andere, in die Barkasse sprangen.

Der Capitain, der alte Meier, der Instrumentenmacher mit seiner kleinen Familie und sieben oder acht Frauen aus dem Zwischendeck, die nicht gewagt hatten in das Boot hinab oder über Bord zu springen, waren die Einzigen, die noch an Bord zurückgeblieben waren.

,,Und Sie sind nicht mit in Ihr Boot gegangen?" redete der alte Meier den Capitain an, der auf der Railing des Quarterdecks stand und, den linken Arm um die Besanwant geschlagen, mit stieren Blicken den mit den Wogen kämpfenden Booten folgte.

„Ich darf mein Schiff nicht verlassen," antwortete der Seemann, „aber Ihr?"

„Wenn ich denn einmal ersaufen muß," sagte der alte Meier ruhig, „will ich das doch gern so lange hinausschieben als irgend möglich."

„So glaubt Ihr nicht, daß die Boote das feste Land erreichen?" rief der Capitain mit einem tief ans der Brust geholten Seufzer.

„Eben so wenig, wie wir je mit der Captaube wieder flott werden," sagte der Alte - „seht Ihr die Woge, Capitain, die da hinter der Barkasse herschäumt?" - das ist die letzte - und die Jolle - wo ist die Jolle? - ich kann sie gar nicht mehr finden."

„Großer, allmächtiger Gott!" stöhnte der Capitain, sein Antlitz in den Händen bergend - „sie sind verloren, Alle verloren!"

Ein wilder, gellender Hülfeschrei schallte noch von dort herüber. In dem weißen Schaum, der durch die Nacht blitzte, war es fast, als ob sich dunkle, ringende Gestalten erkennen ließen - dann blieb Alles still. Nur die wilden Wogen brachen und stürmten ärger als je gegen das jetzt fast ganz auf die Seite geworfene Wrack an, dessen vordere Planken von den ungestümen Wassern schon so auseinander gerissen /99/ waren, daß sie die gierige Fluth unter sich konnten gurgeln und bohren hören.

Stoß folgte jetzt auf Stoß, und die drei Männer gingen daran durch das Kappen der noch stehenden unteren Masten dem Schiff Erleichterung und vielleicht auf der Sandbank auch mehr Festigkeit zu geben. Die Masten, mit dem Übergewicht der schweren Raaen und zerrissenen Segel, die noch daran hingen, bedurften nur weniger Schläge, um einzubrechen und umzuschlagen, und Meier suchte nun, von den beiden Anderen dabei unterstützt, was sie an Hölzern an Bord erreichen und losschneiden konnten, zusammenzubinden und eine Art Floß herzustellen. Die Möglichkeit war vorhanden, daß sich der Sturm mit Tagesanbruch legte und die See beruhigte, und sie durften dann doch wenigstens hoffen, wenn sie über Tag kein Schiff fand und rettete, die in Lee liegende, gar nicht so ferne Küste zu erreichen.

Entsetzlich war indeß die Lage der armen Frauen, die, auf dem schrägen Deck zusammengedrängt, die See schon nach sich heraufzüngeln fühlten und jeden Augenblick erwarten mußten, von den überstürzenden Wogen erfaßt und fortgerissen zu werden.

So brach der Morgen endlich an, und das Licht des jungen Tages beschien die wildempörte Oberfläche der See, beschien den Schauplatz der Zerstörung, wo Woge auf Woge noch an den lockeren Planken riß und zerrte und arbeitete, das ganze Wrack mit seinen letzten Insassen zu sich hinabzuziehen in Nacht und Tod. Aber der Sturm hatte schon vor Tag seinen Gipfelpunkt erreicht gehabt und sich fast unmittelbar nach der Zerstörung der Boote mehr und mehr beruhigt. Die See ging noch hoch, aber der dem Wrack so gefährliche Druck hinter den Wogen, die jetzt nur, durch ihre eigene Schwere getrieben, dem Land zurollten, fehlte, und die an Bord Zurückgebliebenen durften auf Rettung hoffen.

Aber noch ein langer Tag der Angst stand ihnen bevor, lange, furchtbare Stunden, an lockere Planken geklammert und über einem drohenden Abgrund schwebend, und erst gegen Abend kam ein Schiff in Sicht, von dem sie Rettung hoffen durften. Es war ein von Havre nach London bestimmter /100/ Dampfer, der glücklich das gestrandete Schiff mit seinem aufgesteckten Nothsignal entdeckte, und jauchzend sahen sich die Unglücklichen endlich bemerkt - sahen, wie das Fahrzeug auf sie zuhielt, so weit es sich dem sandigen Ufer nähern durfte, sahen, wie es auch endlich beilegte und ein Boot aussetzte - und fanden sich schon dem sicher geglaubten Tod entrissen.

Von dem Wrack war aber nichts mehr zu bergen. Das Wetter sah noch viel zu drohend aus, um lange an solch gefährlicher Stelle zu weilen; das Postboot, an eine bestimmte Zeit gebunden, durfte sich auch nicht aufhalten, und der in der nächsten Nacht wieder losbrechende Sturm jagte das seinem Geschick verfallene Fahrzeug noch höher auf den Sand hinauf, schmetterte die riesigen Wogen gegen den geborstenen Bau, riß seine Planken auseinander und warf die Trümmer in seinem tollen Spiel der Küste zu. /101/

Jack und Bill.

Es ist nun schon einige Zeit her, da lebten am Oldcastle-Cap in Wales zwei Brüder, Namens Jack und Bill Drygarn. Beide waren Seeleute, die sich seit ihrem achten Jahre auf Salzwasser umhergetrieben und nie viel nach dem festen Lande verlangt. Das Ufer betrachteten sie auch in der That, wie die Meisten dieser Menschenklasse, nur als einen Platz, der dazu da sei, Wasser und frische Provisionen, besonders Rum, an Bord zu nehmen, und wo die Matrosen ihr auf See sauer genug verdientes Geld wieder rasch und fröhlich durchbringen könnten. Außerdem hielten sie es für das, was es für den Seemann auch wirklich gar nicht selten ist, nämlich für ihren schlimmsten Feind, und mochten nicht viel davon wissen.

Bill war zwei Jahre jünger als Jack, an Gesicht und Körper glichen sich aber die Beiden so, daß sie schon oft für Zwillinge gehalten worden, und zuweilen selbst von ihren nächsten Bekannten verwechselt wurden. Ziemlich phlegmatischer Natur alle Beide, hatten sie jedoch einander lieb, und fuhren stets auf ein und demselben Schiff mitsammen, brachten mitsammen durch, was sie hatten, und ließen sich dann wieder eben so ruhig und vergnügt zu neuer Reise anwerben. Machten es doch die anderen Matrosen ebenso.

So gut sie übrigens von der See dachten, so schlecht /102/ meinte es diese eine Zeit lang mit ihnen, und nachdem Beide lange Jahre außerordentlich glücklich gefahren, änderte sich das plötzlich. Sie konnten keinen Fuß mehr an Bord eines Schiffes setzen, ohne daß es nicht irgendwo scheiterte oder strandete, oder wenigstens die Masten über Bord jagte und sonst schwere Havarie litt. Mit dem Leben kamen sie allerdings immer glücklich davon, aber sonst verloren sie auch auf mehreren Reisen hintereinander Alles, was sie sich eben mit großer Müh' und Anstrengung angeschafft, und mußten immer wieder von Neuem und zwar ganz von vorn beginnen.

Seeleute sind Alle ein wenig abergläubisch, und den beiden Brüdern kam zuletzt der Gedanke - der sich in diesem Fall auch wirklich entschuldigen ließ - daß sie zum Unglück auf See ausersehen wären, und die letzten Fatalitäten als wohlmeinende Warnung zu betrachten hätten: Salzwasser fortan zu meiden. Nur einen Versuch wollten sie noch machen, der eben über ihr künftiges Schicksal entscheiden sollte, und wie der ausfiel, danach wollten sie handeln. Der fiel übrigens sehr schlecht aus.

Sie gingen Beide wieder in einer nach New-York bestimmten Brig von Pembroke aus in See, verloren gleich in der ersten Nacht beide Masten und Clüverbaum, und trieben endlich mit dem Wrack, nachdem sie dasselbe mit Pumpen noch vierundzwanzig Stunden flott gehalten, an dieselbe Küste wieder an, von der sie ausgelaufen.

Der Fingerzeig war denn doch zu deutlich, um ihn zu verachten, und Jack und Bill beschlossen jetzt, was schon seit einiger Zeit ihr Plan gewesen, zu bleiben, wo sie waren, das heißt auf festem Grund und Boden, und der See, wenigstens dem Fahren, zu entsagen. Daß sie nicht ganz von der See und dem, was dazu gehörte, Abschied nahmen, versteht sich wohl von selbst, wie hätten sie auch sonst wohl existiren wollen. Ihr ganzes Leben und Treiben war von Jugend auf viel zu eng damit verwachsen. Beides ließ sich aber auch leicht vereinigen, denn ein tüchtiger und ausgelernter Matrose ist auch meist immer ein geschickter Segelmacher, und so beschlossen denn Jack und Bill in Pembroke sich als Segelmacher zu etabliren. Dadurch blieben sie mit der See eng verbunden, hatten /103/ fortwährend mit allen dort einlaufenden Schiffen zu thun und - brauchten nicht selber mehr zu fahren.

Die Ausführung dieses Planes erforderte allerdings ein kleines Capital, und beide Brüder waren ohne einen einzigen Penny; in Pembroke selber aber lebte eine alte Wittwe, eine Mrs. Bellhope, mit einer einzigen Tochter, die einiges Vermögen besaß und den Brüdern gewogen war. Diese, die sie als rechtschaffene Matrosen kannte, entschloß sich, ihnen fünfundzwanzig Pfund vorzuschießen, mit denen sie recht gut beginnen konnten.

Alles ging vortrefflich. Die kleine Werkstätte war bald eingerichtet, und die beiden „jungen Leute" (Bill war dreißig und Jack zweiunddreißig Jahre alt) bekamen bald Arbeit genug. Nur Eins fehlte ihnen noch - eine Häuslichkeit, und die mußten sie sich auf die eine oder die andere Art verschaffen. Matrosen sind nämlich nicht daran gewöhnt, sich ihre Lebensmittel selbst zu kochen - wenn sie sich auch ihre Betten selber machen und ihre Kleider eigenhändig aus- bessern, ja auch wohl selber nähen. - Für das erstere sorgt unter allen Umständen der Koch, und einen solchen brauchten sie deshalb nothwendig.

Einen wirklichen Koch konnten sie aber nicht bezahlen, und sie fielen deshalb auf den jedenfalls glücklichen Gedanken, daß Einer von ihnen - welcher bliebe sich ziemlich gleich - heirathen müsse. Bill schlug dabei vor, daß das Alter hierbei zu entscheiden habe, wer von ihnen diesen Schritt thun solle, Jack dagegen meinte, das Loos müsse entscheiden, denn er sähe nicht ein, wie er gerade dazu käme, allein für den Koch zu sorgen.

