Читать книгу Im Busch / Kriegsbilder aus dem dt.-franz. Krieg - Gerstäcker Friedrich, Jurgen Schulze - Страница 1

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Gesammelte Schriften

von

Friedrich Gerstäcker.

Zweite Serie.

Elfter Band.

Volks- und Familien-Ausgabe.

Im Busch. - Kriegsbilder

Jena,

Hermann Costenoble.

Ausgabe letzter Hand, ungekürzt, mit den Seitenzahlen der Vorlage

Gefördert durch die Richard-Borek-Stiftung und Stiftung Braunschweigischer Kulturbesitz

Friedrich-Gerstäcker-Gesellschaft e.V. und Edition Corsar, Braunschweig, 2021

Herausgegeben von Thomas Ostwald nach der von Friedrich Gerstäcker

eingerichteten Textausgabe für H. Costenoble

Geschäftsstelle: Am Uhlenbusch 17, 38108 Braunschweig

Alle Rechte vorbehalten! © 2016 / © 2021

1.

Der Ueberfall.

Die Sonne verschwand eben hinter den wildzerrissenen Höhenzügen der blue mountains in New-South-Wales, und gab dem sonst so monotonen australischen Urwald, für kurze Zeit wenigstens, eine ganz eigenthümliche, selbst malerische Färbung und Schattirung. Rund umher freilich wahrte sich der Wald seinen grauen Charakter, der all' jenen endlosen Gumbäumen ein so trauriges, todtes Aussehen giebt, und wurde nur an wenigen Stellen durch einen frischgrünen kleinen Wattel mit seinen goldgelben duftenden Blüthen unterbrochen. Schon die zweite Bergschicht aber zeigte in den Dünsten des rasch erbleichenden Lichtes einen fast dunkelgrünen Mittelgrund, während noch weiter dahinter die entfernteren Gebirgsrücken ein nicht ganz so dunkles Blau annahmen, das bei dem allerletzten in ein lichtes, fast verschwimmendes Himmelblau überging.

Das Firmament deckten leichte Wolkenschleier, und im Westen wurden die Nebelstreifen schon von den rosigen Abendtinten übergössen, als vier Männer den hier höchsten Gebirgszug, den sogenannten razorback, erreichten und wenige Secunden dort oben hielten.

Ihr Anzug wäre im Innern Australiens schwerlich aufgefallen, denn Reisende im Busch machen auf keine große Toilette Anspruch, und bundlemen und stock-keeper1 tragen /4/ gewöhnlich eine so verwilderte und mitgenommene Außenseite, daß sie jeder Maler ohne die geringste Uebertreibung zu irgend einer Gruppe von Banditen oder Wegelagerern benutzen könnte.

Bundlemen und Stockkeeper führen aber nur in Ausnahmefällen Waffen, während sich diese vier Burschen, trotz ihrem Bergmarsch, ordentlich damit beladen hatten, und um sie noch verdächtiger zu machen, betraten sie den über den Razorback laufenden Fahrweg erst oben auf der Wasserscheide und mitten aus dem Busch kommend. Es hätte ihrer Galgenphysiognomien kaum noch bedurft, der kleinen, sehr schweigsamen Gesellschaft eben nichts Gutes zuzutrauen, und nur der Eine von ihnen schien nicht recht in dieselbe zu passen.

Er trug allerdings keine andere Kleidung wie die Uebrigen auch, und zwar Rock und Beinkleider von sogenanntem englischen Leder, einen „californischen" Hut und grobe Buschschuhe, aber sein Hemd war sauber, seine ganze Gestalt sah besser gehalten und sorgfältiger behandelt aus. In anderer Gesellschaft hätte er sogar recht gut für einen der run-Besttzer oder Stations-Eigenthümer gehalten werden können, die bei ihrem wilden Buschleben auch keine besondere Sorgfalt auf ihre Kleidung verwenden können, aber trotzdem nie unsauber oder nachlässig darin betroffen werden. Außerdem schien er noch jung - er konnte kaum mehr als achtundzwanzig oder dreißig Jahre zählen, und der leicht gekrauste, lichtbraune Bart, das lockige Haar mit den leicht gerötheten vollen Wangen würde seinem Gesicht selbst etwas Freundliches gegeben haben, hätte dies nicht, wenigstens in diesem Moment, der scheue und unstete Blick wieder zerstört, den der junge Mann - besonders als sie den offenen Weg erreichten - nach rechts und links hinüber warf.

Aber es war Niemand auf der Straße zu sehen, deren Abfall man gerade dort nach beiden Richtungen hin überblicken konnte. Der Wald lag todtenstill; nur in weiter Ferne strich ein Schwarm kreischender Kakadus seinem gewöhnlichen Standort für die Nacht zu, und drei oder vier jener wunderlichen elsterartigen Vögel, die der Australier „den lachenden Esel" nennt, stießen, als ihnen die Menschen zu nahe kamen, lautlos ab von einem Baum und, über den nächsten Wipfeln hin, scharf in das weite gähnende Thal hinein. /5/

Der Aelteste des kleinen Trupps, unverkennbar ein Sohn der „grünen Insel", mit auffallend starken Pockennarben und jenem, den Irländern eigenen drolligen Zug um die dünnen Lippen, bog sich, so wie sie aus dem Busch traten, zu dem Weg nieder, untersuchte dort sorgfältig die letzt eingedrückten Spuren und sagte dann:

„Wir kommen noch recht. Sie ist noch nicht vorüber."

„Dazu hätten wir Deine Weisheit nicht gebraucht, Jim," lachte sein anderer Gefährte. „Nach der Zeit, wo sie von Golbourne fortfährt, kann sie noch nicht hier sein, und kommt auch vor der nächsten Stunde nicht, 's wäre aber doch besser, wir gingen an die Arbeit. Wenn nur der Schatz von einem Trompeter erst da wäre, der uns hier oben um diese Zeit treffen wollte. Zehn gegen eins, der Holzkopf hat sich verlaufen."

„Wir haben noch übrig Zeit, Bob," sagte jetzt der junge Mann ruhig. „Die ganze Arbeit machen wir in fünf Minuten ab; und außerdem ist's noch ein wenig zu hell. Wenn uns etwa gar ein oder der andere späte Reiter in die Quere käme, könnte er uns den ganzen Spaß verderben."

„Bah," sagte der mit Bob Angeredete verächtlich. - „Das wäre nachher unsere Sorge, mit dem ebenfalls fertig zu werden. Aber meinetwegen; lange haben wir freilich nicht zu thun, und außerdem ist ja der Trompeter noch nicht einmal da. Wenn er's nur nicht dumm angefangen hat."

„Hab' keine Angst," lachte der junge Mann, „der bringt eine Spitzhacke, und wenn er sie einem der Schäfer unter dem Kopfkissen wegstehlen sollte. Das Einzige wäre -"

Ein eigenthümlicher glockenähnlicher Laut schallte in diesem Augenblick durch den Wald. Ein Ton, wie ihn der kleine, sich nur am Wasser aufhaltende Glockenvogel von sich giebt, der dadurch auch gar nicht selten den halbverschmachteten Wanderer auf die Nähe des rettenden Labsals aufmerksam macht.

„Da kommt der Trompeter," sagte Jim, der nur die Wiederholung des Tons erwartet hatte.- „nun wissen wir gleich, woran wir sind," und die Hände an den Mund legend, ahmte er täuschend den Schrei des schwarzen Kakadus nach. Gleich daraus hörten sie schwere Schritte und das Brechen /6/ der Büsche, und nicht lange, so kletterte der erwartete Kamerad an dem Hang herauf.

Er war genau so gekleidet wie die Uebrigen, trug ebenfalls ein großes, mit einem Holzgriff versehenes Messer an der Seite und eine lange Muskete auf der Schulter, in der Hand aber noch außerdem eine schwere Spitzhacke, die er jetzt mit einem gotteslästerlichen Fluch auf den Boden warf, und schwur, er wolle verdammt sein, wenn er in seinem ganzen Leben wieder ein so schweres unbehülfliches Instrument sieben Meilen weit und zuletzt noch Razorback hinauf schleppe. Trompeter hieß er übrigens nur bei den Kameraden, weil er früher einmal als solcher in einem Regiment gedient und jetzt noch immer gern davon erzählte. - Aber Zeit war nun auch nicht mehr zu versäumen, der Himmel hatte schon die der Nacht vorhergehende bleigraue Färbung angenommen; höchstens noch eine Viertelstunde blieb ihnen Tageslicht, und da ihr Plan schon vorher genau verabredet worden, bedurfte es weiter nichts mehr, als ihn eben auszuführen.

Noch einmal horchte der kleine Trupp in den Wald hinein, der Richtung zu, von welcher die Postkutsche erwartet wurde, und als sie noch immer nichts davon hören konnten, stiegen sie jetzt schweigend und rasch den Berg nach Osten zu hinunter, bis sie einen Platz erreichten, wo die größte Steile überwunden war. Bis hierher ließ es sich nämlich voraussetzen, daß die Passagiere zu Fuß gehen und ihren Hals nicht im Wagen selber auf der steilen, rauhen Bahn riskiren würden. Von der Stelle an lief der Weg aber wieder in leiser Abdachung schräg zu Thal, und der Kutscher würde von hier an gewiß seine Pferde wacker ausgreifen lassen.

Noch etwa zweihundert Schritt folgten sie trotzdem dem Weg, um ganz sicher zu gehen, und hier endlich brach Bill das Schweigen und sagte:

„Das ist der Platz, Mates; hier wird sich auch die Gesellschaft keinen besondern Schaden thun, wenn wir den alten Kasten umkippen, und bequemer können wir's ihnen auf keinen Fall machen. Jim, nimm Du lieber die Spitzhacke, denn Du weißt mit dem Ding am besten umzugehen, und nachher lösen wir Dich ab." /7/

„Eine verfluchte Idee," lachte der Angeredete vor sich hin, indem er ohne Weiteres seine Waffen neben dem Weg in den Busch legte und das Instrument aufgriff – „komische Wegeverbesserer, die wir jedenfalls sind, und ich weiß gerade nicht, ob uns die Regierung Ihrer Majestät besonders dankbar dafür sein wird."

„Die Regierung Ihrer Majestät soll verdammt sein," brummte sein zuletzt gekommener Kamerad, „was die für uns gethan hat, lohn' ihr der Teufel, und wenn ich's einmal quitt machen könnte, sollt' es „mir zur Ehre gereichen", wie der alte Friedensrichter in Osborne immer sagte."

„Ein wenig tiefer in den Weg hinein müssen wir doch gehen," sagte jetzt Bill, der junge Mann, der indessen auf das Gespräch nicht geachtet und nur den Beginn der Arbeit beobachtet hatte. „Die Pferde weichen sonst am Ende rechtzeitig aus, und wir haben den ganzen Spaß umsonst gehabt."

„Der Weg ist so verdammt hart," brummte Jim, „die Spitze fährt ja kaum einen halben Zoll in den Boden."

„Das wird besser, wenn wir nur ein klein wenig tiefer kommen," tröstete ihn Bill - „so - bis dahin, das wird's vollkommen thun. Das eine Rad muß hier die Rinne fassen."

Jim arbeitete mit der Hacke ruhig weiter, während alle Uebrigen ebenfalls ihre Waffen abgelegt, ja sogar ihre Röcke ausgezogen hatten, und das losgehauene Erdreich, in Ermangelung von Schaufeln, mit ihren Händen beseitigten. Ueber die Absicht ihrer Arbeit konnte auch nicht länger ein Zweifel sein, denn Jim hieb ganz direct das eine Fahrgleis der von Bathurst nach Sidney führenden, vortrefflich angelegten, aber sehr schlecht unterhaltenen Chaussee auf, wodurch die jetzt von Golbourne kommende Postkutsche, so wie sie diese Stelle berührte, rettungslos umgeworfen werden mußte - hatte doch außerdem noch der Abhang hier Fall genug, um ein rasches Einhalten vollständig unmöglich zu machen.

Endlich war die Arbeit beendet und das Loch für tief genug erachtet, um den Zweck vollkommen zu erreichen, die Nacht auch indessen vollständig eingebrochen. Nur eine Zeit lang herrschte noch jenes dämmernde Zwitterlicht, bis auch der letzte Schein im Westen verblichen war und die Sterne ihren matten /8/ Strahl durch die zerstreuten Wolken nieder auf die Erde sandten.

Die vier Gesellen hatten jetzt weiter nichts zu thun, als eben ihre Zeit abzuwarten, und ein klein Stück vom Weg ab - von wo aus sie diesen jedoch vollständig übersehen konnten - lagerten sie im Busch unter einem der alten Gumbäume, und sprachen gemeinschaftlich einer großen Flasche Rum zu, die Bill mitgebracht hatte und den Kameraden freigebig überließ; genoß er doch selber sehr wenig von dem starken Getränk.

Die Unterhaltung war dabei freilich nur sehr einsilbig, denn Alle horchten immer dann und wann in die Nacht hinaus, ob sie nicht das jetzt längst erwartete Fuhrwerk hören könnten. Es dauerte aber wohl noch eine volle Stunde, bis Jim plötzlich in die Höhe fuhr und mit leiser, vorsichtig gedämpfter Stimme sagte:

„Sie kommen!"

Niemand antwortete ihm - Alle lauschten schweigend wohl eine Minute lang - Jim hatte aber ganz Recht gehabt - ein dumpfes Knarren und Poltern ließ sich hören, das freilich bis jetzt noch sehr undeutlich zu ihnen herüberdrang. Jetzt konnten sie Stimmen unterscheiden. Einer der Nahenden pfiff ein Lied „the last rose of summer" - näher und näher kamen die Laute - jetzt plötzlich war Alles wiederum todtenstill.

„Sie steigen ein," flüsterte Bill - „der Wagen hält."

Jim nickte nur einfach mit dem Kopf, denn jetzt war nicht mehr viel Zeit zu verlieren. Bill hatte, wie sie nur die Gewißheit der ersten Annäherung bekamen, eine kleine Blendlaterne angezündet und unter seine Jacke versteckt, die vier unheimlichen Gestalten griffen dann ihre Waffen auf und nahmen die schon vorher verabredeten Posten ein, die sich ziemlich genau bestimmen ließen, denn sie wußten ja recht gut, an welcher Stelle der Wagen umschlagen mußte, so wie nur selbst das linke Vorderrad in die eingegrabene Falle gerieth.

Jetzt rollte das Fuhrwerk wieder rasch herbei. Der Kutscher, der hier die schwierigste Passage überwunden wußte und jeden Fußbreit Weges genau kannte, hieb in die Pferde ein, um sie zu schärferem Trab anzutreiben, hatte er doch wenigstens dreiviertel Stunden seiner Zeit nachzuholen. Die /9/ Passagiere, die an der letzten steilen Bergkuppe abgestiegen waren und den Razorback zu Fuß überschritten hatten, brauchten noch einige Zeit, bis sie sich auf ihren Sitzen wieder zurechtrücken konnten, und jetzt erschien der dunkle Schatten des offenen Fuhrwerks auf der matt beleuchteten Straße - näher kam es - immer näher - schon erreichten die Pferde den Platz, auf dem Jim die aufgehauene Erde sorgfältig weggezogen und nach dem Busch hinüber geworfen hatte.

„Woh! wohah!" schrie da der Kutscher plötzlich und suchte die Thiere nach rechts hinüber zu reißen. Sein scharfes Auge hatte selbst bei der nur ungewissen Beleuchtung entdeckt, daß dort im Wege nicht Alles in Richtigkeit wäre, wenn er auch nicht gleich erkennen konnte, ob der Schatten vor ihm ein Loch oder ein hineingeworfener Baumstamm sei - aber es war zu spät. Die Pferde, an diese rauhen Buschpfade gewöhnt, wo sie alle Augenblicke nach rechts oder links ausweichen müssen, gehorchten zwar im Moment, aber das Vorderrad hatte schon das verräterische Gleis erreicht, der schwere Wagen war überhaupt im Rollen, und fast gleichzeitig mit dem Ruf des erschreckten Kutschers sanken beide linke Räder tief bis über die Achsen in das gegrabene Loch, und die royal mail, wie der offene Postkarren etwas übertrieben getauft war, schlug unter dem Zetergeschrei der Passagiere nach der linken Seite über.

Der Kutscher selber ward weit vom Bock hinweggeschleudert, traf wahrscheinlich mit dem Kopf an einen Stein und blieb besinnungslos liegen, und die Pferde, die sich in dem zur Seite gerissenen Geschirr verwickelten, stampften und schlugen und bäumten, bis sich die beiden vorderen Thiere losarbeiteten und dann in voller Flucht die Straße hinabtobten.

Einer der Räuber wollte ihnen vorspringen und sie zurückscheuchen, aber es war nicht mehr möglich; die Thiere, durch das plötzliche Schreien und Toben der Passagiere selbst, wie durch den eigenen Unfall scheu gemacht, ließen sich nicht mehr halten, und wenige Secunden später verhallte der donnernde Schlag ihrer Hufe auf der Straße in weiter, weiter Ferne.

Bill mit seinen Gefährten hatte aber jetzt auch keine Zeit, sich weiter um sie zu bekümmern, denn der Moment nahm ihre ganze Thätigkeit in Anspruch. Vortrefflich wurde der junge /10/ Mann, besonders von Jim und dem Trompeter unterstützt, die Beide nichts weniger als Neulinge in dem „Geschäft" schienen.

Beide nämlich, ohne ihre Flinten von der Schulter zu nehmen, waren - Jeder mit einer gespannten Pistole in der Hand - unter die wild am Boden umhergestreuten Passagiere gesprungen, und ehe sich diese wieder aufraffen konnten, ja ehe sie sich nur so weit von dem nicht unbeträchtlichen Sturz gesammelt hatten, um recht zu begreifen, was eigentlich geschehen sei, sahen sie ein paar dunkle, drohende Gestalten und hörten Jim's tiefe, vollkommen leidenschaftslose Stimme, mit der er laut und deutlich sagte:

„Bleibt ruhig liegen, meine Herzchen; dem Ersten, der Miene macht, aufzustehen, ja der nur den Kopf vom Boden hebt, schick' ich eine Ladung Rehposten durch den Schädel - weiter nichts - wer mich dann nicht verstanden hat, mag sich nachher beklagen."

Nur ein dumpfes Stöhnen antwortete ihm, denn die Passagiere, wenn sie nicht selber schon einen ähnlichen Unfall erlebt, waren in Bathurst und unterwegs so mit Erzählungen von „bushrangern" und ähnlichen Ueberfallsgeschichten gefüttert, und dabei so unausgesetzt gewarnt worden, sich um Gottes willen in einem solchen Falle nicht zu widersetzen, daß sie, theils von dem Sturz, theils von der neuen Ueberraschung wie gelähmt - jedenfalls vollkommen machtlos - am Boden lagen, und auch nicht den geringsten Versuch zu einem Widerstand machten.

Jim beobachtete sie ein paar Secunden schweigend, und dann zufrieden mit dem Kopf nickend, fuhr er fort:

„So recht, meine Herzblättchen! - sind lauter brave Kinder, wie ich sehe - würde Euch aber auch nicht viel helfen, wenn Ihr unartig sein wolltet, denn wir sind hier unser sechzehn Mann, alle bis an die Zähne bewaffnet und gerade in der Laune, das mit Anstand auszuführen, was wir so allerliebst begonnen haben. - Also, Bill, fangt einmal an, daß wir mit den Herren zu Ende kommen, die Zeit möchte ihnen sonst da unten ein wenig lang werden."

Bill, dem als dem Gewandtesten das Geschäft der Plün/11/derung übertragen worden, hatte sich indessen eine Art von Maske über das Gesicht geworfen, die allerdings aus weiter nichts bestand, wie einem viereckigen Stück schwarzer Gaze mit Löchern für die Augen, was aber doch hinreichte, seine Züge zu verbergen. Er mußte auch schon genau wissen, wo sich das meiste Geld befand, denn nur noch kurz seinen Kameraden Aufmerksamkeit empfehlend, sprang er rasch zu dem umgestürzten Karren, öffnete mit ein paar Schlägen der schweren Spitzhacke das Schloß des Kastens, in dem die Briefbeutel waren, und hatte bald gefunden, was er suchte: ein nicht sehr großes, aber sehr schweres Paket in Leder eingeschnürt, das er mit den Briefbeuteln herausnahm und eine kleine Strecke in den Wald hineintrug. Dann kehrte er rasch zurück, und jetzt begann die Untersuchung der Passagiere selber, die herausgeben mußten, was sie an Geld oder Geldeswerth bei sich führten.

Es geschah das in der gewöhnlichen Weise. Jeder wurde einzeln vorgenommen, mußte sich halb aufrichten und die Arme ausgestreckt von sich halten, und während der Trompeter mit gespanntem Gewehr, den Lauf höchst ungenirt gerade in das Gesicht des Bedrohten haltend, vor ihm stand, visitirte Bill die Taschen des Opfers und seinen Körper nach einem verborgenen Geldgurt oder versteckten Kleinodien, zog auch wohl in einzelnen Fällen dem unglücklichen Individuum die Stiefeln aus, um sich zu überzeugen, daß nichts Weiteres in diesen oder vielleicht in den Strümpfen versteckt war.

Das Ganze ging aber verhältnißmäßig außerordentlich rasch vor sich, und nur ein junger Mann war noch übrig, der jetzt ebenfalls an die Reihe kam. Er war sehr anständig gekleidet und gab willig her, was er hatte: eine Uhr, ein gut gefülltes Taschenbuch und das Geld, welches er lose in der Westentasche trug. Bill hatte ihm aber in das Gesicht geleuchtet, befühlte ihn dann am ganzen Körper, und entdeckte auf seinem Rücken noch ein kleines, sorgfältig eingenähtes Paket, welches außerordentlich schlau versteckt schien.

Ein tiefer Seufzer hob des Passagiers Brust, als er sein Geheimniß verrathen sah, aber er leistete nicht den geringsten Widerstand, der ja auch unter diesen Umständen vollkommen /12/ nutzlos gewesen wäre. Bill machte ebenfalls rasche Arbeit, indem er ein kleines scharfes Messer herausnahm und den Theil des Rocks, der den verborgenen Schatz hielt, einfach herausschnitt.

Dabei hatte sich der Räuber aber etwas bücken müssen, und gerade wie er das erbeutete Paket in seiner eigenen Tasche barg, fiel ihm die Maske vom Gesicht. Unwillkürlich ließ in demselben Augenblick der junge Fremde den Strahl des Lichts voll auf die Züge des Räubers fallen, und mit erschreckter, aber nur halblauter Stimme rief er aus:

„Bill! um Gottes willen, bist Du das?"

Bill biß die Zähne fest zusammen, brachte aber seine heruntergefallene Maske wieder in Ordnung und sagte dann mit völlig ruhiger Stimme:

„Es thut mir leid um Dich, daß Du mich erkannt hast, Kamerad." - Zugleich nahm er seine Pistole aus dem Gürtel, und in dem nächsten Moment dröhnte der Schuß durch den Wald, mit dem der unglückliche Passagier lautlos an der Stelle, an der er kniete, zusammenbrach.

„Alle Teufel!" rief Jim überrascht aus, „das macht Lärm."

„Wir sind fertig," sagte Bill, der die Laterne aufgriff und die abgeschossene Waffe wieder in seinen Gürtel zurückschob - „hier, Bob, trag das, ich bringe allein nicht Alles fort. Habt Ihr von Euren eigenen Sachen nichts zurückgelassen?"

„Die Spitzhacke liegt noch am Wagen."

„Die mögen sie zum Andenken mitnehmen," knurrte der Trompeter - „verdammt, wenn ich die alte Hacke auch nur noch einen Schritt weit schleppe."

„Gut! also fort! Guten Abend, meine Herren. Sie können Ihre Reise jetzt ungestört fortsetzen" - und mit den Worten, ehe die Ueberfallenen auch nur noch recht wagten, den Kopf zu heben, waren die Räuber im Wald verschwunden, die geplünderte Reisegesellschaft sich selber überlassend. /13/

2.

Das Lager im Busch.

Die armen Reisenden blieben in einer wenig beneidenswerthen Lage zurück, denn noch thaten den meisten die Glieder von dem rauhen Sturz weh, und geplündert, mit dem Ermordeten zwischen sich, ihr Wagen umgeworfen, die Pferde in dem zersprengten Geschirr verwickelt, der Kutscher, um den sich keiner der Räuber gekümmert hatte, noch immer bewußtlos auf dem Sand ausgestreckt, standen sie rathlos da und wußten im ersten Augenblick gar nicht, was sie zuerst beginnen sollten.

„Sind sie fort?" frug da plötzlich eine noch immer vorsichtig gedämpfte Stimme, und als sie sich Alle rasch dorthin drehten, sahen sie zu ihrem Erstaunen, daß es der Kutscher selber war, der bis jetzt für gut befunden hatte, den Halbtodten zu spielen. Allerdings mochte er wohl ein wenig unsanft aufgefallen sein; sobald er aber wieder zu sich kam und die ganze Scene überschaute, wußte er recht gut, was hier vorging, und hielt sich demzufolge - das Gescheiteste, was er für seine eigene Person thun konnte - passiv. Die Kutscher selber wurden bei derlei Ueberfällen, nach einem stillschweigenden Uebereinkommen der Räuber, nie belästigt, so lange sie sich nicht, was aber ebenfalls nie geschah, zur Wehr setzten, und da ein solcher persönlich kein weiteres Interesse an der Sache hatte, kümmerte es ihn sehr wenig, was mit seinen Passagieren oder den ihm übergebenen Poststücken geschah; konnte er doch nie dafür verantwortlich gemacht werden.

So wie er übrigens die Bestätigung erhielt, daß die Räuber oder Bushranger im Busch verschwunden seien, hob er sich langsam vom Boden und stand dann, sich verlegen am Kopf kratzend, neben seinem arg zugerichteten Geschirr, das er mit sehr betrübten Blicken betrachtete. Um den Erschossenen, um den sich die übrigen Reisenden jetzt sammelten, kümmerte er sich gar nicht. Das war ja nur ein Passagier.

Der Unglückliche, ein junger, blühender Mann, der Sohn /14/ eines Stationshalters vielleicht - Niemand der Passagiere kannte ihn - lag regungslos in seinem Blut am Boden, und das matte, unsichere Licht des Mondes verrieth nur, daß die mörderische Kugel ihm in die Brust gegangen sei - aber er war noch nicht todt, sein Röcheln kündete noch Leben in dem mißhandelten Körper, und ein alter Herr mit weißen Haaren kniete jetzt neben ihm nieder, hob ihm den Kopf auf sein Knie und begann die Wunde zu untersuchen.

Der Kutscher hatte sich indessen daran gemacht, die Pferde zu entwirren, was ihm endlich gelang, denn hier oben konnten sie doch nicht halten bleiben, und das Nothwendigste blieb jetzt, den umgestürzten Wagen wieder aufzurichten.

Glücklicher Weise war an diesem kein Rad gebrochen, und der Kutscher - jetzt ganz sicher, daß ihn die Bushranger nicht mehr hören konnten - fluchte in einer Weise, wie man sie vielleicht nur in Australien zu hören bekommt, auf die heillosen Halunken, die seinem guten Geschirr in so ausgesucht heimtückischer Weise eine Grube gegraben und gewissermaßen das ganze Nest darin gefangen hatten - denn über die Art, wie sie hier überlistet worden, blieb natürlich kein Zweifel mehr - das tief ausgewühlte Gleis verrieth das deutlich genug.

Die übrigen Passagiere - der Alte beschäftigte sich noch immer mit dem Verwundeten - leisteten jetzt die nöthige Hülfe, um den umgestürzten Karren wieder aufzurichten, übrigens kein leichtes Stück Arbeit - und nach einer guten Stunde hatten sie wenigstens die Genugthuung, ihr Fuhrwerk wieder so weit in Stand gesetzt zu sehen, um ihre Reise fortsetzen zu können. Von hier aus waren auch die zurückgebliebenen zwei Pferde im Stande, die königliche Post fortzubringen, denn der Weg ging fast ausschließlich bergab, und nur, was mit dem vom Schuß Getroffenen werden sollte, blieb noch die Frage.

Der alte Herr verlangte allerdings, daß ihrer Vier den Unglücklichen, der jedenfalls noch lebte, bis zum nächsten Haus hinab tragen sollten, da ihm das Rütteln des Fuhrwerks vielleicht den Tod bringen konnte. Dagegen aber protestirten die Uebrigen, die geradezu erklärten: sie hätten heut Abend der Unbill genug gelitten, um jetzt auch noch mit den überdies /15( durch den Sturz schmerzenden Gliedern eine Leiche Stunden weit zu schleppen. Die Wunde in der Brust sei jedenfalls tödtlich, und das Einfachste, den armen Teufel hier unter einen Baum zu legen und dann vom nächsten Haus Leute abzuschicken, die ihn begraben oder sonst mit ihm machen konnten, was sie wollten. Was kümmerte sie überhaupt der fremde Mensch!

