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An Cap Horn
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Über die See brauste und schäumte es in wilder, zorniger Wut, häufte die Wogen zu Bergen auf und jagte die bäumenden im tollen Spiel und Sturz hintereinander drein. Hoch auf stieg dann hier und da ein Wut kristallener Fels, einem spielenden Walfisch nicht unähnlich, der mit halbem Leibe der Flut entsteigt, um im nächsten Augenblick schwerfällig wieder darin zu verschwinden; riesig in sich selbst und doch so winzig klein in dem gewaltigen massenhaften Heer solcher Wogen, das ihn umgibt.
Hoch auf reckt er die Krone und streckt und dehnt sich, aber der Sturm leidet das nicht. Hui! hat er ihm den blitzenden Perlenschmuck vom Haupte gestrichen und streut ihn weit aus mit rüstiger Hand, wie der Sämann die Saat. In sich zusammenschmelzend, stürzt und zerfließt der Berg; ein milchweißer Teich kündet auf dem tintenfarbenen, von silbernen Schaumadern marmorartig durchzogenen Untergrund die in sich zusammengestürzte Woge, die jetzt wenige Sekunden lang ein Tal zwischen zwei anderen Bergen bildet und noch zischend in Schaum und Gischt schon wieder emporgeworfen wird von neuen, ungestümen Massen.
Wie das kocht und gährt und wühlt und in einander fließt und über die dunkeln Wasser heult in furchtbarer Majestät! – Die fliegende Windsbraut hält ihren Tanz dort unten und stimmt ihre Instrumente zum wilden, entsetzlichen Reigen – wehe dem, der sich ihr entgegenstellt in ihrem Grimm!
„Ein Segel, hoh!“ Durch Sturm und Graus und einen Wald von Wogen, von denen jede einzelne hinreichend wäre, mit einem Schlage eine Flotte zu vernichten, wenn sie nur den Halt bekäme, sie einen Augenblick zu fassen, wagt sich der kecke Mensch in schwankendem Kahn. Dem Kompass folgend, der ihm die Bahn zeigt durch die Wasserwüste, und unbekümmert um Gefahr und Tod, die ihm aus jedem schäumenden Wogenkamm entgegenblitzen und mit gewaltiger Faust an die dünnen Planken donnern, lenkt er sein Fahrzeug sicher durch den Sturm und trotzt den beiden empörten Elementen: Windsbraut und Wellen.
Alles an Bord ist fest und wohl verwahrt, die Segel liegen an die Masten geschnürt, der heulenden Windsbraut keine Fläche zu geben, an der sie reißen und zerren könne, und nur das dichtgereefte Vormarssegel, hart an den Wind gebrasst mit dem Vorstengenstag oder Sturmsegel – um das Schiff zum Steuern in der Gewalt zu halten, dass die Wogen sich nicht seitwärts dagegen werfen und ihm verderblich werden könnten –, zeigt, dass noch Leben an Bord und die Mannschaft trotzig dem Wind gerade in den Zähnen liege, sein Austoben ruhig unerschrocken abzuwarten.
Und über die empörten Wogen, von dem Sturm in rasender Schnelle geführt, mit langsamem gewaltigen Flügelschlag strich der riesige Albatros, umzog neugierig das Schiff in weiten Kreisen und kreuzte herüber und hinüber im glatten, einer Straße ähnlichen Fahrwasser, das sich der tiefe Kiel gezogen, aufmerksam den mit furchtbarem Schnabel bewehrten Kopf bald nach dieser, bald nach jener Seite drehend, ob nicht irgend ein von Bord des Schiffes geworfener Leckerbissen, wozu besonders Speck und Fleisch gehört, die Monotonie seiner gewöhnlichen Fischkost unterbrechen könne.
Ein ganzes Volk blau und weißer Cap-Tauben (Eine in Größe und Gestalt der Taube ähnliche Möwe) trieb sich schon lange hinter dem Heck des Fahrzeuges her, mit raschem Flügelschlag nach jedem übergeworfenen Stück Garn oder Werg niederfahrend, und gegen einander zankend und kreischend, wenn der Koch ihren Heißhunger durch ausgeworfene Leckerbissen rege machte oder einer oder der andere der Seeleute die kleine, mit Speck besteckte und an langer Leine befestigte Angel auswarf, um einen der Vögel heranzulocken. Die Matrosen fangen auf diese Art gern Cap-Tauben und Albatrosse, essen die ersteren und brauchen von beiden die Federn, oder nehmen auch den letzteren die mit großen Schwimmhäuten versehenen Füße, um sich wunderliche Tabaksbeutel daraus zu fertigen.
Auch andere Mögen kreuzten herüber und hinüber, braun und schwarz mit langen scharfgespitzten Schwingen, vom Sturm getragen und geschickt mit dem Schiff gegen ihn lavierend oder langsam über die aufgeregten Wogen streichend, auf deren nach ihnen aufleckende Wellen sie die elastischen Flügelspitzen legten und sich scheinbar mit ihnen hoben, immer aber mit rascher Wendung die Gefahr vermeidend, erreicht zu werden.
Tagelang begleiten sie so das Schiff, schlafen auch wohl hier und da nachts auf seinen Rahen, und folgen ihm am nächsten Tage wieder unermüdet auf seiner Bahn. Dem Seemann aber sind sie willkommene Begleitung auf einsamer Reise; gern sieht er ihren leichten Flug und folgt ihren kreisenden Bahnen mit dem Blicke, und wenn sie in Lee (Die Leeseite ist immer die Seite des Schiffes, auf der es liegt, also die dem Wind entgegengesetzte; „in Lee“ ist daher unter dem Wind.) vom Schiffe, was sie bei schwerem Wetter am liebsten tun, herüber und hinüber streichen, sagt er, dass sie nachschauen, ob die Schoten und Brassen auch fest sind, um Taue und Rahen zu wahren. Im Lee vom großen Boot sitzt er denn auch wohl, sein Priemchen geschäftig im Munde, schaut ihrem Fluge zu und plaudert und erzählt von der und jener Zeit, wo die Mögen gerade so kreisten und suchten und er an der oder jener Küste auf leckem Schiff vielleicht oder mit schwerer Havarie gegen das zornige Element ankämpfte, um sein Leben auf festes Land zu retten – und festes Land doch eben kaum nur betreten hatte, als er sich wieder hinaussehnte auf die weite, wogende, treulose und doch so lieb gewonnene See.