Das Loos entschied denn auch wirklich, aber nicht für Jack sondern für den Jüngeren, der bei dem wichtigen Entscheid keine weitere Gemüthsbewegung zeigte, als daß er sein verbrauchtes Priemchen Tabak wegwarf und sich abschnitt, figürlich dadurch andeutend, daß er jetzt ein vollständig neues Leben beginnen müsse. Wen er heirathen solle, darüber war bis jetzt zwischen noch kein Wort gewechselt. Nach stillschweigendemUebereinkommen konnte das aber niemand Anderes sein, als /104/ die Tochter der Wittwe Bellhope, Polly, und zu der ging denn auch ohne Weiteres Bill, bot ihr seine Hand an, wurde freundlich auf- und angenommen, und kehrte, nachdem er Polly einen tüchtigen Kuß gegeben, augenblicklich wieder nach Haus zurück, um die nun einmal nothwendig gewordenen Anstalten zur Hochzeit zu treffen.

Diese war auf den Sonnabend vor den Osterfeiertagen bestimmt worden, und wurde denn auch mit alle dem bei solchen Gelegenheiten üblichen und nicht üblichen Pomp vollzogen. Viel Poesie war eigentlich nicht dabei, Bill hatte deshalb auch nicht gewollt, daß die Hochzeit an einem Sonntag sei, da die Heirath doch eigentlich mit in das Geschäft gehöre und Sonntags nicht gearbeitet würde. Nur einmal, gleich vor der Trauung, als sie die Braut in die Kirche führten, meinte Jack, „eigentlich thäte es ihm doch jetzt beinahe leid, daß sie gelost hätten". Als sie aber Ja gesagt und der Geistliche ihre Hände ineinander gelegt, versicherte er seinem Bruder, „jetzt wär's ihm wieder lieb".

An dem nämlichen Abend erhielten die beiden Brüder einen Brief von Werford in Irland, daß ein Schiff dort eingelaufen sei, dessen Capitain ihnen noch eine ziemliche Summe für Segel schulde und diese zu zahlen wünsche. Jack, als der am nächsten Tage noch nicht beschäftigte, entschloß sich, mit einem gerade bei ihnen vor Anker und dorthin bestimmten Schooner hinüberzufahren und das Geld einzukassiren, schiffte sich am nächsten Morgen ein, und versprach in spätestens drei oder vier Tagen wieder zurück zu sein. Es vergingen indessen sechs und acht Tage, und Jack ließ nichts wieder von sich hören.

Bill wurde zuletzt unruhig darüber. So lange war er in seinem ganzen Leben noch nicht von seinem Bruder getrennt gewesen, und die Summe, die jener holen sollte, ebenfalls keine Kleinigkeit für sie. Er beschloß also, selber hinüberzufahren, und zu sehen was aus ihm geworden, denn mit dem günstigen Westwind, der die letzten Tage geweht, hätte er recht gut von Werford in vierundzwanzig Stunden herüberkommen können.

Gesagt, gethan. Das Geschäft konnte er indessen recht /105/ gut seinem sehr zuverlässigen Altgesellen überlassen; die Schwiegermutter ließ es sich überdies nicht nehmen, nach dem zu sehen was Rechtens war, und am nächsten Morgen schiffte er sich in einem Küstenfahrer, der nach Werford mit englischen Waaren hinüberlief, ein, um seinen Bruder aufzusuchen.

Zu seinem Erstaunen hörte er in Werford gar nichts von ihm. Allerdings hatte er das Geld bei dem Capitain, der noch dort lag, erhoben, und dieser zeigte ihm die darüber ausgestellte Quittung - dann war er spurlos verschwunden.

Nur zwei Fälle blieben jetzt möglich. Einmal hatte an dem Abend ein kleines Segelboot mit zwei Mann das Ufer verlassen und war verunglückt. Den Eigenthümer desselben, der ebenfalls mit ertrunken, kannte man; der Andere sollte ein Fremder gewesen sein, und es blieb möglich, daß sein Geschick den armen Teufel hier ereilt. Dann aber war an dem nämlichen Abend ein Auswanderer-Schiff nach New-York in See gegangen, das noch spät Abends mehrere Passagiere aufgenommen, und wen er darüber frug, sprach sich dahin aus, Jack würde wohl das kleine Capital genommen und damit nach der neuen Welt gegangen sein, um dort sein Glück rascher zu finden als im alten Vaterland.

Bill verwarf diesen Gedanken natürlich mit Entrüstung. Aber auch der andere Fall war ihm unwahrscheinlich, wenn allerdings möglich - daß sich Jack in einer solchen Nußschale von Fahrzeug der See ohne dringende Noth anvertraut haben sollte. Das Wahrscheinlichste blieb immer, daß er, ohne weiter Jemand etwas davon zu sagen, nach Waterford gegangen sei, um von dort mit dem Dampfboot nach Hause zurückzukehren, und nun schon lange gemüthlich daheim sitze, während er ihn hier draußen suche. Gerade jetzt lag auch wieder eine amerikanische Barke in Werford, die noch mehrere Passagiere in Waterford an Land zu setzen hatte. Auf der nahm er Passage, und weil sie noch einige Tage dort liegen blieb, amüsirte er sich indeß ganz vortrefflich mit einigen da gefundenen alten Schiffskameraden. Nach drei Tagen erhielt er plötzlich Nachricht, daß die Barke Abends sieben Uhr bei eintretender Ebbe segeln würde, und mit dem gerade günstig /106/ wehenden Wind konnte sie den Ort ihrer Bestimmung recht gut bis Tagesanbruch erreichen.

Bill ging an Bord und zwar, wie das alte Matrosen gewöhnlich thun, als Zwischendecks-Passagier im Forecastle, das heißt, er aß mit den Leuten, mit denen er, als nicht der Mühe werth zu Koje zu gehen, die Nacht auf den verschiedenen Wachen verplauderte. Erst als sie dem Leuchtthurm näher und näher kamen, und die Leute noch Einiges aus dem Raum herausholten, was mit an Land geschickt werden sollte, holte er sich seine kleine Tasche heraus, um, wenn das Boot abstieß, gleich fertig zu sein.

Irgend ein kleiner geringfügiger Umstand, an und für sich nicht von der mindesten Bedeutung, hat oft Einfluß auf unser ganzes Leben und wirft unsere noch so vortrefflich berechneten Pläne über den Haufen. Hätte Bill die Tasche nicht unten im „Logis" liegen gehabt, wäre Alles so gegangen, wie er dachte, und er selber wieder in kurzer Zeit zu Haus gewesen. So, als er im Dunkeln die schmale Treppe herauf und an Deck stieg, und nach der Mitte des Fahrzeugs zu gehen wollte, wo das Boot niedergelassen werden sollte, stolperte er über den aufgeschobenen Lukendeckel, stürzte, ehe er sich halten konnte, in den Raum hinab, schlug mit dem Kopf an eine Kiste, und blieb bewußtlos liegen.

Diese Luke wurde von den Leuten gleich darauf wieder zugelegt, und als das Boot niedergelassen ward, rief man vergebens nach dem plötzlich verschwundenen Passagier. Der rasch und heftig wachsende Wind ließ aber auch kein längeres Zögern zu - der fremde Seemann mußte jedenfalls in der Dunkelheit über Bord gefallen sein, wo ihm doch nicht mehr zu helfen war, und die für Waterford bestimmten Passagiere, von denen einer Bill kannte und sich am vorigen Abend noch mit ihm unterhalten hatte, verließen das Schiff in der festen Ueberzeugung, daß der arme Teufel sein zeitiges Grab in den Wellen gefunden. Das Fliegende Eichhorn, wie die Barke hieß, braßte bald darauf die Segel wieder auf und flog mit trefflichem Wind seine Bahn entlang.

Der Morgen brach an und die Brise artete mit Sonnen-/107/aufgang in einen förmlichen Nordost-Sturm aus, der sie mit gereeften Segeln vor dem Wind elf oder zwölf Knoten die Stunde vorwärts jagte. Die Luken sollten wieder dicht gemacht werden, vorher aber brauchte der Koch noch Feuerholz aus dem untern Raum, und als ein paar von den Leuten hinabstiegen, fanden sie unten den armen Teufel von Passagier noch halb bewußtlos in seinem Blute liegen.

Bill wurde jetzt allerdings gleich an Deck und zur Koje gebracht und es geschah Alles was die Umstände erlaubten, ihn wieder zu sich zu bringen und zu pflegen, aber ihn jetzt an Land zu setzen war unmöglich. Die See ging hoch und der Capitain hätte nicht um irgend etwas die kostbare Brise versäumen mögen. Außerdem lag der Fremde in einem heftigen Fieber, und es blieb eben nichts weiter übrig als ihn mitzunehmen - nach New-York.

Erst nach vier oder fünf Tagen, als sie schon lange weit draußen im Atlantischen Ocean und auf blauem Wasser schwammen, erholte sich Bill auch wirklich so weit, Rechenschaft von sich zu geben, wie er in den untern Raum gekommen, fand sich übrigens ungemein rasch in sein Schicksal, meinte, „es hätte einmal nicht anders sein sollen", und ließ sich, da der Capitain gerade knapp an Mannschaft war, mit Vergnügen als Matrose einschreiben, um seine Passage zu verdienen. In New-York fand er ja bald Gelegenheit, wieder nach Hause zurückzukehren, und als er sich die Sache erst eine Weile überlegt hatte, schien es ihm sogar ganz recht zu sein, wieder einmal „ein Deck zu treten" und Masten und See über und um sich zu sehen, statt der „ewigen langweiligen Dächer und Häuser". Das Seeblut stak ihm doch noch viel zu sehr in den Gliedern, es so leicht abzuschütteln, und nach Hause - „kam er noch immer zeitig genug."

Von seiner Wunde, wie nur erst einmal das Fieber von ihm gewichen, erholte er sich ungemein rasch, und was seine häuslichen Verhältnisse betraf, so machte er sich derentwegen auch nicht die geringsten Sorgen. Jack war jedenfalls indessen lange wieder zu Hause angekommen, und seine Frau - ih nun, die mußte sich schon die paar Monate trösten. Was hätte sie denn machen wollen, wenn sie einen Seemann ge-/108/heirathet; die waren fortwährend auf dem Wasser, und nur dann und wann einmal acht oder vierzehn Tage zu Haus, und deren Frauen hielten es auch aus.

Nur Eins genirte ihn im Anfang an Bord, obgleich er sich auch zuletzt daran gewöhnte: daß ihn der Steuermann und die Uebrigen immer Jack statt Bill nannten. Zwischen den englischen und theilweise auch amerikanischen Matrosen ist es nämlich ein seit undenklichen Jahren eingeführter Brauch, Alle, deren Namen sie nicht gleich wissen und die zum Seemannsstand gehören, Jack zu nennen. Wie man in Oesterreich jeden Fremden ,,Herr von" und in Leipzig „Doctor" nennt, so sagen die Matrosen untereinander Jack, und da der Name überhaupt so außerordentlich verbreitet ist, treffen sie noch nicht einmal so oft fehl. So lange Bill deshalb in seinem Fieber lag und doch schon, wenn er nicht starb, als zum Schiff gehörig betrachtet wurde, hieß er fortwährend, wenn von ihm geredet wurde, Jack, und zwar „der fremde Jack", und als er wieder zu sich kam und Bill heißen wollte, ging das nicht mehr. Die Leute hatten sich daran gewöhnt und er blieb Jack nach wie vor.

