Читать книгу Nach Amerika! Ein Volksbuch. Sechster Band - Gerstäcker Friedrich, Jurgen Schulze - Страница 1

Capitel 1.
Ein Sheriffsverkauf in Arkansas

Оглавление

Ein volles Jahr war nach den, im letzten Capitel beschriebenen Vorfällen verflossen; die heiße Sonne Amerikas hatte wiederum den Mais und Waizen gereift, und die Früchte und Beeren des Waldes mit süßem Saft gefüllt; durch die blaue sonnenreine Luft zog der weiße wehende Spinnenfaden seine stille Bahn, und legte sich einem duftigen Schleier gleich über die Wipfel des grünen Waldesdoms, in dessen Schatten die feisten Hirsche zu Rudeln zusammenstanden, und die jungen Truthühner in die Zweige hinauf flatterten, die ersten jungen Weinbeeren zu versuchen, die sich mit ihren Reben dort empor gerankt.

Und wie das raschelte und rauschte im stillen Wald, wie sich das blitzende Sonnenlicht in den fallenden Tropfen spiegelte, die ein wohlthätiger Nachtregen über das grüne Laubmeer ausgegossen, und die jetzt leise klopfend auf die gelbe, noch vorjährige Blattdecke des Bodens niederschlugen. Und die Grille zirpte ihr regelmäßig melancholisch Lied, das wie das leise Schnarren einer in zeitrechten Schwingungen gehenden Uhr von allen Seiten tönte, nur manchmal durch den gellenden Schrei eines aufstiebenden Falken gestört, dem der blaue Heher im Busch spöttisch den Warnungsruf nachäffte.

Wie das summte und schwirrte um Lianenblüthen und frisch aufkeimende Waldesblumen, von Bienen und Käfern, zwischen denen hin hie und da, wie ein verirrter Sonnenstrahl, ein blitzender gold und grün schimmernder Kolibri gedankenschnell fast herüber und hinüber surrte, über einem duftenden honigschweren Kelch einen Moment mit unsichtbaren, schattengleich fibrirenden Schwingen stand, und dann verschwunden war, daß ihm das Auge nicht folgen konnte, bis ihn sein Summen an dem nächsten Blüthenbusch verrieth.

Wie die Natur in wundervoller Harmonie, besonders in der Jahreszeit, den ganzen Wald mit ihrer Pracht durchwirkt, und ineinandergreifend Jedes sich die Hände reicht zum schönen Ganzen; wie selbst der morsche umgestürzte Baum, von wilden blühenden Ranken umzogen, zum Bilde hier gehört und nicht fehlen dürfte; ja wär' ein einziger Zweig gebrochen von den tausenden, die überall dem Licht, der Luft die grünen Arme entgegenstrecken, die Lücke würde fühlbar, und der fallende Tropfen selbst schmückt das Blatt das er verließ mit höherem Glanz, und wird zur Perle wo er niederfällt.

Und doch ein Miston in der Harmonie – ein dunkler Fleck der da nicht hingehörte, der sich nicht wohl da fühlte und das Ganze störte – ein nasses, schmutziges, verdrießlich unzufriedenes Menschenbild, mitten im Wald, im freien schönen wundervollen Wald – Zachäus Maulbeere, vom Regen durchnäßt, kalt, hungrig, verirrt, festgefahren mit seinem Karren in einem Gewirr von Reben und Wurzeln, und in einer Laune, Milch nur durch bloßes Ansehn zu säuern.

