Читать книгу Hüben und Drüben - Gerstäcker Friedrich, Jurgen Schulze - Страница 2

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Damit drückte er dem darüber auf's Aeußerste Erstaunten zwei harte Thaler in die Hand und schritt dann rasch dem Dorf wieder zu, um dort den Schulzen aufzusuchen. Aber Brenner hatte Recht gehabt; den Schulzen fand er wohl, aber in einem vollkommen unzurechnungsfähigen Zustand. Er taumelte, mit den Knechten, der eigenen Frau und selbst dem Kettenhund zankend, auf dem Hof herum und schwatzte lauter Unsinn, so daß ihn der Fremde mußte stehen lassen und weggehen. Allerdings wollte die Schulzin gerne aus ihm herausbekommen, was ihn hergeführt; er hielt es aber nicht für der Mühe werth, ihr das weitläufig auseinander zu setzen, sondern ließ sie, von der wüsten Wirthschaft angeekelt, stehen /66/ und verließ, kaum eine Viertelstunde später, wieder mit seinem Wagen das Dorf.

8.

Das Bekenntniß.

Wieder mochten vier Monate nach den im letzten Capitel beschriebenen Vorgängen verflossen sein, und wenn die Welt auch indessen ihren ruhigen, ungestörten Gang fortzurollen schien, so hatte sich doch in Osterhagen Manches in der Zeit verändert, namentlich in des Schulzen Haus.

Der Schulze selber war nämlich plötzlich gestorben - man sagte, an einem Herzschlag vom vielen Trinken, mit dem er die Zerrüttung seiner Vermögensverhältnisse betäuben wollte. Auch Anderes erzählte man sich im Dorfe; der Großknecht sollte es schon in letzter Zeit mit der Frau gehalten haben, und ein paar gute Freundinnen schüttelten immer sehr bedenklich mit dem Kopf, wenn die Rede auf den schnellen Tod des Mannes kam, und meinten auch wohl, man würde schon noch 'was erleben, und zwar die Heirath des früheren Knechtes mit der Wittwe - aber der Knecht war eines Morgens spurlos verschwunden und kam nicht wieder, und die Frau wüthete so im Haus herum, daß es kein Mensch bei ihr aushalten konnte und neue Mägde keine Woche in der Wirthschaft bleiben wollten.

Wer sich nun wohl am meisten über den Verfall des ihm verhaßten Hauses gefreut haben würde, wäre der alte Bänkelsänger gewesen; aber mit dem ging es ebenfalls auf die Neige. Seine Gliederschmerzen hatte er allerdings seit jener Zeit nicht wieder bekommen, aber dafür peinigte ihn ein anderes Leiden, das einen viel ernsteren Charakter zu haben schien und ihn jetzt unbarmherzig an sein Lager fesselte. Was es war, konnte der Bader allerdings nicht herausbekommen, aber Brenner behauptete, er sei ein Esel und wisse nicht einmal /67/ den Unterschied zwischen Leibschneiden und Wassersucht; er solle ihn nur ruhig sterben lassen, wenn seine Zeit gekommen wäre, weiter verlange er nichts. Verschriebene Blutegel und Schröpfköpfe wies er mit Entrüstung von sich und schwur, er bräche dem Bader den Hals, wenn er ihm mit einem seiner Blutmittel zu nahe käme.

Uebrigens hatte ihn sein früherer guter Humor ganz verlassen; dumpf vor sich hinbrütend lag er Tage lang auf seinem Bette, und es war sogar einmal, wo von der Kunzen der Name der „Falleri" erwähnt worden, geschehen, daß er nach dem Geistlichen verlangte, weil er ihm etwas mitzutheilen hätte. Als dieser aber kam, mußte er seinen Entschluß geändert haben, denn er that, als ob er schliefe, und es war nichts aus ihm heraus zu bekommen.

Am andern Morgen war er noch unruhiger geworden. „Wenn ich die Falleri nur noch einmal sprechen könnte," sagte er in einem fort, „nur noch einmal eine Viertelstunde, und der Herr Assessor würde es erlauben - aber es gehr nicht mehr, es geht nicht. Ich fühl's, die alten Knochen wollen keinen Dienst mehr thun, und nicht einmal eins von meinen Liedern fällt mir bei. Blos das eine - das eine, und das bring' ich nimmer aus dem Sinn."

Er klagte über heftige Schmerzen im Magen und genoß auch nur sehr wenig, schien aber von einer merkwürdigen Unruhe geplagt zu sein, und machte oft den freilich immer vergeblichen Versuch, aufzustehen - er brachte es nicht fertig. -

In dieser Zeit kehrte der junge Officier zurück, aber diesmal nicht allein, sondern in Begleitung einer älteren, sehr vornehm aussehenden Dame, die er Tante nannte. Beide zogen aber bei Niemandem Erkundigungen ein, sondern, wie nur der junge Mann die ältere Dame aus dem Wagen gehoben hatte, befahl er dem Kutscher, auszuspannen, reichte ihr dann seinen Arm und führte sie durch das Dorf direct dem Kirchhof zu.

Dort blieben sie eine ziemliche Weile. Eine Partie Dorfjungen war ihnen nachgelaufen, um sich die bunte Uniform des Husaren in der Nähe zu besehen, getraute sich aber nicht auf den Kirchhof selber, sondern blieb draußen an dem hölzernen Gitter stehen. Dort sahen sie, wie die Beiden zuerst nach der /68/ rechten Seite des Kirchhofs zwischen die alten Gräber gingen und die Dame mitten in das Gras und Unkraut hineinkniete.

Dann stand sie wieder auf, und sie stiegen nach der andern Seite hinüber, wo sie erst eine kleine Weile umhersuchten, und dann neben einem Grab eine ganze Zeit lang verweilten. Jetzt schritten sie wieder dem Eingang zu, und die Jugend lief, was sie laufen konnte, in das Dorf zurück, damit sie der Officier nicht an der Kirchhofsthür erwischte.

Die beiden Fremden folgten ihnen aber nicht dorthin, sondern bogen gleich vor dem Kirchhofe nach dem Gemeinde-Hause zu ab, das aber der Officier allein betrat und nach dem alten Manne frug, der ihn damals auf den Kirchhof geführt. Die Dame verfolgte indessen langsam und allein den Weg in's Dorf.

Die alte Frau Kunze, die aber auch, seit wir sie zum letzten Mal gesehen, ordentlich eingeschrumpft und vertrocknet schien, stand gerade in der Thür, als der Fremde das Haus betrat.

„Ja Du lieber Gott," sagte sie auf seine Frage nach dem alten Mann, „da ist er, so viel steht fest, und fort kann er nicht mehr, aber schlecht ist's ihm auch - hundeschlecht, und reden thut er auch nicht mehr, schon die letzten zwei Tage. Er kann's nicht mehr lange machen, und es wird wohl bald wieder eine Stube hier im Quartier frei werden."

„Und kann ich ihn sehen?"

„Ja, warum nicht, aber es ist nicht mehr viel an ihm zu sehen; ein Häufchen Unglück, weiter nichts; wenn Sie herein kommen wollen, ich will's ihm sagen, daß Jemand da ist, der ihn sprechen möchte."

Brenner war nicht so eigen; er fühlte sich allerdings entsetzlich elend, aber er nahm trotzdem Besuche an, unterbrach es doch die furchtbare Monotonie seines Lebens und brachte ihn vielleicht für kurze Zeit auf andere Gedanken.

Der junge Officier betrat übrigens kaum das Gemach, als er auch rasch den sehr verschlimmerten Zustand des Alten in seinen eingefallenen Wangen und hohlen Augen erkannte.

„Lieber Freund," sagte er theilnehmend, „es thut mir wahrhaft leid, Sie so krank und matt zu finden, und ich will /69/ Sie nicht lange stören. Aber ich weiß auch Niemanden weiter hier im Ort, um eine bestimmte Auskunft zu erlangen, und um die wollte ich Sie bitten."

„Des Grabes wegen?" sagte der Alte.

„Nein, der Tochter jener Frau wegen, die von hier fortgezogen sein soll," lautete die Antwort. „Können Sie mir ihren genauen Namen und jetzigen Wohnort angeben?"

„Und weshalb?" frug Brenner scheu zurückhaltend.

„Es ist eine weitläufige Geschichte," fuhr der Officier fort, „die Sie wohl ermüden würde anzuhören; aber so viel kann ich Sie versichern, daß es dem jungen Mädchen keinenfalls zum Schaden gereichen soll; ja es ist möglich, daß wir durch sie auf die Spur eines lange verlorenen Theils unserer Familie kommen."

„Durch die Falleri?"

„Wie heißt sie?"

„Wie ihre Mutter - Valerie, aber hier im Haus und im Dorf nannten sie sie nur die Falleri."

„Und wo hält sie sich jetzt auf? - wie geht es ihr?"

Der Alte war todtenbleich geworden, seine Lippen zitterten, seine ganze Gestalt bebte, und er fiel auf sein Kissen zurück, wo er mehrere Minuten regungslos liegen blieb. Der junge Mann hatte ihn indeß besorgt betrachtet, wenn er sich auch die Aufregung des Kranken bei der einfachen Frage nicht erklären konnte. Dessen sonst so kräftige Natur siegte aber bald wieder, über die augenblickliche Schwäche des Körpers wenigstens, und sich mühsam aufrichtend sah er den jungen Fremden zuerst wie erstaunt an, als ob er sich nicht gleich besinnen könne, was ihn hierhergeführt; doch kehrte die Erinnerung bald zurück und mit ihr das Gefühl seiner Schwäche, seines Leidens.

„Es geht mit mir zu Ende," sagte er leise, „ich merk' es wohl, es kann nicht mehr lange dauern, und vielleicht ist's gut, daß Sie hierher gekommen sind. Ich habe den Geistlichen schon einmal rufen lassen, aber - ich mag die Pfaffen nicht leiden; sie stecken voller Redensarten und Sprüche und beweisen Einem aus der Bibel, daß schwarz roth und roth gelb ist."

„Aber Sie haben wahrscheinlich meine Frage nicht ver-/70/standen," unterbrach ihn der Officier, der natürlich glauben mußte, das Gefühl seiner Krankheit habe ihn alles Andere vergessen lassen; „ich wollte gern wissen, wo jenes junge Mädchen -"

„Ich weiß, was Sie fragen wollen," winkte ihm der Alte mit der Hand, „und Sie sollen Antwort haben. Sie sitzt im Zuchthaus."

„Im Zuchthaus?" rief der Fremde, erschreckt von dem Kasten emporspringend, auf dem er neben dem Bett des Kranken gesessen - „was um Gottes willen ist da vorgefallen?"

„Bleiben Sie auf Ihrem Platz," winkte der alte Mann; „ich kann nicht laut reden - Sie sollen Alles erfahren - ich muß Jemanden haben, dem ich es erzählen, dem ich mein Herz ausschütten kann, ehe ich sterbe, und ich glaube, es - ist die höchste Zeit dazu."

„Aber was, um Gottes willen, hat die Unglückliche verbrochen?" rief der junge Officier.

„Hören Sie zu - Sie erfahren Alles zusammen," sagte der Alte, „vielleicht - läßt sich auch noch Alles wieder gut machen - Vieles wenigstens, denn Alles doch nicht mehr. - Also um mit dem Kind, der Falleri, zu beginnen: ihre Mutter, die eigentlich nicht recht hierher paßte und jedenfalls einmal früher vornehm und reich gewesen sein mußte, aber herunter gekommen und wahrscheinlich zu stolz war, das die vornehme Sippe merken zu lassen, zog hier in's Dorf und lebte von ihrer Hände Arbeit. Weshalb sie so oft auf den Kirchhof ging und das Grab mit dem spitzen Stein besuchte, weiß ich nicht; sie hat's Niemandem erzählt, auch nichts über sich und ihre frühere Zeit. Da starb ihr Knabe, und von der Stunde an war sie ebenfalls reif. Sie starb und hinterließ nichts als ein paar Sachen, die verkauft werden mußten, um die Begräbnißkosten zu decken - ein Leinentuch war darunter mit ein paar Buchstaben und einer Krone darüber."

„Was für Buchstaben?" rief der junge Mann rasch.

„Wer hat sich darum gekümmert," seufzte der Alte - „ich dächte, ich hätte einmal gehört, es wäre ein F. dabei gewesen, aber ich weiß es nicht mehr. Das einzige Erinnerungs¬/7l/zeichen an die Zeit trägt die Falleri noch um den Hals - ein Kreuzchen und den Trauring ihrer Mutter selig."

„Ist das gewiß?"

„Wenn sie ihn ihr nicht im Zuchthaus weggenommen haben," nickte Brenner - „aber lassen Sie mich reden, oder ich komme nicht zu Ende. Die Falleri kam in's Gemeinde-Armenhaus. Armes Kind! Sie war hier wie verrathen und verkauft, und hat eine böse Zeit mit durchgemacht - aber nachher wurd's noch schlimmer. Wie sie confirmirt worden, mußte sie natürlich in Dienst, und wie sie erst zu der Schulzin kam, hatte sie die Hölle auf Erden -"

„Armes, armes Kind!"

„Ja wohl, armes Kind! Ich mochte sie leiden und half ihr einmal aus der Verlegenheit, als sie ihr den Schmuck wegnehmen wollten, um ihr eine lappige Fahne zur Confirmation zu kaufen - und wie dankbar war sie mir dafür!"

Er schwieg eine Weile still, um wieder Athem zu schöpfen, denn das Reden griff ihn an, und fuhr endlich, leiser als vorher, fort:

„Ich hab' auch ein Hundeleben geführt, so lange ich denken kann - ich weiß gar nicht, wie einem Menschen zu Muthe ist, den Jemand lieb hat. und herumgestoßen und getreten haben sie mich aus einer Ecke in die andere, bis ich endlich das wurde, was ich auch geblieben bin bis zur heutigen Stunde - ein Lump. Das Kind machte zuerst einen andern Menschen aus mir, denn es hatte mich lieb, und von da an war's, wenn ich sie nur mit Augen sah, als ob es immer und ewig dunkel um mich her gewesen wäre, und nun auf einmal hell würde. - Und weshalb war sie dankbar gegen mich? Lieber Gott, was hatte ich denn gethan? - weiter nichts, als ein paar geräucherte Schinken gestohlen und von dem Ertrag ihren Confirmationsrock bezahlt! - Von da an wachte ich über sie, und das Herz drehte mir's im Leib herum, wenn ich sah, wie sie behandelt wurde, wie sie von Tag zu Tag mehr abmagerte und elender und jammervoller aussah, und ich ihr doch nicht helfen konnte. Da kam das Aergste. Die Falleri hielt's selber nicht mehr aus, wenn auch sonst kein Mucks, keine Klage über ihre Lippen kam. Sie lachte nie, wie andere Kinder, aber /72/ sie weinte auch nie, und was sie trug, trug sie still mit sich herum. Sie kündigte den Dienst beim Schulzen, und ich war schon lange mit mir einig, wie ich alles das, was sie dort ausgestanden, wett machen wollte. Ich legte mich in‘s Bett und that, als ob ich sterbenskrank wäre, und wollte so etwa eine Woche liegen bleiben. Da kam eines Abends die Falleri herüber, um Abschied zu nehmen, das Gesicht zerschlagen, das arme schwache Kind mißhandelt und als Diebin aus dem Haus gejagt. So wanderte sie allein in die Nacht hinaus in die Stadt, um einen neuen Dienst zu suchen, und nun kochte es auch bei mir über. Wie ich Alles im Bett wußte - denn der Nachtwächter schlief regelmäßig, bei schönem Wetter, unter der Linde - kroch ich leise aus meinem Fenster, ein paar Päckchen Schwefelhölzer hatte ich mir schon verschafft, schlich durch's Dorf, machte dem Schulzen hinten in seiner Scheune ein hübsches Feuer an, und war richtig wieder in meinem Bett, ehe sie die Flamme spürten und Lärm machen konnten. Natürlich konnte kein Mensch glauben, ich wär's gewesen, denn ich war ja nicht einmal im Stande aufzustehen, viel weniger in's Dorf zu laufen."

„Und da fiel der Verdacht auf die Unglückliche," rief der Officier erschreckt.

„Hören Sie weiter," sagte der Mann. „Des Schulzen Hof brannte nieder und noch ein paar andere Buden - wenn der Teufel erst einmal die Hand im Spiele hat, läßt er sich auch sein Vergnügen nicht so bald wieder stören. Wer war's gewesen? Ich lachte schon in's Fäustchen. Da plötzlich brachten sie mir die Nachricht, sie hätten die Falleri, als des Brandes verdächtig, aufgegriffen. - Bah, dacht' ich, die müssen sie auch wieder loslassen, denn beweisen konnten sie ihr nichts - wie ich aber nach einiger Zeit höre, sie hätt's eingestanden, da litt's mich nicht länger im Bett. - Ich wurde wieder gesund und machte mich hinüber, um selber mit ihr zu sprechen, denn meinetwegen sollte die Falleri wahrhaftig nicht in's Zuchthaus. Aber was war's? Sie blieb dabei, sie hätt's gethan. Wie sie von hier fort wäre, hätt' sie das Feuer angelegt, und wolle nun ihre Strafe leiden. Was sollt' ich jetzt thun? - Möglich war's - gereizt hatten sie das arme Ding genug, /73/ um ein ganzes Dorf nieder zu brennen, und wenn ich es ihr auch bis dahin nicht zugetraut, sie konnt's gethan und fast an derselben Stelle Feuer angelegt haben wie ich selber, hatt' ich mich doch auch nicht dort aufgehalten, und war wie ein Donnerwetter wieder in meinen Bau gerutscht. Was sollt' ich jetzt thun? Ich rieth ihr, die Aussage zu widerrufen, aber sie wollt's nicht - sollt' ich mich jetzt auch angeben, was hätt's ihr genutzt? - dann hätten sie uns nur Beide zusammen eingespunnt. Ein merkwürdiges Zusammentreffen war's, aber doch immer möglich, und da ich ihr nicht helfen konnte, ließ ich die Sache eben gehen."

„Und nun?"

„Damals war ich noch gesund," fuhr der Alte fort, „und dachte auch, die Falleri hätt's eigentlich im Zuchthaus noch besser als draußen, wo sie von aller Welt herumgestoßen und mißhandelt wurde. Jetzt aber, wo's zu Ende geht, und ich die elende Zeit hatte, zu grübeln und immer nur zu grübeln, da sind mir andere Gedanken gekommen. Die Falleri hat's nicht gethan - sie kann's nicht gethan haben, und wegen meiner sitzt sie jetzt hinter den eisernen Gittern und spinnt Wolle."

„Und wenn sie es nun doch mit gewesen wäre?"

„Nein, - es ist nicht möglich, sag' ich," rief der Alte, „gleich auf frischer That ja, aber nicht mehr, wo sie erst bei ihrer Mutter selig auf dem Kirchhof gewesen - und dann hätten zwei Stunden darüber vergehen müssen, ehe es angebrannt wäre, und das thut's nicht draußen in der Luft - entweder es geht an oder aus. Sie kann's versucht haben, aber ihres ist nicht angegangen, und der Brandstifter liegt hier und härmt sich die Seele aus dem Leibe. - So - jetzt ist's heraus - jetzt machen Sie, daß Sie in die Stadt zum Assessor Buntenfeld kommen - dem erzählen Sie die Geschichte - der bringt's wieder in Ordnung, damit ich ruhig sterben kann. Wenn sie mich dann auch noch vorher in's Zuchthaus transportiren, was thut's - dort hab' ich jedenfalls bessere Pflege als hier in dem öden Nest, und jetzt ist mir auch das Herz wieder leicht, da ich's ausschütten konnte, was mir darauf gelegen die langen Jahre." /74/ „Und habt Ihr einen Arzt hier?"

„Ja - einen, wovor Einen Gott bewahren soll - einen Blutegel, der Alles mit Schröpfköpfen und Aderlässen curirt; wenn sich Einer über Halsschmerzen beklagt, zieht er ihm einen Zahn aus und sagt: das hilft."

„Und seid Ihr bereit, das, was Ihr mir gesagt, in Gegenwart des Assessors zu wiederholen?" frug der junge Mann, von seinem Sitz aufspringend. Der Alte zögerte einen Augenblick mit der Antwort; endlich aber sagte er:

„Wenn's die Falleri frei macht, und wenn's sein muß - ja in Gottes Namen - den Hals können sie mir nicht abschneiden, und ich muß mit der Geschichte in's Reine kommen; die anderen will ich schon selber vor'm lieben Gott verantworten, denn ich bin eigentlich nie ein böser Mensch gewesen, wenn sie mich auch manchmal gern dazu gemacht hätten."

Der Soldat hatte schon lange seine Mütze aufgegriffen, aber sich noch einmal in dem wirklich trostlos öden Gemach umschauend, sagte er:

„Wie ich sehe, fehlt es Euch hier an jeder Bequemlichkeit - es ist möglich, daß Ihr uns einen großen Dienst geleistet habt, daß wir dadurch auf die Spur einer bis dahin verloren Geglaubten kommen, und ich - möchte nicht, daß es Euch bis dahin an etwas fehle. Ich werde mit dem Assessor heraus kommen, aber auch einen ordentlichen Arzt mitbringen, und hier - ist indessen Geld, damit Ihr Euch anschaffen könnt, was Ihr gerade nothwendig braucht."