Dem widersprach der alte Herr auf das Entschiedenste. Den Verwundeten hier ohne Hülfe zurück zu lassen, wäre kaum weniger ein Verbrechen gewesen, wie der Mord selber, und wenn sich auch ein paar der Rohesten noch dagegen sträubten, setzte er doch endlich die Mitnahme durch. So gut das eben die Umstände erlaubten, wurde dem Unglücklichen ein bequemer Platz hergerichtet; der alte Herr nahm ihn dann selber in seine Arme, und mit der Mahnung an den Kutscher, bis zu der nächsten menschlichen Wohnung nur langsam zu fahren, setzte sich der geplünderte Postwagen endlich wieder in Bewegung.

Indessen hatten sich die Bushranger in den Wald und zu einer ihnen wohl bekannten Stelle an einer Schroffe zurückgezogen, wo sie ganz sicher waren, heute Nacht nicht allein nicht belästigt zu werden, sondern auch, ohne die geringste Furcht, entdeckt und gesehen zu werden, ein Lagerfeuer anzünden konnten. Lebensmittel mit den nöthigen Getränken waren ebenfalls schon über Tag hierher geschafft worden, und mit dem behaglichen Gefühl eines vollständig geglückten Unternehmens suchte die verbrecherische Schaar diesen Zufluchtsort, um sich vor allen Dingen mit Speise und Trank zu stärken und dann das Weitere, ihre eigene Sicherheit betreffend, zu überlegen und zu besprechen.

Dort waren diese, an ein Buschleben überhaupt gewöhnten und abgehärteten Menschen auch bald behaglich eingerichtet, und ihre fetten Hammelrippen auf den Kohlen bratend und eine Flasche Rum im Kreise herumsendend, gaben sie sich einem Gefühle vollständiger Sicherheit hin, das auch in der That nur durch einen Umstand getrübt wurde - den ausgeführten Mord. Die Beraubung der königlichen Postkutsche wie ihrer Passagiere hätte ihnen sonst wenig Sorge genug gemacht.

„Sagt mir, Bill," begann auch hier Jim endlich, „was /16/ Euch auf einmal in den Kopf stieg, den jungen Swell2 so ohne Weiteres über den Haufen zu schießen. Die ganze Geschichte ging so geschwind und eigentlich so ruhig ab, daß ich nicht einmal recht klug daraus geworden bin, wenn ich auch dicht daneben stand."

„Er hatte mich erkannt und - mußte sterben," erwiderte der junge Bursche, und schien sich Mühe zu geben, gleichgültig bei den Worten zu bleiben. Aber so verworfen hatte ihn das Laster doch noch nicht gemacht, selbst von einem Mord theilnahmlos zu sprechen, wenn er es auch die schon mehr abgehärteten Kameraden wollte glauben machen. Sein Gesicht selber sah wenigstens todtenbleich dabei aus, und seine Hand zitterte, als er die Flasche ergriff, um mit dem starken Trank die aufsteigenden Gedanken zu betäuben.

„Hm - 's bleibt immer eine verfluchte Geschichte," brummte der Trompeter vor sich in den Bart - „Blut ist Blut, und je weniger mau damit zu thun hat, desto besser. Wird jetzt ein heilloses Geschrei in der Colonie geben, und die ganze Polizei Monate lang auf den Beinen halten."

„Und was thut's?" lachte der junge Verbrecher höhnisch zurück. „Wir Alle wissen, wohin wir uns zu wenden haben, um dem Lärm aus dem Wege zu gehen, bis er vorüber geblasen ist. So wie wir getheilt haben, brechen wir auf, und mit dem Bösen selber müßte es zugehen, wenn sie uns auf die Spur kommen wollten. Ich wenigstens fürchte die ganze Polizeibande nicht."

„Blut ist Blut," knurrte aber auch Bob, der nichtsdestoweniger dabei an einer erst halbgaren Hammelrippe kaute, daß ihm das Fett an beiden Mundwinkeln herunter lief, „und es bleibt immer ein nichtswürdiges Gefühl, wenn man das hinter sich weiß - den Strick nämlich."

„Und sollt' ich ihn laufen lassen, daß er nachher in Sidney Lärm schlug und wir Alle wie ein Dingo im Walde herum und zu Tode gehetzt wurden?"

„Wäre auch eine verdammte Geschichte, das ist wahr," bestätigte Jim. - „Daß Ihr den schwarzen Lappen auch vom /17/ Gesicht verlieren mußtet. Es geht doch bei solchen Gelegenheiten nichts über das Anmalen, und man hat nie die geringste Unbequemlichkeit davon."

„Und jetzt ist's geschehen und nicht mehr zu ändern," sagte Bill trotzig - „keinesfalls verräth der etwas mehr."

„Und seid Ihr sicher, daß er todt ist?" frug Jenkins, der sich bisher nicht um das Gespräch gekümmert und nur mit der Behandlung des Fleisches auf den Kohlen beschäftigt hatte. Bill sah ihn rasch an.

„Gewiß," sagte er - „die Ladung muß ihm ja den Rock verbrannt haben, so nahe war ich, und den Schuß kann er um keine Minute überlebt haben."

„Dann ist's auch nicht der Mühe werth, nachher noch ein großes Geschrei zu machen," philosophirte der Bushrangcr - „Blut ist Blut, das ist richtig, aber ein Strick ist auch ein Strick, und sicher bleibt sicher. Bill hat wie ein Mann gehandelt, ich hätt's selber nicht besser machen können" - und als ob das das größte Lob sei, das er im Stande wäre zu spenden, stach er mit seinem Messer in ein paar der jetzt durchgebratenen Rippenstücke und begann seine eigene Mahlzeit.

Der Gegenstand der Unterhaltung war überhaupt nicht angenehm genug, auch die Uebrigen lange zu fesseln, noch dazu, da jetzt ja die Theilung der gemachten Beute bevorstand, die sich bald reicher auswies, als sie Alle erwartet haben mochten. „Bill", wie er von den Gefährten kurzweg genannt wurde, da diese nicht einmal seinen ordentlichen Namen kannten, hatte das Unternehmen auch in der That eingeleitet, da er gerade in Erfahrung gebracht, daß an diesem Tag eine nicht unbedeutende Summe in baarem Gelde nach Sidney geschickt werden sollte. Diese befand sich jetzt mit dem ebenfalls nicht unbeträchtlichen, den Passagieren abgenommenen Raub in ihren Händen, und die arbeitharten und rauhen Fäuste wühlten mit innigem Behagen in den vor ihnen auf eine wollene Decke ausgeschütteten Goldstücken - hatte doch Keiner von ihnen in seinem ganzen Leben schon so viel baares Geld auf einem Fleck zusammen gesehen - das Bewußtsein gar nicht gerechnet, daß er selber der Eigenthümer des vierten Theiles sei.

„Jungens, Jungens," sagte Jim, vergnügt vor sich hin /18/ lachend, indem er seine ausgestreckte Hand in den Haufen von Goldstücken hineinschob und di« einzelnen Münzen durch die Finger zurückgleiten ließ, „das ist, straf' mich Gott, die schönste Musik, die ich in meinem ganzen Leben gehört habe - die beste Fiedel der Welt nicht ausgenommen. Hol's der Teufel, das kann selbst der Gouverneur nicht" - und mit den Worten warf er sich voll tollen Uebermuths auf den ausgebreiteten Schatz, um sich im wahren Sinne des Wortes in Gold zu wälzen.

„Hallo - Du, Jim," rief aber der Trompeter, „nimm Dich in Acht, mein Herzchen, daß Dir nicht aus Versehen ein halb Dutzend Stücke in die Rocktasche oder den Kragen fallen. Ehrlich Spiel! Vorher wollen wir theilen, und nachher kannst Du mit Deinem Part machen, was Dich eben freut."

„Hast Du Angst, Schatz, daß ich mir mein „Taschengeld" vorausnehme?" lachte der Irländer- „hab' keine Sorge, es bleibt noch genug für Dich übrig, um Dir die Tage zu versüßen, bis Du gehangen wirst."

„Nicht vor Dir hoffentlich," knurrte der Trompeter, über die Anspielung sichtlich nichts weniger als erfreut, „damit ich bei Deinem Leichenbegängniß auch noch eine Citrone in der Hand und eine Flasche voll Rum in der Tasche tragen kann - Leichenpunsch nennen sie's bei uns."

„Gebt Frieden," sagte Bill, der sich bis jetzt mit seinen eigenen düsteren Gedanken beschäftigt hatte - „und malt den Teufel nicht an die Wand. Und nun kommt, daß wir das Gold zählen; je eher wir das beendet haben, desto besser, damit nachher ein Jeder über seinen eigenen Antheil wachen kann."

Der Aufforderung wurde rasch Folge geleistet, und Bill, der übrigens schon verschiedene kleine Pakete für sich selber in Sicherheit gebracht hatte, warf jetzt Alles auf die Decke, wo es Jim und der Trompeter aufzählen mußten, während er selber bei dem Schein des Feuers und seiner Laterne die Briefbeutel zerschnitt und die darin enthaltenen Papiere durchsah.

Die Briefe wurden geöffnet und, wenn leer befunden, in die Flammen geworfen; hier und da fanden sich aber auch einzelne reich mit Banknoten beschwert, und diese, da Bob kein Auge von den Fingern des jungen Kameraden verwandte, /19/ kamen mit in die Masse. - Ein paar vorgefundene Wechsel wurden, als zu gefährlich, um sich mit ihnen zu befassen, ebenfalls verbrannt.

Die Theilung selber nahm nicht lange Zeit in Anspruch, und als Jeder sein ihm zugewiesenes Part in sein Sacktuch fest eingebunden und geborgen hatte, suchten die Verbrecher ihr Lager, um noch vor Tag den Körper für die nächsten Anstrengungen durch ein paar Stunden Schlaf zu stärken. Nur „Bill" legte sich nicht. Als die Uebrigen schon lange, in ihre Decken eingewickelt, im Schutz eines vorspringenden Felsens laut und ruhig schnarchten, saß er noch immer, den Blick stier in die verglimmenden Kohlen geheftet, und raffte sich erst aus seinem düstern Brüten empor, als die über die Höhen streichende kalte Luft ihn daran mahnte, das fast schon niedergebrannte Feuer wieder aufzuschüren.

Er warf ein paar frische Brände darauf, denn niedergebrochenes Gumholz gab es dort im Ueberfluß, und streckte sich dann erst selber dicht am Feuer aus, um noch ebenfalls kurze Zeit - weniger zu rasten, als der unruhigen Gedanken ledig zu werden. Aber auch jetzt schlief er nicht, und manchmal hob er den Kopf vorsichtig in die Höh' und horchte nach den Kameraden hinüber, bis er die Gewißheit erhielt, daß sie alle fest und sicher schliefen. Dann stand er auf, nahm das ihm gehörende Geldpaket unter den Arm, hing seine Waffen um, warf noch einen scheuen Blick über die Gruppe der Schlafenden und stieg leicht und geräuschlos, ohne Abschied von den Kameraden, den Hang hinunter, mitten in den Wald hinein.

3.

Das erste Gold.

Die königliche Mail setzte indessen ihren Weg, den Berg hinunter fort, und der Maildriver oder Kutscher schien nicht übel Lust zu haben, das, wie gewöhnlich, in einem scharfen /20/ Trab zu thun, um von der überdies versäumten Zeit soviel wie möglich wieder einzuholen. Was kümmerte er sich um den verwundeten Passagier! Der alte Herr aber schien nicht gesonnen, das einmal begonnene Liebeswerk halb zu thun, und die Schulter des Kutschers mit der einen Hand fassend, während er im andern Arm den Verwundeten hielt, schwor er, daß er ihn in Sidney augenblicklich wegen absichtlicher Tödtung verklagen werde, wenn er nicht Schritt - und zwar langsamen Schritt bis zum nächsten Haus führe. „Der Geschossene," setzte er hinzu, „habe jedenfalls einen der Räuber erkannt - hier sei noch die Möglichkeit, der Bande auf die Spur zu kommen, wenn er am Leben erhalten würde - bei diesem tollen Fahren sei das aber nicht möglich, und er, der Kutscher, mache sich des Einverständnisses mit den Mördern verdächtig,

wenn er nicht augenblicklich dem Befehl Folge leiste."

Das half. Der Bursche fluchte zwar ingrimmig in den Bart hinein, aber er wagte doch nicht, dem angedrohten Gerichtshof gegenüber dem Befehl zu trotzen, und nach anderthalb Stunden etwa erreichten sie die erste menschliche Wohnung - ein kleines Haus dicht am untern Berghang, wo der Verwundete vom Wagen genommen werden mußte, denn einen

weiteren Transport hätte er nicht ertragen.

Selbst hier freilich würde er nur schlechte und ungenügende Pflege erhalten haben, denn der Platz war weiter nichts wie einer der zahlreich am Wege zerstreuten Grogshops oder Trinkhäuser, eine Art von Wirthschaft, wo aber die Reisenden nichts als geistige Getränke der schlechtesten Art bekommen konnten, und heute noch dazu mit einer Gesellschaft halbtrunkener Irländer gefüllt, die nach Bathurst hinauf wollten, um Arbeit zu suchen. Nicht weit davon lag aber die Station eines sehr wohlhabenden Heerdenbesitzers in einem kleinen freundlichen Thal, und der Stockkeeper war eben herübergekommen, um mit der Post von Bathurst erwartete Briefe des Eigenthümers in Empfang zu nehmen, so wie andere nach Sidney aufzugeben. Er stand mit den aus der Trinkstube herausgeströmten Iren am Wagen, als der Kutscher einen mehr aus Flüchen als Worten bestehenden kurzen Abriß des Ueberfalls gab, und erfuhr kaum, daß einer der Passagiere schwer verwundet, aber /21/ noch am Leben sei, als er auch augenblicklich Anstalt traf, ihn auf die Station schaffen zu lassen. Vier der Leute fanden sich auch bereit, den armen Teufel - gegen ein gutes Trinkgeld natürlich - hinüber zu tragen - einen Andern schickte der Stockkeeper gleich voraus, die Ankunft des Verwundeten zu melden, der alte Herr versprach ebenso, von Pendrith aus direct einen Wundarzt herüber zu schicken, und es war somit für den Augenblick Alles gethan, was nur geschehen konnte, um den Funken von Leben, der noch in dem Unglücklichen lag, zu erhalten und wieder zu wecken.

Hier hatte man auch die beiden Pferde aufgefangen, die sich oben am Berg losgerissen, und gleich schon etwas Aehnliches vermuthet. Derlei Ueberfälle kamen aber häufig vor, und da sie nur höchst selten blutig abliefen, hatte man sich nicht so ernst darum gekümmert. Kutscher und Passagiere wußten sich bei solchen Gelegenheiten schon immer selber zu helfen, und den Räubern oder Bushrangern im Walde nachzusetzen, wäre eine sehr undankbare, und jedenfalls vollkommen nutzlose Arbeit und Anstrengung gewesen - von der Gefahr ganz abgesehen, der sie sich thörichter Weise dabei aussetzten.

Die Post rasselte, eine halbe Stunde später etwa, jetzt durch nichts mehr behindert, in wilder Eile zu Thal, die Passagiere darin auf das Unbarmherzigste zusammenschüttelnd, und auf einer rasch hergerichteten Bahre trugen indeß vier Männer den schwer Verwundeten durch die Nacht nach der Station hinüber, wo indessen sorgende Frauenhände schon arbeiteten, ihm ein bequemes und weiches Lager herzurichten.

Der von dem Stockkeeper abgesandte Bote hatte nämlich schon seine Meldung gemacht, und wohl in keinem Lande der Welt herrschte - besonders noch vor der Entdeckung des Goldes, die freilich alle Verhältnisse umstürzte - eine größere und unbeschränktere Gastfreundschaft, als in Australien.

Jeder Reisende, der nicht gerade mit der Post fuhr, und dann natürlich auf die Gasthäuser angewiesen blieb, an denen die Pferde gewechselt wurden, ward freundlich, ja selbst herzlich aufgenommen, und gehörte er nicht den besseren Ständen an, daß ihm ein Zimmer im Herrenhause zugewiesen werden konnte, so durfte er wenigstens fest darauf rechnen, in der /22/

Küche oder bei dem Stock- oder Hutkeeper sein Nachtquartier und so viel an Thee, Hammelrippen und dem australischen Brod (damper) zugetheilt zu bekommen, wie er eben verzehren konnte.

Die Sutton'sche Familie auf dieser Station machte denn auch keine Ausnahme von der Regel. Kaum hörten die Mitglieder derselben, die eben in der untern Stube bei ihrem Thee saßen, von dem geschehenen Unglücksfall und dem Gast, den ihnen ihr Stockkeeper, ohne weitere Anfrage vorher, als etwas von selbst Verständliches, herüber schaffen ließ, als auch augenblicklich eins der kleinen Fremdenstübchen für ihn hergerichtet wurde, und eine Stunde später lag der noch immer Bewußtlose mit einem allerdings jetzt nur noch nothdürftigen Verband, wie ihn Mr. Sutton selber hatte anlegen können, auf seinem Lager ausgestreckt, und von jeder Bequemlichkeit und Sorgfalt umgeben, welche die Umstände hier nur irgend verstatteten.

Ob die Wunde tödtlich sei, mußte jedenfalls erst eine ärztliche Untersuchung bestimmen. So viel ließ sich jetzt nur feststellen, daß die Kugel in die rechte Brust gedrungen und schräg unter dem rechten Schulterblatt wieder hinausgefahren sei. Hatte sie dabei edle Theile stark verletzt, so war der Tod freilich unvermeidlich.

Weiter und weiter rasselte indessen die Post bis zur nächsten Station, wo die Pferde gewechselt wurden und der alte Herr, der sich schon unterwegs des Kranken so theilnehmend angenommen, einen Wundarzt absenden konnte, um ihm die jetzt allernöthigste Hülfe zu leisten - weiter und weiter der Haupt- und Residenzstadt Sidney zu, die sie am nächsten Tage erreichte, und nicht blos die Nachricht des Ueberfalls dorthin brachte. - Ein solches ,,Abenteuer" wäre ziemlich spurlos an den Bewohnern von Sidney vorübergegangen, denn so oft auch etwas Derartiges in Wirklichkeit vorfiel, so viel erdichtete Geschichten über derlei Anfälle circulirten fortwährend, und eine solche Thatsache gab dann allen übrigen Bestätigung. Nein, die Reisenden von Bathurst brachten ganz andere, viel wichtigere Kunde mit, und zwar die Bestätigung eines andern Gerüchts, das schon einige Tage in der Stadt gewissermaßen gespukt hatte, und nun plötzlich mit voller Kraft zum Ausbruch kam, /23/ ohne die Tragweite noch übersehen zu lassen, die es für diese wie für alle übrigen Colonien Australiens haben mußte: die Entdeckung des Goldes.

„Gold! - oben in den Bergen liegt Gold - Minen liegen dort, viel reicher, als sie je in Californien gefunden wurden - Schätze, von denen das Land in seinen kühnsten Träumen keine Ahnung gehabt - Gold! Reisende von oben haben schon ganze Klumpen heruntergebracht, und oben in den Bergen liegt's; man braucht nur eben hinzugehen und es aufzuheben."

An jedem Gerücht ist gewöhnlich wenigstens etwas Wahres, wenn es die Phantasie der Weiterträger auch nach eigenem Gefallen ausschmückt und entstellt. Einer der Reisenden mit der Bathurst-Mail hatte allerdings Proben körnigen Goldes, die dort oben gefunden waren, mit heruntergebracht und den gierigen Blicken der Bushranger zu entziehen gewußt, und das war in der That die Bestätigung der Meldung, die dem Gouverneur schon vor einiger Zeit von anderer Seite gemacht worden.

Die königliche Mail war in den blauen Bergen von Bushrangern angefallen, ihrer Briefe beraubt, und ein oder ein halb Dutzend Passagiere waren dabei getödtet worden - wen kümmerte das jetzt? - wer dachte noch daran? - Oben in den Bergen lag Gold, und als ob ein Telegraphendraht die sämmtlichen Wohnungen Sidneys verbunden hätte, so sprach an dem nämlichen Abend kein Mensch in der ganzen Stadt von etwas Anderem als Gold, Gold, Gold!

Und wie sah -Sidney am andern Morgen aus?

In sonstiger stiller Zeit begann das Geschäftsleben des immer ziemlich rührigen und thätigen Platzes gewöhnlich um acht oder halb neun Uhr Morgens, und beschränkte sich dann noch immer auf den Detailverkauf der kleinen Läden, da größere Geschäfte selten vor zehn oder elf Uhr gemacht oder auch nur begonnen wurden. - Heute dämmerte kaum das Licht des jungen Tages, als sich schon hier und da Hausthüren öffneten und Leute, völlig zur Reise gerüstet, heraustraten, um ihre bestellten Fuhrwerke oder Pferde aufzusuchen. Güterkarren, sogenannte drays, mit Provisionen und Handwerkszeug be/24/laden, was jedenfalls in der Nacht geschehen sein mußte, rasselten schon einzeln über das Pflaster der Stadt, von den neidischen Blicken der Nachschauenden so lange als nur irgend möglich verfolgt. Einzelne Arbeiter waren zu irgend einer häuslichen Beschäftigung schon gar nicht mehr zu bekommen, denn wer wollte jetzt noch für zwei oder drei Shilling den Tag arbeiten, wo er da oben in den Bergen vielleicht in einer Stunde eben so viele Pfund Sterling auflesen konnte? Eine Menge kleiner Läden selbst blieben geschlossen, da sich deren Eigenthümer entweder schon zum Abmarsch in die Minen rüsteten, oder doch wenigstens eifrig beschäftigt waren zu überlegen, ob sie gehen sollten oder nicht. -

Aber selbst das schien nur die nutzlose Verzögerung eines doch nicht mehr zu vermeidenden Schrittes, denn wer überhaupt schon s o weit war, daß er mit sich zu Rathe ging, blieb auch, in fast allen Fällen, für ein ruhiges Alltagsleben von dem Augenblick an verloren, und wenn er seinen Marsch in die Minen noch aufschob, marschiren mußte er; darauf konnte er sich verlassen.

Gold! was für ein eigener, wunderbarer Zauber in dem einem Worte liegt, und wie leicht die kleine Silbe selbst die innigsten Familienbande zu trennen vermochte, als ob es leichter Zunder gewesen wäre. Gold! wie das durch alle Schichten der Gesellschaft zuckte, vom reichen Schiffsrheder hinunter bis zu dem halb ausgestoßenen ticket of leave man hinab; wie das im Nu Pläne baute und Luftschlösser hoch in die Wolken hinein, und für einen Augenblick fast jeden Rangunterschied aufzuheben schien - Gold! Hatte doch auch Jeder jetzt gleiche Anrechte an den Schätzen, die der australische Boden barg, und gleicher Anspruch war Allen gegönnt, die goldene Beute zu gewinnen, wer nur eben verstand seine Zeit zu benutzen und die kostbare nicht hier in leerem Nichtsthun versäumte.

Die meisten Menschen kamen aber an diesem ersten Tage noch nicht recht zur Besinnung, denn zu rasch war die betäubende Kunde über sie hereingebrochen, als daß sie sich gleich zu einem entscheidenden Schritt entschließen konnten. Die weniger Zaghaften aber, die jede Stunde fast mit Sack und Pack, selbst unter ihren Augen fort, den Bergen zuströmten, /25/ nur um dort die Ersten zu sein, die das Gold sammelten - denn an wirkliches Arbeiten dachten noch Wenige - ließen sie nicht zu Ruhe kommen und trieben sie selbst zuletzt zu dem verzweifelten Schritt. Jeder Trupp ja, der jetzt die Straßen von Sidney auf seinem Weg in die Berge passirte, nahm ihnen einen „Platz" da oben weg, und konnte gleich von vornherein die am reichsten geträumten Stellen entdecken. Jeder Wanderer trug in seiner Spitzhacke und Schaufel die Schlüssel zu ungezählten, märchenhaften Schätzen, und es blieb zuletzt nichts weiter übrig, als ihnen nur so rasch als möglich nachzuziehen, denn zurückbleiben konnte man doch einmal nicht.

Die natürliche Folge blieb nicht aus. Mehl, wie alle übrigen Arten von leicht verführbaren Lebensmitteln stiegen im Preis - nicht von Tag zu Tag, nein von Stunde zu Stunde bis zu einer kaum geahnten, kaum zu erschwingenden Höhe. Drays oder andere Fuhrwerke waren kaum mehr zu bekommen, wenigstens nur noch für einen Preis, der in ruhigeren Zeiten gleich Karren und Pferde bezahlt hätte. Wo sich sonst Jemand einen Spazierstock oder Regenschirm gekauft haben würde, handelte er jetzt in einer Eisenwaarenhandlung auf das Ernsthafteste um eine Spitzhacke und Schaufel; große unbehülfliche Blechpfannen schienen ein rasender Modeartikel geworden zu sein, und Glanzstiefel wurden verächtlich in die Ecke geschleudert, um ganz gewöhnlichen, aber derbgearbeiieten Buschschuhen ehrfurchtsvoll Raum zu geben.

Selbst die Mode- und Ausschnittwaarenhandlungen veränderten in kaum zweimal vierundzwanzig Stunden ihren ganzen Charakter. Wer kaufte jetzt noch Barége- oder Mullkleider, wer jetzt noch seidene Franzen oder leichten Damenputz? - Kein Mensch mehr - rothe wollene Hemden und chocoladenfarbige Minerhüte waren auf einmal Mode geworden, lange Wasserstiefel und wasserdichte Mäntel, und wo sonst Spiegelglasscheiben zarte rosafarbene Bänder und künstliche Blumen und Zierrathen geflattert hatten, hingen jetzt Tabaksbeutel von rother und blauer Wolle, kurze Holz- und Thonpfeifen, kleine Ledersäcke, um die gewonnenen Schätze sicher aufzubewahren, und drohende Revolver und Buschmesser, das wirklich Gewonnene damit zu vertheidigen. /26/

Kein Mensch bot dem andern mehr auf der Straße einen gemüthlichen guten Morgen. „Noch hier?" oder „wann geht's fort?" schienen die einzigen gangbaren Anreden geworden zu sein, und unbestimmte Gerüchte durchliefen dabei die Stadt und reizten die Bevölkerung zu den ungemessensten Ausdrücken über die Regierung: daß das Gouvernement nämlich die Absicht habe, sämmtliches Staatsland als Eigenthum der Krone zu erklären und ein Graben nach edlen Metallen darauf nicht allein zu verbieten, sondern sogar in Uebertretnngsfällen als Diebstahl zu behandeln.

Niemand überlegte sich, daß eine solche Maßregel, wenn man wirklich einmal daran gedacht hatte, nie ausführbar gewesen wäre. Jeder hielt sich schon in seinem Recht gekränkt, Gold aufzunehmen, wo es ihm eben im Wege läge, und drohende Aeußerungen, daß man Gewalt mit Gewalt begegnen würde, mischten sich wild mit neuen, meist erfundenen oder doch wenigstens übertriebenen Berichten frisch entdeckter goldhaltiger Stellen.

Die Bewohner Sidneys hatte mit einem Wort ein halber Wahnsinn, ein toller Rausch gepackt, der eben nur auf eine einzige Art bei jedem Einzelnen geheilt werden konnte - durch einen langen, mühseligen Marsch in die Berge und Wochen lange und in wie vielen Fällen nutzlose Arbeit in dem harten Boden - Ueberredung oder vernünftige Vorstellungen richteten gerade so viel bei dem Goldfieber-Kranken aus, als ob man den untergehenden Mond hätte durch eine interessante Vorlesung bewegen wollen, seine gegebene Zeit zu versäumen.

Selbst die reichsten Leute der Stadt hatte der Taumel gepackt; alte, würdige Herren waren dabei, die nie im Leben daran denken konnten, noch eine Schaufel oder sonst irgend eine andere derartige Waffe des Proletariats in die Hand zu nehmen, aber ihre Hand wollten sie in dem Auffinden des Goldes haben. Wo sie deshalb nicht selber gehen konnten, begannen sie Leute um schweres Geld zu miethen und kleine Gesellschaften mit Tonnen Mehles und Speck, mit Werkzeugen, Quecksilbermaschinen, Zelten und anderen Buschutensilien auszurüsten, immer dabei in dem guten Glauben, daß diese „Goldgräber" auch noch weiter für sie arbeiten würden, wenn sie /27/ wirklich nutzbare Gruben dort oben entdeckten, und dann doch jedenfalls viel vortheilhafter für sich sorgen konnten, sobald sie die Arbeit auf eigene Hand betrieben.

Aber wer von Allen dachte jetzt auf Wochen oder Monate hinaus, wo es ja galt das Glück im Augenblick beim Schopf zu fassen. Wie Viele griffen freilich in die Luft, aber sie ahnten das wenigstens jetzt noch nicht, und der Taumel, der Alle gepackt hatte, riß auch sie mit fort.

Am allerschlimmsten traf dies Lockern aller Bande des gesellschaftlichen und geschäftlichen Verkehrs die gerade zufällig mit ihren Schiffen in der Bai ankernden Capitaine, noch dazu, wenn sie schon im Begriff waren, wieder auszulaufen. Zu den Matrosen drang ja das Gerücht der reichen Minen eben so rasch wie zu allen übrigen Menschenkindern, und wenn sie den geringen Monatslohn gegen das, was sie da oben finden konnten, in die Wage warfen, schnellte ihre Schale freilich hoch empor. Natürlich liefen sie fort, und ob List oder Gewalt angewandt wurde, sie an Bord zu halten, mit List oder Gewalt brachen sie durch, und es dauerte nicht drei Tage, daß kein einziges Schiff mehr mit vollzähliger oder selbst nur genügender Mannschaft in der Bai lag, seine Reise nach irgend einer Richtung hin fortsetzen zu können oder nur in See zu gehen.