»Ein Gottvermaladeites Land das,« lästerte er, sich erschöpft auf einen umgefallenen Baum setzend und sein Taschentuch, das er in der Hand hielt, zusammenrollend und ausringend, »daß mich der Teufel plagen mußte nach diesem Gottvergessenen Staat zu gehn – Bäume – Bäume – Nichts als Bäume in der Welt – gerade in die Höh und gerade über den Weg. – Schönes Vergnügen das, wo man sich erst sein Schnupftuch ausringen muß, daß man sich damit abtrocknen kann – schwabben nannten sie's auf dem Schiff. Und jetzt sitz ich hier – keine Ahnung wo bin – keine Idee von einer Richtung – ein Scheerenschleifer im Wald – Maulbeere, Esel, was hast Du hier im Busch zu suchen, heh? – war Dir zu wohl draußen zwischen den Ansiedlungen im Osten, zwischen dem Waizenbrod und Honig, eh? – mußtest geschwind machen daß Du hierher kamst, zwischen Maisbrod und Speck, oder gar die Nacht in den Wald hinein – Schöne Nacht die ich da verlebt habe, beim heiligen Sebastian – oben in dem verdammten Baum eingeklemmt gesessen, daß ich die Glieder nicht mehr rühren kann, und das Beest was da um mich her in den Bäumen geschrieen hat – daß ich nicht gefressen bin ist ein reiner Zufall. – Romantisch im Wald zu lagern eh? – wenn ich nur wenigstens den verdammten langhaarigen Dichter die Nacht bei mir gehabt hätte, um an dem meinen Gift auszulassen – aber zehn gegen eins, der Lump hat die ganze Nacht trocken und behaglich in einem warmen Bett geschlafen, und am andern Morgen lügt er dann wie ein Leichenstein, schreibt von »Gesicht im Thau baden« und »Windsbraut die Schläfe kühlen« – na Dir möcht' ich einmal die Schläfe kühlen Du – Du Blattlaus, statt mit sechs, mit zwei schiefen Beinen. – Und der Herr Schultze – der selige Piepvogel mit einem Gesicht – wenn man's auf einen Stock schnitt, könnte man einen Hund damit prügeln, dem hätte die Nacht kreuzwohl zu Muthe sein müssen – hundemüde auf einem Ast zu sitzen mit dem Kopf unterm Flügel und mit der wohlthuenden Überzeugung beim ersten Einnicken herunter zu fallen und den Hals zu brechen.«

»Das geschieht Dir aber recht, Zachäus, vollkommen recht, mein Herzchen – was dumm ist muß geprügelt werden, und anstatt lieber den alten verdammten Karren, den ich es zum Sterben müde bin im Lande umherzuschieben, in den Mississippi hineinzufahren und umzudrehen, mußt Du auch noch Fährgeld dafür zahlen und damit herüberkommen, dann Wochenlang durch den heißen nassen Sumpf ziehn, um hier endlich an einem Platz, den die Nachkommen gar nicht finden können wenn sie Einem wirklich ein Monument setzen wollten, elendiglich und Gotteserbärmlich umzukommen.«

Maulbeere drückte sich nach diesem Selbstgespräch den alten aufgeweichten Hut fester in die Stirn, stemmte beide Ellbogen auf die Knie, stützte den Kopf in die Hände und starrte finster und mit dicht zusammengezogenen Brauen eine ganze Weile vor sich nieder.

Er sah auch traurig aus; – den grünen Rock trug er noch immer. Das Wild im Wald wechselt seinen Pelz oder sein Fell mit der Jahreszeit, der Vogel hat seine Mauser, die Schlange streift ihre Haut ab, einer neuen Raum zu geben, und jede Kreatur leckt oder säubert dabei ihr Kleid, das ihr der Schöpfer gegeben, nach besten Kräften, streicht Federn oder Haare glatt und fühlt sich dann erst wohl, und behaglich wenn das geschehn. Nur Maulbeere kannte kein solches Bedürfniß; wie die Katze die Nässe scheut, haßte er, vor allen anderen Elementen, das Wasser; Niemand hatte je gesehen daß er sich wusch; wenn das an Bord geschehen war mußte er es in der Nacht gethan haben und selbst dann heimlich, von der Wacht an Deck unbemerkt. Den grünen Rock, jetzt an unzähligen Stellen geflickt und ausgebessert, trug er noch bis oben an die schwarze, matt glänzende Pferdehaarhalsbinde fest zugeknöpft, der alte Filz, der keine Façon mehr zu verlieren hatte, lag ihm mit seinem, an drei Seiten durch Bindfaden befestigten Deckel, weich und lappig geworden, dicht auf dem Scheitel, und die derben rindsledernen Schuhe, zu denen die durch Dornen unten ausgefranzten großkarirten baumwollenen Hosen niederhingen, schienen das einzig trag- und nutzbare am ganzen Menschen. Auch der blonde starre Bart hatte seit Wochen kein Rasirmesser gesehn, und das kurze semmelblonde struppige Haar hing ihm jetzt naß und in zusammenklebenden Streifen über Stirn und Schläfe, und ließ ihm einzelne durch den defekten Hutrand eingedrungene Tropfen über die fahlgrauen Backen, auf denen sie lange Schmutzstreifen bildeten, in die Halsbinde laufen.