„Du lieber Gott," sagte Brenner ordentlich erschreckt, als ihm der Fremde zwei Goldstücke auf das Bett warf - „das ist zu viel, das - das kann ich gar nicht durchbringen." - Ehe er ihm aber nur ordentlich danken konnte, war der junge Mann schon zum Zimmer hinaus und auf seinem Weg zum Gasthof, wo er die indessen langsam vorangegangene alte Dame noch einholte und mit ihr im eifrigen Gespräch auf- und abschritt, bis der Kutscher wieder angespannt hatte und jetzt im scharfen Trab der Stadt zufuhr. /75/

9.

Der Besuch im Zuchthaus.

Der junge Officier schien nicht viel Zeit zu versäumen, denn noch am nämlichen Abend, lange vor Dunkelwerden, rasselte eine Extrapost durch Osterhagen durch, hielt sich aber gar nicht am Gasthof auf, obgleich der Postillon einen sehnsüchtigen Blick hinüber warf, sondern passirte im scharfen Trabe das Dorf und hielt erst vor dem Gemeinde-Armenhaus, sehr zum Erstaunen der Dorfbewohner und Insassen des Hauses selber - nur nicht des alten Brenner, der recht gut wußte, was das zu bedeuten habe.

In dem Fond des Wagens saß der Medicinalrath aus der Stadt mit dem alten Assessor Buntenfeld, auf dem Rücksitz ein junger Beamter mit einem Stoß Papier und seinem Schreibzeuge in der Tasche, und der Officier.

Wie der Wagen hielt, wollte die alte Frau Kunze die Honneurs machen, wurde aber gleich bei Seite geschoben und beordert, die Herren nicht zu stören, die sich dann auch ohne Weiteres in das Zimmer des Kranken begaben.

Der Arzt, der ihn vor allen Dingen untersuchte, schüttelte allerdings mit dem Kopf und meinte: der Kranke sei falsch behandelt worden, denn Schröpfköpfe würden ihm allerdings wenig helfen, da er an einem schon sehr vorgeschrittenen Magenkrebs leide. Brenner aber lachte bitter vor sich hin und sagte:

„Falsch bin ich nicht behandelt worden, Herr Doctor, mein ganzes Leben lang, aber schlecht; das war der Fehler - den Taschenkrebs habe ich schon von Jugend auf gehabt, und daß sich der endlich in den Magen gefressen hat, ist eben kein großes Wunder - das Quartier stand gewöhnlich leer. Aber desto besser, wenn's zu Ende geht, so hört die Schinderei doch einmal auf, denn ich hab's gerade lange genug ertragen."

„Und Ihr habt mir etwas mitzutheilen, Brenner?" frug /76/ der Assessor, der die Zeit nicht gern versäumen wollte. „Können wir damit beginnen?"

„Setzen Sie sich dahin, Herr Assessor," sagte der Alte; „einen Tisch haben wir hier freilich nicht - in der Küche steht nur einer, doch den bringen wir nicht durch die Thür - der Herr Actuar muß auf den Knieen schreiben - ich werde auch nicht weitläufig sein, denn was mein früheres Leben betrifft, so geht das Niemanden mehr etwas an."

„Und Ihr wollt die Wahrheit sprechen?"

„Mir ist jetzt nicht mehr wie Lügen zu Muthe, Herr Assessor - setzen Sie sich nur, Sie sollen die ganze Geschichte hören, und der Herr Doctor mag als Zeuge dabei bleiben, damit Sie's genau wissen und die arme Falleri wieder frei kommt."

Der Actuar hatte sich bald einen Platz zum Schreiben hergerichtet, und das eigentliche Verhör begann jetzt. Der Assessor brauchte aber kaum eine Frage zu thun, denn der Alte, der schon genau zu wissen schien, welche Punkte er hervorheben mußte, hielt sich nur eine Weile bei der Art und Weise auf, wie das Kind hier in Osterhagen behandelt sei - gewissermaßen um sich selber zu rechtfertigen, daß er es eine Zeit lang für möglich gehalten, sie könne es gethan haben, und ging auf die Umstände jenes Abends über, die er mit klaren, einfachen Worten schilderte und nur zum Schluß hervorhob, daß, wenn die Falleri wirklich dieselbe Absicht gehabt habe - was er aber vor Gott nicht glaube - so könne ihr Feuer gar nicht angegangen, sondern müsse wieder verlöscht sein. Er aber sei seiner Sache gewiß - er wäre nicht eher fortgegangen, bis er im Stroh die helle Flamme gesehen habe, und die hätte denn auch nicht lange auf sich warten lassen, weiter zu fressen, denn er sei kaum wieder in sein Fenster geklettert und habe sich auf's Bett geworfen, als der Lärm schon losgegangen wäre.

Der Assessor sprach wenig hinein - unterwegs schon hatte ihm der Fremde die Vermuthungen mitgetheilt, die er über die früheren Schicksale von Valerie's Mutter und deren Abstammung hege, und die erst zur Gewißheit werden konnten, wenn man das unglückliche junge Mädchen selber sprach und /77/ den Schmuck sehen konnte, den sie noch von ihrer Mutter bewahrte. Noch hatte man allerdings keine Gewißheit, wenn auch starke Gründe zu der Vermuthung, denn Valerie war allerdings der Name der Verschollenen gewesen, und Edmund der Vorname ihres Gatten; der aber dort unter dem spitzen Stein begraben lag, wäre der Vater der Verstorbenen gewesen, an dessen Grabe diese so oft gesessen.

Der Kranke hatte durch die lange Erzählung aber seine Kräfte vollständig erschöpft, und der Arzt rieth ihm jetzt Ruhe an, versprach ihm auch, da der Fremde für alle Kosten einstand, sowie sie nach der Stadt zurückgekehrt wären, die nöthigen Arzeneien und Stärkungen wie auch eine zuverlässige Person heraus zu senden, die ihn pflegen solle. Transportirt konnte er natürlich in dem Zustand nicht werden, und man mußte abwarten, wie sich die Krankheit entwickelte.

In Osterhagen steckten die Leute allerdings die Köpfe zusammen, was da vorgefallen sein könne, und weshalb eine Extrapost vor dem Gemeinde-Armenhause und nicht vor der Thür des neuen Schulzen oder wenigstens vor dem „Gasthof" gehalten habe. Die Frau Kunzen wurde auch von verschiedenen Nachbarinnen auf das Schärfste inquirirt, wußte aber leider gar nichts anzugeben, als daß die fremden Herren bei dem Brenner drin gewesen und lange mit ihm gesprochen hätten. Allerdings gestand sie den Versuch ein, „etwas Bestimmteres" zu erhorchen; so oft sie aber der Thür nur nahe kam, öffnete der Officier dieselbe und sah heraus, und sie mußte dann jedesmal wieder in die Küche fahren.

Uebrigens wurde die Aufmerksamkeit der Bewohner von Osterhagen an dem Tage sehr getheilt, denn noch spät gegen Abend traf ein anderer Fremder ein, der von der Frau des verstorbenen Schulzen eine ziemlich bedeutende Summe forderte und fällige Wechsel dafür in Händen hielt. Natürlich hatte sie nicht bezahlen können und der Fremde dann erklärt, daß er sie verklagen und das Gut verkaufen lassen würde. Wie ein Lauffeuer ging auch das Gerücht durch das Dorf: „der Schulzenhof," wie das Gut immer noch hieß, „käme unter den Hammer" - aber bedauert wurde die Frau deshalb von Niemand. Sie hatte sich zu wenig Freunde dafür gemacht. /78/ Indessen bereitete sich aber in der Stadt eine andere Scene vor, denn vor Aufregung zitternd, hatte die alte Dame, die in Begleitung des Officiers den Kirchhof zu Osterhagen besucht, die Rückkehr der kleinen Expedition erwartet. Für diesen Abend war freilich nichts weiter zu thun, denn wenn auch das Zuchthaus selber unmittelbar an der Stadt lag, war der Tag doch schon zu weit vorgerückt, um heute noch Schritte zu einer weiteren Untersuchung thun zu können. Der nächste Morgen mußte abgewartet werden; dann aber versprach auch der alte Assessor, der jetzt selber anfing sich für die Sache zu interessiren, mit ihr hinauf zu fahren und die Erledigung der Angelegenheit soviel als irgend möglich zu beeilen - es verstand sich von selbst, daß sie dann noch immer langsam genug vorwärts ging.

Vor allen Dingen war es dort nöthig, als sie etwa um zehn Uhr das unheimliche Gebäude erreichten, das goldene Kreuz und den Ring zu sehen, den die Gefangene trug, oder wenigstens getragen hatte, denn des Assessors Vermuthung bestätigte sich: er war ihr, als sie eingekleidet wurde, abgenommen worden. .

Hier aber ward die Vermuthung zur Gewißheit. Ein ganz ähnliches Kreuz trug die Dame selber an ihrem Hals, denn für drei Geschwister waren damals solche Kreuze angefertigt worden, und zwar eins mit dem Buchstaben V., eins mit M. und eins mit I. Die verlorene oder spurlos verschwundene Schwester hieß Valerie, und der Trauring trug außerdem das Datum und die Jahreszahl ihrer Verheirathung mit dem Gatten.

„Und was hat die Gefangene gesagt, als ihr die beiden Dinge abgenommen wurden?" frug der alte Assessor, den diese Sache besonders zu interessiren schien.

„Lieber Gott, was wollte sie machen," erwiderte achselzuckend der Schließer, der die Gegenstände gerade vom Herrn Direktor heruntergeholt hatte, „widersetzen durfte sie sich doch nicht, und anfangs war es freilich, als ob sie sie nicht hergeben wollte; aber auf einmal stand sie ganz still, nahm das schwarze Band ab, das ihr um den Hals hing, küßte das Kreuzchen und den Ring, und legte beides dann, ohne ein Wort weiter /79/ zu sagen, oder eine Thräne darum zu vergießen, auf den Tisch - derlei Leute machen sich aus so 'was nicht viel."

„Und wie hat sich die Gefangene bis jetzt betragen?"

„Gegen ihr Betragen läßt sich nichts einwenden," meinte der Mann, „sie ist die Beste von Allen, und die Stillste und Fleißigste - der Herr Direktor sind auch sehr mit ihr zufrieden."

Der „Herr Direktor" kam jetzt selber und schien es nicht besonders gerne zu sehen, daß man eine von „seinen" Gefangenen sprechen wolle, konnte es aber auch nicht gut einem Criminalbeamten, der noch dazu im speciellen Auftrag der obersten Justizbehörde in -* kam, abschlagen, und gab den Befehl, die Gefangene von ihrer Arbeit abzurufen und hierher zu bringen.

In dem kleinen Empfangszimmer, das aber ebenfalls mit starken eisernen Stäben versehen war, saß die alte Dame, neben ihr, und sie unterstützend stand der Officier, und vor ihnen, um die ganze Verhandlung zu leiten, der alte Assessor.

Als das junge Mädchen das Zimmer betrat, blieb sie, wahrscheinlich einen weiteren Befehl erwartend, mit niedergeschlagenen Augen an der Thür stehen. Sie sah nicht allein bleich aus, sondern hatte besonders jene ungesunde, fahle Gesichtsfarbe, die, von der dumpfen Kerkerluft herrührend, den Gefangenen eigen ist.

Der Direktor hatte sein Buch neben sich liegen, in dem er den Namen nachsah, den die Gefangene früher geführt hatte.

„Edmunden," sagte er, „komm näher; hier ist ein Herr, der ein paar Fragen an Dich richten will."

Das Mädchen gehorchte dem Befehl, ohne aber noch aufzusehen; fast wie mechanisch bewegte sie sich einige Schritte vor und blieb dann wieder stehen, um das Weitere zu erwarten.

„Kennst Du mich noch, Valerie?" sagte da der alte Assessor freundlich.

Das junge Mädchen, das den Beamten jedenfalls an der Stimme erkannt haben mußte, denn sie hob den Blick nicht, sagte leise:

„Ja." /80/

„Ich habe Dir einen Auftrag auszurichten," fuhr der Assessor fort, „einen Gruß von einem alten Bekannten, vom alten Brenner aus dem Gemeinde-Armenhaus zu Osterhagen."

Eine leichte Röthe zuckte über Valerie's Gesicht, das aber weiter keine Bewegung verrieth; auch diese etwas dunklere Färbung verschwand bald wieder, und sie erwiderte nur leise:

„Ich danke Ihnen vielmals."

„Hm," meinte der Assessor, der erwartet haben mochte, daß sie ihn nach dem Alten weiter fragen würde; „Du scheinst Dich für Osterhagen nicht mehr besonders zu interessiren. Der Alte ist aber recht krank - er liegt im Sterben und hat mich neulich rufen lassen und mir etwas vertraut."

Die Gefangene hörte jedenfalls die Worte, schien aber nicht den geringsten Antheil daran zu nehmen. Sie nickte nur schweigend mit dem Kopf und erwartete, was ihr weiter gesagt werden würde. Was lag auch daran, wenn ein Mensch krank wurde und starb - der hatte es überstanden und wurde in die stille Erde gelegt. Wie oft hatte sie sich selber schon danach gesehnt! Der Assessor kam aber dadurch, während die alte Dame das junge Mädchen mit steigender Spannung betrachtete, etwas außer Fassung und mußte wieder ganz von vorn anfangen.

„Ja, mein Kind, dem alten Brenner geht's recht schlecht," sagte er, „und, wie er glaubt, auch wohl mit ihm zu Ende. Da hat er denn vor seinem Tode noch ein Bekenntniß abgelegt, das Dich auch mit betrifft und nahe angeht."

„Mich?" sagte Valerie und hob zum ersten Mal das große, schwarze Auge empor. Als aber ihr Blick zugleich dabei auf die Dame fiel, senkte sie ihn wieder zu Boden, und glühende Röthe flog für einen Moment über ihre Züge. War es doch das erste Mal wieder seit ihrer Verhaftung, daß sie sich in Gegenwart einer Frau befand, die sie an das Bild ihrer eigenen Mutter aus früherer Zeit erinnerte. Warum führte man sie nur hierher? weshalb ließ man sie nicht in ihrer Zelle? Sie vergaß ganz, daß der Assessor zu ihr gesprochen und ihr gesagt hatte, der alte Brenner habe ein Geständniß gemacht, welches auch sie angehe und betreffe. Der /81/

Assessor aber, der wohl merkte, wie theilnahmlos die Gefangene seinen Bericht anhöre, fuhr fort:

„Er hat nämlich gestanden, daß nicht D u, sondern e r das Feuer in Osterhagen angelegt habe, und ich frage Dich jetzt, weshalb Du Dich damals als Thäterin eines Verbrechens angeklagt, das Du gar nicht begangen zu haben scheinst?"

„Der alte Brenner?" frug aber plötzlich Valerie, und in dem Moment war jedes andere Bild aus ihrem Herzen verschwunden, und nur die Erinnerung an jenen Abend tauchte hell und klar darin auf. - „Der alte Brenner hat den Schulzenhof angezündet? Der war ja krank und lag in seinem Bett."

„Krank gestellt hat er sich, ja, aber er war vollkommen gesund und munter, und weil die Leute nicht wußten, daß er sich regen könnte, fiel auch kein Verdacht auf ihn. Man glaubte auch deshalb damals, daß Du die That begangen hättest, weil Du von des Schulzen Frau so schlecht behandelt worden."

Der Assessor schwieg, weil er meinte, daß die Gefangene jetzt etwas darauf erwidern würde; aber er hatte sich abermals geirrt. Valerie entgegnete keine Silbe und nahm auch die Augen nicht mehr vom Boden empor.

„Beantworte mir die Frage, Kind," sagte da der Assessor endlich; „wie kommst Du dazu, daß Du Dich damals zu der That bekanntest? Ist es denn nicht besser, frei zu sein, als in einer solchen Anstalt eingesperrt zu bleiben?"

„Ich hab' es gethan," flüsterte da Valerie leise - „lassen Sie mich wieder fort zu meiner Arbeit - der alte Brenner war es nicht."

„Valerie!" rief da plötzlich die Dame, die sich nicht mehr halten konnte, indem sie ihre Arme ausbreitete, auf das erschreckt zu ihr emporschauende Mädchen zuflog und sie mit wilder Heftigkeit umschlang - „unglückliches Kind meiner verlorenen, armen Schwester - oh, sprich die Wahrheit - sprich die Wahrheit - hast Du es gethan?"

Valerie duldete schweigend die Umarmung; sie war wo möglich noch bleicher geworden als vorher, und stand wie in einem halben Traum. Seit ihrer Mutter Tode, die langen, /82/ langen Jahre hindurch, hatte sie Niemand an das Herz gedrückt und geküßt - Niemand sie liebend umfangen - wachte sie denn oder träumte sie - die fremde Frau hatte gesagt: Kind meiner verlorenen Schwester! War denn das - -?

Leise wand sie sich aus ihrem Arme, drückte sie langsam von sich, und sie mit den großen, dunkeln Augen anschauend, flüsterte sie:

„Sind Sie denn - sind Sie denn die Schwester - meiner Mutter?"

„Ja, Valerie - ich bin es," rief die Fremde - „ich bin Marie, Deiner seligen Mutter Schwester, Deine Tante. Oh sprich zu mir, Kind - denke, daß mich die Angst um Dich verzehrt - bist Du es gewesen?"

Valerie hatte, während die Frau sprach, die Augen von ihr gewendet und lauschte dabei wie auf ein fernes Geräusch. Ihr Antlitz verrieth dabei keine Bewegung als die des Staunens, der Ueberraschung. Da plötzlich, als jene schwieg, rief sie, alles Andere um sich her vergessend, aus:

„Das waren die nämlichen Laute, das war die Stimme meiner Mutter - oh meine Mutter!" und mit wilder Heftigkeit zu den Füßen ihrer Tante niederfallend, umschlang sie deren Kniee, und Thränen - lindernde Thränen zum ersten Mal wieder seit langen trostlosen Jahren entstürzten ihren Augen.

„Meine Valerie! Mein Kind!" rief die Fremde bewegt, indem sie sich zu ihr niederbog. „Und so muß ich Dich wiederfinden - oh sage mir nur, ob Du das Schreckliche gethan."

„Nein, nein, nein, nein!" schluchzte aber das Kind, noch immer ihr Antlitz in ihrem Kleid bergend; „nie, nie habe ich ein Unrecht gethan - es war die erste Lüge, die über meine Lippen kam - aber wo wollte ich hin? - Alles stieß mich fort von sich - Niemand, Niemand auf der weiten Erde hatte mich lieb, und ich - wollte sterben."

„Oh, Gott sei ewig Lob und Dank!" rief da unter Freudenthränen die fremde Dame, und neben Valerie zu Boden knieend, umschlang sie das zitternde Mädchen mit ihren Armen und küßte wieder und wieder ihr Haupt. Der alte Assessor /83/ aber nahm, ganz in Gedanken, eine Prise nach der andern, und der Director sagte:

„Hm, das ist ja eine ganz wunderbare, höchst merkwürdige Geschichte und bedarf doch wohl noch einiger Aufklärung." Assesor Buntenfeld aber ging auf ihn zu, nahm ihn unter dem Arm und führte ihn an's Fenster, wo er lange und angelegentlich mit ihm sprach, so daß der alte Herr fortwährend vor Verwunderung dazu mit dem Kopf schüttelte. Eigentlich hatte der Assessor aber nur den Beiden Zeit geben wollen, sich wieder zu sammeln, und als er sich auf's Neue nach ihnen umdrehte, saß die alte Dame auf dem Stuhl, den ihr der Neffe hingerückt, und hielt die neben ihr knieende Valerie fest und innig an sich gepreßt.

Der alte Assessor war übrigens ein praktischer Mann und wußte außerdem, daß Gefühlsäußerungen nirgends mehr am unrechten Platze sein konnten als in diesen Räumen. Es mußte etwas geschehen, denn eine Wiedererkennungsscene und einfache Betheuerung der Unschuld einer schon Verurtheilten konnte diese nicht so ohne Weiteres befreien.

Außerdem hatte die Scene jetzt auch lange genug gedauert, und der Director, ein reiner Formenmensch, wäre ihm am Ende ungeduldig geworden. Er rückte sich deshalb einen Stuhl zum Tisch, nahm von dem dort liegenden Papier und forderte dann Valerie auf, ihm jetzt mit klaren Worten die Erlebnisse jenes Abends zu schildern und dabei auf das Bestimmteste auszusprechen, ob sie sich noch jetzt des früher eingestandenen Verbrechens für schuldig bekenne, oder, wenn nicht, weshalb sie früher eine falsche Aussage gemacht. Er litt auch nicht, daß Valeriens Tante ein Wort hineinsprach - er wollte nichts als die einfache Erzählung der Verurtheilten, und die gab ihm auch Valerie mit so schlichten, einfachen Worten, aber so herzerschütternd zugleich in der schmucklosen Schilderung ihres früheren Lebens, ihres trostlosen Verlassenseins, aus welchem sie nur durch den Tod befreit zu werden hoffte, daß die Dame vor Schluchzen kaum dem Gang derselben folgen konnte, und selbst der Assessor wieder ein paar Mal nach der Dose greifen mußte.

Vor der Hand ließ sich nun allerdings weiter nichts in /84/ der Sache thun, denn der Director konnte natürlich keinen der Sträflinge, was auch immer seine eigene Ueberzeugung gewesen wäre, entlassen - aber sie war trotzdem in guten Händen, denn der alte Assessor versprach ihnen schon für den nächsten Morgen alle nöthigen Papiere, und wenn er die ganze Nacht arbeiten sollte, mit denen sie dann in der Residenz die Freilassung der jedenfalls schuldlos gefangen Gehaltenen erwirken konnten.