„Hol's der Henker," rief er dann zuletzt mit dem gewöhnlichen und allbekannten Seemannswitz, der auch vielleicht dem Namen Jack seinen Ursprung verdankt - „es ist mir einerlei, wie ihr mich auch ruft - nur nicht zu spät zum Essen."

Bill war früher, wie schon vorerwähnt, Matrose mit Leib und Seele gewesen, und es läßt sich denken, daß er sich bald wieder hinein und wohl in seiner altgewohnten Beschäftigung fand. Ueber die Trennung von seiner Frau hatte er sich schon lange getröstet, und lachte sogar manchmal, wenn er daran dachte, wie sie sich wohl den Kopf zerbrechen würde, wo er hingekommen und wann er zurückkehren würde. Am Ende war es noch gar kein so großes Unglück, daß er in das Loch gefallen, und jedenfalls hatte er bei der Gelegenheit doch wieder einmal tüchtig Salzwasser zu schmecken bekommen.

Nach einer Fahrt von neunundvierzig Tagen erreichten sie New-York, und Bill bekam, was er unterwegs verdient, ausgezahlt. In der Erinnerung aber an die freie fröhliche Zeit, die er sonst verlebt, wenn er nach langer Seefahrt wieder zum ersten Male Land betrat, dachte er in dem Augenblick gar nicht an die Heimath und seine dortigen, ihm noch etwas neuen Pflichten, und jubelte mit den Kameraden Tag und Nacht durch, bis auch - was gar nicht so sehr lange dauerte - der letzte Cent verzehrt und sogar, nach ächter Matrosenart, die Jacke versetzt war.

Damit hatte er den Gipfelpunkt seiner jetzigen Glückseligkeit erreicht, denn geborgt wird solchen Leuten nichts. Als aber der Rausch ausgeschlafen war, kratzte er sich doch hinter den Ohren und dachte zum ersten Mal ernstlich an die Rückfahrt, die er sich nun wieder als Matrose verschaffen mußte. Umsonst hätte ihn natürlich kein Capitain als Passagier mit hinübergenommen, hätte er selber als Passagier gehen wollen.

Bill sah sich deshalb rasch wieder nach einem Schiff um, auf dem er ein „birth" bekommen könne, fand aber zu seinem Schrecken, daß kein einziges passend für ihn im Hafen lag. Vier oder fünf waren allerdings nach England bestimmt, aber schon vollauf mit Mannschaft versehen, andere, von dort erst angekommen, blieben vielleicht vier bis sechs Wochen liegen, ehe sie ihre Fracht gelöscht und neue eingenommen hatten, und so lange konnte er doch unmöglich ohne Geld und in Hemdsärmeln in New-York herumlaufen.

Ein einziges Schiff brauchte Leute und war nach England bestimmt, aber - über Rio Janeiro. Das verzögerte allerdings seine Rückkunft, doch blieb ihm in der That keine große Wahl; der Capitain, der schon segelfertig im Hafen lag, bot ihm Handgeld und Bill - ging an Bord.

Daß er aber so gewissermaßen von zu Hause fortschiffte, wo er doch eine Frau sitzen hatte, war ihm ein unbehagliches Gefühl, und er wollte wenigstens nicht gekannt sein. Der Name Jack, den ihm das Fliegende Eichhorn aufgezwungen, paßte ihm jetzt insofern, als er incognito reisen konnte, und er ließ sich als Jack Brown in die Schiffsbücher eintragen. Gern hätte er auch nach Hause geschrieben und die Seinigen wissen lassen wie es ihm ginge, aber - er konnte nicht schreiben, und einem Fremden mochte er die Geschichte auch nicht /110/ erzählen. Ueberdies drehte sich ja die Sache nur um sechs oder acht Wochen länger, und dann war er ja selber wieder zu Haus.

Das Schiff, eine englische Brig, der Yorkshireman, ging schon am nächsten Morgen in See und kreuzte gegen ziemlich widrigen Wind nach Südost hinab. Es dauerte auch wirklich anderthalb Monate, bis sie nur die Passate erreichten, dann aber liefen sie mit Leesegeln und vor dem Wind den Hafen von Rio in vierzehn Tagen an, ankerten in der wundervollen Bai und löschten ihre für Rio mitgebrachte Fracht in kleine, zu dem Zweck langseit legende „Lichter".

Der Capitain des Yorkshireman hatte nun allerdings darauf gerechnet, in Rio augenblicklich und gute Fracht nach England zu finden. Es lagen aber wenigstens sechs Schiffe im Hafen, die sämmtlich keine Ladung zu anständigem Preis bekommen konnten, und Einige hatten sich schon entschlossen lieber in Ballast nach Haus zurückzukehren, oder vielleicht Bahia oder Buenos-Ayres anzulaufen, als ein frisch einkommendes amerikanisches Schiff der ganzen Sache eine andere Wendung gab.

Gerade war nämlich die erste Nachricht von der californischen Goldentdeckung in Amerika angelangt, und dies das erste Schiff, das dorthin mit Auswanderern um Cap Horn nach dem neuen El Dorado ging. Die Gerüchte, die von den Passagieren dieses Fahrzeugs in der Stadt verbreitet wurden, waren dabei so fabelhafter Art, daß besonders die Kaufleute ein wahrer Schwindel erfaßte, und jeder jetzt Güter so rasch als möglich nach Californien verschiffen wollte, um reine, solide Goldklumpen dafür einzutauschen. Die Capitaine, die von ihren Rhedern Vollmacht hatten, über ihre Schiffe zu verfügen, wie sie es für das Beste hielten, standen sich jetzt vortrefflich, und accordirten augenblicklich Fracht nach San Francisco. Unter diesen befand sich der Yorkshireman, und unserem Bill Drygarn oder Jack Brown, wie er sich genannt hatte, machte der Capitain das Anerbieten, ihn, statt einer directen Reise nach England, erst einmal nach San Francisco zu begleiten und dort, wenn er wolle, Gold zu graben. Er, der Capitain, hätte selber Lust, einmal in die Minen zu /111/ gehen, wenn das Gold denn gar so dick dort oben herumliegen sollte.

Hier war auf einmal eine plötzliche Aussicht, reich - steinreich zu werden, und weiter nichts dazu nöthig, als eine etwas längere Seefahrt. Und kam es denn, wo er nun doch einmal so lange von zu Haus entfernt war, jetzt auf die paar Monate an? - Paar Monate, ja der Teufel; mit ein paar Monaten mochte es, wie sich Bill heimlich selber gestand, wohl kaum abgethan sein, und eine Reise nach San Francisco und von da zurück nach England konnte immer acht bis zehn Monate fortnehmen. Vierzehn Tage mußte er außerdem noch wenigstens daraus rechnen, eine Quantität Gold in den Minen zusammenzusuchen. - Wenn er nur wenigstens hätte einen Brief nach Haus schicken können! Aber auch das schadete nichts; die Ueberraschung, wenn er, noch dazu mit einem tüchtigen Klumpen Gold, ganz plötzlich angerückt käme, wurde nachher um so größer, und sein Bruder und seine Frau sollten nicht wenig staunen.

Bill besann sich auch wirklich nicht lange; die Verlockung war zu groß, und ein Abend, den er mit einem Theil der Mannschaft des kalifornischen Schiffes verbrachte, festigte seinen Entschluß dermaßen, daß er jetzt die Zeit kaum erwarten konnte, wo sie nach dem Lande seiner heißen Sehnsucht aufbrechen sollten.

Außerordentlich lieb war es ihm jetzt übrigens, daß er den Namen Jack Brown angenommen hatte. Er schämte sich doch etwas, so weit von der Heimath fortzuziehen, und seine Frau - aber zum Henker, gerade für die ging er ja nach Californien, um etwas Ordentliches zu verdienen und als reicher, angesehener Mann zurückzukommen. Lieber wäre es ihm freilich gewesen, wenn er Jack bei sich gehabt hätte.

Der Yorkshireman machte eine verhältnißmäßig rasche Reise um Cap Horn und erreichte das Goldland noch mitten in der ersten Gährung und Aufregung. Nicht allein die sämmtliche Mannschaft brach denn auch, sowie der Anker niedergerasselt war, nach den Minen auf, das Schiff sich selbst und seinem Capitain überlassend, sondern dieser hatte kaum seine Fracht und Ladung zu ziemlich guten Preisen unter-/112/gebracht, als er mit seinen beiden Steuerleuten seine Kajüte zuschloß, die Luken vernagelte und ebenfalls in der kleinen Schiffsjolle durch die Bai und den Sacramento hinaufruderte.

Ich habe hier keinen Raum, das Alles, was Bill im El Dorado erlebte, zu beschreiben. Leider hatte er aber mit seinem Goldsuchen eben so wenig Glück wie mit seiner Passage, und hielt das Wenige, das er fand, immer nicht des „Aufhebens" werth. Einmal mußte er ja doch an einen tüchtigen Klumpen kommen. Fünf Monate suchte er danach, bis er es endlich in Verzweiflung aufgab, und mit vielleicht sechzig Dollar in der Tasche und ärgerlich über sich und die ganze Welt, vorzüglich aber über das verwünschte Californien, wieder nach San Francisco zurückkehrte. Eine Möglichkeit bot sich ihm allerdings noch dort, seinen Gewinn in kurzer Zeit zu verzehn-, ja vielleicht zu verhundertfachen, wenn er nämlich sein Glück in einem der San Francisco-Spielsäle versuchte. Das that er denn auch, verlor in etwa einer halben Stunde Alles, was er sich in den fünf Monaten mühsam erarbeitet, und vermiethete sich dann aus reiner Desperation noch an demselben Abend auf ein Schiff, das am nächsten Morgen den Hafen verließ und - nach Sidney bestimmt war.

Wieder ganz in das Matrosenleben hineingekommen, und doch einmal viele tausend Meilen von zu Haus entfernt, wo es „auf ein paar Monate mehr oder weniger" nicht ankommen konnte, gab er sich dem alten Beruf mit all' der Gleichgültigkeit dieser Menschenklasse hin, schiffte sich in Sidney auf ein anderes, nach Manila bestimmtes Fahrzeug ein, ging von da nach China, von China nach Bombay, und fand erst dort wieder eine directe Gelegenheit nach England, und zwar nach Liverpool, mit der er nun endlich in die Heimath zurückkehren konnte.

Darüber waren etwas über drei Jahre vergangen und Bill den heimischen Verhältnissen so entfremdet worden, daß ihm seine bis dahin erlebten Schicksale, und was davor lag, oft wie irgend ein toller, wunderlicher Traum vorkamen, von dem er sich nicht einmal recht deutlich mehr besinnen konnte, was eigentlich ächt und was nur Einbildung davon sei. Manchmal zweifelte er sogar daran, ob er denn auch wirklich /113/ verheirathet und durch eine wunderbare Kette von Umständen seiner Frau entführt worden sei, wonach es seiner Schwiegermutter, vor der er allen möglichen Respect hatte, denn auch gar nichts anging, ob er jetzt wiederkam, oder gleich noch einmal nach irgend einer andern Himmelsrichtung unter Segel ging.