Und was für bunte Züge bildeten sich jetzt: junge Kaufleute und Beamte, Tagelöhner, weggelaufene Matrosen, Handwerker, Künstler, Alles mischte sich bunt durcheinander - die rothen Hemden, Wasserstiefeln und chocoladenfarbige Hüte machten Alles gleich, und eine gewisse Verbrüderung, eine Art von Communismus schien den ganzen Staatskörper wie in einem Taumel erfaßt zu haben.

Selbst das Theater mußte später in Sidney ganz geschlossen werden, weil die Schauspieler keine Lust mehr hatten, ihre schöne und kostbare Zeit hier mit Komödienspielen, und noch dazu vor leeren Bänken - zu vergeuden. Wer dachte denn in diesem Augenblick daran, ein Theater zu besuchen, wo man alle Hände voll zu thun hatte, um sich für den nächsten Marsch zu rüsten.

Nie im Leben hatte die Polizei mehr zu thun gehabt, /28/ oder war wenigstens mehr in Anspruch genommen worden, besonders contractbrüchige Arbeiter wieder aufzuspüren, wie flüchtige Seeleute zurück zu bringen, und wie geringen Erfolg erzielte sie mit all' ihrem Eifer. Draußen im Lande war es ohnedies schon entsetzlich schwer, ein irgend näher bezeichnetes Individuum unter all' den gleichmäßigen rothen Hemden aufzufinden, und die in die Minen strömende Schaar nahm überdies noch Partei für jede solche, irgendwie von der Polizei bedrängte Persönlichkeit. Was hatten diese jetzt verfolgten armen Teufel anders gethan als Andere: nämlich Alles abgeschüttelt, was sie hielt, um nur so rasch als irgend möglich hinauf in die goldgespickten Berge zu kommen? Das aber war kein Verbrechen, und wo sie deshalb einem Solchen durchhelfen konnten, thaten sie es mit allen ihnen zu Gebote stehenden Mitteln.

Noch waren keine acht Tage vergangen, da sah man schon nicht mehr einzelne Trupps hinein in das innere Land ziehen, sondern die Züge der Goldgräber bildeten eine feste, kaum mehr durch Lücken unterbrochene Kette, und die Polizei bekam jetzt eine ganz andere Arbeit: nicht etwa nach einzelnen weggelaufenen Matrosen hatte sie mehr zu suchen, sondern oben in den Minen die Arbeiten zu überwachen, damit der Krone ihr beanspruchtes und, wie sich auswies, außerordentlich einträgliches Recht gewahrt wurde. Und dies Recht bestand in nichts Geringerem, als von jedem Arbeiter eine monatliche Prämie von dreißig Shillingen einzukassiren, für welchen Preis einem Jeden, Fremden wie Einheimischen, gestattet sein sollte, in den Bergen nach edlen Metallen zu graben und das Gefundene als rechtmäßiges, wohlerworbenes Eigenthum zu behalten.

Daß sie den Schaaren das Gold suchen nicht mehr gewaltsam verbieten konnte, hatte die Regierung bald herausgefühlt. Eine Revolution, die Alles über den Haufen geworfen hätte, wäre das alleinige Resultat einer solchen Maßregel gewesen, denn die Gier nach Gold ließ sich nicht mehr dämmen. /29/

4.

Die Familie Pitt.

Oben in Georgestreet in Sidney stand ein aus dem trefflichen Sandstein jener Gegend massiv und selbst reich ausgeführtes Wohnhaus, das weder Schild noch Firma trug, und einem Privatmann zu gehören schien, hätte nicht dem wieder das geschäftige Leben widersprochen, das in der Form von Mehlsäcken, Kisten, Ballen und Tonnen durch das schmale Hofthor geführt wurde und den Herrn des Hauses, Mr. Pitt, zeigte, wie er eben eine ziemlich bedeutende Waarensendung persönlich beförderte, die hinauf in die Minen gehen sollte.

Charley Pitt, wie er von seinen Freunden vertraulich genannt wurde, war in der That das Urbild eines ächt australischen Geschäftsmannes und Familienvaters seiner Zeit, und indem wir uns seine innere Häuslicheit betrachten, thun wir einen vollen und fast erschöpfenden Blick in Hunderte von anderen, eben so betriebenen und gehaltenen Häusern.

Charley Pitt's Vater war als Convict (Sträfling) auf Lebenszeit nach Australien gesandt worden - ein sogenannter lifer, der daheim irgend ein schweres Verbrechen begangen hatte, und es nun hier in einer neuen Welt zu seinem, wie dem Nutzen des beleidigten Staates abbüßen sollte. Da er sich aber gut und fleißig betrug und seinen Aufsehern keinerlei Ursache zur Klage gab, bekam er mit der Zeit sein ticket of leave, d. h. einen Erlaubnißschein oder Paß, mit dem er sich in der Kolonie selbstständig vermieden konnte, und nur eine gewisse Summe abzugeben hatte und stets unter polizeilicher Aufsicht stand.

Auch hierbei betrug er sich musterhaft, und da er einst in dem Hause, in dem er arbeitete, mit eigener Lebensgefahr den Ueberfall einer Bande verwegener, vielleicht zur Verzweiflung getriebener Bushranger zurückschlagen half, wurde er im Laufe der Zeit begnadigt und ein „freier Colonist".

Das änderte aber wenig in seinem Leben. Er hatte sich /30/ schon ein paar Jahre vorher mit einem ebenfalls deportirten Mädchen verheirathet, die ihm einen Sohn gebar und dann starb. Pitt oder, wie er allgemein in der Colonie mit seinem Sträflingsspitznamen hieß, Pumpkin arbeitete ruhig weiter, erzog seinen Sohn so gut, wie es die Umstände nur erlaubten, lebte mäßig und wurde ein reicher Mann, der seinen Knaben endlich sogar nach England schicken konnte, um dessen Erziehung dort zu beenden.

Charles Pitt kehrte nach vier Jahren in die Colonie zurück und brachte nicht allein vortreffliche Zeugnisse, sondern auch sehr vernünftiger Weise gleich eine Frau mit. Dann errichtete er in Sidney, von seinem Vater dabei auf das Liberalste unterstützt, ein Export- und Importgeschäft, und gehörte bald zu den wohlhabendsten und geachtetsten Bürgern der Stadt.

Der alte Pitt aber hatte sich draußen vor der Stadt, in der Nähe des Leuchtthurms ein kleines, wohnliches Haus gebaut und eine alte Wirthschafterin gemiethet, die ihm dasselbe mit seiner Wirthschaft in Ordnung hielt. Sein Sohn wünschte allerdings, daß er zu ihm zöge und seine letzten Tage nicht so allein da draußen verbrüte, aber der alte Mann, wenn er auch aus den untersten Schichten der Bevölkerung stammte und in seinem ganzen Leben nicht einmal Lesen oder Schreiben gelernt hatte, fühlte heraus, daß er in die herangewachsene Generation nicht passe und jetzt, bei einer Unzahl neuer und freier Einwanderer, der bürgerlichen Stellung seines Sohnes, den er über Alles liebte, schaden könne. Er war deshalb durch nichts zu bewegen, sich persönlich in der Stadt bei ihm sehen zu lassen, und nur Sonntags mußten ihn seine Enkel, selbst als sie schon herangewachsen waren, besuchen, und feierten dann jedesmal in dem Garten an der wundervollen Bai ein kleines Fest.

Charles Pitt hatte drei Kinder - einen Sohn von jetzt etwa achtundzwanzig Jahren, eine Tochter Pauline von achtzehn und das jüngste Töchterchen von sechs Jahren - zwei Kinder waren ihm gestorben - und lebte in seinen häuslichen und bürgerlichen Verhältnissen so glücklich, wie nur ein Mann mit einem braven Weib, Kindern, die ihm Freude machen, und keinen Sorgen weiter als solchen, die das Geschäft eben /31/ - und nur auch wieder als Würze der ganzen Existenz - mit sich brachten, leben kann.

Er stand vollkommen unabhängig da, und wenn er in dieser erregten Zeit auch selber nicht von der Alle erfassenden Leidenschaft frei blieb, die durch die plötzliche Entdeckung des Goldes über sie gebracht worden, so trug er ihr doch nur in vernünftiger Weise Rechnung, und zwar in ganz sicherer, ruhiger Speculation, die nicht das Gold in Klumpen in's Haus bringen wollte und es in nur zu vielen Fällen statt dessen gemünzt zur Thür hinaustrug. Er sandte Waaren, wie sie für den augenblicklichen Bedarf der Tausende nöthig waren, die jetzt in den unwirthbaren Busch hinauf strömten, nach Bathurst, wo er schon seit mehreren Jahren ein besonderes Geschäft und vor kurzer Zeit auch seinen Sohn hinauf geschickt hatte, um Manches dort zu ordnen und verschiedene ausstehende kleine Schulden einzukassiren.

Jetzt war auch die richtige Zeit, das zu thun, denn noch waren die Straßen passirbar; sobald aber die gewöhnlichen in dieser Jahreszeit stets fallenden Regen einsetzten, ließ es sich voraussehen, daß sie von den zahllosen Karren und Fuhrwerken zu einer wahren Schlammbahn verwandelt werden mußten, und der Transport wurde dann, wenn auch nicht unmöglich, doch für Fuhrwerk wie Zugvieh gleich zerstörend.

Die nothwendigsten Geschäfte waren heute besorgt, das Frachtgut hatte der damit betraute Diener übernommen und abgeführt, und die kleine Familie saß eben beim Luncheon, einer Art zweitem Frühstück, als rasche Schritte laut wurden und gleich darauf ein junger Mann in einem brennend rothen Minerhemde, über dem er eine offene Jacke von englischem Leder trug, ein Paar mächtige Wasserstiefeln an, einen sogenannten californischen Hut in der Hand, die Thür aufriß und in's Zimmer schaute -

„Nun?" rief er aus, „seh' ich aus wie ein Miner und kann ich jetzt mit Anstand in die Berge rücken?"

„Mr. Holleck! wahrhaftig!" rief, von ihrem Stuhl aufspringend, Pauline, „ich habe ihn im ersten Augenblick gar nicht erkannt."

„William in der That," sagte auch der Vater und /32/ schüttelte erstaunt den Kopf, und seine Frau, eine noch wirklich schöne Brünette, wenn auch die Jahre ihr schon ihre Furchen in Wangen und Stirn gegraben, schlug die Hände zusammen. Die kleine Therese aber kletterte von ihrem Stuhl herunter, lief auf den Besuch zu und rief, vor Freuden die kleinen Händchen zusammenklappend:

„Ach, Onkel William geht in den Wald und holt Gold, und dann bringt er mir auch eine Menge große Stücke zum Spielen mit, nicht wahr?"

Der junge Mann hob die Kleine vom Boden empor und sich auf den Arm, und dem jungen Mädchen die Hand entgegen streckend, frug er mit etwas herausforderndem Lachen:

„Nun, gefall' ich Euch so?"

„Nein," sagte Pauline nach einer kleinen Pause, in der sie den Ankömmling vom Kopf bis zu den Füßen betrachtet hatte und dabei leicht erröthete, „ganz und gar nicht. Sie sehen viel besser in Ihren gewöhnlichen Kleidern aus - viel vernünftiger, denn ich kann mir einmal nicht helfen, es kommt mir immer so vor, als ob die ganze Welt wie wahnsinnig geworden wäre und - eine dem entsprechende Tracht angelegt hätte."

„Pauline hat ganz Recht," bemerkte auch der Vater. „Wenn die Arbeiter und Tagelöhner hinauflaufen und das da oben mit Spitzhacke und Schaufel fortsetzen wollen, was sie hier unten mit Spitzhacke und Schaufel angefangen haben, so läßt sich nichts dagegen einwenden. Wer aber sein Brod noch auf andere Weise verdienen kann, der - sollte sich zweimal bedenken, ehe er den tollen Streich machte, in ein Leben hinein zu springen, dem er - eben nicht gewachsen ist, und das er deshalb nur zu bald wieder satt bekommen muß."

„Aber Mr. Holleck wird doch auch da oben nicht selber graben und waschen wollen," sagte die Mutter lächelnd, „er denkt gewiß gar nicht daran."

„Und die Mutter ist jetzt die einzige Vernünftige von der ganzen Gesellschaft," lachte der junge Miner in seiner dreisten Art. „Aber, Papa Pitt, Sie glauben, ich hätte so weit den Kopf verloren, um mich da oben in die Berge zu setzen und angenehme Löcher in den Erdboden zu hacken - und Miß Pitt ebenfalls? - Das ist aber stark." /33/

„Nun, mein junger Freund," sagte der Vater mit ernster Miene, „ich dächte, der ähnlichen Beispiele hätten wir in diesen Tagen gerade genug, um einen solchen Verdacht bei den geringsten Anzeichen mehr als wahrscheinlich zu machen, und für solche, und zwar sehr starke Anzeichen rechne ich nun einmal ein rothwollen Hemd und Wasserstiefeln ganz bestimmt. Wenn Sie aber nicht in die Berge wollen, wozu dann die Maskerade?"

„In die Berge will ich allerdings," sagte der junge Mann, indem er jetzt die Kleine wieder auf die Füße stellte und sich ohne Weiteres mit zum Tisch setzte, aus den zur Luncheons Zeit immer ein paar übrige Gedecke gelegt wurden - er war ja überhaupt ein steter und, wie er überzeugt war, gerngesehener Gast im Hause, - „aber nur um mir das Leben da oben einmal mit anzusehen - wahrlich nicht um zu arbeiten, zu hacken und zu graben."

„Und läßt Sie Ihr jetziger Principal so lange fort?" frug Mr. Pitt. „Ich dächte, gerade in jetziger Zeit wäre so viel Arbeit daheim, daß man seine Leute am allerwenigsten entbehren könnte. Ich möchte wenigstens gerade jetzt keinem meiner Clerks einen achttägigen Urlaub geben."

„Ich bin längst aus dem Geschäft getreten," sagte der junge Holleck gleichgültig, indem er sich selber aus der Zinnbüchse zu Sardinen verhalf.

„In der That?" fragte Mr. Pitt erstaunt und sah zu ihm auf.

„Jetzt ist die Zeit," fuhr Holleck fort, „hier in Australien etwas Selbstständiges zu beginnen. Mit dem Seeleben, das ich zuerst versucht hatte, ging es nicht; meine Existenz als schlecht bezahlter Commis hinzuschleppen, war eben so langweilig, und da endlich, gerade im entscheidenden Moment, meine schon lange erwarteten Wechsel von daheim eingetroffen sind, so hab' ich mich denn rasch entschlossen, meinem Brummbär von Principal den Stuhl für immer vor die Thür zu setzen, und bin jetzt mein eigener Herr. Das, glaube ich, ist das Gescheidteste, was ich thun kann, daß ich mir die Verhältnisse oben in den Minen, von denen wir hier unten doch keinen richtigen Begriff haben, einmal selber ansehe. Nachher kann ich mich dann entscheiden, ob ich meine neue Thätigkeit /34/ dort an der Quelle beginne. - Aber wo ist denn Charley? Noch immer oben in Bathurst?"

„Gott weiß es," sagte die Frau, die bei der Erwähnung des Sohnes alles Andere vergaß. „Er kommt nicht und schreibt nicht, und da oben scheint wirklich Alles den Kopf verloren zu haben in dem einen tollen Gedanken: Gold!"

„Er wird in den Minen sein."

„Ich kann mir wenigstens nichts Anderes denken," sagte Mr. Pitt. „Allerdings wollte er schon vor beinahe jetzt acht Tagen zurückkommen, aber die Mail wurde ja damals beraubt, und wenn er auch damit geschrieben hat und sich jetzt damit tröstet, sind ja alle Briefbeutel abhanden gekommen und wir wissen gar nichts von ihm."

„Wenn er nur nicht selber dabei war," seufzte die Frau, und man sah es ihr an, wie sie sich Mühe gab, gefaßt zu bleiben. „Es soll ja einer von den Passagieren erschossen sein."

„Hat man denn darüber nichts Näheres erfahren?"

„Du lieber Gott, die Mutter ängstigt sich gleich um ein bloßes Gerücht," erwiderte Mr. Pitt. - „Es hieß allerdings so - drei oder vier sogar sollten anfangs dabei umgekommen sein, die Vermißten meldeten sich aber alle, und zuletzt sprach man nur noch von einem. Aber selbst das glaub' ich nicht, denn Blut vergießen die Bushranger nur ungern und selten. Von den Passagieren war aber keiner zu erfragen. Die Leute hatten die Goldkunde von oben mit aus den Minen gebracht, und das verschlang am nächsten Morgen so jedes andere Interesse, daß der Ueberfall der königlichen Post kaum beachtet und auch schwerlich ernstlich verfolgt wurde. Die Schufte hätten zu ihrem Plan keinen glücklicheren Moment wählen können, denn ich glaube nicht einmal, daß ihnen auch nur Polizei nachgeschickt ist."

„Und von Charley haben Sie seit der Zeit gar keine Nachricht?"

„Keine - vorgestern schrieb ich noch einmal nach Bathurst hinauf, und wenn sie mir dort nicht Alle davon gelaufen sind, so hoffe ich doch wenigstens übermorgen bestimmte Nachricht zu bekommen."

„Sonderbar - er ist doch sonst so pünktlich," sagte Holleck, /35/ indem er seinen Teller zurückschob. „Nun jedenfalls komme ich jetzt selber hinauf und will mich dann oben gleich nach ihm erkundigen."

„Und dann schreiben Sie uns augenblicklich, nicht wahr?" frug" die Mutter besorgt.

„Gewiß."

„Ach, bis dahin ist ja schon lange Antwort von Charley selber da," sagte Mr. Pitt kopfschüttelnd. „Mach' Dir nur des Jungen wegen keine Sorge, Alte, denn jetzt geht da oben Alles drunter und drüber, und die jungen Leute haben den Kopf voll und denken an Briefeschreiben gerade zu allerletzt."

„Und ist das recht?" frug die Mutter.

„Recht oder nicht," lachte der Mann, „es ist eben menschlich, wenn der Kaufmann auch eigentlich nie den Kopf verlieren soll. Apropos, wie wollen Sie denn in die Minen hinauf, William, zu Fuß? Das wird ein langer Marsch werden?"

„Gott bewahre, ich fahre mit der Mail."

„Ich glaubte, man müsse sich auf der sechs oder acht Tage vorher einschreiben lassen, um nur einen Platz zu bekommen."

„Ich traf es außerordentlich glücklich, daß gerade ein Passagier absagen ließ, wie ich in der Office war, und dadurch konnte ich gleich in seinen Platz eintreten."

„Das war allerdings Glück - aber jetzt muß ich fort, Kinder, denn ich habe noch eine ganze Menge für meinen Capitain zu besorgen, damit er wieder glücklich aus dem Hafen kommt, denn wunderbarer Weise hat er seine ganze Mannschaft noch. - Wäre nur der verwünschte Junge erst hier!"

„Und wohin soll Ihr Capitain?"

„Ich will ihm einen Cargo nach Neuseeland geben, und wenn mir die Goldgeschichte keinen Strich durch die Rechnung macht, soll ihn mein Junge begleiten. Die Ladung selber kann er recht gut in drei Tagen an Bord haben. Also auf Wiedersehen!" - und damit verließ Mr. Pitt, seinen Hut aufgreifend, das Zimmer.

„Wären Sie so freundlich und nähmen mir ein paar Zeilen mit zu Charley hinauf?" frug die Mutter den jungen Mann, als ihr Gatte die Thür hinter sich zugezogen hatte.

„Gewiß, mit Vergnügen." /36/

„Mein Alter darf's nicht wissen," lächelte die Frau verlegen, „denn er spottet mich ja nur immer der Sorge wegen aus, die ich mir, wie er meint, unnützer Weise mache. - Kann ich's denn aber ändern, daß ich mich eben sorge?"

„Aber dann muß ich Sie bitten, mir dieselben bald zu geben," sagte Holleck. „Denn um vier Uhr geht die Mail, und ich habe für mich selbst noch bis dahin einige Kleinigkeiten zu besorgen."

„Ich schreibe sie gleich, wenn Sie nur einen Augenblick warten wollen," sagte die Frau, rasch von ihrem Stuhl aufstehend. „Dann bin ich doch sicher, daß sie in seine Hände kommen. Nur ein paar Minuten, Mr. Holleck, ich halte Sie gar nicht lange auf. - Lieber Gott, ich will ja nichts weiter von ihm wissen, als nur, ob er noch lebt und ob es ihm gut geht."

Holleck war mit Paulinen und der kleinen Therese allein.

„Werden Sie lange in den Minen bleiben, Mr. Holleck?" fragte Pauline, die ebenfalls aufgestanden war und an ihren Nähtisch trat.

„Wenn es von mir abhinge, Miß Pitt, so ginge ich gar nicht fort," sagte der junge Mann, der jetzt neben ihr stand und das Kind, das mit seiner Uhrkette spielte, zu sich zog.

„Und was zwingt Sie?" lächelte das junge Mädchen.

„Das Leben selber," erwiderte Holleck ernst. „Ich muß mir eine Existenz gründen, denn schon so lange habe ich mich zweck- und nutzlos in der Welt umhergetrieben, und es wird Zeit, daß ich endlich einmal selbstständig auftrete und mein eigener Herr werde."

„Und ließe sich das nicht hier in Sidney eben so leicht erreichen?"

„Vielleicht, ja - aber keinenfalls so schnell, denn Alle, die da oben an der Quelle sitzen, ziehen auch den größten und schnellsten Nutzen aus dem Gold, das die nächsten Monate zu Tage schaffen werden."

„Und Sie glauben wirklich, daß die Berge so reich sind?"

„Ja - nach Allem, was ich jetzt darüber gehört und davon gesehen - und wenn mir dann meine Arbeit gelingt - wenn ich nachher den Vater überzeugen kann -" /37/

„Der Vater glaubt noch immer nicht all' die Gerüchte, die jetzt die Stadt durchlaufen," unterbrach ihn Pauline, und ein eigenes ängstliches Gefühl drückte ihr dabei die Brust zusammen. „Er - wird Ihnen gewiß recht dankbar sein, wenn Sie ihm gewisse Kunde von da oben bringen können -"

„Und was wird die Tochter thun?" frug Holleck mit leiser Stimme, die kaum zu Paulinens Ohren drang und doch durch alle ihre Nerven wie ein Messer schnitt.

„Wer? - ich?" sagte sie und war sich der Worte, die sie sprach, kaum bewußt - „oh, gewiß würde ich mich recht freuen, wenn Sie - wenn Sie Glück in den Bergen hätten - aber - es ist ein wildes Land und - nicht Jeder fühlt sich wohl dort oben."

„Und wenn ich dann vor Paulinen hinträte," fuhr Holleck dringender fort - „wenn ich sie dann früge, oh sie -"

„Aber Du thust mir ja weh," rief die kleine Therese dazwischen - „sieh nur, wie Du mich mit Deiner alten häßlichen Kette gegen den Tisch gedrängt hast -"

„Da ist auch die Mutter schon wieder mit dem Brief," rief Pauline, als sie daneben eine Thür gehen hörte, und es war ihr in dem Augenblick, als ob eine Last von ihrer Seele genommen würde.

Holleck war aufgesprungen, und ein fliegendes Roth ergoß sich ihm über Stirn und Wangen; aber es blieb ihm keine Zeit, seine unterbrochene Werbung zu betreiben, denn in demselben Moment ging die Thür wieder auf und Mrs. Pitt trat mit dem Couvert in der Hand ein.

„Nun, bin ich lange geblieben?" frug sie lächelnd, indem sie ihm den Brief hinüber reichte - „ich habe ihm aber auch wirklich nur kaum zwei Zeilen geschrieben."

,,Sieh nur, Mama, wie mich Onkel William gedrückt hat," rief die kleine Therese, die es ärgerte, daß sie gar nicht beachtet wurde.

„Er soll pünktlich besorgt werden," sagte Holleck, den Brief in sein Taschenbuch legend, und er mußte sich dabei Gewalt anthun, gerade in diesem Augenblick ruhig und unbefangen zu erscheinen.

„Und wollen Sie wirklich schon fort?" /38/

„Es ist gleich zwei Uhr, und ich werde kaum noch eine halbe Stunde für mich übrig haben."

„Also nochmals die herzlichsten, herzlichsten Grüße für Charley, und er soll gleich, gleich schreiben, oder am allerliebsten selber kommen, denn der Vater hat ja auch hier für ihn genug und übergenug zu thun."

„Goodbye! mein kleines Schätzchen," sagte Holleck, die Kleine von der Erde aufnehmend und küssend - „und hast Du nichts an Bruder Charles zu bestellen?"

„Er soll sich vor den bösen Bushrangern in Acht nehmen," rief die Kleine, „und sie lieber alle miteinander todtschießen."

Holleck küßte sie nochmals auf die Stirn und setzte sie wieder auf den Boden nieder.

„Leben Sie wohl, Miß Pauline - hoffentlich kehr' ich recht bald und mit recht guten Aussichten zurück. Leben Sie wohl, Mrs. Pitt," und mit den Worten griff er seinen Hut auf und verließ rasch das Zimmer.

„Wie war Mr. Holleck eigentlich heute so sonderbar," sagte die Mutter, als er schon eine ganze Weile die Stube verlassen und Pauline ihren Platz am Nähtisch wieder eingenommen hatte, „kam Dir das nicht auch so vor, Kind?"

„Ich weiß nicht, liebe Mutter," sagte das junge Mädchen, und war froh, daß die Mutter in dem Augenblick am Fenster stand und hinaussah - „es ist mir nichts Besonderes an ihm aufgefallen. Wäre es bei Dir vielleicht seine veränderte Kleidung gewesen?"

„Das könnte sein," sagte die Frau - „aber er war so unruhig, so verstört. - Nun, sieh nur um Gottes willen, was da wieder für Menschen in die Berge hinaufziehen. Drei, vier, fünf Karren hinter einander und die ganze Fracht mit schwerem Handwerkszeug ordentlich besteckt. Wo nur die Leute alle da oben Platz finden, und was es da wieder für Mord und Todtschlag geben wird, des leidigen Goldes wegen. Ach ich wollte, Charley wäre hier - mir ist das Herz schon bis zum Brechen schwer."

Und sie trat vom Fenster zurück, setzte sich auf das Sopha, stützte den Kopf in die Hand und schaute still und gedankenvoll vor sich nieder. - Pauline saß ebenfalls schweigend mit /39/ ihrer Arbeit beschäftigt am Nähtisch, und nur die kleine Therese hatte sich ihren Gummiball aus der Ecke geholt und rollte ihn fröhlich und behend in der Stube herum. - Was wußte das Kind von Sorgen, Plänen oder Träumen!

Noch saßen sie so, als ein schwerer Schritt auf der Treppe gehört wurde und eine fremde Stimme draußen frug:

„Mr. Pitt zu Haus?"

Die Mutter fuhr empor, denn nur mit den Gedanken an den Sohn beschäftigt, bezog sie Alles auch nur auf ihn. Ehe draußen erwidert werden konnte, hatte sie schon die Thür geöffnet, aber der Mann brachte ihr keine Nachricht aus den Bergen. Sie kannte ihn: es war der Capitain der in der Bai ankernden Brig, der für ihren Gatten eine Ladung Mehl von Valparaiso gebracht hatte und jetzt nur wahrscheinlich kam, um die neue Ladung nach Neuseeland mit ihm zu besprechen.

„Ah guten Morgen, Mrs. Pitt - Mr. Pitt zu sprechen?"

„Guten Morgen, Capitain Becker," sagte die Frau - „treten Sie nur ein - ich höre meinen Mann eben auf der Treppe; er wird gleich herauskommen."

„Hallo, Becker?" rief Mr. Pitt, der seine Stimme erkannt hatte, schon von der Treppe aus, indem er heraufstieg - „nun, was bringen Sie Gutes?"

„Verdammt wenig, Sir," sagte der Deutsche, gerade nicht in der Stimmung, sehr wählerisch mit Worten zu sein - „die ganze Mannschaft ist zum Teufel!"

„Alle Wetter, die ganze?" frug Pitt, an der obersten Stufe erstaunt halten bleibend.

„Die ganze," bestätigte der Seemann, und mußte sich Gewalt anthun, nicht noch einen derberen Fluch hintennach zu schicken. „Selbst der lumpige Schiffsjunge und der Koch sind durch die Lappen gegangen und, die Ratten ausgenommen, der Steward und ich jetzt die einzigen lebenden Wesen an Bord. - S' ist, Gott straf' mich, zum Halsabschneiden mit der verwünschten Bande."

Mr. Pitt lachte. „Das habe ich mir wohl gedacht," sagte er endlich, „ich weiß auch wirklich nicht, weshalb wir etwas vor den übrigen Schiffen voraus haben sollten? Daß /40/ sie nur noch s o lange geblieben sind, wundert mich, denn der Talbot, der Boreas, der Delphin haben schon alle lange keinen Mann mehr an Bord."