Der Director war allerdings für seine Person noch nicht ganz überzeugt, und er meinte gegen den Assessor, es seien ihm in seiner Praxis schon ganz wunderbare Dinge vorgekommen, die er selber nicht glauben würde, wenn er sie nicht selber erlebt hätte. Aber der Justizminister oder das Ober-Appellationsgericht möchte entscheiden, und er wolle bis dahin dem jungen Mädchen ein besonderes Zimmer und bessere Kost geben, als die übrigen Gefangenen bekämen. Auch sollte sie die Zeit über von der Arbeit frei bleiben. Einen weiteren Verkehr mit ihren Verwandten, bis er genaue Instructionen habe, weigerte er sich aber zu gestatten. Das erlaubte ihm sein Dienst und seine Pflicht nicht, und nur die ersterwähnte Vergünstigung glaubte er unter den bestehenden Verhältnissen verantworten zu können.

Dabei mußte es natürlich vor der Hand bleiben, und wie schwer sich auch die Fremde jetzt gerade von dem kaum wiedergefundenen Kinde trennte, so geschah es doch in der frohen Hoffnung, die Unglückliche bald, recht bald wieder dem Leben, der Freiheit zurückgegeben zu sehen. Immerhin vergingen indeß noch volle drei Wochen, bis alle nöthigen Wege eingeschlagen, alle nöthigen Formen beobachtet waren. Aber die Aussagen des alten, bis dahin gestorbenen Bänkelsängers waren zu klar gewesen, der Assessor versäumte außerdem nichts, die bedauernswerthen Schicksale des armen Mädchens hervor zu heben, und nach Ablauf der Zeit hielt ein geschlossener Wagen vor der Anstalt und rollte bald darauf, ein paar glückliche Herzen bergend, der Residenz wieder zu. /85/

10.

Schluß.

Fünf Jahre waren verflossen, als eine offene, sehr elegante Reisekalesche eines Tages wieder langsam durch Osterhagen fuhr. Wie damals, saß auch ein Husarenofficier und eine Dame im Fond des Wagens, aber die Dame sah jung und blühend aus, und auf dem Rücksitz befand sich noch ein junges kräftiges Bauermädchen mit einem prächtigen kleinen Burschen von etwa anderthalb Jahren auf dem Schooß.

Der Wagen fuhr aber nicht nach dem Kirchhof, der keine lieben Todten mehr barg, denn schon im vorigen Jahr waren unter Oberaufsicht des alten Assessors Buntenfeld drei Särge von dort ausgehoben, in dazu herbeigeschaffte bleierne Uebersärge gelegt, diese dann verlötet und fortgefahren worden. Die Kalesche rollte nur geraden Wegs zu dem Gemeinde- Armenhaus hinaus und hielt dort.

Eine in zerrissene Lumpen gekleidete Frau, mit verwilderten Haaren, das Gesicht aber aufgedunsen und roh, als ob die widerliche Gestalt dem Trunk ergeben wäre, saß davor und starrte die fremden Besucher mit ihren gläsernen Augen an.

Die junge Dame schrak zurück und schauderte zusammen.

„Um Gott, Edmund," flüsterte sie dem Gatten zu, „das ist des Schulzen Frau - oh wie entsetzlich sie aussieht!"

„Das also ist die Dame," nickte der Officier; „die scheint allerdings schon auf Erden die Strafe für Alles erhalten zu haben, was sie an Dir, Du armes Herz, verübt; aber mit dieser Person wollen wir uns nicht aufhalten. Wie hieß die Frau, nach der Du fragen wolltest?"

„Kunze," flüsterte seine Begleiterin.

„Lebt hier im Hause noch eine alte Frau Kunze?" wandte sich jetzt der Fremde an die auf der Schwelle kauernde Gestalt.

„Hier im Haus?" knurrte diese, mit einem tückischen Blick /86/ nach dem Frager - „hier im Haus lebt Niemand als ich - Alles ist todt, Alles begraben aus dem öden Nest, und wenn Sie mich besuchen wollen, so müssen Sie Nachmittags zum Kaffee kommen."

„Aber die Frau mit den beiden Kindern," rief Valerie erschreckt, „die kann doch nicht gestorben sein?"

„Nein," lachte die Alte - „die ist blos verrückt geworden, und die Kinder sind in die Ziehe gegeben."

„Großer, allmächtiger Gott!"

„Ja, was hat der liebe Gott damit zu thun," höhnte die Halbtrunkene. „Wer hier im Hause wohnt, muß verrückt werden, und ich werde mich auch nächstens anmelden - reif bin ich schon."

„Und wer hat die Kinder aufgenommen?"

„Wer? - nun die alte Deckern war albern genug dazu. Die quält sich jetzt mit den Bälgern herum, und hat selber kaum das liebe Brod."

„Oh, laß uns hinfahren, Edmund!" bat die junge Frau- „nur fort von hier, denn mir schnürt es bei dem Anblick die Seele zu."

„Gern, mein Herz, aber weißt Du, wo jene Frau wohnt?"

„Gleich dort hinüber - sie war die nächste Nachbarin meiner armen Mutter und immer lieb und freundlich gegen mich."

„Was war sie?" schrie die Frau an der Thür, bei den Worten aufmerksam werdend - „die Nachbarin Ihrer Mutter - wie ist mir denn? - das Gesicht! Jesus, die Falleri!"

„Fort - fort!" drängte die junge Frau, und der Postillon berührte die Pferde mit der Peitsche, daß sie rasch anzogen und der Wagen die Straße hinabrollte. Hinter ihnen her aber fluchte die Halbtrunkene, raufte sich die Haare, und warf sich dann in Wuth und Haß und Ingrimm auf den Boden nieder.

Der Postillon sah sich manchmal um, die Richtung angegeben zu bekommen, die er zu nehmen hatte, aber der Weg war nicht zu fehlen; er führte um das Dorf herum, der Stelle zu, wo zwei kleine Häuser nahe beisammen lagen.

Die alte Nachbarin wohnte aber nicht mehr in ihrem /87/ früheren, jetzt baufälligen Quartier, sondern war zur Miethe in die nämliche Wohnung gezogen, die früher Valeriens Mutter inne gehabt. Wie staunte freilich die arme, alte Frau, als die elegant gekleidete, jugendfrische Dame aus dem Wagen stieg, auf die in der Thür Stehende zuging, ihr weinend um den Hals fiel und sie küßte.

„Die Falleri!" rief sie da plötzlich aus und schlug die Hände zusammen, „oh Du grundgütiger Gott, die Falleri! - und wie hübsch und groß Du geworden bist, Kind! - ach, wenn Dich Deine Mutter selig jetzt so sehen könnte, die würde eine Freude haben - und hat so wenig auf der Welt gehabt!" Die großen hellen Thränen liefen dabei der Frau über das gute alte Gesicht.

Auch Valerie weinte, als sie das Haus betrat und jetzt die Stätte sah, auf der sie mit ihrer guten Mutter so trübe - und doch auch wieder so frohe Tage verlebt. Dort hatte ihr Stuhl - dort das Bett gestanden, in dem sie gestorben, und ihr armes Kind allein gelassen in der Welt - aber der Schmerz hatte das Bittere verloren, denn er löste sich ja in Thränen auf, und bald konnte sie wieder lächeln, als sie, ihren Knaben auf dem Arm, mit ihm durch die alten lieben Räume schritt.

Es sah hier freilich noch so ärmlich aus als früher, wenn auch lebendiger, denn die beiden Waisenzwillinge, die sie oft selber hatte pflegen helfen, sprangen munter hinter ihr drein, und jubelten über die Kleinigkeiten, die sie ihnen mitgebracht.

Aber Valerie hatte auch gelernt, wie weh Armuth thut, und wollte wenigstens in etwas an der alten Frau, die immer gut mit ihr und ihrer Mutter gewesen, den Dank abtragen, den sie ihrem neuen Leben schuldete. Die Frau bekam allerdings von der Gemeinde die nothwendigsten Auslagen für die ihrer Pflege übergebenen Kinder, die man jetzt nicht im Gemeindehaus lassen konnte, bezahlt, aber sie war selber zu arm, um Weiteres für sie zu thun, und Valerie versprach deshalb, für sie zu sorgen. Auch das Häuschen sollte der alten Nachbarin eigenthümlich gehören, und Assessor Buntenfeld, den sie nicht vergessen, bekam noch an dem nämlichen Tage Auftrag, es für sie anzukaufen. /88/

Blitzesschnell hatte sich indeß im Dorfe das Gerücht verbreitet, die Falleri, die Gemeinde-Waise, sei wieder zurückgekommen und eine vornehme Dame geworden. Daß sie unschuldig eingesperrt gewesen und der alte Brenner eigentlich das Feuer angelegt, wußte man schon lange. Aber es getraute sich Niemand hinaus zu ihr, denn Niemand im ganzen Dorfe wußte sich von Schuld rein, das arme, hülflose Wesen damals nicht mit unterdrückt - nicht mit verachtet zu haben. Ja, als der Wagen endlich wieder durch das Dorf fuhr und vor dem Hause des Schulzen hielt, in dessen Hände Valeriens Gatte jetzt eine Summe Geld legen wollte, die das vergüten solle, was das Dorf damals an Auslagen für die Waise gehabt, weigerte sich der neue Schulze auf das Bestimmteste, das Geld zu nehmen - er sagte, er könne es vor seinem Gewissen nicht verantworten. Auch aus den benachbarten Häusern kam kein Mensch heraus, und nur scheu hinter den Fenstern lugten sie vor, um die „Falleri" noch einmal in ihrem Staat zu sehen.

Erst als der Officier das Geld als Geschenk für das Armenhaus deponirte, durfte und konnte es der Schulze nicht zurückweisen. Er lud auch jetzt die beiden Gatten ein, doch auszusteigen und in seinem Hause einen Imbiß einzunehmen, aber Valerie fühlte sich von dem scheuen, schuldbewußten Vernehmen der Dorfbewohner so beengt, daß es sie drängte, wieder hinaus in's Freie - fort von den nur zu gut gekannten Häusern zu kommen.

Die Pferde zogen an; der leichte Wagen rollte durch das Dorf, und nur noch wie ein Schleier lag die Erinnerung an Osterhagen auf der Seele der schwergeprüften jungen Frau.

Der Fuchsbau.

1.

Die Forstei im Spessart.

Oben im Spessart, an der nördlichen Abdachung desselben und ziemlich versteckt in einem wilden, hochstämmigen Nadelholzwalde, lag eine alte Forstei, deren Insasse, der alte Förster Buschmann, schon lange um einen Gehülfen petitionirt hatte, weil ihm die Wilddieberei zu arg wurde und er's in dem weiten und wilden Revier nicht mehr allein „erwachen" konnte.

Ja petitioniren - das sollte Alles „kein Geld kosten", wie er meinte, und dabei wurde das Gesindel immer dreister und stahl zuletzt an Wild mehr weg, als es gekostet haben würde, zwei Gehülfen anzustellen. Es kam und kam eben keiner, bis er zuletzt wild wurde und das Gesetz in seine eigene Hand nahm.

Alle Schliche und Wege kannte er, aus dem über Nacht draußen im Holz Liegen machte er sich auch nichts, und Streusucher fanden bald nacheinander zwei übelberüchtigte junge Burschen aus dem nächsten Dorf erschossen auf einem der Waldpfade liegen und trugen sie zu Thal.

Jetzt kamen freilich die Gerichte auf die Beine; eine Untersuchung jagte die andere, und Buschmann wurde alle Augenblicke vorgefordert, um Auskunft über die Erschossenen zu geben - aber was wußte er davon? Er stak allein da auf seiner Forstei im Wald, überall konnte er natürlich nicht ein, und wenn sich das Wilderergesindel untereinander selber /90/ todtschoß - ei, dann wohl bekomm's! er hatte nichts dagegen. Wissen thue er übrigens nichts von der ganzen Geschichte, und da er vergebens und immer wieder vergebens Hülfe von der obern Forstverwaltung erbeten, aber nie auch nur einmal eine Antwort erhalten habe, so müsse sie es sich eben jetzt gefallen lassen, wenn es Mord und Todtschlag auf dem Revier gäbe.

Das half. Schon in nächster Woche wurde nicht allein ein aus drei Schützen bestehender Forstschutz in das Revier gelegt, sondern eines Sonnabend Abends traf auch ein junger kräftiger Forstgehülfe auf der Forstei ein, gab sein Einführungsschreiben ab und wurde von dem alten Förster auf das Herzlichste empfangen.

Bis jetzt hatte Buschmann mit seiner „Alten", da ihre Ehe kinderlos geblieben, hier allein die langen Jahre gewirthschaftet. Nur eine alte Magd war noch im Hause, die die Küche und ein paar Kühe besorgte, und zwei Kreiser oder Forstläufer schliefen ebenfalls dort oben, wenn sie ihre Pflicht nicht zwang, auf irgend einem andern Punkt des Reviers zu übernachten. Daß das ein einsames Leben im Walde gewesen, läßt sich denken, besonders wenn draußen der Schnee seine weiße Decke über das Land breitete. Die beiden alten Leute hatten dann mit der Magd im Zimmer gesessen, der Förster seinen kurzen Pfeifenstummel im Mund, die Frauen am Spinnenrocken, während oft Stunden lang kein Laut, als das Schnurren der Räder, die Stille unterbrach.

Jetzt kam junges Leben dahinein, und der neue Forstgehülfe Bernhard Raischbach, der schon in Aschaffenburg, Würzburg und selbst in München gewesen, ja gar in den Alpen seine Lehrzeit bestanden, und sonst auch ein manierlicher Bursche und guter Leute Kind war, konnte von allem Möglichen erzählen und erzählte auch, und die alten Leute trugen ihn dafür auf Händen. Was ihm die alte Frau an den Augen absehen konnte, that sie ihm, und besserer Kaffee war noch nicht in der Forstei gebraut, so lange sie stand, als seit der junge Raischbach dort eingezogen. Ja sogar ein Fäßchen Bier wurde angeschrotet - und zwar Lagerbier, kein einfaches - damit er nicht versucht werden sollte, Abends in das allerdings immer noch gut /91/ anderthalb Stunden entfernte Wirthshaus hinab zu steigen - was er freilich auch nur sehr selten that. Der Hinweg ging noch - aber der Rückweg durch den stockdunkeln Wald und über die rauhen Wege war nichis weniger als angenehm.

Auch draußen im Wald erwies sich der junge Forstgehülfe bald außerordentlich brauchbar und kannte seine Pflicht so genau, daß der alte Förster eigentlich nichts zu thun hatte, als ihm nur die verschiedenen Schläge und Pflanzorte, wie auch besonders die Grenzen zu zeigen, damit er nicht einmal aus Versehen in das Hessische hinübergeriethe. Allerdings war Förster Buschmann, wie er seinem Gehülfen sagte, mit dem nächsten hessischen Förster befreundet, aber sie kamen doch nur sehr selten zusammen, und besser ist immer besser.

Erzählen that übrigens der Alte ungemein gern, und an Stoff dazu fehlte es wahrlich nicht, denn es giebt wohl kein ergiebigeres Sagengebiet - den Rhein vielleicht ausgenommen - in ganz Deutschland als eben den Spessartwald mit seinen dunkeln, nadelholzbewachsenen Höhen. Wenn er ihm dann die verschiedenen Namen der Plätze, die theils auf eine solche Sage, theils auf früher hier heimische wilde Thiere Bezug hatten, angab, wußte er ihm dabei allerlei wunderliche Dinge zu berichten, was noch dadurch viel geheimnißvoller klang, daß er es nur immer mit leiser, flüsternder Stimme that. Nicht um die Welt hätte er im Wald laut gesprochen, war er doch von Jugend auf daran gewöhnt, sich immer so zu benehmen, als ob er auf der Bürsche sei.

Gelegenheit zu solchen Geschichten fand er also genug, denn der Wald wimmelte von derartigen Plätzen. Da gab es einen Teufelsfelsen und einen Eckardtsstein; da lief der Elfenbach durch's grüne Moos; Luchssteig, Wolfsschlucht, Bäreneck und Auerhorn hießen einzelne vorragende Plätze im Wald, und die Phantasie des Alten bevölkerte sie nicht allein mit dem wilden Jäger und dem bösen Feind, mit Alraunen und überirdischen Geschöpfen, sondern er berief sich dabei auch noch auf das Zeugniß seines jetzt leider verstorbenen Vaters, der in stürmischen Nächten den wilden Jäger selber oft und oft gehört haben sollte, wie er, besonders im Frühjahr und Herbst, mit Hussa! und Hallo! über den Forst gebraust. /92/ Solche Gespräche spannen sich übrigens auch noch, wenn sie Abends nach Hause kamen, aus, denn von derartigen Erzählungen wußte die Frau Försterin fast noch mehr als ihr Mann, ja selbst die Lisel, wie die alte Magd hieß, nickte nur immer bestätigend mit dem Kopfe, wenn sie auch selber entsetzlich schwer zum Reden zu bringen war, denn sie stieß ein wenig mit der Zunge an und war von anderen jungen Leuten, denen sie früher manchmal derlei erzählt, wohl nur ausgelacht und verspottet worden.

Der junge Raischbach lachte sie aber nicht aus. Selber etwas romantischer Natur, wenn auch nichts weniger als was man abergläubisch nennt, wirkte die ganze Umgebung doch nach und nach auf ihn ein, und er fing an, sich nirgends wohler zu fühlen als Abends, nach einem tüchtigen Rundmarsch in der stillen, schweigenden Waldung, in seiner Ecke neben seinem Krug Bier und mir der kurzen Jagdpfeife im Munde.

Er wußte selber auch Manches zu erzählen: von dem Bergstutzel in den Alpen, von der Gemsmaid, von den weißen Fräulein und dann aus anderen Forsten von einer Freikugel, die ein Jäger gehabt, mit der er nachher, wider Willen, seinen eigenen Vater erschossen; von einem andern Frevler, der sein Feuerrohr auf einen gekreuzigten Jesus abgebrannt hätte und von Stund an blind geworden wäre, und manche andere Dinge, wie sie sich die Jäger wohl an langen Winterabenden erzählen.

Deshalb scheute er sich aber doch nicht, bei Nacht und Nebel draußen im Wald herum zu steigen, und wenn er einmal irgendwo in einer Richtung einen Schuß gehört, von dem man sich keine Rechenschaft geben konnte, so ruhte und rastete er auch nicht, bis er die richtige Fährte ausspürte, und wenn er drei Nächte hintereinander hätte draußen lagern sollen.

Daß so ein flinker, kräftiger Bursche - und außerdem noch ein vortrefflicher rascher Schütze, wie er sich bald erwies - dem Wilderergesindel unbequem werden mußte, läßt sich denken. In ganz kurzer Zeit hatte er auch drei von der Gesellschaft auf frischer That ertappt und sie nach und nach ganz allein eingebracht, und die Wilddiebe mußten anfangen, sich nach einem /93/ andern Revier umzusehen, denn auf dem Buschmann'schen schien's für sie nicht mehr geheuer.

Eines Tages - es war im August - hatte der Förster einen Feisthirsch zum Abschuß bekommen, der noch an dem nämlichen Abend eingeliefert werden sollte, und Bernhard wie der Alte waren mit Tagesgrauen hinausgegangen, um ihr Glück auf der Bürsche zu versuchen. Nach vorhergenommener Verabredung sollte aber Keiner mehr schießen, wenn er vom Andern einen Schuß fallen höre, damit sie nicht etwa bei dem heißen Wetter zwei Stück statt eines auf die Decke brächten, und sie nahmen nun, Einer den linken, der Andere den rechten Flügel, um an einer bezeichneten Stelle wieder zusammen zu treffen. Hatte dann Keiner von ihnen etwas geschossen, so waren die Kreiser und der Forstschutz schon auf einen gewissen Punkt im Wald bestellt, um nachher ein paar Dickungen durchzutreiben, wobei sie gewiß ihr Ziel erreichten, denn Hirsche gab es damals noch genug in jenen Forsten.

Das Letzte schien aber nicht nöthig zu werden, denn schon um neun Uhr Morgens hörte Förster Buschmann den scharfen Krach einer Büchse, und als er nun, die eigene Waffe über die Schulter gehangen, direct der Richtung zuhielt, traf er auch bald darauf mit seinem Forstgehülfen zusammen, der einen capitalen Achter auf der Decke hatte.

Bernhard schwenkte ihm lustig seinen mit dem ,,Bruch" schon besteckten Hut entgegen, und der Alte nickte vergnügt vor sich hin, als er den braven Hirsch, mit dem Eichenzweig im Geäß und die Kugel wie abgezirkelt mitten auf dem Blatt, verendet im Schatten eines alten Eichbaums, nahe einer zu Thal rieselnden Quelle liegen sah.

„Bravo, mein Junge!" rief er aus, „das war gerade das rechte Stück und ein tüchtiger Schuß, mit dem wir Ehre einlegen können; er spart uns auch eine Masse Schererei, und wenn die Kreiser jetzt kommen, können sie ihn gleich auf ihren Wagen packen und fortschaffen. - Der scheint auch nicht mehr weit gegangen. Kam er flüchtig?"