Die Leute am Land haben überhaupt gewöhnlich einen ganz falschen Begriff von dem Leben an Bord eines Schiffes in offener See und bei schwerem Wetter. Nicht selten hört man da sagen, wenn es weht und stürmt: „Oh die armen Menschen auf der See – wie weh und ängstlich ihnen jetzt zu Mute sein muss – wie sie jetzt in ihrer Angst zu Gott beten und den Mast mit ihren Armen umfassen – krampfhaft, um nicht fortgeweht zu werden!“ Weit gefehlt! Auf offener See und mit keiner Küste in Lee, von der sie abarbeiten müssen, um nicht auf den Strand gesetzt zu werden, nur mit dem regelmäßigen Seegang gegen sich und mit dem Winde, wenn der auch beide Backen voll genommen, gibt es kaum eine bessere und gemütlichere Zeit an Bord eines Schiffes für den Matrosen, als gerade bei solchem Wetter. Sobald die leichten Segel nur erst einmal festgemacht, die anderen nötigen dicht gereeft, ebenso alle Luken ordentlich dicht sind, und alles an Bord, was von überkommenden Seen fortgewaschen werden könnte, wohl und sicher befestigt ist, beginnt für den Matrosen, der sonst über Tag keinen Augenblick unbeschäftigt bleibt, die freie Zeit.
Mit dem breiten „Süd-Wester“ auf dem Kopf, in wasserdichten, geölten Jacken und Hosen, sitzen die Leute dann, wer nicht gerade seine Zeit am Steuerruder abzustehen hat, unbelästigt von einem Ruf der Offiziere, in Lee vom großen Boot, das ihnen Schutz gegen den Wind gibt, dicht geschaart beisammen, und haben sie nur Tabak zum Kauen, dessen Mangel ihnen allein vielleicht die Laune verderben könnte, so wird erzählt und gelacht, und der Sturm mag indessen wehen nach Herzenslust. Sie können auch nichts dagegen tun, als die Zeit abwarten, in der es einmal zu wehen aufhört; das Schiff liegt indessen dicht am Winde und reitet, wenn nur richtig von dem Steuerruder geführt, schon selber die Wogen.
So hier an Bord der tüchtigen kleinen amerikanischen Brig „SUANNAH“, die mit dem scharfen Bug keck gegen die drohenden, bäumenden Wogen anschnitt. So tief sie auch oft in die kristallenen Massen einschlug – wenn sich ein weiter Abgrund vor ihr öffnete, dass es aussah, als ob der nächste anstürmende Berg sie unter seiner Wucht begraben müsse – hob sie sich doch immer wieder kampfgerüstet zur rechten Zeit und schlug mit dem kecken Frauenbild, dessen Namen sie trug und das ihre Gallion zierte, rasch an gegen den auf sie geführten Wurf.
Wenn ihr die klare Flut dann in Strömen von der Stirn troff und die Woge, die ihren Untergang gesucht, sie selber auf den Nacken heben musste, schaute sie keck und zuversichtlich hinaus über das rollende Heer um sich her, und fuhr dann wieder nieder, wie zum Sprung, der nächsten zu begegnen.
„'s ist doch ein wackeres Seeboot,“ sagte der eine der Wache, die sich in Lee vom großen Boot zusammengefunden hatte und zwischen ein paar dort wohlbefestigten und Schutz nach vor und aft gewährenden Wasserfässern den Sturm eben austoben ließ, „und dicht und drall wie keins. Verdammt will ich sein, wenn noch ein anderes Schiff mit uns hier herumreitet, das bei so schwerem Wetter so wenig Wasser macht. – In zehn Minuten abends pumpen wir sie frei!“
Es war ein junger Bursche von vielleicht zweiundzwanzig Jahren mit vollem lockigen Haar, das der Süd-Wester kaum decken konnte, und freien offenen Zügen; ein Rhode Island-Mann, wie er denn auch von seinen Kameraden nach dem Staate, dem er angehörte, statt seines eigentlichen Namens James, Rhode Island gerufen wurde.
„Gott sei Dank!“ sagte einer seiner Kameraden, ein alter wetter- und sonnverbrannter „Teer“ mit schneeweißem Haar, eben solchen Augenbrauen und knochigen zähen Gliedern – „Gott sei Dank, mein Junge, und nicht ‚verdammt‘, denn nur wer erst einmal Tage und Nächte lang in solcher See an den Pumpstöcken gelegen und für sein Leben gearbeitet hat, während sich der Tod da drunten heimlich durch alle Poren des Schiffs sog, der weiß, was es für ein Segen ist, ein dichtes, gutes Schiff unter sich und keine Küste in Lee zu haben. Ich werde an die See hier denken und würde ich tausend Jahre alt; denn hier ist mir das Haar in einer Woche so weiß geworden, wie ich's jetzt noch trage. Ja in einer Wache könnt' ich sagen, und gebe Gott, dass ich ihm nicht wieder begegne die paar Jahre, die ich überhaupt noch zu fahren habe.“
„Wurdet Ihr leck hier am Cap, Mate?“ fragte ein Dritter, der bis jetzt auf einer Notspiere zusammengekauert gesessen und dem Gespräch der übrigen zugehört hatte, ohne viel dreinzureden. „Segne meine Seele, Kamerad, ich wollte auch lieber die ganze Nacht Segel reefen und über Stag gehen, ehe ich nur die Hälfte der Zeit an dem verwünschten Pumpgeschirr hinge; Gott bewahre einen ehrlichen Matrosen vor der Arbeit!“
„Auf welchem Schiff war's, Tommy?“ fragte Rhode Island.
