Читать книгу Reisen Band 2 - Gerstäcker Friedrich, Jurgen Schulze - Страница 2
Оглавление/55/hatten den Wind gerade entgegen und die See ging ziemlich hoch, Morgens etwa um neun Uhr New Castle, einen kleinen, in der traurigsten Sandwüste liegenden Ort, aber mit ziemlich gutem Hafen und vortrefflichen Steinkohlenbergwerken, die dem Platz, trotz seinem öden Aussehen, bald Bedeutung geben müssen. Hier war in früheren Zeiten eine Verbrecher- colonie.
Von dort aus ließen wir die See hinter uns und fuhren den hier ziemlich breiten Huntersriver stromauf. - Die Landschaft war, so lange wir noch innerhalb des niedern Sumpflandes blieben, monoton genug - rechts und links zeigten sich nur mit niederen Büschen und Blumen bewachsene, oft kaum aus dem Wasser vorragende, oft von der Flut überschwemmte Ufer, nur manchmal von einem Schwarm geschwätziger Kakadus oder darüber hinstreichender Möven belebt, und der Eindruck, den das Ganze machte, war traurig und öde, ähnlich der Einfahrt in den Mississippi.
Weiter hinauf nahm aber die Landschaft einen freundlicheren Charakter an; hier und da tauchten aus den höheren Büschen kleine Landhäuser auf und cultivirte Felder wurden sichtbar - ein Platz, am rechten Flußufer, lag romantisch in einem dichten Gebüsch von Orangen und Norfolkfichten, zwischen denen die breiten tropischen Blätter der Bananen hervorschauten, halb versteckt.
Je weiter wir hinaufkamen, desto mehr bebaut fand ich das Land, und die stehen gelassenen dürren Bäume in de« Feldern, der dahinter liegende Wald und die niederen Ufer gaben der ganzen Scenerie wiederum etwas ungemein dem Mississippi Ähnliches, nur natürlich in sehr verjüngtem Maßstabe, denn der Fluß selber ist ganz unbedeutend und hält nur im Sommer bis dahinauf fließend Wasser, bis wo Ebbe und Flut geht, während das Thal selber schmal ist und allerdings nicht mit dem Mississippi bottom verglichen werden darf. - Nur das äußere Ansehen hatte die Ähnlichkeit, die sich sogar in den eingefenzten Feldern und dem häufig gebauten Mais wiederfand. Den letzteren ziehen die australischen Farmer übrigens nicht, wie es die amerikanischen tun, /56/ für den eigenen Mundbedarf, sondern nur für ihr Vieh. Der' Australier ißt kein anderes als Weizenbrod.
Da jetzt hier Herbst war, stand der Mais allerdings noch im Feld, die Weizenäcker lagen aber geackert, und hier und da sah ich Pflüge mit vier und sechs Ochsen bespannt in denselben gehen.
Raimond's Terrasse, ein blühendes kleines Städtchen, war mein erster Anhaltepunkt, und von hier aus beabsichtigte ich nach der Farm eines Herrn James King in Irrawang, etwa drei Meilen von Raimonds, hinauszugehen, an welchen ich durch die Herren Dreutler und Kirchner in Sidney empfohlen war.
Zum ersten Mal durchschritt ich jetzt australischen Wald - stets ein eigenes, wundersam erhebendes Gefühl für mich, wenn ich den Wald eines fremden Erdtheils betrete - und ich eilte, so rasch ich konnte, um den mich beengenden Häusern der kleinen Stadt zu entgehen. Der Eindruck, den der wirkliche Wald - oder Busch, wie er hier in Australien ziemlich bezeichnend genannt wird - auf mich machte, war aber keineswegs der Art, wie ich ihn im Anfang erwartet hatte. Ich fand nur sehr wenig wirklich große und schöne Bäume, die meisten waren wohl schlank und gerade genug, aber keineswegs so, um mit einem amerikanischen oder auch nur taktischen Urwald verglichen zu werden. Van-Diemensland und Neu-Seeland sollen übrigens viel bedeutendere Wälder haben als Neu-Holland. Die Bäume selber sehen sich fast alle ähnlich, gehören auch meist alle zu dem Geschlecht der Eucalypten-, Gummi- oder Harzbäume mit lanzettförmigen harten langen Blättern, und teilen sich nur in die allein an der verschiedenen Rinde kennbaren „Stringy Bark", gewöhnliche Gums und „Blackbuts". Einen ordentlichen Stringy Bark bekam ich aber hier gar nicht zu sehen; die Ansiedler benutzen die zähe, starke Rinde derselben zu den Dächern ihrer Häuser und manchen anderen Zwecken, und die Bäume selber gehen dann, sobald sie der schützenden Rinde beraubt sind, natürlich ein. Andere Gummibäume werfen im Winter ihre Rinde freiwillig ab und stehen nun, zwar mit grünem Laub, aber sonst so nackt und häßlich wie die wilden, trotzigen Einge-/57/borenen des Landes, zwischen ihren mehr auf Anstand haltenden Brüdern.
Australien ist uns fast stets als das Land des Widerspruchs geschildert, und der Europäer denkt sich nicht selten, daß auch die geringsten Kleinigkeiten mit der alten Welt in Widerspruch stehen müßten; kommt man aber wirklich selber her, so treten diese anscheinenden Außerordentlichkeiten sehr in den Hintergrund zurück, und aus den ersten Anblick kommt Einem die ganze Umgebung wirklich alltäglich vor. Eigentümlichkeiten stellen sich aber bei näherer Besichtigung doch bald genug heraus, und neben den rindenlosen Bäumen paßt da unter anderen auch die Kasuarine mit ihrem Eichenstamm und Tannennadeln vortrefflich hierher. Das Holz der Kasuarinen kommt dem Eichenholz an Härte und Ansehen fast vollkommen gleich, die Nadeln aber gleichen nur von Weitem denen der Tannen, und sehen in der Nähe ganz wie Schachtelhalm aus, nur daß sie nicht dessen Eigenschaften haben? Das Holz aller Gumbäume ist hart und so schwer, daß es im Wasser wie Blei untersinkt - dabei sollen die größeren Bäume meist alle im Herzen faul sein. An der Küste wächst aber in einigen, doch nur sehr wenigen Tälern eine Ceder, die vortreffliches Holz liefert, und drinnen im Lande steht eine sehr hübsche Art von Tannen. Von den Gumbäumen spalten nur einige Arten gut.
Gegen Mittag erreichte ich, die wenigen Meilen zu Fuß marschierend, Mr. King's Farm, und wenn ich ihn auch nicht selber zu Hause fand, hörte ich doch, daß er jeden Augenblick erwartet werde, und wurde indessen auf das Freundlichste von Mrs. King empfangen. Gastfreundschaft herrscht hier in Australien noch im echt patriarchalischen Sinne, und je weiter im Busch drin, desto lieber sehen die Ansiedler den Fremden, den sie oft nur höchst ungern wieder scheiden lassen.
Herr King beschäftigt sich besonders mit dem Weinbau, und er bestellt auch wirklich nur zu diesem Zweck Land - das übrige hat er, wie ich später erklären werde, an Pächter ausgcliehen, und bezieht nach abgeschlossenen Accorden und bestimmten Jahren eine gewisse Rente davon. Ich kostete hier /58/ den Irrawang 47er, einen weißen Wein, der schon eine Zeit lang in Flaschen gelegen hatte, und fand ihn vortrefflich. Er hat einen ganz dem Hochheimer ähnlichen, höchst angenehmen Geschmack, und dabei fast noch mehr Feuer als der Hochheimer. Einen roten Wein, von eben derselben Farm, stellte ich dem Aßmannshauser vollkommen gleich. Herr King denkt Proben dieses Weines nach Deutschland zu senden. - Er kam erst Abends nach Hause, und am nächsten Tag ritten wir über seine sämtlichen ausgebreiteten Besitzungen. Das Land ist ziemlich gut und die Weiden sind vortrefflich, doch soll der Boden dicht am Fluß, wie sich auch leicht denken läßt, noch viel besser sein, da er besonders in manchen Jahren Über- schwemmungen ausgesetzt ist, die vortrefflichen Schlamm zurücklassen, ohne durch zu starke Strömung gefährlich zu werden. Er hatte hier etwa 4000 Acker in einem Strich liegen, und wenn auch von diesen ein kleiner Teil steiniges Hügelland war, so schien doch ein sehr großer Teil zu Mais und Weizen und das Übrige säst alles zu Weinbergen oder Wiesen verwendbar.
Durch das Ausmieten an Einwanderer oder ärmere Leute, die eben mit der Landwirtschaft beginnen wollen, bekommt er sein Land nach und nach urbar gemacht, und die Pächter selber stehen sich vollkommen gut dabei, da sie wenig Auslagen haben und die ersten zwei Jahre den gemieteten Platz, den sie freilich auch erst urbar machen müssen, rentenfrei erhalten. Die spätere Pacht ist dann ebenfalls mäßig genug und der Ansiedler stets im Stande, sich nach und nach Geld genug für sich selber zu verdienen, um auf eigenem Grund und Boden anzufangen. Ebenso brauchte in damaliger Zeit der arme ordentliche Arbeiter, der australischen Boden betrat, selbst wenn er ohne Pfennig da ankam, nie zu fürchten, daß es ihm an Beschäftigung fehlen werde. - Arbeiter waren im Gegenteil das, was gerade fehlte, und Alle fanden ohne Unterschied - der Eine allerdings besser als der Andere - ein Unterkommen. - Das war freilich vor der Entdeckung des Goldes, und die Verhältnisse haben sich in der Hinsicht bedeutend geändert - doch auf alles Das komme ich später zurück. /59/Ich fand hier zwei deutsche Familien, welche von Regierungsgeldern, mit vielen anderen zu derselben Zeit, nach Australien gerufen waren, und hier nun ihr Passagegeld durch einen zweijährigen Contract mit den Ansiedlern hatten abarbeiten müssen. Sie sprachen sich sehr günstig über das Land ans und versicherten mir, wer hier nur arbeiten wolle, komme durch, und könne sich dabei ganz wohl befinden. Freilich gefiel ihnen das stille „Buschlcben" nicht besonders - wer in Deutschland das Geräusch oder auch nur das geselligere Leben der größeren oder kleineren Städte gewohnt war, und dessen Herz vielleicht gar etwas stark an den dortigen Vergnügungsplätzen hing, der wird in a l l e n Ländern, wohin er auswandert und wo sich, eben nur deshalb, seine Verhältnisse so viel besser gestalten als im alten Vaterland, weil es gerade an Arbeitern - also auch an Menschen und deren geselligem Treiben - fehlt, das stets vermissen. Das Waldleben ist eine eigene Sache und muß, wie jedes Andere, erst erlernt, jedenfalls aber auch verstanden werden, und Der, welcher sich, nicht selbst genug sein kann, wird sich selten wohl darin fühlen. Der Einwanderer braucht es ja aber auch nur als eine Vorbereitung zu besseren Verhältnissen anzusehen, denn sein eigener Fleiß ruft ihm Nachbarn herbei, und mit der Zeit bildet sich die „Gesellschaft" eben von selber.
Es ist versucht worden, von China Arbeiter einzuführen, und in manchen Gegenden, am Clarenceriver zum Beispiel und noch an mehreren anderen Orten, haben die Farmer wirklich schon Chinesen in den Wäldern zu Schäfern und anderen Arbeiten. Mit Einigen scheinen sie auch vollkommen zufrieden zu sein, im Ganzen aber glaub' ich nicht, daß ihnen die Chinesen - mancher Eigentümlichkeiten, ja sogar Laster wegen - gefallen, und Alles sehnt sich nach Einwanderern von Europa. Die Deutschen sind ganz besonders gern gesehen.
Ich hatte noch im Sinn, das weiter oben am Fluß liegende Maitland und einige dort in der Nähe wohnende Farmer zu besuchen, wohin mich Herr King sehr freundlich mit einem Einführungsschreiben versah; leider versäumte ich aber das an diesem Morgen durch eine scharfe Brise außergewöhn-/60/lich begünstigte Dampfboot aufwärts, und da mir meine Zeit ein wenig knapp zugemessen war und das Weiter unverkennbar zum Regen einsetzte, so beschloß ich, lieber mit dem gleich darauf stromab kommenden Dampfer nach Sidney zurückzugehen.
Besonderes Interesse erregte damals unseres Landmanns, des Doktor Leichhardt, Schicksal, der auf seiner zweiten Entdeckungsreise - die erste machte er, wie bekannt, unter unsäglichen Gefahren von Moretonsbai nach Port Essington - von demselben Punkt aus gen Westen vordrang, um einen Communicationsweg zu Land nach dem westlichen Teil Australiens aufzufinden, und dessen Zeit zur Rückkehr schon so lange verflossen war, daß man fast fürchten mußte, cs sei ihm in der traurigen Öde des innern Landes ein Unglück zugestoßen. Leichhardt war aber in Sidney viel zu bekannt und zu beliebt, um ihn jetzt seinem Schicksal so ruhig zu überlassen, und mehrere Meetings wurden gehalten, in denen sich die Bürger auf das Energischeste dafür aussprachen, daß eine Petition an die Regierung aufgesetzt würde, um sich der Sache anzunehmen. Se. Excellenz der Generalgouverneur Australiens, Sir Fitz Roy, bewilligte auch 200 Pf. Sterl. zu diesem Zweck, um eine neue Expedition auszurüsten, und ihn entweder aufzusuchen oder über seinen Tod gewisse Kenntniß zu erlangen. Natürlich sollten nur Freiwillige dazu genommen werden, und ich würde mich ungemein gern einem solchen Zuge angeschlossen haben, hätte ich überhaupt noch eine so lange Zeit aus meine Reise verwenden können. Die Expedition konnte kaum unter achtzehn Monaten vollendet sein, mußte dabei erst vollzählig gemacht werden und dann auch noch eine günstigere Jahreszeit abwarten, da die lange anhaltende Dürre im Innern den Tieren jedenfalls verderblich gewesen wäre. Nach Anbruch und wirklichem Eintreten der Regenzeit - denn das vorige Jahr hatte bewiesen, daß im Innern Beides nicht stets zusammen eintrifft - war dann schon besseres Futter zu erwarten.
Überhaupt hat dieser Teil Australiens in den letzten Jahren sehr an Dürre gelitten, was nicht allein dem Ackerbau und den Weiden ungemein nachteilig war, sondern auch /61/ eine Krankheit des Rindviehs zur Folge hatte, die Tausende hinraffte und sogar den Menschen schädlich wurde.
Der Port-Philipp-District wurde dazu noch von einem Waldbrand heimgesucht, der, ich weiß nicht wie viele tausend Acker Busch und Felder, wie Fenzen und Wohnungen niederbrannte und sogar mehrere Menschenleben vernichtete. Eine Menge Vieh ging mit der ganzen diesjährigen Ernte dadurch verloren, und es mußte jetzt von hier aus Getreide hinuntergeschafft werden, von wo es sonst nach Sidney verschifft wurde.
In Sidney fing mir übrigens die Zeit an laug zu werden, es war das einzig kaufmännische Treiben, um das sich hier Alles drehte, und so beschloß ich denn, mit meiner Reise durch das Innere nicht länger zu zögern, stellte meinen Koffer zu Herrn Consul Kirchner ein, der sich freundlich erboten hatte, ihn mit einem in wenigen Tagen nach Adelaide bestimmten Schoner dorthin vorauszuschicken, und frug keinen Menschen mehr über den Marsch selber und die dortigen Indianer - ich hatte die Schaudergeschichten satt, mit denen mich die Leute von meiner Tour zurückhalten wollten. - Es war nichts als Mord und Totschlag und Nierenfettausschneiden, und kommt man nachher an Ort und Stelle, so sind die Gefahren in das Unglaubliche hinein übertrieben gewesen. Es war ja so auf allen den nur etwas außergewöhnlichen Märschen, die ich bis dahin noch gemacht.
Mit Waffen war ich übrigens vollkommen gut versehen, um wenigstens von meiner Seite nichts zu versäumen, und fest entschlossen dabei, mich mit den wilden Stämmen, die, wie ich recht gern glauben wollte, verräterisch genug sein mochten, so wenig als möglich einzulassen. - Das Übrige fand sich an Ort und Stelle. /62/
2.
Postfahrt von Sidney nach Albury.
Die Beförderung von Passagieren und Briefen ist hier in Australien ganz in den Händen von Privatpersonen, die sich kontraktlich verpflichten, die „Mail“, das heißt die Briefsäcke, zu gewissen Stunden an Ort und Stelle zu liefern, und die Passagiere, die ihnen aus Gnade und Ungnade übergeben sind, als eine zwar lästige, aber doch des Gewinnes wegen nötige Zugabe betrachten. In diesem Sinne und von diesem Princip ausgehend, ist auch die ganze Posteinrichtung getroffen, und ein Passagier, der sich auf der „Royal-Mail", wie die Karren prunkvoll genug heißen, einschifft, mag nur seine Seele einstweilen Gott empfehlen und sich ganz und gar mit seinem Körper beschäftigen, denn dessen Mißhandlung wird sicherlich seine ganze Zeit und Aufmerksamkeit in Anspruch nehmen. Doch zur Sache.
Dienstag, den 22. April, Nachmittags vier Uhr, ging die Post ab. Am Tage vorher hatte ich meinen Passagierschein genommen - das heißt mein Geld gezahlt, denn ein Schein wurde dafür nicht ausgegeben — und auf meine Frage, ob viele Passagiere mitführen, erhielt ich die trockene und etwas eigentümliche Antwort: „Nur eine Dame, für die Sie werden Sorge tragen müssen“.
Das war short and sweet, und ich wußte im Anfang nicht, was ich daraus machen sollte; der Mann sah aber so ernst aus und hatte so entsetzlich viel zu tun - nicht mit Postbeförderung, sondern er war auch nebenbei Ausschenker in einem Schnapsladen, und bediente seine Kunden fortwährend, indeß er mich zu gleicher Zeit Thurn und Taxierte - daß ich ihm meine „drei Pfund Sterling" bis Yaß - einer Zwischenstation - geduldig auszahlte, und mir nun auch nicht weiter den Kopf über die geheimnißvolle Dame zerbrach, sondern meine Vorbereitungen zur morgenden Abreise traf und dem Schicksal dann ruhig seinen Lauf ließ. /63/ Der Nachmittag vier Uhr kam und mit ihm die Postkutsche, ein sehr bequemes und elegantes Fuhrwerk und unseren Postwagen nicht unähnlich, aber ohne Vorder- und Hinter- coupés, eine einfache, vortrefflich gepolsterte Kutsche. Vorsichtiger Weise war ich zeitig genug an Ort und Stelle, stieg ein und drückte mich nun behaglich in die eine Ecke auf den hintern Sitz. So, d e n hatt' ich sicher!
Ich saß kaum ordentlich, als die Thür wieder aufging und eine Dame durch den galanten Kutscher einbefördert wurde - „ah, meine Schutzbefohlene!" dachte ich bei mir selber, und rückte etwas mehr in die Ecke - es war ein allerliebstes kleines Frauchen von etwa zwanzig bis einundzwanzig Jahren, mit einem kleinen rotbäckigen Säugling auf dem Arm. Der Sitz war breit genug, daß wir ganz bequem neben einander sitzen konnten, und die Dame nahm nach kurzem Gruß den andern Rücksitz ein. - „So, nun kann's fortgehen," dachte ich, hatte mich aber geirrt. Da öffnet sich behend ein zweites Tor, und daraus rannte nicht etwa etwas hervor, sondern da hinein wurde jetzt, wie es schien, durch die „Rückwirkung" zweier zinnoberroter Männergesichter eine Dame geschoben, welche die Muschel eines gewöhnlichen Schlittens vollkommen ausgefüllt hätte, und uns beide erstaunten Passagiere jetzt gerade so ansah, als ob sie fragen wollte: nun, welchen von Beiden soll ich zuerst totdrücken?