In der widrigen Feuchtigkeit hatte ihn auch sein trockener Humor verlassen, und Maulbeere saß neben seinem Karren wie ein wild gewordener, der Civilisation abtrünnig gewordener Scheerenschleifer, Haß und Groll gegen die ganze Welt – die er überhaupt noch nie lieb gehabt – im Herzen.

Ein Schuß! – Zachäus fuhr in die Höh, als ob ihn die Kugel getroffen hätte, und horchte gespannt, nach welcher Richtung hin er das nächste Geräusch jetzt hören würde, als auch der Fall eines Körpers, nur wenige Secunden später, sein Ohr erreichte.

»Hallo! hupih! – hallo!« schrie er jetzt dorthin aus Leibeskräften, »he! hallo! hallo! hu – ih – ahoy!«

Das laute Anschlagen eines Hundes antwortete dem fremden Ton, dem gleich darauf der ermunternde Zuruf einer menschlichen Stimme folgte.

»Existirt wirklich noch eine andere menschliche Kreatur in dieser gottvergessenen Mischung von Streu und Nutzholz,« brummte Maulbeere vor sich hin, »fehlte mir jetzt weiter gar Nichts, als daß es so eine verdammte Rothhaut wäre, die eben solchen Hunger hätte wie ich. Aber einerlei, lieber an einem warmen behaglichen Feuer gebraten werden, wie hier madennaß vor Frost und Bauchgrimmen umkommen; also noch einmal ein Nothsignal, die wilde Bestie auf meine Spur zu bringen.«

Und wieder ließ er den Wald von seinem Geschrei ertönen, und nicht lange, so brach ein grau gestreifter, kräftig gebauter Hund durch die Büsche, gerad auf ihn zu, machte noch ein paar tüchtige Sätze gegen ihn an, und gab dann Standlaut.

Maulbeere, der seine besonderen Gründe hatte den Hund nicht gegen sich aufzubringen, konnte unter diesen Verhältnissen nichts anderes thun als sich vollkommen ruhig verhalten; nicht lange aber, so brachen und knackten die Büsche und ein Jäger, die Büchse auf der Schulter, einen eben geschossenen Truthahn, Kopf und Ständer mit Bast zusammengebunden, wie eine Tasche umgehängt, trat aus den Büschen und kam, die wunderliche Gestalt mit dem Karren dabei nicht wenig erstaunt betrachtend, auf Maulbeere zu.

»Hallo Fremder!« rief Jack Owen, denn es war Niemand anders als unser Arkansanischer Freund, »wie zum Henker seid Ihr mit dem Fuhrwerk da in die Gründorn-Flat gerathen?«

»Hineingerathen?« erwiederte Maulbeere, der in den zwei Jahren seines hiesigen Aufenthalts schon ziemlich fertig Englisch gelernt hatte, »fragt mich lieber wie ich wieder hinausgerathe – hier in der Gegend wissen die Leute wohl gar nicht was ein Weg ist?«

»Oh doch,« lachte der Mann, der sich nicht satt sehen konnte an dem Fremden, »manchmal haben wir hier so schmale Dinger, die man, in Ermangelung besserer, Wege nennt. Aber wo kommt Ihr her? – was habt Ihr da in der wunderlichen Maschine und wo wollt Ihr hin?«

»Wenn Ihr mich gefragt hättet wie ich die Nacht geschlafen habe und ob ich etwas zu essen haben wollte, wäre mehr Sinn d'rin,« brummte Maulbeere verdrießlich. »Wie weit ist's bis zum nächsten Haus?«

»Kaum eine Viertelstunde – wenn Ihr hier übernachtet habt, konntet Ihr die Hähne heut Morgen krähen hören – wo habt Ihr geschlafen?«

»Wenn's Euch interessirt,« knurrte Maulbeere, »und Ihr den Spuren nachgehen wollt, die ich mit dem verdammten Kasten hier aufgewühlt, dann kommt Ihr zuletzt zu einem Baum – irgend ein weitläufiger Verwandter von diesen hier – auf dem hab' ich gesessen!«

»Oben im Baum?« lachte der Jäger.