„Auf der ‚BUCKEYE BELLE‘, Jungens“, sagte der Alte, sein Priemchen im Munde drehend, „und ein so wackeres Schiff war's euch, wie nur je eins Furchen durch Salzwasser gezogen. Vor dem Wind oder bei dem Wind, es blieb sich gleich, sie lief ihre zehn und elf Knoten mit nur halbwegs Brise, und lag euch mit fünf Strichen im Wind, dass es eine Lust und Freude war. Was uns auch zu windwärts aufkam, musste nach Lee zu; wir segelten alles tot und hatten eine Prachtreise schon von Boston nach Rio gemacht, in dreißig Tagen, glaube ich, oder einunddreißig. Von Rio aus wollten wir nachher das Cap doublieren. Bei den Falklands-Inseln aber erwischte uns ein Pampero, der uns vor Top und Takel an den verwünschten Inseln vorbei, über irgend ein verborgenes Riff oder eine heimliche Klippe fortjagte, und wenn wir auch nicht gerade hängen blieben, bekam das Schiff doch einen Knacks und machte Wasser.
„Der Steuermann, ein alter tüchtiger Seemann, wollte nun zwar wieder umkehren und nach Rio einlaufen, um dort zu reparieren, denn es war Winterszeit wie jetzt, und mit dem Cap ist manchmal nicht viel zu spaßen. Der Kapitän aber hatte seinen Sinn dick- und starrköpfig darauf gesetzt, die schnellste Reise nach Kalifornien zu machen, und wenn das Leck nicht ärger wurde, konnten wir's auch recht gut, mit ein paar Mal Pumpen den Tag über in den einzelnen Wachen, zwingen. Nicht weit von Staten Island kamen wir in ein schweres Wetter; eine See stand da, wie wir sie hier noch nicht einmal gehabt haben; von Segeleinnehmen war der Alte auch gerade kein Freund, und so jagte uns der Sturm denn auch richtig einmal in einer Nacht bei einem eisigen Schneegestöber, das uns die scharfen Flocken wie Nadeln ins Gesicht trieb, beide Masten über Bord. Durch die Erschütterung natürlich verschlimmerte sich das Leck, und bis wir das Wrack nur frei von Holz und Tauwerk hatten, das drum herumhing, fasste uns die See gerade in der Flanke, wusch die ganze eine Wache über Bord und Kombüse und Reling so rein vom Deck herunter, als ob im Leben nichts darauf gewesen wäre. Wie wir damals dem Tod entgangen sind, ist mir noch jetzt ein Rätsel; aber auf die eine oder die andere Art hielt Gott seine Hand über uns.
„An dem Stumpf des Vormastes, der vielleicht zehn Fuß über Deck abgebrochen war, richteten wir einen Notmast auf und brachten an Leinwand hinauf, was wir eben wagen durften zu führen, bis sich der Sturm gegen Morgen legte. Indessen war uns aber das Schiff halb voll Wasser gelaufen, und nun hieß es an die Pumpen, wenn uns nicht das Deck unter den Füßen weg sinken sollte. Jungens, Jungens, das war eine schwere Zeit, und die See schien zuletzt ordentlich müde zu werden, mit uns zu spielen, während wir selber Tag und Nacht an den Pumpen unsere Glieder kaum mehr regen konnten. Einmal wär's auch beinahe alle gewesen, denn ein paar von den jungen Burschen, die von den Pumpen herauf einen Branntweingeruch in die Nase kriegten, weigerten sich plötzlich, weiter zu arbeiten, und sprangen in den Raum hinunter, um die Rumfässer anzuzapfen, von denen wir, wie sie recht gut wussten, ein paar an Bord hatten; aber der Kapitän hatte glücklicherweise das vorhergesehen und ihnen den Boden eingeschlagen. Als wir's nachher mit dem Salzwasser herauspumpten, hatten sie's gerochen, aber zu trinken war nichts mehr, und die Leute kehrten zu ihrer Arbeit zurück.“
„Und bekamt ihr das Schiff in einen Hafen?“ fragte ein anderer.