„Gleich dort am Rand von den Felsen äste er sich," erzählte der junge Forstmann, „und ich war mit gutem Wind und Deckung bis auf fast achtzig Schritte angebürscht, denn /94/ ich konnte nur manchmal die Stangen zu sehen bekommen, wenn er den Kopf hob, um zu sichern. Weiß aber der liebe Gott, was ihn verscheucht haben mag, denn meinen Schritt auf dem weichen Moos konnte er wahrlich nicht hören, äugte auch nicht einmal der Richtung zu, wo ich mich befand. Wie ich aber daneben hinter den Büschen vorkrieche, höre ich, daß er flüchtig wird, und jetzt war ich mit einem Satz auch draußen im Freien. Rechts ab konnte er nicht, der Kluft wegen, so mußte er hier über die Lichtung, und wie er die Kugel kriegte, machte er einen Satz s o hoch."

„Das ist ein famoses Zeichen," schmunzelte der Alte.

„Er ging auch nicht mehr weit. Dort drüben, bei der jungen Weißtanne, ist der Anschuß, und hier unter der Eiche hielt er plötzlich, that sich nieder und verendete auch gleich darauf, da ich versteckt blieb und ihn nicht weiter störte."

Der alte Förster nickte leise und zustimmend mit dem Kopf, und trat indessen, während sein junger Gehülfe den kurzen Bericht abstattete, an den Rand der hier ziemlich steil abfallenden Felsen, um das da unten ausgebreitete Terrain zu überblicken.

Es war ein wilder, eigenthümlicher Platz hier mitten in den Bergen, und Bernhard selber war auf all' seinen Streifzügen noch nie in die Nähe desselben gekommen.

Gerade zu ihren Füßen fielen die Sandsteinfelsen wohl achtzig oder neunzig Fuß steil ab, und nach rechts und links, wohin er sah, schien eine ganz ähnliche Mauer eine unten liegende flache und moorige Ebene, auf der auch wenig mehr als Haidekraut und kleines niederes Gestrüpp wuchs, einzuschließen. Der ganze innere Raum mochte ein paar Morgen umschließen, und sah genau so aus, als ob er in früheren Jahrhunderten - oder vielleicht Jahrtausenden - die ganze offene Stelle ausgefüllt hätte und nur einmal, bei einer innern Erderschütterung vielleicht, weggesunken wäre.

„Sind Sie schon an dem Platz hier gewesen, Raischbach?" sagte der Alte nach einer längeren Pause, in der er schweigend über die wüste Stelle hinausgeschaut.

„Nein, Herr Förster," sagte der junge Mann; „das ist ein wildes, wunderliches Terrain; bin aber noch nie hierher /95/ gekommen - heute zum ersten Mal. Es kann hier gar nicht so weit von der Grenze sein."

„Ist es auch nicht," nickte der Förster; „die Schlucht, die von dort herüberkommt, wo Sie neulich die wilde Katze geschossen haben, bildet die Grenze und die Stelle hier heißt „der Fuchsbau" - giebt auch schmählich viel Füchse hier, denn da drinnen sind sie ungestört, und man darf nicht einmal einen Hund hineinlassen, weil die Wand voller Risse und Spalten steckt, die oft Gott weiß wie tief hinuntergehen. Gleich im ersten Jahr, als ich herkam, habe ich dort drüben in dem einen Loch meinen besten Dachshund verloren, und mich nachher wohl gehütet, wieder einen in die Nähe zu bringen."

„Sonderbar," sagte Raischbach, „ob der Platz nicht wie eingesunken aussteht -"

„Hm," brummte der Alte und sah sich vorsichtig dabei um - „wir wollen hinüber nach dem Rendezvous gehen, wohin wir die Kreiser bestellt haben - 's ist gar nicht so weit von hier, und wenn wir der Schneuße folgen, kommen wir ganz in die Nähe."

Damit rückte er sich seine Büchse wieder auf die Schulter und schritt langsam voran, Bernhard folgte ihm, und Beide gingen die ganze Strecke lang schweigend neben einander hin; nur unterwegs brach sich der Förster ebenfalls einen Bruch ab und steckte ihn sich, alter Sitte folgend, auf den Hut - war doch ein jagdbarer Hirsch erlegt, und dabei durfte keine althergebrachte Form versäumt werden.

So erreichten sie nach einer Weile das bestimmte Rendezvous, eine kleine offene Waldblöße, an deren Rand ein Bürsch-Haus gebaut war, um den Kreisern, wenn sie hier in der Nähe Dienst hatten, ein Obdach zu bieten. Der Förster trug allerdings den Schlüssel dazu in der Tasche, aber bei dem prachtvollen Wetter dachten die beiden Jäger nicht daran, sich in das dumpfige Haus zu setzen, und Buschmann, mit seinem Hirschfänger einen Zweig von einem dort stehenden breitästigen Weißdorn schlagend, hing seine Büchse an den Zacken und warf sich dann auf das Moos im Schatten des Baumes nieder, welchem Beispiel sein junger Forstgehülfe folgte.

„Wenn wir jetzt eine Flasche Bier hätten," sagte dieser, /96/ indem er sich, in Ermangelung eines andern Labsals, wenigstens seine kurze Pfeife stopfte und in Brand setzte - „das müßte jetzt schmecken."

„Die Kreiser bringen ein paar Flaschen mit," nickte der Förster, „denn ich wußte ja nicht, was wir noch für Arbeit mit dem Hirsch bekamen."

„Das ist gescheidt - und die müssen bald kommen."

„Etwa in einer halben Stunde spätestens," sagte der Förster und qualmte stärker - „aber - was ich gleich sagen wollte, Raischbach - Sie - Sie meinten vorher da drüben am Bau - am Fuchsbau meine ich - an der wunderlichen Stelle, die rings von steilen Sandsteinfelsen wie eingedämmt ist, daß sie fast so aussähe, als ob der Platz eingesunken wäre."

„Ja wohl, Herr Förster, es hat merkwürdige Aehnlichkeit, und drin im Tyrol müßt' ich genau so eine Stelle, wo sich auch die Leute erzählen, daß dort vor uralten Zeiten eine Alm gestanden hätte - und jetzt ist's ein See, kein Mensch weiß wie tief."

„Es kommt Alles vor in der Welt, Raischbach," nickte der Alte still vor sich hin - „Alles - wir sehen‘s nur manchmal nicht, oder wollen's eben nicht sehen."

„Und hat der Platz irgend eine Bedeutung?"

„Dort an Ort und Stelle," sagte der alte Mann, „mochte ich Ihnen nicht gern Red' und Antwort stehen; man spricht nicht gern davon, wo die Worte bis hinunter in den Grund schallen können, und wenn Sie die Kreiser frügen, würde Ihnen wohl keiner Auskunft geben; aber das ist Thorheit, denn einem frommen Christen kann der Spuk nichts anhaben."

„Aber welcher Spuk, Herr Förster?"

„Der im Bau drunten."

„Im Fuchsbau? Also ist es wirklich ein eingesunkener Platz?"

„Das sieht ein Kind ein," nickte der alte Forstmann, der hier wieder vollständig auf seinem Steckenpferd saß. „Da hat vor alten Zeiten eine große und reiche Stadt gestanden, mit einem Kirchthurm, dessen Kuppel sie so dick vergoldet hatten, daß man Abends bei Sonnenuntergang das Blitzen bis drüben in die fernen Berge sehen konnte. - Aber auf einmal war's /97/ aus - was sie getrieben, der Herr nur weiß es, aber übermüthig sind die Leute jedenfalls geworden, und eines Tages, als Jemand vom nächsten Dorf hinein zur Ortsbehörde wollte, trifft er an der Stelle, wo sonst die stolze Stadt gelegen, einen See mitten im Wald an. Erst glaubte er auch, er hätte den Weg verfehlt, und versucht's dann mit einem andern, aber es war dasselbe. Alle die breiten Fahrwege, die sonst hinein in den Ort führten, liefen jetzt bis an den Rand der blanken Steinwand und g'rad in's Wasser hinein, und der See muß lange an der Stelle gestanden haben, denn mein Großvater wollte sich noch erinnern, ihn gesehen zu haben. Seichter war er aber mit den Jahren geworden, zuletzt sickerte er ganz weg, und heutzutage ist nur noch der moorige Grund geblieben, den aber kein Mensch, nicht einmal ein Stück Wild betritt. - Nur die Füchse hausen da drin und finden da allerdings gar vortrefflichen Schutz."

„Aber haben Sie mir nicht selber gesagt, Sie hätten schon einen Hund da drin verloren?"

„Allerdings - aber der Hund ist allein hineingelaufen, ich selber war nie drin und hab' auch nie nachgeschaut, wo er geblieben sein kann. Jedenfalls ist er in eine der Spalten gestürzt. Was hat der Jäger auch dort unten zu suchen? Wild steht dort nicht - und sei's nur aus dem Grunde, daß sie nirgends wieder auskönnen, wenn ihnen der einzige hineinführende Wechsel verstellt wird. Das ganze Terrain ist wie eine große Art Falle, und vor solchen Plätzen scheuen sie sich; außerdem mag aber auch die Aesung auf dem feuchten Boden sauer schmecken, denn von oben hinab sieht man eigentlich nichts als Haidekraut und eine Art schilfiges Gras und Schachtelhalm."

„Aber was für ein Spuk war der, Förster, von dem Sie sprachen?" sagte der junge Mann, durch das Alles neugierig gemacht - „der Spuk, der einem frommen Christen nichts anhaben könne?"

„Hm," brummte der Alte, doch nicht ganz sicher, wie seine Erzählung aufgenommen werden könne. „In neuerer Zeit hat man lange nichts mehr davon gehört -"

„Aber in früheren Jahren?" /98/

„Da soll das alte Nest da drin ein Hauptplatz für derlei gewesen sein," nickte der Alte; „man darf freilich nicht Alles glauben, was die Leute erzählen," setzte er gewissermaßen entschuldigend hinzu, „aber wenn nur die Hälfte von dem wahr wäre, reichte es aus. Daß der wilde Jäger hier im Spessart seinen Hauptsitz hatte, ist allbekannt. Von hier ging er aus - hierher kam er zurück, wenn er vor der Morgendämmerung seine tolle Meute wieder eintrieb, und die Kreiser, bei denen sich die Erzählung von Vater auf Sohn vererbt hat, viele Geschlechter durch, behaupten, daß er dort in dem versunkenen Bau eingefahren sei wie ein Fuchs, und es nachher noch Stunden lang da drinnen getobt und gelärmt habe, als ob ein unterirdischer Donner durch den Wald führe. Irrwische sind da drunten genug gesehen worden, und nirgends hat's mehr Erd- und Waldweible gegeben, als in der Gegend. Manchem Förster - vor meiner Zeit, denn ich müßte lügen, wenn ich 'was Derartiges behaupten wollte - sind auch Bewohner des weggesunkenen Ortes erschienen - einmal einem Jäger - einem fürstlichen Herrn - ein bildhübsches Mädchen in fremdartiger Tracht, die aber kein Wort gesprochen, sondern nur gewinkt hat, bis er ihr gefolgt ist. Der ist er nachgestiegen in den Kessel hinein - der Jägerbursche, den er bei sich gehabt und der ihm nicht folgen durfte, hat's erzählt, und am Abend haben sie ihn da drin gefunden, todtenbleich - und er war tiefsinnig geworden und hat nie im Leben wieder gelacht oder auch nur verkündet, was er dort unten gesehen. Er durft's wohl nicht."

„Hm, das sind ja wunderbare Geschichten von dem alten Bau," sagte der junge Forstgehülfe kopfschüttelnd, „mir ist nur merkwürdig, daß ich noch kein Wort davon gehört."

„Bei uns wär' wohl schon oft davon gesprochen," sagte der Alte, „aber wir thun's nicht gern, wenn die alte Lisel dabei ist."

„Die Lisel?" sagte Raischbach erstaunt.

„Ahem," nickte der Förster. „Wenn sie den Ort nur nennen hört, steht sie jedesmal auf, geht hinaus und setzt sich in eine dunkle Ecke und weint. Es muß ihr da in ihrer Jugend 'was Liebes abhanden gekommen sein. Die Leute /99/ versichern wenigstens, ihr Schatz habe sich in ein Erdweibl von da drunten her, das es ihm angethan, verguckt und Niemand wieder etwas von ihm gehört."

„Aber kann der nicht auf andere Art verunglückt sein?"

„Möglich; doch wahrhaftig, da kommen die Kreiser - das ist gescheidt, mir ist die Zunge schon ordentlich am Gaumen angetrocknet, und ein Schluck Bier wird uns jetzt nicht schlecht munden. Also erst frühstücken, und dann mit unserem Hirsch zu Thal, daß er zur rechten Zeit an Ort und Stelle eintrifft."

Die Kreiser hatten ihre Zeit richtig eingehalten, ja waren eher noch eine Viertelstunde früher angekommen und sahen auch gleich an den grünen Brüchen auf den Hüten der beiden Forstleute, daß die Bürsche keine vergebene gewesen. Vor allen Dingen lagerten sich aber die Leute, denen sich auch die drei Mann Forstschutz beigesellten, im Schatten, um sich von ihrem mühseligen Marsch auszuruhen und einen Bissen zu essen. Dabei mußte Raischbach erzählen, wo er den Hirsch gefunden und wie er an ihn angekommen sei, was sie natürlich außerordentlich interessirte.

Nach beendetem Frühstück brachen dann Alle der Stelle zu auf, wo der verendete Hirsch lag, der dort aufgeladen und dem Ort seiner Bestimmung zugeschafft wurde. Die beiden Forstleute schlenderten aber auf einem näheren Weg, von einem der Kreiser begleitet, der ihr „Jägerrecht"3 in einem Sack auf der Schulter mittrug, langsam nach der Forstei zurück.

2.

Die fremde Maid.

Auf dem Heimweg an dem Nachmittag fuhr den beiden Forstleuten ein merkwürdig starker Rehbock über den Weg, /100/ aber so rasch und plötzlich, daß Keiner von Beiden im Stande war, auch nur die Büchse von der Schulter zu reißen. Wie ein Schatten sprang er über die schmale Schneuße und war auch im nächsten Moment schon in der dichten Tannendickung - einer jungen, aber schon ziemlich hohen und fast undurchdringlichen Anpflanzung - verschwunden.

„Alle Wetter!" rief der Forstgehülfe ordentlich erschreckt aus; „hatte der aber auf. Das Gehörn allein wäre ja ein paar Karolin4 werth gewesen."

„Ja," nickte der Alte, „es giebt hier oben ein paar Staatsböcke, ist ihnen aber verwünscht schwer beizukommen, denn so ein alter Racker ist schlau wie ein Fuchs, und auf's Blatt kommt er gar nicht, oder doch so scheu und vorsichtig, daß man ihn nie ordentlich zum Schuß kriegt. - Und den besonders, der uns da über die Schneuße setzte, den kenne ich ganz genau und bin ihm schon manchen schönen Morgen zu Gefallen gegangen. Freilich immer umsonst. Sie haben hier in den Dickungen drin zu gute Aesung und treten selten bei Tageslicht auf offene Schläge hinaus."

Dem jungen Forstgehülfen ging aber der Bock den ganzen Abend im Kopf herum, er konnte das Gehörn nicht vergessen, denn solche Stangen hatte er an einem Rehbock noch gar nicht gesehen oder nur für möglich gehalten. Er beschloß auch deshalb, gleich am nächsten Tag einen Versuch zu machen, ob er den alten Burschen nicht vielleicht überlisten könne. Der war jedenfalls ein paar Gänge werth, und er durfte sich keine Mühe verdrießen lassen.

Es war nicht so spät im Jahr, daß die Böcke nicht noch aufs Blatt5 gekommen wären, und gerade dort, wo er ihn gestern gesehen, begann er seinen Versuch, denn solche alte Böcke halten gewöhnlich ihr Revier und gehen selten weit von da fort, wo sie einmal ihren Aesungsplatz genommen. Aber er blattete vergeblich vier-, fünfmal an den verschiedensten Stellen. Der alte Bursche war entweder nicht in Hörweite, oder auch zu gescheidt und ließ sich nicht überlisten. Um aber nichts zu versäumen, blieb er nach jedesmaligem Blatten wohl /101/ noch eine Viertelstunde regungslos liegen und horchte, denn manchmal kommen sie angeschlichen wie ein Fuchs, und wenn der Jäger dann, in der irrigen Meinung, daß die Jagd vorbei sei, aufsteht und Geräusch macht, so hört er plötzlich das so heiß ersehnte Wild schrecken und in voller Flucht in das Dickicht hineinsehen, wonach er sich dann die Jagd auf lange Zeit verdorben hat.

Mit dem Blatten war's nichts, das sah er endlich ein; der alte Bursche ließ sich nicht irre führen, und er versuchte es jetzt mit der Bürsche, wozu sich der Tag ganz besonders gut eignete. Es hatte die Nacht gewittert, und das Laub und Moos war noch feucht, so daß man den schleichenden Schritt des Jägers, wenn dieser nur vermied, auf trockenes Reisig zu treten, gar nicht hören konnte. - Aber es blieb Alles vergebens - zwei geringe Böcke hätte er allerdings schießen können, wollte sich indeß die Jagd auf seinen Bock nicht durch einen Schuß verderben und ließ sie laufen, was sie auch redlich thaten.

So war er allmälig und ohne daß er es selbst recht wußte, wieder ganz in die Nähe der Stelle gekommen, wo er gestern den Hirsch geschossen hatte, und plötzlich stand er an der Steinwand des „Fuchsbaues" und sah sich auf's Neue dem geheimnißvollen Platz gegenüber, von dem ihm der alte Förster gestern so viel erzählt.

Eigentlich war's ihm recht - nach dem langen Bürschgang that ihm ein wenig Ruhe wohl, und der Platz lag hier so kühl, heimlich und versteckt, daß er da recht gut eine halbe Stunde rasten konnte. Er warf sich, die Büchse neben sich, auf das schwellende Moos nieder, nahm einen Schluck aus seiner Feldflasche, zündete sich dann die kurze Pfeife an und schaute, in dem behaglichen Gefühl ungestörten Alleinseins, in die wunderliche Schlucht vor sich hinab, die sich zu seinen Füßen ausdehnte.

Also dort hatte einmal ein volkreicher Ort gestanden, der mit Mann und Maus, und ohne eine Spur zu hinterlassen, in die Tiefe gesunken sein sollte, und wie tief eigentlich, daß nicht einmal die vergoldete Kuppel des Kirchthurms mehr aus dem Moor hervorragte. - Und wenn man dort nun einmal /102/ nachgrübe nach der alten Herrlichkeit, was für wunderbare Alterthümer müßten da zum Vorschein kommen, und lohnen würd' es gewiß. Aber wer sollte graben? - das wäre jedenfalls eine Heidenarbeit gewesen, und stand dann nicht das Wasser an der selbst oben nassen Stelle? Man würde nur gewiß einen neuen See gebildet haben und hätte schon ein Dampfpumpwerk anlegen müssen, um nur des nassen Elementes Herr zu werden, und was kostete das?

Und dort drunten sollte der wilde Jäger seinen Herd gehabt und Nachts seine Schaaren gesammelt haben und aus gefahren sein mit Halloh und Hussah und Rüdengebell! - Wer das einmal, so aus einem stillen Versteck, hätte mitansehen können!

„Hol's der Henker!" brummte Raischbach vor sich hin, indem er sich mit seinem rechten Ellenbogen etwas tiefer in das Moos hineinbohrte, um bequemer zu liegen, „daß das Alles nur lauter Sagen sind und blos die Großväter und Urgroßväter etwas Derartiges mit erlebt haben! Wenn das doch Unsereinem auch einmal begegnen könnte, daß man später im Stande wäre, seinen Kindern etwas davon zu erzählen. - Ja, seinen Kindern," setzte er in den Bart brummend hinzu - „damit hat's auch noch Zeit - ein Forstgehülfe und heirathen. Ja, wenn einmal so ein hübsches Erdweible käm', wie vor alten Zeiten manchmal - und Einem eine Schürze voll goldener Tannenzapfen brächte!"

Unwillkürlich griff seine Hand, ohne daß er mit dem Körper auch nur die geringste Bewegung gemacht hätte, nach der neben ihm liegenden Büchse, denn nicht weit von ihm knackte ein dürrer Zweig, als ob irgend ein schwerer Körper darauf getreten hätte. Herr Gott, wenn das „sein" Bock gewesen wäre, der hier oben am Rand der Schlucht vielleicht spazieren ging und ihm derart von selber in's Rohr lief! Der wäre jetzt recht gewesen, und im Nu hatte er alle anderen Gedanken vom wilden Jäger und Erdweible total vergessen und dachte nur an seine Jagd.

Jetzt knackte es wieder - das konnte ein Stück Wild, aber auch recht gut der Bock sein, und leise und vorsichtig drehte er den Kopf zur Seite, um nur erst einmal einen Schimmer von dem Nahenden zu bekommen. /103/ „Alle Wetter!" brummte er aber im nächsten Augenblick, als er etwas Buntes durch die Zweige schillern sah und jetzt enttäuscht erkannte, daß das auf keinen Fall sein Bock sein konnte, denn der trug kein buntfarbiges Tuch um sein Gehörn, „ob Einem die verwünschten Beerensucher und Holzleser nicht jeden Bürschgang verderben!"

Unwillig richtete er sich in die Höhe, um die Nahenden mit einem Wetter anzufahren, was sie hier zu suchen hätten, brachte aber keinen Laut über die Lippen, als plötzlich ein reizendes Mädchen von kaum siebzehn Jahren aus dem Gebüsch trat und bei seinem Anblick halb erschreckt halten blieb.

