Читать книгу Reisen Band 2 - Gerstäcker Friedrich, Jurgen Schulze - Страница 1
ОглавлениеGesammelte Schriften
Friedrich Gerstäcker
Reisen Bd. 2
Die Südsee-Inseln (Schluß)
Australien, Java
Volks- und Familien-Ausgabe Band Sechs
der Ausgabe Hermann Costenoble, Jena
Friedrich-Gerstäcker-Gesellschaft e.V., Braunschweig
Ausgabe letzter Hand, ungekürzt, mit den Seitenzahlen der Vorlage, herausgegeben von Thomas Ostwald für die Friedrich-Gerstäcker-Gesellschaft e.V., Braunschweig
Unterstützt durch die Richard-Borek-Stiftung und
die Stiftung Braunschweigischer Kulturbesitz, beide Braunschweig
Friedrich-Gerstäcker-Gesellschaft e.V. u. Edition Corsar
Braunschweig. Geschäftsstelle Am Uhlenbusch 17
38108 Braunschweig
Alle Rechte vorbehalten. © 2016 / 2020
Tahiti.
(Schluß.)
Am 5. Abends saß ich im American Hotel und spielte mit ein paar amerikanischen Capitainen eine Partie Whist. Draußen vor der Tür, gerade auf dem belebtesten Teil der Stadt, spazierte die farbige schöne Welt auf und ab, und es war etwa dicht vor der Zeit des Appells, als plötzlich eine kreischende Weiberstimme zu uns hereintönte, worauf wir natürlich augenblicklich aufsprangen, um zu sehen, was da draußen vorging. Draußen ging aber auch in der Tat etwas vor, denn wir befanden uns gerade vor einer Gruppe, in deren Mittelpunkt eine junge Dame eben aus das Eifrigste beschäftigt war, ihre sämtlichen, nicht überreichen Kleidungsstücke abzuwerfen. Als das nach wenigen Augenblicken glücklich bewerkstelligt war, flüchtete sie sich in einen Schwarm junger Mädchen hinein, die sie augenblicklich in ihre Mitte nahmen und mit rasch abgeworfenen Schultertüchern umhüllten. Die Kleider aber blieben in der Mitte der Straße liegen, und der Ruf: „Centiped!" zeigte uns bald, woran wir waren. Das Mädchen hatte dies giftige Insekt an sich gefühlt, und mit wahrer Todesverachtung sämtliche Kleidungsstücke abgeworfen, um dadurch das gefürchtete Thier ebenfalls los zu werden. /8/ Ich hatte ein ganzes Glas voll californischer Ungetüme, unter diesen fehlte mir aber entschieden ein tahitischer Tausendfuß, und sämtliche Kleidungsstücke wurden deshalb, ohne die mindeste Störung von Seiten der Eingeborenen, als gute Prise erklärt und in das American Hotel hineingetragen. Solche Untersuchung einer completten Damengarderobe war allerdings vielleicht etwas undelicat; der Zweck heiligte aber hier die Mittel, und was ist einem Naturforscher nicht Alles gestattet! Nach kurzer Jagd umstellten wir auch richtig den Feind, trieben ihn in eine Falte und hatten ihn gleich darauf fest und sicher in einem Bierglas, halb mit Brandy gefüllt, von wo aus ich ihn später in meine Flasche verpflanzte. Die Kleider brachten wir dann ihrer Eigentümerin wieder zurück, bei der es aber erst mehrerer Versicherungen bedurfte, daß der Centiped nicht mehr darin, sondern in vollkommener Sicherheit sei.
Der Centiped ist das einzige giftige Thier, das auf diesen Inseln lebt, und auch dieser hat ein keineswegs gefährliches Gift in sich, sondern nur einen scharfen Saft, der den gebissenen Teil aufschwellen macht, aber nie den Tod herbeiführt. Diese Tiere sind auch dabei noch ziemlich harmlos und beißen nur, wenn man sie reizt. In Maiao fiel mir zum Beispiel einer der größten, die ich gesehen habe, auf den nackten Hals und lief mir darüber hin; ich fühlte dort etwas - wußte aber damals noch gar nicht, was es war - und schlug es mit der Hand herunter; er fiel mir dann auf den Arm, glitt über meine bloße Hand, ohne später die mindesten bösen Folgen zu hinterlassen, und ließ sich auf die Erde herunterfallen, wo er gleich darauf unter den Binsen und Matten verschwand, ehe ich seiner habhaft werden konnte.
- Die ausgewachsenen Centipeden sind von einer grünlichen Farbe.
Schlangen gibt es gar nicht auf diesen Inseln, nur eine kleine, ganz harmlose Eidechsenart. Herr Orsmond erzählte mir übrigens, daß man früher in einem, etwa sieben Meilen von dort entfernten Tal eine Art Eidechsen mit vier Schwänzen gehabt, die sich der frühere König Pomare habe manchmal fangen lassen. Seit langer Zeit seien aber keine mehr zum /9/ Vorschein gekommen. Schmetterlinge habe ich nur sehr wenige, Käfer gar keine schönen gesehen, doch möchte wohl auch in dieser Art, bei einem längeren Aufenthalt hier, Manches zu sammeln sein.
Tahiti war früher berühmt wegen seiner Tätowierer – die Leser der „Abenteuer in der Südsee“ von Melville erinnern sich vielleicht jener reizenden Schilderung der Art, wie das Tätowieren sonst auf den Südsee-Inseln betrieben wurde. Jetzt haben es aber die Missionare „aus der Mode gebracht“, und man sieht nur noch ältere Leute tätowiert, Mädchen und Knaben gar nicht mehr. Natürlich lag mir besonders daran, diesen alten, nach und nach mit der Zivilisation bei den Eingeborenen aussterbenden Gebrauch kennen zu lernen, und mir wurde zu diesem Zweck ein alter Tätowierer, Taitaou, der beste auf der Insel, empfohlen.
Mit einem der französischen Soldaten, einem Straßburger, den ich dort kennen gelernt, und der, seit langen Jahren auf der Insel, der tahitischen Sprache vollkommen mächtig war, machte ich mich eines Morgens auf den Weg, die Broomroad entlang und fünf englische Meilen etwa um die Insel herum, um ihn aufzusuchen. Der Weg selber war reizend, dicht am Ufer der See führte er hin, nur hier und da, wo ein kleiner frischer Wasserbach aus den Bergen kam, lief das flache Land weiter hinaus auf die Korallen, und freundliche Gärten und dichte Anpflanzungen aller möglichen Früchte, mit den lauschigen Hütten tief versteckt unter den breiten rauschenden Blättern schattiger Cocospalmenhaine lagen hier überall zerstreut. Zwischen den niederen Büschen oder den hohen, schlanken Stämmen hindurch gewann der Blick die Fernsicht auf das weite, offene Meer, und zwischen das Rauschen der Wipfel tönte das dumpfe Donnern der ewig stürmenden Brandung.
Die Anlage dieser Straßen ist übrigens mit vielen Schwierigkeiten verknüpft gewesen, und die Indianer mussten dazu gezwungen werden. Alle Strafen wurden zu gleicher Zeit dorthin gerichtet, so und so viele Faden (sechs Fuß) Straße zu arbeiten, und die Franzosen gewannen dadurch einen Kommunikationsweg um die ganze Insel herum, und durchbrachen /10/ teils, teils überbrückten sic Stellen, wo sonst, zu manchen Jahreszeiten besonders, eine Passage ganz unmöglich war.
Die Aussicht auf das Binnenwasser der Riffe ist ebenfalls reizend, die wunderliche Färbung des Wassers, dem die seichten und hellen Korallenbänke ein ganz eigenthümliches Licht verleihen - die schlanken dunkeln Canoes, die langsam und geräuschlos über die spiegelglatte Fläche gleiten - die einzelnen Seevögel, die, anscheinend nur ihrem Vergnügen nachgehend, durch die von keiner Wolke getrübte Luft kreisen, plötzlich aber einen Moment mit flatternden Schwingen förmlich stillstehen, und dann mit Blitzesschnelle auf die erspähte, zu sorglose Beute hinabschießen - weit draußen in See ein einzelnes Segel, das dem wohl lang' ersehnten Port mit günstiger Brise entgegenstrebt, und darüber der blaue, klare Himmel - und um uns her der weite herrliche Rahmen wehender Palmen - das Alles bot ein wundervolles, schwer zu beschreibendes Bild, und mein Führer, dem die Landschaft hier schon etwas ganz Alltägliches geworden, wurde zuletzt ordentlich ungeduldig, daß ich gar nicht von der Stelle wollte und halbe Stunden lang stehen konnte, „bloß durch die Büsche zu sehen“, wie er meinte.
Unterwegs überholten wir ein junges Mädchen, das in der gewöhnlichen Tracht, mit einem weiten Kattunoberhemd und barfuß, auf den schwarzen, flatternden Locken aber einen breiträndigen Panamastrohhut, die Straße entlang ging, ihrer eigenen Hütte zu. Mein Begleiter kannte sie, und an ihr vorbeigehend, rief er ihr ein freundliches Joranna hinüber und reichte ihr die Hand.
,Joranna, A-u-ma-ma, woher des Weges und wohin?“
„Wohin? - zu den Kindern - bring' ihnen Milch, weil sie's wollen.“
„Und wie geht's Lefevre? - ist er noch in Papetee?-“
„Bah!“ rief das Mädchen, und warf den Kopf herum, daß ihr die Locken um die Schläfe flogen, „bah - so viel für ihn,“ und sie schlug mit ihrer flachen Hand, ein Zeichen, gründlicher Verachtung, auf ihre Lende - dann sich abwendend, wollte sie rasch vorauseilen, der junge Bursch aber, der vielleicht glaubte, er könne sich einen Spaß mit ihr erlauben, /11/ ergriff sie am Kleid, und blitzesschnell drehte sie sich nach ihm um. Sie sprach kein Wort, aber der Blick, den sie ihm zuwarf, glühte in einem unheimlichen Feuer, und ein paar große helle Tränen standen in ihren Augen. Der Straßburger ließ sie erschreckt los, aber durch die Tränen hindurch lachte das Mädchen auch schon wieder hell auf, und ihm ein paar Blumen in's Gesicht werfend, die sie in der Hand hielt, sprang sie in flüchtigen Sätzen die Straße etwa hundert Schritt weiter hinab und verschwand dann rechts vom Weg in einer niedern Bambushütte.
,,A-u-ma-ma hat ihren Namen mit Recht,“ lachte der Soldat, „sie ist flüchtig wie eine kleine Eidechse, aber - ein wildes Mädchen bleibt's doch - einem Kameraden von mir hat sie neulich ein Messer gerade in die Schulter gerannt. Freilich, sie haben sie auch geärgert," setzte er dann in seiner gemütlichen Weise hinzu, „Lefevre heiratete sie erst, wie man hier überhaupt heiratct, und sie hat zwei Kinder mit ihm - seit ein paar Monaten hat er aber die jüngere Schwester genommen, und da wollte dies wilde Ding da nicht mit im Haus bleiben und ist mit ihren Kindern in die alte verfallene Hütte da gezogen. Manchmal kommt's mir ordentlich vor, als ob sie nicht recht bei Verstand wäre - sie spricht aber so weit ganz vernünftig.“
Wir hatten jetzt die Hütte erreicht, wo der alte Tätowierer wohnte, und wurden von diesem freundlich empfangen, obgleich die Nähe einer Stadt, wo Producte für Geld abzusetzen sind, allerdings einen sehr merklichen Einfluß auf die Gastfreundschaft dieser Leute ausübt. Da ich nach einer Weile Durst bekam, bat ich um eine Cocosnuß, und ein Knabe erbot sich augenblicklich - mir „einen Stock voll", wie sie zum Gebrauch nach Papetee geführt werden, von dem Nachbar zu holen - wenn ich ihm das Geld dazu gäbe. - So ist es aber auf der ganzen Welt - die Civilisation muß die Gastfreundschaft verdrängen, und wo die Leute erst einmal rechnen lernen, da zählen sie dann auch schon die Früchte auf ihren Bäumen, und selbst die Cocosnüsse sangen an Geld zu kosten.
Um nun übrigens ein Andenken von Tahiti mitzunehmen, beschloß ich, mich tätowieren zu lassen, und Taitaou war auch /12/ augenblicklich bereit, die Operation mit mir vorzunehmen. Die ganze Behandlungsart war übrigens schon an und für sich interessant genug, und der Ernst, mit dem der Künstler an sein Geschäft ging, entsprach ganz der Wichtigkeit des Unternehmens: Jemandem nämlich ein Kleid anzulegen, das er nicht etwa auf Monate oder Jahre, sondern sein ganzes Leben lang tragen und einst mit in sein Grab nehmen soll.