Mein armer Rücksitz - die Höflichkeit gegen Damen erforderte, daß ich ihn aufgab, und dieser Koloß hätte die Höflichkeit gegen zwei Damen fordern können; ich glitt auf einen Vordersitz, Kürbis drückte sich neben meiner Schutzbefohlenen ein und entwickelte hier, zu meinem unbegrenzten Erstaunen, als sie den breiten rotbunten Shawl auseinanderschlug, ebenfalls einen kleinen und jetzt aus voller Kehle zu schreien beginnenden Staatsbürger, den sie bis dahin unter den weiten Halten ihres Tuches geborgen gehalten. Aber noch waren wir nicht zur Ruhe gekommen, als die Tür zum dritten Mal aufging, um jetzt nicht eine, nein, lieber Leser, sondern d r e i auf einmal einzulassen. Eine davon trug ebenfalls ein Kind, und die anderen beiden sahen sich, als sie herein waren, gleichfalls um, als ob sie nur erwarteten, ein paar /64/ kleine Schreier nachgereicht zu bekommen. - Damen schienen hier Kinder, wie bei uns Regen- oder Sonnenschirme bei sich zu führen.
„Aber, um Gottes willen, wie viel sollen denn eigentlich hier noch herein ?“ frug ich jetzt in Verzweiflung den Kutscher. „Sechs!“ war die lakonische Antwort, und die Tür flog wieder zu.
Sechs w a r e n wir schon, „ohne die Weiber und Kinder“, wie es in Schlachtberichten lauten würde - hier jedenfalls ohne die letzteren, und ich mußte trauernd zusehen, wie sich die Letztgekommene - irgend ein rücksichtsloses rotbäckiges Kind des Landes - mühsam, aber entschlossen zwischen meine arme kleine Schutzbefohlene - ja, wer um Gottes willen von allen diesen war es denn eigentlich? - hineinarbeitete.
„Ist Ihr Gewehr geladen?“ schrie auf einmal die dicke Dame, die erst jetzt meine, zwischen Thür und Knie geklemmte Büchsflinte gewahr wurde, mit einem förmlichen Aufkreisch.
„Nein, Madame,“ war meine, wenn auch artige, doch sehr lakonische Antwort.
„Aber wenn es doch etwa –“
„Es ist kein Korn Pulver darin –“
„Aber wenn es nun platzt –„
„Platzen?“ frug ich erstaunt und sah die korpulente Frau an, die wirklich ein Gesicht machte, als ob sie jeden Augenblick das Explodieren der entsetzlichen Waffe erwartete.
Die wieder aufgerissene Tür unterbrach in diesem Augenblick unser Gespräch.
„Only one more!“ rief der Kutscher, und wollte eben noch in Wirklichkeit eine Dame mit einem Kind hereinbefördern - das aber war zu viel. - Ich bin sehr gern in Damengesellschaft, aber man kann eine Sache auch übertreiben. - Glücklicher Weise saß ich dicht neben der Tür, nichtsdestoweniger hatte ich mein rechtes Knie so zwischen denen meiner schönen und unschönen Nachbarinnen eingeklemmt, die auch nicht einen Zoll breit zur Seite weichen konnten, daß es einer wirklichen Anstrengung bedurfte, um frei zu kommen. Kürbis, die mir gerade gegenübersaß, richtete sich so weit als möglich auf, /65/ schrie aber (ihr Kind, um Raum zum Bewegen zu geben, mit beiden Händen oben unter die Decke pressend) Mord, als der Kutscher, dem ich vor allen Dingen erst einmal mein Gewehr hinausgereicht hatte, ihr die Mündung gerade unter die Nase hielt. - Ich hielt mich nicht länger auf - dem Kutscher meine Hand gebend, der mich am Arm ergriff und mit Hilfe eines mitleidigen Beistehenden ins Freie zog, erreichte ich glücklich und tief aufatmend frische Luft, und meine kalifornische Zarape, wie noch einige andere Kleinigkeiten im Stich lassend, arbeitete ich mich „an Deck“, das heißt oben auf die Kutsche, wo ich schon eine Gesellschaft von sechs Personen versammelt fand.
Als der Kutscher endlich aufstieg und die vier starken und wohlgenährten Pferde mit der Peitsche zum Mitfahren einlud, waren wir fast andertalb Dutzend Seelen auf der einen Achse.
Es war das erste Mal, daß ich oben auf einem Wagen fuhr, und der tolle Galopp, mit dem unser Kutscher jetzt wahrscheinlich die verlorene Zeit einzuholen suchte, diente gerade nicht dazu, das etwas unbehagliche Gefühl, das mich da oben bei der Idee eines Umwerfens ergriff, zu beruhigen. Die Straßen dort sind aber ausgezeichnet, die Kutscher sehr sicher und mit ihren Tieren vertraut, und wir fuhren etwa sieben englische Meilen in verhältnißmäßig sehr kurzer Zeit. Glücklicher Weise erfuhr ich erst später, daß noch gar nicht so lange eben eine solche Kutsche auf dem nämlichen Wege, zwischen Paramatta und Sidney, bei einem tollen Wettfahren umgeschlagen sei, und sieben Personen augenblicklich tot und andere schwer verletzt worden wären.
In vollem Galopp rasselten wir die Straße hinab, unserer nächsten Station entgegen, die wir aber erst nach Dunkelwerden erreichen sollten. Von den „oberen" Passagieren waren indessen schon hier und da mehrere heruntergeglitten; sie gehörten meistens in die kleinen Ortschaften oder aus die einzelnen Farmen, die am Wege lagen, und ließen sich bei ihrer Heimath oder wenigstens so nah' als möglich bei derselben „ausladen“. Auch aus dem Innern des Wagens sah ich mehrere Mal Helle Gewänder in der jetzt einbrechenden /66/ Dämmerung verschwinden, und sogar der Kürbis blieb in einem kleinen, einzeln stehenden Farmhaus, an dessen Thür ihn ein kleines mageres Männchen, vielleicht zärtlich harrend, jedenfalls eine große Stalllaterne hoch emporhaltend, um darunter wegzusehen, erwartete.
Das Wetter sah wie Regen aus, und ich gedachte schon einen Operationsplan auszuführen, der mich wieder in das Innere des Wagens, wo ich jetzt auf Platz hoffen konnte, bringen sollte, als die Kutsche plötzlich vor einem niedern langen Gebäude hielt und uns angekündigt wurde, daß hier „Pferde und Wagen“ gewechselt werden sollten.
Die Wirklichkeit sollte bald unsere traurigsten Erwartungen oder vielmehr Befürchtungen übertreffen: statt der geschlossenen Kalesche bekamen wir einen offenen Jagdwagen, zur auf Federn allerdings, aber mit harten Sitzen und dem Wind und Wetter erbarmungslos preisgegeben, und nach nur kurz gegönnter Frist, um etwas Abendbrod zu uns zu nehmen, ging die Reise wieder weiter, in die stockdunkle, regendrohende Nacht hinein.
So machten wir vielleicht, gerade nicht in der besten Laune und überdicht geladen, zwanzig bis fünfundzwanzig Meilen, und hatten wir bis jetzt wenigstens noch erträglich gesessen, so sollten wir nun erfahren, was es eigentlich heiße, in Australien auf einer R o y a l – M a i l zu fahren. Hier wurden Wagen und Pferde wieder gewechselt, und wir bekamen jetzt eine ganz eigene, ja sogar eigentümliche Art von Beförderung - der jetzige Postwagen, ebenfalls offen wie der vorige, glich einem gewöhnlichen Leichenwagen - die Sitze waren an den Seiten angebracht, und bestanden aus zwei sehr schmalen und nur notdürftig gepolsterten Bänken, so schmal, daß sie in der Tat eher einer höchst unnützen Verzierung glichen, als zum wirklichen Gebrauch bestimmt schienen, und i n diesem Kasten, der sich nur darin von einem Leichenwagen unterschied, daß auf diesem eine Person bequem liegt, während auf der Royal- Mail eine unbestimmte Anzahl von Passagieren hincingekeilt hing, beförderte man nun sämtliche Reisende, Männer, Frauen und Kinder, ohne sich auch nur im Mindesten darum zu bekümmern, ob sie Platz hätten. Der Begriff „Platz“ /67/ umgreift überhaupt auf einer australischen Postkutsche den des Eistierens, oder selbst der Möglichkeit des Existierens, und wir fanden bald darauf zu unserem Erstaunen zehn Personen in einem Raum untergebracht, den ich früher nicht für im Stande gehalten hatte, um sechs ordentlich zu fassen und zu halten. An S i t ze n war aber auch gar nicht zu denken, unsere Beine - und fünf von den Zehn waren Frauen - staken wild durcheinander, die meinigen so fest eingeklemmt, daß ich sie auch nicht einen Zoll hätte bewegen können, wäre mein Leben damit zu retten gewesen. Es schien auch schon, als ob wir da oben nicht vor einer Stunde mit Durchcinanderschreien und Raumsuchen, wo keiner zu finden war, fertig geworden wären, als plötzlich der Kutscher unseren Bedenklichkeiten ein gewaltsames zwar, aber auch vollkommenes Ende machte.
Ein Schlag seiner Peitsche trieb die Pferde an, die Kutsche - wenn ich mich einer so groben Schmeichelei schuldig machen darf, ein solches Fuhrwerk Kutsche zu nennen - schoß vorwärts, und mit dem plötzlichen Ruck, oder ich möchte sagen der nachfolgenden „Onantität von Rucken“, wurden wir so ohne weiteres Erbarmen durcheinander geschüttelt, daß sich ein Teil der Passagiere setzte, d. h. nicht etwa in unserem civilisirten und gesellschaftlichen Sinne, sondern wie durch irgend einen chemischen Proceß, als Bodensatz formiert wurde, während die andere, leichtere Hälfte obenauf zu liegen kam. Ich saß - oder sitzen sollte hier eigentlich ein passives Verbum sein - ich wurde also gesessen.
Um die Sache noch vollkommen zu machen, fing es etwa um zehn Uhr Abends an zu regnen, und um zwölf Uhr goß es, so daß wir in der Tat jede gegründete Ursache hatten, uns elend zu befinden, und vollkommen entschuldigt gewesen wären, hätten wir unserem Unmut in Flüchen und anderen Zeichen grimmigen Zornes Luft gemacht. Aber Gott bewahre! Die Extreme berührten sich auch hier. Ich weiß mich der Zeit nicht zu erinnern, daß ich eine ganze Nacht hindurch, selbst in der angenehmsten Gesellschaft und unter den erfreulichsten Verhältnissen, mehr gelacht und mich besser amüsiert hätte, als auf diesem fliegenden Marterkasten. Obgleich fast Keiner noch das Gesicht des Andern gesehen hatte, ausgenommen beim /68/ ersten Einsteigen, wo man doch wenig auf einander achtet, noch dazu da so Viele unterwegs ausstiegen, und man nicht einmal wissen konnte wer eigentlich sitzen geblieben war, und später vielleicht die wenigen Secunden beim Abendessen, lachten und schwatzten wir doch Alle so gemütlich mit einander, als ob wir schon die längsten Reisen mitsammen gemacht hätten, und Anekdoten und Geschichten wurden erzählt, und Lieder gesungen die ganze Nacht hindurch. Wir mußten dabei einen steilen Berg übersteigen, den sogenannten razor-back (Rasiermesserrücken). Es regnete zugleich wie aus kleinen Eimern, die Pferde konnten den Wagen kaum leer hinaufschleppen, die armen Frauen kaum ihr eigenes Selbst hinaufbringen, und ich trug außer meiner Büchsflinte, die ich nicht aus den Händen ließ, noch kleine Kinder den Razorback hinauf und wieder hinunter - auch eine sehr schöne Beschäftigung für einen reisenden Literaten - aber nichts vermochte unsere gute Laune zu stören, und der Kutscher schüttelte nur immer verwundert den Kopf und meinte, solch' wunderliches Volk sei ihm in seiner ganzen Praxis noch nicht vorgekommen, und er hätte doch noch stärkere Ladungen bei noch scheußlicherem Wetter hier herauf und hinunter gefahren.
Naß wie die Katzen und über und über voll Schlamm stiegen wir wieder ein, unsere gute Laune blieb aber immer dieselbe, und nur gegen Morgen, als es zu regnen aufhörte und der kalte, fröstelnde Morgenwind über die Bergkuppen strich, wurden die Gespräche zuerst einsilbiger, das Lachen kürzer und einzelner. Hier und da fing Einer oder der Andere an zu nicken, und knöpfte sich fester in seinen Rock ein, wenn er durch das Schaukeln des Wagens, der ihm nicht die geringste Rücklehne bot, emporgeschnellt wurde, und nun vor Kälte zitternd fand, daß er - nicht etwa in seinem Bette, was er vielleicht eben in flüchtigen Umrissen geträumt, sondern an Bord einer australischen königlichen Postkutsche sei.
Als der Morgen endlich dämmernd anbrach, wünschte ich mir zeichnen zu können, denn eine solche Gruppe betrübter Gestalten habe ich in meinem ganzen Leben nicht gesehen; wir mußten in der Tat Alle laut auflachen, als wir einander /69/ ansichtig wurden. Das komischste Bild war ein mir gegenübersitzender Kollege, ein Mr. Johnson, der Herausgeber des Goulbourne Herald, der nach Sidney eine kleine Vergnügungstour im schönsten Wetter gemacht hatte, und jetzt im kalten Regen, nur mit einem dünnen Sommerröckchen bekleidet, fröstelnd, die zusammengefalteten Hände zwischen die Knie geklemmt, den fadennassen Seidenhut tief in die Stirn gedrückt, dasaß und - ein Bild des Leidens und der Resignation - seinen Rockkragen zu einer doppelten Wasserrinne dienen ließ, indem er rechts das jetzt wieder niederträufelnde Regenwasser von einem hellblauen baumwollenen Regenschirm und links von einem grünen Sonnenschirm geduldig auffing, und aus sein Vorhemdchen nicht allein weiter beförderte, sondern diesem auch die entsprechende hellblaue und grüne Farbe getreu und unparteiisch mitgeteilt hatte.
Auf einer der Zwischenstationen, deren Namen ich vergessen habe, ließen wir einen Teil der Passagiere und bekamen nun hinreichenden Raum; in Goulbourne setzten wir auch den Editor des Goulbourne Herald, der sich heilig verschwor, unsere Reise auf das Genaueste zu beschreiben, an seiner eigenen Tür ab, wo der gute, etwas feuchte Mann von Frau, Kindern und Hunden aus das Herzlichste empfangen wurde, und dort bekamen wir auch zum ersten Mal, seit wir Sidney verlassen hatten, drei Stunden Rast, wurden aber um zwei Uhr schon wieder herausgeholt, und galoppierten nun in stockfinsterer Nacht bei wahrhaft schauderhaften Wegen unserem leider noch so fernen Ziel entgegen.
Etwas interessant wurde die Fahrt übrigens noch durch das Gerücht von „Buschrähndschern", die sich in neuerer Zeit wieder auf der Straße gezeigt und die Post schon mehrere mal angefallen hatten. Ich hielt meine Büchse auch deshalb fortwährend geladen: gerade hier hinter Goulbourne sollte die gefährlichste Stelle sein. An Passagieren waren wir noch ein Mann in einer blauen Blouse - einem sogenannten Buschhemd - und eine der Damen, „die letzte Rose" und wahrscheinlich meine Schutzbefohlene, eine Frau, vielleicht achtundzwanzig bis dreißig Jahre alt, ebenfalls mit einem kleinen Kind, o h n e welches ich bis jetzt hier sehr wenig /70/ Frauen gesehen hatte. Die arme Frau wollte übrigens noch bis Gundcgay, und mußte von Wind und Wetter nicht wenig aushalten, ja ich weiß in der Tat nicht, wie es das Kind wenigstens in dem Unwetter, Tag und Nacht auf dem offenen Kasten, ausgehalten haben könnte, hätte ich nicht glücklicher Weise meine wollenen Decken für die Landreise mitgeführt, die das Schlimmste wenigstens von Mutter und Kind abhielten.
Vier bis fünf Meilen mochten wir so etwa im Dunkeln gemacht haben, und unser Weg lag durch einen dichten Gumwald - der Leser darf sich auch nicht etwa denken, daß wir eine ordentlich gebahnte Poststraße unter uns gehabt hätten; nein, wie es der bergige Boden und die ziemlich dicht stehenden Bäume gestatteten, hatten sich die Wagen mit der Zeit ihre Bahn gesucht, denen waren andere gefolgt, und so bildeten sich nach und nach Poststraßen, auf denen man allerdings vollkommen sicher und nur der Gefahr ausgesetzt war, entweder von Buschrähndschern angefallen und totgeschossen zu werden, oder - das Wahrscheinlichere - bei dem tollen Fahren der Kutscher den Hals oder sonst einige notwendige Gliedmaßen zu brechen. Ich hatte schon mehrere mal vergeblich versucht, dem unsichern Sitz mit einer kaum vier Zoll hohen Rücklehne ein paar Minuten Schlaf abzustehlen, die Gefahr war aber zu groß, herunter und zwischen die Räder zu stürzen, und ich suchte mich zuletzt mit Gewalt munter zu erhalten, als plötzlich die Frau, die sich schon die ganze Zeit ängstlich umgesehen hatte, meinen Arm faßte und mir zuflüsterte, sie hätte eine Gestalt eine kurze Strecke hinter uns über die Straße gleiten sehen. Kurzes Aufpassen überzeugte mich bald, daß ein Reiter, jetzt links von uns, nicht mehr auf der Straße, sondern durch den Wald galoppierte und allem Anschein nach uns vorzukommen schien; er hielt sich jedoch mehr links und ein kleines Gebüsch verbarg ihn bald unseren Augen. Der Kutscher, dem ich das Gesehene mitteilte, stieß einen leisen Fluch aus und meinte, die verwünschten Kerle hätten schon neulich seinen Kameraden angefallen und, als ihnen dieser mit den Postpferden zu schnell gewesen sei, ein Pistol auf's Geratewohl dem Wagen nachgefeuert, ohne jedoch irgend Jemand zu verletzen. /71/ Natürlich hatte ich indessen meinen Poncho vom rechten Arm zurückgeworfen und die Büchse, zum Gebrauch fertig, auf's Knie genommen, glücklicher Weise sollte ich aber keinen Gebrauch davon machen; hatten die Burschen vielleicht in Goulbourne erfahren, daß wir bewaffnet waren, oder hatten wir dem nächtlichen, vielleicht höchst moralischen Reiter überhaupt Unrecht getan, ihn für einen Räuber zu halten - genug, wir bekamen nichts weiter von ihm zu sehen, und nur einmal glaubten wir rasche Hufschläge vor uns auf der Straße zu hören.