Das gute Schiff verfolgte indessen wacker seine Bahn, und wieder im Sommer war es, als Jack Brown - welchen Namen er jetzt, so lange er zur See fuhr, beibehalten - nach viermonatlicher Fahrt von Bombay aus, den St. Georgs-Kanal hinaufkreuzte. Zum ersten Mal, nach so langer Trennung, erblickte er hier wieder die Küste von Wales, konnte aber natürlich nicht gleich an Land, sondern mußte erst mit dem Schiff, auf dem er sich verdingt, nach dem Ort seiner Bestimmung anlaufen. Erst wenn dort Anker geworfen und die Segel beschlagen waren, blieb es den Matrosen verstattet das Schiff zu verlassen, dessen Capitain dann zum Löschen der Fracht andere Leute nimmt.

Wunderbar war ihm zu Muthe, als er in Liverpool zum ersten Mal wieder an Land trat. Einmal hatte er auch wirklich gar nicht übel Lust wieder, und noch einmal zuguterletzt, in das alte Leben mit beiden Füßen zugleich hineinzuspringen, und seine Kameraden ließen es nicht an Aufforderung dazu fehlen. Aber das Gute, was noch in ihm steckte, siegte doch zuletzt, und wenn er auch, um nicht knickerig zu scheinen, ein paar Nächte mit ihnen durchtrank, behielt er doch noch immer Verstand und Geld genug übrig, um sich neue und anständige Kleider zu kaufen und seine Passage nach Pembroke mit der Eisenbahn zu zahlen.

Mit den alten, abgetragenen Kleidern hatte er denn auch den alten Menschen ausgezogen, und als er in Pembroke anlangte, schlug ihm das Herz nicht wenig in der Brust; wußte er doch nicht, wie er sein eigenes Haus nun wieder¬finden sollte.

„Hol' mich der Deuvel, Jack Drygarn - Junge, wo kommst Du her?" waren übrigens die ersten Worte, die ihn, wie er mit seinem Bündel unter dem Arm aus dem Waggon /114/ stieg, begrüßten. Er drehte sich rasch und erstaunt nach der Stimme um, und sah einen alten Schiffskameraden von sich und seinem Bruder, der ihn mit eingestemmten Armen und großen Augen betrachtete. „War's nicht hübsch in Amerika?"

Woher wußte der schon, daß er in Amerika gewesen war? Daß er Jack genannt wurde, fiel ihm übrigens gar nicht mehr auf, war er es doch die langen Jahre her gewohnt worden. Uebrigens folgte er willig der Aufforderung des Freundes, mit ihm in's nächste Wirthshaus zu gehen und dort ein Glas auf glückliche Rückkehr zu trinken. War ihm doch die eigene Kehle von einer ganz unerklärlichen, ungewohnten Angst wie zugeschnürt, und ein Glas Grog unumgänglich nöthig, dort Luft zu machen.

Zu gleicher Zeit suchte er aber auch etwas Näheres über die Seinen zu Haus zu hören, und hielt das eben gefüllte und schon gehobene Glas allerdings etwas erstaunt vor den Lippen fest, ohne zu trinken, als ihm sein Freund in aller Ruhe erzählte, daß „Bill's Frau" wieder geheirathet habe und das Geschäft vortrefflich gehe.

Bill's Frau? Alle Wetter wer war er denn? Er trank jetzt erst einmal vor allen Dingen sein Glas aus, setzte es nieder und sagte dann, den Kameraden dabei von der Seite ansehend, ob der ihn vielleicht zum Besten habe:

„Wäre nicht übel, Bill's Frau hat wieder geheirathet?"

„Nun ja," lautete die ruhige Antwort des ebenfalls mit seinem Glas Beschäftigten, „wessen Frau denn sonst?"

Jetzt erst fiel es Bill auf, daß ihn der Andere mit Jack angeredet und also jedenfalls für seinen Bruder gehalten hatte. Aber war denn der auch nicht mehr in Pembroke? Ein eigenes wehes Gefühl schoß ihm durch's Herz, über das er sich selber noch keine ordentliche Rechenschaft geben konnte. - Er beschloß, jedenfalls erst selber nach Haus zu gehen und nachzusehen, wie die Sachen ständen, ehe er sich einem Fremden entdeckte. Dieser wollte allerdings etwas Näheres über ihn hören, wo er die ganze Zeit gesteckt, und wie es ihm gegangen sei. Bill ließ sich aber auf nichts Derartiges ein, gab ausweichende Antworten, griff sein Bündel wieder auf, schüttelte ihm die Hand und eilte dann mit raschen /115/ Schritten die wohlbekannten Straßen entlang, dem eigenen Hause zu.

Eigenen Hause? - Wieder gab es ihm jenen Stich durch's Herz, und er wußte eigentlich selber kaum, weshalb er den Kopf beim Gehen niederbog und das Gesicht mit seinem Strohhut beschattete, daß ihn keiner seiner früheren Bekannten weiter anredete.

So erreichte er endlich den wohlbekannten Platz unten am Hafen, ein kleines, freundliches Häuschen mit der riesigen Firma, die noch immer seinen und seines Bruders Namen bildete. Nur einen Blick warf er aber in den untern Raum, in dem fünf oder sechs matrosenartige Burschen gar emsig an Segeltuch nähten und ein fremder Mann ihnen dabei Anweisung gab, und stieg gleich die wenigen Stufen hinan, die zur Hausthür und der innern Wohnung führten, ergriff den Klopfer und - behielt ihn unschlüssig in der Hand. Nach dem, was ihm der Bekannte vorhin gesagt, wagte er wahrhaftig nicht einmal seine eigenen Räume zu betreten, und beschloß, lieber erst einmal unten hinein in die Segelkammer oder Werkstätte zu gehen und zu sondiren - d. h. wenn er keinen Bekannten darin sah.

Rasch stieg er wieder die kurze Stiege hinunter und fand sich, nach einem flüchtigen, forschenden Blick in den Raum, glücklicher Weise lauter Fremden gegenüber.

„Guten Morgen mitsammen," sagte er, als er hineintrat und sein Bündel dabei in der Hand, seinen Hut auf dem Kopf behielt - „könnt' ich nicht einmal mit Jack Drygarn sprechen?"

„Guten Morgen," sagte der ältere Mann, der hier die Oberaufsicht zu führen schien, „Jack Drygarn sucht Ihr? Ja, der ist nicht mehr in Pembroke."

„Nicht mehr in Pembroke?" rief Bill erstaunt, „aber wo ist er denn, und wem gehört denn hier das Geschäft?"

„Das Geschäft gehört mir," sagte der Fremde, „und Jack Drygarn ist, so viel wir von ihm haben erfahren können, vor etwas über drei Jahren nach Amerika gegangen."

„Nach Amerika?" rief Bill erstaunt. - „Hm, das ist doch wunderbar! Und was ist aus Bill geworden?" /116/

„Ja, das ist eine unglückliche Geschichte/“meinte der Eigenthümer der Werkstätte, mit den Achseln zuckend - „Bill ging hinüber nach Irland, wo Jack hatte Geld einkassiren sollen, um diesen zu suchen, und fiel Nachts, als das Schiff an Waterford beilegen wollte, über Bord."

„Ueber Bord?"

„Ja. Ein Passagier, der in Waterford an Land gesetzt wurde, brachte die Nachricht mit dorthin. Ihr seid wohl ein früherer Schiffskamerad von den Beiden?"

„Beinah' so 'was," sagte Bill, der sich noch immer nicht von seinem Erstaunen erholen konnte, - „und Bill's Frau ?" setzte er dann hinzu, denn was nun kommen mußte, wußte er, wie er fürchtete, schon mehr als zu gut.

„Nun, Bill's Frau," sagte der Mann, indem er sich auf das Fensterbrett setzte und sein rechtes Bein über das linke schlug, „wartete ihr gehöriges Trauerjahr ab, und wie das vorbei war, heirathete sie wieder einen gewissen Henry Burton, und ihr Mann sitzt vor Euch."

„Das ist nicht möglich," rief Bill erschreckt, „Polly hat also wirklich -"

„Nicht möglich?" sagte spöttisch der Mann, „aber, mit Eurer Erlaubniß, doch wahr."

„Mit meiner Erlaubniß?"

„Ja, wenn Ihr nichts dagegen habt," lachte der Segelmacher.

„Hm? - sonderbar," brummte Bill vor sich hin, indem er sich hinter den Ohren kratzte.

„Heh?" sagte da Polly's zweiter Mann, dem bei dem wunderlichen Betragen des Fremden ein eigener Gedanke aufstieg, indem er den Seemann lächelnd anschaute. „Ihr seid wohl gar ein alter Anbeter von Polly, und habt gedacht, sie solle auf Euch warten, bis Ihr zurückkämet und um sie anhieltet?"

Bill sah den Mann überrascht an. Der Gedanke hatte aber doch so viel Komisches, daß er trotz seiner eben nicht heitern Stimmung darüber lachen mußte.

„Beinahe könntet Ihr Recht haben," erwiderte er dann, „und doch nicht so ganz. - Lebt die Schwiegermutter noch?"

„Meine Schwiegermutter? - Ja - gewiß. Kennt Ihr die auch?"

„Ich denke - wenn's Euch recht ist, werd' ich einmal hinausgehen und ihr einen guten Tag sagen."

„Wird sich ungemein freuen, denk' ich," erwiderte der Mann ganz ernsthaft. „Geht nur voran, ich komme gleich nach, habe hier unten nur noch eine Kleinigkeit zu thun."

Bill ging, ohne weiter etwas zu erwidern, hinaus und die Treppe hinauf, und achtete nicht darauf, daß die Gesellen hinter ihm mitsammen lachten. Er ließ diesmal auch den Klopfer herzhaft auffallen, und als ihm ein Mädchen geöffnet und ihn, auf seine Frage nach der alten Dame, hinaufgewiesen hatte, stieg er langsam die Treppe hinan. Jetzt aber kam es ihm wirklich so vor, als ob er unter jedem Fuß eine zolldicke Bleisohle habe, so schwer wurden ihm die Füße, und auf der letzten Stufe mußte er stehen bleiben und frisch Athem schöpfen. Endlich klopfte er an.

Die alte Dame, die schon auf der Treppe jemand Fremdes gehört, öffnete die Stubenthür, sah ihn an, stieß einen Schrei aus - und schlug sie ihm wieder vor der Nase zu. Daß sie ihn erkannt hatte, war außer allem Zweifel. Bill wußte jetzt auch wirklich nicht, ob er da stehen bleiben und warten solle, bis sie wiederkäme, oder ruhig und unbekümmert eintreten. Darüber wurde er aber nicht lange in Zweifel gelassen, denn kaum zwei Minuten später ging die Thür wieder auf, und Polly, seine eigene, allerdings höchst ungerecht verlassene Frau, stand auf der Schwelle und winkte ihm, einzutreten. Sie sah todtenbleich aus - jedenfalls vor Schreck und streckte ihm zitternd die Hand entgegen. Hinter ihr stand die doppelte Schwiegermutter und schaute ihn durch die Brille an.