„Ich glaube nicht, dass wir's so lange ausgehalten hätten“, sagte der Alte leise. „Zwei wurden uns noch während der Arbeit über Bord gewaschen, denn da uns die Schanzkleidung vorn von Bord geschlagen war, kamen die Wellen herüber, wie's ihnen gerade gefiel, und zwei andere wurden krank, fingen an zu phantasieren und mussten ins Logis gebracht werden. Einer kam wieder herauf und sprang über Bord, der andere lag ohne Besinnung, bis uns am neunten Tage ein Schiff, eine englische Barke, traf und anlief. Wir hatten auch nichts mehr zu versäumen, denn kaum an Bord des Engländers und noch selbst in Sicht vom Wrack, das jetzt langsam füllte, sank es weg.“
„Ach was! Lasst den traurigen Salm, wenn draußen der Sturm ebenfalls an die Planken pocht!“ rief der Rhode Isländer da ärgerlich. „Das ist eine Geschichte, die uns alle Tage selber passieren kann, weshalb sich die Wache damit verderben. – Wenn euch das Schiff gesunken wäre, hättet ihr euch immer noch mit Schwimmen Tage lang oben halten können, und der Engländer hätte euch doch gefunden.“
„Schwimmen, hier in See?“ sagte der Alte kopfschüttelnd; „ja, wenn Fische und Vögel nicht wären! Wer hier über Bord geht, dem wäre besser, dass er gar nicht schwimmen könnte; er sparte lange Qual und Todesangst.“
„Und das sagt Ihr mir?“ lachte Rhode Island, „mir, der sich erst auf der vorigen Reise mit Schwimmen gerade am Leben erhalten hat? Bah, Kamerad, das ist der Alteweiberspruch an Bord vieler Schiffe, dass ein Matrose eigentlich nie sollte schwimmen können, um nicht so schwer zu sterben. Ich habe mich aber schon volle vierundzwanzig Stunden über Wasser gehalten, als wir vor New-York mit dem Schiff nachts zusammenstießen, und bin dann doch noch von einem französischen Schiff aufgelesen worden. – Wo wär' ich jetzt, wenn ich nicht schwimmen könnte, heh?“
„Vielleicht besser aufgehoben“, sagte der Alte trocken; „wir sind alle noch nicht im Hafen!“
„Haha haha“, lachte Rhode Island, „die alte Krähe will weissagen. Aber ich erzähle euch einen Spaß, Kameraden, den ich an Bord des Franzosen hatte, kaum vier Wochen später, nachdem sie mich aufgefischt, und wenn ich nicht schwimmen könnte und es ihnen vorher bewiesen hätte, wäre es mir damals schlecht gegangen, obgleich ich mit keinem Fuß ins Wasser kam.“
„Unsinn, Rhode Island!“ riefen ein paar der Kameraden, „du willst uns wieder eine von deinen Rhode Island-Geschichten erzählen; aber nur zu; veer away und lass es uns haben, mein Junge, verlange nur nicht, dass wir's glauben.“
„Glauben? Der Teufel dank's euch!“ rief der junge Bursche; „was für andere Beweise wollt ihr, als eines Mannes Wort? Ich könnte euch übrigens die ganze Mannschaft zu Zeugen bringen, wenn ich sie eben hier hätte.“
„So komm einmal flott, zum Henker!“ rief ein anderer; „unsere Wache ist bald aus, und wir wollen die Geschichte hören.“
„Nun, sie ist einfach genug“, sagte Rhode Island. „Natürlich wurde ich an Bord von den Franzosen gleich einer Wache zugeteilt, zu der ich von da an, so lange ich an Bord war, gehörte, und wir liefen damals nach Rio hinunter. Unter der Linie nun, bei Windstille und blauem Himmel, ließ unser Alter das Schiff auswendig malen, und ich saß hinten allein auf dem Gerüst am Heck, gerade unter einer offenen Luke, die in die Vorratskammer führte. Nebenbei muss ich euch sagen, dass wir nicht einen Tropfen Spirituosen an Bord bekamen, weder Brandy noch Whisky, nicht für Liebe noch für Geld, nur solch verdammt saures Zeug, Claret glaube ich nannten sie's, das sie aus Blechbechern soffen und das mir jedes Mal Leibschneiden machte. Aus dem Vorrats-Spintge heraus roch es aber unmenschlich gut nach echtem Cognac, von dem der Alte wohl genug an Bord haben mochte, und mich plagt der Henker, dass ich, wie ich an Deck oben gerade niemand gehen höre, von der Stelling ab und in die Luke hinein krieche. In dem großen schwarzen Farbeneimer, den ich draußen bei mir hatte, konnte ich recht gut ein paar Flaschen unterbringen, die nachher schon aus dem Weg zu schaffen waren.
„Die Sache ging auch ganz vortrefflich; gleich in der nächsten Ecke stand eine offene Kiste mit der deutlichen Aufschrift Cognac. Ich hatte aus dieser schon zwei Flaschen in mein Hemd vorn geschoben und noch eine andere Flasche mit Pikles aufgepackt, und war eben wieder im Begriff, auf die Stelling draußen zurückzukehren, als ich den Ruf ‚Mann über Bord‘ oben an Deck und Stimmen höre, die gerade da, wo ich wieder zu Tage musste, laut über Bord sprachen. Einen ordentlichen Schlag gab's mir in die Kniekehlen, und ich wusste im ersten Augenblick wahrhaftig nicht, was ich tun, ob ich mich verstecken oder auf Gnade und Ungnade ergeben solle. Vielleicht zog aber gerade der über Bord Gefallene die Aufmerksamkeit der Mannschaft von mir ab, und ich konnte noch unbemerkt, unvermisst meinen Platz wieder einnehmen.
„Wie ich aber nur den Kopf an die offene Luke brachte, hörte ich auch schon zu meinem Schrecken, dass ich selber mit dem über Bord Gefallenen gemeint sei und gerade aus höchst unzeitiger Menschenliebe ein Boot niedergelassen wurde, um mich zu suchen. Hinten auf der Reling aber, am Besanbaum, stand der Kapitän mit dem Steuermann und wunderten sich, dass ich so rasch aus Sicht gekommen wäre, wobei sie einem Haifisch die einzige mögliche Schuld beimaßen.
„An ein unbemerktes Wiederherauskommen war gar nicht zu denken, eine Entschuldigung, weshalb ich in die Kammer hineingeklettert sein könne, ließ sich auch nicht erfinden – der wirkliche Grund lag zu klar auf der Hand, und selbst bei dem Überlegen verfloss so viel Zeit, dass mir zuletzt gar nichts weiter übrig blieb, als mich versteckt zu halten und abzuwarten, wie das Ganze enden würde.
„Wir liefen indessen bei einer ganz schwachen Südost-Brise, mit allen Segeln gesetzt, etwa drei Meilen die Wache dicht am Winde, und ich konnte deutlich hören, wie an Deck backgebrasst wurde, um das ausgeschickte Boot zu erwarten, das nach etwa einer halben Stunde, natürlich unverrichteter Sache, wieder zurückkehrte. Meine Lage war dadurch nur verschlimmert, und einzelne Pläne, mich krank oder ohnmächtig zu stellen, oder nach vor durchzubrechen und lieber die Strafe für Einschlafen im Logis auszuhalten, verwarf ich alle, weil ich damit die ganze Geschichte am Ende doch nur verschlimmert hätte.