Er selber trug die Spuren der alten Heidenzeit in reichem Maße an sich, und ganz besonders die mondartigen Zeichnungen über seinem Rückteil, schien auch aus dieser Sache - wie mir übrigens schon vorher gesagt worden war - eine Art von Geschäft zu machen, denn er hielt sich ein besonderes Musterbuch. Als ich ihm meinen Wunsch kundgegeben und ihm zugleich ein paar Zeilen zu dem Zweck von Mr. Orsmond gebracht hatte holte er dieses aus einer alten „Seekiste" heraus, legte es mir vor und schien, die wilden Zeichnungen darin mit Wohlgefallen betrachtend, meine Wahl zu erwarten. Das Buch war ein wunderliches Album roher Zeichnungen von Schiffen vor allen Dingen, vollen Schiffen und Barken, Briggs und Schonern - dann kamen Flaggen verschiedener Nationen, besonders französische, englische und amerikanische. Eine vortreffliche Auswahl von Meerweibchen hatte er ebenfalls, und einige von ihnen mit einem Kamm in der Hand wie ein Gartenrechen. Dann kamen Anker und Walfische, und nachher eine wundervolle Sammlung von europäischen Damen, alle mit einer entsetzlichen Frisur und einem blau und roten Kleidmuster, sehr bauschigen Ärmeln und ungemein kurzer Taille. - Es war dies die Sammlung von Mustern, unter denen Matrosen gewöhnlich ihre Wahl treffen, wenn sie sich die Arme oder die Brust mit Anker, Meerweibchen, Schiffen und Schönen zeichnen lassen, und sie sehen dann besonders darauf, die Bilder abwechselnd hübsch rot und blau zu haben; die Indianer selber bedienten sich früher aber nur der blauen Farbe für sich, und ich habe nie einen mit einer roten Zeichnung oder Malerei gesehen. Ich selber war ebenfalls nicht gesonnen, mich mit derartigen Emblemen zu verunstalten. Ich bat ihn durch meinen Dolmetscher, mir mit seiner eigenen Farbe die alten heidnischen Zeichen der /13/ Tahitier in die Haut zu graben, und der alte Bursche schien damit ebenfalls von Herzen gern einverstanden. Er warf sein Musterbuch, das er im Anfang so achtungsvoll und sorgfältig vorgesucht, mit einem Ruck seines Armes in die fernste Ecke der Hütte, und sein Kästchen vorholend, begann er ohne Weiteres seine Arbeit aus freier Hand, als ob es seine alltägliche Beschäftigung sei und gar nicht zu den jetzt so streng verpönten heidnischen Künsten gehöre.
Das Tätowieren hatte auch früher eine weit höhere Bedeutung, wie nur die Haut zu färben. Gewisse Zeichen an bestimmten Teilen des Körpers, wie zum Beispiel bei den Frauen das Tätowieren der Knöchel, galten als Zeichen der Mannbarkeit - die Priester tätowierten sich anders als die Krieger, und Auszeichnungen in der Schlacht sollen hier und da gewissermaßen durch Hieroglyphen dargestellt sein. Auch nahmen sie Tiere zu diesen Symbolen, und Fische spielen dabei eine sehr bedeutende Rolle. Als Farbe benutzten sie den unter einem flachen Stein aufgefangenen Qualm der tui tui oder Lichtnuß, was der Zeichnung eine schöne blaue Farbe gibt, und zu Instrumenten haben sie kleine, mit aus Knochen und Haifischzähnen bewaffnete Werkzeuge, die in ihrer Gestalt unseren Gartenrechen ähneln und etwa 31/2 bis 4 Zoll lang sind. Diese Instrumente haben je einen bis zwölf Zähne, je nachdem sie die Striche lang brauchen, und jeder Zahn läßt in der Haut einen Punkt zurück. Beim Tätowieren setzen sie die Zähne auf die Haut, halten den Stiel mit der linken Hand, während Zeigefinger und Daumen dieser Hand das Instrument lenken, und schlagen dabei fortwährend mit einem kleinen Stückchen leichten Holzes auf den Stiel, wodurch sie eben die Zähne in die Haut eintreiben. Dieses Aufschlagen, dem Tact nach gewöhnlich in Triolen, hat nach seinem Geräusch, tat tat tat - tat tat tat, der ganzen Behandlung den Namen Tätowieren gegeben. Das Tätowieren selbst ist nicht besonders schmerzhaft, und die Zeichnung schwillt nur am nächsten Tag etwas auf.
So lange war ich nun übrigens schon auf Tahiti, und hatte noch nicht einmal die Königin des Landes, Pomare IV., die berühmte Königin der Gesellschaftsinseln, gesehen, war /14/ aber fest entschlossen, Tahiti nicht eher wieder zu verlassen, bis ich eine Audienz bei ihr gehabt hätte. Dem stellte sich jedoch manche Schwierigkeit entgegen. Herr Orsmond hatte mir versprochen, mir dazu behülflich zu sein, schien aber Schwierigkeiten gefunden zu haben; auch sagte mir sein Sohn, daß etwas wegen eines Landbesitzes zwischen ihnen vorgekommen wäre, wonach sie nicht auf dem besten Fuße stünden. Sonst kannte ich Niemanden, an den ich mich wenden konnte, und ich wußte nicht recht, wie es anzufangen sei. Außerdem hörte ich von meinem Straßburger Soldaten - der mir versicherte, mit dem Kronprinzen sowohl als den beiden jüngeren Prinzen auf sehr freundschaftlichem Fuße zu stehen -, daß die Königin jetzt gerade erst vor ganz kurzer Zeit ihr schönes und vollkommen europäisch eingerichtetes Haus einer kranken Verwandten überlassen habe und in eine ganz gewöhnliche Bambushütte am Strand gezogen sei, wo sie sich jetzt aufhalte. Dort dürfte sie wohl sehr schwer veranlaßt werden, überhaupt irgend eine Audienz zu erteilen, was unter solchen Verhältnissen gar nicht mit der gehörigen Würde geschehen könne.
An einer ordentlichen Audienz war mir überdies gar nichts gelegen - ließ ich mich ihr als ein Reisender aus Deutschland vorstellen, so wurde jedenfalls große Toilette verlangt, mit der ich nicht einmal eingerichtet war, und das Ganze lief auf nichts als eine steife Ceremonie hinaus; dagegen gab es ein anderes Mittel. - Ich bat den Straßburger, mich Ihrer Majestät als einen fremden Musikanten anzukündigen, der ein ganz neues Instrument mit nach Tahiti gebracht habe. Ich war ziemlich sicher, daß sie hier noch keine Zither gesehen hatten, und mein neuer Dolmetscher, dem ich die auch ihm fremde „Musik" zeigte, war so entzückt davon, daß er mir die Versicherung gab, die Königin würde die Zeit gar nicht erwarten können.
„Ich bin doch selber musikalisch," sagte er - er war Trommelschläger - „aber so ein Instrument hab' ich in meinem ganzen Leben noch nicht gesehen."
Seines Beifalls gewiß, konnte ich darauf rechnen, daß er durch den Thronfolger auch Ihro Majestät für mich interes-/15/sieren würde, und am Montag Morgen kam er denn auch richtig schon zu mir und kündigte mir an, wir könnten noch an demselben Abend zur Königin gehen. Die Sonne mochte noch etwa anderthalb Stunden hoch sein, als wir uns anschickten, Ihro Majestät, die jetzt ganz am westlichen Ende der Stadt wohnte, unsere Aufwartung zu machen, und wir mussten zu diesem Zweck fast ganz Papetee durchwandern. Gegen Abend beginnt in den Straßen, der Stadt das Leben, und die Hotels und die Weinhäuser füllen sich. Die letzteren haben dabei ausschließlich die meisten Gäste, denn der größte Teil der Europäer auf Tahiti sind Franzosen, und diese können nun einmal nicht ohne ihren „Claret" existieren - den ich denn auch wirklich noch nirgends so schlecht getrunken habe, als gerade auf Tahiti.
Der Franzose ist überhaupt lebenslustig, und überall sitzen dann lachende, singende, trinkende Gruppen an den Tischen herum, Billard wird sogar schon gespielt, und in dieser Hinsicht sind die Gesellschaftsinseln den hawaiischen glücklich nachgeeilt; die Zeit fliegt, und weshalb nicht die fliegende benutzen, noch dazu unter solchem Himmel? Darin sind aber auch die Indianer mit ihren neuen Herren vollkommen einverstanden, und die frommen Väter der protestantischen Mission mögen eifern und predigen so viel sie wollen gegen das Sabbathbrechen der Militärmusik zum Beispiel - geistliche Lieder ausgenommen -, die Franzosen und Indianer nehmen eben geistliche Lieder aus, und sind lästerlicher Weise auch in ihrem Gott vergnügt, während Walzer, Polkas und Märsche von einem tüchtigen Musikchor gespielt werden.
Wir konnten uns jetzt aber nicht so lange hier aufhalten. - An der Kirche der Eingeborenen vorüber, deren Glocke in einem stattlichen Orangenbusch dicht am Strande hing , passierten wir der Missionare Mr. Pritchard's und ich glaube auch Mr. Howe's schon ältere, stattliche Wohngebäude, an denen man recht sehen konnte, wie sauer es den armen Männern geworden sein muß, unter Strapazen und Entbehrungen auf dieser wunderschönen Insel auszuharren, und ließen so die Stadt mit ihren Bananen- und Brodfruchtgärten hinter uns, die einzelnen kleinen indianischen Wohnstellen jetzt betretend. /16/ Dicht am Strand, von hohen Bäumen überragt, aber auf dürrem, steinigem Boden, und mit der Aussicht zwischen den Stämmen und unter dem Laubdach hin nach der reizenden kleinen Insel Motuuta, dem eigentlichen königlichen Stammsitz der Pomares, stand eine der langen gewöhnlichen Bambushütten, in denen größere indianische Familien, zwei und drei zusammen gewöhnlich, ihren Aufenthalt haben - und hier residierte jetzt die Königin der Gesellschaftsinscln - hier wohnte Äimata - von den Pomaren die vierte1 - (Enkelin des ersten Pomare und Schwester des verstorbenen Königs), und als ich mich dem Hause näherte, fühlte ich ordentlich, daß ich classischen Boden betrat.
Es war gegen Abend, und einer der jungen Prinzen saß vor der Tür auf einem Stein und verzehrte seine Brodfrucht und rohen Fisch. Pomare's Tochter, ein junges Mädchen von etwa zwölf Jahren und die Zwillingsschwester des ältesten Sohnes, kam uns entgegen und betrachtete sehr neugierig das Instrument.
Die königliche Familie war gerade beim Souper, und wir lagerten uns indessen draußen unter dem Hofstaat zwischen den Steinen, und einige der Kammerherren und Hoffräulein, die „Einaas" des Mahora von Tahiti, mit Ihro Königl. Hoheit der jungen Prinzeß setzten sich dicht um uns her aus die Steine nieder und verlangten ziemlich bestimmt, die Musik zu hören. Allerdings setzten sie dabei jede Etikette hintan, nach der II. MM. (ich finde, die europäische Verdoppelung der Silben oder Buchstaben hat auch noch außerdem viel /17/ Ähnlichkeit mit dem Tahitischen) doch jedenfalls zuerst mussten etwas vorgespielt bekommen.
Die älteste Prinzeß waren ein wildes kleines Ding, sprangen nach Herzenslust um uns herum, schon im Voraus nach den in Gedanken heraufbeschworenen Tönen tanzend, und kauten indessen mit höchsteigenen Zähnen ein Stück geröstete Brodfrucht (es ist doch etwas Schönes um die Biegsamkeit unserer deutschen Sprache), und die Einaas prüften die Saiten, ließen ihre kleinen niedlichen Finger darüber hinstreichen und freuten sich kindisch, wenn sie das Wiederklingen hörten.
Endlich schien das Souper beendigt, der jüngste Prinz kam wenigstens in die Thür gesprungen, und gab uns ein Zeichen, näher zu treten. Der innere Raum des Hauses war in drei Abteilungen geschieden, entsprach aber sonst in seiner Einfachheit vollkommen den einfachsten Hütten der übrigen Eingeborenen. - Das erste dieser Zimmer - wenn ich Wände von Bambusstäben und den nackten Fußboden eben so nennen darf - schien zur Vorhalle wie zugleich zum Schlafcabinet der Einaas oder Hoffräulein zu dienen, das zweite den Kindern zugeheilt zu sein, und das dritte - das inwendig einfach mit Kattunvorhängen versehen war, um das königliche Paar den Blicken der Untertanen zu entziehen - diente der Königin und ihrem Gemahl zum Aufenthalt. Im zweiten blieben wir einen Augenblick, und der jüngste kleine Bursch, ein Lockenkopf von neun oder zehn Jahren, sprang voran, um uns zu melden; wenige Secunden später standen wir in Gegenwart der Königin. - Pomare saß hier allein auf einer Matte und nähte an einem Kleid - unser Gruß lautete: Joranna, Pomare! - und sie winkte uns freundlich, vor ihr niederzusetzen.
Mein Begleiter nahm dann das Wort und erzählte ihr, ich sei hier zu ihr gekommen, nicht gerade ganz direkt von Deutschland, aber doch von Califoli dem Lande, wo das viele Perù gefunden würde (und sie sah dabei eigentlich zum ersten Mal ordentlich von ihrer Arbeit auf; da ich ihr aber nicht wie Einer vorkommen mochte, der das viele Peru gefunden hätte, fuhr sie wieder zu nähen fort, bis die Rede auf das /18/ Instrument kam), um ihr diese neue deutsche Musik zu zeigen, die sie noch nicht kenne, und er hoffe, daß cs ihr gefallen würde. Ich stand dann auf und reichte ihr das Instrument, damit sie es in der Nähe genau besehen könne. Sie betrachtete es auch aufmerksam, aber mit weit weniger Neugierde, als ich erwartet hatte, und das, was ihr am meisten daran aufzufallen schien, war der oben als Knauf geschnitzte Bärenkopf.
Die Hofherren und Damen klemmten indessen draußen ihre Nase zwischen die Bambusstäbe der Hütte, um zu sehen, was inwendig vorging, und als ich ein paar Accorde auf dem Instrument griff, schienen sie die Bambuswand eindrücken zu wollen. Pomare lächelte, und sich wieder zu meinem Dolmetscher wendend, sagte sie ihm, ich möchte draußen im Freien spielen, daß ihre Leute es ebenfalls hören könnten, sie wolle zu uns hinauskommen.
Natürlich leisteten wir ihrem Wunsch augenblicklich Folge, und ich suchte mir jetzt vor dem Hause einen passenden Stein zum Niedersitzen, während die Schar draußen, die uns schon mit Ungeduld erwartet hatte, sich rasch um uns her lagerte. Die kleine Prinzeß lehnte sich mir höchsteigenarmig auf die Schulter, um ja keinen Ton der „deutschen Musik" zu verlieren, und die Königin setzte sich auf die Schwelle ihres Hauses, mir gerade gegenüber.