Lange hatte ich mich schon darauf gefreut, einmal eine ordentliche australische Landschaft und den Urwald in seiner ganzen Eigentümlichkeit zu schauen, denn oben am Huntcrsriver war cs mir vorgekommen, als ob die Natur dort schon zu sehr von Menschenhänden im Zaum gehalten sei, ich konnte wenigstens keinen großartigen Baumwuchs, wie das schon so oft geschildert worden, finden, und statt eines Wechsels in den Gruppen lösten sich nur immer und immer wieder Gumbäume einander ab. Die Leute dort vertrösteten mich auf den Murray, und ich fing jetzt selber an mich darauf zu vertrösten, denn hier im Innern wurde die Scenerie nur immer trostloser. Bis Goulbourne schienen in den letzten Wochen ziemlich starke Regen gefallen z« sein, und das Gras wuchs voll und üppig, das Vieh sah gut aus und grüne Büsche in einem ziemlich starken Unterholz gaben der ganzen Landschaft etwas Freundliches, wenn auch Monotones in der zu großen Ähnlichkeit des Laubes. Je weiter wir aber nach Westen zogen, desto dürrer wurde der Boden, desto dünner die Vegetation, desto magerer das Vieh, das wir an der Straße trafen, und als wir das kleine Städtchen Jas erreichten, schien Alles aufzuhören.
In Yis sollte uns aber noch etwas Anderes bevorstehen. So schlecht die Wagen nämlich bis jetzt gewesen waren, so hatte man doch wenigstens darauf sitzen können, ohne der steten Gefahr ausgesetzt zu sein, herauszufallen, hier in Yis sollte aber auch dies aufhören. Von da aus bekamen wir einen zweirädrigen Karren, auf dem Zwei nach vorn und Zwei nach hinten (die auf dem Rücksitz mit dem Rücken den /72/ Pferden zugewandt) sitzen k o n n t e n, Drei nach vorn und Drei nach hinten aber aufgenommen werden, wenn sich Schlachtopfer genug dazu finden. Die vorn saßen, hatten sich noch nicht zu beklagen; der Karren hing auf ziemlich guten Federn, und der Vordersitz war, wenn auch nicht bequem, doch leidlich, es war, als ob man bei einer gewöhnlichen Kutsche mit auf dem Bock saß. Die Hintersitze erwiesen sich aber in der Tat lebensgefährlich, und wie ich später gehört habe, soll auch schon mehrfaches Unglück, besonders mit Damen, vorgefallen sein, die nicht im Stande waren, sich gegen das furchtbare Rütteln des Kastens an dem niedern eisernen Geländer und mit fast keinem Fußbord festzuhalten, und dann rettungslos herabgeschleudert wurden, wobei sie noch ihrem Gott danken konnten, wenn sie nicht auf das herumwirbelnde Rad stürzten.
Die Wege sind dabei, Hügel auf und nieder und durch trockene Lagunen und Schluchten, wahrhaft lebensgefährlich, was etwas die zwei Räder entschuldigt; denn ein vierrädriger Wagen würde noch mehr dem Umwerfen ausgesetzt sein. So, steilen Abhang hinauf oder hinunter, geht es fortwährend im Galopp, so daß beim Wiederaufführen die hinten Sitzenden die ganze Wucht ihres Körpers einzig und allein ihren Händen oder ihren um die schmale eiserne Stange geschlungenen Armen anvertrauen müssen.
Die Szenerie wurde hier, wenn das seit den letzten Meilen überhaupt möglich gewesen wäre, noch trauriger; kein Grashalm so weit das Auge reichte, kein Busch außer niederen Gumbüschen, und alle, alle ein und dasselbe Laub; ja so verzweifelt gleichförmig sind selbst die Blätter untereinander, daß man, wenn man sie nicht selber vom Zweig bricht, gar nicht bestimmen kann, was die obere oder untere Seite an ihnen ist.
D i e Annehmlichkeit haben die mit dem Rücken nach vorn Sitzenden, daß ihnen niederhängende Zweige gar nicht selten nicht allein den Hut vom Kopf reißen, sondern den Kopf manchmal fast auch mitnehmen möchten - der Karren rasselt in der Zeit an, bis Ihr Kutscher oder Pferde bewegen könnt zu halten, und von dem Schlag noch halb be-/73/
täubt, kann der Passagier oft hundert und zweihundert Schritt zurücklaufen, um seine verlorene Kopfbedeckung wieder zu holen.
„Verliert Ihr manchmal Passagiere von dem Kasten herunter?" - frug ich den Kutscher, als uns das Marterwerkzeug zum ersten Mal vorgestellt wurde.
„Selten!" lautete die lakonische Antwort.
Freitag Abend, den 25. April, kamen wir glücklich nach Gundegay, einem kleinen Städtchen am Murrumbidgee. Hier ließen wir unsere letzte Dame, und die arme Frau war durch die anstrengende Tour wirklich mehr tot als lebendig.
In Gundegay, das wir in der Nacht erreichten, blieben wir etwa eine Stunde und fanden den kleinen Ort noch in voller Aufregung eines Angriffs wegen, den ein benachbarter Murrumbidgee-Stamm auf die friedlichen Indianer oder Blacks gemacht hatte, die sich gewöhnlich in Gundegay selber aufhielten. Mitten in der Stadt hatten sie diese plötzlich überfallen, mehrere verwundet und einen getötet, ohne jedoch einen Weißen, von denen ihnen gerade mehrere in den Weg kamen, zu verletzen. Die Leute waren hier wieder einmal voll von schrecklichen Geschichten über die „treacherous devils", verräterischen Teufel, wie sie überall genannt wurden.
Wir mußten hier über den Murrumbidgee, den ich, obgleich er ein ganz ansehnliches Bett hat, kaum einen Fluß nennen darf, denn er bestand, in dieser allerdings sehr trockenen Jahreszeit, nur aus einer Kette von Wasserlöchern ohne irgend eine Strömung, ja ohne Verbindung derselben untereinander; und in jedem Sommer tat er dasselbe. Gerade hier war jedoch Wasser genug, und wir setzten in einem großen breitschlächtigen Fährboot über.
Am nächsten Tag bekamen wir für die Abgegangene wieder einen andern Passagier als Leidens geführten - einen jungen Mann, und seiner weißen Halsbinde und dem etwas breit- krämpigen Hut nach unter jeder Bedingung Geistlicher, der, wie ich auch bald genug erfuhr, seine Glieder allmonatlich dem australischen Marterfuhrwerk, Royal-Mail genannt, preisgab, um in Albury seine geistlichen Functionen zu versehen - ich betrachtete ihn mir als eine Art Märtyrer mit einer /74/ gewissen Ehrfurcht. In Albury glücklich und ohne Knochenbrüche angekommen, hält er dann Sonntags seine regelmäßigen Predigten, und tauft und traut was ihm gebracht wird und sich während seiner Abwesenheit angehäuft hat.
Interessant war sein Entree - natürlich kam er zu mir auf den Hintersitz, und mit einem sanften, verbindlichen Gruß aufsteigend, nahm er seinen Sitz ein und zog ein kleines Gebetbuch aus der Tasche, in dem er zu lesen anfing. Er war allerdings schon öfter auf dieser Post gefahren und hatte volle Ursache, seinen Leichnam dem Herrn der Heerschaaren im Besondern und sämtlichen Posten im Allgemeinen zu empfehlen, aber er gab auch ein treffendes Beispiel, daß man in Zeit der Not wenn man beten will, nicht die Hände dabei falten darf, sondern zugreifen muß; denn kaum konnte er zehn Worte gelesen haben, als der Kutscher in die Pferde hieb, und mit dem ersten Ruck war auch Buch und Hut des geistlichen Mannes, der nur rasch mit beiden Händen ausgriff, um sich vor dem eigenen Falle zu bewahren, über Bord. Wir mußten wieder halten, um Beides aufzulesen, und der reisende Prediger steckte von da ab sehr vernünftiger Weise sein Buch in die Tasche.
Am nächsten Abend bekamen wir etwa dritthalb Stunden Zeit zum Schlafen; wie wir aber am andern Morgen wieder abfahren wollten, erwies es sich, daß der geistliche Herr kein „kleines“ Geld bei sich hatte, um seine Zeche zu zahlen; seiner Bitte, das Geld bis Albury für ihn auszulegen, willfahrte ich gern, wunderte mich nur, dort angekommen, über sein schlechtes Gedächtnis. Er erwähnte kein Wort weiter von den drei Schillingen, und ich muß vermuten, daß er mich als ein „ W e r k z e u g“ betrachtet habe.
Diesen Morgen traf ich auch einige deutsche Familien, die hier bei Engländern ausgemietet waren und ihre Heimat mitten in dem graslosen, dürren Gumwald gegründet hatten; sie fühlten sich aber trotzdem vollkommen wohl, denn sie hatten doch hier, was sie in Deutschland nicht gehabt: ihr gutes Auskommen, und mit anderen Bedürfnissen total unbekannt, mit ihrer Familie um sich her, auch weiter keine Entschädigung /75/ nötig für Das, was sie etwa sonst noch im alten Vaterland zurückgelassen.
Die Gegend war hier übrigens so wasserarm, daß mir die Leute versicherten: nicht weit von hier sei im Walde ein Wasserloch, zu dem der glückliche Besitzer desselben einen Mann mit einem geladenen Gewehr gestellt habe, um fremdes Vieh und fremde Viehtreiber davon abzuhalten.
Butter und Milch gelten gegenwärtig in dieser Gegend als Naturmerkwürdigkeiten.
Sonnabend um zwölf Uhr erreichten wir endlich bei besserem Weg und über die Ebene hin, welche die Wasser des Murrumbidgee und Murray voneinander trennt, das kleine Städtchen A l b u r y, am Ufer des letzteren, und an allen Gliedern steif, kaum fähig von dem steten Anhalten meine Arme noch zu regen, kletterte ich vor einem der Wirtshäuser in Albury von dem Marterkastcn herunter, und war wirklich selber erstaunt, mich noch ganz und unzerbrochen, nur mit einigen im Verhältnis zu den erhaltenen Stößen wirklich unbedeutenden Quetschungen, wieder vorzufinden. Hier verließ ich die sogenannte Melbourne-Post, um mich auf dem Murray oder Hume, wie der Murray hier oben größtenteils genannt wird, einzuschiffen.
Albury ist ein kleines, wachsendes Städtchen, so recht im Innern des Landes, und steht bis jetzt auch nur durch diese Personenpost und sonst durch Güterkarren mit dem fast vierhundert Meilen entfernten Sidney und dem nur etwa zweihundert Meilen abliegenden Melbourne in Verbindung.
In gegenwärtiger Zeit beschränkt sich diese Verbindung aber fast einzig aus die Post, denn der totale Grasmangel der Umgegend und die enormen Preise für j e d e s Viehfutter machten es den sonst gehenden Güterkarren fast unmöglich, ihr Vieh durchzubringen, und diese Preise, besonders des Proviants, waren deshalb auch sehr gestiegen. Handel und Verkehr stockte aus dieser Ursache auch etwas in Albury, denn seit sechzehn Monaten war kein ordentlicher Regen gefallen, und der Murray in diesem Augenblick so niedrig, daß sich der ewige älteste Mann mit dem schlechten Gedächtniß selbst /76/ nicht darauf besinnen konnte, ihn je so niedrig gesehen zu haben.
Von Mr. und Mrs. Heaver in Albury, an die ich Briefe von Sidney aus gebracht hatte, wurde ich aus das Herzlichste aufgenommen; sie behandelten mich während der kurzen Zeit meines Aufenthalts dort in der Tat nicht wie einen Fremden, sondern wie ganz zu ihrer Familie gehörig, und hier war es, wo ich die fast unbegrenzte Gastfreundschaft des Murray zum ersten Mal, und zwar gleich in ihrer ganzen Ausdehnung, kennen lernte. Ich werde nie die wirklich angenehme Woche vergessen, die ich in ihrem Hause verlebte.
Meine erste Sorge in Albury war nun natürlich, mich nach einem Canoe oder Fahrzeug umzusehen, aus dem ich meine Reise antreten konnte, oder, da kein solches zu bekommen war, nach passendem Holz zu einem auszuhauenden Canoe; aber leider sollte ich hier alles Das bestätigt finden, was mir schon mehrere der in Albury Bekannten vorher darüber gesagt hatten. Gumbäume so weit das Auge reichte, Gumbäume so weit ich am Ufer hinauf- oder hinunterging - ewige, unverwüstliche, unvermeidliche, unausstehliche Gumbäume, mit einem Holz so schwer, daß der kleinste Span wie Blei untersank, und daraus sollte ich ein Canoe hauen? Eine Hoffnung blieb aber noch: in den Hügeln dicht bei Albury sollten noch Stringybarkbäume mit etwas leichterem und besser zu bearbeitendem Holze stehen, und um diese aufzufinden, nahm ich mir einen der dort herumstreifenden Indianer oder „Schwarzen“ mit.
Bei Albury lagerte gerade ein kleiner Stamm, und ich bekam hier diese Söhne der australischen Wildniß zum ersten Mal in ihrem vollen, noch wenig civilisirten Zustand zu sehen. Oh mein schönes Imeo mit deinen Palmen- und Guiavenschattcn, mit deinen Orangen und Brodfrüchten und deinen lieben, freundlichen, schlanken und reinlichen Bewohnern — die Männer mit den offenen Gesichtern und kräftigen Gestalten, die Frauen mit den klaren schwimmenden Augen, den üppigen, glattgekämmten und geölten Haaren und dem freundlichen Lächeln! - und von dort wie mit einem Zauberschlag hierher verpflanzt zwischen die ewigen trostlosen Gumbäume /77/ und zwischen das schwarze, schmutzige, heimtückische, mordlustige Volk dieser Wälder - der Abstand war zu entsetzlich. Und das zu erreichen, hatte ich mich selbst der Gefahr ausgesetzt, auf einer australischen Royal-Mail zu fahren! Es geschah mir aber ganz recht; ich habe mich überhaupt schon von frühester Kindheit an mit größter Mühe, und oft mit nicht geringer Aufopferung, in alle möglichen Arten von Verlegenheiten hineingearbeitet, und war dann gar häufig selber erstaunt, ihnen wieder, wenn auch oft mit Hinterlassung sämtlicher Federn, entgangen zu sein. Gegenwärtig schien ich mich in einer Urpatsche zu befinden, und ich fing an, wirklich neugierig zu werden, wie ich aus dieser wieder gerettet würde.
Die Erzählungen, die ich hier über die Schwarzen oder Blacks, wie sie die Engländer nennen, hörte, waren gar nicht tröstlicher Art; in letzter Zeit besonders sollten wieder mehrere Mordtaten vorgefallen sein, und wie auch darüber Einige noch im Zweifel waren, ob ich mein Canoe glücklich den Fluß hinunterführen könne, so waren sie doch darüber Alle einig, daß ich wahrscheinlich unterwegs von den Blacks „gespeert“ werden würde. Eine angenehme Sache, wenn man bedenkt, daß die Speere von sehr hartem Holz und sehr spitz sind, welche Spitze von den unvorsichtigen Wilden jedesmal vorneweg geworfen wird! Man gab sich dabei jede nur erdenkliche Mühe, mir die für mich doch jedenfalls interessant sein müssenden genauesten Daten anzugeben, mit welcher Sicherheit sie ihr Ziel zu treffen wüßten, und zwar von achtzig bis hundert Schritt, und die Mitte des Stromes, die ich nicht einmal immer halten konnte, betrug an keiner Stelle mehr als vierzig bis fünfzig.
Auf das Umständlichste erfuhr ich ebenfalls, was sie mit Denen machen, die sie entweder überfallen oder auf sonstige Art in ihre Gewalt bekommen. Sie haben gerade kein besonderes Interesse dabei, sie zu töten (falls sie nicht zu einer besonders feierlichen Gelegenheit, wie zum Beispiel zur Einweihung eines Zauberers, Menschenflcisch gerade gebrauchen sollten), sondern sie nehmen sich nur das N i e r e n f e t t - weiter nichts - und überlassen den Überwundenen dann höchst freundlich seinem Schicksal. Mit diesem Fett bestreichen /78/ sie sich alsdann, und glauben törichter Weise damit die Stärke des Überwundenen zu erhalten. Und solch eines albernen Vorurteils willen soll man sich den Leib aufschneiden lassen? Es ist himmelschreiend!
Das, was ich von den Blacks in meiner nächsten Umgebung sah, war nicht geeignet, mir größeres Vertrauen zu ihnen einzuflößen. In Albury lief ein mit weißem Ton (ein Zeichen der Trauer) und roter Erde bemalter Schuft herum, der zwei Tage vorher ohne die mindeste Veranlassung seiner eigenen Frau den Schädel eingeschlagen, und von dem Zeder wußte, daß er schon sieben Weiße teils selber ermordet, teils bei ihrer Ermordung hülfreiche Hand geleistet hatte. Dennoch ließen ihn die Gerichte ruhig und frei herumgehen, ja verhinderten sogar, daß sein eigener Stamm ihn des Frauenmordes wegen bestrafte. Das hochweise Gericht steckte ihn nur - und welchen moralischen Eindruck das auf den Schuft gemacht haben muß! -eine Nacht auf die Wache.
Während ich noch dort war, trat ihm ein Pferd die mittlere Zehe des einen Fußes ab, er lief aber an dem ordentlich frostigen Morgen mit dem blutenden Stumpf so ungeniert herum, als ob seinem Fuße nicht das Mindeste fehle.
Sonntag den 27. marschierte ich mit einer dieser schwarzen Seelen in die Hügel hinein, wir fanden aber nur sehr wenig Stringybarkbäume, die groß genug waren, um ein Canoe auszuhauen. Nur etwa eine halbe Meile vom Fluß ab standen mehrere, und ich beschloß, einen Versuch mit dem besten von diesen zu machen. Am Montag nahm ich mir einen Arbeiter, einen jungen Australier, zu Hilfe, um einen Baum umzusägen und mir beim Aushauen zu helfen. Der beste Stringybark aber, den wir fällten, war hohl und brach beim Sturze morsch entzwei, und mein Gehülfe versicherte mir, wir würden nicht einen einzigen gesunden Stringybark in der Nähe des Flusses finden. Um nun nicht noch mehr Zeit unnütz zu verlieren, blieb also nichts weiter übrig, als einen der schweren und hart zu bearbeitenden Gumbäume zu fällen, und mit diesem zu versuchen, wie weit er sich eben aushöhlen und dünn machen lasse. Gesagt getan, rüstig gingen wir /79/ daran, zwei Stunden später hatten wir einen passenden Baum gefunden und gefällt, schlugen an dem Abend noch die Rinde herunter und begannen nun am nächsten Morgen die ordentliche Arbeit des Aushöhlens.
In der Zwischenzeit machte ich in Albury einige sehr interessante Bekanntschaften, so unter anderen die eines Mr. Roper, der Doktor Leichhardt's erste Entdeckungstour nach Port Essington mitgemacht und dort durch einen Speerwurf der Blacks ein Auge verloren hatte. Die Bewohner Alburys interessierten sich aber ebenfalls für meine zu unternehmende Fahrt, denn dadurch wurde ein schon lange liebgewonnenes Projekt wieder in Anregung gebracht, die mögliche Befahrung des Murray und Hume, die für ihr kleines Städtchen von unberechenbarem Nutzen sein mußte. Man beschloß denn auch, mein Canoe bei seiner Abfahrt feierlich zu taufen, und Einzelne meinten, es wäre nur schade, daß sie nie das Ende des Unternehmens zu hören bekämen, denn die Schwarzen würden mich jedenfalls irgendwo „anspießen“.