„Aber, Jack," sagte sie, „wo habt Ihr die Zeit über gesteckt, seit das Unglück passirt?"

„Das Unglück?" sagte Bill ganz verstört und achtete gar nicht auf den Namen Jack. Er hielt seine Frau wieder an der Hand, und wagte nicht einmal, ihr um den Hals zu fallen.

„Ach, Jack! ach, Jack!" jammerte die alte Dame, „was /118/ habt Ihr damals durch Euer Fortgehen für Jammer und Elend angerichtet - und der arme, arme Bill - das gute, ehrliche Herz -"

„Bill?" rief dieser aber erstaunt, ja erschreckt aus, - „nun bei Gott, ich bin doch nicht Jack, und wenn Jack wirklich nach Amerika -"

„Ihr seid nicht Jack?" rief Mrs. Bellhope, „und wer denn sonst?"

„Kennt denn Polly nicht einmal ihren eigenen Mann mehr?" sagte der arme Teufel traurig, - „und sind doch erst kaum drei Jahre darüber hingegangen."

„Bill?" rief Polly erschreckt und riß ihre Hand aus der des Gatten, - „Ihr seid doch nicht Bill - der ist ja über Bord gestürzt und ertrunken."

„Ist ihm nicht eingefallen," sagte Bill kopfschüttelnd, - „in die Luke ist er gestolpert und hat sich den Schädel geborsten, das war Alles, und jetzt - wie er zurückkommt -"

„Na, nun wird's aber Tag!" schrie da plötzlich Mrs. Bellhope und stemmte die Arme in die Seite. „Erst geht der liederliche Strick mit dem Gelde durch und nach Amerika, und nun, da er das verthan und verjubelt hat und sein armer Bruder darüber verunglückt ist, kommt er mit einem Schnupftuch voll alten Gelumpes wieder an und will sich für den Andern ausgeben."

„Aber, Schwiegermutter -"

„Der Teufel ist Seine Schwiegermutter!" rief die alte Dame in vollem Zorn aus, und Polly rang indeß die Hände, setzte sich auf einen Stuhl und barg das Gesicht in die Schürze.

„Hallo, was ist nun los?" sagte da plötzlich die tiefe, aber vollkommen ruhige Stimme des neuen Segelmachers, der in diesem Augenblick in der Thür erschien und die Drei verwundert ansah.

„Was los ist?" rief Mrs. Bellhope in, wie sie glaubte, sehr gerechter Entrüstung, „da kommt Jack Drygarn zurück von seiner Vagabondenfahrt, und will sich für Polly's Mann, für seinen Bruder ausgeben - weiter nichts."

„S - o?" sagte der Segelmacher, indem er die Hände in die Taschen schob und den angeblichen Delinquenten neugierig betrachtete. „Das ist also Jack Drygarn, der -"

„Jack, und immer nur Jack - zum Teufel noch einmal mit dem Namen!" rief aber jetzt auch Bill ärgerlich, „Ihr werdet mich noch zuletzt so verrückt machen, daß ich am Ende selber nicht mehr weiß, wer ich bin."

„Der Fall scheint mir schon jetzt eingetreten, mein Junge," sagte Polly's neuer Mann gutmüthig.

„Aber Polly wird doch wenigstens wissen, wer ich bin?" rief der arme Teufel, zur Verzweiflung getrieben. „Polly, mein Schatz - kennst Du denn Deinen Bill nicht mehr?"

„Ach, Jack," sagte aber schluchzend die junge Frau - „wie dürft Ihr nur Eures armen seligen Bruders Namen so mißbrauchen und Jammer und Elend hier in seine Familie bringen wollen. - Ja, wenn es Bill wäre, das arme Herz, aber das schläft schon lange in seinem nassen kalten Grabe."

„Ich werde wahrhaftig verrückt!" sagte Bill, sich mit beiden Händen den Kopf haltend.

„Nun," meinte der Segelmacher, „so lange Ihr noch immer nur erst die Aussicht habt es zu werden, mag es angehen. Jetzt aber, so lang' es noch Zeit ist, seid so gut und kommt erst einmal mit in meine Stube, daß wir über die ganze Sache ein vernünftiges Wort sprechen. Auch selbst, wenn Ihr nur Jack Drygarn seid, wie es mir doch scheinen will, haben wir eine Abrechnung mit einander, und wenn die in Frieden und Freundschaft abgemacht werden kann, ist es immer besser, als den Nachbarn nachher Futter für Skandal zu geben."

Bill warf noch einen zögernden Blick auf Polly, als er aber in deren bleiches, verweintes und halb von ihm abgewandtes Gesicht schaute, drehte er sich langsam ab und folgte, ohne ein Wort weiter zu sagen, dem ihm vorangehenden Stellvertreter.

Auf der Stube angekommen, schloß Burton ohne Weiteres die Thür hinter ihm ab, rückte zwei Stühle zum Tisch, holte eine Flasche mit Brandy und Wasser aus dem Schrank, aus der er sich selber vor allen Dingen ein tüchtiges Glas ein-/120/schenkte, und begann dann mit seinem wunderlichen Gast eine lange und, wie es schien, sehr ausführliche Besprechung, die aber so leise geführt wurde, daß selbst Madame Bellhope's dicht an die Thür gelegtes Ohr nur einzelne, unzusammenhängende Sätze, und nicht den geringsten Sinn daraus entnehmen konnte. Zwei volle Stunden dauerte die Unterredung, dann wurden drinnen die Stühle gerückt. Mrs. Bellhope glitt in ihre Stube, und aus der geöffneten Thür schritten Burton und Bill Drygarn, anscheinend als die besten Freunde. Burton's Gesicht drückte dabei volle Zufriedenheit aus, während Bill mehr ernst und sogar niedergeschlagen schien.

Unten an der Thür von Polly's Stube blieb er stehen und sah sich nach seinem ihm folgenden Gefährten um.

„Geht nur hinein, Jack," sagte dieser, „ich will so lange hier draußen auf Euch warten."

Bill drückte die Klinke auf und trat hinein. Polly saß in der Sophaecke und sprang erschreckt auf, als sie ihn allein auf sich zukommen sah. Ohne indessen eine Miene zu verziehen, trat er zu ihr, reichte ihr die Hand und sagte:

„Es hat mich gefreut, Polly, Euch Alle so wohl und munter hier zu sehen - die Mutter sieht noch recht gut aus, und - ich will wünschen, daß es Euch immer unter der alten Firma wohl gehen mag."

„Ihr wollt fort?" stammelte Polly, und wagte nicht zu ihm aufzusehen.

„Ja - ich gehe wieder an Bord - wird wohl lange dauern, ehe ich einmal wieder nach Prembroke komme; Gott behüte Euch, Polly!"

Er drückte ihr die Hand, die er noch immer in der seinen hielt, und wollte sie loslassen, aber sie hielt ihn fest.

„Polly!" sagte er mit weicher, fast herzlicher Stimme. Die Frau ließ seine Hand los, sah ihm ein paar Momente starr in die Augen, warf plötzlich ihre Arme um seinen Nacken und drückte ihm einen heißen Kuß auf die Lippen. Dann, als ob sie ein Unrecht gethan, schrak sie zurück und bedeckte ihre Augen mit den Händen. Sie hörte Schritte - die Thür wurde auf- und wieder zugemacht, und als sie empor/121/blickte, war das Zimmer leer.

„Nun, Jack, das war rasch abgemacht," sagte Burton, als Bill wieder aus dem Zimmer trat.

„Ja," sagte dieser, sein Bündel mit der Linken aufnehmend und sich mit der Rechten den Hut in die Stirn drückend - es war weiter nichts zu bestellen."

„Und wo schick' ich Euch die Sachen heut Abend hin?"

„In den Anker - wann geht der Zug nach Liverpool zurück?"

„Um Neun. Wollt Ihr fort mit dem?"

„Wird wohl das Beste sein; good bye, Burton."

„Adieu, alter Junge; hat mich herzlich gefreut, Eure Bekanntschaft gemacht zu haben. Wollt Ihr nicht Abschied von der Schwiegermutter nehmen?"

„Danke," sagte Bill, „grüßt sie recht schön von mir."

Die beiden Männer schüttelten sich die Hände; Bill schob die seinige dann in die Tasche, verließ das Haus und schlenderte langsam die Straße hinunter, dem Anker zu. Eine Stunde später etwa wurde eine Seekiste, wie sie die Matrosen gewöhnlich mit sich führen, im Anker für „Jack Drygarn" abgegeben, um gleich darauf von Bill geschultert und nach dem Liverpool-Bahnhof getragen zu werden.

Um neun Uhr ging der Zug, und Bill mit ihm, auch erfuhr Burton, der sich sehr angelegentlich danach erkundigte, später, daß er sich in Liverpool auf einem schon in den nächsten Tagen in See gehenden Ostindienfahrer eingeschifft habe. Weiter hörte man nichts mehr von ihm, und als die Thatsache in Pembroke bekannt geworden, daß Jack Drygarn, der Verschollene, plötzlich wieder aufgetaucht sei, schwamm Jack Brown schon lange wieder draußen auf seinem alten Element. /122/

An Cap Horn.

Ueber die See brauste und schäumte es in wilder, zorniger Wuth, häufte die Wogen zu Bergen auf und jagte die bäumenden im tollen Spiel und Sturz hintereinander drein. Hoch auf stieg dann hier und da ein krystallener Fels, einem spielenden Walfisch nicht unähnlich, der mit halbem Leibe der Fluth entsteigt, um im nächsten Augenblick schwerfällig wieder darin zu verschwinden; riesig in sich selbst und doch so winzig klein in dem gewaltigen massenhaften Heer solcher Wogen, das ihn umgiebt.

Hoch auf reckt er die Krone und streckt und dehnt sich, aber der Sturm leidet das nicht. Hui! hat er ihm den blitzenden Perlenschmuck vom Haupte gestrichen und streut ihn weit aus mit rüstiger Hand, wie der Säemann die Saat. In sich zusammenschmelzend, stürzt und zerfließt der Berg; ein milchweißer Teich kündet auf dem dintenfarbenen, von silbernen Schaumadern marmorartig durchzogenen Untergrund die in sich zusammengestürzte Woge, die jetzt wenige Secunden lang ein Thal zwischen zwei anderen Bergen bildet und noch zischend in Schaum und Gischt schon wieder emporgeworfen wird von neuen, ungestümen Massen.

Wie das kocht und gährt und wühlt und in einander fließt und über die dunkeln Wasser heult in furchtbarer Majestät. - Die fliegende Windsbraut hält ihren Tanz dort /123/ unten und stimmt ihre Instrumente zum milden, entsetzlichen Reigen - wehe dem, der sich ihr entgegenstellt in ihrem Grimm!

„Ein Segel, ho!" Durch Sturm und Graus und einen Wald von Wogen, von denen jede einzelne hinreichend wäre, mit einem Schlage eine Flotte zu vernichten, wenn sie nur den Halt bekäme, sie einen Augenblick zu fassen, wagt sich der kecke Mensch in schwankendem Kahn. Dem Compaß folgend, der ihm die Bahn zeigt durch die Wasserwüste, und unbekümmert um Gefahr und Tod, die ihm aus jedem schäumenden Wogenkamm entgegenblitzen und mit gewaltiger Faust an die dünnen Planken donnern, lenkt er sein Fahrzeug sicher durch den Sturm, und trotzt den beiden empörten Elementen: Windsbraut und Wellen.