„Soll mich auch wohl noch bei den Schuften bedanken, daß sie sich haben die paar Tage, wo beinahe gar nichts zu thun war, gefälligst füttern lassen," brummte der Capitain, der mit in die Stube getreten war und sich zu einem noch auf dem Tisch stehenden Glas Sherry verhalf - „aber die ganze Wasserpolizei ist hinter ihnen her. Ich bin den ganzen Morgen schon seit Tagesanbruch auf den Beinen, und nichts ist versäumt, um sie wieder aufzubringen, wenn sie eben noch zu kriegen sind."

„Wenn sie eben noch zu kriegen sind," lachte Mr. Pitt. „Da wird's aber wohl hapern. Ist denn Ihr erster Mate auch mit?"

„Der lag ja im Hospital," sagte der Capitain, „aber es geht ihm wieder besser. Ich war auch heute Morgen schon bei ihm und er wird heut Abend wieder ausgehen, um die Wasserpolizei ein wenig zu unterstützen. Was fange ich jetzt an, wenn ich meine Mannschaft nicht wieder kriege? Und frische Seeleute zu miethen, wenn sie wirklich zu bekommen wären, ist ganz unmöglich, denn die Lumpen wissen jetzt gar nicht, was sie fordern sollen."

„Dann bleibt Ihnen nichts Anderes übrig, als auch einmal in die Minen zu gehen und Ihr Glück da oben zu versuchen ," nickte Mr. Pitt - „der Capitain vom Delphin ist auch schon mit seinen beiden Steuerleuten hinauf."

„Hm," brummte der Capitain, dem dieser Gedanke neu war, halb verlegen vor sich hin - „hübsche Beschäftigung das, droben nach Gold puddeln und indessen sein Schiff in der Bai von Würmern fressen lassen."

„Ich sage ja nicht, daß Sie nach Gold graben sollen," meinte der Kaufmann, „aber da oben finden Sie Ihre Mannschaft gewiß, und können vielleicht Andere, die nichts finden, noch dazu engagiren. Aber jetzt wollen wir erst einmal sehen, was die Wasserpolizei ausrichtet, obgleich ich darauf nicht viel baue. Haben Sie eine gute Belohnung ausgesetzt?" /41/

„Fünf Pfund Sterling für den Kopf, wie sie eingetrieben werden."

„Hm, das hilft vielleicht."

„Und für den Schiffsjungen noch ein Pfund extra."

„Und warum für den mehr?"

„Weil ich mir bei dem nachher noch eine aparte Güte thun und ihm eine tüchtige Tracht Schläge geben kann. Das ist mir ein Pfund werth, und ich gäbe zwei darum, wenn ich ihn gleich heute an Ort und Stelle hätte."

Mr. Pitt lachte wieder, denn wenn ihm das Weglaufen der Mannschaft auch nicht lieb war und ihm sogar einen nicht unbedeutenden Strich durch seine Rechnung machte, hatte er es doch auch schon vorausgesehen und seine Calculation deshalb nicht gerade zu fest gemacht. Was ihm auf der einen Seite Nutzen brachte, lockerte, wie er recht gut wußte, auch auf der andern wieder alle gewöhnlichen Verbindungen, und er durfte nicht böse darüber sein, wenn er eben so gut darunter zu leiden hatte, wie alle übrigen Geschäftsleute der Stadt.

5.

In die Minen!

So gleichgültig Mr. Pitt aber das Goldgraben selber betrachtete, und sich nur einzig und allein auf seinem einmal eingenommenen Standpunkt hielt, von dem aus er aber natürlich den größtmöglichen Nutzen aus der Gewinnung des Goldes zu ziehen gedachte, so direct suchte dagegen die Mehrzahl der übrigen Bewohner von Sidney dem edlen Metall beizukommen, und alle nur erdenklichen Pläne wurden ersonnen, um nicht allein dem bloßen Glück zu vertrauen, sondern die Gewinnung des Urstoffes auf eine festere und solidere Basis zu gründen. /42/

Eine wahre Hetzjagd begann besonders nach allen den Persönlichkeiten, die schon einmal in Californien gewesen waren und die Arbeiten also genau kannten. Diesen traute man nämlich von vornherein einen sichern Blick zu, reichhaltige Stellen zu bestimmen, und bedachte gar nicht, daß sie schwerlich so rasch von Californien zurückgekommen wären, wenn sie einen solchen Blick da drüben gehabt hätten. Aber das schadete nichts; schon das einfache Wort „Californier" gab gewissermaßen einen sichern Anhaltepunkt, und solche Leute, wo sie sich entschlossen einer rasch gebildeten Arbeiter-Compagnie beizutreten, sahen sich augenblicklich in den Stand gesetzt, die Reise in die Berge vollkommen kostenfrei, und oft unter den günstigsten Bedingungen nebenbei, anzutreten.

Alle Arten von Maschinen wurden außerdem construirt und zum Verkauf ausgestellt, und selbst das Widersinnigste mit schwerem Geld bezahlt, nur um mit enormem Transport in die Berge geschafft und dann dort oben, nach kurzen Versuchen als werthlos befunden, bei Seite geworfen zu werden. Besonders leistete der gewöhnlich stets theoretische Deutsche darin Außerordentliches.

Verschiedene deutsche Compagnien bildeten sich solcher Art, mietheten für enormes Geld Wagen, kauften Lebensmittel und rückten in Trupps in die Berge, um sich - dort oben angekommen, schon nach wenig Tagen wieder zu zerstreuen und ihr ,,Glück" einzeln oder doch wenigstens in Paaren zu versuchen.

In Sidney lebte in dieser Zeit ein deutscher Mechanikus, Zachäus mit Namen, ein außerordentlich fleißiger und geschickter Mann in seinem Geschäft, aber im gewöhnlichen Leben auch zu gar nichts zu verwerthen. Wo er aber Feile und Zirkel in die Hand bekam, gewann unter seinen Händen Alles Form und Gestalt, und er hätte in kurzer Zeit ein reicher Mann werden können, wenn er eben bei seiner Arbeit geblieben und sich auf die Anfertigung solcher Instrumente beschränkt hätte, die verkäuflich waren und gesucht wurden. Statt dessen experimentirte er aber fortwährend, hatte den Kopf voll neuer, oft ganz sinnreicher Erfindungen, die ihm aber immer nur Zeit und Geld kosteten, und vernachlässigte dabei sein übriges /43/ Geschäft, denn mit einem solchen neuen Plan in Aussicht, ließ er sich auf nichts Anderes ein, und selbst bestellte und angenommene Arbeiten waren nicht von ihm zu bekommen.

Natürlich construirte Zachäus augenblicklich, sobald nur die wirkliche Entdeckung des Goldes festgestellt war, eine neue Maschine zum Goldwaschen, in der auch das kleinste, unbedeutendste Stäubchen Gold festgehalten werden sollte, und richtete es mit Rädern und Schrauben so sinnreich ein, daß ein Kind die ziemlich schwere Construction mit Leichtigkeit in Gang halten konnte. - Zachäus war entschlossen, selber damit in die Minen zu gehen.

Die einzigen stillen und theilnahmlosen Menschen in diesem bewegten, wilden Leben waren eine Anzahl von Eingesperrten in dem Stadtgefängniß, die hinter ihrem eisernen Gitter wohl den Lärm von draußen hörten und zu deren Ohren auch wohl das Gerücht des gefundenen Goldes drang, denn der Schließer hätte es ja nicht über das Herz bringen können, etwas Derartiges zu verschweigen, die aber selber jedem Zweifel, jeder Unentschlossenheit, ob sie gehen oder bleiben sollten, enthoben wurden und deshalb auch all' den dumpfen Gerüchten ziemlich theilnahmlos und gleichgültig lauschten. Was half ihnen das Gold in den Bergen!

Unter ihnen war ein alter Schäfer, ein Convict seit Gott weiß wie langen Jahren, der aber seine Strafe abgebüßt und seinen Entlassungsschein in der Tasche hatte. Natürlich trank und spielte er aber, so wie er nur ein paar Pfund Sterling sein eigen nannte, und schien in neuerer Zeit eben mehr ausgegeben zu haben, wie er eingenommen. Mit zwanzig oder fünfundzwanzig Pfund in Schulden, die er nicht bezahlen konnte, ward er dann einfach eingesteckt.

Der Mann hatte den Schließer besonders geärgert, denn als dieser zu ihm hereingekommen war, um ihm die wunderbare Entdeckung des Goldes zu erzählen und dafür - das Wenigste, was er doch verlangen konnte - unbegrenztes Erstaunen zu ernten - schüttelte der Alte den Kopf nur verächtlich herüber und hinüber und sagte: - sind sie jetzt endlich auch dahinter gekommen?"

/44/ „Na, Du hast die Geschichte wohl schon gewußt, nicht wahr?" frug der Schließer entrüstet.

„Hab' ich auch," brummte der Mann störrisch vor sich hin, „und wenn sie mich hier hinausließen, wollte ich ihnen die lumpigen paar Pfund in gelbem Gold bezahlen. Hier freilich ist nichts zu finden - als höchstens Flöhe."

Der Schließer wollte ihn erst verhöhnen, weil er es für Prahlerei hielt, und versuchte dann, als der Alte ihn reden ließ, aus ihm heraus zu bringen, was er etwa wußte. Aber der Schäfer blieb von da an in Allem, was Gold betraf, stumm, nickte nur manchmal vor sich hin, und das Einzige, was er noch darüber äußerte, war: „Wenn ich nur erst wieder hinaus bin!"

Es dauerte denn auch keine drei Tage, so war das Gerücht verbreitet, im Gefängnisse säße Schulden halber ein alter Convict, der die reichsten Stellen in den Bergen wüßte und schon viel Gold gefunden und zum Verkauf hereingebracht hätte, ohne daß man je erfahren, woher er es habe.

Andere alte Gerüchte tauchten ebenfalls auf, besonders wurde eine Thatsache von Mund zu Mund erzählt, die sich auf die Entdeckung des Goldes schon in jener Zeit bezog, als Australien erst zu einer Strafcolonie besiedelt worden.

Damals hatte nämlich ein Convict oder Sträfling ein Stück Gold von mehreren Unzen Gewicht einem Goldschmied zum Verkauf angeboten und war augenblicklich festgenommen und befragt worden, woher er das Gold habe. Er behauptete damals, er hätte es in den Bergen zwischen den Steinen gefunden, aber man hielt das für eine Lüge. Der obere Beamte entschied, daß er jedenfalls irgendwo eine goldene Uhrkette oder dergleichen gestohlen und nachher zusammengeschmolzen habe, und da er nicht bekennen wollte, wo er den Diebstahl begangen, wurde er gepeitscht bis auf's Blut - ja er soll sogar unter den Schlägen gestorben sein.

Er wäre nicht der einzige Unglückliche gewesen, der unschuldig unter der despotischen Regierung der Gouverneure Bligh und Macquarie, von denen besonders der Erstere (derselbe Capitain Bligh, gegen den sich die Mannschaft der Bounty empörte und später die Pitcairn-Insel besiedelte) so durch seine /45/ Grausamkeit und Rechtlosigkeit auszeichnete, daß sich die Colonisten endlich gegen ihn empörten und ihn heimschickten.

Sidney war aber in dieser Zeit gerade besonders empfänglich für die Erinnerung solcher Anekdoten, und der alte Schäfer deshalb gerade jetzt eine zu wichtige Persönlichkeit, um lange unbeachtet und vergessen in seiner dunkeln Zelle zu liegen. Wie er hieß und wem er verschuldet sei, ließ sich sehr leicht herausbekommen, und eines Abends, kurz vor Sonnenuntergang, kam der Schließer in seine Zelle und sagte:

„Na, Smith - 's ist vornehmer Besuch draußen, der Dich sprechen will; zieh Deinen Frack an, daß Du die Herren ordentlich und anständig empfangen kannst."

„Ja - wäre mir gerad' so," grinste der Alte vor sich hin - „wer mich sprechen will, kann in Hemdsärmeln kommen. Ich bin nicht stolz, und was die „Swells" betrifft, so mögen sie zum Teufel gehen, so rasch es sie freut. Verdammt wenig Gutes, was die einem armen Teufel bringen, wenn sie sich einmal mit ihm einlassen."

„Ob's nicht von wegen des Goldes ist," meinte der Schließer, der seinen gegründeten Verdacht hatte. Der Alte gab aber keine Antwort mehr, und es dauerte nicht lange, so öffnete sich die Thür wieder und zwei „Swells", wie sie Smith richtig vorhergesehen, in moderner Tuchkleidung, mit Cylinderhüten auf und glanzledernen Stiefeln, kamen herein und sahen sich vergebens nach ein paar Stühlen um, auf denen sie sich hätten niederlassen können.

„Guten Abend, Smith," sagte der Eine.

„Guten Abend," lautete die lakonische Antwort, und der Alte, der, beide Ellbogen auf seine Kniee gestützt, auf seiner Pritsche saß und mürrisch vor sich nieder schaute, veränderte seine Stellung nicht um eines Zolles Breite und sah nur finster durch die buschigen Augenbrauen nach den beiden Fremden hinaus. Diese schienen sich aber aus dem unfreundlichen Empfang nicht viel zu machen, oder kannten auch vielleicht schon das Wesen derartiger Gesellen, die cordial sind, wo sie einem schmutzigen, zerrissenen Kittel begegnen, sich aber scheu wie eine Schnecke in ihr Haus vor reiner Wäsche zurückziehen. Der /46/ Eine von ihnen nahm deshalb gleich die Unterhaltung wieder auf und sagte ohne weitere Umstände:

„Seid Ihr der Smith, der lange oben in den Bergen bei Bathurst gelebt hat und eine Zeit lang auch einmal Schäfer bei Mr. Wentwirth war?"

„Und wenn ich's wäre?" brummte Smith.

„Dann seid Ihr es auch, der schon da oben - ehe sie es jetzt wieder entdeckt haben, Gold gefunden hat."

Smith hielt nicht für nöthig, auf diese nur theilweise als Frage gestellte Bemerkung etwas zu erwidern, und klopfte langsam mit dem einen Fuß den Boden.

„Damit kommen wir nicht zum Ziel," sagte aber jetzt der Andere, „und wir versäumen nur die schöne Zeit - Mr. Smith, wir haben Ihnen einen Vorschlag zu machen."

„Mister?" sagte Smith lakonisch.

„Oder Mate (Kamerad), wenn Euch das besser gefällt."

„Es klingt jedenfalls natürlicher -"

„Gut also, Mate, wir sind hierher gekommen, um Euch einen Vorschlag zu machen, und Ihr könnt dazu Ja oder Nein sagen, wie es Euch gerade paßt. Seid Ihr das zufrieden?"

„Läßt sich nichts dagegen einwenden," brummte der Gefangene, und ein eigenes verschmitztes Lächeln zuckte, aber auch nur für einen Moment, um seine Lippen.

„Gut - wir Beide sind entschlossen, in die Minen zu gehen und Gold zu graben. Wir haben aber das Vertrauen zu Euch, daß Ihr solche Stellen kennt, an denen wir nicht lange zu suchen brauchen. Wir wollen deshalb Eure Schulden bezahlen und Euch, vollkommen frei in Essen und Trinken, mit hinauf nehmen in die Berge. Dafür sollt Ihr weiter nichts thun, als Euch contractlich verbindlich machen, einen Monat mit uns zu arbeiten, mit vollkommen gleichem Antheil an dem Gewinn; nur mit dem Versprechen, daß Ihr in diesen vier Wochen keinem andern Menschen Euer Geheimniß verrathet, wie es ja auch Euer eigener Nutzen mit sich bringt. Seid Ihr das zufrieden?"

„Grub (Lebensmittel) frei?" sagte der Alte.

„Alles."

„Und Brandy?" /47/

„Mit inbegriffen."

„Und gleichen Antheil?"

„Wie ich gesagt habe."

Der Alte schwieg wieder eine Weile und klopfte stärker mit dem Fuß auf den Boden, und die beiden Fremden schwiegen ebenfalls, denn sie wollten ihm Zeit zum Ueberlegen lassen. Endlich sagte er:

„Topp! und wann kann die Reise fortgehen?"

„Morgen früh; wir haben schon Alles bereit, und bis um zehn Uhr Morgens, denn heut Abend ist es zu spät, können wir Euch Eure Entlassung bringen. Einen warmen Anzug und ein paar wollene Decken für Euch findet Ihr bei uns im Haus, und um zwölf Uhr können wir schon unterwegs sein."

„Gut - bei Gott!" schrie der Alte, der jetzt anfing warm zu werden, „dann hört wenigstens hier einmal das Hundeleben auf."

„Und es bleibt dabei?"

„Ich habe Topp gesagt, das gilt allemal."

„Schön," sagte der, der zuerst gesprochen, „dann habe ich hier als Handgeld gleich eine Flasche Brandy mitgebracht, an der Ihr Euch heut Abend eine Güte thun könnt."

„Das war das gescheidteste Wort, was Ihr bis jetzt gesprochen habt," rief der Alte und langte gierig nach der Flasche. „Donnerwetter, habe den guten Stoff lange genug entbehren müssen und -" er hatte den Stöpsel schon abgezogen, hob die Flasche an den Mund und that einen langen, langen Zug - „hui! das schmeckt," stöhnte er endlich, als er absetzen mußte, um Athem zu holen - „und jetzt sehe ich auch, daß es Euch Ernst mit der Sache ist."

„Also Ihr seid morgen früh gerüstet?"

Der Alte antwortete nicht gleich, denn er hatte die Flasche schon wieder am Mund. Als er aber zum zweiten Mal absetzte, stellte er sie neben sich, wischte sich den Mund mit dem Rockärmel und sagte:

„Verdammt wenig Umstände, die ich hier zu machen habe. Richtet Ihr die Sache nur draußen ein, daß morgen früh nicht noch ein Schloß aus Versehen zu ist, wenn ich hinaus will; bei mir selber braucht's nachher nicht mehr, als vielleicht ein freundliches „Hol' Dich der Teufel" für den Schließer." /48/

Die Sache war in der That abgemacht. Die beiden Fremden reichten dem alten Schäfer zum Abschied, und vielleicht auch zum Abschluß ihres Bündnisses, bekräftigend die Hand - und dieser, durch den Brandy außerordentlich cordial gestimmt, schüttelte sie aus Leibeskräften - und verließen dann den Gefangenen, um ihn die letzte Nacht auf seiner harten Pritsche verträumen zu lassen.

Am nächsten Morgen kamen sie aber lange nicht so rasch fort, als sie vermuthet haben mochten. Die beiden Goldgräber in spe nämlich, ein paar junge Kaufleute aus Sidney, hatten auch noch, um ganz sicher zu gehen, Zachäus mit seiner neuerfundenen Waschmaschine engagirt, und wenn auch der alte Smith um elf Uhr auf freien Füßen war und in einem neuen warmen Anzug - er sah ordentlich anständig darin aus - gerüstet neben dem schon fertig geladenen Karren stand, hatte Zachäus selber doch noch eine solche Masse von Vorbereitungen zu treffen, und eine solche Quantität von höchst nöthigen Dingen vergessen, daß er die beiden Engländer - Smith selber nahm es außerordentlich kaltblütig auf - beinahe zur Verzweiflung brachte. Es wurde in der That vier Uhr Nachmittags, ehe sich der Zug in Bewegung setzen konnte, und selbst dann mußte Zachäus noch einmal von der ersten Ecke zurücklaufen, weil er seinen Schlüssel abzuziehen vergessen hatte.

Auch dieser war endlich geholt, und der mit einem festen Leinwandzelt überdeckte Karren schloß sich jetzt einer Anzahl ähnlicher an, welche die Georgestreet langsam hinaufrollten, ihrem goldenen Ziel, den Minen, entgegen.

An dem Abend vorher war ein von den Sandwichsinseln kommendes Schiff gelandet, das einen einzelnen Passagier mit von dort herüberbrachte, einen jungen deutschen Baron von Hafften, der sich schon eine Zeit lang in den californischen Minen herumgetrieben und überhaupt seit mehreren Jahren in den Vereinigten Staaten, den Felsengebirgen und endlich den californischen Golderzen ein an Abenteuern ziemlich reiches, jedenfalls ziemlich wildes Leben geführt hatte.

Dieser hörte nun, kaum an's Land gestiegen, von den neuentdeckten Schätzen Australiens, als er, rasch entschlossen wie er immer war, beschloß, augenblicklich in die Minen hinauf zu /49/

wandern und sein Glück auch einmal auf australischem Boden zu versuchen - jedenfalls sich die Verhältnisse hier mit anzusehen. Sein Gepäck konnte er indessen gut und sicher in Sidney lassen, denn er brachte von Honolulu aus einen Empfehlungsbrief von einem dortigen Geschäft für Mr. Pitt in Sidney mit, und dann blieb ihm vollkommen freie Hand, eine Zeit lang nach Herzenslust in den australischen Bergen umher zu streifen.

Mr. Pitt, in dessen Familie er den ersten Abend zubrachte und auf das Herzlichste von den guten Menschen aufgenommen wurde, wollte ihm das freilich ausreden und that sein Möglichstes, ihn von dem Entschluß abzubringen, in die Berge zu ziehen. Von Hafften war aber nicht der Mann, sich einen einmal in den Kopf gesetzten Plan wieder so leicht hinauswerfen zu lassen. - Im Gegentheil arrangirte er seinen Abmarsch schon auf den nächsten Tag, Mr. Pitt eröffnete ihm, als er sah, daß sich der junge Tollkopf nicht eines Besseren wollte belehren lassen, Credit in Bathurst in seinem dortigen Geschäft, falls er etwas brauchen, oder in Geldverlegenheit kommen sollte, und überließ ihn dann seinem Schicksal. Was anders war auch mit derartigen Leuten anzufangen, die nun einmal erst durch Schaden klug werden wollten - sie mußten eben ihren Willen haben.

Hafften war heut Abend ordentlich ausgelassen lustig, und machte selbst Mrs. Pitt ihre trüben Gedanken vergessen. Er setzte sich an's Clavier und ließ Pauline und Therese zusammen tanzen, und dann mußte sich Pauline hinsetzen und er sprang und tanzte mit dem Kinde, bis gegen neun Uhr noch Capitain Becker kam und eine riesige Ziehharmonica mitbrachte. Jetzt mußte der spielen und Hafften tanzte mit Paulinen, und daß der ehrliche gute Capitain keine Idee von Tact hatte und alle Augenblicke daneben griff, amüsirte die jungen Leute noch viel mehr, und Mr. Pitt selber lachte mit, daß ihm die Thränen über die Backen liefen. Er gestand, seit langer, langer Zeit keinen so vergnügten Abend verlebt zu haben.

Am nächsten Morgen mit Tagesanbruch traf aber Hafften trozdem seine Vorbereitung zum Abmarsch, und es gelang /50/ ihm, da er der englischen Sprache vollkommen mächtig war, das wenige Gepäck, das er mitzunehmen gedachte, auf einem der den Nachmittag abgehenden Karren vor der Hand bis Bathurst, und von da auch vielleicht noch weiter, in die nächsten Minen unter zu bringen.

Allerdings hatte er sich selber wollen auf der Post nach Bathurst einschreiben lassen; da er aber bedeutet wurde, daß schon auf sechs volle Tage Passagiere angemeldet wären, gab er es auf. Dann dachte er daran, ein Pferd zu kaufen, aber diese waren so fabelhaft im Preise gestiegen, und Leute, die das innere Land kannten, versicherten ihm, er würde in jetziger Zeit solche Mühe haben, Futter für sein Thier zu bekommen, und in den Bergen so damit behindert sein, daß er sich endlich entschloß, den Marsch zu Fuß anzutreten, und allein, einen Revolver im Gürtel, einen tüchtigen Stock in der Hand, zog er noch an demselben Nachmittag seine Straße, den fernen Bergen leichten Muthes zu.

Zwei oder drei Miles von Sidney entfernt, überholte er endlich einen andern Fußgänger, denn den übrigen Trupps und Schwärmen, von denen schon oft ein Theil stark angetrunken war, hatte er sich nicht weiter nähern mögen. Auch an diesem einsamen Wanderer schritt er mit leichtem Gruß vorbei - aber der Mann hatte in seinem ganzen Aeußern etwas so Eigenthümliches, daß er unwillkürlich nach ihm zurücksah, noch eine Weile weiter schritt, und dann seinen Gang hemmte, um wieder von ihm überholt zu werden.

Es war eine schlanke, fast schmächtige Gestalt, mit ziemlich bleichen, aber höchst interessanten Gesichtszügen, großen schwarzen Augen und dunkelbraunen, langen lockigen Haaren. Der Mann ging auch nicht wie ein Miner gekleidet. Er trug kein rothwollenes Hemd, keine Wasserstiefel und keinen californischen Hut, sondern dunkle städtische Kleidung, einen Seidenhut und einen Regenschirm, und nur auf dem Rücken einen kleinen, sauber gearbeiteten Tornister, der wenig mehr bergen konnte, als eben etwas reine Wäsche, wie denn auch sein ganzes Aeußere viel Sauberkeit verrieth.

Und was wollte der Mann in dem Anzug oben in den Minen? Hafften beschloß, jedenfalls eine Unterhaltung mit ihm /51/ anzuknüpfen. Verlassen konnte er ihn ja jeden Augenblick wieder, sobald ihm die neue Gesellschaft nicht länger behagte.

Der junge Fremde kam wieder näher.

„Wir haben ein Ziel?" sagte Hafften in englischer Sprache, indem er leicht an seinen Hut griff.

„Wie alle Menschen," sagte der junge Mann, den Gruß freundlich erwidernd - „ein Ziel, das der Eine leichter, der Andere mit etwas größerer Mühe erreicht - aber dahin - kommen wir Alle."

„Ich sprach nicht von dem letzten," lächelte Hafften, „aber auch unser nächstes scheint dasselbe zu sein, denn allem Vermuthen nach ziehen Sie doch ebenfalls in diese fabelhaften Berge auf Abenteuer aus - und wenn nicht das, wollen Sie sich doch, wie ich, den Platz einmal betrachten."

„Er ist mir nicht mehr neu," sagte der junge Mann, indem er neben seinem neuen Reisegefährten hinschritt, - „seit vielen Jahren schon habe ich oben in Bathurst gewohnt und jene Berge nach allen Richtungen hin durchwandert."

„In der That?" rief Hafften überrascht, „und hatten Sie nie eine Ahnung, daß sie so reiche Schätze bergen?"

„Daß sie Schätze bergen? - wer hat je daran gezweifelt," sagte der junge Mann, „und manches Geheimniß liegt noch tief in ihrem Schooß verborgen, aber daß gierige Menschenkinder je in solcher Masse mit Schaufeln und Hacken ausströmen sollten, sie zu durchwühlen, hätt' ich nie gedacht."

„Und gehören wir Beide jetzt nicht auch dazu?" lächelte Hafften.

„Ich nicht," sagte der Fremde ruhig - „ich ziehe mit hinauf, ja, aber nicht, um dort oben mit zu graben. Das Wenige, was ich brauche, hab' ich, mehr verlang' ich nicht; aber es ist immer interessant, die Leidenschaft der Menschen, wenn sie einem angeschwollenen Bergstrom gleich an uns vorüber tobt, von sicherer Stelle aus beobachten zu können - und das Schauspiel wird uns dort in reichem Maße geboten werden."

„Es ist aber eine verwünscht verführerische Geschichte," lachte Hafften, „und einem Hazardspiel am grünen Tisch nicht unähnlich, wo auch Fischblut dazu gehört, einen ganzen Abend daneben zu stehen und nicht einmal selber mit der Hand in 52/ die Westentasche zu fahren. Ich hab' es schon in Kalifornien mit durchgemacht und möchte es keinenfalls verschwören, daß ich mich hier nicht ebenfalls wieder verleiten ließe - trotz aller früheren bitteren Erfahrungen - noch einmal Hals über Kopf in eben den Strudel mit hinein zu springen."

Sein bleicher Begleiter lächelte leise und verächtlich vor sich hin und sagte:

„Ich bin sicher - Gold hat für mich nie einen Reiz gehabt und könnte ihn schwerlich da erreichen, wo noch eine schwere, ungewohnte Arbeit dazu kommt, es zu gewinnen. - Aber lassen wir das elende Gold. - Das gerade hat mir den Aufenthalt in Sidney unerträglich gemacht, daß man dort von weiter nichts auf der Gotteswelt hört, als von Gold - Gold und ewig Gold."

„Aber dem zu entgehen, haben Sie wohl kaum den richtigen Weg gewählt. Denn von was Anderem wird man in den Minen reden? an was Anderes wird man da den lieben langen Tag denken können?"

„Dort oben in den Bergen kann ich allein sein, wie ich eben will," sagte der junge Mann, „dort giebt es Stellen und Schluchten, wohin vielleicht noch keines Menschen Fuß gedrungen wie der meine, und dort - aber wir wollten ja von etwas Anderem reden, als den australischen Bergen," brach er kurz ab - „erzählen Sie mir lieber von Californien - oder nein, nicht von Californien, denn dort spielt ja ebenso das leidige Gold die Hauptrolle - erzählen Sie mir von Deutschland. - Es ist - eine lange, lange Zeit, daß ich nichts von dort gehört habe -" setzte er mit einem Seufzer hinzu.