Hier muß ich die Königin Pomare gegen all' die vielen übertriebenen und lügenhaften Beschreibungen in Schutz nehmen, nach denen sie, bei einer ungeheuren Dicke, sich nach Tisch, um besser zu verdauen, von ihren Hofdamen walken lasse usw. Erstens leben alle diese Indianer sehr mäßig und essen wenig, also auch die Königin, und dann ist Pomare nicht allein nicht übertrieben, sondern gar nicht was man dick nennen kann. Sie hat eine nicht gerade schlanke, aber doch wohlproportionierte Gestalt, ist von mittler Größe, mit einem weit ernsteren und auch wohl etwas stolzeren Wesens, als es die Kanakafrauen sonst haben, was ihr aber ganz gut steht. Sie ist aus dem jugendlichen Alter heraus, hat aber doch noch immer viel Frische bewahrt, und ihr Anstand ist edel und frei - ihre Tracht dabei aber auch so einfach, wie die /19/ aller übrigen Kanakafrauen, von denen man sie, dem Äußern nach, nicht unterscheideu könnte. Sie trug an diesem Tag ein rotmusselinenes Kleid, das ihr, nach dem Schnitt der übrigen, von den Schultern bis aus die Knöchel herunterfiel, ein kleines Tuch um den Hals und einen Männerstrohhut - eine ziemlich allgemeine Sitte unter den Frauen; auch ging sie wie alle anderen Indianerinnen barfuß.
Während wir alle mitsammen vor der Tür saßen, kam auch ihr Gemahl herbei. Er war augenscheinlich jünger als Pomare und ein schlanker, hübscher Indianer mit ausdrucksvollen, aber etwas weichlichen Zügen. Er lehnte sich, neben der Königin, mit dem Ellbogen an den Türsims und blieb so stehen. Wir müssen, wie wir so dasaßen, ein ziemlich eigenthümliches Bild gegeben haben. Die Gruppe, die um mich her lagerte, war wirklich malerisch, und mag es sein, daß die Gegenwart der Fürstin die Zungen im Zaume hielt - kein Wort wurde gesprochen während ich spielte, und nur das Rauschen der Wipfel über uns und das ferne Donnern der Brandung begleitete die weichen Töne des Instruments.
Ich spielte ihnen teils deutsche, teils irische und schottische Melodien, die einfachsten schienen ihnen aber immer die liebsten, und wunderbarer Weise machte ein und dasselbe Lied, welchem Stamme, welcher Nation von Naturmenschen ich es auch vorspielte, stets denselben, und zwar den günstigsten Eindruck auf sie - unser einfaches Schweizerliedchen: „Steh nur auf, steh nur auf!" - Was sie auch dazwischen hörten, das mußte ich immer wiederholen, und sie hatten augenblicklich Worte dafür, die sie aus den Klängen des Instrumentes heraushorchten und nachsangen. Ja, aus Maiao summten sie schon am nächsten Tag die Melodie, wohin ich kam; überhaupt ist das Ohr dieser Stämme leicht empfänglich für Musik.
Dämmerung brach aber jetzt ein, und ich hielt es für Zeit mich zu empfehlen, stand also, zum Ärger der Kinder, die noch mehr zu hören wünschten, auf, gab Pomare und ihrem Gemahl die Hand und empfahl mich, freundlich von ihnen entlassen. – /20/ Lange schon war es mein Wunsch gewesen, die in der Bai unfern der Einfahrt des Hafens liegende und von weiten Korallenbänken umgebene kleine reizende Insel Motuuta einmal zu besuchen. Um das aber ganz ungestört tun zu können, borgte ich mir eins der gewöhnlichen indianischen Canoes und ruderte langsam hinüber. Ich war schon früher in dieser Art von Canoes mit einem „outrigger" oder ausstehenden Wuchtholz (sogenannten Luvbaum) gefahren, und wenn das Canoe Segel führt oder auch vielleicht der Wind schwerer weht als gewöhnlich, gebe ich zu, daß sie weit sicherer gehen als ohne dieselben. Dem Umschlagen sind sie fast gar nicht ausgesetzt, aber dadurch auch weit unbehülflicher zu lenken und schwerer zu steuern, indem die Wirkung des im Wasser liegenden Luvbaums dem schmalen Ruder fast immer entgegenarbeitet. Es läßt sich auch denken, wie viel schwerer eine rasche Wendung damit sein muß, da ich nach innen zu das Gewicht des Holzes erst durch das Wasser zurückzupressen habe, während ich nach außen dasselbe mit herumbringen muß. Nichtsdestoweniger kommt hier das federleichte Holz verschiedener Baumarten diesem indianischen Schiffsbau sehr zu statten, und wenn auch alle die Canoes, die ich hier sah, an Zierlichkeit und Zweckmäßigkeit des Baues lange denen der nordamerikanischen Indianer nicht gleichkommen, lagen sie doch verhältnißmäßig sehr leicht auf dem Wasser. Einzelne der Südsee-Inseln sind übrigens ihrer Canoes wegen berühmt, so die Neuseeländer des scharfen Baues und der wunderlichen Schnitzereien wegen, besonders aber die der navigators group, die ihre Canoes aus zwei Teilen, lang gespalten, zusammenfügten, den einen Teil verschieden geformt vom andern, wodurch sie einen außerordentlichen Grad von Schnelligkeit erreichen sollen.
Das Canoe, das ich hatte, war einfach aus einem Brodfruchtstamm ausgehauen und nichts weniger als künstlich; trotzdem entsprach es meinem Zweck vollkommen, und die Entfernung betrug auch kaum mehr als eine oder anderthalb englische Meilen. Diese kleine Insel ist berühmt in der taktischen Geschichte - früher war es der Lieblingsaufenthalt der tahitischen Fürsten, hieß auch die Königsinsel, und selbst der /21/ letzte König hatte dort noch seinen Schießstand, und seine Bogen und Pfeile - mehr eine Vergnügungs- als Kriegswaffe - in einem besondern Haus, von welcher Sammlung er so viel hielt, daß Fremden besonders der Zutritt nur sehr selten gestattet wurde. Die Königin selber hat hier mehrere ihrer Kinder geboren, und die freundliche Insel muß für die Leute damals ein kleines Paradies gewesen sein. Und jetzt? - haben die Franzosen Besitz von derselben genommen; nach dem Eingang des Hafens zu steht eine Batterie von vier Zweiunddreißigpfündern. Die Gebäude enthalten Warenraume für alle möglichen Schiffsbedürfnisse: Taue, Blöcke, Ketten usw., ebenso für Munition; zerbrochenes und gebrauchtes Geräte liegt überall umher, das Gras ist niedergetreten, aus den Spielplätzen der Kinder wächst Gebüsch, und die einzelnen Cocospalmen senken trauernd ihre Häupter über das verödete Familienheiligtum.
Ein einziger Indianer wohnt hier als Aufseher über die Schiffsgüter, und die Königin selber ist seit langen Jahren nicht mehr herübergekommen; aber die Palmen schaukeln noch so still und friedlich als damals ihre breiten herrlichen Wipfel, und das durchsichtige krystallreine Wasser spiegelt noch wie irüher die lauschigen Schatten der Büsche wieder. - Nur die freundlichen Gesichter sind verschwunden, die sich sonst darin neckten und haschten, die schlanken Gestalten gleiten nicht mehr aus dem schützenden Dickicht in das weite Korallenbassin, das die Natur hier für ihr Bad gebildet und mit scharfen, zackigen Pflanzen gegen die gefräßigen Ungeheuer der Tiefe gesichert hat. - Ihre fröhlichen Weisen schwellen nicht mehr - horch - was war das? - Trommelschlag - ein Wirbel rasselt, und die Möve, die eben dicht an dem dunkeln Buschwerk vorüberstrich, schießt in jähem Schreck ab von den feindlichen Tönen und sucht sich einen stilleren, friedlicheren Platz für ihren Flug.
Ich hatte einige Mühe, einen Weg mit meinem selbst nur wenige Zoll im Wasser gehenden Canoe zu der Insel zu finden, obgleich mehrere ziemlich tiefe Kanäle dorthin führen - so hoch ragten die Korallen, gerade wo ich die Anfahrt versuchte, an die Oberfläche empor. Endlich erreichte ich eine /22/ etwas vorragende Landspitze und sprang an's Ufer - Niemand hinderte mich - während Hermann Melville damals auf so entschieden hartnäckige Weise von der einen Schildwache rund um die Insel herum vom Landen abgehalten worden war und unverrichteter Sache hatte wieder zurückkehren müssen - ein einziger alter Indianer hütet den Platz, sieht danach, daß Niemand die dort aufgespeicherten Vorräte berührt, und verträumt seine Zeit als Generalgouverneur und Schildwache des Platzes. Um so mehr war ich erstaunt, hier die kriegerischen Töne der Trommel zu hören, und als ich mir durch ein wirres Dickicht von wild aufgewachsenen Büschen Bahn zu der Stelle brach, fand ich - niemand Andern als meinen Straßburger mit den drei Prinzen des königlichen Hauses, denen er, auf dem Erbsitz, von dem sie die Fremden gestoßen - Trommelstunde gab. - Die drei Knaben, die übrigens in Hosen und Jacken gekleidet waren, und jeder einen goldenen Ring am Finger hatte, kamen freundlich auf mich zu - sie kannten mich noch, und gewissermaßen als eine Art Revanche, da ich ihnen doch auch früher „Musik gemacht", trommelten sie mir jetzt der Reihe nach etwas auf ihrem Lieblingsinstrument vor.
Ich blieb nicht lange auf der Insel, der Platz bot nichts Freundliches, was mich dort lange hätte halten können. Vorher aber zeigte mir der Straßburger noch eine Partie Hölzer, die wie starke Kanonen geformt, aber höchstens fünf Fuß lang und ohne Mündung waren. Ein englisches Schiff hatte vor mehreren Jahren hier einlaufen wollen, scheiterte aber aus den Rissen, und die Franzosen fischten unter den an's Land treibenden Hölzern auch diese Kanonen auf, von denen der Engländer, glaub' ich, siebenundzwanzig an Bord gehabt, und die wahrscheinlich hatten dazu dienen sollen, die Franzosen einzuschüchtern — ein sehr verfehlter Zweck, denn diese nachgemachten Kanonen liegen jetzt hier wie ein von Kindern entlarvter und verlachter Popanz.
Von der Insel ab trieb ich langsam und ohne zu rudern, von einer leichten Brise fortbewegt, über die Korallenriffe, und sah unter mir nieder, gerade wie bei Imeo, die kleinen Fische spielen, und die wunderlichen Stämme und Pflanzen /23/ zu mir heraufragen. Seesterne und Igel lagen tief versteckt zwischen den zackigen Ästen und Zweigen, und wie ein Wald krystallisirter Bäume zog es sich in breiten Gebirgsstreifen und tiefen, mit blauem Nebel gefüllten Tälern unter mir hin. So muß dem Aeronauten zu Mute sein, wenn er in luftiger Höhe hoch, hoch über den Bergen und Seen des festen Landes schifft, und unter ihm Wälder und Täler, belebte Städte und Flecken wie flüchtige Nebelbilder dahinschwinden.
Ein englischer Arzt in Papetee erzählte mir besonders viel von der Vegetation der höchsten Berge, und wie da oben unter anderen eine Blume blühe, die auf keinem andern Teil der Erde vorkomme, und den lieblichsten Duft verbreite, den man sich denken könne. Er selbst hatte den Versuch gemacht, sie unten im flachen Lande fortzubringen, aber sie wollte nicht gedeihen. Der Doktor hatte in seinem eigenen Garten eine recht hübsche Sammlung tropischer Pflanzen - die Vanille von Brasilien, die Norfolktanne von Australien, die Lotosblume und den Kapasbaum von Indien und manche andere mehr, die hier alle in dem wundervollen Klima Tahitis trefflich gedeihen.
In diesen Tagen lief auch ein deutscher Walfischfänger ein: die Otaheite, und ich sah mit inniger Freude die Bremer Flagge, eine alte liebe Bekannte, von dessen Gaffel wehen. Natürlich fuhr ich gleich an Bord hinüber, und wurde von Capitain Wieding auf das Freundlichste empfangen. Die Otaheite war ein reizendes, noch ganz neues Schiff, sehr geschmackvoll, ja elegant eingerichtet und machte Furore in Tahiti.