Sieh, wie diese die Hälse recken, als sie das schaukelnde Schiff zwischen sich erstaunt gewahren - in jauchzender Lust drängen sie sich herbei, eine die andere zur Seite pressend, nur um die erste zu sein, die zu kurzer Lust das neue Spielwerk fassen und werfen mag, eine der andern zu; und wie sie sich gegen den ächzenden Bug schleudern und Halt zu gewinnen suchen in erfolglosem und immer wachsenden Grimme. Bis an Bord schnellen sie sich und waschen das Deck von vor bis aft; splittern und reißen, was nicht von eisernen Klammern und zähem Tau gehalten wird, und schmettern die harten, schweren Stirnen zornig gegen die Wände an, sich dort Eingang zu bohren - bis sie von anderen fortgeschleudert werden, die auch Hand anlegen wollen und sich stärker fühlen und kräftiger.

Aber umsonst! Ein tüchtiger Schwimmer, steigt das wackere Schiff wieder und wieder aus seinem nassen Grabe herauf, schüttelt sich die Fluth von dem starken Nacken und schwingt sich leicht und keck auf dem Kamm der nächsten Schwellung, die es hebt und trägt und faßt und umklammert, bis ihr ein stärkerer Kämpe die Beute entreißt, um sie in die eigene wilde Umarmung zu ziehen.

Alles an Bord ist fest und wohl verwahrt, die Segel liegen an die Masten geschnürt, der heulenden Windsbraut keine Fläche zu geben, an der sie reißen und zerren könne, /124/ und nur das dichtgereefte Vormarssegel, hart an den Wind gebraßt, mit dem Vorstengenstag oder Sturmsegel - um das Schiff zum Steuern in der Gewalt zu halten, daß die Wogen sich nicht seitwärts dagegen werfen und ihm verderblich werden könnten - zeigt, daß noch Leben an Bord und die Mannschaft trotzig dem Wind gerade in den Zähnen liege, sein Austoben ruhig und unerschrocken abzuwarten.

Und über die empörten Wogen, von dem Sturm in rasender Schnelle geführt, mit langsamem gewaltigen Flügelschlag strich der riesige Albatros, umzog neugierig das Schiff in weiten Kreisen und kreuzte herüber und hinüber im glatten, einer Straße ähnlichen Fahrwasser, das sich der tiefe Kiel gezogen, aufmerksam den mit furchtbarem Schnabel bewehrten Kopf bald nach dieser, bald nach jener Seite drehend, ob nicht irgend ein von Bord des Schiffes geworfener Leckerbissen, wozu besonders Speck und Fleisch gehört, die Monotonie seiner gewöhnlichen Fischkost unterbrechen könne.

Ein ganzes Volk blau und weißer Cap-Tauben9 trieb sich schon lange hinter dem Heck des Fahrzeuges her, mit raschem Flügelschlag nach jedem übergeworfenen Stück Garn oder Werg niederfahrend, und gegen einander zankend und kreischend, wenn der Koch ihren Heißhunger durch ausgeworfene Leckerbissen rege machte oder einer oder der andere der Seeleute die kleine, mit Speck besteckte und an langer Leine befestigte Angel auswarf, um einen der Vögel heranzulocken. Die Matrosen fangen auf diese Art gern Cap-Tauben und Albatrosse, essen die ersteren und brauchen von beiden die Federn, oder nehmen auch den letzteren die mit großen Schwimmhäuten versehenen Füße, um sich wunderliche Tabaksbeutel daraus zu fertigen.

Auch andere Möven kreuzten herüber und hinüber, braun und schwarz mit langen scharfgespitzten Schwingen, vom Sturm getragen und geschickt mit dem Schiff gegen ihn lavirend oder langsam über die aufgeregten Wogen streichend, aus deren nach ihnen aufleckende Wellen sie die elastischen Flügelspitzen legten und sich scheinbar mit ihnen hoben, immer /125/ aber mit rascher Wendung die Gefahr vermeidend, erreicht zu werden.

Tage lang begleiten sie so das Schiff, schlafen auch wohl hier und da Nachts auf seinen Raaen, und folgen ihm am nächsten Tage wieder unermüdet auf seiner Bahn. Dem Seemann aber sind sie willkommene Begleitung auf einsamer Reise; gern sieht er ihren leichten Flug und folgt ihren kreisenden Bahnen mit dem Blicke, und wenn sie in Lee10 vom Schiffe, was sie bei schwerem Wetter am liebsten thun, herüber und hinüber streichen, sagt er, daß sie nachschauen, ob die Schoten und Brassen auch fest sind, um Taue und Raaen zu wahren. In Lee vom großen Boot sitzt er dann auch wohl, sein Priemchen geschäftig im Munde, schaut ihrem Fluge zu und plaudert und erzählt von der und jener Zeit, wo die Möven gerade so kreisten und suchten, und er an der oder jener Küste auf leckem Schiff vielleicht oder mit schwerer Havarie gegen das zornige Element ankämpfte, um sein Leben auf festes Land zu retten - und festes Land doch eben kaum nur betreten hatte, als er sich wieder hinaussehnte auf die weite, wogende, treulose und doch so lieb gewonnene, so lieb gehaltene See.

Die Leute am Land haben überhaupt gewöhnlich einen ganz falschen Begriff von dem Leben an Bord eines Schiffes in offener See und bei schwerem Wetter. Nicht selten hört man da sagen, wenn es weht und stürmt: „Oh die armen Menschen auf der See - wie weh und ängstlich ihnen jetzt zu Muthe sein muß - wie sie jetzt in ihrer Angst zu Gott beten und den Mast mit ihren Armen umfassen - krampfhaft, um nicht fortgeweht zu werden!" Weit gefehlt! Auf offener See und mit keiner Küste in Lee, von der sie abarbeiten müssen, um nicht auf den Strand gesetzt zu werden, nur mit dem regelmäßigen Seegang gegen sich und mit dem Winde, wenn der auch beide Backen voll genommen, giebt es kaum eine bessere und gemüthlichere Zeit an Bord eines Schiffes /126/ für den Matrosen, als gerade bei solchem Wetter. Sobald die leichten Segel nur erst einmal festgemacht, die anderen nöthigen dicht gereeft, ebenso alle Luken ordentlich dicht sind, und Alles an Bord, was von überkommenden Seen fortgewaschen werden könnte, wohl und sicher befestigt ist, beginnt für den Matrosen, der sonst über Tag keinen Augenblick unbeschäftigt bleibt, die freie Zeit.

Mit dem breiten „Süd-Wester" auf dem Kopf, in wasserdichten, geölten Jacken und Hosen, sitzen die Leute dann, wer nicht gerade seine Zeit am Steuerruder abzustehen hat, unbelästigt von irgend einem Ruf der Officiere, in Lee vom großen Boot, das ihnen Schutz gegen den Wind giebt, dicht geschaart beisammen, und haben sie nur Tabak zum Kauen, dessen Mangel ihnen allein vielleicht die Laune verderben könnte, so wird erzählt und gelacht, und der Sturm mag indessen wehen nach Herzenslust. Sie können auch nichts dagegen thun, als die Zeit abwarten, in der es einmal zu wehen aufhört; das Schiff liegt indessen dicht am Winde und reitet, wenn nur richtig von dem Steuerruder geführt, schon selber die Wogen.

So hier an Bord der tüchtigen kleinen amerikanischen Brig Susannah, die mit dem scharfen Bug keck gegen die drohenden, bäumenden Wogen anschnitt. So tief sie auch oft in die krystallenen Massen einschlug - wenn sich ein weiter Abgrund vor ihr öffnete, daß es aussah, als ob der nächste anstürmende Berg sie unter seiner Wucht begraben müsse - hob sie sich doch immer wieder kampfgerüstet zur rechten Zeit und schlug mit dem kecken Frauenbild, dessen Namen sie trug und das ihre Gallion zierte, rasch an gegen den auf sie geführten Wurf. Wenn ihr die klare Fluth dann in Strömen von der Stirn troff und die Woge, die ihren Untergang gesucht, sie selber auf den Nacken heben mußte, schaute sie keck und zuversichtlich hinaus über das rollende Heer um sich her, und fuhr dann wieder nieder, wie zum Sprung, der nächsten zu begegnen.

„'s ist doch ein wackeres Seeboot," sagte der Eine der Wache, die sich in Lee vom großen Boot zusammengefunden hatte und zwischen ein paar dort wohlbefestigten und Schutz /127/ nach vor und aft gewährenden Wasserfässern den Sturm eben austoben ließ, „und dicht und drall wie keins. Verdammt will ich sein, wenn noch ein anderes Schiff mit uns hier herumreitet, das bei so schwerem Wetter so wenig Wasser macht. - In zehn Minuten Abends pumpen wir sie frei!"

Es war ein junger Bursche von vielleicht zweiundzwanzig Jahren mit vollem lockigen Haar, das der Süd-Wester kaum decken konnte, und freien offenen Zügen; ein Rhode Island-Mann, wie er denn auch von seinen Kameraden nach dem Staate, dem er angehörte, statt seines eigentlichen Namens James, Rhode Island gerufen wurde.

„Gott sei Dank!" sagte einer seiner Kameraden, ein alter weiter- und sonnverbrannter „Theer" mit schneeweißem Haar, eben solchen Augenbrauen und knochigen zähen Gliedern - „Gott sei Dank, mein Junge, und nicht „verdammt", denn nur wer erst einmal Tage und Nächte lang in solcher See an den Pumpstöcken gelegen und für sein Leben gearbeitet hat, während sich der Tod da drunten heimlich durch alle Poren des Schiffs sog, der weiß, was es für ein Segen ist, ein dichtes, gutes Schiff unter sich und keine Küste in Lee zu haben. Ich werde an die See hier denken und würde ich tausend Jahre alt; denn hier ist mir das Haar in einer Woche so weiß geworden, wie ich's jetzt noch trage. Ja in einer Wache könnt' ich sagen, und gebe Gott, daß ich ihm nicht wieder begegne die paar Jahre, die ich überhaupt noch zu fahren habe."

„Wurdet Ihr leck hier am Cap, Mate?" fragte ein Dritter, der bis jetzt auf einer Nothspiere zusammengekauert gesessen und dem Gespräch der Uebrigen zugehört hatte, ohne viel dreinzureden. „Segne meine Seele, Kamerad, ich wollte auch lieber die ganze Nacht Segel reefen und über Stag gehen, ehe ich nur die Hälfte der Zeit an dem verwünschten Pumpgeschirr hinge; Gott bewahre einen ehrlichen Matrosen vor der Arbeit!"

„Auf welchem Schiff war's, Tommy?" fragte Rhode Island.