„Waren Sie je dort?" frug Hafften.

„Ich bin ein Deutscher," sagte der junge Mann ruhig.

„In der That?" rief Hafften erstaunt - „das hätte ich Ihrer englischen Aussprache nicht angehört - aber dann schon lange hier im Land, nicht wahr?"

„Schon seit zehn Jahren," sagte der Fremde leise.

„Das ist etwas Anderes," rief Hafften - „dann kann aber unsere Unterhaltung beiden Theilen Nutzen bringen, denn ich habe erst gestern australischen Boden betreten und bin ein /53/ vollkommener Neuling in dem Lande. So tauschen wir denn aus, und der Weg wird uns Beiden kürzer werden, aber - wenn es Ihnen recht ist, in der Muttersprache, denn ich hasse es, wenn sich zwei Deutsche in einem fremden Idiom mit einander unterhalten."

6.

Die Familie Sutton.

Wir müssen noch einmal zu dem Abend zurückkehren, an dem die Royal Mail unweit des Gipfels des Razorbacks in den blauen Bergen überfallen und geplündert wurde.

Der von dem Bushranger verwundete Passagier war damals, wie sich der Leser erinnern wird, durch vier Leute von der kleinen am Wege stehenden Schenke auf die nicht weit davon entfernte Station eines englischen Gentleman, eines Mr. Sutton, geschafft und dort auf das Herzlichste und Liebevollste behandelt worden.

Mr. Sutton war schon ein ziemlich alter Herr, der erst in vorgerückten Jahren geheirathet und zwei erwachsene Kinder, einen Sohn und eine Tochter, hatte. Da sich seine Station aber mit jedem Jahre vergrößerte und er besonders in diesem dazu vortrefflich gelegenen Thale viel werthvolles Land urbar machen konnte, so trieb er jetzt auch, neben seinen zahlreichen Heerdcn und der einträglichen Pferdezucht, bedeutende Landwirthschaft, und hatte zu dem Zweck einige zwanzig Leute in steter Beschäftigung auf seiner Station.

Die etwas kränkliche Frau konnte aber dieser großen Wirthschaft nicht allein vorstehen, Rebecca, seine Tochter, war erst achtzehn Jahre alt, und so hatte er denn, aber erst in den letzten Jahren, eine Wirthschafterin in's Haus genommen, die für diese Stellung, trotz ihrer Jugend, außerordentlich passend /54/ schien, und in Allem, was Ordnung und Reinlichkeit betraf, wirklich nichts zu wünschen übrig ließ.

Miß Gertrud, wie die Wirthschafterin genannt wurde, mochte etwa zweiundzwanzig Jahre alt sein, und war als ganz junges Mädchen durch die, damals die Einwanderung von weiblichen Dienstboten mit großem Eifer fördernde Mrs. Chisholm3 nach Australien gekommen. Ihrer Aussage nach hatte sie damals eine Stelle in Adelaide gefunden, wo sie mehrere Jahre als Gouvernante in einer Familie gelebt. Aber die Frau starb, und sie kehrte zu Freunden nach Sidney gerade damals zurück, als Mr. Sutton eine Person für seine Familie suchte, die einer solchen Wirthschaft vorstehen konnte.

Weiter hatte sich Niemand nach ihr erkundigt, denn man ist in Australien überhaupt so vorsichtig, nicht zu sehr vergangenen Lebensverhältnissen nachzuforschen, aus Furcht, selbst in den ersten und angesehensten Familien oft sehr unangenehme Rückerinnerungen zu erwecken. Man nimmt die Leute, wie sie sich eben geben, und wenn sie jetzt ihre Pflicht thun und ihren Platz ausfüllen, fragt selten Jemand nach dem, was dahinten liegt und an keinem Orte mehr, wie gerade in Australien, vergessen sein sollte.

Gertrud war übrigens eine außergewöhnlich liebliche Erscheinung, mit einem ächt englischen Gesicht, die Nase ein klein wenig stumpf, aber wundervollem, kastanienbraunem Haar, nußfarbenen Augen und einer schlanken, edlen Gestalt. Nur um den sein geschnittenen Mund lag ein ernster, fast strenger Zug, der aber oft durch ein gar so liebes Lächeln gemildert, ja völlig verwischt wurde. Sie hatte dabei etwas außerordentlich Festes und Entschiedenes in ihrem ganzen Auftreten, besonders ihren Untergebenen gegenüber, wenn sie sich auch gegen Mr. und Mrs. Sutton wie deren Kinder stets bescheiden, und überhaupt sehr viel Tact in ihrem ganzen Wesen zeigte. Aber vielleicht gerade dadurch scheuchte sie auch jede wirkliche Vertraulichkeit zurück. Es war fast, als ob sie in der Familie nur als Dienerin behandelt sein wolle - sich nur als solche wohl und in ihrer Stellung fühlen könne.

Rebecca, eine fast zu zarte Gestalt für den wilden Busch, schien in ihrem Aeußern sowohl wie in ihrem ganzen Wesen /55/ gerade das Gegentheil Gertrudens. Von eben so regelmäßiger Schönheit wie diese, verlieh aber schon das blonde Haar und blaue träumerische Auge der ganzen Gestalt etwas Weiches, Schwankendes, und oft, wenn sie mit Gertruden sprach, schlug sie vor dem fest auf ihr haftenden, wenn auch freundlichen Blick derselben das eigene Auge wie scheu und befangen zu Boden.

Als an jenem Abend der schwer Verwundete in das Haus gebracht wurde, übernahm auch Gertrud gleich die unmittelbare Pflege desselben. Sie richtete das Zimmer und Lager für ihn her, sie sah nach seinem Verband und stillte soviel als möglich die Blutung der Wunde, bis der Arzt dieselbe untersuchen und richtig behandeln konnte, und that alles Nöthige so still und geräuschlos und so selbstbewußt, daß die übrigen Hausbewohner den neuen und fremden Gast in seiner bewußtlosen Anwesenheit kaum gewahrten, aber sicher nicht durch ihn gestört oder belästigt wurden.

Der Arzt kam, durch des alten Mitpassagiers freundlichen und aufopfernden Eifer getrieben, allerdings noch in derselben Nacht nach English Bottom, wie Mr. Sutton's Station gewöhnlich genannt wurde, aber er schüttelte, nachdem er die Wunde untersucht hatte, sehr bedenklich den Kopf, denn die Kugel hatte eine sehr gefährliche und beunruhigende Bahn genommen, und es ließ sich keineswegs mit Sicherheit vorausbestimmen, ob der Patient den Schuß überleben würde oder nicht. Jetzt athmete er allerdings noch, aber jeder Athemzug konnte sein letzter sein, und nachdem die Wunde, so gut es die Umstände erlaubten, behandelt worden, mußte allerdings das Meiste der gesunden Natur des Patienten wie der aufopfernden Pflege seiner neuen Freunde überlassen bleiben.

Mr. Sutton hatte indessen gleich gesucht, irgend einen Ausweis bei dem Kranken zu finden, wie er heiße oder wohin er gehöre; sein Taschenbuch war aber in den Händen der Bushranger geblieben, Briefe hatte er ebenfalls nicht bei sich, und selbst seine Wäsche war nicht gezeichnet, denn in den Colonien kauft man ja gewöhnlich Alles, was man braucht, fertig in den Läden. Wie also nun die Angehörigen auffinden, wo noch dazu in den nächsten Tagen schon kein Mensch weiter in /56/ ganz New-South-Wales einen andern Gedanken hatte, als Gold, und alle gewöhnlichen Communicationen unterbrochen, ja aufgehoben schienen.

Es war in der That nichts weiter zu thun, als den Zeitpunkt abzuwarten, wo sich der Verwundete so weit erholen würde, Nachricht über sich geben zu können oder - wo er seiner Wunde erlag, und dann zählte er nur zu den Tausenden, die in fremden Welttheilen unbeachtet, ungekannt sterben und verderben und spurlos von der Erde verschwinden. - Wie manches einsame Grab liegt so draußen im stillen Wald, und ein Kranz von Steinen, oder vielleicht nur ein mit dem Beil in den nächsten Baum eingehauenes Kreuz kündet allein die Stelle, wo ein Menschenherz modert.

Aber der junge Fremde starb nicht. Sieben Tage lag er allerdings vollkommen bewußtlos oder doch regungslos auf seinem Bett, nur im Stande, in der letzten Zeit dann und wann ein paar Löffel voll stärkender Suppe zu verschlucken, die ihm Gertrud mit sorgender Hand einflößte. Am achten Tage schlug er zuerst die Augen auf und sah seine Wärterin über sich gebeugt; dann schloß er sie wieder und gab durch kein Zeichen Kunde, daß er die an ihn gerichteten Fragen verstanden oder nur gehört habe.

Jetzt zum ersten Mal machte der Arzt, der indessen schon einige Male wieder herübergekommen war, Mr. Sutton Hoffnung, daß er seinen Patienten durchbringen könne, und in der nämlichen Nacht klopfte der Wärter, der fortwährend bei ihm bleiben mußte, an Gertrudens Thür, und meldete ihr, der Kranke sei zur Besinnung gekommen.

Gertrud zog sich rasch an und ging zu ihm hinüber - es war drei Uhr Morgens, und sie mochte Mr. Sutton noch nicht wecken, und als sie das Zimmer betrat und den Patienten frug, ob er etwas wünsche, ob sie ihm irgend etwas helfen könne, streckte er ihr lächelnd die bleiche, abgemagerte Hand entgegen, aber er sprach noch kein Wort.

Sie nahm die Hand und legte sie auf die Decke zurück; er nickte ihr, wie dankend, mit den Augen zu, und schlief dann wieder ruhig ein, bis zum nächsten Morgen.

Damit schien er aber auch die schlimmste Krisis überstanden /57/ zu haben, denn schon mit Tagesanbruch wachte er wieder auf und blickte suchend in dem leeren Zimmer umher, nach seiner Pflegerin. Der Wärter war auf dem Stuhl neben seinem Bett eingeschlafen, und der Verwundete vermochte ihn nicht zu wecken.

Da ging die Thür auf, und als Gertrud das Zimmer betrat, schaute sie der Leidende mit den großen, eingefallenen Augen voll an und sagte leise:

„Oh, das ist gut - das ist gut."

„Gott sei gedankt, der Sie wieder hergestellt hat!" rief Gertrud, rasch und fröhlich zu ihm eilend. „Jetzt wird auch Alles bald, recht bald besser gehen. Aber schonen müssen Sie sich noch, recht schonen, und kein Wort weiter reden, bis es Ihnen der Arzt erlaubt."

Wieder streckte ihr der Kranke die Hand entgegen und sagte dann mit leiser, kaum hörbarer Stimme:

„Was ist mit mir geschehen?"

Der Wärter war jetzt auch wach geworden und sprang erschreckt von seinem Stuhl auf, als er Tageslicht um sich und das junge Mädchen im Zimmer sah, aber Gertrud schickte ihn hinüber zu Mr. Sutton, um diesem die freudige Kunde mitzutheilen, und zu dem Kranken gewandt, sagte sie:

„Keine Frage jetzt, die Sie nur aufregen könnte; Sie müssen ganz still liegen, bis der Arzt erst wieder bei Ihnen gewesen ist, und indessen will ich hinausgehen und Ihnen etwas zu essen bereiten, denn Sie haben in der letzten Woche nicht mehr Nahrung über die Lippen gebracht, als in der nämlichen Zeit einen Sperling am Leben erhalten hätte."

Der Kranke wollte sie durch eine Bewegung seines Armes zurückhalten, aber sie hob warnend den Finger gegen ihn auf und ließ ihn dann allein.

Etwa eine halbe Stunde später kehrte sie mit Mr. Sutton zurück, und der alte Herr setzte sich an dem Bett nieder, legte seine Hand auf den Arm des Kranken und sagte herzlich:

„Mein lieber junger Freund, ich kann mir wohl denken, daß Sie nicht recht genau wissen, wo Sie jetzt sind und wie Sie hierher gekommen, und dieser ungewisse Zustand könnte Ihnen auf die Länge der Zeit peinlich werden. Erlauben Sie /58/ mir deshalb, Ihnen zu sagen, daß Sie sich auf der Station befinden, die in der Nachbarschaft kurzweg der English Bottom genannt wird. - Kennen Sie den Platz? Bitte, antworten Sie mir nicht laut, sondern schließen Sie, wenn Sie Ja sagen wollen, nur einen Moment die Augen.

Der Kranke lächelte und that so.

„Schön," sagte der alte Herr, als er den Blick seines Schützlings wieder auf sich gerichtet sah.

„Also sind Sie hier in der Gegend bekannt. Wohnen Sie in Sidney? - bitte, antworten Sie nur wieder auf die vorige Weise."

Der Kranke that so.

„Also das hätten wir ebenfalls heraus. Haben Sie Verwandte dort? - in der That? - gut, auch die werden wir nachher erfahren, und nun diene Ihnen vor der Hand zu wissen, daß Sie eine sehr häßliche Schußwunde durch die Brust bekommen haben, bei der Sie selbst in diesem Augenblick noch vielleicht nicht außer aller Gefahr sind. Transportirt können Sie ebenfalls noch nicht werden, und unter jeder Bedingung müssen Sie noch eine Weile bei uns aushalten. Nur Ihren Freunden oder Verwandten, die sich wahrscheinlich schon sehr um Sie geängstigt haben, möchte ich Nachricht von Ihnen geben können - halt, Sie dürfen nicht sprechen. Kann es ohne die geringste Anstrengung geschehen, so schreiben Sie mit dem Bleistift auf dies Stückchen Pappe Ihren Namen - weiter nichts."

Der junge Mann nahm den Bleistift in seine noch zitternde Hand und suchte dem Wunsche zu genügen. Wie er aber ansetzte, sah er plötzlich den alten Herrn starr an. Es war, als ob ihn ein plötzlicher Gedanke überkäme, ohnmächtig sank der Kopf, den er leicht gehoben, auf das Kissen zurück und der gehaltene Bleistift entfiel seiner Hand.

„Da haben wir die Geschichte," murmelte Mr. Sutton ärgerlich vor sich hin - „da komme ich her, nehme mir vor, recht behutsam und sorgfältig zu Werke zu gehen, und fange es nachher so ungeschickt an, wie nur irgend möglich. Was jetzt? - ich muß nur die Gertrud rufen, daß mir die den unglücklichen Menschen wieder zu sich bringt." /59/

Gertrud rief die entflohenen Lebensgeister des Verwundeten wieder zurück, aber er blieb den ganzen Tag zu schwach, um nur einen neuen Versuch, mit ihm zu sprechen, wagen zu dürfen. Auch schalt der Arzt, als er an dem Nachmittag herüber kam und das Nähere hörte, den alten Herrn tüchtig aus, daß er so mit der Thür in's Haus gefallen wäre und Alles gleich im ersten Moment hätte erzwingen wollen.

An dem Tag war auch weiter nichts zu thun, am nächsten Morgen aber schien sich der Kranke selber bedeutend besser zu fühlen, denn er verlangte aus freien Stücken einen Bleistift und Papier, und als es ihm gegeben wurde, schrieb er den Namen Charles Pitt auf.

„Pitt?" rief der alte Herr, der wieder an seinem Bette saß. „Sind Sie ein Sohn von Charley Pitt in Georgestreet?"

Der Kranke nickte leise.

„Ei Potz Blitz, dann freut es mich doppelt, daß wir Sie wieder auf die Beine bringen, mein lieber junger Freund, und Charley Pitt - aber was für eine Angst Ihre Eltern um Sie ausgestanden haben werden. Denen müssen wir gleich mit der nächsten Post Nachricht geben."

Wieder deckte Todtenblässe des Kranken Züge; er schloß die Augen und blieb still und regungslos liegen, daß der alte Herr schon glaubte, eine neue Ohnmacht habe ihn überfallen. Es war diesmal aber nur Schwäche gewesen, und Mr. Sutton ging dann gleich in sein Zimmer, schrieb ein paar Zeilen an Mr. Pitt in Sidney, worin er ihn von dem Zustand seines Sohnes, in Kenntniß setzte, und schickte den Brief dann durch Einen seiner Leute nach der Wegschenke hinüber, um von dort aus mit der nächsten vorbeikommenden Post befördert zu werden.

Die nächste vorbeikommende Post ging aber nach Bathurst hinauf, und der halbtrunkene Barkeeper, der zugleich die Postgeschäfte dort zu besorgen hatte, und sich nicht einmal die Mühe gab, die Adresse zu lesen, sandte den Brief, anstatt nach Sidney, in die Minen hinauf. /60/

*

Indessen hatte Mrs. Pitt in Sidney eine recht trübe, schwere Zeit verlebt, denn wenn sie sich auch sagen mußte, daß in der jetzigen Aufregung, die alle gewohnten und ruhigen Verhältnisse über den Haufen warf, ihr Charles recht gut oben in Bathurst aufgehalten, ja auch wohl ein Brief von ihm - wenn er überhaupt Zeit zum Schreiben behalten - verloren gegangen sein konnte, beruhigte sich das Mutterherz doch damit nicht, und unwillkürlich kehrte sie immer wieder zu dem Gedanken an die überfallene Mail und die damit verbundenen, freilich nur wirren und ungewissen Gerüchte zurück.

Und nirgends ließ sich darüber etwas Gewisses erfahren, denn selbst auf der Post wurden nicht einmal Namen eingeschrieben. Was kümmerte die Leute der Name eines Passagiers, wenn sie nur eben das Geld für den Platz bekamen; ein bestimmter Sitz ließ sich nicht einmal erwerben, und wer seine Glieder leichtsinnig genug der Royal Mail überlieferte, mußte auch sehen, wie er einen Platz darauf fand und damit fortkam. Das war allein seine Sache.

Aber selbst Mr. Pitt wurde zuletzt unruhig, denn sein Geschäftsführer in Bathurst erwähnte Charles nicht einmal, und als er endlich bei ihm anfrug, erhielt er die Nachricht, daß er die Absicht gehabt habe, nach Sidney an jenem nämlichen Tag zurückzukehren, als die Mail überfallen worden. Er sei aber noch in der letzten Stunde unschlüssig gewesen und habe vorher einen kleinen Abstecher in die Berge gemacht. Möglich, daß er dort geblieben wäre, und vielleicht jetzt noch oben in einer von den Schluchten stecke.

Das immer wachsende Geschäft nahm aber Mr. Pitt's Thätigkeit so ausschließlich in Anspruch, daß er wirklich gar nicht recht zum Besinnen kommen konnte, und jetzt nur böse auf seinen Sohn wurde, der sich, seinen eigenen Neigungen nach, in den Bergen zwischen den Goldsuchern herumtrieb und ihm hier die ganze Last der Besorgungen allein auf den Schultern ließ. - Daß ihm ein Unfall zugestoßen sein könne, wollte er nicht im Entferntesten gelten lassen.

Um diese Zeit war es, daß William Holleck aus den Bergen zurückkehrte und augenblicklich die Familie Pitt besuchte. /61/

Der kleine Kreis, mit Capitain Becker und einem andern Bekannten des Hauses, dem Polizeilieutenant Beatty, hatte sich gerade zum Thee gesammelt, als Holleck, jetzt aber nicht mehr in seinem Mineranzug, das Zimmer betrat und von Allen, besonders aber von der kleinen Therese, auf das Freundlichste begrüßt wurde. Das Kind lief auf ihn zu, schlang seine Aermchen um seinen Nacken, und als er es zu sich emporhob, rief es laut und fröhlich:

„Nun, Onkel William, hast Du mir auch recht viel Gold aus den Minen mitgebracht?"

„Einen ganzen Sack voll, mein Schatz," lachte der junge Mann, indem er in die Westentasche griff und ein Stück, wie eine Haselnuß groß etwa, vorholte und ihr gab - „da, und hier hast Du die Probe davon, womit Du spielen kannst - aber nimm Dich in Acht, daß Du es nicht verlierst."

„Wirkliches Gold?" rief die Kleine erfreut aus, „oh, wie das blitzt und glänzt, und wie schwer es ist!"

„Wo haben Sie Charles gesehen?" rief ihm die Mutter entgegen, wie nur die ersten Begrüßungen vorüber waren, „oh, warum schreibt er nicht wenigstens, daß man hier die Sorgen und Angst um ihn haben muß!"

„Gesehen hab' ich ihn nicht," sagte Holleck, indem er die Kleine wieder auf den Boden setzte. „In Bathurst war er weder zu finden noch zu erfragen, aber er soll oben in den Minen am Macquarie oder dort in der Nachbarschaft stecken, wie mir Leute versicherten, die ihn bei der Arbeit gefunden haben wollten. Die ganze Welt ist ja rein toll nach dem Gold da oben, und die Leute verrathen eine Leidenschaft zu Schaufeln und Spitzhacken, die ganz New-Süd-Wales in den ersten Ackerbaudistrict der Welt verwandeln würde, wenn sie es sich nicht in den Kopf setzten, gerade nur da zu hacken und zu graben, wo eben nichts Anderes wachsen will wie die Quarzblöcke und Porphyr."

„Und haben sie auch im Geschäft in Bathurst noch immer keine Nachricht von ihm?" frug Mr. Pitt ärgerlich.

„Keine Silbe," lachte Holleck, „ja, wo soll er auch da oben Dinte und Feder herbekommen! Das sieht wunderbar in den Minen aus." /62/

„Schön," sagte Becker, „hier haben wir denn wenigstens ein lebendiges Individuum, das uns einen genauen, authentischen Bericht über die fabelhaften Goldminen geben kann. Und nun, junger Herr, setzen Sie sich einmal auf den Stuhl da und packen Sie Ihre Neuigkeiten aus, denn wir Alle brennen darauf, etwas Bestimmtes zu hören. Was man hier in der Stadt darüber erfährt, ist gerade genug, einen sonst ganz vernünftigen Menschen verrückt zu machen, und ich möchte nun auch einmal Jemanden sprechen, der gerad' mit der Sache herausrückt und die Flunkereien aufdeckt."

„Flunkereien?" rief aber Holleck lachend. „Mein guter Capitain, da sind Sie an den Unrechten gerathen, denn wenn ich Ihnen nur das erzähle, was ich selber gesehen habe, packen Sie morgenden Tages auf und machen, daß Sie so rasch als irgend möglich selber in die Minen kommen."

„Das wäre mir aber lieb," rief der Capitain, ganz verblüfft von der unerwarteten Bemerkung. Aber Holleck hatte die kleine Gesellschaft nun einmal neugierig gemacht, und da doch an kein anderes Gespräch zu denken war, bis das Minencapitel beseitigt worden, bat ihn sogar Mr. Pitt, ihnen nur, was er da oben erfahren habe, zum Besten zu geben, und Holleck willfahrte gern.

Mit einem ganz eigenen, vortrefflichen Humor schilderte er jetzt seinen Weg in die Berge und das Leben da oben, beschrieb die wunderlichen Charaktere, die dort zusammengeströmt, und die Arbeiten wie Erfolge, und bestätigte dabei so vollkommen selbst die extravagantesten aus den Minen niedergebrachten Gerüchte, daß Capitain Becker wie erstarrt dabei saß und kaum wußte, ob er seinen eigenen Ohren trauen sollte.

Nur in der einen Woche waren schon ganz enorme Quantitäten Goldes ausgegraben und zahllose Nuggets (ein entschieden australisches Wort für größere Goldklumpen), die ein, zwei, drei, ja zehn und zwölf Pfund in reinem Gold gewogen, von glücklichen Arbeitern zu Tage gefördert worden.

Noch während er erzählte, brachte die Magd einen Brief herein, der eben im Hause unten abgegeben worden.

„Von Bathurst?" sagte Mr. Pitt, der den Stempel betrachtete. /63/

„Endlich von Charles!" rief Mrs. Pitt, von ihrem Stuhl aufspringend.

„Nein, es ist eine fremde Hand, die ich gar nicht kenne," sagte ihr Mann, indem er zum Lichte trat, den Brief öffnend.

„Aber doch vielleicht Nachricht von ihm?" sagte die Mutter.

„Wohl kaum J. Sutton?" las Mr. Pitt die Unterschrift.

„Etwas von Charles?" wiederholte seine Frau, deren Blick ängstlich an ihm haftete. Mr. Pitt stand mit dem Gesicht der Lampe zugedreht und kehrte seiner Frau den Rücken zu. - Er schüttelte nur langsam den Kopf und verharrte in seiner Stellung.

Holleck hatte einen Augenblick mit Erzählen inne gehalten, er wollte die Frage nicht stören; als aber Mr. Pitt jetzt ruhig weiter las und die Frau wieder mit einer getäuschten Hoffnung auf ihren Stuhl zurücksank, fuhr er fort, und gab ihnen jetzt in so komischer Weise die Schilderung eines Deutschen, der da oben in den Bergen eine complicirte Maschine hätte aufsetzen wollen und das immer an Stellen ermöglichte, an denen er gar nicht arbeiten konnte, daß Alle laut lachten. Selbst Mrs. Pitt vergaß für den Augenblick die Sorge um den Sohn, die sie sonst selten oder nie verließ.

Mr. Pitt hörte indessen von der ganzen Erzählung kein Wort, denn er hielt Mr. Sutton's Zeilen in den Händen, der ihm mit kurzen Worten den Unfall seines Charles anzeigte und ihn bat, so rasch er könne selber hinauf zu kommen. Der Brief war dem Datum nach schon fünf Tage alt und, wie das Postzeichen ergab, über Bathurst gegangen. - Was sollte er jetzt thun? - seiner Frau den Inhalt mittheilen? - sie wäre ihm vor Angst am Ende selber krank geworden, und jetzt konnte sie ja doch noch nichts helfen, dem Sohne, der sich in guter Pflege befand, nichts direct nützen. Da war es viel besser, sie blieb noch einige Tage in ihrer Ungewißheit, bis sich ihr wenigstens mit Sicherheit die Besserung des Verwundeten anzeigen ließ.

Ganz in Gedanken, und die Gegenwart der Uebrigen in der That total vergessend, war er mit dem Brief in der Hand ein paar Mal im Zimmer auf- und abgegangen. /64/

Mr. Beatty, der ihm zunächst saß, sah aber, daß er die Stirn in düstere Falten zog, und sagte:

„Doch keine unangenehmen Nachrichten, Mr. Pitt?"

„Ach ja," erwiderte der Mann, sich gewaltsam sammelnd - „es scheint doch da oben in Bathurst ganz toll und wild gewirthschaftet zu werden, und es wird mir nichts Anderes übrig bleiben, als selber hinauf zu gehen, um die Sache einmal in Ordnung zu bringen."

„Ja wohl, Charles, das ist recht," rief Mrs. Pitt erfreut, „ich habe Dich schon lange darum gebeten; früher erfahren wir doch nichts von Charley."

„Und wann wollen Sie fort?" frug Capitain Becker und bekam, noch während er sprach, ein ganz rothes Gesicht.

„Am liebsten ginge ich gleich heut Abend, wenn ich wüßte wie," sagte Mr. Pitt, „da das aber unmöglich ist, morgen mit Tagesanbruch."

„Donnerwetter, das ist früh," brummte der Capitain - „wissen Sie wohl, Mr. Pitt, daß ich höllische Lust hätte, Sie zu begleiten?"

„Aha!" lachte Pauline, „bei Ihnen haben Mr. Holleck's Berichte schon gezündet, und ich sehe Sie da oben noch im Schweiße Ihres Angesichts Ihr Gold ergraben."

„Ach ne, Miß," sagte der Capitain verlegen, „wegen des albernen Goldes wahrhaftig nicht; aber zum Wetter auch, man muß sich die Geschichte, wenn man sie so dicht vor der Nase hat, doch wenigstens einmal mit ansehen, oder wird am Ende später darum ausgelacht, in Australien gewesen zu sein und nicht einmal die Minen gesehen zu haben."

„Capitain, Capitain!" drohte Mr. Beatty lachend mit dem Finger - „ich werde nächstens selber hinaufgeschickt werden, um die Minen zu inspiciren; wenn ich Sie dann aber droben mit Schaufel und Waschschüssel erwische, dann nehmen Sie sich in Acht."

„Haben Sie keine Angst - ich werde den Teufel thun und in dem harten Boden nach Gold scharren. Aber was soll ich hier? Ihre Polizeibehörde ist so ausgezeichnet in Sidney, daß jetzt ganze Schiffsmannschaften spurlos verschwinden, ohne daß man einer einzigen Seele wieder auf die Spur /65/ kommt, und allein kann ich mein Schiff auch nicht fahren, das geht nicht - Geld verzehre ich hier wie dort, und da kann mir ein bischen Bewegung ebenfalls nicht schaden. Aber bis Tagesanbruch werd' ich noch nicht klar, Mr. Pitt - können Sie es nicht wenigstens bis morgen Abend aufschieben?"

„Es ist ganz unmöglich, lieber Capitain," lautete aber die Antwort, „denn einen Platz auf der Post finden wir doch nicht in der nächsten Zeit, und ich muß deshalb die Reise zu Pferde machen."