Als ich zum zweiten oder dritten Mal auf dem Schiff war und über Deck ging, um mir das nette Fahrzeug von allen Seiten zu besehen, trat, als ich nach vorn kam, einer der Matrosen mit einem echt deutschen Gesicht auf mich zu, und redete mich etwas verlegen an: er hätte gehört, ich wäre ein Sachse. - Ich versicherte ihm, daß ich wenigstens in Sachsen jetzt zu Hause sei, und sein breites -: Ne, da währen Se wohl gar ä Laipziger? versetzte mich im Nu an die Ufer der Pleiße und Elster zurück. /24/ Unsere Begrüßung war herzlich, und als ich ihn frug, wie er, ein richtiges Kind des innern Landes, nur um Gottes willen hier beinahe zu den Antipoden gekommen wäre, auf Walfische zu jagen - ein Leipziger und Walfische! - erzählte er mir mit freudestrahlendem Gesicht, daß er eigentlich der „Scharfrichters^“-Knecht aus Leipzig wäre und, „wie man nun so manchmal in der Welt herum käme,“ auch an Bord eines Walfischfängers geraten sei und jetzt „ganze Stücken mit einem Mal" von der Welt zu sehen bekäme. „Ach heren Se, mei gutes Herrechen,“ setzte er dann einschmeichelnd hinzu - „haben Se denn gar kene Nachrichten kerzlich von Laipzig?“
Ich versicherte ihm, daß ich die letzten sieben oder acht Monate keinen Brief von dorther, keine Zeitung gesehen habe, die mir die geringste Auskunft erteilt hätte, und in seiner gemütlichen Weise fuhr er dann fort mir zu erzählen, was „für ein paar scheene Mordtaten" da erst ganz kürzlich wieder vorgefallen wären; - eine „sehre scheene“, wo ein Sohn seine Mutter um ein paar Taler erschlagen hatte, eine andere, minder scheußlich, aber doch auch angenehm, und er bedauerte jetzt, daß er nicht doch lieber dort geblieben wäre - aber „wer hätte denn das wissen können!“
Der Mann war wirklich ein Original, und jetzt, da er einen Landsmann vor sich zu sehen glaubte, waren all' seine Sympathien auf alle nur erdenklichen Mordtaten und Schreckensgeschichten des alten Landes in einer so harmlosen als rührenden Weise gerichtet. - Wie sich der Ackerbauer, wenn lange Zeit in See, nach seinem Pflug, der Jäger nach seinem Wald sehnt, so weckte der Name der Heimat in seinem Herzen eben so liebgewonnene Klänge, die das Blut eines Andern erstarren gemacht.
E i n s c h ö n e r M o r d ! - was für eine furchtbare Poesie liegt in den wenigen Worten - ich glaube der Mann würde einem ihm zur Exekution Übergebenen in voller Seelenfreude um den Hals gefallen sein, und sich auf so herzliche wie aufrichtige Weise bei ihm bedankt haben, daß er ihm das Vergnügen mache, sich von ihm hängen zu lassen. Und trotzdem lag wieder eine unendliche Gutmütigkeit in seinen Zügen; /25/ der Mann selber, das bin ich überzeugt, hätte nicht so leicht ein Verbrechen begehen können, ausgenommen vielleicht in Aufopferung für die Kunst, dann aber auch mit Wonne. - Der Bursche soll übrigens später, trotz seiner anscheinenden Harmlosigkeit, wenigstens gezeigt haben, daß er Mutterwitz habe. Als das Schiff Monate nachher auf den Sandwichsinseln noch mit vielen anderen Walfischfängern zusammenkam, wußte er sich dort einige Medizinen zu verschaffen, und trat nun plötzlich, in seiner Eigenschaft als Scharfrichter, dem die stets abergläubischen Matrosen nur zu gern geheime Wissenschaften und Kräfte zuschreiben, als eine Art Doktor auf, der „für Alles gut war", und bekam bedeutenden Zuspruch. Ich weiß freilich nicht, ob er sich später noch gut aus der Affaire gezogen.
Mit dem Arzt der Otaheite, ebenfalls einem Deutschen, machte ich am 12. Februar einen kurzen Ausflug in das gleich oberhalb Papetee liegende Thal, das insofern historische Bedeutung hat, als sich die Eingeborenen hier in dem letzten französischen Kriege, von anderen Fremden, besonders von Engländern und Amerikanern, heimlich mit Waffen und Munition versehen, durch das Terrain unterstützt, tapfer und unüberwunden hielten, bis Einer ihres eigenen Stammes verräterischer Weise den Feinden des Vaterlandes einen Engpaß zeigte. Und dieser Mann - eine kleine untersetzte tätowierte Gestalt mit schmalen unsteten Augen, geht jetzt gar fromm und ehrbar in schwarzem Frack und rotem Lendentuch einher, gehört zu den innigsten Anhängern der Kirche und ist eins der geachtetstcn Glieder der christlichen tahitischen Gemeinde.
Dem kleinen Fluß aufwärts folgend, in dessen unterem Tal noch einzelne kleine Wohnhäuser und Gärten von einer Fenz umschlossen waren, konnten wir im Anfang wirklich kaum durch den fast undurchdringlichen Guiavenwald pressen, der hier Alles mit einer wildverwachsenen Masse von Sträuchern und Bäumen überzogen hatte.
Die Missionäre haben die Guiaven mit anderen Früchten hier herüber gebracht, und wenngleich im Anfang gut gemeint, ist es doch fast zum Fluch der schönen Täler dieser Inseln /26/ geworden. So ungern der Indianer selbst früher daran ging, wo das Land ihm noch nicht die mindesten Schwierigkeiten bot, seinen Acker zu bebauen und süße Kartoffeln zu ^stanzen oder einen Bananengarten anzulegen, so viel schwerer wird es ihm jetzt gemacht, wo er selbst anfangen muß hartnäckiges Buschwerk und junge zähe Baumwurzeln auszuroden, um nur erst einmal zu dein Boden zu kommen, den er bepflanzen will. Die Guiaven zogen sich bis hoch in das Thal hinauf, und erst wo wirklich steilere Hügel begannen, blieben sie zurück, oder kamen hier wenigstens nur einzeln vor, anderen Fruchtbäumen den Vorrang lastend.- Einzelne Cocospalmen standen hier eben so zerstreut als Orangen und Citronen, mit der tahitischen Kastanie, sogenannten mapé und dem stattlichen Wibaum wie der indischen manga (spondias) - und bald fanden wir uns in einer engen, aber höchst romantischen Schlucht, an deren beiden Seiten hohe schroffe, aber nichtsdestoweniger dichtbewaldete und bewachsene Felshänge emporstiegen, den zwischen ihnen durchbrausenden Strom oft fast überragend. Je weiter wir auswärts kamen, desto seltener wurden die Palmen, und als wir die Guiaven auch hinter uns ließen, traten wir in einen fast europäisch, wenigstens nordisch aussehenden Wald, in dem die mapés mit ihren großen lorbeerähnlichen Blättern, und wie gefalteten Stämmen, mit den stattlichen Wibäumen, die in Wuchs und Aussehen viel Ähnlichkeit mit unseren Buchen haben, entschieden vorherrschend waren. Der tui tui- oder Lichtnußbaum (aleurites triloba) mit seinen ahorngleichen Blättern stand hier ebenfalls in großen Massen. Hoch darüber hinaus ragten die grünen jähen Felswände, an denen hinauf zu schauen man schon schwindlig wurde, während hier und da an kleinen Hängen, selbst hoch oben, vielleicht tausend Fuß über der Meeresfläche, kleine Gruppen von Palmen, etwa fünf oder sechs, zusammenstanden, und wie schüchtern an dem Hang niederschauten, wo doch dicht bei ihnen hin ein kleiner Quell rasch und sprudelnd vorüberbrauste, und mit keckem Satz, gerade an der schroffsten, gefährlichst aussehenden Stelle, in die Tiefe sprang.
Der Weg wurde hier mühsam, denn die Felswände /27/ bildeten nur ein ganz schmales, meist mit großen Steinen überworfenes Thal, durch das sich der kleine Bergstrom rauschend und stürmisch die oft gehinderte Bahn brach, bald an dieser, bald an jener schroff abgerissenen Wand hinunterbrausend, und den schmalen Pfad, der das Tal herunterkam, dadurch bald auf diese bald auf jene Seite zwingend. Es blieb uns deshalb auch gar nichts weiter übrig, als herüber und hinüber zu waten, so oft er sich uns in den Weg warf, denn eine Eidechse hätte kaum an den schlüpfrigen steilen Felsen hinüberkommen können, ihn zu umgehen. Das Wasser war selten tiefer als bis zu den Knien, aber ungemein reißend, und die Steine, die rauh und wild über einander hin den Grund bildeten, schlüpfrig und mit schleimigem Moos überzogen.
Die Hitze wurde dabei ziemlich drückend, aber wir hatten nicht allein frisches Wasser genug, und zwar mehr als uns lieb war, sondern auch hier und da herrliche Orangen, wegen deren Tahiti überhaupt berühmt ist.
Mit dem Doktor war übrigens bös fort zu kommen; noch an keine solchen Touren gewöhnt, und wenn ich nicht irre zum e r s t e n Mal in seinem Leben auf fremdem Boden, nachdem er das Vaterland verlassen, und d e r Boden gleich Tahiti, wußte er sich eben nicht sogleich in die Unbequemlichkeiten des Weges zu schicken. An dem einen Ufer des Stromes bekam er seine Stiefel gewöhnlich nicht aus, und an dem andern nicht wieder an, und barfuß weiter gehen konnte er auch nicht; so versäumten wir denn eine Masse Zeit und rückten nur ungemein langsam vorwärts. Soviel als möglich suchten wir dabei die Biegungen des Flusses zu umgehen, wo sich das wenigstens nur halbwegs machen ließ, und wir kletterten auch eben wieder an einem der feuchten, schattigen Hänge hin, die hier gar kein Unterholz, nur Moos trugen, und deren Wald fast allein aus tui tui, Mapes und anderen hochstämmigen Hölzern bestanden, als ich eine Art grauer Nüsse auf der Erde, und zwar in ziemlicher Menge, liegen fand, die dem Aussehen nach ungefähr den amerikanischen Hickory- oder Walnüssen glichen. Ich schlug eine auf und kostete sie; sie enthielt einen etwas öligen, aber sehr /28/ wohlschmeckenden süßen, gelblich weißen Kern; dem Doktor schmeckte sie auch, und wir machten uns - hungrig waren wir Beide etwas geworden - ohne Weiteres darüber her. Das sollte uns übrigens schlecht bekommen, denn die Nuß war giftig, und ein Glück, daß sich die Natur selber wieder half, das Gift über Bord zu werfen und uns von sonst vielleicht bösen Folgen zu befreien.
Am nächsten Tag ließ ich mich übrigens nicht abhalten, noch einmal, und zwar nach der andern Richtung hin, das Innere des Landes zu besehen; ich wanderte also die Broomroad hinunter und bog dann links in die Berge ab, die sich in nicht gerade zu steilen Hängen dem Mittelpunkt der Insel und den höchsten Gipfeln der Berge zu zogen. Interessant war mir hier eine an den Hängen der Hügel, und zwar mitten im Wald angelegte Kaffeeplantagc, bei der ich wirklich nur durch die regelmäßig gepflanzten Kaffeebäumchen darauf aufmerksam gemacht wurde, daß ich mich nicht im freien Walde befinde. Der Kaffee will nämlich Schatten, um zu gedeihen, und wo solche Plantagen angelegt werden und noch keine größeren Bäume stehen, müssen solche gepflanzt werden. Das hatte man denn hier ganz vorteilhaft benutzt, und die kleinen Stämme gediehen gar wacker und saßen voller Früchte.
Auch heute machte ich wieder einen Versuch, einen der höheren Punkte zu erreichen, teils aber war ich noch, nach dem Genuß der verwünschten Lichtnüsse2 zu schwach und' angegriffen, eine so beschwerliche Tour, und noch dazu allein, zu unternehmen, teils überraschte mich wieder einer der fast regelmäßigen Nachmittagsregen mit einem so furchtbaren Guß, daß ich wirklich fürchtete, weggewaschen zu werden. Die Büsche waren dabei naß geworden, und wenn es eine Viertelstunde aufgehört hatte, fing es mit solcher Gewalt wieder an, während schwere Nebel, ja fast Wolkenmassen immer tiefer /29/ und tiefer lagerten, daß ich froh war, als ich das Haus wieder erreicht hatte, um meine Kleider zu wechseln.
Wie ich zurück in das Tal und auf die Broomroad, vielleicht noch anderthalb englische Meilen von der Stadt entfernt, kam, sah ich vor mir eine kleine Hütte und in den Büschen ein paar Menschen, die mit einander zu ringen schienen. Es waren Indianer, und mitten in einem förmlich tropischen Regenguß konnte das wahrlich nicht zum Vergnügen sein; rasch näher eilend, fand ich auch bald die Ursache. - Es war eine alte Frau, toll und voll getrunken, und der Sohn wahrscheinlich, bemüht, sie nicht allein dem Regenguß, sondern auch den Blicken der Vorübergehenden zu entziehen und in's Haus zu bringen, während sich die Trunkene mit all' dem Eigensinn eines solches Zustandes auf das Entschiedenste dagegen sträubte und mit Armen und Füßen wehrte. Wieder und wieder warf sie sich auf den schmutzigen Boden und klammerte sich endlich an einen Busch mit solchem Erfolg an, daß der junge schwächliche Bursch wirklich nichts weiter ausrichten konnte und nach der nicht mehr fernen Hütte um Hülfe rief. Gleich darauf erschien eine junge kräftige Frau in der Tür, und ihr oberes Tuch von den Schultern werfend, teils um es trocken zu behalten, teils freieren Gebrauch der Arme zu haben, sprang sie hinaus in den Regen, machte die Hand der Mutter, denn diese war es doch aller Wahrscheinlichkeit nach, von dem Busche los, und während der Sohn den einen Arm festhielt, ergriff sie den andern, und durch Schlamm und Pfützen schleiften sie den fast bewußtlosen Körper in die Hütte. Es war ein entsetzlicher Anblick, und ist allerdings leider der Fluch der spirituösen Getränke, die von den jetzigen Herren der Insel in vollem Maße eingeführt werden.
Am nächsten Tag kam bei meinem kleinen Schneider, den ich fast zu lange außer Acht gelassen habe, ein trauriger Fall vor - Familienverhältnisse allerdings; da sie aber auch zugleich das Familienleben fast sämtlicher unverheirateter Fremden hier berühren, glaube ich nicht umhin zu können, sie mitzuteilen.