„Jetzt kam das Boot wieder längsseits, die Blöcke wurden eingehakt, oben an Deck zog es die Mannschaft unter seine Krahnen. Bei der Bewegung des Schiffes und der Stellung des Steuerruders, das ich von der Luke aus genau beobachten konnte, fand ich aber, dass wir den alten Kurs wieder aufgenommen hatten, bis nach etwa einer halben Stunde der Befehl zum Wenden gegeben wurde und die ‚DUCHESSE‘, wie das Fahrzeug hieß, über Stag ging (Beim Lavieren oder gegen den Wind Aufkreuzen nennt man die verschiedenen Bewegungen des Herüber- und Hinüberfahrens, um etwas gegen den Wind aufzuarbeiten, Wenden oder „über Stag“ oder auch „über den andern Bug gehen“.), um das, was sie in Ost verloren, in West wieder aufzuholen. Hol's der Henker, ich saß indessen auf der Cognackiste und zerbrach mir den Kopf, wie ich aus der ganz verzweifelten Lage herauskäme und der Strafe entginge, bis mir auf einmal ein kostbarer Gedanke kam, den ich auch, eben gefasst, augenblicklich ausführte.
„Die Sonne war indessen dem Untergange nahe, und wie ich vier Glasen (Sechs Uhr) an Deck schlagen hörte und nun wusste, dass die Leute zum Schaffen (Essen) gingen und nicht gerade über Bord gucken würden, kletterte ich aus meiner Luke heraus, wobei ich die Flaschen natürlich zurücklassen musste, lief auf dem Leistenbrett mit Hilfe der Rüsteisen bis vorn an den Larbordbug, ließ mich im Lee leise ins Wasser gleiten, schwamm eine fünf oder sechs Strich vom Schiff ab und schrie nun mein „Hallo – hallo the ship!“ so laut und lustig in die Welt hinein, dass der Mann am Rad erschreckt mit dem Ruder aufkam, das Schiff glücklich durch den Wind gehen ließ, dass alle Segel gegen die Masten schlugen und die ‚DUCHESSE‘ natürlich baumfest auf dem Wasser lag.
Ehe der Kapitän aber nun seine gewöhnliche Anzahl Flüche los werden konnte, ging schon wieder der Schrei „Mann über Bord“ durch das ganze Schiff; dieses Mal ersparte ich ihnen aber das Bootaussetzen; denn wenn auch das Fahrzeug im ersten Ansatz noch etwa seine eigene Länge von mir fortgelaufen war, hielten es die zurückgeschlagenen Segel jetzt desto fester, und ich bekam Zeit, aufzuschwimmen.
„Werft nur ein Tau herunter!“ schrie ich jetzt, als ich nahe genug war. „Hallo da oben, lasst einen Kameraden nicht sitzen – ein Tau her!“
„Zehn sprangen gleich zu, und der Koch warf mir das Ende eines Bramseils gerade über den Kopf, das ich erwischte, um den linken Ellbogen schlug und mich an Deck ziehen ließ. Aber, Jungens, die verblüfften Gesichter hättet Ihr sehen sollen, wie die mich erkannten! Rhody, wo kommst du her? – Rhody nannten mich die Mounsiers, – Menschenkind, wo hast du gesteckt?
„Hätt' ich es nur allein mit den Kameraden durchzufechten gehabt, wäre die Sache nicht so schwer gewesen; so aber mischte sich auch der Kapitän ins Mittel und verlangte Aufschluss über das Geschehene, von dessen wahrem Bestand er keine Ahnung zu haben schien. Da hielt ich es denn für besser, erst noch einmal ohnmächtig zu werden, wodurch die Sache einmal natürlicher wurde und ich auch etwas länger Zeit bekam, mich zu sammeln, und ein paar der Leute schleppten mich jetzt nach vorn unter die Stevenpumpe und fingen an, mich zu begießen. Ich kam jetzt allerdings wieder zu mir, war aber noch so schwach, dass ich kein Wort herausbringen konnte, und so ließen sie mich denn die Nacht liegen, damit ich mich erst wieder ordentlich erholen möge.
„Am nächsten Morgen half übrigens nichts, ich musste mit meiner Geschichte heraus. Nun wussten wir aber alle miteinander, dass der alte Kasten dicht am Wind erbärmlich schlecht segle und reichlich sieben Strich brauche, um halbwegs vorwärts zu kommen; darauf hin log ich ihnen geradezu vor, dass ich am Mittag über Bord gefallen wäre und mir nachher fast den Arm ausgerenkt und die Lunge wund geschrien hätte, um gesehen und gehört zu werden. Das Boot habe aber in ganz anderer Richtung gesucht, und als es bald darauf wieder an Bord zurückgekehrt und das Schiff in seinem Kurs fortgesegelt sei, da wäre ich schon einmal in Verzweiflung entschlossen gewesen, mein Leben aufzugeben und mich wegsinken zu lassen. Die Lebenslust sei aber doch zuletzt stärker gewesen, und ich wäre nun, in der Hoffnung, dass das Schiff bald über Stag gehen müsse, gerade in den Wind hineingeschwommen, dessen genauen Kurs mir das leichte Kräuseln des Wassers gezeigt. So habe ich meiner Rechnung nach wohl eine gute Seemeile zurückgelegt, als das Schiff wirklich wieder in Sicht kam und fast gerade auf mich zuhielt. Mehr aber wüsste ich nicht; die letzten Minuten erschienen mir selbst jetzt noch wie ein wirrer Traum, und ich glaube, ich sei ohnmächtig geworden, selbst ehe ich das Deck erreicht habe.“
„Was für andere Beweise wollt ihr, als eines Mannes Wort?“ lachte einer seiner Kameraden.
„Und ließ sich der Alte wirklich leimen?“ fragte ein Anderer.