Sonnabend den 3. Mai bekam ich mein Canoe fertig und ins Wasser, und nahm es den Fluß, der hier entsetzliche Biegungen machte, etwa sieben Meilen hinunter, bis unter den Landungsplatz von Albury, von wo aus ich am Montag mit Provisionen und sonstig Nötigem vollkommen gut ausgerüstet, aufbrechen wollte. Viele wollten mir selbst j e t z t noch abreden, die lange beschwerliche Reise so ganz allein anzutreten; mein Entschluß war aber einmal gefaßt, zurück konnt' ich ja auch gar nicht mehr, denn von Sidney aus waren meine Sachen schon sämtlich nach Adelaide gesandt, und mein Geld, lieber Gott, das war schon gar bös zusammengeschmolzen, und eine lange, lange Strecke lag vor mir. - Doch ich hatte Pulver und Blei genug, und fürchtete nichts als die vielleicht zu großen Beschwerden, wenn ich in von Wilden gefährdete Gegenden kommen sollte und dann Niemanden hatte, mit dem ich Nachts abwechselnd Wacht halten konnte.
Doch mit Gott! Ich war schon aus so verschiedenen Klemmen herausgekommen, und würde also in dieser auch nicht stecken bleiben; überdies hatte ich schon so mehrfache Erfah-/80/rungen, daß Gefahren gewöhnlich in der Entfernung bedeutend übertrieben werden und viel von ihren Schrecknissen verlieren, wenn man ihnen gerade auf den Leib rückt. Es war ja ebenfalls so in Südamerika gewesen, wo nur ein einziger alter Spanier mir die Möglichkeit einräumte, durch die empörten Stämme der Pampas und über die schneegefüllten Kordilleren zu kommen, und ich doch frisch und gesund Chile erreichte.
Sonntags suchte mich da plötzlich ein junger Deutscher auf, der, eben nach Albury gekommen, von meiner etwas abenteuerlichen Fahrt gehört hatte und nun, selber von allen Mitteln entblößt und eigentlich ungewiß, wohin sich zu wenden, sich erbot, mich zu begleiten. Es war ein junger Seemann, und er versicherte mir, mit einem Canoe ebenfalls ganz gut umgehen zu können. Allerdings wurde dadurch mein Canoe, das eigentlich nur auf eine einzige Person mit ihren Bedürfnissen eingerichtet war, so viel schwerer, und meine Provisionen mußten natürlich auch so viel knapper werden, während ich nicht im Stande war, noch größere Quantitäten anzukaufen; nichtsdestoweniger ging ich gern daraus ein, den jungen Burschen, der ein offenes und ehrliches Gesicht hatte und überhaupt aus guter Familie zu sein schien, zum Begleiter anzunehmen, erleichterte es ja mir selber, wenn er sich nur ein klein wenig brauchbar anstellte, die Reise, und machte sie für Zwei, die an bedrohten Stellen abwechselnd wachen konnten, weit weniger gefährlich. Unsere Abreise wurde deshalb auf den nächsten Tag festgestellt, und ich sah jetzt dem Augenblick ordentlich mit Ungeduld entgegen.
Den Sonntag streiften wir noch ein wenig in der Nachbarschaft Alburys herum, aber die Gegend sah trostlos aus: nicht ein Grashalm war in Berg oder Thal zu sehen, das Vieh ging herum, als ob ihm die scharfen Knochen jeden Augenblick durch die Haut stoßen müßten, und an den Lagunen im Innern lagen überall halbversunkene und dann verhungerte Rinder. Sie waren dort in den Schlamm geraten und so schwach und matt gewesen, daß sie sich nicht wieder hatten herausarbeiten können. Dabei war auch bei mehreren Schafzuchten! die so bösartige Rotzseuche, der soge-/81/nannte Katarrh, ausgebrochen, so daß einer allein, um nur den Rest seiner Schafe zu retten, neunhundert Stück in einem Strich hatte totschlagen und verbrennen lassen. Andere hatten zwei-, vier- und mehr tausend verloren, und wußten nicht, wie viel sie von den ihnen übrig gebliebenen noch würden erhalten können.
Weiter zurück im Lande sollte etwas Gras sein, so kam alles Vieh, das in Albury geschlachtet wurde, vom Billibong herunter und mußte hier teuer bezahlt werden. Es war übrigens auch kein Wunder; seit sechzehn Monaten kein anständiger Schauer gefallen, wo sollte die Vegetation da herkommen? Die Gumbäume - an und für sich und in den besten Verhältnissen traurige Gewächse - standen trübselig in dieser Dürre und rasselten mit den langen, trockenen, lanzettförmigen Blättern. Diese Blätter selber enthalten auch nicht die geringste Feuchtigkeit, und brechen wie Glas, wenn man sie in die Hand nimmt. Wegen eines stark cajeputöligen Geschmacks, den sie haben, frißt sie aber auch nicht einmal das Vieh, und die kleinen Gumbüsche standen deshalb, trotz dem gänzlichen Mangel an jedem grünen Futter, unberührt.
Und das war das australische Paradies, von dem ich so unendlich viel gehört und gelesen? Das jene üppigen Weiden, jene parkähnlichen Rasenflächen? Oh heilige Phantasie komm mir zu Hülfe, um diese graue Staubfläche mit saftigem Grün und das saftige Grün dann wieder mit wohlgenährtem wiederkäuenden Vieh zu bedecken; gieb diesen Flächen - doch nein, diese Flächen sollen wirklich in nur einigermaßen günstiger Jahreszeit das schönste Gras tragen und bedeutende Viehherden ernähren; nur jetzt, jetzt lagen sie in trostloser, trauriger D ü r r e da, und die Kühe standen verzweifelnd zwischen den trockenen Gumbäumen und kauten in Gedanken lange verdaute Speise wieder. Armes Vieh, so weit das Auge reichte kein Grashalm, und selbst den Durst zu löschen mit Todesgefahr verbunden.
Der Murray selbst ist ein ziemlich bedeutender Fluß, der bedeutendste wenigstens oder vielmehr der einzige, den Australien hat, da er allein in diesem trockenen Jahr noch wirklich /82/ ein Fluß mit laufendem Wasser blieb, und die anderen nur durch eine Kette stehender Lachen ihr sonstiges Bett bezeichneten. Der Murray ist etwa sechzig bis hundert Schritt breit und von sehr unbestimmter Tiefe; hier Kies- und Sandbänke mit nur zehn bis zwölf Zoll Wasser, dort Stellen, auf denen ein dreimastiges Schiff flott treiben würde. Das Wasser selbst ist von reinem, schönem Geschmack und soll auch sehr gesund sein. Was mir aber für meine Canoefahrt besonders bedrohlich schien, war die nur zu bedeutende Anzahl der in den Strom gestürzten Gumbäume, die ihres riesigen Gewichtes wegen auch natürlich nicht wegschwimmen konnten, sondern da, wo sie einmal hingefallen, auch liegen blieben. Nur die angeschwollene, stürmende Flut konnte sie vielleicht manchmal eine kurze Strecke in den Strom selber hineinreißen, dort sanken sie aber bald durch ihr eigenes Gewicht zu Boden und lagen nun für Jahrhunderte - denn ich glaube, ein Gumbaum fault nie - und streckten ihre schwarzen, schleimigen, starren Arme zackig und scharf durch die klare, über sie hinquellende Flut. Und durch diese Bäume sollte ich meine Bahn suchen.
Am Montag Morgen hatte ich denn endlich Alles in Ordnung , das Boot auswendig geteert und alle Ritzen und Wurmlöcher, womit dies vortrefflichste aller Holzarten, nebst anderen Tugenden, ebenfalls reich gesegnet ist, verstopft; unsere Sachen lagen unten an der Landung, und unter einem herbeigeeilten Menschenschwarm — ein ordentlicher Volksauflauf für ein so kleines Städtchen — schoben wir das Canoe in's Wasser; Mrs. Heaver zerbrach eine Flasche Brandy über dem Bug und taufte es Bunyip3, wir stiegen ein, stießen vom Lande ab und ruderten, unter drei donnernden cheers der Zurückbleibenden, in den stillen Wald hinein.
Mein Canoe war das erste Boot, das den Versuch machte, den Humeriver, wie der Murray bis zu seiner etwa drei-/83/hundert Meilen entfernten Vereinigung mit dem Murrumbidgee genannt wird, hinabzugehen.
3 .
Canoefahrt auf dem Hume.
Als ich zum letzten Mal ein Canoe steuerte, war es in Arkansas, den Fourche la fave hinab, das Canoe aus einem leichten Fichtenstamm gehauen, daß es wie ein Pfeil kaum durch-, sondern fast über das Wasser hinschoß. Welcher Unterschied dagegen hier! Mein Canoe war allerdings in den rechten Verhältnissen gebaut, etwa fünfzehn Fuß lang und etwas über zwei breit im Spiegel, und so dünn gearbeitet, wie es das spröde Holz nur immer erlaubte; dennoch ging es tief, sehr tief der eigenen Schwere wegen im Wasser, und unser beiderseitiges Gewicht mit Provisionen und sonstigem Gepäck half außerdem nicht wenig nach. Die Biegungen des Flusses waren dabei so kurz, und die dadurch aufgeschwemmten Kiesbänke so hoch und ausgedehnt, daß sie das Fahrwasser gewöhnlich dicht unter dem weitesten Bogen des Ufers hinüberdrängten. Dieser war dann natürlich mit überstürzten und halb oder ganz gesunkenen Stämmen und Ästen gefüllt oder wenigstens bedroht, und die Fahrt blieb an solchen Stellen nicht allein ungemein beschwerlich, sondern auch gefährlich.
Unsere Vorräte bestanden hauptsächlich in hartem Brod oder Schiffszwieback, Tee, Zucker und Satz; mit frischem Fleisch waren wir nur ans meine Büchsflinte angewiesen. Gar bald sollte ich aber herausfinden, daß die Jagd am Murray oder Hume nicht so leicht oder bequem werden würde, wie ich sie mir im Anfang gedacht hatte. Durch seinen gekrümmten und stets von Hindernissen unterbrochenen Lauf hat /84/ er nämlich fast gar keine Ähnlichkeit mit den so schönen amerikanischen Flüssen, und an ein leises, geräuschloses Hinabgleiten auf seiner Fläche, um etwa zu Wasser kommendes Wild zu beschleichen, war gar nicht zu denken. Fortwährend mußte ich, oft mit Aufwendung aller Kraft, den im Wege liegenden Snags oder Baumästen auszuweichen suchen, und das dadurch verursachte Geräusch, wie auch schon die notwendige Bewegung im Boote selbst, hätten jedes etwa herabgekommene Wild verscheuchen müssen. Wie mir jetzt schon schien, waren wir möglicher Weise nur auf Enten angewiesen, von denen es allerdings eine sehr große Anzahl und der verschiedensten Arten gab, und ich schoß denn auch, mit sorgsamer Berücksichtigung schwer wieder zu erlangender Munition, zwei auf einen Schuß zu unserem Abendbrot und Frühstück.
Die Nacht lagerten wir am linken Ufer, trugen unsere Sachen an Land und schliefen, trotz einem leichten Regen, der zwischen zwölf und zwei Uhr fiel, wahrscheinlich durch die ungewohnte Anstrengung erschöpft, sanft und süß. Der Fluß machte übrigens entsetzliche Krümmungen, und wir waren fest überzeugt, daß wir uns noch nicht sehr weit von Albury entfernt haben könnten.
Am zweiten Tag hatten wir sehr flaches Wasser, und der ewigen Biegungen wegen, in denen das Fahrwasser manchmal ordentlich voller Spieße stak, sahen wir uns sehr oft genötigt, auszusteigen und das schwere Canoe durch sechs bis sieben Zoll Wasser hindurchzuziehen. Es war dabei ziemlich frisch, und der Leser kann sich wohl denken, daß solche Fahrt, mit stets nackten und nassen Füßen, auch ihre Schattenseiten und nicht bloß das Romantische eines Streifzuges durch die Wildniß zeigte. Eine etwas phantastische Hoffnung hatte ich übrigens bei dieser Fahrt, nämlich den Bunyip oder das australische Ungetüm des Murray, von dem in dieser Gegend besonders viel gesprochen wurde, zu sehen zu bekommen, oder in diesem so außerordentlich niedrigen Wasserstand wenigstens seine Spur und dadurch überhaupt seine Existenz bestätigt zu finden. Bis jetzt lebt er nämlich nur in den etwas abenteuerlichen Sagen und Erzählungen der Blacks, die ihn als ein Ungetüm von der Größe eines kleinen Ochsen mit Pferde-/85/mähne und entsetzlichem Gebiß, wie haarscharfen Krallen schildern. Weiße haben das Tier noch nie gesehen, und die Wilden nennen es Devil-Devil in ihrer englisch-indianischen Aussprache. Existierte es überhaupt, so mußte es an dem Ufer des Murray, oder in den verschiedenen Seen wenigstens, seine Spur eingedrückt haben, oder ich konnte vielleicht einmal gar Nachts sein Schnauben und Brausen hören, womit es die furchtsamen Stämme des Murray nicht selten in Angst und Schrecken setzen soll.
Den Nachmittag fing es nun an auf höchst zweckwidrige Art zu regnen, und die Wolken standen so tief und drohend, daß sich eine sehr böse nasse Nacht nur zu gegründet befürchten ließ. In dieser Jahreszeit auslaufend, mußten wir freilich auch gleich von Haus aus auf so etwas gefaßt sein, und schwammen ruhig weiter, freuten uns aber doch, als wir gerade vor Dunkelwerden eine Hütte am linken Ufer entdeckten. Wir ruderten natürlich rasch darauf los und fanden dort wenigstens ein Obdach gegen den, wie wir es vermutet, fast die ganze Nacht wütenden Sturm. Am nächsten Tag hatte sich das Wetter etwas gelegt, wenn auch noch dann und wann einzelne Schauer fielen; die Sonne vertrieb gegen Mittag die träufende Wolkenschaar und erwärmte unsere von Nässe und Kälte halb erstarrten Glieder.
Der Fluß blieb sich gleich - Biegungen zum Verzweifeln; oft mußten wir Stunden lang rudern und das Canoe über Kies und Sand und im Strom liegende Stämme schleppen, um nur wieder fast zu demselben oder doch wenigstens keine Viertelmeile entfernten Ort zurückzukehren, von dem wir ausgelaufen.
Das Einzige, was mich dabei interessierte, war, das Flußbett zu beobachten und die Schwierigkeiten zu berechnen, die sich einer später doch jedenfalls darauf Bahn brechenden Dampfschifffahrt entgegenstellen könnten. Seit Jahrhunderten waren diese unverwüstlichen Gumbäume schon hier hineingeworfen und - liegen geblieben, und ich zweifelte nicht im Mindesten, daß die meisten der Kiesbarren, die wir mitten im Strom fanden, weiter nichts als dort eingestürzte Stämme waren, an welche sich mit der Zeit Sand und Kies genug /86/ angeschwemmt hatte, um eine ordentliche Barre zu bilden. An den meisten Stellen besteht das Flußbett auch bloß einzig und allein aus diesem Chaos von Stämmen und angeschwemmtem Sand, und daraus starren dann die nackten, zähen und schleimigen Neste jener riesigen Baumskelette hervor.
Durch diese Stämme nun, die, wie ich schon gesagt habe, am häufigsten im Fahrwasser selber, das heißt in den Biegungen, dem weitesten Bogen derselben vorkommen, geht die stärkste oder vielmehr die Hauptströmung des Flusses, und hier ist auch stets das tiefste Wasser - selten flacher, selbst in diesem außerordentlich seichten Wasserstand, als zwei bis drei Fuß. Ein anderer Kanal hat sich aber auch gewöhnlich noch auf der entgegengesetzten Seite des Bettes gebildet, aber natürlich mit weit schwächerer Strömung und seichterem Wasser, manchmal nicht über vier bis fünf Zoll, und läßt dadurch an sehr vielen Stellen eine kleine Kiesbarre als Insel in der Mitte.
Diese Baumstämme, die jetzt mit ihren Ästen und Zweigen die Hauptpassage hemmen, müssen nun freilich aus dem Weg geschafft werden, soll der Fluß jemals selbst für die kleinsten Dampffahrzeugc schiffbar gemacht werden, sie würden und müßten sonst Jedem verderblich werden, der versuchen sollte, sich durch ihre starren, heimtückischen und oft so sicher und doch so gefahrbringend versteckten Reihen die Bahn zu erzwingen.
Der Murray unterhalb seiner Verbindung mit dem Murrumbidgee hat im Verhältniß weit weniger Baumstämme in seinem Bett, als das oben der Fall ist, die Biegungen sind dort auch nicht mehr so kurz, und der Fluß ist schon etwas breiter und tiefer. Unterhalb des Einflusses des Darling ist er fast ganz frei von Stämmen, hier und da zacken aber doch einige Äste hinein, und er wäre selbst hier wenigstens zu revidieren. Jenes Holz muß aber sämtlich, wenigstens im obern Teil des Flusses, durch Menschen oder Pferdekraft, mit Sägen und Tauen entfernt werden, denn dort sind die Biegungen viel zu kurz und das Fahrwasser ist zu schmal, den Gebrauch von Dampfschiffen, sogenannten /87/ Eradicatoren, zu erlauben, die jedoch weiter unten vielleicht anwendbar wären.
Das Entfernen jener Stämme ist auch möglich, und die Amerikaner haben in manchen ihrer Flüsse, z. B. dem Redriver oder Rioroxo, schon bedeutend mehr Schwierigkeiten besiegt. Werden aber die Ufer des Murray je im Stande sein, nicht allein solch' bedeutende Auslagen wieder zu ersetzen, sondern auch eine Dampfbootlinie teils durch herauf zu schaffende Bedürfnisse, teils durch hinunter zu sendende Producte zu unterhalten? Das ist eine Frage, die ich allerdings jetzt nicht beantworten könnte, eben so wenig wie irgend ein Ansiedler am Murray die Garantie deshalb übernehmen würde. Für jetzt sieht es sogar eher aus, als ob das Land in seiner entsetzlichen Dürre wenig einen solchen Kostenaufwand rechtfertigen und pecuniäre Aufopferungen lohnen möchte. Nichtsdestoweniger ist es aber auch fähig, noch Manches zu erzeugen, woran bis jetzt, der hohen Transportkosten wegen, noch Niemand hat denken können.
Für jetzt beschäftigen sich die dortigen settler oder Stationshalter ausschließlich mit der Viehzucht, und diese wird auch in späteren Zeiten, wenn überhaupt nicht der einzige, doch der Haupterwerbszweig bleiben müssen, aber größerer, ja sogar sehr bedeutender Nutzen ließe sich daraus ziehen, würde die Fracht billiger und bedeutende Versendung möglich.
Von den Schafen wird jetzt fast gar nichts benutzt als die Wolle, von den Rindern, die sich hier eigentlich zu stark vermehren, fast nur das Fleisch zum eigenen Bedarf der Stationen. Hier und da werden sie auch zu Talg eingekocht, das aber könnte weit eher als ein Mißbrauch wie Verbrauch angesehen werden, und jedenfalls ließe sich das Fleisch dieser zahlreichen Herden, sobald der Murray wirklich einmal befahren würde, trefflich benutzen.