Mein kleiner Schneider hatte sich nämlich vor einigen Tagen eine Frau genommen, das heißt er hatte nicht etwa geheiratet, /30/ denn zwischen Fraunehmen und Heiraten ist hier ein sehr bedeutender Unterschied. Nein, er hatte sich nur eins der gewöhnlich zum Besuch in die Stadt kommenden Mädchen ins Haus genommen, die ihm „weiter keine Arbeit tat“ und dafür, wie er mir sagte, „Essen, Trinken und Schlafstelle“ bekam. Die Verwandten des Mädchens schienen aber damit nicht einverstanden. Ich glaube nicht, daß sie für die Tugend desselben besorgt waren, aber sie gedachten vielleicht, durch das Mädchen ihre eigenen Umstände verbessern zu können und wollten sie ihm wieder aus dem Hause holen. Mein kleiner Schneider verteidigte seine Dame aber ritterlich, warf die „Anverwandten“ vorn zum Hause hinaus und schimpfte in einer Anzahl unbekannter Sprachen auf das Rohrsperlingsartigste. Als er jedoch nach glücklich behauptetem Schlachtfeld zu seiner Dulcinea zurückkehren wollte, um sie zu trösten, hatte sich diese aus der Hintertür empfohlen.
Der Tailleur wütete, und sein Zorn wurde noch erhöht, als er nach einer halben Stunde etwa einen Zettel des Polizeidirektors erhielt, den er sich noch dazu von einem Nachbar mußte vorleseu lassen, da ihm diese Wissenschaft nicht beigebracht war, worin ihn jener aufforderte, „unverweilt das Frauenzimmer, das er widerrechtlicher Weise in seinem Zimmer versteckt halte, ihren Verwandten auszuliefern“. War das noch Spott mit seinem Verlust getrieben?
Er schien aber nicht so leicht eingeschüchtert. „Jetzt erst recht!“ sagte er, drückte sich seinen Hut in die Stirn, nahm ihn wieder ab, um sich erst ein reines Hemd anzuziehen, fuhr dann in seine Schuhe, griff den Hut zum zweiten Mal aus und verließ sein Haus in solcher Eile, daß er selbst vergaß die Tür zuzuschließen. Er fand seine Donna auch wahrhaftig wieder - die Verwandten konnten wahrscheinlich dieser rührenden, ausdauernden Liebe nicht länger widerstehen - und brachte die junge Frau im Triumph zurück.
Vier Tage hatten sie so in unendlicher Eintracht zusammen gelebt, so lange brauchte Dulcinea nämlich, einen neuen Rock, den ihr ihr Anbeter gekauft hatte, für sich zu nähen, den alten gab sie dann in die Wäsche. Hiernach hatte sie einige Auftritte mit dem kleinen Schneider, von dem sie Geld zu einigen /31/ Einkäufen verlangte und der mit nichts herausrücken wollte, und verließ dann eines schönen Tages nach dem Mittagsessen die „stille, friedliche Wohnung“, wo jetzt Merz nach zehn vergeblichen Versuchen, sie wieder zu finden, mit der Welt zürnte und über die „Undankbarkeit des weiblichen Geschlechts“ raisonnierte.
Frauen auf solche Art zu unterhalten, ist hier eine ziemlich allgemeine Sitte, und selbst Die, welche sich einer gewissen heiratsartigen Zeremonie unterziehen, können, sobald sie es wünschen, ungemein leicht wieder von ihr geschieden werden. Die Weißen scheinen die Indianerinnen mehr als Sclavinnen zu betrachten, und meistens werden solche Contracte mit dem beiderseitigen Bewußtsein geschlossen, daß sie nicht lange dauern werden. - Manchmal freilich, und öfter vielleicht wie sich in dem wilden, zügellosen Wesen dieser gesellschaftlichen Verhältnisse ausspricht, hängt das Herz dieser Mädchen mit viel innigerer und wirklich treuer Liebe an dem Mann, dem es sich zuerst ergeben, und der Fremde sieht nicht oder will nicht sehen, wie die Blume welkt und verdirbt, die er geknickt und dann - zur Seite geworfen.
Viele der Europäer geben sich aber auch mit vollem Bewußtsein einer solchen Leidenschaft hin, und zwar nicht mit dem Gedanken eines flüchtigen Rausches, nein, ein Band zu knüpfen, das für ihr Leben dauern und ihr irdisches Glück gründen soll. Es sind dies meist junge, sehr oft selbst gebildete Leute, die, von dem Liebreiz bestochen, der über dem ganzen Wesen dieser wilden, anspruchslosen Kinder liegt, zu dem Klima und Scenerie das Ihrige ebenfalls noch beitragen, eine aufbrausende, flüchtige Leidenschaft für wirkliche Liebe halten, oder wenn es selbst wirkliche Liebe gewesen, diese stark genug glaubten, sie für alles das entschädigen zu können, was sie in der alten Welt verließen und zu dem sie einst zurückzukehren hofften. Mit solcher Heirat aber haben sie sich die Rückkehr abgeschnitten, und schon mit dem ersten Bewußtsein dieser Tatsache, die sie ableugnen mögen so viel sie wollen so lange sie im ersten Rausche leben, die sie aber mit wenigen Ausnahmen nicht mehr bekämpfen können, wenn sie zu reiferem Bewußtsein gelangen, fängt meist diese Leidenschaft /32/ an wieder zu erlöschen. Halten sie dann den Schwur, den sie geleistet - und oh, in wie seltenen Fällen! - so sind sie unglücklich für ihr ganzes Leben, und der Verstand wirft dem Herzen jetzt in quälender Reue den Leichtsinn feiner Jugend vor. - Und halten sie ihn nicht - lieber Leser, unter dem buntfarbigen Kattun schlägt manches gebrochene Herz, und der stille Wald entweder, aus dem sie der Verführer gezogen und in den sie zurückfliehen, oder das offene Laster sind die gewöhnlichen natürlichen und unnatürlichen Heilmittel, die das arme Mädchenherz sucht, um seinen Schmerz zu verträumen - oder zu betäuben.
Bei ehelicher Liebe fällt mir übrigens eine Frau ein, die in Papetee gewöhnlich mit einem weißen allerliebsten kleinen Kind auf dem Arm herumging, und deren Anblick stets einen entsetzlichen Eindruck auf mich machte. Sie soll in früherer Zeit ihren Mann umgebracht haben, und zur Strafe ist ihr jetzt das englische Wort „Mord“ mit großen Buchstaben (die Buchstaben auf dem Kopf stehend und mit schätzenswerter Beachtung der richtigen Abtheilung des Wortes, aber gänzlicher Mißachtung jeder Symmetrie: Murder die vier ersten Buchstaben auf die linke, die beiden anderen auf die rechte Backe, in unvertilgbaren Zügen quer durch das Gesicht tätowiert. Eine entsetzliche Art, ein Brandmal aufzudrücken.
Was den tahitischen Handel betrifft, so beschränkte der sich in früheren Jahren meist nur auf Walfischfänger verschiedener Nationen, die hier nicht allein anlegten, um Erfrischungen einzunehmen, sondern auch meist noch einen kleinen Vorrat von Kattunen und Spielereien, wie den leidigen Branntwein mitführten. - Hierzu kamen noch einzelne Schiffe, die teils von Sidney, teils von Valparaiso direct nach Tahiti des Handels wegen gingen, da auch hierher die meisten auf den benachbarten Inseln gezogenen Producte zum Verschiffen gebracht wurden. Californien hat dies ziemlich unregelmäßige Verkehrssystem aber, da die Walfischfänger nur zu gewissen Zeiten hier anlegten, beinahe über den Haufen geworfen, denn sehr viele Schiffe, die teils von Australien nach Californien gingen, teils von dort zurückkehrten, liefen diese Inseln an, um ihre noch vorrätigen Waren abzusetzen und dafür einzu-/33/tauschen, was sie eben bekommen konnten. Der Markt für solche Sachen, die überhaupt in Papetce verkauft werden können, ist aber sehr bald überfüllt; ein paar Schiffe, die zu gleicher Zeit einlaufen, drücken schon die Preise herunter, und drei, vier kommen nicht auf ihre Kosten. Auch der Export ist noch gar nicht so bedeutend, eine größere Anzahl von Fahrzeugen zu beschäftigen, denn der Indianer dort läßt sich nicht, wie der Indier zum Beispiel, zur Arbeit für seine Eroberer zwingen, und seine Brodfrucht wächst ihm von selber zu. - Es wird deshalb auch noch langer Jahre bedürfen, ehe ein lebendigerer Verkehr hier hergestellt werden könnte. Die Franzosen sollen jetzt bemüht sein, europäische Colonisten hinüber zu ziehen; diese müßten sich dann aber auch freilich ihre eigenen Arbeiter mitbringen, denn sie werden die Eingeborenen nie gutwillig dazu bewegen, Hand anzulegen und mehr zu bauen, als sie zu ihrem eigenen Unterhalt brauchen.
Eines Sonntags, als ich eben wieder in der Veranda des nordamerikanischen Hotels saß und die wundervolle Bai, die reizende kleine mit Palmen bewachsene Insel und im Hintergrund die kühnen Contouren Imeos überschaute, lief eine Brig unter englischer Flagge ein, und eine halbe Stunde später hörte ich, das Fahrzeug sei nach Sidney bestimmt. So fuhr ich an Bord des neu angekommenen Schiffes Emma Prescott hinüber und bedung auch ohne weiteres Zögern meine Passage nach Sidney - an Ort und Stelle angekommen zu zahlen. Die Brig sollte nun allerdings schon am nächsten Abend unter Segel gehen, ich war aber in der Art zu oft angeführt, um mich groß zu beeilen, schaffte also nur ruhig meine Sachen an Bord und beschloß dann, den letzten Augenblick, das Lösen des Vormarsscgels, abzuwarten.
Eine Hauptsache hatte ich indes noch zu besorgen: einen Vorrat an Früchten nämlich für die Reise anzuschaffen, und hierin war mir besonders ein junger Straßburger, Herr Rollenberger, den ich dort kennen lernte, behilflich. Aus dessen Garten pflückte ich mir noch nicht vollreife Orangen selber, da die zum Markt gebrachten gewöhnlich heruntergeschüttelt werden und sich nicht die Hälfte der Zeit halten. Außerdem ver-/34/ sah ich mich noch mit Bananen, Cocosnüssen zum Trinken, Citronen für das Wasser, rotem Pfeffer für Salzfleisch und Speck - eine schöne Abwechselung gegen die herrliche vegetabilische Kost auf den Inseln - und durfte so einer Fahrt in dem ziemlich warmen Wetter mit Ruhe entgegensehen. Außerdem hatte mir der Supercargo des Schiffes auch noch eine Reihe von Sachen genannt, die er einkaufen wollte, und mit günstigem Wind konnten wir Australien leicht in drei bis vier Wochen erreichen.
Den ganzen letzten Tag in Papetee verbrachte ich übrigens auf dem Markt, um die nötigen Sachen zu bekommen, denn dieser ist auf gar wunderlich unbequeme Art eingerichtet, und so ärmlich und traurig bestellt, wie es nur immer die Faulheit der Indianer zuläßt. Die Marktgebäude bestehen aus zwei auf hölzernen Pfosten ruhenden, etwa fünfundzwanzig Schritt langen und zehn Schritt breiten Strohdächern, unter denen, was gerade eingebracht ist, feilgeboten wird. Man kann aber zehnmal des Tages hinkommen, und findet vielleicht nur an dem einen Pfosten einen Mann mit zwei Körben Orangen oder Bananen und an einem andern ein Mädchen mit vier oder fünf Stengeln Zuckerrohr. Das einzige Gute bei dem Einkauf ist, daß kein Handel stattfindet. Die Eingeborenen fordern ihren Preis, den, wenn ich nicht irre, die Regierung auf die Sachen setzt, und davon gehen sie nicht ab; wer ihnen das nicht gibt, läßt die Sache eben ungekauft. Das Schlimme aber dabei, sie binden sich an gar keine Zeit, mit ihren Waren zu Markt zu kommen, denn sie wissen recht gut, sie verkaufen Alles, was nicht eben das Alltäglichste, wie Orangen, Bananen und Kürbisse, ist, so rasch wie sie nur den Marktplatz erreichen. So sieht man sie denn bald von dieser, bald von der Seite mit ihren Stöcken auf der Schulter, von denen nach chinesischer Sitte die Waren hinten und vorn herunterhängen, langsam angeschlendert kommen, und mit derselben Ruhe stecken sie ihr Geld ein und schlendern wieder ab.
Dabei sind sie auch, wenn sie erst die eine Ladung verkauft haben, nie zu bewegen, eine zweite zu bringen - ihre Tagesarbeit ist getan, sie haben gerade so viel, wie sie für /35/heute brauchen, und sich auf m o r g e n zu quälen? - fällt ihnen gar nicht ein. So wollte ich gern so rasch als möglich eine größere Quantität Cocosnüsse haben, als eben einkam, und bot zweien der jungen Burschen, denen ich ihren Stock voll abgekauft hatte, das Doppelte, um mir noch eine solche Quantität zu bringen. - ,,Morgen!" lautete die lakonische Antwort, und wenn sie Taschen gehabt, hätten sie jedenfalls die Hände hineingesteckt.
Die Cocosnüsse, die sie zu Markt bringen, sind gewöhnlich schon von ihren Hülsen befreit; da sich aber die mit den Hülsen noch daran besser zu einer Seereise eignen, indem sie sich länger halten - denn die ersteren verderben schon nach vier, fünf Tagen -, so ließ ich mir auf dem Markt selbst von einer dort stehenden Cocospalme eine Partie herunternehmen.