„Auf der Buckeye Belle, Jungens," sagte der Alte, sein Priemchen im Munde drehend, „und ein so wackeres Schiff /128/ war's Euch, wie nur je eins Furchen durch Salzwasser gezogen. Vor dem Wind oder bei dem Wind, es blieb sich gleich, sie lief ihre zehn und elf Knoten mit nur halbwegs Brise, und lag Euch mit fünf Strichen im Wind, daß es eine Lust und Freude war. Was uns auch zu windwärts aufkam, mußte nach Lee zu; wir segelten Alles todt und hatten eine Prachtreise schon von Boston nach Rio gemacht, in dreißig Tagen, glaube ich, oder einunddreißig. Von Rio aus wollten wir nachher das Cap doubliren. Bei den Falklands-Inseln aber erwischte uns ein Pampero, der uns vor Top und Takel an den verwünschten Inseln vorbei, über irgend ein verborgenes Riff oder eine heimliche Klippe fortjagte, und wenn wir auch nicht gerade hängen blieben, bekam das Schiff doch einen Knacks und machte Wasser.

„Der Steuermann, ein alter tüchtiger Seemann, wollte nun zwar wieder umkehren und nach Rio einlaufen, um dort zu repariren, denn es war Winterszeit wie jetzt, und mit dem Cap ist manchmal nicht zu spaßen. Der Capitain aber hatte seinen Sinn dick- und starrköpfig darauf gesetzt, die schnellste Reise nach Californien zu machen, und wenn der Leck nicht ärger wurde, konnten wir's auch recht gut, mit ein paar Mal Pumpen den Tag über in den einzelnen Wachen, zwingen. Nicht weit von Staten Island kamen wir in ein schweres Wetter; eine See stand da, wie wir sie hier noch nicht einmal gehabt haben; von Segeleinnehmen war der Alte auch gerade kein Freund, und so jagte uns der Sturm denn auch richtig einmal in einer Nacht bei einem eisigen Schneegestöber, das uns die scharfen Flocken wie Nadeln in's Gesicht trieb, beide Masten über Bord. Durch die Erschütterung natürlich verschlimmerte sich der Leck, und bis wir das Wrack nur frei von Holz und Tauwerk hatten, das drum herumhing, faßte uns die See gerade in der Flanke, wusch die ganze eine Wache über Bord, und Cambüse und Railing so rein vom Deck herunter, als ob im Leben nichts drauf gewesen wäre. Wie wir damals dem Tod entgangen sind, ist mir noch jetzt ein Räthsel; aber auf die eine oder die andere Art hielt Gott seine Hand über uns.

„An dem Stumpf des Vormastes, der vielleicht zehn Fuß /129/ über Deck abgebrochen war, richteten wir einen Nothmast auf und brachten an Leinwand hinauf, was wir eben wagen durften zu führen, bis sich der Sturm gegen Morgen legte. Indessen war uns aber das Schiff halb voll Wasser gelaufen, und nun hieß es an die Pumpen, wenn uns nicht das Deck unter den Füßen weg sinken sollte. Jungens, Jungens, das war eine schwere Zeit, und die See schien zuletzt ordentlich müde zu werden, mit uns zu spielen, während wir selber Tag und Nacht an den Pumpen unsere Glieder kaum mehr regen konnten. Einmal wär's auch beinahe alle gewesen, denn ein paar von den jungen Burschen, die von den Pumpen herauf einen Branntweingeruch in die Nase kriegten, weigerten sich plötzlich weiter zu arbeiten, und sprangen in den Raum hinunter, um die Rumfässer anzuzapfen, von denen wir, wie sie recht gut wußten, ein paar an Bord hatten; aber der Capitain hatte glücklicher Weise das vorhergesehen und ihnen den Boden eingeschlagen. Als wir's nachher mit dem Salzwasser heraufpumpten, hatten sie's gerochen, aber zu trinken war nichts mehr, und die Leute kehrten zu ihrer Arbeit zurück."

„Und bekamt Ihr das Schiff in einen Hafen?" fragte ein Anderer.

„Ich glaube nicht, daß wir's so lange ausgehalten hätten," sagte der Alte leise. „Zwei wurden uns noch während der Arbeit über Bord gewaschen, denn da uns die Schanzkleidung vorn von Bord geschlagen war, kamen die Wellen herüber, wie's ihnen gerade gefiel, und zwei Andere wurden krank, fingen an zu phantasiren und mußten in's Logis gebracht werden. Einer kam wieder herauf und sprang über Bord, der Andere lag ohne Besinnung, bis uns am neunten Tage ein Schiff, eine englische Barke, traf und anlief. Wir hatten auch nichts mehr zu versäumen, denn kaum an Bord des Engländers und noch selbst in Sicht vom Wrack, das jetzt langsam füllte, sank es weg."

„Ach was!" laßt den traurigen Salm, wenn draußen der Sturm ebenfalls an die Planken pocht!" rief der Rhode-Islander da ärgerlich. „Das ist eine Geschichte, die uns alle Tage selber passiren kann, weshalb sich die Wache damit ver-/130/derben. - Wenn Euch das Schiff gesunken wäre, hättet Ihr Euch immer noch mit Schwimmen Tage lang oben halten können, und der Engländer hätte Euch doch gefunden."

„Schwimmen, hier in See?" sagte der Alte kopfschüttelnd ; „ja, wenn Fische und Vögel nicht wären! Wer hier über Bord geht, dem wäre besser, daß er gar nicht schwimmen könnte; er sparte lange Qual und Todesangst."

„Und das sagt Ihr mir?" lachte Rhode Island, „mir, der sich erst auf der vorigen Reise mit Schwimmen gerade am Leben erhalten hat? Bah, Kamerad, das ist der Alteweiberspruch an Bord vieler Schiffe, daß ein Matrose eigentlich nie sollte schwimmen können, um nicht so schwer zu sterben. Ich habe mich aber schon volle vierundzwanzig Stunden über Wasser gehalten, als wir vor New-York mit dem Schiff Nachts zusammenstießen, und bin dann doch noch von einem französischen Schiff aufgelesen worden. - Wo wär' ich jetzt, wenn ich nicht schwimmen könnte, heh?"

„Vielleicht besser aufgehoben," sagte der Alte trocken; „wir sind Alle noch nicht im Hafen!"

„Hahahaha," lachte Rhode Island, „die alte Krähe will weissagen. Aber ich erzähle Euch einen Spaß, Kameraden, den ich an Bord des Franzosen hatte, kaum vier Wochen später, nachdem sie mich aufgefischt, und wenn ich nicht schwimmen konnte und es ihnen vorher bewiesen hätte, wäre es mir damals schlecht gegangen, obgleich ich mit keinem Fuß in's Wasser kam."

„Unsinn, Rhode Island!" riefen ein paar der Kameraden, „Du willst uns wieder eine von Deinen Rhode Island-Geschichten erzählen; aber nur zu; veer away und laß es uns haben, mein Junge, verlange nur nicht, daß wir's glauben."

„Glauben? Der Teufel dank's Euch!" rief der junge Bursche; „was für andere Beweise wollt Ihr, als wie eines Mannes Wort? Ich könnte Euch übrigens die ganze Mannschaft zu Zeugen bringen, wenn ich sie eben hier hätte."

„So komm einmal flott, zum Henker!" rief ein Anderer; „unsere Wache ist bald aus, und wir wollen die Geschichte hören."

„Nun, sie ist einfach genug," sagte Rhode Island. „Na¬/131/türlich wurde ich an Bord von den Franzosen gleich einer Wache zugetheilt, zu der ich von da an, so lange ich an Bord war, gehörte, und wir liefen damals nach Rio hinunter. Unter der Linie nun, bei Windstille und blauem Himmel, ließ unser Alter das Schiff auswendig malen, und ich saß hinten allein auf dem Gerüst am Heck, gerade unter einer offenen Luke, die in die Vorrathskammer führte. Nebenbei muß ich Euch sagen, daß wir nicht einen Tropfen Spirituosen an Bord bekamen, weder Brandy noch Whisky, nicht für Liebe noch für Geld, nur solch verdammt saures Zeug, Claret glaube ich nannten sie's, das sie aus Blechbechern soffen und das mir jedesmal Leibschneiden machte. Aus dem Vorrathsspintge heraus roch es aber unmenschlich gut nach ächtem Cognac, von dem der Alte wohl genug an Bord haben mochte, und mich plagt der Henker, daß ich, wie ich an Deck oben gerade Niemand gehen höre, von der Stelling ab und in die Luke hinein krieche. In dem großen schwarzen Farbeneimer, den ich draußen bei mir hatte, konnte ich recht gut ein paar Flaschen unterbringen, die nachher schon aus dem Weg zu schaffen waren.

„Die Sache ging auch ganz vortrefflich; gleich in der nächsten Ecke stand eine offene Kiste mit der deutlichen Aufschrift Cognac. Ich hatte aus dieser schon zwei Flaschen in mein Hemd vorn geschoben und noch eine andere Flasche mit Pickles aufgepackt, und war eben wieder im Begriff auf die Stelling draußen zurückzukehren, als ich den Ruf „Mann über Bord" oben an Deck und Stimmen höre, die gerade da, wo ich wieder zu Tage mußte, laut über Bord sprachen. Einen ordentlichen Schlag gab's mir in die Kniekehlen und ich wußte im ersten Augenblick wahrhaftig nicht was ich thun, ob ich mich verstecken oder auf Gnade und Ungnade ergeben solle. Vielleicht zog aber gerade der über Bord Gefallene die Aufmerksamkeit der Mannschaft von mir ab, und ich konnte noch unbemerkt, unvermißt meinen Platz wieder einnehmen.

„Wie ich aber nur den Kopf an die offene Luke brachte, hörte ich auch schon zu meinem Schrecken, daß ich selber mit dem über Bord Gefallenen gemeint sei, und gerade aus höchst /132/ unzeitiger Menschenliebe ein Boot niedergelassen wurde, um mich zu suchen. Hinten auf der Railing aber, am Besanbaum. stand der Capitain mit dem Steuermann und wunderten sich, daß ich so rasch aus Sicht gekommen wäre, wobei sie einem Haifisch die einzige mögliche Schuld beimaßen.

„An ein unbemerkt Wiederherauskommen war gar nicht zu denken, eine Entschuldigung, weshalb ich in die Kammer hineingeklettert sein könne, ließ sich auch nicht erfinden - der wirkliche Grund lag zu klar auf der Hand, und selbst bei dem Ueberlegen verfloß so viel Zeit, daß mir zuletzt gar nichts weiter übrig blieb, als mich versteckt zu halten und abzuwarten, wie das Ganze enden würde.

„Wir liefen indessen bei einer ganz schwachen Südost-Brise, mit allen Segeln gesetzt, etwa drei Meilen die Wache dicht am Winde, und ich konnte deutlich hören, wie an Deck backgebraßt wurde, um das ausgeschickte Boot zu erwarten, das nach etwa einer halben Stunde, natürlich unverrichteter Sache, wieder zurückkehrte. Meine Lage war dadurch nur verschlimmert, und einzelne Pläne, mich krank oder ohnmächtig zu stellen, oder nach vorn durchzubrechen und lieber die Strafe für Einschlafen im Logis auszuhalten, verwarf ich alle theils als unausführbar, theils weil ich damit die ganze Geschichte am Ende nur verschlimmert hätte.