»Wenn ich drunter gelegen hätte fändet Ihr einen Theil meiner Gliedmaßen vielleicht heute Morgen in dem Magen eines Panthers, und den anderen sauber verscharrt für eine zweite Mahlzeit, unter dem Laube.«

»Unsinn Mann – Ihr könnt hier ein Jahr lang unter einem Baum im Walde schlafen, und wenn Euch die Mosquitos und Holzböcke nicht auffressen, die Panther thun Euch Nichts.«

»So? – es hat wohl nicht Einer dicht bei mir auf einem anderen Baum gesessen, und mir die ganze Nacht eine schauerliche Geschichte vorgeheult, heh?«

»Hahahahaha!« lachte Jack, »das wird eine Eule gewesen sein; in dieser Jahreszeit schläft sich's wundervoll im Wald.«

»Eule,« brummte Maulbeere verächtlich zwischen den Zähnen durch, »wundervoll im Wald schlafen – wer eine Leidenschaft dafür hat. Mir ist's lieber ich erfahre es erst am nächsten Morgen, wenn's in der Nacht geregnet hat.«

»Alle Wetter ja,« rief Jack gutmüthig, »Ihr seid durch und durch naß – es hat die Nacht wohl stark geregnet? und wir zu Hause haben nicht einmal viel davon gemerkt. Aber kommt, nehmt Euer Fuhrwerk und bringt es nur hier herüber mir nach.«

»Wenn ich nicht fest damit säße hätte ich mich nicht hier häuslich niedergelassen,« erwiederte der Scheerenschleifer mürrisch – »das Dornenwerk hält wie Ankertaue.«

»Da wollen wir leicht Bahn hauen,« lachte Jack, sein langes schweres Jagd- oder Bowiemesser aus dem Gürtel nehmend, und die Dornen ringsum mit leichten Schlägen durchhauend, »so – so – so – jetzt versucht's einmal, gleich da drüben wo die alte Eiche liegt geht ein schmaler Kuhpfad nach der Farm zu, dem können wir folgen bis wir in den Reitweg kommen, und dann habt Ihr freie Bahn – gehts?«

»Wenn ich Jemanden finde der dumm genug ist mir den Kasten abzukaufen,« sagte Maulbeere, das Tragband wieder einhenkend und den Versuch machend, »so gebe ich mein Geschäft auf und gehe unter die Millionaire – hol der Teufel das Scheerenschleifen.«

Jack sah ihm lachend zu, bis der Fremde nach drei vier Ansätzen den schweren eingesunkenen Karren nicht vorwärts brachte, dann ging er rasch auf einen jungen Papaobaum zu, von dem er die Rinde, so hoch er hinaufreichen konnte, mit seinem Messer abschlug und niederstreifte, ein Seil daraus drehte, und dieses vorn am Karren befestigend, sich selber vorspannte.

»So – nun noch einmal – a hoy – alle zusammen!«

»Ahoy!« rief Maulbeere, und mit dem Ruck kam der Karren frei, der von den beiden Männern jetzt mit ziemlicher Leichtigkeit bis zu dem schmalen Pfad, und diesen hin bis in den Reitweg gezogen wurde, wo ihn Maulbeere allein fortbringen konnte.

Unterwegs wurde der Scheerenschleifer, mit der Aussicht auf ein warmes Feuer und Essen, wie auf eine heiße Tasse Kaffee aber gesprächiger, erzählte dem Jäger welcher Art sein Geschäft sei, was er thue und treibe und wie er sein Brod erwerbe, und die ganzen Vereinigten Staaten schon durchzogen habe, bis er zuletzt, durch die vielen brillanten Schilderungen der westlichen Staaten verführt worden sei auch hier sein Glück zu versuchen, wo er sich jetzt die größte Mühe geben werde, so rasch als möglich wieder fortzukommen.