Merkwürdig! sie war in eine ganz fremdartige Tracht gekleidet, wie er ihr wenigstens hier in den Bergen noch nie begegnet, und sah dabei so blaß und wachsähnlich aus. Aber was für wundervolle Augen sie hatte, und wie groß und erstaunt sie ihn dabei ansah! Fürchtete sie sich vor ihm?

„Grüß Gott, Mädel!" sagte der junge Forstmann, halb verdutzt ordentlich von der lieblichen Erscheinung, und sein Blick flog über sie hin - aber das war keine Beerensucherin oder Reisigsammlerin; sie trug keinen Korb, weder am Arm noch auf dem Rücken, sondern ging sogar, mitten in der Woche, in ihren Sonntagsstaat gekleidet.

„Grüß Gott!" sagte die Jungfrau leise, und ihr Blick flog dabei nach dem Grund hinab, als ob sie sich einen Weg zur Flucht suche - „wo - wo kommt Ihr da auf einmal her?"

„Ja, das möcht' ich Dich fragen, Kind!" erwiderte der, „ich gehöre hierher - aber fürcht' Dich nicht, ich thu' Dir nichts.“

„Ich fürcht‘ mich auch nicht“, sagte die Maid, aber mit einem ganz eigenen, fremdartigen Dialekt; „ich steh' überall in Gottes Hand; aber ich hatte den Weg im Wald verloren, und jetzt weiß ich erst wieder, wo ich daheim bin."

„Wo Du daheim bist?" rief Bernhard - „aber wo bist Du daheim, Schatz, darf ich's nicht wissen?"

„Und warum nicht! - im Bau bin ich daheim."

„Im Bau!" rief der junge Forstgehülfe erschreckt aus, in/104/dem er einen scheuen Blick nach dem Grund hinunter warf, „aus dem Bau kommst Du, Mädel, und dort ist Deine Heimath?"

„Ei gewiß," nickte die Maid, „und wer seid Ihr?"

„Der Forstgehülfe Raischbach vom Revier - aber es ist ja doch nicht möglich, daß Du im Bau wohnst - und wohin willst Du jetzt?"

„Wieder heim, da hinab - jetzt ist's nimmer weit," sagte sie und deutete mit der Hand den schmalen Pfad hinab, der in den Grund hinunter führte.

„Du hast mich nur zum Besten, Mädel!" rief Raischbach, der gar nicht wußte, was er von dem Allen denken sollte - „unten im Bau -"

Er schrak zusammen, denn kaum hundert Schritt von dort, im Dickicht drin, fiel ein Schuß - war das ein Wilderer?

„Grüß Gott - ich muß heim!" rief das Mädchen und schlüpfte wie ein Reh am Abgrund hin.

„Bleib, Kind, nur einen Augenblick!" bat der junge Mann und drehte unwillkürlich den Kopf nach der Richtung zu, in der er den verdächtigen Schuß gehört; als er ihn aber wieder wandte, war die Maid verschwunden, und wie er ein paar Schritte den Pfad hinab ihr nachsprang, konnte er ihr buntes Tuch nirgends mehr in den Büschen erkennen. - Wie in den Boden hinein war sie weg.

Ein paar Secunden stand der junge Mann unschlüssig auf der Stelle. Sollte er ihr nach? - ihr folgen? - Aber der Schuß - seine Pflicht rief ihn dorthin, den Moment durfte er nicht versäumen, und seine Büchse aufgreifend, sprang er so leise, aber auch so rasch als möglich einen schmalen Wildpfad entlang, der ihn in das Dickicht brachte. Dort dauerte es auch nicht lange, daß er das Aufstoßen eines Ladestocks hörte, und durch das Gebüsch schlüpfend, fand er sich im nächsten Augenblick - einem ihrer Kreiser gegenüber.

„Hallo, Metzler, und nach was habt Ihr hier geschossen?" sagte er enttäuscht, indem er sich aufrichtete und auf ihn zutrat.

„Hallo, Herr Raischbach, wo kommen Sie denn auf einmal her? - kriegt' ich doch jetzt einen ordentlichen Schreck. - Den Habicht da hab' ich geschossen, der einen Hasen gekrallt /105/ hatte und scharf dabei war, ihn anzuschneiden. Wie er mich merkte, brauchte er eine ganze Weile, um loszukommen, und ich behielt reichlich Zeit, ihm eins auf den Pelz zu brennen. Waren Sie auf der Bürsche?"

Gerade wo er stand, lag in der That der eben geschossene Raubvogel und gar nicht weit davon entfernt der arme Hase, auf den er, wahrscheinlich von einem Zweig herab, niedergestoßen war, als ihn der Kreiser bei seiner Mahlzeit überraschte.

„Hm," sagte Raischbach, „ich bin dem starken Bock zu Gefallen gegangen, den wir gestern gesehen haben."

„Ja," lachte der Kreiser, „da können Sie noch manchmal früh aufstehen, ehe Sie den kriegen - der ist schlau."

„Ich habe da drüben eine Fährte gefunden und wollte eben nachgehen, als ich den Schuß hörte - ich wußte nicht, wer geschossen haben konnte."

„Wenn's ein Wilderer gewesen wäre," lachte der Mann, „hätten Sie ihn verdammt rasch beim Kragen gehabt. Sie sind auf dem Zeug, das muß wahr sein; ich habe Sie gar nicht kommen hören."

„Ich geh' jetzt wieder zurück, Metzler," sagte der Forstgehülfe; „nehmt den Hasen mit nach Haus und sagt dem Förster, wenn ich etwa nicht zur rechten Zeit zum Nachtessen daheim sein sollte, möchten sie nicht auf mich warten. - Ich will noch gern auf dem Anstand bleiben."

„Na, Waidmann's Heil, Herr Forstgehülfe!" nickte der Kreiser, während Raischbach schon wieder in das Dickicht eintauchte und jetzt, so rasch er konnte, zu der Stelle zurücksprang, wo er das fremde Mädchen zuletzt gesehen - aber er fand sie nicht wieder. Er stieg den Pfad hinab, und als er weiter unten an eine sandige Stelle kam, suchte er genau nach, ob er keine Fußspur entdecken könne, denn oben in dem moosigen Weg ließ sich nichts unterscheiden; aber es blieb vergebens. Bis zu dem Eingang in den Grund kletterte er, in den nur ein kaum zehn Schritt breiter Paß hineinführte; dort aber lag gerade viel felsiges Gestein, und eine Fährte hätte sich schwer nachweisen lassen.

Wie heimlich das da drin in dem düstern Grund aussah, und wie sonderbar kahl und phantastisch die hohen Sandstein-/106/ wände auf allen Seiten starr und mächtig emporragten - und wie dunkel der Boden war, obgleich oben auf dem Wald noch das volle Sonnenlicht lag! Sollte es denn möglich sein, daß hier drinnen wirklich ein so geisterhaftes Wesen hause, wie ihm der alte Förster erzählte, daß die Bewohner der Tiefe - daß jenes wunderbar schöne Mädchen, das so fremd und doch so lieb aussah ... - ,,Bah, Unsinn!" brummte er vor sich hin in den Bart - „der Alte steckt voll von Aberglauben, und seine Frau und die alte Lisel noch mehr; kein Wunder wär's, wenn man zuletzt selber anfinge, solche Geschichten wirklich zu glauben, wenn man sie alle Abende in der halbdunkeln Stube und halb dabei im Schlaf erzählen hört. - Nachher weiß man am Ende kaum mehr, was man noch gehört oder selber geträumt hat. - Jetzt bin ich aber doch einmal hier unten," setzte er leise hinzu, „und kann mir den Platz gleich ordentlich ansehen; komme doch vielleicht so bald nicht wieder hierher und muß die Gelegenheit benutzen."

Damit stieg er über die Zacken hinweg und drängte sich durch das Erlengestrüpp, das hier lustig emporwucherte. - Er erschrak aber fast, als plötzlich dicht vor ihm eine Schnepfe herausstrich. Unwillkürlich fuhr er freilich mit der Bürschbüchse in die Höhe, setzte aber eben so rasch wieder ab, denn jetzt war erstens keine Jagdzeit für Schnepfen, die hier jedenfalls brüteten - und dann hatte er ja auch blos eine Kugel und groben Schrot geladen. Die Schnepfe stieß aber in den Wald hinein, und Raischbach, ihr nachsehend, murmelte leise: „Na, hier kann das vertracte Mädel doch auch nicht gut herum sein, denn sonst hätte sie die Schnepfe eben so gut aufgestört wie ich - und was hätte sie auch hier drin zu suchen," setzte er halb lachend hinzu - „ich glaube bei Gott, ich fange ebenso an zu träumen, wie unser alter Buschmann. - Aber hat sie mir nicht selber gesagt, daß sie hier unten „im Bau" wohne?" frug er sich plötzlich und blieb, seine Büchse auf den Boden stützend, stehen; „bah, das kecke, bildhübsche Ding hat mir nur ihren eigentlichen Wohnort nicht nennen wollen und mich zum Besten gehabt. Die mag schön bei sich gelacht haben, als ich so ein verdutztes Gesicht machte. -/107/ Wenn ich ihr nur noch einmal wieder begegnete oder wüßte, wo ich sie suchen könnte - Blitzmädel das!"

Und wieder nahm er seine Waffe auf und arbeitete sich jetzt nach der rechten Wand hinüber, um den ganzen Platz einmal zu umgehen und das noch unbekannte Terrain genau zu erforschen.

Aber, alle Wetter! der Förster hatte allerdings Recht gehabt: hier gab's Füchse genug - überall fand er die Losung, und zahlreiche Spalten in der Wand waren augenscheinlich so begangen, daß wirkliche kleine Pfade hineinführten. Der Platz hier konnte ihnen freilich auch passen, denn abgelegen schien er genug, und Schlupfwinkel für die schlauen Bestien gab's wie Sand am Meer. Das Gestein sah genau so aus, als ob es mit Gewalt voneinander gerissen und überall geborsten wäre. Da konnten sie einfahren, wo sie eben Lust hatten, und wenn man sich auch oben ansetzen wollte, um ihnen aufzupassen, blieb es immer von dort herunter ein weiter und ungewisser Schuß - und hier drin selber? - Ei, wenn die Füchse ihren Winterbalg anhatten und die Pelze 'was galten, mußte er doch einmal den Versuch machen, das gab vielleicht eine ganz vortreffliche Jagd und einen guten Spaß, ihnen so unerwartet eins auf die Jacke zu brennen. Macht doch die Erlegung eines Fuchses oder überhaupt jedes Raubthieres dem Jäger mehr Freude, als ob er sonst Gott weiß 'was erlegt, denn es gilt dabei einen schlauen und gewandten Räuber zu überlisten.

Der junge Forstgehülfe beging langsam bürschend das ganze innere Terrain, fand aber die Aussage des Försters bestätigt, und nicht eine einzige Fährte von Roth- oder Rehwild in dem ganzen Grund, dafür jedoch eine Masse niedergebrochenes und vertrocknetes Reisig - ein Beweis, daß selbst die Holzsucher, die doch sonst gewiß nicht eigen sind, den öden Platz mieden. Von einem hindurchführenden Pfad war eben so wenig eine Spur zu erkennen, und das Brombeergesträuch an manchen Stellen so dicht, daß er sich kaum hindurch arbeiten konnte. Als er den hinausführenden Paß wieder erreichte, dämmerte es unten schon, während die Wipfel der Bäume oben am Felsenrand noch im Licht der untergehenden Sonne glühten. /

108/ Jetzt war übrigens noch gute Zeit für einen Bürschgang heimwärts - vielleicht begegnete er dem Bock doch noch unterwegs, und nachdem er sich vorher überzeugt hatte, daß kein begangener Weg von unten ab weiter zu Thal führte, stieg er wieder von außen an dem Steindamm hinauf und trat den Heimweg an.

Den Bock traf er allerdings nicht, und es war recht spät geworden, als er die Forstei endlich wieder erreichte. Daheim erzählte er aber nichts von dem fremden Mädchen, das er heute am Fuchsbau getroffen. Wer wußte denn, was sie sich nachher wieder für Geschichten daraus zusammengebaut hätten, von Erdweible oder Moorjungfern oder sonstigem Spuk. Vielleicht traf er sie einmal wieder in der nächsten Zeit, und dann sollte sie ihm nicht so leicht entschlüpfen wie diesmal, wo ihn der alberne Kreiser mit seinem Schuß so zur unrechten Stunde gestört und abgelenkt hatte. War ihm doch nicht einmal Zeit geblieben, sie nur zu fragen, wie sie hieß.

Und würde sie ihm das gesagt haben, wo sie ihm, auf seine Frage nach ihrer Heimath, die schnippische Antwort gab ,,im Bau"? Sonderbar - er brachte das Mädel nicht aus dem Kopf und war den ganzen Abend still und einsilbig. Der alte Förster aber lachte, denn er glaubte, der verfehlte Bock ärgere ihn, meinte auch, da würde er sich noch manchen Abend Gedanken drüber machen können, denn das sei ein alter schlauer Patron und nicht sogleich auf den ersten Bürschgang abzufassen. Sie wollten sich in vier Wochen einmal wieder sprechen, ob er ihn vielleicht bis dahin erlauert hätte - er glaube es aber nicht.

3.

Der Fuchs.

Der Forstgehülfe Raischbach bekam übrigens in den nächsten Tagen keine Zeit, viel an den Bock oder selbst an die fremde /109/ Maid zu denken, denn noch in der nämlichen Nacht hatte der Kreiser Metzler, der in einer der im Wald zerstreut gebauten Bürschhütten geschlafen, einen Schuß gehört und am nächsten Morgen erst, obgleich er, wie er sagte, augenblicklich der Richtung zugeeilt sei und Alles abgesucht habe, den Aufbruch und Kopf eines Altthiers gefunden, das ein paar Wilderer dort in der Nacht erlegt und dann fortgeschleppt haben mußten. Im Anfang hätte er zwar noch eine Strecke auf dem Schweiß (Blut) nachgehen können, dann aber waren die Wilddiebe an die große Straße gekommen, die durch den Wald lief, und keine Spur weiter von ihnen zu finden. Ein paar frische Wagengleise führten allerdings vorbei, eins nach Norden, eins nach Süden, und welches von diesen sie wahrscheinlich benutzt hatten, um ihre Beute in Sicherheit zu bringen, wer konnte es sagen?

Nachforschungen wurden allerdings gehalten, aber ohne Erfolg. Die Burschen mußten gute Helfershelfer haben, denn das Stück Wild blieb verschwunden, und wenn man auch ein paar Leute aus dem nächsten Dorf in starkem Verdacht hatte und bei ihnen sogar Haussuchung hielt, fand sich doch nichts Verdächtiges gegen sie vor. Die Beamten und Forstleute mußten, noch dazu von dem spöttischen Lächeln der Bauern begleitet, unverrichteter Sache wieder abziehen.

Förster Buschmann war außer sich. Jetzt hatte er nun den erbetenen Forstschutz erhalten und auch einen jungen Forstgehülfen, und trotzdem holten sie ihm fast das Wild unter der Nase weg. Und was würde die oberste Forstbehörde, an die er doch jedenfalls Bericht erstatten mußte, dazu sagen - natürlich bekam er eine furchtbare Nase.

Auch dem Forstgehülfen war das gar nicht recht, denn allem Anschein nach hatten sie es hier nicht mit einem einzelnen Wilderer, sondern mit einer ganzen Bande derselben zu thun, die einander in die Hände arbeitete, und wo er schon geglaubt, daß sie ihnen das Handwerk gründlich gelegt, trieben sie es ärger, als je zuvor, und trotzten der ganzen Försterei

Von da an war er fast keine Nacht mehr zu Hause, ja selbst der alte Förster ließ sich nicht mehr halten und begleitete ihn manchmal, oder nahm auch zu Zeiten einen Strich allein /110/

und dann nur einen Kreiser oder einen Forstschutz mit sich, denn es war eben nicht gerathen, sich unter solchen Umständen ganz allein in den Wald zu wagen, wo man nicht wissen tonnte, was passirte.

Die nächsten Tage blieb übrigens Alles ruhig, denn die Wilderer konnten sich wohl denken, daß die Forstleute jetzt wachsam sein würden. Nach vier oder fünf Tagen aber, wo sie glauben mochten, daß sie in ihrem Aufpassen etwas nachgelassen hätten, und gerade bei recht hellem Mondschein, knallte es wieder, und diesmal hatten sie sich einen unglücklichen Fleck dazu ausersehen. Raischbach nämlich befand sich selber mit einem der Kreiser ganz in der Nähe und ertappte sie auf frischer That.

Allerdings gaben sie sich nicht gutwillig, und der eine Bursche feuerte und traf den Forstgehülfen mit der Kugel in den Oberschenkel; der aber schoß ihn, wie er noch die Büchse am Backen hatte, in seinen Fährten nieder und jagte auch noch einem der Anderen, mit dem zweiten Lauf seiner Büchsflinte, eine Ladung Schrot nach, die ihn in die Beine traf. Hinter dem Dritten feuerte der Kreiser her, auch mit Schrot. Der entkam aber, für den Augenblick wenigstens. Der Eine dagegen war, als sie zu ihm traten, todt, und der Andere hatte sich nur noch eine Strecke in den Busch hineingeschleppt, wo er lag und nicht weiter konnte.

Der Kreiser, da Raischbach mit seinem Bein nicht recht vorwärts konnte, mußte jetzt nach dem Forsthaus zurück und Hülfe holen. Dicht daneben war eine Anzahl Holzhauer beschäftigt, die Nachts in der einen Scheuer schliefen, und diese eilten jetzt herbei, um die Verwundeten und den Todten zum Haus zu schaffen. Ein Bote mußte augenblicklich zur nächsten Stadt, und schon am Nachmittag waren die Gerichte da, um den Thatbestand zu untersuchen.

Förster Buschmann hatte indessen in der Nähe des gestrigen Kampfes ein angeschossenes Stück Wild gefunden, das nicht weit von der Stelle verendet lag, und es dauerte auch nicht lange, so spürten die Gensdarmen den dritten Wilderer heraus, der, die Haut voller Schrote, im Dorf krank lag und sich erst gar nicht wollte untersuchen lassen. /111/ Jetzt begann ein langes Verhör, aber die beiden ertappten Wilderer fanden bald, daß ihnen Leugnen nichts mehr half, ja der eine von ihnen gab sogar seine übrigen Helfershelfer an, wonach sich dann herausstellte, daß die ganze Bande aus sieben Mann bestanden hatte, die den Wilddiebstahl, von den großen Dickungen begünstigt, schon lange geschäftsmäßig betrieben haben mußten. Sie wurden alle zu ziemlich schwerer Strafe verurtheilt und der Wald bekam jetzt Ruhe. Wenn auch vielleicht noch manch Einer in der Nachbarschaft lebte, der seiner Zeit ebenfalls kein Kostverächter gewesen, so schien ihm doch die Sache, im Verhältniß zu dem Nutzen, den sie brachte, ein wenig zu gefährlich geworden zu sein, um gleich Hals und Kragen daran zu setzen, und sie ließen's lieber bis auf ruhigere Zeiten.

Raischbach hatte übrigens in der Nacht einen tüchtigen Denkzettel bekommen, der ihn für ein paar Wochen an sein Lager fesselte; denn wenn die Kugel auch glücklicher Weise keinen Knochen getroffen, war es doch ein häßlicher Fleischriß, der seine Zeit zum Heilen verlangte.

Indessen pflegten ihn die Frau Försterin und die alte Lisel nach besten Kräften, und die Letztere besonders wachte in der ersten Zeit, wo er ein tüchtiges Wundfieber bekam, ganze Nächte bei ihm. Seine kräftige Natur erholte sich aber doch bald wieder und es heilte rasch; nur schonen mußte er das Bein noch und durfte nicht hinaus in den Wald, bis die Wunde vollständig verharscht war, und das bekümmerte ihn dabei am meisten.

Ein Jäger im Bett - es giebt nichts Trostloseres - und das noch dazu in der besten Jagdzeit; aber es half nichts, er mußte aushalten, und die Frau Försterin litt schon selber gar nicht, daß er sich vor der Zeit wieder anstrengte.

Und was für Muße hatte er jetzt wieder, über alte Geschichten nachzugrübeln - er wollte zuletzt gar nichts mehr denken, und wenn dann die alte Lisel kam, forderte er sie auf, ihm etwas zu erzählen - und selten umsonst. Die Alte hatte schon lange den Mann lieb gewonnen, weil er ganz anders war als das übrige junge Volk, und nie über ihre Erzählungen lachte oder gar darüber spottete. Sie erfüllte /112/ deshalb auch gern seinen Wunsch; aber das Einzige, über was sie sprechen konnte, war eben das, was sie nicht begriff - das Übernatürliche, Uebersinnliche, und darin besaß sie entweder eine reiche Phantasie oder ein vortreffliches Gedächtniß, denn sie konnte ihm Stunden lang von all' dem Geisterhaften berichten, was den Wald belebte, und Bernhard lag dann mit halbgeschlossenen Augen auf seinem Bett, hörte ihr zu und dachte an seine fremde Maid, die er selber da draußen getroffen.

Endlich war die Wunde geheilt, und der Dorfchirurg, der ihn manchmal besuchte, gestattete ihm, daß er wieder hinaus dürfe, wenn er sich auch noch tüchtig schonen müsse. Vor allen Dingen verbot er ihm anstrengende Touren und erlaubte nur höchstens einen ruhigen Bürschgang, bei dem er sich manchmal eine Stunde ansetzen oder rasten konnte.