Die Art, wie die Indianer auf die Cocospalmen hinaufklettern, ist eigentümlich. Sie machen sich von Bast einen „Schuh", wie sie es nennen, das heißt, sie nehmen ein vielleicht drei Fuß langes Stück starken Bast, binden dies an den Enden zusammen und schlagen es, daß es sich in der Mitte kreuzt, um beide Füße; auf solche Art bildet es eine Art Steigbügel, und mit Hülfe desselben, die Beine immer zu gleicher Zeit nach sich ziehend, laufen die jungen Bursche manchmal wie Katzen an den hohen, schlanken, selten aber mehr als ein bis anderthalb Fuß im Durchmesser haltenden Palmen empor, brechen die Nüsse von den dünnen Stielen los, stellen sie, die Spitze nach unten, zwischen die zusammengespitzten Finger und drehen sie scharf, damit sie, herunterfallend, in der Luft sich Herumwirbeln, ihre Stellung behalten und mit der Spitze wieder in die weiche Erde fahren. Schlagen sie seitwärts auf, so platzen sie und das Wasser geht verloren.
Morgens um elf Uhr etwa, nachdem mich der Supercargo schon hatte um Sechs an Bord sprengen wollen, wurde zuerst die Ankerwinde der Emma Prescott bemannt, bald darauf liefen die Leute nach oben, um das Vormarssegel zu lösen, und es war jetzt Zeit zu gehen, wenn ich nicht zurückgelassen werden wollte. Mein Canoe, mit einem kleinen indianischen Burschen darin, lag übrigens bereit; rasch schossen wir, von /36/ zwei Rudern stark getrieben, über die spiegelglatte Bai. - Up with your helm! rief der Lotse in demselben Augenblick fast als ich an Bord kletterte, der Bug der Brig kam herum, und nicht zwei Minuten später flatterten die Segel, die Schrotkörner flogen, von den Geitauen gezogen, an die Spitzen der Raaen, diese wurden fast Vierkant gebraßt, denn der Wind war zum Auslaufen vortrefflich, und als das Wasser unter dem Bug zu kräuseln begann, ließen wir die Fahrzeuge, zwischen denen wir gelegen, zurück, und näherten uns mehr und mehr den Riffen, zwischen denen hinaus die Natur hier eine breite herrliche Fahrstraße gelassen, und hatten vor uns schon die weite, freie See. Noch zwischen den Riffen ging der Lotse — ein Amerikaner, und nicht mehr der alte wackere Jim, dessen sich frühere Seefahrer noch mit so viel Vergnügen erinnern - wieder an Bord; sein Walfischboot hatte er hinten anhängen gehabt. - Rechts und links vor uns schäumte die Brandung - die Riffbank flog vorüber - die Häuser von Papetee schmolzen mehr und mehr zusammen, kaum ließen sich noch die einzelnen Menschen am Rand mit bloßen Augen erkennen. Joranna, Joranna! ihr freundlichen Inseln - eure Palmen sinken in die See, eure Berge schwinden am Horizont zusammen, Joranna! - und gen Westen liegt wieder meine Bahn, der sinkenden Sonne nach.
Australien.
1.
Sidney.
Wieder einmal habe ich festen Grund und Boden betreten, und wie mit einem Zauberschlag hat sich Land, Klima, Boden, Szenerie, Bewohner - kurz alles, was die eigentliche Welt bildet, um mich her verändert. Nicht mehr die rauschenden Palmen sind es, die über mir wehen, nicht mehr das Brausen und Donnern der Riffe, und das Rascheln und Flüstern der im Winde schwankenden breiten Bananenblätter, nicht das fröhliche Lachen und Singen der immer frohen, sorglosen Tahitier dringt an mein Ohr; - wie eine beschnittene Taxushecke umgibt mich das flache, mit den wunderlich regelmäßigen Bäumen besetzte Land, mit ihren gleichmäßigen, trefflich aufgeführten Häusermassen die Stadt, und die breite irische Brogue und der englische Dialekt ist das Einzige, was dem Ohr für den romantischen Zauber, den es verloren, Ersatz bieten soll.
Es war überhaupt ein wunderliches Gefühl, mit dem ich in Australien an Land sprang. - Australien — Alles was verkehrt und sonderbar ist, gewöhnt man sich den vielen Beschreibungen nach, die uns darüber von Kindheit an vorgekommen, gerade unter dem Namen Australien zu denken, und man möchte gleich beim ersten Ansprung schon über die Häuser, die ja ebenso aussehen wie in jeder andern civili-/40/sierten Stadt, hinwegschauen können, nur um die jedenfalls dahinter liegenden Sonderbarkeiten zu entdecken.
K ä n g u r u - schon der Name hat einen gewissen Zauber, besonders für einen Jäger - Schnabeltier - Kirschen mit den Kernen auswärts, Bäume, die die Rinde abwerfen; für den gerade von Europa Kommenden auch noch die verkehrten Jahreszeiten, das Alles sind Sachen, an die man gerade nicht bestimmt denkt in dem Augenblicke, deren Bild uns aber doch in einer verworrenen Masse - Köpfe nach unten natürlich - vorschwebt, und die Farben wie in einem Kaleidoskop rasch wechseln und in einander fließen läßt. Es hat dabei einen ganz eigenen Reiz, nur allein einen fremden Erdteil betreten zu haben. So sehr der Mensch mit seines Herzens innersten Fasern an dem eigenen Vaterland hängt, so sehr wünscht er doch auch ein anderes zu sehen, um sich eben wieder zurücksehnen zu können - wie viel mehr denn, wenn dieser Erdteil auch noch gewissermaßen zu unseren Antipoden gehört und die Leute dort eigentlich dem Rechte nach auf dem Kopf stehen müßten.
Australien wurde außerdem eine Art Land der Verheißung - ich betrat es hungrig, und ich wurde g e s p e i s t (für 1 Schill. 6 D.), ich betrat es wenn auch nicht gerade nackt, doch in sehr dünnem Anzug, und wurde g e k l e i d e t (für 3 Pfd. Sterl. 10 Schill.), und das ganze an Land Steigen machte gleich von allem Anfang einen solch' eigentümlichen Eindruck auf mich, daß ich denselben wirklich nicht besser zu charakterisieren weiß, als wenn ich dem Leser aufrichtig gestehe, es hätte gar nicht viel gefehlt, so brach ich mir gleich in der ersten Stunde ein Stückchen Stein irgendwo los, um ein Andenken an diesen Platz zu haben - es war, als ob er mir wieder unter den Füßen fort verschwinden müsse. Mein wirklich rasender Hunger denn an Bord gab es ja nichts, wenn ich auch wirklich das „Frühstück" hätte abwarten wollen, machte mich aber zuerst wieder darauf aufmerksam, daß die Sache hier reine Wirklichkeit, und ein Gasthaus gerade der Punkt sei, nach dem ich vor allen Dingen einmal umschauen müsse; damit war der Romantik allerdings schon ein bedeutender Stoß gegeben. Mit der /41/ Romantik hat übrigens Sidney auch nur ungemein wenig zu tun, denn wenn an irgend einem Ort der Welt (selbst die Yankee-Staaten nicht ausgenommen, was gewiß viel sagen will) ein reines, unverfälschtes Geschäftsleben herrscht, so ist es hier. Pfunde und Schillinge sind die einzigen Worte, die, wie eine magische Formel, die Züge der den Fremden überall umgebenden gleichgültigen Gesichter beleben können, und während bei den geschäftigen, speculirenden Kaufleuten die Schillinge zu Pfunden werden, zeigt sich bei dem fremden, unter ihnen herumwandernden Reisenden ein gerade entgegengesetztes Phänomen, was ihn, außerdem daß er sich bei den ewigen Gesprächen von Wolle und Verschiffungen langweilt, auch noch ganz unnötiger Weise praktisch belehrt, wie er ganz und gar kein Kaufmann sei.
Der Charakter der Stadt ist rein englisch, und es ist dabei eigentümlich, wie scharf sich dieses Englisch von dem Amerikanischen, während sie doch eine Sprache sprechen, abscheidet. Das treffendste Beispiel hiervon findet man in den Vereinigten Staaten, wo bloß der schmale Wasserstreifen der nördlichen Seen Amerika und eine englische Colonie von einander trennen, denn nie habe ich zwei benachbarte, und doch sich auch in jeder Kleinigkeit so ungleiche Städte gefunden, als z. B. Buffalo und Toronto.
Doch um wieder auf Sidney zurückzukommen, so hat der hier eintreffende Fremde gewöhnlich eine Art Vorurteil zu überwinden, das mit ihm aufgewachsen ist, und wahrlich nicht auf Reisen, besonders in Californien, vermindert wird - das Vorurteil: eine Verbrecher-Colonie zu betreten und sich nun plötzlich zwischen einer unbestimmten Anzahl von besonders hierher verpflanzten Mördern, Dieben, Hausbrechern und anderen entsetzlichen und schauderhaften Charakteren zu befinden. Hier sieht der eintreffende Fremde zu seinem Erstaunen, daß davon - wenigstens äußerlich - nicht die mindeste Spur erkennbar ist, und wenn er auch hier und da, und weil er fortwährend darauf achtet, vielleicht öfter als an irgend einem andern Ort verdächtigen Physiognomien begegnen sollte, so rechtfertigen diese doch keineswegs die entsetzlichen Erwartungen, die er eigentlich den Beschreibungen /42/nach von der ganzen Bevölkerung hätte haben sollen. Die „Gouvernements-Leute“, wie sie hier genannt werden, sind aber auch wirklich so mit der eingewanderten Bevölkerung verschmolzen, daß schon ein Kenner dazu gehört, sie herauszufinden. Der leichte Nahrungserwerb hier hat dabei hoffentlich die meisten von ihnen, was auch früher ihre Vergehen gewesen sein mögen, zu ehrlichen Leuten gemacht, und es wird dann nicht einmal mehr nötig, einen Unterschied zwischen ihnen zu verlangen. Wer weiß übrigens, ob nicht eben diese Deportation in späteren Jahrhunderten gar zu einer Auszeichnung, zu einer Art Adel dieser Colonie werden kann. Die Kinder der früher hierher gesandten Übeltäter bilden jetzt teilweise mit einen achtbaren und angesehenen Theile der Bevölkerung (ja wenn nicht sogar hier und da früher Deportierte selber); nach Jahrhunderten können dann ihre Kinder und Kindeskinder so und so viel Ahnen davon zählen. Unser europäischer Adel schreibt ja seinen Ursprung oft aus noch, weit wunderlicheren Quellen her.
In Sidney hatte ich im Anfang einige Schwierigkeiten, ein gutes Haus zu finden, wo ich wohnen konnte, denn die meisten ging ich vorbei, da die unten befindlichen „Schenkstuben" eben nichts Einladendes hatten. Dem Grundsatz zuletzt folgend, daß man in einer fremden Stadt am besten tut, in das beste Hotel zu gehen - wenigstens so lange bis man einmal näher bekannt ist -, wandte ich mich dem „Royal-Hotel", einem großen, gewaltigen, aber etwas weitläufigen Gebäude, zu und zog dort ein. Ein warmes Bad war mir das Nächste, hierauf ein gutes Frühstück, und nun mußte ich mich fast von oben bis unten neu kleiden, denn unterwegs war ich ziemlich abgerissen. Doch dazu ist hier in Sidney Gelegenheit genug, Kleiderläden giebt's in Masse, und Kleider sind auch verhältnißmäßig nicht teuer.
Ich war von Deutschland aus hier an Herrn A. Dreutler, ein ziemlich bedeutendes deutsches Handlungshaus in Sidney, empfohlen, und von diesem Herrn auch auf das Herzlichste aufgenommen worden. Am nächsten Sonntag, den 30. März, fuhren wir zusammen nach dem Leuchtturm, einem der bedeutendsten Vergnügungsorte Sidneys, hinaus, /43/ und fanden dort einen großen Teil der schönen Welt versammelt. Der Leuchtturm liegt allerdings für Sidney romantisch genug. Auf der südlichen Seite der Einfahrt des Hafens, dessen Ufer nach der See zu durch schroffe, etwa 200 Fuß hohe Felsufcr gebildet wird, steht der Turm, eine Viertelmeile davon etwa ein Hotel, und ein Teil der zu einer Spazierfahrt aufgelegten Sidneyer kommt regelmäßig Sonntags hier heraus, während der andere das jedenfalls interessantere Botanybai und Cooksriver besucht. Der Leuchtturm selber ist vortrefflich und besteht aus einem revolving light oder Drehlicht, das durch neun mit Blechspiegeln versehene Lampen gebildet wird, der Felsen selber, auf dem er steht, mag etwa 120 Fuß über der Oberfläche der See liegen, und selber einige 60 bis 80 Fuß hoch, wird sein Licht bei klarem Wetter dreißig, ja manchmal vierzig englische Meilen weil in See gesehen.
Die Aussicht von hier aus über das Stille Meer ist wahrhaft reizend, und die tiefblaue See zeigt von dieser Höhe herankommende Schiffe mit ihren weißschimmernden Segeln in großer Ferne. - Eigentümlicher Weise beschränkt sich aber die ganze Schönheit der Scenerie eben auf die See und auf das unmittelbare Ufer von Port Jackson - gleich dahinter beginnt dürre, sandige, mit holzigen Büschen und „Grasbäumen", eine Art schilfigen Gewächses, besetzte Ebene - jeder kleine Strauch trägt oft reizende Blumen, und eine kleine allerliebste Schlingpflanze (Kenedya) füllt mit ihren duftenden lila Blüten oft ganze Büsche - einzelne kleine Gruppen sehen dabei ungemein freundlich aus, das Ganze nach dem Innern zu machte aber doch nur einen traurig-öden Anblick, und die Bai mit ihren reizenden Usern lag da, wie eine Oase in der Wildniß.
In angenehmer Gesellschaft, und mit dem Neuen und Pikanten, das mich überall umgab, verging mir übrigens der Tag ungemein rasch und bildete einen freundlichen Abstand gegen mein bisheriges, manchmal wirklich trostloses allein in der Welt Umherstreifen.