„Was wollt' er machen?“ lachte Rhode Island; „an die Luke hinten dachte niemand, da sie der Steward selber abends spät zugemacht und von innen verriegelt hatte, und fort war ich gewesen und jetzt wieder da – das ließ sich nicht ableugnen. Außerdem kannten sie mich schon als einen guten Schwimmer; denn wie sie mich auffischten, hatt' ich ihnen schon früher einmal aufgebunden, dass ich drei Tage und drei Nächte geschwommen hätte.“
„Auf Mannes Wort?“
„Oh, geht zum Teufel und mutzt einem nicht jede Silbe auf! – Aber das war noch nicht alles; denn verdammt will ich sein, wenn sich der Alte nicht eine von den nämlichen Flaschen heraufholen ließ, die ich schon einmal beigesteckt gehabt, und mir einen steifen Grog machte, dass ich mich erholen sollte, und dann die ganze Geschichte sauber und eigenhändig in sein Tagebuch eintrug. Dort steht sie noch unter meinem eigenen Namen, und ihr könnt sie bis auf den heutigen Tag lesen.“
„Haha haha, Rhode Island – Du bist eine prächtige Hand zum Aufbinden!“ lachte ein Kamerad – „unserem Alten dürftest du aber damit nicht vor den Bug kommen; der holte 'was anderes als Cognac.“
„Klar zum Halsen!“ ging der Ruf über Deck, die Wache sprang auf und das Schiff wurde, da die See zu schwer von vorn kam, um ordentlich wenden oder über Stag gehen zu können, vor den Wind über den andern Bug gebracht oder „gehalst“, immer bei so hoher und stürmischer See ein nicht ganz gefahrloses Manöver. Der Kapitän verstand aber sein Geschäft aus dem Grunde, die Leute, die recht gut wussten, wie viel dabei von ihrer Schnelligkeit abhing, führten die Befehle, kaum gegeben, rasch und vortrefflich aus, und wenige Minuten später peitschte die See den andern Bug, jetzt wieder nach Süden hinunterhaltend, damit sie über Nacht dem zu Starbord befindlichen Lande nicht zu nahe kämen.
Der kurze Tag, der in diesen Breiten zur Winterszeit in der Tat nur wenige Stunden dauert, neigte sich seinem Ende. Die Wache, in der Rhode Island war, ging bald zu Koje, und als sie wieder an Deck kam, hielt sie eine gesprengte Pardune beschäftigt. Im Dunkeln ließ sich aber nicht gut etwas Weiteres damit tun, als sie vorläufig mit Hilfe eines vierscheibigen Flaschenzuges wieder zusammenzubringen und mit umgeschlagenen Tauen notdürftig zu befestigen, bis sie am nächsten Morgen ordentlich gespließt werden konnte.
Es war in der Morgenwache, und der Sturm hatte wohl etwas nachgelassen, wehte aber doch noch immer scharf genug, und die See ging hoch und hohl.
Der alte Tom war eben vom Ruder abgelöst worden und kam nach vorn, seinen gewöhnlichen Sitz wieder in Lee von der großen, mitten auf Deck stehenden Barkasse nehmend; Rhode Island hatte indes versucht, auf dem Leegangwege auf und ab zu gehen; die Bewegung des Schiffes war aber zu stark und besonders durch die hohe See zu unregelmäßig. Sich also neben den Alten niedersetzend, wie er ihn kommen sah, sagte er:
„Hallo, Tommy, ich wollte Euch eigentlich um 'was fragen.“
„Und das wäre?“
„Ihr spracht gestern, wie Ihr uns die Geschichte von dem Wrack der ‚BUCKEYE BELLE‘ erzähltet, von jemand, den ihr nicht wieder zu sehen hofftet. Wer ist denn das?“
Der Alte hatte beide Ellbogen auf seine Knie gestützt und schaute eine ganze Weile still und kopfnickend vor sich nieder; endlich sagte er leise:
„Ihr junges Volk seid jetzt anders wie wir zu unserer Zeit – wenn man mit euch ein ernstes Wort sprechen und euch an 'was anderes mahnen will, als das tägliche Leben, das ihr eben fassen und begreifen könnt, dann lacht und spottet ihr und haltet euch für so entsetzlich klug – 's ist da besser, man schweigt.“
„Den Henker auch, Tommy!“ lachte Rhode Island, „nun habt ihr mich erst recht neugierig gemacht! – Mir könnt ihr's sagen – ihr meint doch nicht etwa den deutschen Klabautermann?“
Der Alte schüttelte mit dem Kopf und sagte:
„Jede Küste hat ihre besonderen Wächter; der hat mit uns nichts zu tun; ich meine den schwarzen Mann.“
„Den schwarzen Mann?“ rief Rhode Island erstaunt aus und musste sich Mühe geben, sein Lachen zurückzuhalten, denn dann wäre es mit dem Erzählen des Alten vorbei gewesen. Dieser schien überdies heute nicht sehr gesprächig zu sein oder auf das Thema nicht gern eingehen zu wollen. – „Der fliegende Holländer kreuzt doch nicht an Cap Horn, soviel ich weiß?“
„Nein“, sagte Tom, „von dem haben wir hier nichts zu fürchten; aber – glaubt ihr, dass ein Boot in dieser See leben könnte?“
„Ein Boot?“ rief Rhode Island, einen Blick nach vorn werfend, wo gerade wieder eine riesige Woge gegen den Bug donnerte und das wackere Fahrzeug bis in den Kiel hinab erzittern machte – „ein Boot in der See? – Nicht von einer Welle zur anderen, und wenn es von Kork wäre; es müsste füllen und zusammenbrechen in dem furchtbaren Druck.“
„Und was würdet Ihr sagen, wenn jetzt ein fremdes Boot zu uns längsseits käme, das Schiff anriefe und einen Passagier an Bord setzte?“
„Aber, Tommy ...“
„Ich hab' es erlebt, mein junger Bursch,“ sagte der Alte mit leiser, fast flüsternder Stimme, „und wer ihm zuerst begegnet, mit wem er spricht, der ist ein Kind des Todes im nächsten Sonnenlauf.“
„Wenn ich ein Boot in solcher See ankommen sehe“, sagte der junge Rhode Island jetzt lachend, „glaub' ich's auch, Tommy, Euer Wort in Ehren – aber nicht eher. – Dagegen wäre ja selbst der fliegende Holländer nur ein Scherz, der doch auf vollem Schiffe in der Welt umherfährt.“
„Macht's wie Ihr wollt“, sagte der Alte ruhig, „aber lacht wenigstens nicht darüber.“
„Haha haha,“ rief aber der junge Bursche, der sich nicht wollte merken lassen, dass ihm selber ganz unheimlich bei der ernsten Erzählung des Alten wurde, „Ihr schneidet ein so ernsthaft Gesicht, als ob Ihr's selber glaubtet – Tommy, Tommy, wenn das der Alte hörte!“
Tom senkte den Kopf, wickelte sich fester in seine Jacke und schien sich auf kein Gespräch weiter einlassen zu wollen; ehe ihn aber Rhode Island besänftigen konnte, wurde zum Loggen gerufen und er musste nach aft.