„Zu Pferd, schwere Brett," sagte Capitain Becker, der an einige, eben nicht besonders gelungene, derartige Touren in Valparaiso und auf den Sandwichsinseln dachte - „den ganzen Weg zu Pferd - das ist eine heillose Anstrengung."

„Und noch dazu in einem scharfen Trab."

„Danke Ihnen," sagte der Capitain - „da wäre mir schon bis Paramatta die Seele aus dem Leibe geschüttelt. Ne, da lieber nicht."

„Wenn Sie bis übermorgen früh warten wollen, Capitain," sagte der Polizeilieutenant, „so verschaffe ich Ihnen sichere und bequeme Gelegenheit in einem Einspänner. Ich muß Jemanden nach Bathurst schicken, und der kleine Wagen, den er mitnimmt, ist dorthin verkauft."

„Das wäre famos. Und könnte ich da meinen Steuermann gleich mitnehmen?"

„Wenn Sie wollen, warum nicht?"

„Bravo, dann bin ich außer aller Sorge. Mein Steward mag indessen das Schiff bemuttern, daß es nicht den Anker zwischen die Zähne nimmt und durchgeht."

„Und jetzt entschuldigen mich die Herrschaften wohl," sagte Mr. Pitt, indem er der Thür zuschritt. „Ich habe heut Abend so viel zu besorgen, daß ich noch einmal hinunter in das Comptoir muß."

„Aber ich sehe Dich doch noch, Papa?" rief Pauline ihm nach.

„Gewiß, Kind - ich laufe Euch ja nicht davon," sagte der Vater, grüßte lächelnd noch einmal und verließ dann das Zimmer, wo aber die übrige Gesellschaft, heute in der besten, /66/ heitersten Laune, noch bis elf Uhr zurückblieb. Selbst Mrs. Pitt machte sich heute keine Sorgen mehr, denn morgen früh ging ja ihr Gatte in Person an Ort und Stelle.

7.

Die Werbung.

Vier Tage waren nach jenem Abend in Mrs. Pitt's Hause verflossen, und heute oder spätestens morgen konnte ein Brief aus Bathurst zurück sein - aber ließ es sich auch denken, daß der Vater in der Zeit den Sohn schon aufgefunden hätte, wenn er wirklich noch irgendwo in den Bergen stecke? Die Mutter sorgte sich schon im Voraus vergeblich ab und wollte dem Sohne, wenn er endlich zurückkehrte, recht, recht bittere Vorwürfe über sein langes Schweigen und seinen herzlosen Leichtsinn machen.

Mrs. Pitt war mit Theresen in ihrer eigenen Stube, und Pauline hatte nach dem Luncheon das Parloux wieder aufgeräumt. Sie öffnete eben die Fenster nach dem Hofe und Garten zu, um die jetzt frische wehende Seebrise herein zu lassen, als die Thür aufging und William Holleck auf der Schwelle stand.

Ein Blick überzeugte ihn, daß Pauline allein sei, und mit leichten Schritten sich ihr nähernd, streckte er ihr die Hand entgegen und sagte freundlich:

„Heute hab' ich einmal das Glück, liebes Fräulein, und wenn Sie nicht gerade übermäßig beschäftigt sind, so muß ich Sie schon bitten, sich eine kleine Geschichte von mir erzählen zu lassen."

„Ah, Mr. Holleck," sagte Pauline, verlegen erröthend, während sie ihm aber doch ihre Hand reichte - „soll ich da nicht vielleicht die Mutter dazu rufen?" /67/

„Fürchten Sie sich, mit mir allein zu sein?"

„Nein," sagte das junge Mädchen lächelnd - „weshalb?"

„Schön, dann setzen Sie sich einmal in den breiten, bequemen Stuhl da - es hört sich noch einmal so gut in einem solchen Sessel zu, und gönnen Sie mir für wenige Minuten Gehör."

„Das sind ja gewaltige Vorbereitungen," flüsterte Pauline, und hätte in diesem Moment doch um ihr Leben gern die Mutter dazu gerufen. Aber sie nahm den ihr angewiesenen Platz ein, und Holleck, seinen Hut auf den Tisch stellend, setzte sich in den ihr gegenüberstehenden Stuhl und sagte:

„Und doch will ich keine unnöthigen Worte machen - seien Sie - mir nur nicht böse, wenn ich nur von mir selber rede."

„Und ist nicht das schon eine Vorrede?"

„Sie haben Recht - so hören Sie denn, Pauline. Sie wissen, daß ich mich viele Jahre lang in den Colonien nur eben habe durchbringen können und immer nicht vom Fleck kam, immer nur das verdienen konnte, was ich nothdürftig zum Leben brauchte. Das wäre nun eben nichts Außerordentliches gewesen, denn Tausenden von jungen Leuten geht es hier nicht anders, und sie müssen sich darein fügen. Mir aber nagte es am Herzen, denn - ich liebte ein junges Mädchen, die ich nur gewinnen konnte, wenn ich ihr eine gesicherte Existenz entgegenbrachte - bitte, unterbrechen Sie mich jetzt nicht, bis Sie - nicht wenigstens die Hauptsache erfahren haben.

„In England drüben besaß ich nun noch ein kleines Besitzthum, das ich nicht eher veräußern wollte, bis ich mir hier im australischen Leben die nöthigen Erfahrungen gesammelt hatte und das Capital dann auch mit sicherem Erfolg anlegen und verwerthen konnte. - Das ist jetzt geschehen. Wie Sie sehen, komme ich rasch zur Sache - ich schrieb nach Hause, um Alles, was ich dort besaß, zu Geld zu machen und mir die Wechsel hierher zu senden. Glücklicher Weise traf das Geld gerade in dem Moment hier ein, wo die Entdeckung des Goldes allen Geschäften einen fast fabelhaften Aufschwung gab. Die Aussicht auf eine zwar etwas gewagte, aber sonst treffliche Speculation bot sich mir gleich am ersten Tage - /68/ es war deshalb, daß ich in die Minen fuhr - ich reussirte4 darin, verdreifachte mein kleines Capital in der kurzen Zeit, und kann jetzt wohl sagen, daß ich der Zukunft sorgenfrei in's Auge sehen darf."

„Aber ich begreife nicht -" flüsterte Pauline - sie ahnte, auf was diese ganze Einleitung hinauslief, und ihr Herz fühlte sich dabei so beklommen - sie wußte selber kaum weshalb.

„Ich will keine langen Worte mehr machen, Pauline," fuhr aber Holleck fort, indem er von seinem Stuhl aufstand und auf sie zutrat. - „Ich habe Ihnen erzählt, daß ich jetzt mein Auskommen habe und eine Frau ernähren kann. - ich liebe Sie, Pauline - nur Sie, mit aller Leidenschaft, deren mein Herz fähig ist - ich bin kühn genug zu glauben, daß Sie mir auch ein klein wenig gut sind, denn so lange ich das Glück hatte, in Ihrer Nähe weilen zu dürfen, waren Sie ja immer so lieb und freundlich gegen mich - so beantworten Sie mir denn die einfache Frage, so einfach wie ich sie an Sie stelle: Wollen Sie mir erlauben, bei Ihren Eltern um Sie zu werben? - Wollen Sie mein Weib werden, Pauline?"

Das junge Mädchen war in der Erregung des Augenblicks todtenbleich geworden. Auch sie stand von ihrem Stuhl auf, aber sie war noch nicht im Stande zu antworten, und überließ ihre Hand fast willenlos dem leidenschaftlichen Druck des jungen Mannes. - Was konnte - was sollte sie ihm antworten? Mehrere Jahre schon hatte er ihr Haus als Freund ihres Bruders, ihres Vaters betreten; sie war fast gewöhnt worden, ihn wie mit zur Familie gehörig - wie als einen Bruder zu betrachten. Erst seit kurzer Zeit - seit jenem Tage selbst, wo er in diesem nämlichen Zimmer versucht hatte mit ihr zu sprechen, und damals unterbrochen worden war, stieg die Ueberzeugung in ihr auf, daß sie von William Holleck geliebt werde, und füllte ihr Herz mit einer ganz eigenen Unruhe und Bedrängnis, mit einer Unentschlossenheit, für die sie sich selber keine Ursache angeben konnte. Sie hatte nicht einmal den Muth gehabt, ihr Herz ernstlich zu befragen, was es thun, was lassen würde, bis in diesem Augenblick die Werbung des jungen Mannes sie ängstlich überraschte. Sollte sie ihn zurückweisen? - er war immer so freundlich und aufmerksam /69/ gegen sie gewesen, und wenn auch wohl Manches in seinem Charakter und ganzen Wesen lag, was in ihrer eigenen Seele nicht den rechten Wiederklang fand - konnte das als hinreichender Grund gelten, ihn so tief zu kränken?

Alle diese Gedanken durchkreuzten bunt und jäh in diesem Augenblick ihr Hirn und ließen sie kaum zu einem rechten Bewußtsein kommen.

„Und darf ich hoffen, Pauline, daß Sie mir nur ein klein wenig freundlich gesinnt sind?" drängte Holleck, dem ihre Unentschlossenheit nicht entgehen konnte.

„Oh, wenn Sie mir nur Zeit ließen," hauchte das junge Mädchen, „Sie haben - mich so überrascht - und ich weiß nicht -"

„Geben Sie mir nur eine leise Hoffnung, Pauline; lassen Sie mich nicht wieder allein und einsam in das Leben hinausziehen. Für was arbeiten wir denn hier, für was mühen wir uns ab und trotzen allen Beschwerden und Gefahren, wenn nicht deshalb, uns in dem halb wilden Lande eine eigene und feste Häuslichkeit zu gründen. Sehen Sie mir in's Auge, Pauline," bat er leise und legte seinen Arm um ihre Taille, „sehen Sie mir in's Auge, liebe, liebe Pauline und," fügte er leise und wie scheu hinzu, „glauben Sie mir, daß ich nichts auf der Welt habe, auf das ich noch hoffe, für das ich noch leben und wirken möchte, wie nur Sie - Sie allein, und ich, wenn ich Ihnen entsagen müßte, elend, bodenlos elend werden und in Verzweiflung untergehen müßte."

Er hatte die letzten Worte, wenn auch kaum hörbar, doch mit einer so furchtbaren Leidenschaftlichkeit gesprochen, daß Pauline wirklich erschreckt zu ihm aufschaute - und wie sein Auge glühte, wie seine ganze Gestalt bebte!

In dem Augenblick öffnete sich die Thür, und Mrs. Pitt, die mit der Kleinen in's Zimmer trat, blieb allerdings überrascht auf der Schwelle stehen, als sie die Gruppe bemerkte.

Pauline aber wand sich aus Holleck's Arm, und an der Mutter Brust fliegend, barg sie ihr Haupt an ihrer Schulter und flüsterte leise:

„Meine liebe, liebe Mutter -"

„Meine Pauline," rief die Mutter, denn eine eigene Angst /70/ überkam sie, das Gefühl, als ob ihr das Kind genommen, auf immer genommen werden sollte, und sie legte ihren Arm um sie und preßte sie fest, fest an sich.

„Mrs. Pitt," sagte da Holleck, indem er auf die Mutter Paulinens zuschritt und ihr offen in's Auge sah, „Sie haben uns überrascht - und will ich recht aufrichtig sein, etwas zu früh - früher wenigstens, als ich das süße Jawort von Paulinens Lippen hören konnte. So seien Sie denn jetzt mein Fürsprecher - legen Sie ein gut Wort für mich ein, Mrs. Pitt, und glauben Sie mir, daß Sie mich dadurch zum glücklichsten Menschen der Welt machen."

„Und was sagt meine Pauline dazu?" frug die Mutter mit weicher Stimme, indem sie, die Tochter unterstützend, mit ihr in die Mitte des Zimmers getreten war.

„Ich weiß es nicht, Mutter," flüsterte das Mädchen, ihren Kopf nur noch tiefer an der Mutter Schulter bergend - „viel zu rasch ist Alles gekommen, um ein Wort zu sprechen, das mich für mein ganzes Leben bindet. Laßt mir Zeit - laßt mir Zeit!"

„Ich will Sie nicht drängen Pauline," sagte Holleck, mit einem eigenen Zittern der Stimme, „nicht von dem ersten Augenblick verlangen, was Sie für das ganze Leben binden soll. Nur Eins sagen Sie mir - nur den einen Trost lassen Sie mir, bis Sie mein Geschick entscheiden - daß ich glauben darf, Sie - wären mir ein ganz klein wenig gut, und nicht wenigstens schon jetzt entschlossen, meine treue Werbung zurück zu weisen."

Pauline antwortete ihm nicht. Eine Weile noch blieb sie in derselben Stellung an der Mutter Schulter, dann streckte sie, aber ohne ihn anzusehen, die Hand nach ihm aus, die er ergriff und leidenschaftlich küßte.

„Oh Dank, tausend Dank!" rief er, „und bis morgen, übermorgen, wenn Sie wollen, will ich nun meinen Urtheilsspruch von Ihren Lippen mit Freuden erwarten."

„Das ist sehr liebenswürdig von Ihnen," sagte in dem Augenblick eine ruhige tiefe Stimme, und auf der Schwelle des Zimmers stand Mr. Pitt, noch in seinem bestäubten Rock, /71/ wie er eben unten im Hof vom Pferd gestiegen, und betrachtete mit ernstem Blick die Gruppe.

„Charles," rief seine Frau, sich rasch und erschreckt gegen ihn wendend. „Du schon zurück - und um Gottes willen, wie todtenbleich siehst Du aus - was ist geschehen? Mein Kind? was ist mit meinem Charley?"

„Beruhige Dich, liebes Herz," sagte Mr. Pitt, „ich bringe Dir keine schlechte Nachricht, wenn ich auch von dem Ritt ein wenig angegriffen aussehen mag. - Ich bin eine weite Strecke in einem Zug galoppirt und die Bewegung eben nicht mehr so recht gewöhnt. Guten Tag, Mr. Holleck. Wenn ich nicht irre, komme ich da eben zu einer Familienscene - wie? - Pauline in Thränen und sehr erregt. Die Mutter auch gerührt und Sie nicht im rothen Minerhemd - darf man da vielleicht gratuliren?"

Es lag in dem Ton, mit dem der sonst so gelassene Mann diese Worte sprach, eine so kalte, bittere Ironie, daß selbst Pauline davon betroffen wurde und überrascht, ja bestürzt zu ihm aufsah. Holleck am wenigsten war das veränderte Benehmen des sonst so gütigen und nur manchmal durch seine Geschäfte zerstreuten Mannes entgangen, und ein eigenes, un- behagliches Gefühl überkam ihn, das er vergebens zu bekämpfen suchte.

„Mein guter Mr. Pitt," sagte er - „ich habe heute gewagt -"

„Charles," fiel aber die Frau ein, „etwas muß geschehen sein, Du bist so sonderbar erregt - so hab' ich Dich kaum noch gesehen!"

„Die Geschäfte, liebes Kind, die Geschäfte," warf der Mann leicht hin und mit einer fast gewaltsam erzwungenen Fröhlichkeit. „Du glaubst gar nicht mehr, wie toll sie es jetzt da oben in den Minen treiben, und was für Mittel und Wege versucht werden, nur Gold, immer nur Gold zu gewinnen. Nicht wahr, Holleck, man muß da manchmal zu ganz sonderbaren Sachen seine Zuflucht nehmen, um das eine und einzige Ziel recht ordentlich und besonders recht rasch zu erreichen?"

„In der That, Mr. Pitt," sagte Holleck, und er mußte sich Mühe geben, dem nicht einmal fest auf ihm haftenden /72/ Blick des Mannes zu begegnen, „aber wenn man Glück und nur ein klein wenig Geschick hat -"

„Das war das rechte Wort, Holleck," rief Mr. Pitt rasch und heiser lachend, „Geschick - sagten Sie nicht so? - Geschick! Das ist das Zauberwort für den Geschäftsmann, und ein klein wenig Glück muß dann freilich dabei sein."

„Aber, Charles, wie bist Du nur heute?" rief Mrs. Pitt, die ihren Mann mit immer steigender Besorgniß betrachtet hatte. Ihr, die ihn so genau kannte, konnte nicht entgehen, daß etwas ganz Außergewöhnliches vorgegangen sein mußte, wenn sich alle ihre Gedanken auch nur noch immer auf den Sohn concentrirten - „bringst Du denn wirklich endlich Nachricht von ihm?"

„Ja" - nickte der Mann ihr freundlich zu - „sorge Dich nicht weiter, ich habe einen Brief."

„Einen Brief?" rief Holleck unwillkürlich aus.

„Nicht wahr, das wundert Sie auch, daß der Schlingel endlich einmal schreibt?" lachte der Kaufmann und suchte in der Brusttasche nach dem erwähnten - „ah, da ist er - aber was der Junge für eine Pfote schreibt - können Sie leicht schlechte Handschriften lesen, Holleck?"

„So ziemlich, wenn sie nicht zu unleserlich sind," erwiderte der junge Mann und fühlte, wie er, trotz der Gewalt die er sich anthat, erbleichte.

„Na, dann versuchen Sie einmal bei der da Ihr Glück," lachte Paulinens Vater, aber sein Lachen klang hohl und unnatürlich, und er reichte zugleich Holleck einen etwas zerdrückten, offenen Zettel, den dieser mit unruhiger Hand nahm und entfaltete. Sein Blick flog dabei scheu durch das Zimmer, aber Mr. Pitt stand vor ihm, und vor seinen Augen schwammen die Züge auf dem Blatte. Gewaltsam faßte er sich und las mit lauter Stimme:

„Der mich beraubte und verwundete, ist -" er schwieg, und entsetzt flog sein Blick zu der drohenden Gestalt vor ihm empor.

„William Holleck!" schrie da der Kaufmann mit donnernder Stimme, indem er einen Revolver aus seiner Tasche riß und spannte. „Schurke und Mörder!" /73/

„Heiliger, erbarmungsvoller Gott!" rief Mrs. Pitt, indem sie in Entsetzen die Hände faltete, „was ist geschehen?"

„Und Du - tausendfacher Bube," rief Mr. Pitt außer sich, „der Du Dich nicht gescheut, die meuchlerische Mordwaffe gegen den Freund zu heben - jetzt wagst Du auch noch in demselben Haus, das Deine Schurkenhand auf den Tod getroffen, um die Tochter zu werben? Nieder auf die Kniee, Canaille, oder beim ewigen Gott, ich besudele meine Hand mit Deinem Blut, das dem Henker gehört. Nieder auf die Kniee, Räuber und Mörder!"

Holleck hatte gefühlt, wie ihn seine Kräfte verließen, als der erste Verdacht seiner Entdeckung über ihn kam. Jetzt, der Mündung der Pistole gegenüber, als die Gefahr nicht mehr drohte, sondern in ihrer ganzen Furchtbarkeit über ihn hereingebrochen war, gewann er im Nu seine Geistesgegenwart wieder.

Er war entdeckt, und Flucht noch das Einzige, was ihn retten konnte.

„Papa! schieß hier nicht im Zimmer!" rief die kleine Therese, die erstaunt und erschreckt die heftigen Worte gehört hatte, ohne sie zu begreifen.

„Vater, um Gottes willen!" rief auch die Frau. Aber der sonst so ruhige Mann war außer sich.

„Zurück da!" rief er, indem er die Gattin rasch bei Seite schob - „zurück von mir! -"

Das war der letzte günstige Moment für den Verbrecher. Die Thür hatte Mr. Pitt verstellt, aber das Fenster nach dem kaum zwölf Fuß tiefer liegenden Hof stand offen. Mit einem verzweifelten Satz sprang Holleck darauf zu, und ehe der Vater nur recht wußte, was er eigentlich beabsichtigte, hatte er schon die Hand auf das Fensterbrett gelegt und schwang sich hinaus.

In dem nämlichen Moment drückte Mr. Pitt ab, und der Schuß dröhnte durch das Haus - Pulverrauch füllte die Stube, und als der Kaufmann nach dem Fenster sprang, erkannte er nur eben noch die Gestalt des Flüchtigen, der sich, ehe er zum zweiten Mal zielen konnte, hinter den Ställen jeder Gefahr entzog. Von dort floh er in und durch den /74/ Garten, und in dem Gewirr der kleinen, hinter diesem liegenden Gäßchen wäre eine Verfolgung unmöglich gewesen.

Pauline war neben der Mutter in die Kniee gesunken und Therese schreiend in ihre Arme geflüchtet. Mr. Pitt aber, wieder vollkommen gesammelt, stieg erst in den Hof hinunter, um vor allen Dingen danach zu sehen, ob er den Verbrecher vielleicht doch getroffen habe und Blutspuren ans dem Boden erkennen könne. Im Haus unten waren die Leute indessen ebenfalls zusammengelaufen, Mr. Pitt bedeutete sie aber, ruhig ihrer Arbeit nachzugehen, die gesuchten Zeichen fand er ebenfalls nicht - er hatte jedenfalls in der furchtbaren Aufregung gefehlt, und langsam schritt er wieder in das Zimmer zu den Seinen zurück.

„Ist er todt?" rief ihm hier, zitternd vor Angst, Mrs. Pitt entgegen, und Paulinens Blick haftete ängstlich an dem Vater.

„Er ist für diesmal noch seiner Strafe entwichen," sagte dieser ruhig, „und vielleicht - ist es auch besser so, daß ich dem Henker nicht vorgegriffen habe; aber daß er seiner Strafe nicht entgeht, das schwör' ich bei dem lebendigen Gott, dafür soll gesorgt werden."

„Und Charley - oh martere mich nicht länger! Etwas Furchtbares muß geschehen sein -" bat die Frau in Todesangst.

„Lebt und ist in der Besserung," sagte Mr. Pitt mit einem tiefen Seufzer, „Gott und den guten Menschen, die sich seiner angenommen, Dank dafür! - Jener Bube aber war dabei, als die Mail vor kurzer Zeit überfallen wurde, Charley hatte ihn unter den Räubern erkannt, und um nicht entdeckt zu werden, suchte er ihn zu tödten und - muß ihn auch wirklich todt und verschollen geglaubt haben, er hätte es sonst nie wagen können, diese Schwelle je wieder zu betreten, ja selber nur in Sidney, in Australien zu bleiben."

„Großer allmächtiger Gott! Und wo ist mein Kind, daß ich zu ihm, daß ich es pflegen kann?"

„So gut aufgehoben, wie im elterlichen Hause," beruhigte sie der Mann, „bei Mr. Sutton in English Bottom."

„Und kann ich zu ihm?"

„Ja,"sagte der Mann. „Der Arzt wollte zwar am ersten Tage dergleichen nicht gestatten, weil er von der Aufregung /75/ durch Dich Gefahr für den Leidenden fürchtete, aber gestern hatte sich die Besserung so entschieden eingestellt, daß er unsern Sohn jetzt bei gehöriger Vorsicht für außer jeder Gefahr hält. Wenn Du willst, kannst Du morgen schon aufbrechen."

„Morgen schon?" rief aber die Mutter mit tiefer Wehmuth, „und heute den ganzen Tag wolltest Du mich hier in Schmerz und Angst zurück und vergehen lassen?"

„Gut, so geh heute," sagte der Mann erweicht. „Ich werde Dir einen Wagen besorgen, und Pauline mein armes, armes Kind," unterbrach er sich rasch, als er einen Blick auf die Tochter warf und die bleiche, zitternde Gestalt der Jungfrau sah „hat Dir der Bube etwa das Leben vergiftet?"

„Nein Vater, nein," rief das Mädchen, sich an des Vaters Brust werfend. „Ein furchtbares Gewicht ist vielmehr von meiner Seele, ein Schleier von meinen Augen genommen. Ich fühle jetzt, daß ich den Elenden nie geliebt, und wenn ich mich hätte durch seine Bitten bewegen lassen, daß ich namenlos elend an seiner Seite geworden wäre."

„Gott sei dafür gepriesen," murmelte der Vater, ihre Stirn küssend, „dann ist das Unglück nicht so groß, und die Sonne wird wieder auf unsern Pfad scheinen, wenn uns auch jetzt Nacht, tiefe Nacht umgeben hat. Du magst mit Deiner Mutter reisen - das wird Dich zerstreuen; Theresen bring' ich dann beute Nachmittag zum Großvater hinaus, bei dem sie ein paar Tage bleiben kann. Der alte Mann hat es immer gewünscht. Ned mag Euch fahren, unsere beiden Braunen sind ausgeruht, die Tour wird ihnen nichts schaden, und unterwegs bei Ruffels soll er die Thiere wechseln, daß er Euch in einer Fahrt hinüber bringt. Seid Ihr das zufrieden?"

„Mein guter, lieber Charles!"

„Das wäre also abgemacht - grüßt mir den Jungen. Und nun - diesen Holleck darf ich nicht zu Athem kommen lassen, daher folge ich Euch erst morgen nach. Denn ich muß jetzt nach Bathurst, um allerlei, was uns durch des Buben Raub zerstört wurde, in Ordnung zu bringen. Auf dem Hinweg sprech' ich bei Euch vor."

Mr. Pitt war nicht der Mann, einen einmal gefaßten und beschlossenen Plan halb ausgeführt zu lassen. Eine Stunde /76/ später rollten die beiden Damen Georgestreet hinaus über Paramatta nach Sutton's Station, und Mr. Pitt selber, der indeß Theresen hinaus zu ihrem Großvater brachte, und damit den alten Mann ordentlich glücklich machte, erzählte diesem nur mit kurzen Umrissen das Vorgefallene, und eilte dann in die Stadt zurück, Mr. Beatty, den Polizeilieutenant, von dem Geschehenen in Kenntniß zu setzen und ihn auf die Fährte des flüchtigen Verbrechers zu bringen.

Zwei Stunden später suchten etwa zwanzig Polizeibeamte den ganzen District ab, in dem sich der Entflohene vielleicht bis zum Einbruch der Nacht verborgen haben konnte, und Boten wurden zugleich auf die Straße hinaus gesandt, die in die Minen führte, um dort ebenfalls auf ihn zu fahnden. Aber von William Holleck fanden sie keine Spur, weder in der Stadt noch unterwegs, und wie in den Boden hinein schien der Verbrecher verschwunden.

8.

In den Bergen.

Wie lange Zeit war es her, daß noch das wunderliche flüchtige Känguru in diesen Bergen umhersprang, und scheu aufhorchte, wenn ein dürres Blatt raschelte? Mußte es doch nach seinem fast eben so schlauen Feind, dem nackten Eingeborenen, umheräugen, der irgend einen benachbarten Gumbaum oder Wattelbusch zur Deckung benutzen konnte, an seine Beute anzuschleichen. Wie lange war es her, daß der listige Dingo oder wilde Hund noch durch diese Schluchten zog, und manchmal stehen blieb und erstaunt die Nase gegen den Wind hob, wenn ihm der leichte Luftzug die Witterung eines Menschen herüber brachte? - Dann kamen einzelne Heerdenbesitzer, die ihre Schafe in die Berge trieben, und Kängurus /77/ wie Dingos zogen sich vor den scharfen, langathmigen schottischen Windhunden zurück, die sie mitbrachten und rastlos damit den Wald durchstreiften.

Dann kam das Gold, und wo waren jetzt die Schafheerden selbst geblieben, die sonst hier Monate lang geweidet, ehe ein fremder Fuß ihren Frieden gestört hatte! Diese Höhenzüge bargen Gold, und von allen Seiten strömte das gierige Menschengeschlecht herbei; von allen Seiten drangen sie in Schlucht und Thalenge, über Hochebenen und breite Bergrücken mit Schaufel und Art, mit Flinten und Revolvern, und schrieen und knallten, und schüttelten das Geröll in ihren Waschmaschinen, daß der Urwald davon wiederdröhnte, und selbst die Schwärme kreischender Kakadus in ihrer ohrzerreißenden Melodie inne hielten und erstaunt dem Toben des noch viel geräuschvolleren Menschenvolkes horchten.

„In den Bergen lag Gold", das war das Zauberwort, das diese steinige Wildniß so plötzlich belebte, die klaren Bergwasser aufwühlte und Steine, die Jahrtausenden getrotzt, von ihren Grnndvesten brach und zu Thal rollte. In den Bergen lag Gold, und in öden trostlosen Schluchten, wo sonst an den dürftigen Gräsern nicht einmal ein einziges Schaf seinen Hunger hätte stillen können, stiegen jetzt Rindenhütten und Blockhäuser empor, und Lebensmittel und Delicatessen waren zu verkaufen, die Tausende vom Meilen über See herübergeschafft worden von Ost und West. - Wo noch nie, selbst nicht ein Lastthier, seine Spur dem Boden eingedrückt, da trieben jetzt schwer beladene Karren ihre Geleise über Quarzblock und Gumwurzel, und steile Bergwände wurden mit klingendem Instrument durchklopft und abgesucht, an denen sonst die Kängururatte und der lichtscheue Wombat nur allein in Sonnen- und Mondschein ihre Siesta gehalten und ihre Felsenwohnungen bis jetzt für unzugänglich geglaubt hatten.