An den Ufern des Murray gibt es nämlich Massen von kleinen Salzseen, die das vortrefflichste Salz, welches jetzt sogar noch in die Colonie eingeführt wird, enthalten. Der Murray könnte deshalb eine ungeheure Masse des schönsten Pökelfleisches liefern, sähen sich die Settler an den Ufern desselben nur erst einmal veranlaßt, solchen Erwerbszweig zu /88/ eröffnen. Das Salz selber könnte dann ausgeführt, Hammelkeulen geräuchert, Häute eingesalzen und überhaupt Artikel verwertet werden, die jetzt ungenutzt verderben. Aus den Gumbäumen, die zum Räuchern der Hammelkeulen vortrefflich dienen könnten, ließen sich ebenfalls Holzkohlen brennen, und wer weiß, ob nicht selbst aus den zahlreichen Lagunen und Seen das Einsalzen der vortrefflichen Fische des Murrav einen Handelsartikel liefern würde.
Hiergegen hörte ich allerdings einen erheblichen Einwand - wenn er nämlich vollkommen gegründet und durchaus erprobt wäre - und zwar von Seiten einzelner Ansiedler selber, daß nämlich das Salz jener Seen sich nicht zum Einsalzen von Fleisch und Häuten, auf die Länge der Zeit - also bei weiten Verschiffungen, eigne - und daß damit angestellte Proben unglücklich ausgefallen und die damit eingepökelten Fleischmassen verdorben wären. Einzelne Versuche - und ich glaube erst ein einziger für eine wirklich lange Strecke - mögen damit gemacht sein, der Murray durchfließt aber einen sehr weiten Landstrich, und diese Salzseen finden sich an sehr verschiedenen Stellen, sind also deshalb auch sehr wahrscheinlich verschieden gehaltig und jetzt nur noch nicht so genau untersucht worden, weil eben bis jetzt gar keine Aussicht war, das Salz von da, wo es in Masse gefunden wird, fortschaffen und verwerten zu können. - Dieser Erwerbszweig müßte also deshalb auch noch jedenfalls erst einer genaueren Prüfung unterworfen werden.
Ackerbau wird der Murray wohl kaum zu treiben gestatten, nicht daß das niedere und überschwemmte Flußland nicht im Stande wäre, ziemlich gute Ernten zu tragen, aber das allherbstliche Austreten des Stroms zerstört jedesmal die Ernten, und dazu ist das Talland nicht breit und fruchtbar genug, Levees oder Dämme, wie sie zum Beispiel die Wasser des Mississippi in den Ufern zurückhalten, zu gestatten. Übrigens läßt sich im Voraus auch eigentlich gar nicht bestimmen, was der Murray noch Alles fähig wäre zu leisten, da eine Schiffbarmachung desselben auch jedenfalls einen neuen Eifer in seinen Uferbewohnern schaffen, und Viele dorthin ziehen würde, die jetzt gar nicht daran denken, sich in einem District /89/ nieder zu lassen, der mit der zivilisierten Welt nur durch Ochsenkarren in Verbindung steht.
Doch ich will den Leser nicht mit den Daten der allerdings nicht langen, aber desto monotoneren Fahrt langweilen, und gleich zum Schluß derselben, zu der traurigen Katastrophe springen. Wie ein Gumbaum dem andern, so sah eine Biegung der andern sprechend ähnlich, fortwährend dabei dieselbe Arbeit mit aus dem Boot springen und das schwere Holz über die Steine schleppen, oder in Mühe und Gefahr den drohenden Stämmen auszuweichen, die an jeder andern Stelle fast unsern Fortgang zu hemmen drohten. Der Weg wurde, eben durch die ungeheuren Biegungen und Hindernisse, so entsetzlich lang und mühsam, daß ich mir schon eine ziemlich sichere Berechnung machen konnte, wie wir solcher Art - von den Wilden wirklich nicht gefressen - kaum in drei bis vier Monaten im Stande sein würden, Adelaide zu erreichen, als unsere Wasserfahrt auf eine schon lange befürchtete und trotz aller Fatalität noch immer glückliche Art ihr Ende erreichte und uns zwang, unsern Weg zu Fuß fortzusetzen.
Von Schwarzen waren wir allerdings noch nicht belästigt worden, hatten auch nur erst sehr wenige gesehen, und so ganz in der Nähe weißer Ansiedelungen mochten sich die wilden Bursche doch wohl auch ein wenig genieren; wir hielten wenigstens die Nacht nicht einmal Wache. Doch ein schlimmerer Feind als die Wilden sollte uns der Strom bald selber werden.
An einem heitern Morgen, nachdem wir die Nacht besonders gut geschlafen und uns an einer reichlichen Mahlzeit Enten delectirt hatten, schifften wir uns wieder ein, und ruderten wohlgemut den hier gerade eine Strecke lang ungewöhnlich offenen Strom hinunter. Unsere Freude sollte aber nicht lange dauern. Plötzlich schien es, als ob vor uns der ganze Strom mit einer soliden Masse umgestürzter Baumstämme und Wurzeln völlig blockiert und abgeschnitten wäre, und selbst beim Näherkommen zeigte sich noch keine Durchfahrt, so daß wir vor allen Dingen landen mußten, und ich mich nur, auf den Stämmen hinlaufend, nach einer Öffnung um /90/ sah, durch die wir unser schmales Fahrzeug hindurchlaviren konnten. Ich fand auch eine solche Stelle, die Ein- und Durchfahrt war aber hier so schmal und gefährlich, daß wir mehr als zwei Stunden brauchten, durch diesen fatalen Platz zu schlüpfen, und unser Canoe dabei sich noch oberdrein zweimal halb mit Wasser füllte. Endlich, und nach schweren Mühen, erzwangen wir uns die Durchfahrt zwischen zählenden Wirbeln und riesigen dunkeln schleimigen Stämmen und Stumpfen durch, die hier der gegen sie ankochenden Flut ingrimmigen Trotz boten. Es war ein unheimliches Gefühl, ein paar Mal so dicht gewissermaßen am Abgrund zu stehen, wo unser Sinken oder Schwimmen immer nur von einer leisen Bewegung des Körpers abhing, und wäre unser Canoe hier gesunken, so glaub' ich kaum, daß Einer von uns das Ufer erreicht hätte. Das tolle Gewirr von spitzen drohenden Ästen war zu arg, und die Strömung hätte uns unrettbar dahinein geworfen. So weit sollte es aber doch nicht kommen.
Unter dieser fatalen Stelle bekamen wir wieder, etwa eine Meile Weges, ziemlich freies Wasser und glaubten schon aller Gefahr entgangen zu sein, als wir plötzlich eine Biegung des Flusses erreichten, wo die Strömung rasch und beengt an der rechten Seite durchschoß, während mehrere Bäume dort hinüberhingen und an dem linken Ufer eine hochangeschwemmte Kiesbank hartnäckig jede Durchfahrt verwehrte.
Ich rannte das Canoe vor allen Dingen, auf eine inmitten des Stromes liegende Sandbank, um vorher einmal zu recognoscieren, wie das Fahrwasser eigentlich aussähe, und schickte zu diesem Zweck meinen Begleiter auf die Bank hinaus. Dieser kam auch bald zurück und versicherte: es sähe hinter dem Baum Alles gut aus. Unser Canoe also den Geistern des Murray empfehlend, wurden wir flott, und ich steuerte nun mitten in das hier ziemlich reißende Fahrwasser hinein, das gerade unter dem darüber hinhängenden Baum durchschoß. Unter dem Baum durch ging es auch ziemlich gut, die Bahn war dort, wenn auch kaum drei Fuß breit, doch frei, gleich dahinter lag aber, etwa sechs Zoll unter Wasser, ein anderer Stamm, und ungefähr dreißig Schritt weiter hing ein anderer Baum, den ich von oben an gar nicht hatte /91/ sehen können, ebenfalls so tief über das Fahrwasser hinüber, daß er dem Canoe nicht mehr gestattete darunter durchzugehen. Über den unter der Oberfläche liegenden Stamm kamen wir noch glücklich hinweg, dadurch war aber auch der Fortgang des Canoe, dem zweiten, weit gefährlicheren Baum auszuweichen, total gehemmt worden; dort trieben wir jetzt mit voller Breitseite an, und die ganze Strömung, hier in wenige Fuß zusammengedrängt, preßte gegen unser Canoe und drückte es trotz Allem, was wir aufbieten mochten es frei zu halten, halb unter den Stamm.
Ein paar Minuten stemmten wir auf solche Art die Strömung und suchten es nach vorn zu ziehen, um dort frei zu werden und wieder in gefahrloses Fahrwasser zu kommen; das sollte uns aber nicht gelingen; plötzlich preßte der Druck des Wassers die ihm nächste Seite etwas nieder, daß ein schmaler Wasserstrahl hineinschießen konnte; ich suchte auf der andern Seite das Gegengewicht zu halten und die bedrohte Seite wieder in die Höhe zu bringen, doch vergebens. Das Wasser hatte einmal Eintritt gewonnen und ließ sich nicht mehr zurückweisen; stärker und stärker quoll es herein, in wenigen Secunden war unsere kleine Barke gefüllt, und ich weiß mir von dem Augenblick nur noch zu erinnern, daß ich nach dem neben mir liegenden Gewehr griff, um das wenigstens zu retten.
Das Boot war in etwa sechs Fuß Wasser gesunken und alles daraus fortgeschwemmt; da die Kiesbank aber dicht daneben war, gelang es uns, das vorn befestigte Seil zu fassen, und mit nicht geringer Anstrengung zogen wir wenigstens das leere Boot, in dessen Boden die langstielige eiserne Bratpfanne und eine Harpune, die sich im Holze festgehakt, allein liegen geblieben waren, auf's Trockene. Die Bratpfanne war übrigens unser Glück; mit dieser schöpfte ich nun das Canoe rasch aus, um wenigstens noch etwas von unseren Sachen zu retten, und sie als Ruder gebrauchend, wurde ich wieder flott. Freilich war aber indessen wenigstens eine halbe Stunde vergangen, und ich konnte nur noch das auffischen, was an den vorstehenden Ästen in nächster Nähe hängen geblieben war. Zu diesem gehörten zwei unserer leichtesten /92/ wollenen Decken, meine kleine Zinnbüchse mit meinen Briefen und Papieren, mein Rock und die Teebüchse.
Mein Begleiter brachte indessen durch Waten, Schwimmen und Tauchen noch einige andere Kleinigkeiten, unter diesen den allerdings fast aufgelösten Brodsack, herauf, und nach etwa zwei Stunden fischten wir nach zehn mißglückten Versuchen und nachdem wir uns endlich aus dem mit Kies gefüllten Brodsack einen Anker gemacht, mit der Harpune meine Jagdtasche auf, in der unser ganzes Pulver, Tabak, Fischhaken, einige Medicinen und sonstige Kleinigkeiten staken.
Damit schifften wir uns nun auf's Neue ein, gingen noch etwa zwei Meilen den Strom hinunter, bis wir an einen guten Lagerplatz kamen, und zündeten dort vor allen Dingen einmal ein gutes Feuer an, uns erst wieder zu trocknen und auszuruhen, und den erlittenen Schaden übersehen zu können. Leider Gottes war er bedeutend genug, und, was das Schlimmste - jetzt unersetzbar. - Unser Pulver war total durchnäßt und unbrauchbar geworden, und sogar unsere Schuhe - eine wirklich interessante Lage, in der wir uns befanden - waren zum Teufel. Überdies sahen wir liebenswürdig aus, kalt und naß wie ein paar gebadete Ratten und barfuß, kaum im Stande, unsere wenigen Halbseligkeiten an's Land zu tragen, um sie dort an der lodernden Flamme zu trocknen.
Ich brachte jetzt erst meine Büchsflinte wieder in Stand, schraubte die Pistons los, schüttete frisches Pulver ein - denn das, was ich noch im Pulverhorn hatte, war wenigstens trocken geblieben - schoß sie ab, ließ sie am Feuer ordentlich austrocknen und lud sie von Neuem. Das getan, spannten wir die Decken zum Trocknen auf und breiteten ebenfalls unsern geretteten Tee vor dem Feuer aus. Das Pulver in den Kanistern war aber rettungslos verloren, ebenso das Meiste unserer übrigen Sachen, und ohne Schuhe konnten wir nicht einmal unsere Reise zu Fuß fortsetzen - was nun tun?
Geld hatte ich nicht genug bei mir, alles von Neuem zu kaufen, und ohne Provisionen und Pulver, ohne hinreichende Decken durften wir ja gar nicht daran denken, noch mehrere /93/ Monate lang in der schlimmsten Jahreszeit auf dem Wasser zu bleiben. Selbst unsere Ruder waren weggeschwemmt, und unsere Situation wäre zum Verzweifeln gewesen, hätte sie nicht auch wieder so unendlich viel Komisches gehabt. Mein guter Mut verließ mich auch nicht einen Augenblick - ich war nun wieder einmal in einem Extra-"scrape" wie es die Amerikaner ziemlich passend nennen, und hatte für den Augenblick gar nichts weiter zu tun, als zu sehen, wie ich wieder hinauskäme.
Waren wir den Tag in Wassergefahr gewesen, so kamen wir die Nacht über fast, zur Abwechselung einmal, in Feuersgefahr. Kalt wie wir waren, hatten wir uns den größten Haufen Holz angesteckt, den wir nur in der Nähe finden konnten, und das erwies sich zufällig als die Stelle, wo neben einem hohlen, etwa sechzehn bis achtzehn Fuß hohen Baum- stamme die Wipfel von drei oder vier trockenen Bäumen niedergebrochen waren. Das Feuer loderte, gegen Abend besonders, lustig empor, und wir mußten sogar das dürre Gras rings darum her abbrennen, damit wir nicht auch noch die Ursache eines Waldbrandes würden, der auf der Melbourne-Seite schon so entsetzlichen Schaden angerichtet. So hatten wir uns in unsere Decken gewickelt und schliefen vortrefflich, und mir träumte, ich hätte einen feuerspeienden Berg bestiegen, und sähe den Krater Lava und Flammen ausstoßen, ja ich konnte deutlich sogar das dumpfe Brausen in seinem Innern hören. Gegen Mitternacht mochte es sein, als ich endlich durch das ganz eigentümliche, aber fortgesetzte Geräusch geweckt wurde, und als ich die Augen aufschlug, lag ich erst eine ganze Weile, und hätte darauf schwören wollen ich träume fort, denn dicht vor mir sah ich klar und deutlich - wie ein Mensch nur mit offenen Augen und anscheinend vollem Bewußtsein etwas sehen kann - Flammen und Funken in die dunkle Nacht hinein stieben. - Ich war doch nicht etwa aus Versehen nach Hawaii geraten!
Als ich etwas bestürzt emporsprang, und nun auch vollkommen munter wurde, sah ich die helle glühende Lohe aus dem alten Stamm wie aus einem Schlot züngelnd heraus /94/schlagen, und die blitzenden Funken hochauf und über uns hin senden. Damit aber nicht zufrieden, fielen sie auch, von einer leichten Brise getragen, gerade über uns hin, und hatten schon mehrere Löcher in unsere Decken gebrannt.
An Schlafen war nun gar nicht mehr zu denken, Einer mußte wenigstens fortwährend Wache halten, daß uns die paar Kleinigkeiten, die wir aus dem Wasser gerettet hatten, nicht auch noch verbrannten, und es blieb nur noch ein Glück, daß diese Nacht wenigstens kein Regen fiel, wir hätten sonst alle Strafen des Wald- und Flußlebens mit einem Male durchgemacht.
Am nächsten Morgen hielten wir einen kurzen Kriegsrat; aber es blieb uns dabei eben nicht viel zu beraten. Wir konnten nur einen Weg einschlagen, und zwar den zu Wasser, bis wir entweder ein Haus erreichten und uns dort Schuhe verschafften, oder irgend ein Tier schossen, aus dessen Fell ich uns dann Moccasins gemacht hätte.
So schifften wir uns denn um neun Uhr etwa auf's Neue ein, und ich ruderte den ganzen Tag, ohne daß wir wieder an irgend eine so gefährliche Stelle als gestern gekommen wären, mit der entsetzlichen Bratpfanne weiter. Es war dies übrigens einer der traurigsten Tage meiner ganzen Reise, denn nicht allein daß ich fast meine ganze Ausrüstung mit einem Teil meiner kleinen Barschaft verloren hatte, nein, das Bewußtsein war es besonders, was mich niederdrückte, die W a s s e r f a h r t dadurch unmöglich gemacht zu sehen, und wenn ich auch fest entschlossen blieb, meinen Marsch unter jeder Bedingung zu Fuß fortzusetzen, mußte ich doch nun meinen lange gehegten und lieb gewonnenen Plan aufgeben, die stillen Wasser- des Murray länger zu befahren.
„Wer weiß, wozu 's gut ist!" sagte ich mir wohl oft, aber ich wußte es wahrhaftig nicht, und mußte es der Alles lindernden Zeit überlassen, das Ganze zum guten Ende zu führen.
Den Tag über schoß ich wieder ein paar Enten, diese aber zu beschleichen, mußte ich aussteigen und am Ufer mehrere Mal hinlaufen. Das Gras war hier niedergebrannt und die kurzen scharfen Stümpfe desselben, dem Auge nicht /95/ sichtbar aber den weichen Füßen nur zu fühlbar, stachen überall empor und verwundeten mir die Sohlen auf das Empfindlichste.
Die Nacht lagerten wir am linken Ufer, und Morgens war der Fluß über zwei Fuß hoch gestiegen. Glücklicherweise hatten wir unser Canoe den Abend vorher gut befestigt gehabt, der Ast, an dem es angebunden lag, stand aber schon unter Wasser. Mit der Bratpfanne ruhig weiter rudernd, trafen wir endlich gegen Mittag eine Fenz, und bald darauf sahen wir das helle Dach einer der niederen Buschhütten aus dem trostlosen Grüns des Waldes vorschauen, die wir mit nicht geringer Freude begrüßten.
Wer aber wohnte hier? - Leser, glaubst Du an Wunder? - nur ruhig, ich habe auch nicht daran geglaubt, bis ich nicht förmlich mit der Nase darauf gestoßen wurde - und ein Wunder war hier geschehen, und um es dir mehr einleuchtend zu machen, will ich Dir erst eine kleine, jedem Deutschen bekannte Anekdote in's Gedächtniß zurückrufen.
Als Mozart eines Tages still und allein in seinem Studierstüblein saß, kam ein Fremder und bestellte auf einen bestimmten Tag ein Requiem bei ihm - es war Mozart's letzte Arbeit - er vollendete das Requiem, starb, und es wurde bei seinem eigenem Begräbnis zum ersten Mal aufgeführt.- Der Fremde kam nie wieder - es war ein Engel gewesen.
Leser, der Mann, der hier wohnte, war ein Schuster, und kurze Zeit vorher war ein Fremder zu ihm gekommen und hatte zwei Paar Schuhe ( e r nannte sie S t i e f e l ) bei ihm bestellt, die er gerade beendigt hatte, und die uns paßten als ob sie für uns gemacht wären - der Fremde war bis jetzt noch nicht gekommen sie abzuholen - Leser, wir accordierten mit dem Mann für die Schuhe - der biedere Mann ließ sich darauf ein, uns diesselben mit Ruder, (Bratpfanne) und Teebüchse mit etwas aufgeweichtem Tabak zu überlassen, und beabsichtigte „für den Fremden" zwei Paar andere anzufertigen. - Ich mochte ihn nicht entmutigen - /96/ die beiden anderen sind aber sicher nie abgeholt, denn wer hat je gelesen, daß Engel Schuhe brauchten!