Es war etwa eine Stunde später, als der Sturm wieder eine frische Hand an den Blasebalg gestellt hatte, wie die Matrosen sagen, wenn es nach kurzem Besserwerden mit neuen Kräften an zu wehen fängt. Rhode Island kam von seiner Wache am Steuerrad. Die Starbordquarterdeck-Treppe eben hinuntersteigend, ging er hinter dem großen Mast durch nach leewärts. Die übrige Wache saß auf ihrem gewöhnlichen Platze, und einer der Leute „spann ihnen gerade ein Garn“ von einem Abenteuer, das er „an Bord eines Pferdes“ in Buenos-Ayres erlebt, und wo ihm die Gauchos Geld und Sattel abgenommen und er das Pferd hatte an einer Leine drei Leguas weit zurückführen müssen. – Da plötzlich tönte ein wilder Schrei zu ihnen herüber und alle sprangen erschreckt auf und nach windwärts.
„Hallo da vorn – was gibt's?“ rief der erste Steuermann vom Quarterdeck aus – „was ist los?“
„Den Teufel auch, Rhody“, rief einer der Leute, der dem jungen Burschen zuerst begegnete, „hast du so geschrien? – Junge, was fehlt dir? – Du zitterst ja am ganzen Leibe!“
„Unsinn!“ brummte der junge Amerikaner ärgerlich, „es fuhr mir nur so heraus – ich weiß selber nicht, wie es kam!“ Aber er warf dabei scheu den Blick über die Schulter zurück und über die See hinauf als ob er dort etwas zu sehen erwarte.
„Rhody!“ rief der Steuermann vom Quarterdeck aus.
„Ay, ay, Sir?“
„Wer hat geschrien?“
„Ich, Sir.“
„Weshalb?“
„Ich habe mich gestoßen.“
„Holzkopf!“ sagte der Offizier und nahm ruhig seinen Marsch an Deck wieder auf.
„Du hast 'was gesehen, Rhody,“ sagte der alte Tom leise zu dem jungen Burschen, als die Übrigen einer gerade auf und über Bord schlagenden See lachend aus dem Wege sprangen, um ihren früheren, mehr gesicherten Platz wieder einzunehmen. Dabei suchte er in dem Halbdunkel, das bei dem wolkenbedeckten Mond auf dem Wasser lag, die Züge seines jungen Kameraden zu erforschen.
„Geht zum Teufel!“ rief aber dieser, sich von ihm abwendend, ärgerlich – „das alberne Zeug, dass ihr den Leuten in den Kopf setzt, macht sie am hellen Tage Gespenster sehen, wie viel mehr denn in solcher Nacht!“
Er ging nach vorn, sich im Lee der Kombüse allein hinzusetzen, und die Kameraden, die ihn dort aufsuchten und nichts aus ihm herausbringen konnten, ließen ihn endlich zufrieden und ungestört.
Die Nacht ging ohne weitere Störung vorüber, der Sturm hatte aber nicht allein nicht nachgelassen, sondern eher noch zugenommen, und als sich die Sonne rotglühend über dem weißbeschäumten und jetzt engbegrenzten Horizont abhob, wogten und taumelten Schluchten und Berge wild durcheinander, und das ächzende Schiff rang sich triefend die Bahn durch alle Schrecken.
Das Frühstück war eben von den Leuten eingenommen, und der Kapitän kam an Deck, wo der Steuermann, der ihm gerade vorangegangen, ein paar Leute nach aft rief, um ein gestern eingerissenes Marssegel wieder auszubessern und instandzusetzen. Zu Larbord, an der großen Rahenocke, war ebenfalls der eiserne Ring, der die untere Leesegelspiere hielt, locker geworden, und Rhode Island wurde dort hinauf geschickt, ein Ende Tau um die sich losarbeitende Spiere zu schlagen, bis der Schaden bei ruhigerem Wetter wieder ordentlich repariert werden konnte.
Der junge Bursche lief die Wanten hinauf und auf den Paarden oder Laufseilen an die Rahenocke hinaus, um den Befehl auszuführen.
Das Schiff schlingerte dabei, wie die Woge unter ihm sank oder stieg, herüber und hinüber, und stampfte dann wieder, als ob es sich hineinhauen wolle bis auf den Grund. Rhode Island war aber ein tüchtiger Seemann und fühlte sich so sicher da oben wie auf dem Deck unten. So, während ein paar schwarzbraune schlanke Mögen mit rabenschwarzen Flügelspitzen um ihn her kreisten, als ob sie das kecke Menschenbild da oben bei sich nicht dulden wollten, schlug er das Tau um Spiere und Rahe, schnürte die erstere um die letztere fest, und trat dann noch einen Schritt weiter hinaus, um den Block zu fassen, der am äußersten Ende der Spiere hing und dessen Strop ebenfalls losgegangen war, als vom Deck eine Stimme „Segel ho“, rief.