Jack Owen amüsirte sich ungemein über die wunderliche mürrisch-drollige Ausdrucksweise des Mannes, dem er aber doch zu dessen Trost mittheilte, daß er sich hätte zu keiner glücklicheren Zeit in diese Gegend verirren können, als gerade heute, da sich fast das ganze County in der Nähe der Farm, der sie eben zusteuerten, zu einer sogenannten Camp-Meeting (eine fromme Zusammenkunft im Freien) versammelt sei, während zu gleicher Zeit von dem Gouvernement des Staates der öffentliche Verkauf des ganzen Platzes, in Folge eines alten Processes, anberaumt sei.

Maulbeere horchte hoch auf – von den Camp-Meetings des Westens hatte er schon so viel gehört, daß er selber gespannt war einer derselben beizuwohnen, und Leute die sich bei einer solchen Versammlung einfanden, führten auch stets Geld bei sich. Auf eine gute Einnahme in seinen verschiedenen Branchen durfte er jedenfalls rechnen, und wer weiß was da sonst noch für ihn auftauchte. Maulbeere war ganz der Mann dazu von solcher Gelegenheit den größtmöglichen Nutzen zu ziehn, und daß er sie nicht versäumen würde, fest entschlossen.

Vor ihnen lag jetzt Olnitzkis alte Farm, von der er übrigens keine Ahnung hatte, daß Fräulein von Seebald, seine alte Reisegefährtin, mit ihr in so genauer Beziehung gestanden, und eine Masse Menschen lagerten um zahlreiche dort entzündete Feuer, kochten Kaffee, brieten Fleisch an der Gluth, und gaben dem sonst so stillen Platz ein eigenes lebendiges, fröhliches Aussehn – und wie ernst doch war der Zweck der sie hier versammelt.

Als Olnitzki damals von Jack Owen erschossen worden, galopirte Soldegg nach Little Rock zurück und – klagte nicht etwa gegen die Farmer und Squatter von Arkansas, er war zu klug dazu, und wußte was ihm selber geschehen konnte in dem Fall, aber er verkaufte seine rechtsgültigen von Olnitzki selber gezeichneten Papiere, die den Verkauf seiner Farm wie seines sämmtlichen Viehstands, mit Ausnahme eines einzigen Pferdes betrafen, an einen Advokaten in Little Rock, einen sonst schlauen und durchtriebenen, aber erst seit kurzer Zeit aus den östlichen Staaten hierhergekommenen Burschen, für den halben Werth gegen baar Geld, womit er Arkansas verließ.

Der Advokat, ein gewisser Kowley, reiste ohne Weiteres nach Oaklandgrove hinüber, sein Eigenthum in Besitz zu nehmen, fand sich aber hierin getäuscht, erfuhr daß Olnitzkis Frau, die Einzige die nach den Begriffen der Nachbarn etwas zu sagen habe, Farm und Vieh einer Waise geschenkt habe, die der von Olnitzki erschossene Riley hinterlassen, die Nachbarn es übernommen hätten die Farm für diese zu bewirthschaften, bis sie den Besitz selber antreten könne, und daß keine Klaue und kein Huf von diesem Eigenthum ihre »range« verlassen solle, in andere Hände überzugehen.

Mr. Kowley sah sich genöthigt unverrichteter Sache nach Little Rock zurückzureiten; aber keineswegs gesonnen sich »in seinem guten Recht« durch eine Bande gesetzloser Squatter, wie er sie nannte, stören zu lassen, machte er die Sache in Little Rock anhängig, und ein ordentlicher Proceß entstand, von dessen Kosten sich die Squatter schon durch das sie schützende Gesetz1 freihielten, der aber doch, nachdem er sich über Jahr und Tag hingezogen, gegen die Squatter entschieden und ein Termin zu gleicher Zeit anberaumt wurde, an dem die früher dem Polen Olnitzki gehörende und käuflich an Mr. John Kowley übergegangene Farm, mit den dazu gehörigen und in dem Verkaufsbrief einzeln aufgeführten Pferden, Rindern und Schweinen, öffentlich und an den Meistbietenden verkauft werden sollte.