Erst spät wieder von dort zurückgekehrt, bemühte ich mich am nächsten Tag, etwas über das innere Land und die Mög-/44/lichkeit einer Landreise nach Adelaide zu erfahren - den Adelaidedistrict wollte ich jedenfalls, schon der Auswanderung wegen, besuchen, zur See mochte ich aber auch nicht dorthin gehen. - Eines Teils hatte ich mich gerade genug in der letzten Zeit auf Salzwasser herumgetrieben, und bekam, wieder zu Schiff, auch eben nichts weiter von dem innern Land zu sehen als die Hafenstädte, die sich über die ganze Erde gleich sind. Auf einer Reise durch das ganze bis jetzt unbekannte Innere lernte ich dagegen Alles, oder doch wenigstens einen großen Teil von Dem kennen, was mir einst über diesen Weltteil nützlich sein konnte, und ich beschloß, wenigstens die genauesten Nachforschungen deshalb anzustellen.
Darüber hörte ich denn nun freilich im Anfang wieder gar wenig Tröstliches - die schrecklichsten Wildengeschichtcn kamen vornweg, und tausend andere Schwierigkeiten nicht allein, sondern gleich Unmöglichkeiten für den Einzelnen, folgten nach. - Das war ich aber nun nachgerade gewohnt und wußte, was ich davon zu glauben hatte; so hielt ich es denn für das Notwendigste, erst vor allen Dingen einmal einen Mann zu sprechen, der jene Gegenden oder wenigstens einen Teil derselben aus eigener Anschauung kannte, und ich wurde zu dem Zweck zu einem Mr. Shepherd gewiesen, der schon einmal früher mit einer Herde Vieh und einer kleinen Caravane die Tour gemacht haben sollte.
Dieser teilte mir auf das Freundlichste alles mit, was er darüber wußte, aber selbst die Nachrichten, die ich von ihm darüber erhielt, waren keineswegs ermutigend. - Die Jahreszeit sollte gerade die ungünstigste im Allgemeinen, vorzüglich aber in diesem Jahr, zu einer Landreise sein, da es in dem letzten Jahr, und wohl noch einige Monate länger, a m M u r r ay g a r n i c h t g e r e g n e t h a b e; Gras gab es deshalb gar nicht - die Reise konnte nicht gut anders gemacht werden wie zu Pferde, und die Tiere fanden unter diesen Umständen wenig oder gar keine Nahrung im Freien. Nachts mußte man sie natürlich, da Futter in jenen Gegenden gar nicht überall, ja wohl sehr selten zu bekommen ist, mit zusammengebundenen Vorderfüßen (hobbled) frei laufen lassen, und Morgens konnte man sich dann ziemlich fest darauf ver-/45/lassen, Stunden, ja halbe Tage oft nach ihnen umhersuchen zu müssen. Außerdem ermüdet einen Reiter nichts mehr und auf angreifendere Weise, als das Bewußtsein, ein hungriges, abgemattetes Thier unter sich zu haben, die ewige Sorge deshalb verleidet ihm den ganzen Ritt, und er geht am Ende lieber ganz, ehe er sich von einem ewig müden Tiere langsam fortschleppen läßt. Unter diesen Umständen, meinte denn Herr Shepherd, dürfte ich kaum darauf rechnen, Adelaide in weniger als drei Monaten zu erreichen -, es wäre möglich, daß ich die Tour in etwas kürzerer Zeit zurücklegen könnte, Alles gerechnet, kämen aber doch am Ende drei Monate heraus, wobei ich noch das Vergnügen hätte, fast alle jene Stämme oft sehr feindseliger und verräterischer Wilden am Murray selber, zu dem ich mich des Wassers wegen halten mußte, anzutreffen. Drei Monate im Sattel, und noch dazu auf solche Art, war eine entsetzlich lange Zeit, und die Sache ging mir den ganzen Tag im Kopf herum.
Am 3. April war eine Ausstellung weiblicher Arbeiten zum Besten der Armen im botanischen Garten, und da fast ganz Sidney hinausströmte, strömte ich natürlich mit. Die Ausstellung befand sich in einem im Grünen aufgeschlagenen großen Zelt, und enthielt, was ich wenigstens davon zu sehen bekommen konnte, gerade nichts Besonderes. - Die besseren Sachen waren aber, glaub' ich, schon verkauft oder verlost worden, doch selbst um das Übrige erhielt sich, um die beiden langen Tische her, ein solch' entsetzliches Gedränge, daß man nur wirklich mit Lebensgefahr hineindrängen konnte. Die ganze schöne Welt von Sidney schien hier versammelt, und es tat dem Auge ordentlich wohl, eine solche Menge reizender Gestalten auf einem Punkt vereinigt zu sehen. Mir war es besonders wieder einmal etwas ganz Neues, und fast wie ein Anklang aus der Heimat. Ein gar wunderliches buntes Gemisch von Leuten trieb sich unter den duftenden Blütenbüschen und den hier aus allen Zonen gesammelten Bäumen herum; das schöne Geschlecht zeigte sich aber jedenfalls am stärksten vertreten - Wohltätigkeit war ja auch die angegebene Hauptursache - und seit langer Zeit hatte der botanische Garten wohl keinen so herrlichen Farbenschmelz und /46/ prangenden Blütenschmuck gezeigt, als gerade heute. Ermüdet vom langen Umherstreifen, warf ich mich zuletzt unter einen der Bäume auf den Rasen, um mir das Leben und Treiben um mich her ruhiger zu betrachten. Dies Leben und Treiben mochte mir auch fremd sein, aber der Baum selber, unter dem ich lag, war ein alter Bekannter aus Louisiana, eine Akazienart, mit dolchähnlichen, vom Stamm ausstehenden Dornen. Mein Pferd hatte mich einmal in den Redriversümpfen im wilden, gefährlichen Sprung, auf einer Bärenhetze, zwischen zwei solchen, nur eben weit genug auseinanderstehenden Bäumen, um uns durchzulassen, hingetragen, und ich weiß mich noch genau des Schauders zu erinnern, der mich durchrieselte, als ich daran dachte, wie ich aussehen müsse, wenn mich rechts oder links jene furchtbaren Dornen erfaßt hätten. Im Augenblick war ich am Ufer des Mississippi, unter den schattigen Pekans und Cypressen, dem grau wuchernden Moose und den duftenden Magnolienblüthen jenes schönen Landes, und lag dort so lange, bis ein aufsteigendes Gewitter mich daran mahnte, ein Obdach zu suchen.
Der Regen dauerte aber nicht lange, bald stand die Sonne wieder in voller Pracht am Himmel, und ich kehrte in die Stadt zurück, schrieb ein paar Briefe und warf mich dann zeitig auf mein Bett.
Die Landreise nach Adelaide ging mir aber wieder im Kopf herum. Wieder hatte ich Leute gesprochen, die mir ab rieten, sie in jetziger Zeit zu unternehmen, da die Pferde fast nichts zu fressen fänden. Der alte bekannte Dornenbaum aus den Redriversümpfen hatte dabei alte liebe Erinnerungen geweckt - es war gar eine schöne, wilde Zeit, als ich in den prachtvollen Wäldern des Westens den Hirsch und Bär jagte, und die stillen, raschen Fluten des mächtigen Riororo in dem schlanken, leichten Canoe hinabglitt - Canoe? - ich sprang bei dem Gedanken ordentlich im Bett empor. - Und was hinderte mich, den Murray ebenfalls in einem Canoe hinabzufahren? - Die Entfernung? - konnte ich damals 500 Meilen auf dem Redriver zurücklegen, waren die 2000, die der Murray hier etwa fließen mochte, auch keine Unmöglichkeit. - Die Schwarzen? - ich führte eine vortreffliche Büchse, /47/ und die Schwarzen werden nur zu oft, und nicht selten sehr ungerecht, zu Popanzen gebraucht. - Der Weg war gefunden - eine Canoefahrt den Murray hinunter - eine Fahrt, die noch Keiner vor mir, wenigstens bis Adelaide hinunter, gemacht hatte, und dann die Jagd am Fluß selber: Kängurus und Kasuare, wilde Hunde und schwarze Schwäne - Gott weiß, was mir die Nacht all' für grauses Zeug träumte; der nächste Morgen fand mich aber noch eben so warm für den Plan, als der gestrige Abend, und Erkundigungen, die ich an diesem Tag über den Strom selber einzog, ließen mich keinen Augenblick zweifeln, daß, ich die Tour ausführen könne - mein Entschluß war gefaßt.
Am andern Tag, einem Sonntag, fuhr ich mit Herrn Dreutler, dessen Nichte, dem Capitain des erst vor einigen Tagen eingelaufenen und wieder nach Hamburg bestimmten Schiffes Dockenhuden, und einem mit dem Dockenhuden gekommenem Passagier nach Botanybai, dem interessantesten Punkte Sidneys, hinaus, und wir verlebten dort einen sehr angenehmen Tag. Bei einer reizenden Lage am Ufer der kleinen, aber freundlichen Bai ist dort ein wirklich vortrefflicher Vergnügungsort angelegt, der neben einem sehr hübschen Garten noch dadurch besonderes Interesse gewinnt, daß der Wirth einen großen Teil der einheimischen Tiere gesammelt hält und dadurch seinen kleinen Platz gewissermaßen in einen zoologischen Garten verwandelt hat. Außer den Kasuaren oder Emus befinden sich da drei wilde Hunde, ganz tüchtige Burschen von gelbrother Farbe mit ordentlichen Schäferhundsköpfen und Fuchsschwänzen, die wohl aussehen, als ob sie den Schafherden beträchtlichen Schaden zufügen könnten, eine Menge sehr schöner großer Raubvögel, mit den wunderlichsten Arten der hiesigen Tauben, Papageien und Kakadus. Ferner das Opossum, das sich übrigens von dem nordamerikanischen Opossum wesentlich unterscheidet. Es ist dieses ein viel freundlicheres Thier, nicht mit dem fatalen Rattenäußern und kahlen Schwanz, wie das amerikanische, sondern mehr einem fetten, behäbigen, pensionierten grauen Eichhörnchen gleichend, nur natürlich größer. Dann zwei schwarze Schwäne, prachtvolle Tiere mit dem schwarzbraunen Gefieder und den roten /48/Schnäbeln, moskowitische Enten, ebenfalls hier einheimisch, und die Hauptsache von Allem: fünf Kängurus, die mit zwei Rehen (erst kürzlich von Manila importiert) in einer kleinen Einfriedigung zusammengesperrt leben. Ihre Sprünge sind wirklich possierlich, und die kurzen Vorderpfoten wußten sie, als wir sie auf dem Rückweg mit Brod fütterten, auf das Geschickteste zu benutzen, um sich der mehr als zudringlichen und meistens den Platz behauptenden Rehe zu erwehren. - Den letzteren mußte übrigens das Klima nicht besonders zusagen, denn als ich zum zweiten Mal hier herauskam, war der Bock schon verendet.
An fremden Tieren waren noch da: ein junger bengalischer Tiger, ein prachtvolles glattes, geschmeidiges Thier, und ein kleiner schwarzer Bär vom Himalayagebirge, ein kleiner, häßlich struppiger, faul und mürrisch aussehender Gesell, der sich übrigens seiner Häßlichkeit ordentlich zu schämen schien, denn er hielt sich fast ununterbrochen die eine Vordertatze vor das Gesicht.
Als ich später noch einmal Botanybai besuchte, fuhren wir auch mit einem Boot an das andere Ufer der Bai hinüber, das insofern merkwürdig ist, als Capitain Cook hier sowohl wie La Perouse, der berühmte französische Seefahrer, zum ersten Mal australischen Boden betraten. Das Ufer wird dort durch einen sehr weichen gelben Sandstein gebildet, der sich auch in steiler niederer Klippe emporzieht, und zum Andenken an diese Stelle ist dort eine kleine Kupferplatte in den Fels eingelassen, welche die näheren Daten enthält. La Perouse dagegen ist auf dem linken Ufer der Bai eine kleine Säule von Sandstein gesetzt, um sein Andenken zu feiern. - Nachdem er nämlich die australischen Küsten verließ, hat man nie wieder von ihm gehört, und nur nach langen Jahren, wenn ich nicht irre, an den Küsten von Neu-Guinea, Anzeichen gefunden, daß sein Schiff dort gestrandet und die Mannschaft verloren gegangen oder erschlagen sein müßte.
An Scenerie bietet Botanybai übrigens gar nichts und kann nicht im Entferntesten mit der benachbarten Sidneybai oder Port Jackson, wie sie gewöhnlich genannt wird, verglichen werden. - Die unmittelbaren Ufer der Bai und einige kleine /49/ niedere Talflächen ausgenommen, ist das Land eine buschüberwachsene Sandfläche, die oft in dürre weiße Sandstrecken ausartet, und Port Jackson, das da so reizend mitten im dürren Boden liegt, kam mir wahrlich vor wie ein kleiner Ausschnitthändler, der seinen ganzen Warenvorrat aufgeputzt im Schaufenster hängen und zu diesem Zweck seinen ganzen übrigen Laden geplündert hat. Botanybai ist allerdings der Mannigfaltigkeit neuer Pflanzenarten wegen berühmt, die man dort entdeckte, und ich gebe zu, daß man, in's Einzelne gehend, die verschiedenen mit Blumen bedeckten Büsche, die mannigfachen Gattungen der Banksias und anderer, ungemein schön und interessant finden kann; das aber nimmt dem Ganzen doch nicht seinen Charakter, und der ist, sobald man den Wasserspiegel verläßt, ein entschieden trauriger.
Botanybai ist übrigens außerdem ein so harmloser Platz als möglich, und hat den schlimmen Namen, den es in der civilisirten Welt trägt, sicherlich auf die unschuldigste Weise bekommen. An feinen Ufern war nie eine Verbrechercolonie, ja die Leute sind dort nicht einmal zu Arbeiten verwandt, da gar nichts hier gearbeitet worden, und dennoch trägt der Name Botanybai jetzt fast alle Schrecken jener Periode - das kommt davon, wenn man schlechte Nachbarn hat.