Das war dem jungen Jäger gerade recht - weiter verlangte er nichts, und schon der nächste Morgen sah ihn wieder mit seiner Büchse im Wald; denn jetzt hatte er die beste Zeit, um sich auf den alten Bock anzusetzen und ihm seinen Wechsel abzulauschen - aber es war nichts , und der Bursche schien viel zu schlau für ihn, um ihm irgendwo in den Weg zu laufen.

So wurde es Herbst, und Raischbach hatte sich einen ganz vorzüglichen Dachshund von einem benachbarten Förster gekauft, den er, wie sich bald auswies, auch vortrefflich als Schweißhund benutzen konnte. Der Hund war jedenfalls ausgezeichnet und von da an des jungen Forstgehülfen steter Begleiter; ja selbst auf den Anstand konnte er ihn mitnehmen, denn „Dachs", wie er ihn genannt, rührte sich nicht und lag Stunden lang, ohne auch nur den Kopf zu heben, an seiner Seite.

Der junge Forstgehülfe war aber so oft dem Bock jetzt zu Gefallen gegangen und immer vergeblich, daß er es zuletzt satt bekam. Förster Buschmann hatte ganz Recht, wenn er behauptete, es sei ihm eben nicht beizukommen und er müsse seine Zeit abwarten - vielleicht glücke es doch einmal. Mit desto größerem Eifer legte er sich aber dafür auf die Fuchsjagd, und wie der erste Schnee fiel und die Bälge brauchbar wurden, /113/ leistete er darin Außerordentliches. Bis Mitte December hatte er allein schon sieben geschossen, und Förster Buschmann, dem die Bälge als Jagdrecht gehörten, hätte sich keinen besseren Forstgehülfen wünschen können.

Es war Mitte December und wieder in der Nacht ein Neues6 gefallen, als Raischbach auch schon, noch Morgens vor Tag, seinen Dachs fütterte, selber seinen Kaffee trank, ein Stück Brod und einen Schnaps in seine Jagdtasche schob und hinausging, um abzuspüren.

Oft und oft war er im Spätsommer und Herbst den alten Weg gegangen, und wie hatte er sich dann bald die Augen aus dem Kopf geschaut, um das bunte Tuch wieder durch die Büsche scheinen zu sehen und dem lieben Mädchen noch einmal zu begegnen. Sie kam nicht - es blieb immer vergebens, und wenn er auch jetzt im Schnee nicht daran denken durfte, sie draußen im Wald zu treffen, flogen doch trotzdem die Gedanken, als er sich wieder dem Fuchsbau näherte, zu ihr zurück, und leise vor sich hin mit dem Kopf schüttelnd, sagte er halblaut:

„Es bleibt doch eigentlich merkwürdig, daß ich das Blitzmädel nie wieder treffen konnte, und daß sie gerade damals hier am Bau wie in den Boden hinein verschwand. Wenn sie nur wenigstens den kleinen Pfad gehalten hätte, so mußte ich sie drunten noch einmal sehen, und was hat sie in der Tannendickung zu suchen, denn die Felsenwand kann sie ja doch nicht hinunter sein."

Noch während er sprach, hatte er die nämliche Stelle erreicht, wo er sie damals getroffen, und schritt fast unwillkürlich an dem hier etwas offenen Holzrand hin, dem das Mädchen damals, die ersten Schritte wenigstens, gefolgt. Wie er aber zu dem Punkt kam, wo er sie aus den Augen verloren, blieb er überrascht stehen, denn da lief eine frische Fuchsspur, wie eben erst eingedrückt, quer über den Pfad und gerade nach der Wand zu, an der sie damals verschwand. Also gab es hier wirklich einen möglichen Pfad dort hinab - denn wo /114/ ein Fuchs fortkommt, weshalb soll da nicht auch ein Mensch gehen können?

Der Forstgehülfe schritt vorsichtig und geräuschlos, und mit dem Fuß vorher sorgfältig sondirend, damit ihm der Schnee nicht darunter wegrutschte und er vielleicht die Klippe hinabstürzte, bis zum äußersten Rand und bog sich dort über, brauchte auch nicht lange, um die da hinabführenden Fährten zu erkennen. Meister Reinecke war wirklich ganz behaglich hinabgestiegen, und zwar an einer Stelle, die er selber bis dahin für ungangbar gehalten. - Und wo stak er jetzt? Der Forstgehülfe stand mit gespanntem Gewehr oben auf dem Rand des Felsens und bog sich soweit als möglich vor, und hinter ihm schnüffelte sein Dachs die frische Spur. Da plötzlich sah er dort unten, etwa in der Mitte der Wand, sich etwas Dunkles regen - das waren die spitzen Lauscher eines Fuchses. Unwillkürlich hob er das Gewehr an die Backe - wenn er nur noch ein klein wenig vorkam, daß er wenigstens den vollen Kopf erkennen konnte. Jetzt war er wieder verschwunden, oder wenigstens durch vorhängendes, mit Schnee bedecktes Gesträuch verdeckt - Raischbach blieb aber, ohne sich zu regen, in seiner Stellung, und es dauerte auch in der That keine halbe Minute, bis der Fuchs plötzlich wieder, etwas weiter unten zwar, aber nun vollständig zum Vorschein kam. In dem Moment krachte auch der Schuß, und Reinecke, seinen Halt verlierend, stürzte, entweder todt, oder doch schwer angeschossen, den letzten Absatz hinunter in die Büsche hinein. Von da oben aus war allerdings nichts mehr zu machen, denn in dem schlüpfrigen Schnee durfte er nicht wagen, an dem steilen Hang hinab zu klettern. Er besann sich aber auch keinen Moment - den Fuchs mußte er haben, und seine Büchsflinte erst wieder frisch ladend, eilte er dann, so rasch ihn seine Füße trugen, den Pfad hinab und in den eigentlichen „Grund" selber hinein.

Jetzt galt es, die Stelle wieder zu finden, auf der sein Fuchs liegen mußte. Diese war auch nicht gut zu fehlen, denn wie er nur in die Nähe kam, erkannte er schon an einzelnen an der Wand haftenden Schneeklumpen den rothen Schweiß, den der angeschossene Fuchs beim Abstürzen dort /115/ hinterlassen, und erreichte gleich darauf den Platz, wo er zu Boden geschlagen war - eine förmliche Schweißlache zeichnete den Ort an - aber der Fuchs lag nicht dabei. Freilich hatte er nicht fortgekonnt, ohne in dem Schnee eine vollkommen deutliche Spur zu hinterlassen - auch nicht mehr springen konnte er - nur durch den Schnee sich fortschleifend, zog sich die rothe Spur gegen die Wand hin, und dort stand Raischbach gleich darauf vor einer Felsspalte, so hoch, daß ein Mann hätte gebückt hineinkriechen können - und dort drinnen stak er jetzt.

„Ist der sappermentische Bursche doch noch zu Bau gekrochen!" murmelte der junge Forstgehülfe vor sich hin; „na, Dachs, dann wirst Du jetzt Deine Schuldigkeit thun müssen und ihn herausholen. Weit kann er nicht mehr hinein sein, und vielleicht liegt er gleich verendet vorn dran."

Damit löste er, ohne an die Warnung des Försters zu denken, den Hund von der Leine, der sich vor Ungeduld kaum lassen konnte. In dem Moment aber, wo er sich frei fühlte, sprang er schon winselnd auf der breiten Schweißspur fort und war im nächsten Augenblick in der Felsspalte verschwunden. Dort aber gab er augenblicklich Laut, der Fuchs mußte wirklich unmittelbar am Eingang gesessen haben und mit dem kleinen muthigen Hund sogleich handgemein geworden sein. Der Kampf zog sich aber etwas weiter in die Höhle, indeß nicht so weit, daß nicht Raischbach, der vergnügt lauschend davor stand, jeden Ton, jedes Knurren hätte hören können. - Jetzt plötzlich war Alles ruhig. Der junge Forstmann horchte - nichts regte sich mehr. Der Dachshund mußte den Fuchs todt gebissen haben, und dann zerzauste er ihn erst eine Weile.

„Dachs!" rief Raischbach hinein, „komm heraus, mein Hund - hier, Dachs! so, schön, mein Hündchen!"

Er horchte wieder, und es war ihm fast, als ob er ein leises Winseln höre. Er pfiff jetzt, aber keine Antwort - er pfiff stärker - Alles vergebens, weder von Fuchs noch Hund mehr ein Laut, und der Jäger stand kopfschüttelnd vor wußte nicht, was er daraus machen sollte. In solchen Fällen dauert es aber manchmal eine lange Weile, /116/ bis der Hund wieder zum Vorschein kommt, und Raischbach wartete deshalb auch wohl eine volle Stunde geduldig, aber immer umsonst, und das wurde ihm zuletzt langweilig.

,,Ei zum Wetter," brummte er endlich zwischen den Zähnen durch, „ich kann doch hier wahrhaftig nicht den ganzen Tag im Schnee hocken bleiben, und der Hund kommt nicht - wenn ich nun selber einmal dort hinein krieche? Breit und hoch genug ist die Spalte, aber auch stockdunkel drin. Wart, da draußen, gar nicht weit, stehen ein paar Klafter Kiefern, Scheit und Stöcke, an denen ist eine Masse Kien, wie ich neulich gesehen habe, und da wollen wir bald eine Fackel zurecht machen. Es geht Alles in der Welt, wenn man es nur gescheidt anfaßt - vielleicht kommt auch bis dahin der Dachs von selber heraus und bringt den Fuchs mit; denn drin läßt er ihn nicht, wenn er todt ist, das weiß ich gewiß."

Mit dem Entschluß drehte er sich auch schon um und schritt in seinen Fährten zurück wieder dem Eingang zu, ging von dort querüber der Stelle zu, wo er das geschlagene Holz wußte, und hatte auch bald gefunden, was er suchte. Einige der Scheiter, von denen er natürlich erst den Schnee abschütteln mußte, waren außerordentlich fett und kienhaltig, und mit seinem Hirschfänger hieb er sich rasch und leicht eine ganze Partie Spähne herunter, mit denen er eine vortreffliche Fackel herstellen konnte. Damit eilte er denn, so rasch er konnte, wieder zu dem Bau zurück, legte draußen Gewehr und Jagdtasche ab, was er beides da drinnen nicht gut brauchen konnte, nahm erst noch einen tüchtigen Schluck Branntwein aus der Flasche, entzündete dann seine rasch zusammengebundene Fackel, während er ein paar andere starke Spähne noch in der linken Hand hielt, und kroch dann, als er erst laut, aber wieder vergebens, seinem Hund gepfiffen, ohne Zögern in den Bau hinein.

Zuerst überkam ihn in dem dunkeln Loch, in dem die Fackel ihr rothes Licht verbreitete, ein merkwürdiges Gefühl, und lachend dachte er bei sich: „Wenn jetzt mein alter Förster und besonders die Lisel wüßte, daß ich in dem Fuchsbau umherkröche, um dem wilden Jäger und den Erdweiblen einen /117/ Besuch abzustatten, wie die die Hände über dem Kopf zusammenschlagen würden! - Erdweible, hm! na hier wohnt das hübsche Mädchen wahrhaftig nicht, das ich damals da oben getroffen - wo nur der verdammte Dachs steckt!"

Wieder pfiff er leise, um eine Antwort von seinem Hund zu hören, und hob die Fackel so hoch das gehen wollte empor, damit sie den düstern Raum etwas besser beleuchte - aber nichts war zu hören noch zu sehen, und kopfschüttelnd kroch er weiter in die Nacht hinein.

Die Felsspalte lief hier schräg in die Wand, als er aber auf den Boden leuchtete, erkannte er deutlich die Schweißspur des angeschossenen Fuchses. In der richtigen Bahn war er jedenfalls; hier erweiterte sich auch die Höhle etwas, und er hob wieder seine Kienfackel in die Höhe und that noch einen Schritt vor. Da rutschte plötzlich der Boden unter seinen Füßen weg, er griff schnell mit beiden Händen aus, konnte sich aber an der schlüpfrigen Wand nicht halten und stürzte im nächsten Momente schon in eine, wie er glaubte, bodenlose Tiefe hinab.

4.

Im Fuchsbau.

Das war ein Sturz! Dem jungen Forstmann knackten alle Knochen, als er unten ankam, und im ersten Moment schien es ihm, als ob das ganze Gewölbe von Myriaden Sternen und Leuchtkugeln brillant erhellt wäre. Dann schwanden ihm die Sinne und er wußte gar nicht, wie lange er so gelegen haben mochte, als er plötzlich eine Hand auf seiner Schulter fühlte und eine leise freundliche Stimme hörte, die sagte: „Schau, schau, das ist wahrlich der junge Jäger aus dem Wald da droben. Aber wie kommt der hier herunter zu uns, und wie bleich er aussieht und wie blutend – armer Mensch!" - und Raischbach war es, als ob sich eine /118/ leichte weiche Hand auf seine Stirn gelegt hätte. Ueberrascht schlug er jetzt die Augen auf und schaute verwundert um sich her, denn er befand sich in einer hohen, geräumigen, aber auch hell erleuchteten Halle, aus deren Felsspalten zahllose kleine Flammen in regelmäßigen Zwischenräumen hervorbrachen. Ueber ihn gebeugt aber, das liebe, herzige Gesicht von Mitleiden erfüllt, erkannte er die fremde Maid im Walde - genau so, wie er sie damals im Sonnenlicht gesehen, nur daß sie ihm jetzt noch tausendmal lieber und schöner vorkam, und sich auch nicht im Mindesten vor ihm zu fürchten schien.

„Ja, aber wie ist mir denn?" rief er und richtete sich erstaunt auf seinem Ellbogen empor - „wo bin ich denn hingerathen, und wer bist denn Du, Du liebes Kind, mit Deinen großen guten Augen, das ich die langen Monate da oben immer und immer umsonst gesucht habe und nirgends finden konnte?"

„Schau', wie Du lügst!" lachte das junge Wesen schelmisch - „mich hättest Du gesucht? so? Aber ich weiß cs besser, dem alten starken Bock bist Du zu Gefallen gegangen, dem mit dem starken Gehörn auf, aber nicht mir. Gelt, ich hab' Recht? - Den aber erwischst Du schon nicht - wär' auch schad' drum, denn er ist der schönste im ganzen Gebirg."

„Und wohnst Du denn hier unten im Berg?" frug der junge Mann, der sich noch immer nicht von seinem Erstaunen erholen konnte.

„Nun?" meinte das Mädchen, „hab' ich's Dir denn nicht damals gesagt, daß ich im Bau wohne? Du hast's wohl nicht geglaubt? Aber willst Du da auf der feuchten Erde liegen bleiben? Warum stehst Du denn nicht auf und kommst mit?"

„Mit? wohin?"

„Nun, in unsere Stadt - wie Du sonderbar fragst. Du glaubst wohl, wir hausen hier unten in Höhlen und Erdlöchern wie die Füchse?"

„Sonderbar," murmelte Raischbach vor sich hin, indem er aber doch ihrer Aufforderung Folge leistete und sich emporrichtete. Es ging auch; anfangs war's ihm gewesen, als ob er bei dem Sturz Arm und Bein gebrochen haben müsse, /119/ jetzt aber fühlte er sich so leicht und frisch, als ob seine Füße kaum den Boden berührten.

„So," sagte das Mädchen, als sie sah, daß er wieder aufrecht stand, „nun wasch' Dir erst einmal an der Quelle da das Blut ein wenig aus dem Gesicht, denn sie brauchen drüben gar nicht zu wissen, daß Du Hals über Kopf zu uns herunter gepoltert bist, und dann wollen wir gehen."

Der junge Forstgehülfe kam sich noch immer wie in einem Traum vor, aber er folgte doch dem Rath, und sich jetzt plötzlich wieder zu seiner Führerin wendend, frug er sie: „Aber wie heißt Du selber? Du hast mir ja Deinen Namen noch gar nicht genannt."

„Ich hab' gar keinen Namen," lachte aber die Kleine schelmisch mit einem halben Knix, „ich bin ja Waldweible, und die laufen immer nur so herum."

„Ach geh," sagte Bernhard, „Du wirst doch einen Namen haben! Wie soll man Dich denn rufen?"

„Du brauchst mich gar nicht zu rufen!" lachte das Mädel, „ich bin immer da und werde Dich jetzt getreulich geleiten."

„Aber ich muß Dich doch nennen können!"

„Ich weiß ja auch nicht einmal, wie Du heißt!"

„Hab' ich Dir meinen Namen nicht damals genannt?" sagte der junge Forstmann - „Bernhard Raischbach heiß' ich und bin Forstgehülfe oben im Spessart."

„Ja, wer kann alle Namen behalten!" lachte die Maid. „Also muß ich Dich wohl „Herr Forstgehülfe" nennen, wie es die alte Lisel thut?"

„Kennst Du denn die auch?“ rief der Jäger erstaunt.

„Weshalb soll ich die Lisel nicht kennen, wohnt sie doch lange genug da drüben in der Forstei und ist gar ein frommes, gutes Geschöpf, die immer gleich ein Kreuz schlägt, wenn sie 'was Unrechtes wittert. Die hat eine Nase! Aber jetzt komm! Blitz noch einmal, bist ja gar nicht von der Stelle zu bringen! Droben im Walde warst Du doch flink genug auf den Füßen, und ich mußte damals geschwind machen, daß ich Dir die Wand hinunter aus den Augen kam."

„Und den steilen Pfad bist Du wirklich hinabgesprungen?" /120/

„Bah, was ist denn das weiter?" lachte das Mädchen; „jeder Fuchs geht ja da aus und ein."

Dabei hatte sie ihn an der Hand genommen und führte ihn jetzt die Höhle entlang deren Ende zu, wo sie in einen langen schmalen Gang auszumünden schien. Der Gang aber führte immer mehr bergab, und als Bernhard den Blick zurückwarf, kam es ihm vor, als ob er sich etwas drehe.

„Aber wo geht denn das hin?" frug er.

„Wirst's gleich sehen," lautete die Antwort - „Du weißt ja doch, daß jene alte Stadt, von der Dir der Förster erzählt, gerade an der Stelle gestanden hat, wo jetzt der tiefe Grund liegt, und da müssen wir hinunter; aber 's ist nicht weit mehr," tröstete sie ihn, „siehst Du, da unten kannst Du schon den hellen Schein erkennen."

„Wo kommen nur all' die Flammen her, die Ihr hier brennt?"

„Die Flammen?" sagte das Mädchen - „ei, das ist Erdöl, das aus den verschiedenen Ritzen und Spalten herausschwitzt und blos angezündet zu werden braucht, wenn man es unten hell zu haben wünscht. Erdöl giebt's genug und überall; das brennt ewig."

Raischbach wußte gar nicht, wie ihm eigentlich geschah; immer aber mußte er wieder seine Begleiterin ansehen, und er konnte sich gar nicht denken, daß es etwas Lieberes auf der Welt geben möge, als ihr freundliches Gesicht. So weiß und zart sah ihre Haut aus, so leicht von Roth waren ihre Wangen angehaucht, und was für wundervolles, dunkel kastanienbraunes Haar sie hatte - und was für Augen - ihr Feuer brannte ihm tief in's Herz hinein, und wie er den Druck ihrer Hand fühlte, als sie ihn den steilen, schlüpfrigen Hang hinableitete, war es ordentlich, als ob es ihm die Nerven bis in die Fußzehen und Fingerspitzen hinein erzittern machte. Sie selber aber schien von dem Eindruck, den sie auf den jungen Forstmann ausübte, nicht die geringste Ahnung zu haben, sondern schritt so unbefangen und ruhig neben ihm her, als ob er eben nichts wie ihr täglicher Begleiter wäre.

Da öffnete sich plötzlich vor ihnen der bis jetzt schmale Gang zu einer weiten Ebene, die aber von einem blendend /121/ hellen Lichtkörper erleuchtet wurde, während hoch darüber dunkle und undurchdringliche Nacht zu liegen schien, und in der Ebene sah der Forstgehülfe eine weite, alterthümliche Stadt, mit einer breiten, aber niedern Kirche und einem Kirchthurm, dessen fast moscheenartig gerundete Kuppel wie von lauterem Golde blitzte und strahlte. Als er aber genauer hinsah, bemerkte er, daß gerade diese Kuppel der Körper sei, von dem aus das Licht über die ganze Gegend floß, so daß sie wie eine strahlende Sonne über den Häusern lag.

Seine Aufmerksamkeit wurde indessen bald einem Haufen riesengroßer, doch furchtbar magerer Rüden zugelenkt, die mit schrecklichem Geheul und Gebell auf sie einfuhren und nicht übel Lust zu haben schienen, über sie herzufallen. Bernhard griff auch schon nach seinem Hirschfänger, um sich und seine Begleiterin zu vertheidigen. Diese aber lachte und rief: „Laß nur den Hirschfänger stecken, Freund, die thun uns nichts, das sind die Hunde des Grafen Hackelnberg und blos darauf abgerichtet, rechten Lärm zu machen."

„Dem Grafen Hackelnberg gehören die?" rief der Forstgehülfe, „dem wilden Jäger?"

„Ja, gewiß," sagte das Mädchen, „der hat sich hier schon lange bei uns eingenistet, reitet aber nur selten noch aus, denn er leidet so furchtbar an der Gicht."