Der Termin war heute, und zwei, gerade in jenem County befindliche Geistliche, sogenannte circuit riders, die von ihren Consistorien ausgeschickt werden die noch wenig bevölkerten Distrikte, in denen keine Kirchen sind, zu durchziehn und dort zu predigen, hatten sich entschlossen für den nächsten Tag eine schon längst beabsichtigte »Betversammlung im freien Walde« anzusagen, da der Gerichtstermin ja ohnedieß eine Menge Menschen herbeiziehen mußte. Ob gerade diese Gelegenheit eine sonst passende war kümmerte sie wenig, sobald nur viel Menschen dort zusammen kamen und die Beisteuer zu ihren milden Zwecken – Kirchenbau, Missionswesen, Bibelvertheilung und Erhaltung der Geistlichen – recht reichlich ausfiel.

Jack Owens sonst so freundliches Gesicht nahm aber einen recht ernsten, finsteren Ausdruck an, als er den freien Platz betrat auf dem die Fremden versammelt waren, und unter diesen eine ziemlich große Zahl städtisch gekleideter Advokaten und Kaufleute von Little Rock, die theils Neugierde, theils wirkliche Lust zu kaufen hier heraus in den Wald getrieben, erkannte. Schweigend, und von seinem Begleiter dicht gefolgt, seine Büchse über der Schulter, seinen großen Hund hinter sich, ohne zu grüßen, ohne umzusehen, schritt er zwischen der Schaar durch und auf das Haus zu, in dessen Thür ein junges, bildhübsches vielleicht vierzehnjähriges Mädchen stand, und ihm freudig und herzlich beide Hände entgegenstreckte.

»Oh Gott segne Euch Mr. Owen« rief ihm das etwas bleich und angegriffen aussehende Kind entgegen – »wie froh, wie glücklich bin ich daß Sie endlich angekommen sind; ich hatte schon solche Angst Sie – Sie würden – «

»Doch nicht fortbleiben heute, Jenny?« lachte der Jäger, gutmüthig ihre zarten Wangen und das goldene Haar aus ihrer Stirn streichend – »nein mein Kind, wir verlassen Dich nicht, darauf darfst Du bauen; dieß ist deine Heimath und soll es bleiben und wenn wir Alle unsere Heerden verkaufen müßten, sie Dir zu erhalten – wohin es aber nicht kommen wird. Wie geht's Deiner Großmutter, Herz?«

»Schlecht Mr. Owen, recht schlecht – die vielen Menschen da draußen machen ihr Angst – sie hat stärkeres Fieber heute gehabt, und ist vor einer halben Stunde etwa nur erst eingeschlafen.«

»Hier hab' ich Dir 'was zu leben mitgebracht, Jenny« sagte der Jäger, dem Kinde lächelnd das Kinn emporhebend – »ein junger Truthahn, aber feist wie Butter; die ißt Du ja so gern. Doch dem Mann da, – ein Fremder der sich verirrt und die Nacht im Walde zugebracht hat – mußt Du etwas zu essen machen und einen Platz an Deinem Feuer gönnen bis er sich getrocknet hat, wenn er sich nicht lieber draußen in die Sonne legt. Hast Du etwas für ihn?« —

»Für Sie und ihn, Mr. Owen, der Kaffee ist fertig und steht am Feuer, ebenso das Brod, und der Speck ist in wenigen Minuten gebraten.«

»Bravo mein Herz, dann können wir gleich zulangen; ich habe überdieß schon den ganzen Morgen durch den Wald gepirscht, solch einen Vogel für Dich zu suchen, und Dir dabei gleich den Scheerenschleifer gefangen, der die Nacht irgendwo im Wald aufgebäumt war aus Furcht vor Panthern und wilden Bestien. Kommen Sie herein, Mister, wie ist gleich ihr Name? – Mowlbare – wunderliches Wort das, aber ich denke Sie halten's wohl mit dem alten Sprichwort was wir hier im Walde haben – einerlei wie man uns ruft, nur nicht zu spät zum Essen!«

Maulbeere ließ sich nicht zweimal nöthigen – seinen Karren draußen vor der Thür stehn lassend, nahm er den alten aufgeweichten Filz vom Kopf, strich sich die nassen struppigen Haare aus der Stirn, und machte Miene sich ohne Weiteres an den schon gedeckten Tisch zu setzen, auf den die Kleine eben die breitfüßige blecherne und dampfende Kaffeekanne stellte.