Und was für ein wunderliches, geschäftiges Treiben das war unter der Schaar, die den Thalboden aufwühlte und die quarzbestreuten Hänge macadamisirte; wie das hämmerte und pochte und fluchte und lachte und keine Stunde dabei versäumte, als ob es gälte, das innerste Mark der Erde aufzugraben. Und nicht allein an den gewundenen Zügen der Bergwasser /78/ drängten sie sich, und dämmten und schöpften und suchten des Wassers soviel als möglich Herr zu werden, nein, in Felsenschlucht und Ritze hingen sie mit ihren Messern und spitzen Eisen, und schleppten Erde zu Thal unverdrossen, um die oben an irgend einem trockenen Hang ausgegrabene da unten zu waschen und zu prüfen.

Wo sich ein nur halbwegs reicher Platz gezeigt, wo irgend ein glückliches Menschenkind irgend ein großes Stück des edlen Metalls zu Tage gefördert hatte, und dadurch die Hoffnung entstand, daß der Boden noch mehr und reichere Schätze bergen könne, da wuchsen über Nacht ganze Städte von Zelten, Rindenhütten und Reisiglauben aus dem Boden. Verkaufsläden und professionirte Fleischer und Bäcker etablirten sich, eine Postoffice wurde errichtet, eine Polizeistation ward aufgethan, und nicht nach Tagen, nein nach Stunden war der Platz schon so mit allem Nöthigen versehen und in seinen Arbeitsplätzen eingetheilt, als ob hier eine Kolonie unter gewöhnlichen Umständen Monate, ja Jahre gehaust und gearbeitet hätte.

Ganz ausgezeichnet erwiesen sich dabei die Maßregeln, die der sehr umsichtige und vortreffliche Gouverneur Australiens, Sir Charles Fitz Roy5, nicht allein zum Besten der Arbeiter, nein auch um dem Staat ein festes und reiches Einkommen zu sichern, getroffen hatte. Polizeimannschaft war augenblicklich, wie nur der Reichthum der Minen erst einmal erwiesen worden, an die Haupt-Arbeitsstationen nach Macquaire-River6 und Summerhill-Creek gesandt, um von jedem Arbeiter eine monatliche License von dreißig Shilling zu erheben, und zugleich wurden alle Trink- und Spielzelte in den Bergen streng verboten, denn man war der guten Gesinnung der Mehrzahl australischer Arbeiter vollkommen sicher, und konnte die Bös- gewillten leicht mit einer verhältnißmäßig sehr kleinen Macht in Zaum und Banden halten, so lange sie eben nüchtern blieben. Aber nicht die fünfzigfache hätte genügt, wenn das Volk, von dem plötzlichen und reichen Gewinn schwindlig gemacht, seinem alten Hang zum Trinken in irgend einem Zelt Genüge leisten konnte und alle seine Laster und bösen Eigenschaften dann entfesselt hätte. /79/

Daß nicht doch in einzelnen Zelten heimlich Branntwein verkauft, oder hier und da ein Hazardspiel getrieben wurde, ließ sich natürlich nicht verhindern. Wer hätte eine solche Ueberwachung fordern wollen, die selbst das unmöglich machte? Bringt etwas Aehnliches ja nicht einmal einer unserer Muster-Polizeistaaten in seinen regulirtesten Verhältnissen fertig! Aber der eigentlichen Gefahr, die durch Erlaubniß oder auch nur Duldung öffentlicher Kneipen drohte, war die Spitze abgebrochen, und die einzelnen Uebertretungen blieben ohne Folgen.

Im Anfang liefen die meisten Goldgräber einzeln herum, weil Jeder hoffte, einen reichen Fund zu thun, den er dann mit keinem Mitarbeiter zu theilen brauchte. Gar bald aber stellten sich die Nachtheile eines solchen Verfahrens heraus, denn wenn die Leute drei, vier Tage zwischen den Steinen herumgestochert und gar nichts gefunden hatten, und dann doch zuletzt auf die Erdarbeiten angewiesen wurden, fanden sie rasch, daß sie allein und vereinzelt da nur wenig ausrichten und höchst langsam vorrücken konnten, und von da an gingen sie entweder zu Paaren oder vereinigten sich wohl auch gar zu kleinen Compagnien, die hier und da den Bergstrom abdämmten und in seinem Bett den reichen Goldsegen zu finden hofften.

Und was für eine wunderliche Mischung der Gesellschaft fand da oben statt; wie hatte das Gold, das unten in dem civilisirten Land gerade die verschiedenen Schichten des Menschengeschlechts so ängstlich von einander trennt, hier, wo man es an der Quelle suchte, alle Stände und Kasten so ängstlich nivellirt und jeden Rangunterschied fast zerstört und aufgehoben! Hier grub der sonngebräunte, rauhhändige Sohn der Arbeit, der alte Convict, der ein Verbrechen und seine Strafen hinter sich hatte, und von Jugend auf zu schwerem Schaffen und Mühen verurtheilt gewesen, nicht eifriger in dem harten Boden, wie neben ihm der zierliche Städter, der selbst jetzt noch seine Glacéhandschuhe in der Reisetasche trug, und das rauhe Gestein mit Brille und Lorgnette vorher ängstlich und sorgfältig betrachtete. - Advocaten und Kaufleute standen neben Schäfern und Hutkeepern, der Matrose des einen Schiffes neben Capitain /807 und Steuermann eines andern, und nur wer den reichsten Fund machte, war der Beneidete und Angesehenste, und die Anderen, was auch ihre sonstige Stellung im bürgerlichen Leben draußen sein mochte, schlichen scheu und still einher.

Wo aber auch hier und da ein Goldwäscher saß, die Pfanne und Spitzhacke zu seinen Füßen, den Kopf mißmuthig in die Hand gestützt und mit grollendem Herzen überlegend, daß er ein ganzes kleines Capital zu seiner Ausrüstung gebraucht, und jetzt schon vier oder fünf Tage ohne den geringsten Erfolg der ungewohnten Arbeit obgelegen, da zogen zwanzig und dreißig frische Herzen mit goldigen Hoffnungen in die Berge ein, richteten sich ihr einfaches Lager her und gingen jubelnd an die Arbeit. - Was kümmerte sie der Einzelne, der mürrisch und verzagt zwischen ihnen saß - er hatte eben kein Glück, und was er nicht gefunden, war ihnen vielleicht aufgehoben.

Wie aber nur die ersten, von dem Entdecker bezeichneten Stellen in Angriff genommen waren, zerstreuten sich besonders die Leute, die nicht nach den ersten zwei Tagen schon einen reichen Erfolg gehabt, über die benachbarten Thaleinschnitte, und die Ophir-Diggings wie der Turon wurden fast unmittelbar nach dem Summerhill-Creek und dem Macquarie-River in Angriff genommen und als außerordentlich reich befunden. Sowie aber nur solch ein neuer Name genannt wurde, lenkten sich immer gleich ganze Züge frisch Eintreffender dorthin, und nicht allein auf Lastthieren und mit Karren rückten die Miner in dem neuesten Eldorado ein, sondern paarweise sah man sie auch oft, ihre wenigen Habseligkeiten auf einer roh genug hergestellten Tragbahre schleppend, gleich den nächsten Weg über die Hügelrücken einschlagen, oder auch von der Richtung ab in irgend einer noch öden Felsspalte einkauern, um hier die Gegend vor der Hand zu exploriren und vielleicht im Stillen selber auf irgendwo eingestreute reiche Schätze zu stoßen.

Das Letztere thaten sie auch gar nicht selten, um der lästigen polizeilichen Erhebung von dreißig Shilling aus dem Wege zu gehen, der sie doch nicht offen entgegentreten konnten. Viele, ja fast Alle hätten den geringen Betrag mit Leichtigkeit zahlen können, aber - es war eine Steuer, und es liegt dem /81/ Volke nun einmal im Blut, derartigen Auflagen auszuweichen, wo es nur immer irgend möglich ist. - Die Polizei war auch nicht so überstreng, oder hatte vielmehr nicht so zahlreiche Mannschaft, um allen den weithin zerstreuten Trupps folgen zu können. Nur wo sich eine kleine Niederlassung, und hätte sie allein aus zehn oder zwölf Zelten bestanden, bildete, da erschien auch sicherlich der Commissär zwischen den überraschten Goldgräbern und bat sich ganz entschieden die Taxe aus, nach deren Bezahlung und mit deren Schein in der Tasche der Miner erst das Recht gewann, das etwa gefundene Gold auch als sein Eigenthum zu betrachten.

An einem von diesen Hängen hin, und zwar den Wassern des kaum erst in Angriff genommenen Turon zu, wand sich ein kleiner Zug von Goldwäschern, die mit ihren gleichfarbigen, brennend rothen Minerhemden und sämmtlich mit neuen Wasserstiefeln und neuen Hüten auf den ersten Blick schon die eben in Sidney ausgerüstete Compagnie verriethen. Langsam folgte ihnen das etwas schwerfällige und hochbeladene Fuhrwerk, und die Leute schienen sich nicht nur für den Augenblick hier in den Minen einrichten zu wollen, wenn man alles das betrachtete, was sie auf dem Wagen mit sich führten. Oder wollten sie vielleicht gar da oben einen Laden aufrichten? Zwei der Begleiter sahen in der That so aus, als ob sie zu einer solchen Beschäftigung besser passen würden, wie zu den schweren Handwerkszeugen, die sie trotzdem mit heraufgebracht. Die wollenen Hemden waren auf das Zierlichste gemacht und mit gelber Seide vorn ausgenäht, die Wasserstiefeln vom feinsten und weichsten Kalbleder, und die erhitzten Stirnen trockneten sie sich mit Batist-Taschentüchern.

Weit besser dagegen paßte der Dritte des kleinen Zuges m den Mineranzng, der sein wetterbraunes markirtes Gesicht auch forschend nach allen Seiten drehte, während er - die Hände bequem in den Taschen seines Pea-Jackets - hinter dem Wagen herschlenderte.

Er gehörte, ohne den geringsten Zweifel, zu der Klasse von Australiern, die „keine Passage bezahlt hatten", wie das Sprüchwort lautete, und ließ nun, mit einem an Erfahrungen sehr reichen Leben hinter sich, die Welt eben an sich kommen. /82/

Merkwürdig stach gegen ihn der vierte Wanderer ab, der, reichlich um einen Kopf kleiner wie er, von dünner, schmächtiger Statur, in die Wasserstiefeln aus Versehen hineingefallen schien und fortwährend vergebliche Sprünge machte, um wieder hinaus zu kommen. Er hinkte dabei etwas; das verhinderte ihn aber nicht, in seiner jedenfalls höchst ungewohnten Fußbekleidung den beladenen Wagen unaufhörlich zu umhüpfen, und bald in höchst mittelmäßigem Englisch mit dem Ochsentreiber, bald im Gespräch mit seinem „Kameraden hinter dem Wagen" gegen die rauhe Behandlung der durcheinander geschüttelten Ladung zu protestiren. Weder vom Einen noch von dem Andern bekam er aber mehr eine Antwort, denn da er es fünf Tage auf genau dieselbe Weise getrieben, waren sie es endlich Beide müde geworden, auf die ihnen überdies noch unverständlichen Ermahnungen zu erwidern. Der hinter dem Wagen Gehende

- es war unser alter Bekannter aus dem Gefängniß, Smith, - und der Ochsentreiber theilten sich nur manchmal, wenn der kleine Zachäus vor den Stieren herumhüpfte, ihre Bemerkungen gegenseitig mit. - Die Beiden schienen überhaupt alte Bekannte von früher her, wenn auch Keiner von ihnen auch nur eine Silbe von ould lang syne erwähnte. Das war eben ould lang syne und abgethan und vergessen, und die neue Zeit nahm ihre Aufmerksamkeit auch viel zu sehr in Anspruch.

„A rum cove," sagte der Ochsentreiber in der Slangsprache dieser Art Leute kopfschüttelnd zu dem alten Schäfer - „was der hier wohl in Australien will, und - daß sie ihn noch nicht gerupft haben."

„Ist den Ordentlichen noch nicht unter die Hände gekommen, Mate," erwiderte sein Kamerad und sah den Begleiter dabei mit einem so trocken-drolligen Blick von der Seite an, daß dieser laut auflachte.

Gerade hier machte der Hang eine Biegung, die durch ein vorspringendes Felsstück hervorgerufen wurde. Die Wagen mußten sich eben, so gut es anging, um dieses herum ihre Bahn suchen. Aber auch selbst dieser Felsen schien nicht unbelebt, denn oben darauf, die Beine nach außen hängend, und wie vom Marsch ermüdet, lehnte die Gestalt eines Miners /83/in grauer Jacke und Hose, einen alten, arg mitgenommenen Filzhut halb in das Gesicht hineingezogen.

Der Mann mochte vielleicht seine vierunddreißig bis sechsunddreißig Jahre zählen, aber der krause schwarze Bart mit den darüber noch dazu durch den Hut beschatteten blitzenden Augen gaben der ganzen Gestalt etwas Finsteres, ja Drohendes. Es sah fast aus, als ob er, wie ein Panther, da oben auf unten Vorbeigehende lauere und ihnen bei günstiger Gelegenheit auf den Nacken springen würde.

Sein Blick musterte auch scharf die Vorüberziehenden und haftete dann einen Moment auf dem alten Schäfer. Dieser aber, der nur flüchtig zu ihm aufgesehen hatte, drehte den Kopf halb von ihm ab, hob dann den Finger und rieb sich den rechten Nasenflügel.

Der Ochsentreiber, der gerade hier mit seinen Thieren zu thun hatte, mußte nach vorn springen, um sie in der richtigen Bahn zu halten. Jetzt war das geschehen, und er kam wieder zurück und sagte halblaut zu Smith:

„Kanntest Du den?"

„Wen?"

„Den auf dem Stein."

Der alte Schäfer schüttelte einfach mit dem Kopf. „Kennst Du ihn?" sagte er nach kleiner Pause.

„Gott bewahre," erwidert der Treiber mit einem flüchtigen, fast wie forschenden Blick auf seinen Begleiter, und das Gespräch zwischen den Beiden schien damit vollkommen abgebrochen, denn Jeder hatte augenscheinlich zu viel mit seinen eigenen Gedanken zu thun. Es dauerte auch von jetzt nicht mehr lange, so erreichten sie den letzten Hügelrücken, von wo ab der Weg direct nach dem Turon-River hinunterführte. Schon konnten sie unten im Thal dem Lauf des gewundenen Flusses mit den Augen folgen, und die dunkeln Kasuarinen erkennen, die, ganz ungleich den übrigen Waldbäumen, an seinen Ufern standen.

Das Geschirr wurde eingehemmt, Zachäus war wieder außer sich vor Angst, daß seiner Maschine etwas passiren könnte - der Treiber stieß die gotteslästerlichsten Flüche aus, um seine Thiere in Respect und Gehorsam zu halten, und /84/ zehn Minuten später etwa hielt der Wagen unfern der Mündung des Oak-Creek auf einer kleinen offenen Fläche, auf der man beschloß, für die Nacht Halt zu machen und von hier aus die weiteren Operationen zu bereden.

Ein paar Stunden vergingen jetzt damit, die Zelte aufzuschlagen, ein Feuer anzuzünden und das Abendbrod zu bereiten, wobei Smith und der Ochsentreiber die einzige wirkliche Arbeit verrichteten. Die anderen drei Miner waren in Allem, was das Buschleben betraf, so vollständig unpraktisch, daß sie selbst mit ihren Dienstleistungen nur störten, und auch bald von den Beiden gründlich beseitigt wurden. Zachäus untersuchte dann seine Maschine, die mit den vielen feinen Schrauben und Rädern allerdings auf dem rauhen Wege so hergerichtet schien, daß sie einer gründlichen Reparatur bedurfte. Aber was half sein Klagen und Jammern; sie mußte eben wieder ausgebessert werden. Während nun der Ochsentreiber, wenn er selber etwas zu essen haben wollte, Kochdienste verrichten mußte, stieg Smith, die Hände in den Taschen, wieder langsam auf den Hang hinauf, von dem sie vor kurzer Zeit erst mit ihrem Geschirr heruntergekommen waren.

Dort auf dem Stein saß noch jener wunderliche Gesell, den sie vorher passirt hatten - es war fast, als ob er auf Jemanden gewartet hätte. Erst als er den Schäfer auf sich zukommen und für den Augenblick kein weiteres menschliches Wesen in der Nähe sah, stieg er von seinem erhöhten Sitz herab und blieb dann unten an dem Felsenblock stehen, bis Jener herankam.

„Hallo, Jack," sagte Smith, als er dem jedenfalls Gesuchten gegenüber stand - „auch in den Minen?"

„Hm," meinte der Fremde mit einem eigenen forschenden Lächeln, „das könnte ich Dich weit eher fragen, Mate, denn wie ich zuletzt in der City war, hatten sie Dich hinter einer Verzierung von Eisenstäben und brachten Dir Dein Futter in einem irdenen Napf."

„Hm," sagte Smith und schob die Hände noch viel tiefer in die Taschen, „das ist besseren Leuten schon ebenso gegangen."

„Bitt' um Entschuldigung, Mate, wenn Dir die Er/85/innerung fatal war," lächelte der Fremde - „aber wen bringst Du da mit in die Minen?"

„Eine Ladung Grüner," sagte Smith trocken.

„Festes Engagement?"

Der alte Schäfer warf dem Andern wieder einen jener drolligen und verschmitzten Seitenblicke zu und sagte dann:

„Ganz fest, auf dreißig Tage gebunden als Goldsucher."

„Hm," sagte Jack, „schade - hätte Dich wahrscheinlich in diesen Tagen einmal zu einem kleinen Spaziergang einladen mögen."

„Da müßtest Du aber bald kommen," meinte Smith trocken, „sonst könntest Du mich am Ende nicht mehr zu Hause treffen."

„Ah so! - na gut denn. Bleibt Ihr jetzt hier?"

„Vor der Hand; kommt wenigstens ganz auf Euch an, und wo seid Ihr zu finden?"

„An der Fork."

„Schön — good bye Jack," sagte der Schäfer, drehte sich um und stieg wieder zu Thal hinab.

*

Von Hafften war indessen mit seiner neuen Bekanntschaft bis Bathurst marschirt, wo sie zusammen in Mrs. Black's Gasthaus einkehrten, hier aber von dem Begleiter getrennt worden, denn ein solcher Menschenschwarm durchwogte die Räume, ja die ganze Stadt, und jedes Einzelnen Interesse war so sehr und fortwährend durch die neuen, immer fabelhafter klingenden Goldberichte in Anspruch genommen, daß ein festeres Band dazu gehört hätte, zwei Personen mit einander in Verbindung zu halten, als eine flüchtige Bekanntschaft auf der Straße.

Hafften selber hörte hier zuerst von den soeben entdeckten und reich befundenen Minen am Turon, und da er noch an dem nämlichen Abend eine Gelegenheit fand, sein Gepäck dorthin zu senden, benutzte er dieselbe und wanderte wieder zu Fuß mit seinen neuen Begleitern neben dem Wagen her. War es ja doch überhaupt nur reine Glückssache, welchen Ort /86/ man gerade zu seinen nächsten Arbeiten wählte, und von Hafften lag viel mehr daran, das Leben und Treiben in diesen Minen kennen zu lernen, als wirklich selber ausdauernd nach Gold zu graben.

Und eine bunter gemischte Gesellschaft hätte er wahrlich selbst in Californien kaum finden können, als sie ihm hier auf diesem kurzen Marsch geboten wurde, denn Engländer, Deutsche und Franzosen schwatzten und lachten wild durcheinander, und der beste Geist schien die kleine Schaar zu beleben - und doch wie verschieden war es auch wieder von Californien, wo das spanische Element, das hier gänzlich fehlte, überall vortrat, und der Amerikaner allein regierte.

Spanische Abkömmlinge hatten sich hierher noch wenig oder gar nicht verloren, aber wenn so, würde man ihnen nicht das Geringste in den Weg gelegt haben, eben so wenig wie einem Deutschen oder Franzosen. Die erbittertste Stimmung aber herrschte, wenn das Gespräch diesen Gegenstand berührte, gegen die Amerikaner, da gerade das vigilance committee in Californien seine Thätigkeit begonnen und einer Anzahl von Australien herübergekommener Engländer arg mitgespielt hatte. Wo sich deshalb wirklich Amerikaner unter dem Englisch redenden Theil der Bevölkerung fanden, machten sie mit ihrer Nationalität keinen Staat, und vermieden Alles, was eine Entdeckung derselben hätte herbeiführen können.

Am Turon nahm aber, wie bei allen Wanderern, die Sorge für ein Nachtlager ihre erste Arbeit gleich in Anspruch. Vor allen Dingen mußten die verschiedenen Zelte aufgeschlagen und ein Kochherd, oder wenigstens Feuerplatz hergerichtet werden. Holz gab es damals, und bei der ersten Besiedelung des Platzes, noch genug, Provisionen waren reichlich vorhanden, und wie sich die Sonne hinter die ziemlich hohen Hügelrücken senkte, lagen die Männer schon um ihre Feuer ausgestreckt lachend und plaudernd zusammen, und träumten und phantasierten von goldenen Schätzen, die vielleicht selbst unter ihrer Lagerstätte die reichen Adern ausstreckten und nur auf Spitzhacke und Schaufel warteten, um sich geduldig der Pfanne zu überliefern.

Und was das jetzt für ein reges Leben an dem sonst so /87/ stillen, ja öden Bergstrom war, und wie die dunkeln Kasuarinen staunen mochten, als Schwarm nach Schwarm des gierigen Menschenvolkes in das Thal strömte und die klare Fluth in flüssigen Lehm verwandelte. - Die Schätze des Turon waren verrathen, und immer neue Schaaren drängten herbei, noch irgend wo am Ufer einen kleinen und freien Platz zu finden, wo sie sich einhacken konnten.

Wie das da unten am Wasser mit den Maschinen rasselte! Vor drei Tagen waren noch keine zehn Menschen an dem ganzen Wasserlauf gewesen, jetzt standen schon einige fünfzig Zelte, und nicht zehn Schritt weit von einander wühlten sich die verschiedenen Compagnien und Partien in den Lehmboden.

Und was für brillante Geschäfte die Verkaufszelte machten, wie die Händler - eine Menge deutscher Juden zwischen ihnen - ihre Waarenballen auspackten und legten, und dabei zugleich - immer nur für Goldstaub statt klingender Münze - so lustig verkauften!

Auch hierbei zeigte sich mit Californien ein gewaltiger Unterschied, und das Menschengeschlecht schien hier schlauer und gieriger als dort. In Californien nämlich wurde alles Gold für vollen Werth und voll Gewicht genommen, ob es Quarzstücke enthielt oder nicht, ja einzelne sehr hübsch mit Quarz durchwachsene, sogenannte specimans, wohl noch theurer als ihr Gewicht verkauft. Hier in Australien war das nicht der Fall. Die meisten Händler brachten sich schon einen kleinen Ambos mit in die-Minen, oder wo sie den nicht hatten, versah dessen Stelle ein großer Stein. Aber auf diesem wurde auch jedes Stück, das nur die unbedeutendste Quarzspur zeigte, erbarmungslos geklopft und gehämmert, bis alles Unedle hinaus und damit auch eine Menge von Goldsplittern mit fortgespritzt war. Dann erst legte es der Händler auf die Wage.

Und zwischen all den arbeitenden, thätigen Menschen ritt, oft allein, oft von einem Polizeisoldaten begleitet, der Kommissär, der den Preis für die auszugebende „License" einzu- kassiren hatte. Langsam suchte er das ganze Flußufer ab, bald an dieser, bald an jener Seite, und Mann für Mann /88/ mußte seine dreißig Shilling bezahlen und bekam dafür von ihm einen gewissen, meist nur sehr beschränkten Raum garantirt, auf dem er dann ungehindert arbeiten konnte. Offene Widersetzlichkeit fand auch nirgends gegen ihn statt, und Mr. Green, wie der Commissär hieß, erfüllte seine Pflicht mit so vielem Tact und, wo es Noth that, auch mit Energie, daß er sich immer freundlich mit den Minern stellte.

So wenig Mannschaft er aber auch selber zu gebrauchen schien, so allmälig wurde die Polizeitruppe doch da oben verstärkt, denn eines Theils war Alles noch zu neu, um gleich von vornherein zu wissen, wie sich eine Masse dort zusammengeströmter früherer Sträflinge, der Verführung des Goldes gegenüber, benehmen würde, und dann bedurfte man auch einer Anzahl von Polizeisoldaten, um die Gouvernementskasse und das Postzelt zu überwachen, wie ebenso die abgehenden Sendungen, ja selbst den Postwagen nach Sidney zu begleiten. Der letzte Ueberfall war zu frech und glücklich ausgeführt worden, und die Verführung wurde jetzt, wo eine Anzahl von Händlern stets ziemliche Summen an Waschgold der Hauptstadt zutrugen, natürlich mit jedem Tage stärker.

Außerdem hatte aber auch die Regierung angezeigt, daß sie, für gewisse Procente, die Garantie für Goldsendungen nach Sidney übernähme, und eine solche Escorte sollte nächstens nach der Hauptstadt zurückgehen. Natürlich mußte sie gerade besonders stark überwacht werden, denn bei einem solchen Goldtransport wäre die Lockung für all' jene wilden, in den Minen zerstreuten Charaktere doch sonst ein wenig zu stark gewesen. Eine Anzahl Bewaffneter aber brauchte nicht zu fürchten, daß man ihr die Spitze bieten würde.

Dadurch war eine gewisse Sicherheit in die Minen gekommen, mochten sie so entfernt von dem gewöhnlichen Verkehr liegen wie sie wollten, und jene lockeren Charaktere, deren es freilich genug und übergenug in den Bergen gab, getrauten sich noch nicht mit ihrem alten Handwerk heraus, oder waren auch vielleicht selber im Anfang neugierig, was für Glück sie bei ehrlichem Goldwäschen haben würden - den Versuch schien es immer werth. Thatsache ist, daß gerade in der ersten Zeit und in den ersten Wochen in all' den Bergen kein einziger /89/ Raubanfall oder selbst nur Diebstahl zu den Ohren der Polizei kam und verfolgt werden mußte. Es schien fast, als ob die „australischen Convicts" den Yankees da drüben in Californien beweisen wollten, daß sie den Namen keineswegs verdienten, den ihnen diese gegeben, und unter dem sich die Amerikaner auch die Freiheit genommen hatten, eine Anzahl Australier aufzuhängen.

9.

Die „English Bottom"-Station.

Vollkommen unberührt fast von dem bewegten Treiben um sie her, lag indessen Mr. Sutton's Station, denn die Schenke am Wege hatte sich, wie der endlose Zug der Miner in die Berge begann, rasch in einen kleinen Kram- und Provisionsladen verwandelt, in dem die Wanderer Alles, was sie auf dem Wege brauchten, bekommen konnten, und diese waren in viel zu großer Eile, um einen Abstecher nach einem abseits gelegenen Punkt zu machen.

Allerdings hatte Mr. Sutton ebenfalls mit der allgemeinen Noth zu kämpfen, was seine Leute nämlich betraf, denn von diesen ging ihm natürlich ein großer Theil durch und in die Minen, trotzdem daß sie gerade an diesem Platz vielleicht besser behandelt und genährt wurden, als auf irgend einer Stelle des weiten Landes. Aber die Leute konnten einmal der unausgesetzten Versuchung, da oben in kurzer Zeit reich zu werden, nicht widerstehen, und Mr. Sutton, der darauf gefaßt gewesen, schränkte sich soviel das angehen wollte ein, und verkaufte besonders an Schlachtvieh, was er irgend verkaufen konnte, um der Ueberwachung desselben vor der Hand enthoben zu sein. War der erste Rausch verflogen, so wußte er recht gut, daß er, wenn nicht seine eigenen, doch Leute genug zurückbekam, /90/ die bis dahin liegen gebliebenen Arbeiten wieder mit dem alten Ernst und Eifer aufzunehmen.

Dem Verwundeten, der sich jetzt außer aller Gefahr befand und nur noch der Ruhe bedurfte, um in einigen Wochen wieder vollkommen hergestellt zu sein, fehlte es deshalb nicht an der nöthigen Pflege, denn seine Mutter und Schwester wachten abwechselnd an seinem Lager, und die Familie selber war oft Stunden lang bei ihm drüben, um ihm die langsam dahin schwindende Zeit vertreiben zu helfen.

Die aber, die ihn gerade bis jetzt mit der aufopferndsten Sorgfalt und Freundlichkeit, unermüdet in ihren übernommenen Pflichten, gepflegt und über ihn gewacht hatte - Gertrud - ließ sich, als seine Mutter eingetroffen war und der Arzt jede Gefahr für beseitigt erklärt hatte, nicht mehr bei ihm sehen.

Sie duldete allerdings nicht, daß ihm etwas fehle, sie bereitete wie früher seinen Trank, sie kochte für ihn wie früher selber die vorgeschriebene Suppe, aber andere Hände als die ihrigen

trugen die Labung an sein Lager, und es war ordentlich, als ob sie es ängstlich vermied, in seine Nähe zu kommen.

Und doch suchte sie der Kranke, und nie öffnete sich die Thür, ohne daß nicht sein Blick rasch dorthin geflogen wäre, immer in der Erwartung, die Langvermißte endlich wieder zu sehen - aber immer und immer wieder getäuscht.