Wir blieben dort die Nacht, ordneten dann unser Gepäck, und marschierten am nächsten Tag, trotz meinen aufgestochenen und wunden Füßen, trotz allen Schreckensgeschichten von den Blacks und erst kürzlich wieder verübter Mordtaten, stromab, dem noch, wie die Leute sagten, 700 englische Meilen entfernten Adelaide zu.
Der Marsch selber wäre mir nun freilich ganz angenehm gewesen, hätte ich eben — einen andern Reisegefährten gehabt; dieser war ein blutjunger Bursche, der sich gar nichts sagen lassen wollte und mir, im Fall ich wirklich einmal in Gefahr kommen sollte, auch nicht geringste Hülfe gewähren konnte. Meine Meinungen konnt' ich dabei nicht mit ihm austauschen, ihn nichts lehren und nichts von ihm lernen; was also nützte es mir jetzt, die Mühseligkeiten und Gefahren, und später auch die Ehre eines solchen Marsches durch die Wildnis mit ihm zu teilen? Nichtsdestoweniger mochte ich ihn nicht gern allein ziehen lassen, und erst an der sogenannten Woolshed, zu Land etwa 120, zu Wasser vielleicht 400 Meilen von Albury, an einer vollkommen sichern und bewohnten Straße, die nach dem circa 180 Meilen entfernten Melbourne niederführte, kamen wir zu einem Verständniß, nach dem Jeder seine eigene Bahn verfolgen sollte.
Hier übernachteten wir noch einmal zusammen und schieden am nächsten Morgen in Fried' und Freundschaft.
Nun aber leichten Herzens, schulterte ich meine Büchse und wanderte getrosten Mutes allein in die graugrüne Wildnis trostloser Gumbäume, um den wildesten, abenteuerlichsten Marsch zu beginnen, den ich noch in meinem ganzen Leben unternommen.
4.
Marsch durch das Murraytal.
Der Murray verfolgt im Ganzen eine Strömung von Osten nach Westen, vielleicht West-Nordwest-Cours, bis zu dem großen sogenannten „Nordwest-Bend“ oder der nordwestlichen Biegung, wo er sich plötzlich in einem ganz kurzen Bogen nach Süden hinunter dreht. Von der „Woolshed" aus läuft er sich aber eine weite Strecke nach Süden hinunter aus dem Weg, erst ungefähr in der Gegend, wo er den Murrumbidgee aufnimmt, seinen alten Cours wieder, bis eben zum Nordwest-Bend verfolgend. Diese südliche Abneigung geht durch weites Sumpfland, das durch tausend, jetzt trockene Lagunen durchschnitten, mit Teebüschen, Lignum und den verschiedenen Arten von Gum- und Borholz bewachsen ist, und besonders in solcher Dürre die traurigste Einöde bildet, die sich in einer bewaldeten Gegend nur überhaupt denken läßt.
Hier nun läuft eine Art Notkanal, den sich der größere Strom, der weiten Biegung wegen, bei hohem Wasser gebrochen, ziemlich gerade nach Westen ab, und trifft gar nicht sehr weit von der Ausmündung des Murrumbidgee in den Murray wieder mit diesem zusammen. Dieser Kanal wird der Eduardsriver genannt, unterhält aber kein fließendes Wasser — ausgenommen wenn der Hume hoch genug gestiegen ist, ihn zu füllen, und wird im Sommer, wie alle übrigen Wasser Australiens, durch eine Kette von Lachen bezeichnet, so daß die Lagunen oder auch Billibongs, wie sie sehr häufig von den Ansiedlern genannt werden, nur hier und da an ihren tiefsten Stellen noch stehen gebliebenes, grünes, übelriechendes Wasser von der letzten Flut enthielten. Entsetzlich war aber die Einfassung derselben, die ich gewöhnlich, selbst bis zum letzten Augenblick, mit nicht zu überwindendem Schauder betrachten mußte. Das arme unglückliche Vieh, besonders die Rinder, die den Boden von Allem entblößt /98/ fanden, was ihnen nur die geringste Nahrung bieten konnte, zu schwach, selbst nach dem Murray hinunter zu gehen, wo ihnen die steilen, gefährlichen Uferbänke ebenfalls nur selten einen sichern Trinkplatz gestatteten, suchten ihren Durst da zu löschen, wo ihnen ganz in der Nähe anscheinend die Gelegenheit leicht dazu geboten wurde - und furchtbar mußten sie dafür büßen. - Der breite schlammige Rand gab unter ihren Füßen nach, und die Mäuler bis dicht am Wasserrand, die Zunge am Gaumen klebend - sie wollten doch nicht zurücktreten, bis sie wenigstens e i n e n Schluck getan - sanken sie tiefer ein dabei, tiefer und tiefer, und abgemattet, Monate lang ohne ein einziges Maul voll ordentliches Futter, halb verschmachtet und elend, waren sie nicht mehr im Stande, sich wieder herauszureißen aus ihrer gefährlichen Lage, noch selbst ihren brennenden Durst genügend zu löschen. Mit der Kraft der Verzweiflung arbeiteten sie wohl noch kurze Zeit, aber nur um sich tiefer und tiefer in den Schlamm hinein zu arbeiten, und mit allen Vieren fest, die lechzende Zunge vielleicht wenige Zoll nur vom Rande des Pfuhls entfernt, an dem die Unglücklichen Linderung ihrer Qual erwarteten, lagen sie ruhig da, um zu v e r s c h m a c h t e n. - Ruhig? - ihnen wäre wohl, wenn sie dort nur verhungert und verdurstet wären, Mattigkeit brachte sie in dem Fall zuletzt in einen Zustand bewußtloser Erschöpfung, aus dem das tierische Leben leichter in den Tod überzugehen scheint, als wir sonst glauben möchten; aber nein, Krähen und Elstern, die in Masse dort in den Bäumen mit ihrem fetten, glänzenden Gefieder herumsaßen, waren verwöhnt worden durch die reiche und leichte Beute dieses Jahres - Aas? - es fiel ihnen nicht mehr ein, Aas anzurühren, nach dem sie sonst manche lange Meile geflogen waren, sie wußten ein leckereres Mahl. Auf das sterbende Vieh flogen sie hinab und hackten den vergebens nach Hülfe Blökenden, an den eigenen Hörnern der halb Versunkenen die gierigen scharfen Schnäbel noch wetzend, erbarmungslos die schon glasigen, brechenden Augen aus.
Und kein größeres Mitleiden hatte der wilde Hund, dem es nicht mehr in den Sinn kam, an schon starren, kalten /99/ Leibern seine Fänge zu verderben, die noch lebenden, warmen waren seine sichere und bequeme Beute. - Was kümmerte ihn ihr angstvolles Blöken - es war Musik zu seinem Mahl, und die Leiber riß er den aus der Seite Liegenden aus, oder fraß sich in ihre Weichen.
Doch hinweg, hinweg mit den Schreckensbildern, mir wandte es das Herz im Leibe um, den Jammer mit ansehen zu müssen, und trotzdem daß ich nur noch wenige Ladungen Pulver in meinem Horn hatte, k o n n t e ich einige Mal dem Drange, diese Unglücklichen von ihren Leiden zu befreien, nicht widerstehen und schoß ihnen eine Kugel durch das Hirn - ich hätte einen Wagen mit Munition mithaben müssen, hätte ich ihnen allen helfen wollen.
Hier am Eduard wurde das Land einigermaßen besser, denn hier zum ersten Mal begann die eigentümliche Vegetation des Murray, die diesen Fluß auch deshalb so ausgezeichnet für den Schafzüchter macht, der S a l z b u s c h , und wenn auch der Name nicht gerade sehr einladend klingt, ist er doch ein Segen des Landes und besonders des Viehes geworden.
Der australische Schäfer und Ansiedler begreift übrigens unter dem Namen ,,Salzbusch" eine ganze Quantität der verschiedensten Pflanzen; der Hauptsalzbusch übrigens hat ein nicht sehr großes, herzförmiges, hellgrünes und wie mit Mehl bestreutes, ziemlich saftiges Blatt, mit einem bald mehr bald weniger salzigen Geschmack; dann hat noch eine andere Gattung von Eisgewächsen, mit dicken, kurzen, fleischigen, wässerigen Blättern und ebenfalls salzigem Geschmack den nämlichen Namen. Einige von diesen sehen wirklich ganz hübsch und frisch aus, und ich begreife gar nicht, wie sie in dem entsetzlich dürren Boden im Stande sind, solch' eine Masse von Feuchtigkeit anzuziehen und zu halten.
Das Hanptnahrungsmittel der Schafe hier ist übrigens das sogenannte pigs face (Schweinsgesicht), ein jedenfalls höchst unpoetischer Name; es ist dies eine Cactusart, die im Herbst, nach roter Blüte, eine kleine, ebenfalls rote, höchst wohlschmeckende Beere tragen soll. Das pigs face selber kommt in dreieckigen dicken, fleischigen Blättern oder Stangen /100/ aus der Erde heraus, und die Schafe fressen es sehr gern; es gibt übrigens verschiedene Arten davon, die sich im Äußern allerdings gleichen, im Geschmack aber einen genauen Unterschied zulassen. Eine Art schmeckt sehr salzig, eine andere bloß wässerig mit leisem Bitter, etwa wie rohe Gurken, und eine dritte, von der ich selbst mehrmals bedeutende Mahlzeiten gehalten, hat einen Nachgeschmack fast wie reife Herzkirschen. Die Blacks verzehren dies pigs face in großen Quantitäten, aber auch von den Schafen wird es sehr viel gefressen, und ich glaube, daß es einen vorzüglichen Salat geben würde. Mancher Verirrte hat sich schon das Leben damit erhalten.
Die Vegetation blieb sich sonst ziemlich gleich: Gumbäume in der Nähe des Flusses, und Tee- und Besenbüsche mit dem Salzbusch in den sogenannten Flats. Die traurigste von allen Pflanzenarten ist aber das Lignum, das in den der Überschwemmung ausgesetzten Ebenen gedeiht. Es sieht genau so aus, als ob die dürren Stangen von dem Vieh abgefressen und ihrer Blätter total beraubt wären; es wächst aber gleich abgefressen, und das Vieh ist ganz unschuldig an dem trübseligen Aussehen desselben - es rührt die holzigen, bitteren Zweige nicht an.
Das Land zu beiden Seiten des Eduard war flach und von zahlreichen Lagunen durchschnitten, der Boden ein grauer, in feuchtem Wetter klebriger Lehmboden, der aber halb trocken schon wieder aufspringt und, der ganzen dort wuchernden Vegetation nach, kaum einer besondern Cultur fähig sein möchte.
Durch diese Wälder nun begann ich meinen einsamen Weg, jetzt aber noch inmitten einer verhältnißmäßig ganz ansehnlichen Zahl von Stationen, die, wenn man auch nicht immer darauf rechnen konnte, jede Nacht eine zu erreichen, doch gewissermaßen schon in dem Bewußtsein ihrer Existenz eine Art Schutz gegen etwaige freche Raubanfälle der Schwarzen bildeten.
Schon die erste Nacht lagerte ich im Freien am Eduardriver in einem kleinen Gehölz von sogenanntem Borwood - Gumbäumen ebenfalls, nur mit etwas anderer Rinde – und /101/ mein Abendbrot war ein Kakadu. Das Fleisch derselben ist übrigens hart, dunkelrot und trocken, und nur der äußerste Hunger vermochte mich dazu, den mir überdies widrigen Papageiengeruch zu überwinden. Ich zog dem Burschen, den ich Abends schon in tiefer Dämmerung aus einem Gumbaum herausgeholt hatte, das Fell ab und briet ihn auf den Kohlen. Ich hatte mir nämlich ein tüchtiges Feuer angemacht, denn obgleich ich den Tag Wilde getroffen, sollten sie in dieser Gegend doch noch nicht gefährlich sein; wenigstens war kein Beispiel bekannt geworden, wo sie einen Weißen ermordet hätten. Am nächsten Morgen wollte ich nicht wieder einen Kakadu frühstücken, mußte aber zwölf starke Meilen Marschiren, ehe ich an eine Station kam, und erlabte mich hier nicht wenig an kaltem Rindfleisch, Tee und Dämpfer, oder damper, wie es die Engländer nennen.
Zur Verständigung, da das Wort Damper wahrscheinlich noch öfter vorkommen wird, möge hier dienen, daß der Damper ein gewöhnlicher, einfach mit Wasser, ohne Hefen, angerührter Weizenteig ist, der nur flachgedrückt und in der Asche gebacken wird, und auch wohl, nach civilisirten Begriffen, etwas schwer zu verdauen sein möchte, den „Buschmägen" aber vollkommen gut zusagt.
Bis zum 23. Mai passierte mir nun nichts Besonderes. Die Gegend war monoton genug, meistens Salzbuschebenen und Borwoodwaldungen, niederes apfelbaumartiges Holz mit mattgrauer Rinde und mattgrünen Blättern; die ganze Natur sah aus wie ein abgetragener steyermärkischer Jagdrock, und der Himmel spannte sich mit einem correspondirenden nebligen Stahlgrau darüber hin. Das Wetter drohte dabei immer Regen und erhielt mich in fortwährender Angst, denn hatte es hier in dieser Gegend geregnet, so befand ich mich in einer höchst schauerlichen Lage. Der Boden bestand hier nämlich durchgängig ans dem grauen staubigen Lehm, der sich bei der mindesten Anfeuchtung mit einer ganz unbeschreiblichen Bosheit an die Sohlen hing. Ein langer Stock brachte die bleischweren Massen dann auch gar nicht wieder ab, und ich mußte später, hatte ich solche Strecken im Regen zu passiven, mein Messer offen in der Hand tragen, um die Hacken /102/ frei zu halten, oder doch wenigstens dann und wann von den entsetzlichen Anhängseln zu reinigen.
Am 23. Abends erreichte ich einen kleinen Creek, den Mouleman, der sich ebenfalls in den Eduard ergießt (d. h. wenn er Wasser hat, denn jetzt war cs auch nur das trockene Bett, das den ehrenvollen Namen eines Creek führte). Hier war ein Wirtshaus und eine Polizeistation, und ich hörte hier allerdings nicht tröstliche Nachrichten über die Blacks, die eben in neuester Zeit wieder mehrere Mordtaten an einzelnen Reisenden, welche von einer Station zur andern gehen wollten, verübt haben sollten. Einer dieser Schufte, ,,Billy the Bull“, saß hier in der Polizeistation gefangen; er hatte zwei Mordtaten an Weißen gestanden und die Körper aufgezeigt. Einen derselben hatte er auf wahrhaft teuflische Weise versteckt, damit er von der Polizei nicht aufgefunden werden sollte. Nachdem er den Unglücklichen nämlich erschlagen und sich sein Nierenfett herausgenommen, stieg er mit der Leiche tief in das Bett des Murray hinab, und trieb hier, nachdem er den aufgeschnittenen Leib des Ermordeten zuerst mit Steinen gefüllt, einen Pfahl durch die Brust desselben in den Boden, wohl vierzehn Fuß unter Wasser, so daß der später leichter werdende Körper von der Flut nicht mehr an die Oberfläche gehoben werden konnte. Andere Mordtaten waren noch viele von ihm bekannt, die Beweise aber nicht so leicht zu liefern, da er sich schlauer Weise sämtlicher Zeugen dabei - unter ihnen selbst eine von seinen Frauen - auf sehr summarische Weise mit der Kriegs- keule entledigt hatte.
Außer diesem war die Polizei noch hinter zwei anderen von den Teufeln, Namens Bill und Peter, her, die ebenfalls Weiße ermordet und die Körper einfach in den Busch geworfen hatten. Es war ihr noch nicht gelungen, sie einzufangen, und einer der Policemen meinte treuherzig: ich würde ihnen wohl auf meinem Weg begegnen.
Gern hätte ich mir nun, nach diesen allerdings nicht gerade beruhigenden Nachrichten, einen Schwarzen von hier zum Begleiter mitgenommen, aber dasselbe wurde mir darüber hier wie auch schon in Albury und Sidney gesagt: daß ich /103/ erstens keinen bekommen würde, der die Tour mit mir machte, und zweitens, geschähe das wirklich, nur noch größerer Gefahr ausgesetzt bliebe, als wenn ich allein und nur gut bewaffnet ginge, denn nicht sowohl Raublust sei es oft, was die Stämme dazu treibe, den einzelnen Wanderer, besonders aber Einzelne eines andern Stammes anzufallen, als eine Art religiösen Wahnsinns und Aberglaubens, der aber dann, sobald man ihm einmal in den Weg geworfen wird, natürlich noch weit gefährlicher ist, als bloßes Raubgelüste und Blutdurst irgend eines wilden Stammes.
Diese Wilden hier glauben nämlich an keinen natürlichen Tod, und jeder, der von dem Stamm stirbt, ist - ihrer Meinung nach - das Opfer der Zauberei irgend eines andern Stammes geworden. Diese Zauberei kann auf verschiedene Art ausgeübt werden, doch die Art und Weise bleibt ihnen gleich, sie halten sich an das Resultat. Die Weiber bekleben sich nun mit weißem Thon und heulen und schreien, jammern und wehklagen, bis die Männer - selber zur Verzweiflung getrieben - hinausziehen und das Fett irgend eines erschlagenen Feindes als Sühnopfer dem Toten in das Lager bringen. Nun verwandelt sich der bisherige Jammer plötzlich in Freude, und die Manen des durch Zauberei Hingerafften sind jetzt, ihrer Meinung nach, vollkommen beruhigt.
Die natürliche Folge hiervon muß sein, daß die einander benachbarten Stämme fortwährend in grimmigster Feindschaft leben und sich gegenseitig nicht über die selbstbestimmten Grenzen wagen, außer um Einfälle in die Besitzungen ihrer Nachbarn zu machen und Todesfälle jener Art zu rächen. Daher wagt sich auch selten ein Schwarzer, selbst in starker Begleitung von Europäern, auf feindliches Gebiet. Hat er aber einmal wirklich die Grenze überschritten, und liegt ein feindlicher Stamm zwischen ihm und dem seinen, so wird es ihm nie einfallen, allein zurückzugehen, und er sieht dann die Weißen als seine einzigen Beschützer an.
Daher kommt es denn auch, daß Weiße, die mit einem Schwarzen gehen, fast unvermeidlich der Gefahr ausgesetzt sind, von einem andern Stamm angefallen zu werden, wäh-/104/rend ein Weißer allein weit eher Aussicht hat, unbeschädigt durchzukommen.