»Wenn Sie sich erst waschen wollen, so steht draußen der Eimer und das Becken« sagte Jack, dem es vielleicht so vorkam, als ob ein wenig Seifenwasser der Physiognomie und den Händen des Fremden eben nicht schaden könne.

»Danke« sagte aber der Scheerenschleifer in aller Ruhe – »ich bin die Nacht gerade genug gewaschen, und habe mir das Wasser verleidet – Kaffee ist mir lieber.«

»Helft Euch selber dann« sagte Jenny freundlich, dem wunderlichen Fremden einen Stuhl zum Tisch rückend – »Ihr seid herzlich willkommen zu Allem was wir haben.«

Die beiden Männer setzten sich und aßen, und eine Weile wurde weiter Nichts gehört, als das Klappern der Messer, Gabeln und Tassen, von denen noch einige aus Olnitzkis Nachlaß übrig geblieben waren und über die sich Maulbeere allerdings den Kopf zerbrach, wie solch reich vergoldetes, weit anderen Verhältnissen angehörendes Geschirr hierher seinen Weg gefunden haben konnte. Er würde freilich noch weit mehr erstaunt gewesen sein, wenn er erfahren hätte daß die nämliche allerdings henkellose und oben ausgebrochene Tasse aus der er trank, mit ihm auf ein und demselben Schiffe von Deutschland erst herübergekommen wäre. Die Lebensmittel, besonders der heiße Kaffee nahmen jedoch seine Aufmerksamkeit viel zu sehr in Anspruch, sich für jetzt um irgend etwas anderes zu bekümmern, und wieder und wieder mußte Jenny die Tasse füllen.

»Jenny« sagte da Jack nach langer Pause, in der seine Blicke ernst und sinnend über den kleinen Raum geschweift waren – denn das vergoldete Geschirr hatte bei ihm ganz andere Erinnerungen wach gerufen, »wenn das Haus nachher zum Verkauf angekündigt ist, wirst Du mit bieten müssen, Herz.«

»Ich, Mr. Owen?« sagte das arme Kind, wehmüthig lächelnd, »Du lieber Gott, mit was sollt ich wohl bieten; Sie wissen ja recht gut daß wir Nichts haben auf der weiten Welt.«

»Hast Du gar kein Geld, Jenny?« sagte Jack, sie halb erstaunt aber recht freundlich anschauend – »gar Nichts, nicht ein ganz klein wenig?«

»Ein ganz klein wenig, oh ja« lächelte das Mädchen gutmüthig – »einen Viertel Dollar in Silber, den mir Großmutter schon vor langer langer Zeit gegeben.«

»Nun siehst Du wohl, Schatz« lachte der Jäger, »daß Du reicher bist wie Du Dich machst? das ist vollkommen genug.«

»Ein Viertel Dollar, sagte ich Mr. Owen.«

»Jawohl, und noch dazu in Silber.«

»Aber was soll ich damit anfangen?«

»Nun die Farm und das Vieh kaufen – ganz Arkansas kannst Du freilich nicht dafür bekommen.«

Das Mädchen wandte sich langsam ab eine aufsteigende Thräne zu unterdrücken, denn der Scherz that ihr weh; Jack aber, der sie nicht kränken wollte, stand auf, ging zu ihr, legte seine Hand auf ihre Schulter und sagte freundlich —

»Es ist kein Scherz, Jenny, Du mußt gewiß mit bieten, ja noch mehr, Du mußt den Anfang machen. Fürchtest Du Dich wenn ich dabei bin?«

»Nein Mr. Owen« sagte das Mädchen herzlich – »aber ich begreife nur nicht – «

»Wirst das schon Alles noch erfahren – welche Zeit haben wir jetzt?«

»Bald elf Uhr, nach der Sonne.«

»Alle Wetter, dann ist auch nicht mehr viel zu versäumen, um elf beginnt die Auktion – wenn ich Dich rufe komm zu mir hinaus. Und Sie, Mr. Mowlbare können heut etwas Neues sehn in Arkansas, aber« – setzte er ernster und fast wie drohend hinzu – »wenn ich Ihnen zum Besten rathen soll, so bieten Sie nicht mit.«

»Danke herzlich« sagte Maulbeere verbindlich – »spüre für jetzt noch nicht die mindeste Lust mich in Arkansas niederzulassen – aber hinaus darf man doch kommen?«

»Gewiß, gewiß« lachte Jack wieder, »und werden treffliche Gesellschaft da finden;« und seine Büchse schulternd, während er dem Mädchen freundlich zunickte, verließ er rasch das Haus.