Der junge Bursche fuhr zusammen, als ob er von einem Schuss getroffen wäre, richtete sich auf, verlor das Gleichgewicht und fasste im Sturz noch das Laufseil. Der Wurf, den das Schiff aber zugleich im Wiederaufrichten gab, vermehrte nur die Kraft, der die eine Hand nicht gewachsen war; das Seil schnellte aus den es krampfhaft umschließenden Fingern, und der Körper des jungen Matrosen schlug schwerfällig in die nach ihm aufzüngelnde Woge hinein.
„Mann über Bord!“ schallte der Schreckensruf aus zehn Kehlen zu gleicher Zeit, und alle sprangen nach Tauen, sie auszuwerfen und den Kameraden zu retten. So langsam das Schiff aber auch, mit so wenig Segeln und solcher See gegen sich, durch das Wasser ging, hatte die rückprallende riesige Woge den Körper des Unglücklichen schon außer Wurfes Nähe geschleudert, und als ihn die nächste zurückbrachte, glitt das Schiff auf dem Rücken derselben hinab, und in dessen Fahrwasser, mit den Wogen kämpfend, schwamm der Verlorene.
„Hilfe!“ tönte sein Notschrei markdurchschneidend herüber, und ein Schwarm Cap-Tauben, die einzeln dort über die Flut zerstreut gewesen, sammelte sich im Nu mit raschem Flügelschlag über ihm, die neue Beute noch scheu betrachtend.
„Es ist unmöglich, ein Boot auszusetzen!“ rief der Kapitän, in voller Angst eine der Besanpardunen fassend und auf die Reling springend, „wir bekämen nicht einmal die Mannschaft hinein, ehe es uns an den Seiten zerschmetterte.“
Der Steuermann schüttelte, ohne den Blick von dem Unglücklichen zu nehmen, traurig und ernst mit dem Kopf und sagte nur leise: „Es wäre Wahnsinn!“ Der alte Tom nickte langsam vor sich hin mit dem Kopf und flüsterte still in sich hinein:
„Er hat ihn gesehen – hab' ich's mir nicht gedacht? Der arme Teufel, was half da sein Leugnen – nun wird er mir's glauben!“
„Hilfe, Hilfe!“ tönte schon schwächer der verzweifelte Notschrei des Schwimmers zu ihnen herüber; er wusste, dass ihm keine menschliche Hilfe mehr werden konnte, aber der Trieb zum Leben ließ die Hoffnung nicht sinken, bis zum letzten Augenblick.
Und die Mögen sammelten sich über ihm – aufsteigend jetzt in weitem Zirkelschwung und dann niederstoßend nach der seltenen Beute, der sie sich dennoch nicht zu nahen wagten. Schwerer Flügelschlag jetzt von da drüben her; zwei Albatrosse, denen andere folgten, sahen den dicht gedrängten Schwann der Cap-Tauben und Mögen.
Mit den riesigen Fittichen ziehen sie heran, kreisen einmal herum über dem dunkeln Punkt in der Flut – in ihrer Flut, und der eiserne Schnabel haut nach der gebotenen Beute.
„Hilfe! Hilfe!“ Es war ein Aufkreisch, der die Männer aufscheuchte, als ob ein Schuss zwischen sie gefallen wäre, und selbst die Albatrosse wichen einen Augenblick dem fremden, unheimlich grellen Ton, aber nur, um ihren Angriff wenige Momente später mit so viel größerer Gier zu erneuen.
„Heiliger Gott!“ rief der Kapitän und sprang, das Fernrohr aufgreifend, das ihm der Steuermann reichte, ein paar Schritt die Besanwant hinan, in der er sich festklammerte und das Rohr auf den Schwimmenden richtet – „die Vögel stoßen auf ihn – das ist entsetzlich!“
„Hilfe! Hilfe!“
Ein scharfer Ton der Mögen antwortete diesmal; es war der Kampfschrei der hungrigen Tiere, die sich, dem stärkeren Albatros zum Trotz, auf die Beute warfen und unter den weiten Schwingen des mächtigeren Gegners hin nach Kopf und aufgeworfenem Arm des Unglücklichen hackten.
„Gott sei seiner Seele gnädig!“ sagte Tom, sich schaudernd abwendend, während Einzelne der Leute dem Kapitän in die Wanten folgten. Dieser jedoch schob sein Glas zusammen und stieg schaudernd hinab; er konnte den Anblick nicht länger ertragen.
Die Vögel, mit den Albatrossen an der Spitze, bildeten jetzt eine feste Masse auf der Flut, so dass sich unter ihrer dicht gedrängten Schaar schon nichts weiter mehr im Wasser erkennen ließ. Die schwächeren Cap-Tauben aber umflogen ärgerlich kreischend die gefundene Beute, von der die stärkeren Schwestern sie verscheucht hatten, auf und nieder dabei flatternd, manchmal dem Schiff folgend, als ob sie ein neues Opfer zu finden erwarteten, und dann zu dem ersten zurückkehrend mit raschem ängstlichem Flug.
Die Leute kamen langsam herunter und gingen nach vorn, und das Schiff kämpfte weiter gegen die empörte Flut, die ihr Opfer jetzt hatte.
Weit in Lee kam jetzt ein Segel in Sicht – dasselbe, das vorhin angerufen worden. – Oben auf einer Woge, wie von der äußersten Spitze getragen, stand es einen Augenblick, und verschwand dann in der Tiefe, als ob die Flut es verschlungen; es lag über dem andern Bug und kreuzte nach Norden auf – eine Stunde später war es am Horizont verschwunden, während mit schwerfälligem Flügelschlag die Albatrosse dem Schiffe wieder folgten – neue Beute erhoffend.
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