Hier sah ich auch zum ersten Mal eine kleine Abteilung der sogenannten „schwarzen Police“, die „im Busch“ besonders von unendlicher Wichtigkeit für die Sicherheit der Ansiedler ist, nicht allein um begangene Freveltaten an den anderen Stämmen zu strafen, als auch schon beabsichtigte Raubzüge zu verhindern. Sie bekommen von der Regierung einen guten Gehalt und Kleidung und Beköstigung, und stehen unter einem weißen Dirigenten. Ihre Uniform ist blaue Jacke und Hose, die letztere mit roten Streifen an den Seiten herunter, und eine runde Mütze. Ihre Waffen sind hauptsächlich ein Seitengewehr, aber auch Flinten tragen sie, und es ist merkwürdig, wie rasch sie sich in den Gebrauch derselben finden und wie vortrefflich sie selbst mit Leichtigkeit zuschießen lernen.
Meistenteils wird diese „wilde Polizei“ ans den Nachbarstämmen gewählt und unterhalten. Die Weißen haben dadurch auch noch den Vorteil, daß solche mit allen Schlichen und Schlupfwinkeln der Nachbarschaft genau bekannt sind, ja auch schon die Charaktere, von denen gewalttätige Handlungen etwa zu erwarten wären, persönlich kennen und im Auge behalten. Aber selbst aus feindlichen Stämmen hat man schon Einzelne dafür angeworben, die sich dann, mit den neuen Waffen und von den Weißen beschützt und unterstützt, sicher genug fühlten, ein Territorium zu betreten, dem sie sonst gewiß nicht auf manche lange Meile zu nahe gekommen wären, ausgenommen auf einem Kriegszug.
Ein Stamm der Mouleman-Blacks lagerte am linken Ufer des kleinen, fast trockenen Baches, und eine Anzahl solcher schwarzer Polizeidiener, die hier gerade ihre Station hatten, trieb sich zwischen ihnen herum. Wie der Blitz aber waren sie da, als sie mich mit Büchse und Messer bewaffnet aus dem Dickicht kommen sahen, und während sie mich in zehn Schritt Entfernung etwa an sich vorbei defilieren ließen, wechselten sie rasch einige Worte mit einander. Dann aber, wie Hunde, die einen Fremden kommen sehen und von ihm zurück- kläffend einen kleinen Bogen beschreiben, um auf seine Fährte zu treffen, so ließen sie mich erst vielleicht fünfzig Schritt /105/ weiter, den Gebäuden zu gehen, und folgten dann meiner Spur eine kurze Strecke, bis sie zu einem Platz kamen, auf dem der Fuß vollkommen genug abgedrückt war, ihnen die getreue Fährte zu zeigen.
Die Station selber bestand aus einer kleinen Anzahl von Gebäuden, die zum Polizeigebrauch dienten, und teils zu einem Gefängnis, teils zur Wohnung für die Angestellten bestimmt waren, dann aus zwei Privatwohnungen und dem Gasthaus. Das Gespräch drehte sich hier übrigens fast einzig und allein um einige erst neulich wieder verübte Mordthaten an Reisenden und um das wahrscheinliche Urteil, das über den Angefangenen und überwiesenen Verbrecher gefällt werden würde, von dem man wieder vermutete, die Gerichte würden ihm, nach einer harten Verwarnung, eine wollene Decke geben und ihn laufen lassen, wie das bis jetzt mit den meisten der anderen geschehen war.
Ich bin wahrlich nicht gesonnen, Grausamkeiten gegen wilde Stämme das Wort zu reden. Es ist nicht mehr wie recht und billig, mit den Eingeborenen, die allerdings über ein Menschenleben ganz andere Begriffe haben, als wir, und von denen man nun einmal nicht erwarten kann, daß sie sich so gleich den ihnen doch eigentlich auch aufgedrungenen Gesetzen und Einrichtungen der Weißen fügen sollen, milde zu verfahren und nicht gleich bei einem ersten Fall z. B. die ganze Strenge der Gesetze gegen sie in Anwendung zu bringen. Dieser Schuft aber, Billy the Bull, wußte so gut was er tat, und wie er sich dadurch der vollen Rache der Weißen preisgab, als irgend ein Weißer es wissen konnte, und ließen ihn die Gerichte wieder frei, so hieß das gar nichts Anderes, als „gehe hin und morde nach Gefallen".
Es war ganz das nämliche Verhältnis mit dem Mörder Merryman in Albury, und die Weißen zeigten sich dort ziemlich alle einerlei Meinung, ihm - wo sie ihm nur einmal allein im Walde begegneten, einfach eine Kugel durch den Kopf zu jagen. Ich selber würde mir nicht das mindeste Gewissen daraus gemacht haben, ihn wie einen Wolf niederzuschießen. Überdies waren in der Gegend besonders schon zu viele solche Morde vorgefallen, und wo Reisende nicht /106/ allein, sondern auch die einzeln zerstreuten Schäfer fortwährend der heimtückischen Mordlust einzelner Schufte preisgegeben sind, da könnte es auch wohl eben nichts schaden, wenn einmal ein Exempel statuirt und den Burschen gezeigt würde, wie man mit ihnen umgehen k a n n, so man nur will, besonders wenn es sich um einen so anerkannten Mörder handelte, wie eben dieser Billy the Bull sein sollte.
Eines merkwürdigen Umstandes, der auch eben diesen Billy the Bull in die Hände der Weißen lieferte, muß ich aber doch noch erwähnen, der übrigens vielleicht in den eigenen Gesehen oder angenommenen Gebräuchen der Wilden selber seine Lösung findet. - Sie scheinen nämlich zu glauben, daß nach Ablauf einer gewissen, gar nicht so sehr langen Zeit, die vielleicht sechs Monate betragen mag, eine Art von Verjährung eingetreten sei, nach der sie straflos wären und nun ruhig wieder ihre Jagdgründe, die sie nach dem verübten Mord eines Weißen nicht selten verlassen, wieder besuchen könnten. Auch „Billy“ hatte sich auf sechs Monate nach dem einen Mord, von dem er nicht ganz sicher war, daß er herauskommen möchte, entfernt, und gestand, eingefangen, mit der größten Freundlichkeit noch einige andere, die aber schon „lange, lange“ (über sechs Monate) verübt wären und ihm seiner Rechnung nach doch jetzt nicht mehr konnten zur Last gelegt werden.
In dem Gasthaus kehrten diese Nacht auch ein Settler von der nächsten Station den Fluß hinunter, ein Mr. Smith, und ein Prediger ein, den der Erstere mit herauf von Melbourne gebracht hatte. Die Ansiedler schienen nämlich eine Subscription gemacht zu haben, um einen Geistlichen - und es war dies der erste, der in diesen Distrikt kam - bleibend hier herauf zu bekommen. Die Meinung sprach sich sehr günstig dafür aus, und man glaubte, einem längst gefühlten Bedürfnis abzuhelfen, da auch der gemeine Mann, so roh und ungebildet er „im Busch“ (wie die Wildnis Australiens überhaupt genannt wird) auch sein möchte, doch dann und wann einmal Gottes Wort zu hören wünsche, und daher gern einen kleinen Beitrag zur Beibehaltung eines Geistlichen geben würde. Überdies lebten ja auch da und dort Familien, /107/ und zu Trauungen, Taufen und Begräbnissen schien es wünschenswert, geistlichen Beistand zu haben.
Mein Marsch und die Art meiner Reise brachte mich, sehr zu meinem Vorteil, mit beiden Schichten der Gesellschaft am Murray in Verbindung, und zwar als Fußreisender oder sogenannter „bundleman“ am meisten mit den unteren Schichten; denn größtenteils, wo ich eine Station erreichte, um dort zu übernachten, schlief ich in der Hütte des Schäfers oder in der Küche, wurde aber stets reichlich mit Speise und Trank und warmer Schlafstelle versehen.
Am Abend erreichte ich die etwa fünfundzwanzig Meilen entfernte Station des Mr. Smith, der an dem Nachmittag zurückkehrte, und übernachtete in der sogenannten „Hütte“ mit dem Schäfer und Stockkeeper. Das Gespräch drehte sich natürlich um die „natural curiosity“, wie sie es nannten, den „Prediger im Busch“, aber keineswegs mit der Ehrfurcht, die Mr. Smith oder der Prediger erwartet haben mochten.
„Der ist wohl hergekommen, um uns unsere six pence abzuholen,“ meinte der Eine; „verdammt der Penny, den er aus dieser Tasche kriegt,“ erwiderte der Andere. Alles sprach sich gegen jede Predigt, wie überhaupt gegen jede geistliche Tröstung aus. Ich glaube auch, nach Allem was ich gehört habe, daß dies ziemlich die allgemeine Stimmung im Busch ist, und es gibt sicherlich auf der weiten Welt keinen undankbareren Ort für einen Geistlichen, als eben den Murray Scrub. Wohl nirgends in der weiten Welt lebt ein roheres, rauheres Volk, als gerade die Bewohner dieses Busches - die Ansiedler selber, oder vielmehr die Pächter der verschiedenen Stationen und „runs" natürlich ausgenommen, die sich aber auch von den „Leuten“ in streng aristokratischer Art vollkommen isoliert halten.
Eine Tugend haben diese Leute aber, die Tugend der Gastfreundschaft, die bei dem Araber nicht gewissenhafter ausgeübt werden kann. Kommt ein Wandersmann in eine von ihren Hütten, ja sieht man nur einen von Weitem kommen, so setzt der „Hutkeepcr" (Hüttenbewohncr) schon den Quarttopf mit Tee ans Feuer und den Damper und das Fleisch auf den Tisch. Kommt er gegen Abend an, so ist es eine /108/ Sache, die sich von selbst versteht, daß er dort übernachtet, und in gar vielen Hütten bin ich auf das Herzlichste aufgefordert worden, auch den nächsten Tag noch zu bleiben und auszuruhen. Die wenigen Settler, die davon eine Ausnahme machen, sind am ganzen Murray bekannt, und es wird nur mit Verachtung von ihnen gesprochen.
Sonst besteht diese Bevölkerung wenigstens zu drei Viertheilen aus früheren Deportirten, Leuten, die in ihrer Jugend schon hierher geschafft wurden und, selbst der Möglichkeit jeder Erziehung entnommen, wild und roh in einem eben so wilden Lande aufwuchsen. Jedes Wort fast, das sie aussprechen, bezeichnet das, und „a bloody fine day - a bloody bad road“ sind die steten, selbst im freundlichsten Sinne gebrauchten Ausdrücke. Dennoch halten sich diese Leute in einer Art gesetzlichem Zwang, von dem der eben so wilde, aber nicht so rohe Backwoodsman (Hinterwäldler) Amerikas nichts weiß. Es herrscht eine Art angeborener Scheu vor einem Gesetz, das in vielen Fällen nicht im Stande ist ihn zu schützen, das der Buschmann aber doch selten oder nie - wenn er es nicht als Verbrechen heimlich tut — übertritt. Ich meine hiermit das Lynchgesetz, das vielleicht in keinem Ort der Welt nötiger wäre manchmal anzuwenden, als gerade hier - nirgends aber auch, wenn nicht jene wohltätige Scheu vor dem Gesetze stattfände, in schlimmeren Händen sein könnte.
Es fallen nämlich, selbst hier im Busch, sehr häufig Diebstähle vor. Diese aber sind um so gefährlicher, da die Schäfer und Stockkeeper ihre Hütten gar nicht einmal verschlossen halten können, und selbst die Hutkeeper, besonders da wo Hürden stehen, dieselben manchmal verlassen müssen. Nur zu häufig kommt es vor, daß herumstreichende Vagabonden, die überall die Gelegenheit wissen, Decken oder Provisionen - denn sonst ist in den Hütten selten etwas zu holen - mitnehmen, ja wohl auch die einzige Kiste aufbrechen, worin ein paar mühsam ersparte Schillinge zu finden sind; oder daß sie Pferde auffangen, um damit ihren Weg fortzusetzen, die sie dann, wenn sich Gelegenheit bietet, verkaufen oder vertauschen, oder auch wieder laufen lassen. /109/ Werden solche Schufte von den rechtmäßigen Eigentümern aus frischer Tat ertappt, so müßte immer erst ein Polizeibeamter vielleicht sechzig oder siebzig Meilen weit herbeigeholt werden, um sie zu verhaften. Ebenso geht es mit der Verfolgung; wollte man sich der Polizei dabei bedienen, so gewännen die Diebe gewöhnlich, ehe die Polizei herbeigeschafft werden könnte, einen solchen Vorsprung, daß an ein Nachsetzen gar nicht mehr gedacht werden könnte. Übernehmen aber die Leute selber die Verfolgung, so dürfen sie ihnen gesetzlich nichts weiter tun, als ihnen das geraubte Gut wieder abnehmen - und ich glaube selbst, das ist nicht einmal streng gesetzlich. Das diebische Gesindel, das sich hier herum aufhält, weiß das auch recht gut, und treibt sein schändliches Gewerbe ohne Scheu. Nur ein paar Mal aber den alten Lynch zwischen sie gebracht, was keine strengen Folgen von Seiten der Behörden haben könnte, und sie würden sich lange nicht mehr so sicher in der Ausübung ihrer Verbrechen fühlen. Man mag gegen das Lynchgesetz sagen was man will, ich bin doch in einzelnen Fällen dafür, und Alles, was ich darüber in Amerika gesehen und erfahren habe, ist mir hier im australischen Busch bestätigt worden.
Diesen Tag hatte ich mehrere leere Schäferhütten getroffen. Es sollte vor Kurzem hier mehrfach Regen gefallen sein, und weiter nach Norden hinauf, im sogenannten Scrub oder den Malleybüschen, fing das Gras an aufzukeimen, weshalb die meisten Schafstationen jetzt weiter in's Land hinein verlegt wurden. Die Schafe sollen zu dieser Jahreszeit und mit dem so wasserhaltigen Futter des pigs face vielleicht nicht so viel Wasser gebrauchen, und den Schäfern wird es dann durch Karren für den eigenen Bedarf zugeführt.
Heute traf ich auch zuerst den Malleybusch, von dem ich früher schon so viel gehört hatte, und der ein für viele australische Stämme so ungemein wichtiger Strauch ist.
Der Malleybusch hat, wie fast jeder australische Baum, die langen, lanzettförmigen, oben und unten gleichen, und mit einer Art Terpentin gesättigten Gummiblätter; er wächst aber nur als Busch, und zwar sechs bis zwölf und zwanzig kleinere Stämme von einer Mittelwurzel schlank und blattlos /110/ in die Höhe zweigend, während die dichte Laubkrone ein breites, symmetrisch gleichförmiges Dach bildet. Das Grün dieser Blätter ist lebhaft und der Stiel derselben von einer rötlichen Farbe, so daß sie mit dem schlanken eigentümlichen Wuchs gar nicht üble Gruppen bilden. Zwischen ihnen kommt meistens die australische Fichte vor, ein wahrhaft schöner, wenn auch nicht hoch wachsender Baum, der mit seinem vortrefflich schattierten saftigen Grün und den feinen Nadeln aus das Freundlichste gegen die ihn umgebenden und oft überragenden Malleybüsche absticht. Das Holz dieser Fichten ist schlank, weiß und fest, und eignet sich vortrefflich zu Tischlerarbeiten, wie denn von den kleinen schlanken Stämmen fast sämtliche Hütten im Busch aufgebaut werden. Die Rinde ist von einem sehr hübschen Grau und lang und tief eingespalten, was bei dem tannenartigcn Wuchs des Baumes selber und unter dem tiefschattigen Laub vortrefflich absticht.
Der Boden, wo diese Malleybüsche stehen, ist durchgängig roter Sand, und hier gedeiht besonders bei nur einigermaßen günstiger Witterung der wilde Hafer; an mancher Stelle sogar, wie mir versichert wurde, zu ganz vorzüglicher Güte. Jetzt freilich waren nur die allerersten Spuren davon in dünnen grünen Hälmchen sichtbar, und es bedurfte noch manchen guten Schauers, um sie auch in dieser so regenarmen Gegend voll und üppig herauszutreiben.
Der Malley bildet an beiden Seiten des Murray, oft bis zum Fluß hinanreichend, ein, weiter zurück besonders, fast undurchdringliches Gebüsch, das dann auch mit dem dicken, in förmlichen Rabatten, Kränzen, Halbmonden und Schlangen wachsenden cactusähnlichen Porkupine oder Stachelschweingras feste Dickichte flicht, in denen nur das Känguru und der Kasuar (Emu) mit dem wilden Hund ihren Aufenthalt finden.
Hier aber hausen auch viele Stamme der Schwarzen, die Malley-Blacks oder Worrigels, wie sie von den Stämmen am Murray genannt werden, und leben von Kängurus und Wallobys (einer kleineren Art Kängurus), Kängururatten, Wombats (einer Art Dachs) und Emus. Kein Tropfen Wasser fließt in ihrem Gebiet, und sic gewinnen dasselbe auf /111/ eine so sinnreiche als eigentümliche Art. Die Wurzel einer dieser Malleyarten ist nämlich überaus saftreich, und sie graben sie aus, brechen sie in Stücke und stecken sie in ein zu diesem Zweck gehaltenes Gefäß ans Baumrinde, wobei aus manchen der Wurzelstücke ein vollkommen klares, aus anderen ein etwas rötliches, aber stets rein und süß schmeckendes Wasser fließt. Waschen kommt bei ihnen natürlich nicht vor, und zu diesem Gebrauch vermissen sie also das Wasser nicht, zum Trinken aber sind ihnen diese Wurzeln vollkommen genügend.
In diesem so überaus trockenen Sommer haben sich aber auch einige von ihnen genötigt gesehen, die sonst ihnen Alles bietenden Malleybüsche zu verlassen und zum Murray hinabzuziehen. Hier kamen sie in das Flußgebiet feindlicher Stämme, und wo sie nicht stark genug waren, sich auf kurze Zeit den Aufenthalt am Murray zu erzwingen, mußten sie Nachts - trotzdem daß dies ihrer Natur bedeutend widerstrebt - heimlich zum Fluß kommen und sich in Baumrindenschalen das notwendigste Wasser, das sie brauchten, holen.
Doch auf die Sitten und Gebräuche dieser Stämme komme ich später ausführlicher zurück, da ich, außer meinen eigenen Erfahrungen, in Adelaide auch noch vortreffliche, ja officielle Duellen fand, die ich benutzen durfte, und aus denen ich mir einen ziemlich guten Überblick feststellen konnte.
Ich näherte mich jetzt mehr und mehr dem Territorium, in dem die Blacks besonders „jolly", wie sie eigentümlicher Weise genannt wurden, sein sollten. Das Wort j o l l y bedeutet eigentlich bloß v e r g n ü g t, m u n t e r; meinen besonderen Nachfragen aber nach war hiermit keineswegs eine harmlose Fröhlichkeit gemeint, sondern jolly sollte hier mehr keck und übermütig bezeichnen, und die schrecklichsten Geschichten erzählte mir nun gar ein sogenannter „bundleman" oder Fußreisender, welcher auf einer der eine kurze Strecke unterhalb liegenden Stationen gearbeitet hatte und mit noch einem Begleiter hier heraufgekommen war. Unterwegs passierten sie einen Stamm der Wilden, und zwei von diesen hatten sich von den Ihrigen abgesondert, kamen mit ihren Speeren und Keulen auf sie los und verlangten „smoke“ (Rauch, für /112/Tabak). Sie versicherten ihnen, daß sie nichts hätten, was sie ihnen geben könnten, aber einer der schwarzen Schufte machte sich jetzt, während der andere ruhig dabei stehen blieb und das Gesicht nur zu einem freundlichen Grinsen verzog, eifrig darüber her, ihnen die Decken von den Schultern zu nehmen und dann auch noch Beiden die Taschen zu visitieren, in denen sie einige Schillinge Silbergeld und Jeder ein kleines Taschenmesser hatten. Sie wurden rein ausgeplündert, und mußten nur noch froh sein, unbeschädigt und mit ihrem Nierenfett an der richtigen Stelle ihren Weg fortsetzen zu können. Kurz vorher hatte derselbe Stamm einem andern Fußreisenden bloß Tabak und Messer fortgenommen, und diese Beiden erkundigten sich jetzt gerade sehr angelegentlich nach einem früheren Kameraden von ihnen, der den Weg auch gekommen sein sollte, hier oben jedoch von Niemandem mehr gesehen war.