Natürlich besuchte ich auch das Theater in Sidney, muß aber gestehen, daß ich von dem guten Geschmack des dortigen Publikums keinen sehr günstigen Begriff bekam. Ich hatte geglaubt, daß ein von England aus direct abstammendes Publikum etwas mehr künstlerischen Sinn haben würde, als Bruder Jonathan in den Vereinigten Staaten; aber Gott bewahre, ich fand denselben Bombast, dieselbe Marktschreierei, und die Schauspieler, mit nur sehr wenigen Ausnahmen, der Art, daß sie selbst auf einer mittelmäßigen Bühne Deutschlands dieselbe Aufnahme wie hier empfangen Hütten, nur daß die Bedeutung dort eine etwas verschiedene gewesen wäre. Trommeln und Pfeifen gilt hier nämlich für unbegrenzten Beifall, und es tat meinem Herzen wohl, ohne unartig zu werden, ganz in deutschem Sinne mit einstimmen zu können.
Der ganze Zettel schon war amerikanisch: erst ein Drama mit genauer räuberromanartiger Angabe der verschiedenen /50/ Szenen und entsetzlichen Vorfälle, dann komische Gesänge, die sämtlich vom Publikum auf die ungezogenste Weise als capo verlangt wurden, und höchst mittelmäßige, aber sehr stark applaudierte Tänze dazwischen. Vielleicht geschah es an dem Abend nur zufällig, aber es kamen sehr viele Damen in engen Tricots vor, die nicht selten keineswegs zarte, aber stets sehr stark applaudierte Sachen sagten. Das Publikum schien überhaupt nicht im Mindesten eigen, wie ich wenigstens aus einem kleinen Lustspiel zu ersehen glaubte, das nach dem Drama gegeben wurde, und in dem ich den Schauspielern Vieles wieder abbat, denn sie spielten vortrefflich. Das Sujet desselben war sehr einfach: ein paar schmollende junge Eheleute, die ein plötzlich ankommender, ungekannter Bruder der Frau - natürlich Offizier - versöhnt, der von dem Ehemann erst für einen Nebenbuhler gehalten wird. In der Entwickelung äußert dabei der Ehemann, daß der Offizier - der sich mit ihm, nachdem er seine Frau geküßt, nicht schlagen will - verdiene, den Rock, den er trage, vom Leibe gerissen zu bekommen, worauf der Offizier sehr kaltblütig äußert: „wenn er meine". Dann zieht er in höchster Gemütsruhe seinen Rock aus; „vielleicht auch die Weste?" sagt er dann, und entäußert sich auch dieser. Das Ehepaar nebst den Dienstboten - einem alten Bedienten und der jungen Magd - stehen entsetzt. - Rock und Weste liegen auf dem Stuhl - das Publikum lauscht in atemloser Spannung. „Wünschen Sie etwa noch mehr?" fragt mit Seelenruhe der schreckliche Offizier, und macht dabei eine ganz unzweideutige Bewegung, um sich auch seiner Unaussprechlichen zu entledigen, was nur durch eine angstvoll ablehnende Bewegung des Ehemannes und durch einen gemeinsamen Entsetzensschrei der Frau und der Dienerin, wie durch das unbändige Aufjubeln des Hauses verhindert wurde. Ein einziger junger Mann im Parterre schien auch dieses zu wünschen, denn er schrie aus Leibeskräften: down with them ! — wurde aber überstimmt.
Das Publikum selber war für mich interessanter fast als das Spiel. Wirklich habe ich kaum je eine wild- und bunt- gemischtere Menge beisammen gesehen. Die erste Galerie enthält ausschließlich die feine Welt; schon der Name dress /51/ circle zeigt, was sie bedeutet, und schwarze Fracks und weiße Glacehandschuhe haben dort unbestreitbar die Majorität. Die Damen sind ebenfalls im höchsten Putz, und allen anderen ersten Gallerten gleich wird hier, nur mit sehr wenigen Ausnahmen, weder Mißfallen noch Tadel ausgesprochen; es herrscht eine edle, würdige Steifheit. Die zweite Galerie ist für die Mittelklasse, aber nur ein halb anständiger Platz, denn man darf sich keineswegs wundern, wenn plötzlich einmal eine junge Dame ihre beiden Hände auf Eines Schultern stützt und über den etwas Überraschten hin mit der größten Unbefangenheit und unverkennbarer Aufmerksamkeit das Spiel betrachtet. Die dritte Galerie ist der billigste Platz, der Aufenthalt der Gerechten - das Paradies, und je schrecklicher der Zettel, desto voller. Der interessanteste Raum ist aber jedenfalls das Parterre, denn wenn jener den Namen des Paradieses verdient, so sieht das Parterre aus, als ob dort die Schafe und Böcke noch nicht geschieden wären, und fortwährend in höchster Ungeduld den entscheidenden Ausspruch, der sie zur äußersten Rechten oder Linken berufen solle, erwarteten. - Wie aus der Arche Noah herausgeschüttelt sitzen dort „ein Männlein und ein Fräulein" traulich bei einander, Matrosen und Dienstmädchen, Grisetten und Ladenjünglinge, Handwerker und Wasserleute, kurz Ers und Sies im tollsten Farbenschmelz, mit Strohhüten, Mützen, Blumenhauben, roten Shawls, Hemdärmeln, Spitzenkragen und Fracks. Während der Akte amüsiert sich dieses Völkchen vortrefflich mit Lachen, Bravoschreien, Dacaporufen und Trommeln und Pfeifen - beides, wie gesagt, hier Beifallsbezeigungen -, und in den kurzen Zwischenacten wird seine Lust erst recht laut, so daß also für dasselbe ein solcher Theaterabend einer fortgesetzten, ununterbrochenen Reihe von Vergnügungen zu gleichen scheint. Dann kommt die Zeit, wo hier und da einer der sich berufen fühlenden Laien auf die Bank steigt, und seiner ihm entzückt lauschenden Umgebung einen declamatorischen oder musikalischen Vortrag hält. Hier führen zwei Matrosen ein Scheingefecht mit Stöcken auf - sehr zur Unbequemlichkeit eines ruhigen Mannes in einem braunen Rock, der all' die Hiebe bekommt, die der eine Matrose pariert; /52/ dort hat ein Anderer den kaum verlassenen Platz eines Dritten räuberischer und hinterlistiger Weise occupirt, und ein hitziger Wortwechsel droht ein noch viel hitzigeres Ende nehmen zu wollen: schon reißt der Eine seine Jacke vom Leibe, seinen Ellbogen in dem bevorstehenden Kampfe freieres Spiel zu gewähren, als sich plötzlich ein Aufwärter mit Leib und Tragkorb hineinlegt, und zwar im wörtlichsten Sinne des Worts, aber auch eben so unfreiwillig als glücklich für den Frieden des Hauses. Mit einem Korb nämlich voller Apfelsinen, Äpfel, Birnen und Feigen beladen, ist er, der allgemeinen Gewohnheit nach, ruhig über die Bänke, das Obst zum Verkauf ausbietend, dahergeschritten, unglückselige Neugierde leitete seine Bahn nach dem ausbrechenden Tumult hin, nur noch eine Bank weiter, da - war es ein verräterischer Stock, oder glitt der sonst so sichere Fuß? - hakt er plötzlich in irgend etwas fest, einen Augenblick schwankt er, aber der schwere Korb entscheidet mit fürchterlicher Schnelle fein Schicksal - wie ein Hagelschlag fahren die Äpfel und Apfelsinen zwischen die Streitsüchtigen hinein, während die bisherigen Zuschauer plötzlich zu Mitwirkenden werden und sich in Todesverachtung auf die als gute Beute erklärten Waren stürzen. Nur den Aufwärter mit seinem Korb lassen sie liegen.
Das Orchester ist sehr schwach, manche der Dekorationen so mittelmäßig, daß sie fast Carricaturen gleichen, andere jedoch auch ziemlich gut dagegen, und überhaupt überzeugte mich Alles, was ich vom Theater sah, daß die Künstler für leichte Konversationsstücke, aus dem Leben heraus, wie gemacht waren, aber Kulissenreißer wurden, sobald sie aus dem herausgingen - und wie unsagbar oft haben wir das auch selbst in Europa bei unseren ersten Künstlern!
Sidney hat einen entschieden englischen Charakter und ist den Tag über, bis Abends zehn Uhr, lebhaft genug. Zahlreiche Omnibus durchfahren es der vollen Länge nach, die Hauptstraße Georgenstreet heraus und hinunter, außerdem stehen noch elegante Fiakers überall zerstreut durch die Stadt, und die Straßen sind mit Gas beleuchtet, mit guten Trottoirs versehen, die Läden elegant und geschmackvoll eingerichtet. /53/ Sidney stellt sich jedenfalls einer Stadt zweiten Ranges in England vollkommen gut an die Seite.
Das Volksleben ist hier besonders lebendig, die zahlreichen Brod- und Gemüsekarren kreuzen sich überall, Fischverkäufer schreien ihre auf Schiebkarren feilgebotenen Waren unermüdet aus, und an allen Straßenecken fast preisen Kuchenverkäufer ihre „hot pies, penny a piece". Außenstände und Fruchtläden findet man gleichfalls in großer Anzahl, und es läßt sich leicht denken, daß der Fremde hier eine vortreffliche Gelegenheit hat, sein Geld los zu werden.
Von sicher aber höchst ungünstigem Einfluß sind die sich hier in wahrer Unmasse befindenden Schenkbuden, der Überschrift nach „licensed to sell spirituous and fermented liguors". Ihre Zahl ist Legion, und trunkene Männer und Frauen gehören zu etwas Alltäglichem. Unter diesen habe ich auch einige Exemplare des Genus: homo australiensis oder der sogenannten black fellows (Schwarzen) gesehen - schauderhafte Subjekte mit widerlichen wilden verlebten Zügen. Der australische Wilde soll sich außerdem nicht über Schönheit zu beklagen haben, der Trunk aber noch dazu hat diese hier zu wahren Scheusalen gemacht, und sie könnten in der Tat ohne weitere Vorbereitung jedem selbst die unbescheidensten Ansprüche machenden Mäßigkeitsverein als „abschreckende Beispiele" dienen. Das „schöne Geschlecht" sieht dabei noch entsetzlicher aus als das „häßliche", und die stieren Augen gleichen manchmal fast dem Wahnsinn. In Botanybai redeten uns ein paar solche schwarze Damen an, d. h. sie kamen auf uns zu, machten die zierlichsten Knixe, was allerdings komisch genug aussah, und ersuchten die Gesellschaft mit den höflichsten, sorgfältigst gesetzten Redensarten um etwas „white money" oder weißes Geld, denn sie wissen einen recht guten Unterschied zwischen diesem und dem roten zu machen. black fellows oder kurzweg blacks werden ausschließlich die eingeborenen wilden Stämme genannt, während die hier geborenen Weißen, die sich in Louisiana z. B. Creolen nennen würden, den Namen natives angenommen haben. Höflich ist man ebenfalls gegen die Trans- oder Deportirten, die fast stets „Gouvernementsleute" titulirt werden. Diese Höflich-/54/keit ist hier aber gewissermaßen die gezwungene Folge eines höchst unangenehmen Verhältnisses für den Fremden, der die Leute, mit denen er zu tun hat, und deren Familienverhältnisse nicht ganz genau kennt. Man ist hier nämlich, selbst in den ersten Zirkeln der Stadt, nie ganz sicher, ob man nicht mit einem Deportirten oder doch Abkömmling von solchem, freilich jetzt in ganz anderen Verhältnissen, zu tun habe, und will man dann nicht oft Leute, die uns nie gekränkt haben, auf eine höchst schlimme und kaum wieder gut zu machende Art beleidigen, so muß mau, besonders in seinen Reden über Deportation und Deportirte selber, stets höchst vorsichtig sein. - „Höflichkeit kann niemals schaden."
Die Verbrecherbevölkerung der Stadt verleugnet sich übrigens, was auch darüber in ausländischen Blättern Schönes und Gutes geschrieben sein mag, hier in Sidney nicht, und ich habe in meinem ganzen Leben, selbst kaum in Kalifornien, so viel von Einbrüchen, Mordthaten, Diebstählen und anderen Beraubungen gehört, wie gerade hier. Jedes Tageblatt bringt die Angabe neuer Verbrechen.
Was das Land selber, besonders ganz in der Nähe von Sidney, betrifft, so eignet sich dasselbe wenig für den Ackerbau - Neu-Süd-Wales ist überhaupt anerkannt ein weit besseres Land für Viehzucht, doch erst neuerdings hatten einzelne Farmer, besonders oben am Huntersriver, den Weinbau, und zwar mit sehr günstigem Erfolg versucht. Huntersriver wurde mir überhaupt von mehreren Seiten angeraten zu besuchen, da dort unstreitig das beste Land für Ackerbau sowohl als Weinbau liege, und jenes auch für Deutsche, die nach Sidney auswandern wollten, der geeignetste Punkt sein würde. Vom „Westen" des Landes sollte ich nächstens genug zu sehen bekommen, so wollte ich denn hier, wo mir doch noch eine kurze Zeit blieb, die Gelegenheit nicht versäumen, einen kleinen Abstecher nach Norden hinauf zu machen und Huntersriver wie die benachbarte Gegend wenigstens auf einem kleinen Streifzug kennen zu kernen.
Sonnabend den 12. April Abends zehn Uhr schiffte ich mich an Bord des schönen eisernen Dampfbootes Rose ein, und erreichte nach einer etwas unruhigen Fahrt, denn wir