Sein Vater kam endlich, um Mutter und Tochter wieder abzuholen, denn er wollte nicht, daß sie der Sutton'schen Familie so lange zur Last lägen, wenn auch Mr. und Mrs. Sutton selber gegen ihre Abreise protestirten. Ueber Charles' Befinden konnten sie außer Sorge sein, denn wenn ihn der Arzt auch jetzt noch nicht transportirt haben wollte, gab er ihnen doch das feste Versprechen, daß er in spätens acht oder zehn Tagen mit einem bequemen Wagen recht gut nach Sidney geschafft werden könnte. Damit mußten sie sich begnügen, und am andern Morgen nach dem Frühstück kehrten Pitts nach Sidney zurück und überließen den Sohn noch für eine andere Woche der Gastfreundschaft dieser guten Menschen.

Charles konnte aber jetzt schon ganz als Reconvalescent betrachtet und seine Wartung einem jungen Burschen überlassen werden, den Mr. Sutton einst als Waise in sein Haus ge/91/nommen und aufgezogen hatte. Ueber Tag war er meistentheils mit im Familienzimmer, und Mrs. Sutton wie Rebekka, die den jungen Menschen lange seines stillen freundlichen Wesens wegen lieb gewonnen hatten, suchten dann Alles hervor, ihm die Zeit so angenehm als möglich zu vertreiben. Rebekka besonders saß oft Stunden lang bei ihm und las ihm vor, und er lehnte dann neben ihr in dem bequemen Polsterstuhl und schaute träumend auf die fernen Berge hinaus, in denen das gierige Menschenvolk nach Gold wühlte.

Gertrud hatte er seit der Zeit schon oft wieder gesehen, aber immer nur bei Tisch, in Gegenwart der Familie; selbst Abends kam sie nie herüber, sondern blieb immer auf ihrer eigenen Stube, wo sie auch mit den Wirthschaftsbüchern viel beschäftigt war.

So vergingen wieder fünf Tage, und die Sutton'sche Familie hatte eine Einladung nach einer andern Station bekommen, wo die Hochzeit der Tochter mit einem jungen Engländer gefeiert werden sollte. Charles war indessen so weit genesen, daß Mrs. Sutton sogar den Vorschlag gemacht hatte, ihn mitzunehmen, denn sie hatten kaum eine halbe Stunde zu fahren. Mr. Sutton litt das aber nicht; eine solche Anstrengung konnte üble Folgen haben, und da seine Rückkehr nach Sidney für die nächsten Tage festgesetzt war, durften sie nichts thun, was dieselbe hätte verzögern können. - Mrs. Pitt würde sich dann nur wieder geängstigt und gesorgt haben.

Nachmittags um drei Uhr fuhren sie fort, und Charles blieb allein in der Wohnstube der Familie zurück.

Nachmittags um vier Uhr kam gewöhnlich der jetzt regelmäßig fahrende Postwagen von Sidney dort vorbei, und Henry - Charles kleiner Wärter - ging dann jedesmal nach der Wegschenke hinüber, um die für Englisch Bottom eingelaufenen Briefe abzuholen. Er hatte auch heute seine Zeit eingehalten und die Station etwa zehn Minuten verlassen, als die Thür aufging und Gertrud hereinkam, einen Schlüssel zu holen. Sie schrak augenscheinlich zurück, als sie Charles allein sah; was aber auch ihr erstes Gefühl gewesen, zurück konnte sie nicht mehr, und die Thür hinter sich zuziehend, grüßte sie den /92/ jungen Mann freundlich und ging dann zu dem Schlüsselbrett, um das Nöthige dort zu holen.

„Gertrud," sagte Charles, über dessen Antlitz eine fliegende Röthe zuckte und dem die Bewegung des Mädchens beim ersten Betreten des Zimmers nicht entgangen war - „was habe ich Ihnen gethan, daß Sie, die mich so treulich in der schweren Zeit gepflegt, mich jetzt so ängstlich vermeiden und kaum einen Gruß, kaum einen Blick mehr für mich finden? Habe ich Sie durch irgend etwas gekränkt? - Guter Gott, es ist dann wahrlich unwissentlich geschehen, denn wem wäre ich zu größerem Dank verpflichtet, wie gerade Ihnen - und doch haben Sie mir noch nicht ein einzig Mal Gelegenheit gegeben, ihn auch nur auszusprechen."

„Sie haben mich durch nichts gekränkt, Mr. Pitt," lautete die leise, fast scheue Antwort des Mädchens, „aber da ich Ihre Pflege jetzt in besseren Händen wußte -"

„In besseren Händen, Gertrud?"

„So konnte ich Sie denen mit voller Ruhe überlassen. Sie - wissen außerdem, daß meine Stellung hier im Hause eine untergeordnete ist."

„Weichen Sie mir nicht aus, Gertrud," sagte Charles, indem er aufstand, auf sie zuging und ihre Hand zu ergreifen suchte, die sie ihm aber entzog. „Etwas Anderes hat sich zwischen uns gestellt, und ich habe die ganze Zeit das drückende Gefühl mit mir herumgetragen, daß ich Ihnen auf eine oder die andere Weise müsse weh gethan haben - und doch glauben Sie gar nicht, wie schmerzlich mir das gewesen ist."

„Durch nichts, Mr. Pitt - durch nichts," sagte das Mädchen ängstlich, und Charles konnte es nicht entgehen, daß sie das Gespräch abzukürzen suchte - „ich versichere Sie, ich habe Sie nicht gemieden, und nur - meine Stellung hier brachte es mit sich, daß wir uns nicht so oft begegnet sind wie früher. Es wäre auch unrecht von mir gewesen, wenn ich Ihnen nur irgend einen Groll hätte nachtragen sollen, denn Sie - haben mich stets mit - achtungsvoll und freundlich behandelt."

„Dann lassen Sie uns aber auch Freunde sein, Gertrud, und weichen Sie mir nicht länger so sorgsam aus," sagte /93/ Charles herzlich, indem er ihr die Hand entgegen streckte. „Ich gebe Ihnen mein Wort, Sie - haben dadurch meine Genesung eher aufgehalten als gefördert, denn die langen, langen Tage hatte ich eine ordentliche Sehnsucht danach, Ihnen einmal Auge in Auge zu sagen, wie dankbar ich Ihnen für die Sorgfalt bin, die Sie dem kranken Fremden gezeigt haben, und - wie gern ich Ihnen das beweisen möchte, wenn Sie – mir nur Gelegenheit dazu böten."

Gertrud hatte ihm ihre Hand nur widerstrebend gegeben, und ihre Züge waren dabei um einen Schatten bleicher geworden. Sie hob ihr Auge auch nicht zu ihm auf, und die Hand langsam wieder zurückziehend, sagte sie:

„Ich danke Ihnen für die freundlichen Worte. - Glauben Sie mir, daß ich Alles, was ich für Sie thun konnte, gern gethan habe; es verdient auch kaum einer weiteren Erwähnung - und nun erlauben Sie, daß ich meinen Geschäften nachgehe. - Ich muß etwas für den Stockkeeper herausgeben."

„Nicht so, Gertrud," drängte Charles, von der Gewalt des Augenblicks hingerissen, indem er ihr, wie sie das Zimmer wieder verlassen wollte, bittend in den Weg trat - „gehen Sie nicht s o von mir. Wir sind in diesem Augenblick allein, und wer weiß, wann sich je wieder eine solche Gelegenheit bietet, Ihnen das zu sagen, was ich Ihnen sagen muß."

„Mr. Pitt."

„Ich liebe Sie, Gertrud - seit ich Ihr stilles Walten hier im Hause beobachten konnte, seit ich Ihr freundliches Wesen kennen lernte, seit ich des Glückes theilhaftig wurde, von Ihrer Hand gepflegt zu werden, hab' ich die Kugel gesegnet, die mich zu Boden warf, nur um in Ihrer Nähe wieder zu einem neuen Dasein zu erwachen. Stoßen Sie mich nicht zurück, mein Herz ist ohne Falsch und jedes Wort, das ich Ihnen sage, so treu gemeint, wie es zu Ihrem Ohre dringt. - Werden Sie mein Weib - geben Sie mir das Recht, Ihnen das Alles in langen, langen Jahren wieder zu vergelten, was Sie jetzt an mir gethan, und Sie sollen es nie, nie bereuen, Ihre Hand am Altar in die meine gelegt zu haben." /94/

Gertrud war einen Schritt zurückgetreten, und das Blut strömte ihr bei der warmen Anrede des jungen Mannes in Stirn und Schläfe. Nur als er die letzten Worte sprach, deckte sie wie krampfhaft ihre Augen mit der Hand und Leichenblässe färbte in dem einen Moment ihre Wangen.

„Ich habe Sie überrascht, Gertrud," sagte Charles leise und mit tiefer Bewegung - „ich wollte Sie nicht erschrecken, aber glauben Sie mir, ich that den Schritt nicht unbedacht und habe Alles vorher reiflich überlegt. Nur noch kurze Zeit bleibe ich in Australien, ja meine Abreise nach Neu-Seeland, wo ich von jetzt an meinen Wohnsitz nehmen soll, wäre schon erfolgt, wenn nicht die Entdeckung des Goldes durch das Entlaufen der Schiffsmannschaft und meine Wunde mein Vorhaben verzögert hätte. Dort in dem wilden Lande brauche ich eine treue und liebende Gefährtin, und wie schwer ein junger Mann hier in Australien ein Herz findet das zu dem seinen paßt und ihm wirklich sein künftiges Glück sichern kann, wissen Sie ja vielleicht so gut wie ich. Da fand ich Sie, Gertrud, und mit der Sehnsucht zugleich, mir Ihren Besitz zu sichern, stieg ein Gefühl in mir auf, als ob Sie sich selber hier und in dieser Stellung, wenn auch bei lieben, guten Menschen, nicht glücklich fühlen könnten. Ich kann mich geirrt haben" - setzte er besänftigend hinzu, als er sah, daß Gertrud eine heftige, wie abwehrende Bewegung machte - „aber in meinem eigenen Herzen irrte ich mich nicht, und Gott ist mein Zeuge, Gertrud, daß Sie mich in diesem Augenblick durch ein kleines freundliches Wort recht glücklich machen könnten. - Wollen Sie mein sein?"

„Nein," sagte Gertrud leise, und als sie die Hand von ihrem Antlitz nahm, glich ihr Gesicht einem schönen Marmorbild, so starr und steinern sah es aus - „ich kann - ich darf nicht."

„Gertrud!" rief Charles mit tiefem, bitterem Schmerz.

„Glauben Sie nicht, Mr. Pitt," setzte das junge Mädchen rascher und fast ängstlich hinzu, „daß ich Ihre Liebe gering achtete, - daß ich nicht im tiefsten Herzen fühlte, wie gut und ehrlich Sie es mit mir meinen - daß ich Ihnen nicht im tiefsten Herzen dafür dankbar wäre, aber - dringen Sie /95/ nicht weiter in mich - machen Sie mich nicht dadurch noch unglücklicher, als ich schon bin. - Glauben Sie mir, wenn ich Ihnen sage, es kann nicht sein, und möge Sie Gott auf Ihren weiteren Wegen schützen und der Gedanke an mich Ihnen nie eine trübe Stunde bereiten. - Leben Sie wohl" - und an seiner Seite vorübergleitend, verließ sie rasch das Zimmer.

Charles hielt sie nicht mehr zurück; ein eisiges Gefühl erfaßte sein Herz; die kaum geheilte Wunde schmerzte ihn wieder, er barg sein Gesicht in den Händen und sank bleich und erschöpft in den Lehnstuhl zurück, in dem er liegen blieb, bis Henry von der Wegschenke mit den dort vorgefundenen Briefen und Zeitungen zurückkehrte.

Draußen im Hof war es indessen außerordentlich lebendig zugegangen, denn ein kleiner Trupp Goldwäscher, die einen näheren Weg in die Berge hatten einschlagen wollen und von diesem abgekommen waren, schien sich dermaßen verirrt zu haben, daß er sich kaum wieder nach der Hauptstraße zurückfinden konnte. Glücklicher Weise trafen sie einen von Mr. Sutton's Schäfern in den Bergen, der ihnen wenigstens die Richtung angab, und zum Tod erschöpft und halb verhungert, wie vor Durst fast verschmachtet, erreichten sie endlich diese Station, wo sie an die Wirthschafterin gewiesen wurden, um sich von ihr etwas Speise und Trank zu erbitten. Sie konnten im wahren Sinne des Wortes, da die Aufregung einmal nachgelassen, in der sie sich bis jetzt befunden, keinen Fuß mehr vor den anderen setzen.

Es waren vier Deutsche und der Führer der kleinen Schaar, dem sich die Anderen angeschlossen, weil er daheim das Bergfach betrieben und deshalb hier natürlich auch gleich die reichsten goldhaltigen Stellen treffen mußte, war eine besonders auffällige Persönlichkeit.

Von kleiner, aber sehr corpulenter Gestalt, mit einem dünnen röthlichen Bart, aber sehr dickem, gutmüthigem Gesicht und großen hellbraunen Augen, bot Malchus, wie der Bergmann hieß, allen Schicksalen des Lebens eine so ruhige Stirn und setzte ihnen ein so fabelhaftes Phlegma entgegen, daß Jeder, der ihn nicht näher kannte, in dieser grenzenlosen Ruhe /96/ einen eisernen, felsenfesten Charakter zu finden glaubte - und doch war Malchus gerade das Gegentheil davon. Nur aus seiner Bequemlichkeit wollte er nicht gestört werden, und der heutige Marsch, der ihn zum ersten Mal in seinem ganzen Leben mitten in das wilde, rastlose Treiben der Berge, in ihre Mühen und Gefahren hineinriß und alle seine früheren Berechnungen und Vorsätze mit einem Schlage über den Haufen warf, hatte ihn so förmlich gebrochen und zerknirscht, daß er, die Station kaum erreicht, sich auch mitten im Hof auf einen dort stehen gelassenen Baumstumpf gerade in die Sonne niedersetzte und keuchend und stöhnend den Schweiß an sich heruntertropfen ließ.

Einer der Anderen, ein junger Photograph aus Sidney, hatte indessen die gerade aus dem Haus tretende Gertrud um eine kleine Erfrischung angesprochen, indem er ihr mit wenigen Worten schilderte, wie sie hergekommen, und Gertrud war in die Wirthschaftsstube zurückgegangen, um das Verlangte zu holen, denn trotz des Goldes war noch kein einsprechender Wanderer von Mr. Sutton's Station ungespeist abgewiesen worden.

Wie die Deutschen noch im Hofe lagerten und sich ein paar schattige Stellen zum Ausruhen gesucht hatten - nur Malchus blieb in der Sonne sitzen und briet - betrat ein anderer Trupp von Wanderern den Hof, und eine wunderlichere Gesellschaft wie die letztgekommene hätte sich auf der ganzen Welt nicht zusammen finden lassen und war auch wirklich nur allein in Australien möglich.

Sie bestand aus einem jener herumziehenden Schwärme von Eingeborenen, sogenannten „Schwarzen", die ihre frühere Heimath in den jetzt von den Weißen besiedelten Districten gehabt hatten und daraus vertrieben worden waren, so daß sie jetzt unstät in der Welt umherstreiften. Die Bäume, die ihnnen früher ihr Harz geliefert, waren niedergehauen; das Wild, das sie zu ihrem Lebensunterhalt erbeutet, ebenfalls erlegt oder vertrieben worden; den Nachbarstämmen durften sie dabei nicht in das Revier kommen, denn denen galten sie als Feinde, und das Einzige, was ihnen noch übrig blieb, war, sich ihren Unterhalt von den weißen Eindringlingen zu erbetteln. /97/

Wie sie sich aber früher vielleicht auf der Jagd oder bei ihren wilden und barbarischen Kriegszügen ausgezeichnet haben mochten, eine solche Fertigkeit hatten sie jetzt in dieser neuen Beschäftigung erworben, und etwas Zäheres im Betteln, als diese einfachen Naturkinder entwickelten, läßt sich nicht gut auf der Welt denken. Uebrigens verschmähten sie auch nicht zu stehlen, wo sich ihnen irgend eine günstige Gelegenheit bot, und ob das nun ein Schaf aus irgend einer Heerde draußen im Busch, ein Laib Brod in irgend einer einzelnen Rindenhütte, ein Huhn oder selbst ein Kalb von einer der Stationen war, blieb sich gleich - nur genießbare Gegenstände mußten es sein, Anderes konnten sie nicht gebrauchen - war es doch nur der Hunger, mit dem sie einen unausgesetzten, erbittterten Kampf ihre ganze Lebenszeit hindurch führten.

Aber wie wunderlich hatte sich ein Theil dieses kleinen Trupps herausstaffirt, oder war vielleicht zum Scherz von irgend einem Ansiedler so aufgeputzt, denn kein wilder Volksstamm der Welt haßt jedes Kleidungsstück mehr, wie der Australier. Haben die Weißen sich doch sogar genöthigt gesehen, Gesetze für diese Stämme zu geben, oder vielmehr Verbote zu erlassen, daß sie die Städte wenigstens nicht betreten dürfen, ohne mindestens mit einem bis zum halben Schenkel niedergehenden Hemd bekleidet zu sein, und sonderbarer Weise waren es vorzüglich die Frauen, die sich am längsten gegen diesen ungewohnten und verhaßten Zwang sträubten.

Hier im innern Land aber, wo sie draußen im Busch in ihren Gunyos campirten, und nur dann und wann einmal eine einzeln gelegene Station heimsuchten, erkannten sie gar kein solches Gesetz an, und sieben von dem Schwarm, Männer, Frauen und Mädchen, schritten in der Tracht des Urwalds in den Hof. Die Männer nur mit ihren Waffen, einer kurzen leichten Keule und dem Bumerang geschmückt, die Frauen mit einem kleinen Netz über der Schulter versehen, um etwa erhaltene oder erbeutete Lebensmittel hinein zu thun, aber Alle sonst vollkommen nackt.

Nur zwei von ihnen, ein junger Bursche und eine ältere Frau waren, wie schon vorher erwähnt, auf das Wunderlichste, und zwar in europäischer Kleidung herausgeputzt. /98/

Der junge Bursche trug nämlich auf dem bloßen Leibe ein Paar alte schwarze Hosen und einen schwarzen Frack von vorsündfluthlichem Schnitt, mit dem er Gott weiß wie viele Wochen draußen im Busch in Regen und Sonnenschein gelegen haben mochte, ohne daß je eine Bürste an das Kleidungsstück gekommen wäre. Natürlich ging er barfuß, aber um den Nacken hatte er auch noch ein einst hellblau gewesenes Seidentuch geschlagen und auf dem Kopf einen richtigen, wenn auch entsetzlich mitgenommenen Cylinderhut, den er, als er den Hof betrat, nach allen Seiten hin auf das Zierlichste schwenkte.

Die Frau dagegen, ein abschreckend häßliches Weib, was durch die Kleidung nur noch mehr hervorgehoben wurde, hatte den dürren Körper in ein großgeblümtes Muslinkleid gehüllt, das sein erstes Debüt jedenfalls einmal auf einem Balle in Sidney, gemacht, und auf diesem Körper schlimmer als zum Kehrichthaufen degradirt war. Auf dem Kopfe trug sie einen ebenfalls schon längst abgelegten Seidenhut, mit einer wahren Unmasse schmutziger künstlicher Blumen, und dazu eine ordinäre rothwollene Schärpe um den Gürtel. Sonst ging sie natürlich barfuß, das Kleid überall eingerissen und mit großen Schmutzflecken, und auf dem Rücken, eben so gut wie die übrigen Frauen, ein altes bastgestricktes Netz mit einem Stück Harz und einem Ueberreste halbgerösteter Hammelrippen - die Ueberbleibsel ihrer letzten Mahlzeit.

Ordentlich elegant sahen die nackten Eingeborenen neben ihr aus, die sich mit der natürlichen Grazie jedes wilden Stammes bewegten, weil sie ihre Blöße eben nicht fühlten. Nur im Anfang zeigten sie sich noch etwas schüchtern, weil sie eben nicht wußten, wie sie empfangen werden würden.

Der Stockkeeper, der gerade über den Hof kam, begrüßte sie auch mit einem von seinen Kernflüchen, denn er wußte recht gut, wie willig sie ihm da draußen im Busch Alles stehlen würden, was ihnen eben an jungem Vieh unter die Finger kam; Gertrud aber, die sich bis jetzt stets freundlich gegen die Eingeborenen gezeigt, winkte die jungen Mädchen heran und wies sie nach der Küche, wo sie zu essen haben sollten. Die Bewohner der Stationen waren zu sehr an die /99/ Erscheinung dieser Menschen gewöhnt, um etwa daran Anstoß zu nehmen oder das geringste Störende darin zu erblicken.

Die Eingeborenen waren von sieben oder acht Hundegerippen begleitet, die sich aber scheu zu ihren Herren hielten, denn zwei große langhaarige Känguruhunde, die auf dem Hofe in der Sonne gelegen, standen auf und umkreisten mit emporgesträubten Haaren und hochgehobenen Schwänzen die ruppige Schaar. Eben so wenig sicher fühlten sich auch wahrscheinlich die Eingeborenen selber mit ihren nackten Beinen in solcher Nachbarschaft, und griffen ihre „Waddies" schärfer auf, um sich im Nothfall gegen einen etwaigen Ueberfall vertheidigen zu können. Aber des Stockkeepers Stimme hielt die Hunde zurück, die auch - zu stolz vielleicht, über solche Köter herzufallen, dem Rufe langsam Folge leisteten und sich nur jetzt vor das Herrenhaus legten, als ob sie den fremden Eindringlingen dorthin jedenfalls den Zutritt verweigern wollten.

Noch ein paar Eingeborene befanden sich aber auf dem Hofe, die bis jetzt, von Niemandem bemerkt, wenigstens von Niemandem beachtet, in der einen Ecke gestanden hatten, aber nun ebenfalls langsam vorkamen, um den neuen Besuch zu betrachten. Es waren zwei Emus oder australische Kasuare, die schon seit mehreren Jahren zahm auf der Station gehalten wurden, und oft selbst kleine Streifzüge in die Nachbarschaft unternahmen, ohne je daran zu denken, ihre ihnen gelassene Freiheit zu mißbrauchen. Von den schwarzen Männern und Frauen nahmen sie auch nicht die geringste Notiz und schienen es nur auf die fremden Hunde abgesehen zu haben, nach denen sie mit ihren langen, harten Schnäbeln hackten und die unglücklichen Bestien winselnd und knurrend noch dichter zwischen die Füße ihrer Herren hineintrieben.

Malchus, der dieser ganzen Gruppe den Rücken zudrehte, hatte wohl den Lärm der Neugekommenen gehört, war aber viel zu müde oder auch gleichgültig gewesen, selbst nur den Kopf nach ihnen umzudrehen, und saß noch immer auf seinem Baumstumpf, sich mit dem breitgehaltenen und schon ganz durchnäßten Taschentuch Luft zufächelnd.

Den Schwarzen war indessen Niemand unbedeutend, denn von Jedem konnten sie nach Umständen ein Stück Brod /100/ oder ein Stück Geld bekommen, und da Malchus hier gerade den Mittelpunkt der ganzen Scenerie einnahm, mochte es auch sein, daß sie ihn für eine ganz besondere Persönlichkeit hielten. Jedenfalls gingen die beiden angekleideten Individuen, die für die passendsten gehalten wurden, um mit den Weißen zu verkehren, und in der That auch etwas Englisch sprachen, geraden Wegs auf Malchus zu und überraschten den kleinen Mann, der noch keine acht Tage in Australien war und in Sidney selber noch keinen Wilden zu sehen bekommen hatte, auf das Aeußerste.

Von beiden Seiten traten sie um ihn herum und vor ihn, und während der Herr seinen Hut abnahm, diesen bis auf den Boden schwenkte und eine entsprechende ehrfurchtsvolle Verbeugung machte, bei der er mit seinem fettglänzenden Haar beinah das Gesicht des kleinen Deutschen berührte, knixte die Frau in einem fort auf und nieder, und hielt dabei die Hand ausgestreckt und rief:

„Ein klein wenig weiß Geld, Sir - ein klein wenig weiß Geld."

„Gott straf' mich," sagte Malchus, indem er sein Taschentuch auf den Schooß sinken ließ, und die Augenbrauen hoch hinaufzog, „wo kommt Ihr schwarzen Deuwels denn auf einmal her?"

„Ein klein wenig weiß Geld, Sir - ein klein wenig weiß Geld," drängte aber die Frau und hielt ihm die ausgestreckte Hand mit den spitzen dürren Fingern immer näher auf den Leib. Allerdings verstand er kein Wort Englisch, aber nach der Bewegung der Hand doch so viel, daß das Volk etwas von ihm haben wollte. Wie er aber eben in die Tasche griff, hörte er ein Geräusch hinter sich, und den Kopf danach umdrehend, sah er sich plötzlich von dem ganzen Trupp der schwarzen Gesellschaft, die Mehrzahl in ihrem Urzustände, dicht eingeschlossen.

„Alle Wetter," schrie er, jetzt wirklich erschreckt in die Höhe fahrend, „ist denn die Hölle los?" Dabei trat er der Frau mit seinen schweren Schuhen auf den bloßen Fuß; diese kreischte laut auf und fuhr zurück, die Hunde fingen an zu bellen, die beiden Känguruhunde kamen wieder knurrend /101/ angesprungen, und für einen Moment herrschte völlige Verwirrung auf dem Hof. - Die aber legte der Stockkeeper gründlich mit seiner langen Peitsche. Schon die Bewegung derselben scheuchte die Känguruhunde auf ihren alten Platz zurück und die räudigen Kläffer der Schwarzen zwischen deren Füße. Dann beorderte er den Schwarm der Eingeborenen, ohne selbst Rücksicht auf die in voller Toilette zu nehmen, in der einen Ecke des Hofes zu warten, bis sie ihre Geschenke bekommen würden, und befreite damit augenblicklich Malchus von der unangenehm werdenden Gesellschaft.

Gertrud hatte indessen den Mädchen gebackenes Brod wie etwas Fleisch und Salz gegeben, um es unter die Uebrigen zu vertheilen, und die Eingeborenen zogen dann wieder - der im Frack mit tiefen Verbeugungen, die Frau im Kleid mit tiefen Knixen, zum Thor hinaus und mitten in die Wildniß hinein, um draußen das Erhaltene auch augenblicklich zu verzehren.

Den Deutschen war ebenfalls eine Mahlzeit bereitet und sie eingeladen worden, in des Stockkeepers Wohnung einzutreten, wo sie sich setzen und in Ruhe essen konnten. Die Hütte oder das kleine Haus lag parterre, wie alle diese Gebäude selten mehr als ein Stockwerk haben, und Malchus hatte sich hier, nachdem das ihnen Gegebene ausgetheilt, dicht an das offene Fenster gesetzt, mit seinem Teller vor sich auf einem kleinen Tisch. Neben Jedem stand dabei ein blecherner Quarttopf mit heißem Thee, dem besten Labsal, was man nach einer heftigen Anstrengung genießen kann, und die Hammelrippen mit dem freilich harten Brod oder Damper dufteten verlockend genug nach dem langen Fasten.

Trotzdem sollte Malchus aber selbst hier ein Hinderniß finden, seinem leiblichen Behagen zu folgen, denn in demselben Moment, wo er Messer und Gabel ansetzte, dem delicaten Rippenstück zuzusprechen, sah er plötzlich einen Kopf mit zwei großen glänzenden Augen an einem Schlangenleib, und anscheinend ohne weiteren Körper, vor sich, und ehe er nur einen andern Gedanken fassen konnte, hatte der Kopf mit einem riesigen Schnabel das Fleisch von seinem Teller aufgepackt und war damit wie in die Luft hinein verschwunden. /102/

Mit einer Hast, wie er sie in seinem ganzen Leben noch nicht gezeigt, fuhr der kleine Mann jetzt zwar in die Höhe und über den Tisch hinüber mit dem Kopf aus dem Fenster - aber zu spät. Er sah nur noch, wie der eine Kasuar mit klafterlangen Schritten über den Hof lief und im Laufen, ohne sich weiter aufzuhalten, sein Mittagessen hinunter würgte.

Der Stockkeeper war, in der Thür stehend, Zeuge der ganzen Scene gewesen, und schrie laut auf vor Lachen. Dem armen hungrigen Teufel kam die Sache aber gar nicht so komisch vor, und er beruhigte sich erst wieder, als ihm der Engländer, gutmüthig genug, eine frische Portion bestellte, mit der er sich jetzt vom Fenster weg und mitten in die Stube setzte. Er hatte Australien schon herzlich satt bekommen.

Gertrud hatte Alles auf dem Hof besorgt, was zu besorgen war, und jetzt ihr eigenes kleines Zimmer ausgesucht, wo sie sich still auf einen der Rohrstühle in eine Ecke setzte und stier und schweigend, die Hände im Schooß gefaltet, vor sich nieder sah. Sie regte sich dabei nicht, kein Zucken ihres Antlitzes oder nur einer Wimper verrieth, was in ihr vorging und arbeitete, aber aus den weitgeöffneten Augen flossen die großen, hellen Thränen, und tropften langsam, unbeachtet an ihren Wangen nieder.

Im Busch / Kriegsbilder aus dem dt.-franz. Krieg

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