„Jetzt kam das Boot wieder langseit, die Blöcke wurden eingehakt, oben an Deck zog es die Mannschaft unter seine Krahnen. Bei der Bewegung des Schiffes und der Stellung des Steuerruders, das ich von der Luke aus genau beobachten konnte, fand ich aber, daß wir den alten Cours wieder aufgenommen hatten, bis nach etwa einer halben Stunde der Befehl zum Wenden gegeben wurde und die Duchesse, wie das Fahrzeug hieß, über Stag ging11, um das, was sie in Ost verloren, in West wieder aufzuholen. Hol's der Henker, ich saß indessen auf der Cognackiste und zerbrach mir den /133/ Kopf, wie ich aus der ganz verzweifelten Lage herauskäme und der Strafe entginge, bis mir auf einmal ein kostbarer Gedanke kam, den ich auch, kurz gefaßt, augenblicklich ausführte.

„Die Sonne war indessen dem Untergange nahe, und wie ich vier Glasen12 an Deck schlagen hörte und nun wußte, daß die Leute zum Schaffen13 gingen und nicht gerade über Bord gucken würden, kletterte ich aus meiner Luke heraus, wobei ich die Flaschen natürlich zurücklassen mußte, lief auf dem Leistenbrett mit Hülfe der Rüsteisen bis vorn an den Starbordbug, ließ mich in Lee leise in's Wasser gleiten, schwamm eine fünf oder sechs Strich vom Schiff ab und schrie nun mein „Hallo - hallo the ship!" so laut und lustig in die Welt hinein, daß der Mann am Rad erschreckt mit dem Ruder aufkam, das Schiff glücklich durch den Wind gehen ließ, daß alle Segel gegen die Masten schlugen, und die Duchesse natürlich baumfest auf dem Wasser lag.

„Ehe der Capitain aber nun seine gewöhnliche Anzahl Flüche los werden konnte, ging schon wieder der Schrei „Mann über Bord" durch das ganze Schiff; dieses Mal ersparte ich ihnen aber das Bootaussetzen; denn wenn auch das Fahrzeug im ersten Ansatz noch etwa seine eigene Länge von mir fortgelaufen war, hielten es die zurückgeschlagenen Segel jetzt desto fester, und ich bekam Zeit, aufzuschwimmen.

„Werft nur ein Tau herunter!“ schrie ich jetzt, als ich nahe genug war. „Hallo da oben, laßt einen Kameraden nicht sitzen - ein Tau her!“

„Zehn sprangen gleich zu, und der Koch warf mir das Ende eines Bramseils gerade über den Kopf, das ich erwischte, um den linken Ellbogen schlug und mich an Deck ziehen sieß. Aber, Jungens, die verblüfften Gesichter hättet Ihr sehen sollen, wie sie mich erkannten! Rhody, wo kommst Du her? - Rhody nannten mich die Mounsiers, Menschenkind, wo hast Du gesteckt?

Hätt' ich es nur allein mit den Kameraden durchzufechten /134/ gehabt, wäre die Sache nicht so schwer gewesen; so aber mischte sich auch der Capitain in's Mittel und verlangte Aufschluß über das Geschehene, von dessen wahrem Bestand er keine Ahnung zu haben schien. Da hielt ich es denn für besser, erst noch einmal ohnmächtig zu werden, wodurch die Sache einmal natürlicher wurde und ich auch etwas länger Zeit bekam, mich zu sammeln, und ein paar der Leute schleppten mich jetzt nach vorn unter die Stevenpumpe und fingen an mich zu begießen. Ich kam jetzt allerdings wieder zu mir, war aber noch so schwach, daß ich kein Wort herausbringen konnte, und so ließen sie mich denn die Nacht liegen, damit ich mich erst wieder ordentlich erholen möge.

„Am nächsten Morgen half übrigens nichts, ich mußte mit meiner Geschichte heraus. Nun wußten wir aber Alle miteinander, daß der alte Kasten dicht am Wind erbärmlich schlecht segle und reichlich sieben Strich brauche, um halbwegs vorwärts zu kommen; darauf hin log ich ihnen geradezu vor, daß ich am Mittag über Bord gefallen wäre und mir nachher fast den Arm ausgerenkt und die Lunge wund geschrieen hätte, um gesehen und gehört zu werden. Das Boot habe aber in ganz anderer Richtung gesucht, und als es bald darauf wieder an Bord zurückgekehrt und das Schiff in seinem Cours fortgesegelt sei, da wäre ich schon einmal in Verzweiflung entschlossen gewesen, mein Leben aufzugeben und mich wegsinken zu lassen. Die Lebenslust sei aber doch zuletzt stärker gewesen, und ich wäre nun, in der Hoffnung, daß das Schiff bald über Stag gehen müsse, gerade in den Wind hineingeschwommen, dessen genauen Cours mir das leichte Kräuseln des Wassers gezeigt. So habe ich meiner Rechnung nach wohl eine gute Seemeile zurückgelegt, als das Schiff wirklich wieder in Sicht kam und fast gerade auf mich zuhielt. Mehr aber wüßte ich nicht; die letzten Minuten erschienen mir selbst jetzt noch wie ein wirrer Traum, und ich glaube, ich sei ohnmächtig geworden, selbst ehe ich das Deck erreicht habe."

„Was für andere Beweise wollt Ihr, wie eines Mannes Wort?" lachte einer seiner Kameraden. „Und ließ sich der Alte wirklich leimen?" fragte ein Anderer. /135/

„Was wollt' er machen?" lachte Rhode Island; „an die Luke hinten dachte Niemand, da sie der Steward selber Abends spät zugemacht und von innen verriegelt hatte, und fort war ich gewesen und jetzt wieder da - das ließ sich nicht ableugnen. Außerdem kannten sie mich schon als einen guten Schwimmer; denn wie sie mich auffischten, hatt' ich ihnen schon früher einmal aufgebunden, daß ich drei Tage und drei Nächte geschwommen wäre."

„Auf Mannes Wort?"

„Oh, geht zum Teufel und mutzt Einem nicht jede Silbe auf! - Aber das war noch nicht Alles; denn verdammt will ich sein, wenn sich der Alte nicht eine von den nämlichen Flaschen heraufholen ließ, die ich schon einmal beigesteckt gehabt, und mir einen steifen Grog machte, daß ich mich erholen sollte, und dann die ganze Geschichte sauber und eigenhändig in sein Tagebuch eintrug. Dort steht sie noch unter meinem eigenen Namen und Ihr könnt sie bis auf den heutigen Tag lesen."

„Hahahaha, Rhode Island - Du bist eine prächtige Hand zum Aufbinden!" lachte ein Kamerad - „unserem Alten dürftest Du aber damit nicht vor den Bug kommen; der holte 'was Anderes als Cognac."

„Klar zum Halsen!" ging der Ruf über Deck, die Wache sprang auf und das Schiff wurde, da die See zu schwer von vorn kam, um ordentlich wenden oder über Stag gehen zu können, vor den Wind über den andern Bug gebracht oder „gehalst", immer bei so hoher und stürmischer See ein nicht ganz gefahrloses Manöver. Der Capitain verstand aber sein Geschäft aus dem Grunde, die Leute, die recht gut wußten wie viel dabei von ihrer Schnelligkeit abhing, führten die Befehle, kaum gegeben, rasch und vortrefflich aus, und wenige Minuten später peitschte die See den andern Bug, jetzt wieder nach Süden hinunterhaltend, damit sie über Nacht dem zu Starbord befindlichen Lande nicht zu nahe kämen.

Der kurze Tag, der in diesen Breiten zur Winterszeit in der That nur wenige Stunden dauert, neigte sich seinem Ende. Die Wache, in der Rhode Island war, ging bald zu Koje, und als sie wieder an Deck kamen, hielt sie eine gesprengte /136/ Pardune beschäftigt. Im Dunkeln ließ sich aber nicht gut etwas Weiteres damit thun, als sie vorläufig mit Hülfe eines vierscheibigen Flaschenzuges wieder zusammenzubringen und mit umgeschlagenen Tauen nothdürftig zu befestigen, bis sie am nächsten Morgen ordentlich gespließt werden konnte.

Es war in der Morgenwache, und der Sturm hatte wohl etwas nachgelassen, wehte aber doch noch immer scharf genug, und die See ging hoch und hohl.

Der alte Tom war eben vom Ruder abgelöst worden und kam nach vorn, seinen gewöhnlichen Sitz wieder in Lee von der großen, mitten auf Deck stehenden Barkasse nehmend; Rhode Island hatte indeß versucht, auf dem Leegangwege auf und ab zu gehen; die Bewegung des Schiffes war aber zu stark und besonders durch die hohe See zu unregelmäßig. Sich also neben den Alten niedersetzend, wie er ihn kommen sah, sagte er:

„Hallo, Tommy, ich wollte Euch eigentlich um 'was fragen."

„Und das wäre?"

„Ihr spracht gestern, wie Ihr uns die Geschichte von dem Wrack der Buckeye belle erzähltet, von Jemand, den Ihr nicht wieder zu sehen hofftet. Wer ist denn das?"

Der Alte hatte beide Ellbogen auf seine Kniee gestützt und schaute eine ganze Weile still und kopfnickend vor sich wieder; endlich sagte er leise:

„Ihr junges Volk seid jetzt anders wie wir zu unserer Zeit - wenn man mit Euch ein ernstes Wort sprechen und Euch an 'was Anderes mahnen will, als das tägliche Leben, das Ihr eben fassen und begreifen könnt, dann lacht und spottet Ihr und haltet Euch für so entsetzlich klug - 's ist da besser, man schweigt."

„Den Henker auch, Tommy!" lachte Rhode Island, „nun Ihr mich erst recht neugierig gemacht? - Mir könnt Ihr's sagen - Ihr meint doch nicht etwa den deutschen Klabautermann ?"

Der Alte schüttelte mit dem Kopf und sagte:

„Jede Küste hat ihre besonderen Wächter; der hat mit uns nichts zu thun; ich meine den schwarzen Mann." /137/

„Den schwarzen Mann?" rief Rhode Island erstaunt aus, und mußte sich Mühe geben sein Lachen zurückzuhalten, denn dann wäre es mit dem Erzählen des Alten vorbei gewesen. Dieser schien überdies heute nicht sehr gesprächig oder auf das Thema nicht gern eingehen zu wollen. - „Der fliegende Holländer kreuzt doch nicht an Cap Horn, so viel ich weiß?"

„Nein," sagte Tom, „von dem haben wir hier nichts zu fürchten; aber - glaubt Ihr, daß ein Boot in dieser See leben könnte?"

„Ein Boot?" rief Rhode Island, einen Blick nach vorn werfend, wo gerade wieder eine riesige Woge gegen den Bug donnerte und das wackere Fahrzeug bis in den Kiel hinab erzittern machte - „ein Boot in der See? - nicht von einer Welle zur andern, und wenn es von Kork wäre; es müßte füllen und zusammenbrechen in dem furchtbaren Druck."

„Und was würdet Ihr sagen, wenn jetzt ein fremdes Boot zu uns langseit käme, das Schiff anriefe und einen Passagier an Bord setzte?"

„Aber, Tommy..."

Blau Wasser

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