„Der wilde Jäger?" rief Raischbach erstaunt aus, während die Hunde wieder von ihnen abließen - „aber ich dachte immer, der Graf Hans von Hackelnberg Hause im Harzgebirge?"

„Da war er auch früher," nickte das Mädchen, „aber es muß ihm wohl dorten langweilig gewesen sein, und weil er hier bessere Gesellschaft gefunden hat, ist er hierher gezogen. Oh, es wohnen eine Menge vornehmer Leut' hier," fuhr die Maid bedeutsam mit dem Kopf nickend fort - „Du wirst Dich wundern, wenn Du sie einmal alle beisammen siehst, denn so ein lauschiges Plätzchen giebt's gar nimmer mehr an irgend einer Stelle in der ganzen Welt, wie bei uns im Grund."

Während sie noch so plauderte, waren sie auf den offenen Raum hinausgetreten, und der junge Forstgehülfe sah hier /122/ allerdings eine vollständig neue Welt, die sich ihm, je weiter er hineindrang, mehr und mehr erschloß.

Das mußte eine uralte Stadt sein, die hier unten im Grunde lag, denn die Häuser sahen alle grau und verwittert genug aus, und auf den Dächern und Mauern wuchs Hauslauch in ganzen Büscheln, während von manchen Dachrinnen das Moos in langen grünen Quasten bis fast zur Erde niederhing. Aber die Fenster sahen trotzdem spiegelblank aus, und jedes Haus hatte seinen kleinen freundlichen Garten, in welchem, trotzdem daß oben auf der Erde jetzt Schnee lag und tiefer Winter war, die schönsten Blumen wuchsen und reife Stachelbeeren, Kirschen und Pflaumen hingen.

Links am Eingang lag ein reizendes kleines Landhaus mit einem schmalen, aber langen Teich, der es halb umschloß und auf dem die wundervollsten Wasserlilien wuchsen.

„Da wohnt die Frau Holle," sagte die Maid, „wenn sie manchmal zu uns auf Besuch kommt."

„Die Frau Holle? - ist es denn möglich? Und da drüben wohnt wohl der Förster? Zu dem könnten wir vielleicht einmal hineingehen und ihm guten Tag sagen."

„Ja nicht!" warnte aber das Mädchen; „wir wüßten nicht, wie wir empfangen würden und ob er gerad' bei guter Laune wäre. Das ist auch nicht das Forsthaus, sondern da haust der Graf Hackelnberg, und manchmal ist er gut und freundlich mit den Leuten, manchmal aber, wenn er seinen bösen Tag hat, hetzt er die Hunde auf sie und treibt allerlei Unfug. Das ist und bleibt ein wilder Gesell."

Raischbach war stehen geblieben und besah sich das Haus - es war ein graues, aus Stein ausgeführtes Gebäude, fast wie eine Forstei, nur hinten mit einem kleinen Wartthurm, über der Thür aber ein mächtiges Hirschgeweih von einem Zweiunddreißig-Ender befestigt, wie sie jetzt gar nicht mehr im Walde vorkommen, und auch unter dem Giebel mit einer Menge von Jagdtrophäen geschmückt.

Das Mädchen zog ihn aber weiter, denn es kamen eine Menge Leute die Straße herunter. Sie sahen den jungen Fremden wohl verwundert an, grüßten doch aber Alle freundlich und ließen ihn ungehindert ziehen - nur ein anderes junges /123/ Mädchen ergriff seine Begleiterin am Arm, zog sie ein wenig bei Seite und flüsterte ihr, aber laut genug, daß es Raischbach hören konnte, zu: „Wen hast Du denn da aufgegabelt und wo kommt der her?"

„'s ist blos ein Besuch," sagte aber die Maid, „ein braver junger Mensch, der sich einmal bei uns umsehen will."

„Aber darf er denn das?"

„Und warum nicht? - wer kann's ihm wehren? Er nimmt ja nichts mit fort."

Das andere Mädchen schüttelte mit dem Kopf, als ob ihr die Sache nicht recht wäre, oder doch sonderbar vorkäme, sagte aber nichts weiter, sondern nickte nur „Grüß Gott" und folgte den Anderen.

Den Weg herunter und ihr folgend kam jetzt eine alte Frau an einem Krückstock, die aber, als sie den Fremden sah, mitten in der Straße stehen blieb und ihn groß betrachtete.

„Grüß die!" flüsterte da die Maid dem jungen Jäger wie ängstlich zu - „sei fein höflich, sonst wird sie bös."

Raischbach folgte ihrem Rath, die Alte hatte in der That ein bitterböses Gesicht; als er aber sehr höflich seinen Hut zog, heiterte es sich etwas auf. Sie murmelte nur ein paar unverständliche Worte aus ihrem zahnlosen Mund und humpelte dann vorüber.

„Wer war denn das?" sagte der junge Forstgehülfe, als sie sich außer Hörweite von ihr befanden.

„Kennst Du die nicht einmal?" lachte das Mädchen - „die alte Urschel vom Urschelberg drüben, die manchmal hier bei uns zuspricht; da kommen auch ihre drei Nachtfräulein; die sind aber gut und brav."

Drei bildschöne, weißgekleidete Jungfrauen schritten mit niedergeschlagenen Augen an ihnen vorüber; ehe sie aber Bernhard ordentlich betrachten konnte, hörte er donnernde Hufschläge dicht hinter sich auf der Straße und hatte wirklich kaum Zeit, bei Seite zu springen, als auch schon ein milchweißes Roß mit einer in grünen Sammet gekleideten Reiterin an ihm vorüberflog. Von ihrem Haupt wehten lange, rabenschwarze Locken aus, von ihrem Barett schwankten lange, prachtvolle Reiherfedern, und auf der linken Faust hielt sie eine mächtige /

124/ Eule, die sich fortwährend gegen den Wind duckte und die Flügel halb ausbreitete, als ob sie eben abstreichen wolle.

Der junge Forstgehülfe wollte sich eben wieder erstaunt zu seiner Führerin wenden, als die wilde Reiterin ihren Zelter plötzlich auf den Hinterbeinen herumwarf, daß die Eule bei der unerwarteten Bewegung kaum ihren Stand bewahren konnte. So zügelte sie ihr Thier vor dem Jäger ein, dessen Beruf sie wohl rasch an der Kleidung erkannt hatte, und rief: „Hallo, wen haben wir da? Waidmanns Heil, mein Bursch! woher des Weges?"

„Von droben, Fräulein Berchta," sagte da seine junge Begleiterin; „aus dem Spessart herunter; er ist nur zum Besuch gekommen."

„Hat er Dich besucht, Schatz?" lachte die junge Dame, „und kann er nicht selber Red' und Antwort stehen?"

„Doch, Fräulein," sagte der Forstmann, der sich rasch gesammelt hatte und jetzt schon anfing, gar nichts Außerordentliches mehr in all' dem Wunderbaren zu finden, das ihn hier umgab; „ich kann wohl selber reden, hoffe aber, daß ich hier unten Niemandem zur Last falle, sonst gehe ich eben wieder meiner Wege."

„Ei, ein Waidmann ist überall willkommen," lachte die junge Dame; „wenn Ihr da oben auch jetzt Eure Jägerei treibt, daß es eine Sünd' und Schande ist - ich weiß wohl," winkte sie mit der rechten Hand - „Ihr Forstleute könnt nichts dafür, und seid eigentlich jetzt mehr Schreiber als Jäger da oben im schönen Wald. Beim Himmel! was das da für ein ewiges Geklopfe und Gehacke ist, und ein Baum nach dem andern wird umgehauen und aus dem herrlichsten Wald elendes Rübenfeld gemacht. Aber ich will mich nicht ärgern, denn wenn ich nur dran denke, läuft mir schon die Galle über," brach sie kurz ab. „Kommt nachher einmal in die Wolfsschlucht - heut Nachmittag sind wir da Alle zusammen, daß wir ein vernünftiges Wort mitsammen reden können - jetzt hab' ich keine Zeit," und ihren Schimmel wieder herumwerfend, flog sie, wie sie gekommen, die Straße hinab. „War denn das die Fräulein Berchta, die mit dem wilden /125/ Jäger sonst geritten ist?" frug Bernhard erstaunt seine Begleiterin.

„Gelt, das ist ein stolzes Weibsen!" nickte diese, „aber gewiß war sie's, mit der Tut-Osel auf der Faust, wie sie immer ausreitet, oder den großen häßlichen Vogel auch manchmal hinter sich herfliegen läßt. Wild ist sie aber noch immer und kann das alte Leben wohl am schwersten von Allen vergessen."

„Aber wo ist hier die Wolfsschlucht? - oben kenne ich eine, doch hier unten -"

„Da drüben steht sie!" lachte die Maid, auf ein breites, sehr wohnliches Haus deutend - „das ist der Gasthof im Ort, den der alte Eckardt hier unten hält."

„Der getreue Eckardt?"

„Ja gewiß."

„Und der ist Wirth geworden?"

„Und warum sollte er nicht? Der alte Wirth war reich und bequem geworden und hatte das Geschäft aufgegeben; es wollt' auch eigentlich Keiner mehr zu ihm, denn er betrog die Leut' zu sehr. Da hat's der alte gute Eckardt übernommen, denn ein Wirthshaus mußten wir doch haben, und zu dem geht jetzt Alles - unten hinein das Volk und oben im ersten Stock hat er auch ein Casino angelegt für die Vornehmen."

„'s ist rein zum Verrücktwerden!" murmelte Raischbach vor sich hin, als das Mädel da so ruhig von lauter Persönlichkeiten plauderte, die er sich bis dahin nur als wilden Spuk gedacht, „und man möchte wahrhaftig glauben, man träumte die ganze Geschichte nur, wenn sie nicht so leibhaftig um Einen herstünde. Ich mag mich aber zwicken, wie ich will, ich wach' doch, und das Alles muß ja wohl so sein, wie es eben ist."

„Thut Dir noch etwas weh von dem Fall?" frug das Mädchen, als sie sah, daß er sich bald am rechten und bald am linken Arm anfaßte und auch nach dem Kopf hinaufgriff.

„Das nicht grad'," meinte er etwas verlegen, denn er mochte ihr doch nicht sagen, was ihm eben durch den Sinn gefahren - „nur im Kopf brummt und summt mir's so."

„Das ist das ewige Brausen und Kochen tief in der /126/ Erde Grund," sagte die Maid, „was wir hier deutlicher hören, als Ihr da oben; daran wirst Du Dich bald gewöhnen, wenn Du erst eine Weile bei uns bist."

„Hussa! hussa! hallo!" tönte plötzlich ein wilder Jagdruf durch die Luft, und ein paar scheue Menschengestalten, denen der Kopf in Feuer zu stehen schien, so lichterloh brannten ihnen die Haare, fuhren wie Kaninchen über den Weg. Hinter ihnen her aber, ihre Rüden hetzend, und die Eule jetzt in freier Flucht nach den Gehetzten immer mit den Flügeln schlagend, setzte die wilde Reiterin auf ihrem Schimmel quer über die Gartenzäune und Sträucher weg, und kläffende Rüden heulten an ihrer Seite.

„Um Gottes Willen!" rief Raischbach erschreckt aus, „was haben die armen Menschen denn gethan?"

„Ah," sagte die Maid verächtlich, „das sind „Schretteln"; denen geschieht's schon recht, und das bischen Bewegung kann ihnen nichts schaden."

„Schretteln?"

„Ja, schlechtes Volk, was seiner Zeit Grenz- und Marksteine versetzt und die Nachbarn um ihren Grund und Boden betrogen hat. Die werden gejagt, wo sie sich blicken lassen, haben hier unten auch gar nichts zu thun und sollen nur machen, daß sie wieder in ihre Sümpfe kommen. Wir brauchen derlei Gelichter nicht."

„Und wohin gehen wir jetzt?"

„Wart' hier einen Augenblick, ich bin gleich wieder da," sagte das Mädchen - „muß nur erst einmal nach Haus laufen und Dich melden, damit mein Vater weiß, wir kriegen Besuch für die Nacht. Nachher führ' ich Dich in die Wolfsschlucht, und dann gehen wir zusammen heim."

„Wenn Du nur einen Namen hättest, daß man Dich nennen könnte," sagte Bernhard traurig. „Ich weiß ja nicht einmal, wie ich später an Dich denken soll."

„Und brauchst Du dazu einen Namen?" lachte seine Begleiterin. „Warum giebst Du mir denn nicht selber einen? mir ist's recht."

„Darf ich?"

„Warum nicht - wem schadet's 'was?" /127/

„Aber wie soll ich Dich nennen?"

„Wie Du eben willst - weißt Du keinen hübschen Namen?"

„Oh gewiß, viele - mein Lieblingsname ist Margarethe."

„Der klingt auch ganz hübsch."

„Oder Marie."

„Wie Du willst - Marie ist noch kürzer - nenne mich Marie."

„Ich wollte, Du hießest Margarethe."

„Bist Du ein komischer Mensch! - aber warte nur hier - ich bin gleich wieder da. Leg' Dich derweile dort unter die Linde und ruh' ein wenig aus. Du mußt ja auch müde vom vielen Herumlaufen geworden sein."

Das Mädchen hatte Recht; war es die dicke, schwere Luft, die ihm hier unten so das Gehirn zusammendrückte; waren cs die vielen fremdartigen Bilder, die ganze unheimliche Umgebung. Er warf sich unter den Baum, und eine Zeit lang kam es ihm vor, als ob Alles in einem wirren Kreislauf vor seinem innern Blick vorüberflöge. Es wurde vollständig dunkel um ihn her, und dann war es ihm wieder, als ob ihn der Kreiser Metzler beim Namen riefe und er antworten wolle.

3.

Beim wilden Jäger.

Er mußte jedenfalls eingeschlafen sein, denn plötzlich fühlte er wieder des Mädchens weiche Hand auf seiner Schulter, und diese rief: „Ei, das lass' ich gelten; am hellen Tage schläfst Du wie ein Dachs. Ich machte mir schon Vorwürfe, daß ich Dich so lange allein gelassen, aber ich hätte wohl noch länger wegbleiben dürfen."

„Ach, Marie!" rief Raischbach, ordentlich erschreckt emporfahrend, „ich glaube wirklich, daß ich eingeschlafen bin." /128/

„Ja, ich glaub's auch!" lachte diese. „Du hast geschnarcht wie ein Dachs - aber jetzt komm, es ist spät geworden; denn wenn wir noch erst in die Wolfsschlucht wollen, kommen wir nachher gar so lange nicht heim."

„Aber was sollen wir in der Wolfsschlucht? Ich bleib' viel lieber bei Dir."

„Wirklich? Aber das geht nicht an. Das Fräulein hat Dich eingeladen, und die würde schon bös auf mich werden, wenn ich Dich nicht dahin brächte. Da findest Du auch die ganze vornehme Welt von da unten, und der alte gute Eckardt freut sich gewiß, Dich kennen zu lernen. Er hat alle Menschen lieb und ihnen noch nie einen Schabernack oder gar ein Leides gethan."

„Also ein ordentliches Casino haben sie dort?"

„Ei, Du wirst staunen, wenn Du's siehst - aber ich geh' nicht mit hinauf," setzte sie hinzu, „denn Unsereins gehört nicht zwischen die vornehmen Herrschaften, und die Frau Holle würde mich schön über die Achsel ansehen."

„Ja, kommt denn die auch dahin?"

„Na gewiß - da ist alle Abend große Gesellschaft, und wenn sie einmal recht lustig sind, dann kommen sie auch wohl hierher unter die große Linde und tanzen im Freien; aber das geschieht gar selten, denn die Mannsleute spielen lieber Karten und trinken Wein, und die Frauensleute sitzen beim Kaffee und schwatzen mit einander."

„Das ist ja aber gerade wie bei uns, Marie."

„Und warum soll's nicht wie bei Euch sein?" sagte das Mädchen ruhig - „waren es doch auch Alles früher einmal Menschen und haben deshalb ihre alten Gewohnheiten beibehalten; so 'was ändert sich nicht, und wenn man so alt würde wie die Welt."

„Und sind wir hier am Haus?"

„Das ist die Wolfsschlucht! Siehst Du das Schild nicht am Haus und den großen Wolfskopf drüber in Stein gehauen? Und da kommt auch schon der alte Eckardt. Mit dem lass' ich Dich allein, er kennt Dich schon, brauchst ihm gar nichts weiter zu sagen, denn der weiß Alles, was droben und drunten geschieht!" /129/

„Und wann seh' ich Dich wieder, Marie?"

„Ich pass' schon auf, wenn Du wieder herunter kommst und nehme Dich dann nachher mit," und ihm freundlich zunickend, glitt sie an dem alten Eckardt vorüber, der aber gar nicht den Kopf nach ihr wandte, in das Haus. Vor sich aber bemerkte Raischbach jetzt einen ehrwürdig aussehenden Greis mit weißem Haar und Bart, der einen eigenthümlich alten Rock und kurze Hosen und Schuhe und Strümpfe trug. Aber er sah freundlich und treuherzig aus, und dem jungen Forstmann die Hand entgegenstreckend, rief er: „Gott zum Gruß, Landsmann! Freut mich, daß Ihr auch einmal hier herunter zu uns kommt. Fällt selten hier vor, daß wir Einen von Euch zu sehen kriegen, denn was uns hierher geschickt wird, ist meistens Gesindel, das oben nicht gut thut und daher auf gute Besserung herunter muß."

„Und kennt Ihr mich denn, Meister Eckardt?" sagte Raischbach verwundert.

„Weshalb soll ich Euch nicht kennen?" lachte der alte Mann. „Hab' Euch oft zugesehen, wenn Ihr da oben halbe Tage lang auf den alten Bock gepaßt und geblattet habt, während der, kaum zweihundert Schritt von Euch entfernt, ruhig in der Dickung spazieren ging, und nur manchmal seinen Platz wechselte, um wieder Wind von Euch zu bekommen und genau zu wissen, wo Ihr gerade stäket."

„Ja, der alte Bock," sagte Bernhard, „hat mir schon viel Mühe gemacht."

„Und wird Euch noch mehr machen," lachte der Alte, „es ist eben alle Tage Jagd-, aber nicht alle Tage Fangtag, und der Jäger muß Geduld haben, sonst bringt er's zu nichts. Mit dem Hetzen, wie sie's zu meiner Zeit getrieben, ist oben nichts mehr auszurichten, denn man kommt nicht mehr durch. Damals ja, da war lauter Hochwald, und man konnte sein Pferd laufen lassen; jetzt aber, wo sie lauter junges Holz anpflanzen, das Dickungen bildet, wo kaum ein Fuchs durchschlüpft, da sollen sie's wohl bleiben lassen, und die lustige Jagd hat aufgehört."

„Aber Fräulein Berchta scheint's doch noch zu treiben?" sagte Bernhard. /130/

„Das ist ein tolles Mädel,“ meinte der Alte kopfschüttelnd, „die läßt's nicht bis in alle Ewigkeit. Aber geht nur hinauf, sie hat schon nach Euch gefragt, und der Hackelnberg ist auch oben und der Ebersberger; die ganze tolle Jagd hat sich versammelt, Ihr kommt gerade recht."

„Und darf ich da eintreten?"

„Geht nur gerade zu und sagt ruhig Euer „Waidmanns Heil". Derartige Leute sind immer willkommen, wenn ich's auch gerade keinem Andern rathen wollte, so ohne Weiteres zu ihnen herein zu brechen."

Oben an der Treppe war eine breite Flügelthür. Das ganze Haus sah überhaupt vornehm aus und hätte mit seiner innern Einrichtung eben so gut in einer großen Residenz liegen können - und als der alte Eckardt die Thür öffnete, fand sich Raischbach, fast verlegen, einer ziemlich großen Gesellschaft von Herren und Damen gegenüber, die theils um die Tische zerstreut saßen, theils im Zimmer auf- und abgingen.

Gerade an der Thür vorüber schritt ein stattlicher, hoher Mann in einem Jagdwamms mit hohen ledernen Kollerstiefeln, einen Hirschfänger an der Seite, während auf einem der kleinen Tische rechts ein breitkrämpiger grauer Hut mit Birkhahnfedern darauf, ein Paar große Stulpenhandschuhe und ein Hifthorn lagen. Er drehte sich rasch um, als die Thür aufging, als ob er Jemanden erwarte, und Raischbach sah in ein bleiches, aber edles Gesicht, mit langem schwarzen Schnurr- und Knebelbart und dunkeln blitzenden Augen - das mußte der Hackelnberg sein, und mit lauter unerschrockener Stimme sagte er sein: „Waidmanns Heil! Ihr Herren und Damen!"

„Hallo!" rief der wilde Jäger, auf dem Absatz herum fahrend - „wen haben wir da? Waidmanns Heil, Gesell! Wo kommst Du her?"

„Von droben, mit Verlaub," erwiderte Raischbach, „und wollte mich auch der Gesellschaft nicht aufdrängen, aber die freundliche Einladung der Dame da drüben -"

„Nur keine lange Entschuldigung!" lachte Fräulein Berchta, die am Fenster saß und an einem großen Jagdnetz zu flechten schien, indem sie ihre Arbeit bei Seite warf und auf ihn zu trat - „seid willkommen, Ihr findet hier lauter gute Freunde." /131/

„Spielst Du L'Hombre?" frug der Hackelnberg.