Es ist aber jetzt auch wohl nötig, daß ich hier ein paar Worte über die Waffen der Schwarzen sage, die von Manchen vielleicht zu leicht angesehen werden möchten, wenn man hört, daß sie sämtlich nur von Holz sind. Die Stämme wissen aber vortrefflich damit umzugehen, und die Genauigkeit, mit der sie besonders die leichten Speere werfen, ist außerordentlich.
Diese bestehen aus zwei verschiedenen Teilen: der etwa zwei Fuß lange Stiel ist von einer Art festem Rohr, oder meistens von dem sogenannten Grasbaum, einem Gewächs, das am meisten mit unserer schilfigen Plumpkeule (ich weiß wirklich in diesem Augenblick weiter keinen als unsern Kindernamen dafür) Ähnlichkeit hat, und die ebenfalls drei bis vier Fuß lange Spitze besteht gewöhnlich aus dem harten Holz des hiesigen Eisenbaumes. Die Spitzen derselben sind glatt und haarscharf, und sie schleudern die Speere nicht bloß durch den Schwung des Armes, sondern geben ihrem Wurf noch weit mehr Stärke durch ihr sogenanntes Wurfholz, die Midla. Es ist dies ein etwa zwei Fuß langes schmales Stück Holz, an dem obern Ende mit einer Art Widerhaken versehen; in diesen Widerhaken wird das untere Ende des Speeres gelegt, und der Speer so gewissermaßen durch Hebelkraft fortgeschleudert. Sie führen gewöhnlich vier oder fünf /113/ solcher Speere bei sich. Außer diesen haben sie noch die Keule - ein kurzes schweres Stück Holz mit dickem Knopf in den verschiedensten Formen, und den schmalen langen Schild, die Speere und Keulenschläge zu parieren; dann die Wurfkeule, ein schmales gebogenes, sehr dünnes und scharfes Instrument von hartem Holz, mit breitem, rasiermesserartigem Kopf, und das Eigentümlichste von allen, die Womera, wie sie Dieselbe, glaube ich, in Vandiemensland nennen, oder die Bumerang, wie sie am Murray heißt. Diese Bumerang ist schon oft von Engländern beschrieben worden, ich habe mir aber beim Lesen nie einen recht deutlichen Begriff davon machen können, und will hier versuchen, ob ich im Stande bin, sie etwas begreiflicher zu erklären.
Der Bau der Bumerang, so einfach wie nur etwas sein kann, gründet sich auf ein streng mathematisches Princip, das von diesen Blacks gewiß nicht durch Berechnung oder Über- legung, sondern nur durch Zufall gefunden ist. Die Bumerang ist ein etwa zwei bis drittehalb Zoll breites und vielleicht achtzehn bis zwanzig Zoll langes, aber nicht mehr als etwa einen halben Zoll dickes Stück hartes Holz, an beiden Enden nicht spitz, sondern mehr scharf abgerundet, aber fast zu einem Halbmond, wie eine Sichel, und nicht ganz so rund gebogen, mit der innern Seite ebenfalls ziemlich scharf. Von diesen Bumerangs gibt es zwei Arten: die eine ist ein gewöhnliches Wurfgeschoß, das durch die Biegung nur schärferen Nachdruck erhält, an dieser sind die beiden Schenkel der Sichel vollkommen gleich. Die andere aber, bei welcher der eine Schenkel ein klein wenig kürzer und das Instrument selber auch etwas mehr gebogen ist, wird nicht allein ebenso vorwärts geschleudert, sondern kehrt auch, wenn sie nirgends Widerstand getroffen, also den Gegenstand, nach welchem sie geschleudert wurde, verfehlt hat, durch eine eigene Schwingung zu ihrem Werfer, und zwar mit fast noch vermehrter Gewalt zurück. Diese Bumerang wird aber nicht direct nach dem Gegenstand, den sie zu treffen bestimmt ist, geworfen, sondern sie berührt erst, in etwa zwanzig Schritt Entfernung, die Erde, und prallt nun von dieser wie mit neugewonnener Kraft ab, dem bestimmten Ziele zu. Trifft sie hier Mann /114/ oder Tier - und der Werfende weiß ziemlich genau die Höhe zu bestimmen, in welcher das von der Erde sein muß - so schlägt das scharfe harte Holz in der gewaltigen Schwingung eine bösartige Wunde. Diese hölzerne Sichel schneidet selbst durch das dickste Tuch, und ist auch in ihrem unregelmäßigen Flug fast gar nicht zu parieren. Trifft sie aber ihr Ziel nicht, so fliegt sie etwa bis hundertundzwanzig Schritt Entfernung weiter und steigt dabei bis zu zwanzig Fuß Höhe vom Boden empor, beschreibt hier einen kurzen Bogen zur Linken, wobei es ein paar Secunden lang fast aussieht, als ob sie total feststünde, und schwirrt nun plötzlich zischend und sausend wieder durch die Luft heran, fast in gerader Linie über die Stelle hin, und wohl noch zehn, zwölf Schritt weiter zurück, von der aus sie geworfen wurde.
Diese Bumerang ist weiter unten am Murray und in Südaustralien nur sehr wenig gekannt und gar nicht im Gebrauch, während sie jedoch, Doktor Leichhardt's Bericht nach, bis im hohen Norden von Australien vorkommt. Bei den Stämmen in der Torresstraße habe ich sie nicht gesehen, es kann aber deshalb doch fein, daß sie sie eben so gut zu führen wissen, denn auf den Inseln gibt es kein Wild für diese Waffe, und es läßt sich denken, daß sie Alles, was sie nicht eben notwendig für ihren dortigen Aufenthalt brauchten, am festen Land zurücklassen werden.
Am 25. Mai näherte ich mich dem Murray wieder, den ich, dem Eduard folgend, verlassen hatte, und wanderte jetzt am Logan, der nur eine kurze Strecke diesen Rainen führt, und durch den Eduard und den Wakool, beides Überschwemmungsarme des Murray, gebildet wird. Hier schoß ich den ersten schwarzen Schwan, obgleich ich schon mehrere vorher gesehen, aber keinen hatte zum Schuß bekommen können. Ich balgte ihn ab und nahm die Haut mit mir.
Diese schwarzen Schwäne haben ein vortreffliches Gefieder, der Rücken ist ziemlich schwarz und der Bauch mehr in ein dunkles Silbergrau hinüberspielend. Das Wertvolle an ihnen ist aber der schneeweiße, fast anderthalb Zoll starke Daun, der zum Vorschein kommt, wenn die schwarzen Federn ausgezogen werden, und der das zarteste, wunderschönste Pelz-/115/werk für Damen liefert. Die großen Schwungfedern sind weiß, und ein roter Ring liegt ihm um die Augen.
Jagdbares Wild gibt es hier freilich äußerst wenig, und die Kängurus sind vielleicht das Einzige, was auf den Namen Wild Anspruch machen könnte, da man sie nicht allein hetzt, sondern auch auf der Bürsche schießen kann, und darin hat diese Jagd viel Ähnlichkeit mit der des Hirsches. Kängurus bekam ich aber nur sehr wenige zu sehen; sie hielten sich bei der entsetzlichen Dürre des Landes, da sie selber lange ohne Wasser leben können, tief in den Malleybüschen auf, wo ziemlich gutes Futter wachsen soll, und wo sie sich besonders an dem eben jetzt herauskommenden jungen Gras letzten. Kängurujagden sind schon viel zu oft beschrieben und zu einförmig, um darüber noch ein Wort zu verlieren; interessanter sollen aber die Emu- oder Kasuarjagden der Eingeborenen sein, die diesen australischen Strauß gewöhnlich, wenn sie ihn auf den Ebenen entdecken, mit einem ganzen Stamm umzingeln und ein förmliches Kesseltreiben darauf anstellen.
Dieser Emu hat viel Ähnlichkeit mit dem südamerikanischen Avesturz oder Kasuar, scheint aber doch eine andere Gattung zu bilden, und ist auch etwas größer als der amerikanische. Der eine wenigstens, mit dem ich an diesem Tage fast zusammenrannte, stand gewiß über sieben Fuß hoch und war ein kolossaler Kerl. Ich ging nämlich durch ein kleines Borwooddickicht, wo mein Schritt aus dem weichen, staubigen Boden kaum hörbar war, und kam eben an einen der lausend kleinen trockenen Creeks oder Schluchten, die das flache Land nach allen Richtungen hin durchziehen, als ich in der Schlucht ein Geräusch hörte. Schon der Indianer wegen trug ich die Büchse immer schußfertig; im Nu hatte ich sie im Anschlag und blieb lauschend stehen, um durch ein zweites Geräusch die Richtung und Natur desselben mehr bestätigt zu bekommen; ich sollte aber nicht lange darüber im Zweifel bleiben. Im nächsten Moment schon fuhr irgend etwas, das ich im ersten Augenblick natürlich für nichts Geringeres als einen mordsüchtigen Indianer hielt, wie ein Ungewitter aus dem Teebusch auf mich los. Ich riß, in einem mir selber /116/ kaum bewußten Gefühl der Selbstverteidigung, die Büchse an die Backe, ehe ich aber irgend ein Ziel visiren, ja selbst das, was sich aus dem plötzlich Leben gewinnenden Teebusch zu entwickeln schien, erkennen konnte, fuhr eine dunkle Gestalt an mir vorbei, so dicht, daß es mir die Büchse bald berührt hätte, und ich erkannte jetzt einen gewaltigen Kasuar, der die langen Beine nicht schlecht gebrauchte und mit wirklich fabelhafter Schnelle über den weichen Boden hinflog, daß er den Staub hoch hinter sich auswarf. Das Alles kam so schnell, daß ich wahrhaftig zu schießen vergaß, und zwei Secunden später wäre es auch zu spät gewesen, denn die ganze Erscheinung ging wie ein Blitz an mir vorüber.
Dies hatte übrigens insofern sein Gutes, als es mich für die Zukunft vorsichtiger machte, denn wo ich den langen Emu vorher in der Schlucht nicht gesehen hatte, der gar nicht daran gedacht sich zu verstecken, da hätte auch ein halbes Dutzend von den Blacks in bequemster Art und Weise im Hinterhalt liegen und mir ihre fatalen Speere in den Leib jagen können. Ich fing jetzt an, weit sorgfältiger aufzupassen, und die Folge davon war, daß ich schon am nächsten Tage ein Känguru belauerte, das zum Wasser an den Logan hinuntergekommen war.
Die Emus werden von den Schwarzen gegessen; die Jungen sollen auch ganz gut schmecken. Die Haut mit dem Gefieder ist aber zu weiter nichts als Fußdecken zu gebrauchen. Die Schwarzen benutzen sie höchstens manchmal zum Draufliegen.
Außer dem Emu und dem Känguru gibt es fast gar kein Wild, nur noch einige Känguruarten: das Walloby, etwas kleiner als das Känguru, und die Kängururatten, kleine possirliche Dinger, halb Ratte, halb Känguru, die blitzschnell, wenn aufgescheucht, halb springend, halb laufend, durch die Büsche schießen und beim ersten Anblick, eben wenn sie so rasch verschwinden, fast Ähnlichkeit mit dem Kaninchen haben. Das Komische bei ihnen ist, daß sic alle stets eine ihrer Vorderpfoten, bald die rechte, bald die linke, bei der Flucht in die Höhe halten, so daß man im ersten Augenblick glaubt, sie hinkten; das ist aber keineswegs der Fall, sie /117/ schonen nur die Füße, so lange sie mit dreien rasch genug vom Platze kommen. Die Blacks fangen sie in Schlingen, was um so leichter ist, da sie in Erdlöchern wohnen und also ihre regelmäßigen Aus- und Eingänge haben.
Das einzige in Australien existirende vierfüßige Raubtier (wenigstens in diesen Teilen von Australien, denn der Norden ist noch gar wenig bekannt und es sind ja daselbst auch, der Zoologie dieser Strecken ganz zuwider, Krokodile gefunden worden) ist der w i l d e H u n d, eine Schakalart, die zwischen Wolf, Fuchs und Hund liegt. Die Farbe desselben ist nicht feststehend, wie bei dem stets grauen Cayota Kaliforniens und dem fahlen Prairiewolf der westlichen Steppen Nordamerikas, die meisten dieser ,,Dingos“ sind allerdings gelb und hellgelb, es gibt aber auch braune, lohfarbene und ganz schwarze, die letzteren haben aber dann meistens nach dem Bauch hinunter und an den Beinen eine lohfarbene Schattirung. Der wilde Hund ist noch rein Naturhund und will mit der Civilisation nichts zu tun haben, obgleich er von den Schwarzen und in seltenen Fällen auch von den Weißen gezähmt wird. Diese den Weißen angewöhnten Dingos sind dann freilich Renegaten und werden von ihren freien Brüdern gründlich gehaßt und verfolgt. Mit der Civilisation selber geht es ihnen aber wie dem Mephistopheles: „Du kannst im Großen nichts beginnen, und fängst es nun im Kleinen an.“ Gegen die ganze Civilisation mit ihren Stationen und Schafherden können sie nichts ausrichten, wären auch sehr töricht wenn sie es täten, denn gerade diese Civilisation erhält sie fett, und so halten sie sich nun an die einzelnen Schafe, denen sie auf eine wahrhaft nichtswürdige Weise nachstellen. Die Lache ist übrigens, besonders dort wo Känguruhunde gehalten werden, äußerst gefährlich für sie, denn kommen diese einmal einem der diebischen Gesellen frisch auf die Fährte, so ist er geliefert; denn einem Känguruhund - der im Stande ist, selbst den wie ein Blitz dahinschießenden Emu einzuholen - kann er keine halbe Meile weit entgehen. Aber selbst langsameren Hunden fällt er leichtsinniger Weise sehr oft zur Beute, denn die klugen Tiere, besonders wenn sie sich hinsichtlich der Schnelle dem flüchtigen Dingo nicht gewachsen /118/ fühlen, legen sich Nachts an irgend einer Fenzeckc unweit der Hürden auf die Lauer, und wehe dann dem schleichenden Dieb, wenn er, sich zu keck in ihre Nähe wagt. Nichtsdestoweniger versucht er es doch immer wieder, den doppelt bewachten Herden beizukommen, und diese sind weder am Tage in dem Scrub, noch Nachts in den Hürden vor ihm sicher, während das blutgierige Tier oft die furchtbarsten Verheerungen unter den armen Wollträgern anrichtet, und nicht allein zerreißt, was es eben verzehren will, das ließe sich noch entschuldigen, sondern mordet, so lange es noch Leben um sich sieht.
Einige der englischen Ansiedler halten sich übrigens sogar Braken, die englische Foxhounds, und sagen den Dingo ganz nach Art der englischen Fuchshetzen, wobei sie manchmal sehr hübsche Jagden haben sollen. Am Murray fand ich einen solchen „Kennel" bei Mr. Jeffries, und in den übrigen Teilen des Landes sollen sie ebenfalls hier und da vorkommen. Die Rute wird eben so gut als Siegeszeichen dabei mit nach Hause gebracht, als vom Fuchs in England, und sie haben auch nie zu fürchten, daß sie einen Tag ausreiten, o h n e auf eine frische Fährte zu kommen und den Dingo zu fassen. Sie kehren selten oder nie ohne Jagdbeute heim. —
Schlangen soll es in sehr großer Menge hier in Australien geben, jetzt, im Winter, lagen sie aber fast sämtlich in ihren Erdhöhlen oder in hohlen Bäumen versteckt, und wenn ich auch hier und da die frische Spur derselben, an einem schönen warmen Tage, im Staube oder Sande fand, bekam ich doch nicht eine einzige selber zu Gesicht. Zu diesen Reptilien kann man übrigens auch eine sehr große Art Eidechse, die mehrere Fuß lang wird, zählen. Die Schwarzen halten diese für einen Leckerbissen, und sie wird auch von vielen Weißen gern gegessen.
An Geflügel findet man den schwarzen Schwan, den Pelikan, die wilde Gans, eine sehr große Menge verschiedener Arten von Enten - eine besonders mit sehr scharfem Mo- schusgeruch, eine wunderschöne Art Kranich, und unter einer großen Anzahl kleinerer den sogenannten native companion, /119/ der bis vier und fünf Fuß hoch wird und in seinem ganzen Gang und Äußern - nur nicht in der Farbe, denn er hat ein sehr hübsches Stahlgrau - ungemeine Ähnlichkeit mit unserem deutschen Storch hat, zu dessen Geschlecht er auch unstreitig gehört, nur daß der Schnabel kürzer ist.
Die Gravität, mit der diese native companions einherschreiten, ist wirklich possierlich anzusehen, und sie gleichen nicht selten in Gang und Bewegungen - so wunderbar das auch klingen mag - Menschen, die sich teils in Gedanken, teils auf müßigem Spaziergang, teils ihren Geschäften nachgehend, hin und her bewegen. So sah ich einst zwei von diesen native companions von einer Lagune zur andern hinüberwechseln. Sie hatten vorher am Wasserrande gestanden und sich den Schlamm und die trübe Flut ungemein aufmerksam besehen; ihre Bemerkungen darüber konnte ich nicht hören, ich war zu weit entfernt; nachdem sie sich aber ein paar Mal gegen einander gewandt und das Terrain abwechselnd mit den Blicken genau untersucht hatten, gingen sie beide in einem Moment, wie nach vorhergegangener Verabredung, den flachen Uferrand hinauf, und schritten nun langsam neben einander hin durch den offenen Wald einer andern Lagune, oder eigentlich derselben, die nur dort eine große Biegung machte, zu, und sahen um's Leben so aus wie ein paar sauber in Stahlgrau gekleidete alte Herren, die, mit den Händen auf dem Rücken, plaudernd und behaglich auf einer kleinen Promenade nach Tisch im Walde spazieren gingen. Langsam schlenderten sie so neben einander hin und verschwanden bald darauf hinter den andern Arm der Lagune begrenzenden Gumbüschen.
Das Schnabeltier, berühmt, weil es bis jetzt das einzige entdeckte Säugetier mit einem Vogelschnabel ist, habe ich mehrere Mal am Murray gesehen, wo es oft in die Höhe springt, daß man im ersten Augenblick glaubt, es sei ein Fisch, der an die Oberfläche schlage; zweimal traf ich es auf dem festen Lande, aber immer dicht am Ufer, und ehe ich es auf's Korn nehmen konnte, war es stets untergetaucht.
So arm die Tierwelt in Australien an Vierfüßlern sein mag, so unendlich reich ist sie dagegen an Vögeln, und ich /120/ habe bis jetzt in keinem Teile der Welt eine solche Mannigfaltigkeit in Gefieder und Farbenpracht gesehen, wie bei den hiesigen Arten der Papageien und Kakadus, Wasservögel und Tauben.