„Das thut mir leid, nein," sagte Bernhard; „weiter nichts als deutsch Solo -"

„Das soll der Teufel holen!" brummte der wilde Jäger ärgerlich, „und der verdammte Hans Jagenteufel verpaßt heute seine Partie. Ich möchte meinen Hals verwetten, der alberne Narr kann wieder einmal seinen Kopf nicht finden."

„Seinen Kopf?" sagte Raischbach verwundert.

„Na natürlich, weil er die dumme Gewohnheit hat, ihn unter dem Arm zu tragen. Wenn er ihn dann einmal ablegt, vergißt er immer, wo."

„Das ist recht gut," sagte eine alte würdige Frau, die jetzt auch auf Raischbach zukam und ihm freundlich zunickte, „daß Ihr einmal um Euer häßliches Spiel kommt und Euch der Gesellschaft widmen könnt; es giebt so nur immer Zank und Streit dabei."

„Bah, Gesellschaft widmen!" knurrte ein anderer baumlanger Gesell, auch in Jägertracht, aber mit wirrem Haar und Bart und tückisch blitzenden Augen; „das ewige Schwatzen und Klatschen bekommt man auch am Ende satt - Eckardt, schafft wenigstens Wein her, daß wir die Gurgeln nässen können!"

„Aber vorher muß ich unserem jungen Gast doch wenigstens die Gesellschaft vorstellen," sagte Fräulein Berchta, „damit er weiß, bei wem er sich befindet."

„Wir wissen ja selber noch nicht einmal, wie er heißt," knurrte der Alte wieder.

„Bernhard Raischbach, Forstgehülfe aus dem Spessart," sagte der junge Jäger, sich selbst vorstellend.

„Allen Respect," lachte der wilde Jäger - „nun denn, ich bin Graf Hackelnberg, um mich gleich zu beseitigen, das da Fräulein Berchta, Frau Holle hier - das hier der wilde Ebersberger, ein treuer Jagdgenosse."

„Oh, werdet nicht langweilig, oder ich geh' meiner Wege," knurrte dieser. „He, da kommt Wein! Eingeschenkt, Eckardt! So recht - hier, Herr Forstgehülfe, nehmt einmal den Humpen da und thut Bescheid. Könnt Ihr trinken?"

„Sollt' es denken," lächelte dieser, den riesigen Römer in dre Hand nehmend. Also Ihr Wohl, meine Damen und /132/ Herren!" und da ihm die Zunge ordentlich am Gaumen klebte, leerte er das ganze Gefäß auf einen tüchtigen Zug.

Der Graf Hackelnberg hatte ihn scharf im Auge behalten, aber sein Gesicht heiterte sich sichtlich auf, als er den Zug sah, und wie der junge Forstmann das Glas umdrehte, zum Zeichen, daß er dem Trunk Ehre angethan, schrie er mit lauter, donnernder Stimme: „Bravo, mein Junge, das hätte der Ebersberger nicht besser machen können, und der hat ebenfalls eine famose Saugkraft. Hier ein Wohl auf das edle Waidwerk, und daß die Aasjäger der Teufel hole!" und damit stürzte er seinen Humpen ebenfalls hinab.

Der alte Eckardt hatte jetzt kaum Hände genug, um nach allen Seiten einzuschenken, und auch das Gespräch wurde allgemein. Eben war auch die alte Urschel mit ihren jungen Damen eingetreten, ohne freilich selber Theil daran zu nehmen, denn sie schien nicht geselliger Natur, sondern setzte sich still und mürrisch in eine Ecke und holte sich ein großes Spinnrad vor, während eins der jungen Mädchen ihr eine große Tasse mit Kaffee brachte. Die drei jungen Nachtfräulein aber schienen ihr scheues, verschlossenes Wesen ganz abgelegt zu haben und plauderten jetzt so auf Reuschbach ein und wollten wissen, wie es „da oben" aussähe und was die Menschen dort trieben, daß er ihnen kaum alle Fragen beantworten konnte. Und wie hübsch - wie wunderhübsch sie waren und was für tiefblaue, treue Augen sie hatten - aber so hübsch wie seine Marie schienen sie doch nicht, wenn sie auch viel edler und vornehmer auftraten und weiße, außerordentlich feine Gewänder trugen.

Auch Fräulein Berchta plauderte viel mit ihm und frug ihn besonders nach dem jetzigen Wildstand da oben, nach den Hirschen und was sie „auf" hätten, nach den Bären, Luchsen und Wölfen, und wollte es gar nicht glauben, als er ihr sagte, daß von den letzteren Raubthieren gar nichts mehr droben im Wald zu finden wäre und sich nur dann und wann einmal ein einzelner Wolf in ihr Revier verlöre.

Aber die drei jungen Nachtfräulein kamen immer wieder auf die Moden an der Oberwelt zurück, und der junge Forstgehülfe, der sich darin vollkommen außer seinem Fahrwasser /133/ befand, sollte ihnen bald über Das, bald über Jenes Auskunft geben, wovon er nicht das Geringste wußte.

Da kam ihm der Hackelnberger zu Hülfe, der auch indessen die Geduld verloren hatte, weil sich der Hans Jagenteufel noch immer nicht zu seiner L'Hombrepartie einstellte, und mit der Faust auf den Tisch schlagend rief er aus:

„Nun hört, zum Donnerwetter, einmal mit Eurem Geklatsch auf; was weiß denn der Jägersmann von euren Falbeln und Stößen und Krinolinen und wie der Unsinn alle heißt. Komm, mein Herr Forstgehülfe, ich will Dir einmal meine Kneipe zeigen, da wirst Du Dich besser amüsiren - ich habe eine famose Sammlung drüben und ein paar Rehbocksgehörne dabei, gegen die der alte Bock da oben wie ein Spießer aussteht."

„Wirklich?" rief Raischbach, während Fräulein Berchta höhnisch lachte; aber der Ebersberger rief:

„Das ist recht, da geh' ich auch mit - ich habe neulich mit dem Hans Jagenteufel gewettet, daß der eine Sechsundzwanzig-Ender mit der Schaufel auf der linken Stange ein Ungerader wäre, und kann mich da gleich selber überzeugen.“

„Die hast Du verloren," lachte Hackelnberger, indem er sein Hifthorn umwarf, seinen Hut aussetzte und seine Handschuhe anzog. „Das ist ein voller, sogar noch mit einem Auswuchs an der rechten Stange, den man recht gut hätte einfeilen und einen ungeraden Achtundzwanziger daraus machen können."

Raischbach hatte auch seinen Hut aufgegriffen; denn daß ihn der wilde Jäger einlud, mit in sein Haus hinüber zu kommen, war ihm ganz recht. Wie er ihm aber eben folgen wollte, sah er, daß der alte Eckardt an der Thür stand und ihm heimlich zuwinkte, nicht mitzugehen. Erstaunt blickte er ihn an, der Hackelnberg aber, der die Bewegung ebenfalls bemerkt haben mußte, warf ihm einen zornigen Blick zu und rrcf: „Na, jetzt laß die albernen alten Geschichten; ich werd' ihn nicht beißen, und wenn er Furcht hat, kann er ja ruhig da bleiben.“

„Furcht?" lachte Raischbach, „wovor soll ich Furcht haben? Ich will Niemanden hier schädigen und hoffe, eben so freundlich behandelt zu werden." /134/

„Es ist eine alte Gewohnheit von ihm," lachte der Hackelnberg, „daß er immer mit dem Kopf schüttelt und ein bedenkliches Gesicht schneidet. Kommt, es wird sonst zu spät - und wenn der Hans Jagenteufel noch eintreffen sollte, so laßt mich's wissen, Eckardt."

„Ach, heute giebt's doch keine Partie mehr," brummte der Ebersberger, - „ich gehe auch mit! Vorwärts marsch!"

Der Hackelnberg, von dem Ebersberger dicht gefolgt, verließ das Zimmer, und Raischbach schloß sich ihnen an. Unten im Vorsaal aber, ehe sie die Thür verließen, sah er Marie stehen, die ihm verstohlen, aber ängstlich mit der Hand winkte, nicht zu gehen. Raischbach zögerte setzt wirklich unschlüssig einen Moment, aber der wilde Jäger mußte das auch bemerkt haben, denn rasch und zornig wandte er sich gegen das junge Mädchen, das sich scheu vor den funkelnden Augen des Wilden in eine Kammer zurückzog und nicht wieder zum Vorschein kam.

Im nächsten Moment befanden sic sich draußen auf der Straße und sahen sich auch schon dem mit Geweihen und Jagdschmuck gezierten Hause Hackelnberg's gegenüber.

Raischbach blickte allerdings erstaunt umher, denn vorher war es ihm so vorgekommen, als ob das Haus viel weiter abseits gelegen habe, aber lange Zeit zum Ueberlegen blieb ihm doch nicht. Graf Hackelnberg schritt rasch über die Straße hinüber und stieß einen kleinen Gartenzaun auf, der von kläffenden, heulenden Rüden wimmelte. Das war ein Springen und Bellen und Winseln, als sie ihren Herrn kommen sahen, und nur gegen den Fremden wollten sie anknurren und ihn nicht vorüberlassen; aber ein Pfiff des wilden Jägers trieb sie alle scheu zurück, und jetzt öffnete sich ihnen die niedere Thür des kleinen Gebäudes, und der junge Forstgehülfe betrat hier eine vollkommen neue Welt.

Schon die Hausstur zeigte die Jägerwohnung. Da hingen Seite an Seite die riesigsten, herrlichsten Geweihe von Hirschen, wie sie Raischbach bis jetzt kaum für möglich gehalten hatte, dann ausgestopfte Eber- und Bärenköpfe, und die ganze in den oberen Stock hinaufführende Treppe war mit Wolfs- und Luchspelzen statt Teppichen dicht belegt. Und oben erst die abnormen Geweihe und Gehörne, eine Sammlung, von denen /135/ jedes einzelne Stück an der Oberwelt mit Gold ausgewogen worden wäre.

„Heh, Raischbach!" rief der Hackelnberger, indem er sich nach seinem Begleiter umwandte und auf die eine Wand deutete, an der nur Rehbocksgehörne hingen, „das sind andere Kerle gewesen, als Euer Bock oben im Wald, wie? – Seht Euch einmal die drei da an!"

„Aber das sind doch keine Rehbocksgehörne!" rief der Jäger fast erschreckt aus, als er die riesigen Stangen sah.

„Waren es nicht?" lachte Hackelnberg - „ich habe sie aber alle zu meiner Zeit selber geschossen. Nehmt Euch eins zum Andenken mit."

„Von den Gehörnen?"

„Gewiß; damit könnt Ihr Staat machen, und ein besseres hat Niemand bei Euch da droben; kommt auch nicht mehr vor. Da drinnen hängen noch die Armbrüste, die wir damals geführt, denn da waren noch nicht die Knallgewehre erfunden, mit denen man jetzt einen Lärm im Walde macht, daß man es Meilen weit hören kann. Nehmt Euch nur das Gehörn, wenn's Euch Spaß macht, zum Andenken an den Hackelnberg."

„Tausend Dank denn!" rief Raischbach erfreut, und es wurde ihm die Wahl zwischen den drei prachtvollen Geweihen schwer. Aber er zögerte doch nicht lange, nahm das ihm nächste von der Wand und folgte dem Grafen dann in das Nachbarzimmer, in seine „Gewehrkammer", wie er es nannte, wo malerisch geordnet Unmassen von Armbrüsten, Saufedern, Hirschfängern, Bärenspießen und allen möglichen anderen alten Waffen an den Wänden geordnet waren.

Da plötzlich schlug eine Glocke an - zwölf dumpfe, schauerliche Schläge, und der Ebersbcrger griff seinen Hut auf und stürmte die Treppe hinunter.

„Hallo!" rief der Hackelnberg, „ist's schon Zeit? Also bis nachher, Raischbach - aber kommt lieber mit, daß Euch die Hunde kein Leides thun, denn wenn ich nicht bei ihnen bin, sind die Bestien rein des Teufels. - Macht schnell, wir haben keinen Augenblick mehr zu verlieren, und nehmt das Gehörn in Acht."

Mit langen Sätzen flog er die Treppe hinab und aus dem /136/ Haus, und Raischbach ließ sich die Warnung nicht umsonst gesagt sein, sondern blieb ihm dicht auf den Hacken.

Unten umtobten die Hunde aber schon ein paar gesattelte Pferde, auf die sich der Hackelnberg und der Ebersberger warfen. Fräulein Berchta kam ebenfalls in voller Carriere die Straße herunter, und fort ging die Hetze, daß die Funken aus den Steinen herausschlugen.

Raischbach sah ihnen noch verwundert nach, als plötzlich Jemand seine Hand ergriff und unverhofft wieder Marie neben ihm stand und ängstlich rief: „Fort! fort! es ist die höchste Zeit - komm mit mir - oh ich bat Dich doch, nicht mit dem wilden Jäger zu gehen."

„Aber, Schatz!" sagte Raischbach - „er hat mir ja nichts zu Leide gethan."

„Komm nur mit!" bat die Maid; „mir darfst Du folgen, ich meine es gut mit Dir."

„Und wohin?"

„Wieder hinaus zu den Deinen - wenn sie zurückkehren, bist Du verloren."

„Aber er war so freundlich und hat mir auch -"

„Du kennst sie nicht," drängte aber das Mädchen, indem sie ihn die Straße entlang zog, daß er ihr kaum folgen konnte - „wenn sie dazu aufgelegt sind, ist ihnen Alles Wild, was vorkommt. Aber ich denke, wir erreichen die Grotte noch, ehe sie zurückkehren können."

„Wo will der hin?" fragte plötzlich eine rauhe Stimme, und eine wilde Gestalt, auch in altem Jagdcostüm, aber einen Bärenspieß in der Hand und zu Fuß stand vor ihnen, und zwar gerade an der Stelle, wo der Weg wieder in den schmalen Gang hineinführte.

„Nun, wieder nach Haus, Kamerad!" erwiderte diesmal Raischbach selber, während Marie ihn ängstlich am Rock zupfte - „ich war zum Besuch hier unten."

„So, mein Bursche!" sagte der wilde Gesell, indem er sich seinen etwas schief sitzenden Kopf wieder zurecht rückte, „und darfst Du denn das?"

„Ja, Herr von Jagenteufel!" erwiderte da Marie - „er darf; er nimmt ja nichts mit fort." /137/ „Wirklich?" rief der fremde Jäger, „und wo hat er das Rehbocksgehörn her? Hol' mich der Teufel, das ist ja aus der Sammlung des Hackelnbergers!"

„Und von dem habe ich es auch geschenkt bekommen," sagte Raischbach trotzig.

„Oh, wirf es fort, wirf es fort!" flüsterte ihm das Mädchen bittend zu - „Du darfst nichts mitnehmen."

„Das wollen wir doch bald erfahren, ob er es Dir wirklich geschenkt hat, mein Bursche!" lachte da der Fremde, indem er ein kleines Horn an die Lippen setzte und einen schrillen Ton darauf blies.

„Fort! fort!" rief aber das Mädchen, indem sie Bernhard am Arm faßte und mit sich in den Gang hineinriß. „Das ist das Signal für die wilde Jagd - wenn sie uns einholen, sind wir Beide verloren!"

Im nächsten Moment flohen sie durch den jetzt vollkommen dunkeln Gang, und Raischbach schien es, als ob er gar kein Ende nehmen wollte. Da hörte er plötzlich ein fernes wunderliches Geräusch.

„Horch!" rief das junge Mädchen in Todesangst, „sie kommen! - oh, kannst Du denn nicht schneller laufen?"

„Ich weiß nicht!" erwiderte der junge Forstgehülfe, „sonst bin ich flüchtig wie ein Reh, aber jetzt ist es mir, als ob ich die Füße gar nicht vom Boden bringen könnte - sie sind mir so schwer wie Blei."

„Oh wirf das Gehörn fort! Du darfst nichts mitnehmen."

„Bah, der Hackelnberg hat mir's geschenkt - haben wir denn noch weit?"

„Da kommen sie! Da kommen sie!" rief das Mädchen, und plötzlich erschallte das Gewölbe von einem grausigen, furchtbaren Lärm - Hörnerschall, Peitschenknall, Rüdengebell und Geheul, das Hussa der Jäger, und nun flog ein rother, glühender Feuerschein durch die Dunkelheit.

„Das ist die Tut-Osel!" schrie Marie, und Bernhard sah, wie die Eule mit feuersprühendcn Schwingen sie eingeholt hatte und mit den Flügeln nach ihnen schlug. Jetzt donnerte das Gestampf der Hufe heran - jetzt hörten sie das Geheul der Meute dicht hinter sich, um sich her. „Hussa!" /138/ hörte er Fräulein Berchta's Stimme - „Hussa! faßt den Burschen da vorn! reißt ihn nieder - er trägt Beute hinweg! Hussa - hussa!"

Raischbach wandte sich und riß den Hirschfänger aus der Scheide, um sich gegen die Wüthenden zu vertheidigen - umsonst - wie Glas knickte er beim ersten geführten Schlag dicht am Hefte ab, und über ihn hin in wilder, stürmender Flucht ging die Jagd.

6.

Dcr Verunglückte.

In der nämlichen Zeit, in welcher der Forstgehülfe Raischbach mit den Kienspähnen in den Grund zurückgekehrt war, um seinen Hund zu suchen, kam der Kreiser Metzler von der andern Seite des Fuchsbaues - wo er das Revier abgekreist hatte - heran und wollte den nächsten Weg nach der Forstei einschlagen, denn er hatte eine Menge Füchse gespürt, und wenn sie ein paar Kleppertreiben machten, konnten sie vielleicht vier oder fünf davon schießen. Da kreuzte er auf einmal Raischbach's Fährte im Schnee und blieb erstaunt stehen, um sie näher zu betrachten.

„Alle Wetter!" brummte er vor sich hin, „zweimal hinein, und einmal heraus, da muß er doch noch drin stecken – und dem Schuhwerk nach ist das unser Forstgehülfe; was hat der aber hier im Grund zu suchen?"

Langsam und unwillkürlich ging er eine kurze Strecke der Fährte nach, als er etwas dicht daneben auf dem Schnee liegen sah und, sich danach bückend, einen kleinen Kienspahn aufhob.

„Na nu?" sagte der Kreiser kopfschüttelnd, „er wird sich doch da drin kein Feuer anmachen wollen! Was kann der nur vorhaben?"

Er blieb einen Augenblick stehen und horchte, es wurde /139/ aber nichts laut, als er plötzlich einen Pfiff zu hören glaubte, der aber ganz dumpf und weitab klang. Antworten mochte er nicht gleich, weil er fürchtete, dem Jäger da drin vielleicht die Jagd zu verderben; aber was hatte er nur? etwa seinen Hund in einen Bau gelassen? Na ja, da kam er schön an, denn der Platz war dafür berüchtigt; wer einen guten Dachshund hatte, führte ihn dort gewiß nicht hinein, und das wußte der Forstgehülfe ja auch gut genug. Er blieb eine ganze Weile im Schnee stehen, aber es ließ sich nichts weiter vernehmen, und er beschloß endlich, lieber einmal langsam und vorsichtig auf der Spur nachzugehen.

Das that er, und bald entging dem geübten Auge des Waldläufers auch die Stelle nicht, wo der angeschossene Fuchs abgestürzt war - den Schuß hatte er überdies gehört, wenn er auch nicht genau gewußt, von welcher Seite der Schall kam. Im Schnee klingt aber ein Schuß überhaupt dumpf, und dadurch, daß Raischbach in den Grund hineingefeuert hatte, mochte sich der Schall wohl noch mehr gebrochen haben.

„Alle Teufel!" rief er aber plötzlich, als er zu der Felsspalte kam und dort wohl Raischbach's Gewehr lehnen und den Jagdranzen liegen sah, sonst aber keine Spur von dem Forstgehülfen entdecken konnte.

Wohin er sich gewandt, zeigte allerdings deutlich genug der Schnee: in die Wand hinein - und dazu etwa der Kien? Wahrhaftig, da lag ein abgebrannter kleiner Spahn und etwas Asche. Der Mann schüttelte den Kopf, denn er kannte die bösen Spalten und Klüfte in der Wand hier schon seit langen, langen Jahren. - Aber wenn er da drinnen stak, mußte er wenigstens Antwort geben, und dort konnte er auch durch ein bischen Lärm nichts verderben. Er stellte also seine alte Flinte ebenfalls draußen ab, drängte sich ein Stück in die Spalte hinein und rief den Forstgehülfen beim Namen - keine Antwort folgte; er pfiff auf dem Finger - mit dem nämlichen Erfolg. Er wartete eine Weile und rief nochmals - immer dasselbe. Da drinnen herrschte Todtenstille, und kein Laut ließ sich hören, kein Hundewinseln oder Bellen, wenn der Dachs vielleicht noch hinter seiner Beute hergewesen wäre.

„Herr Raischbach!" schrie der Kreiser noch einmal, denn /140/ diese Stille wurde ihm unheimlich. Sollte dem jungen Mann ein Unglück zugestoßen sein? „Herr Raischbach!" Er schrie so laut er konnte; er hätte ihn da drin hören müssen, denn der Schall der Stimme donnerte an den Wänden hin. - Keine Antwort erfolgte, und dem Mann wurde es jetzt selber unbehaglich in dem dunkeln Loch. Allein konnte er auch gar nichts ausrichten, denn passirte ihm ebenfalls etwas, so waren sie Beide verloren, und Niemand hätte gewußt, besonders wenn der Schnee wieder wegging, wo sie geblieben wären.

Hüben und Drüben

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