Draußen kamen indessen Fremde auf Fremde, sammelten sich um die verschiedenen Feuer, wo sie einen Bekannten trafen, oder besahen auch wohl die aus dem Nachlaß von den Nachbarn selber herbeigebrachten Pferde, die dort ausgehobbelt – d. h. mit zusammengebundenen Vorderfüßen – an hingeworfenen Maiskolben knapperten, und munter den immer und immer wieder neuankommenden Reitern entgegenwieherten.

Um den Sheriff, der von Little Rock selber herübergekommen war den Verkauf zu leiten, hatte sich dabei eine ziemliche Anzahl von »Stadtleuten« versammelt; der Platz ging jedenfalls für ein Spottgeld weg, denn der jetzige Eigenthümer Mr. Kowley, wollte ihn um jeden Preis los sein, und die Pferde allein, wackere prächtige Thiere, hatten einen guten Werth.

Jack ging wieder zwischen den Gruppen durch, ohne sie auch nur eines Blicks zu würdigen, und hie und da flüsterte man wohl leise hinter ihm her, daß das der Mann sei, der den frühern Eigenthümer dieses Platzes erschossen. Vor eine Jury damals gestellt war er aber, da es in Selbstvertheidigung geschehen, frei gesprochen worden; Olnitzki hatte zuerst nach ihm geschossen, und der Wille allein wäre genügend gewesen, selbst ohne die, noch damals nicht geheilte Narbe von dessen Kugel. Die Leute von Little Rock hielten sich aber fern von dem Mann; sie wollten mit den Squattern dieses Distrikts, die den Ruf eines wilden unzähmbaren Volkes hatten, so wenig als möglich in Berührung kommen, und waren vollkommen zufrieden Niemand weiter von der Schaar zu sehn, wenn sie sich auch eigentlich darüber wunderten.

»Gentlemen!« redete da der Sheriff die Versammlung an, »es wird etwa elf Uhr sein, und ich glaube wir können die Auktion beginnen, damit die Herren, die noch gesonnen sind heute nach Little Rock zurückzukehren, Zeit dazu behalten. Wir sind doch wahrscheinlich Alle versammelt, die an dem Kaufe Theil nehmen wollen und ich werde anfangen.«

Jack Owen stand etwa zwanzig Schritt von ihm entfernt, als er diese Worte an die ihm Nächsten richtete, und nahm jetzt, ohne eine Sylbe darauf zu erwiedern, seine Büchse von der Schulter. Zugleich spannte er den Hahn, zielte einen Augenblick nach dem Wipfel einer der nächsten Eichen, und bei dem Krachen des Schusses stürzte ein Rothkehlchen, das sich dort oben im Gefühle völliger Sicherheit niedergelassen, gänzlich von einander geschossen herunter zu Boden.

»Ein famoser Schuß!« riefen Einige der Stadtleute, die nicht recht wußten was sie aus dieser plötzlichen Schießübung mitten zwischen sich machen sollten – »ein vortrefflicher Schuß!« Der Sheriff nur wandte sich mit eben keinem freundlichen Blick gegen den Schützen um, sagte aber Nichts und Jack, ohne die geringste Notiz von irgend Jemand Anderem zu nehmen, stieß seine Büchse vor sich auf den Boden nieder, reinigte sie, und lud sie wieder.

Da brachen rings die Büsche, Rosse wieherten, Hunde schlugen an; überall raschelte und knackte es im Wald, und der Boden zitterte unter den schmetternden Hufen einer heranstürmenden Anzahl Pferde, nach denen sich die hier um die Feuer Versammelten kaum überrascht, ja erschreckt umsehen konnten, als auch schon einige dreißig kräftige wilde Gestalten, fast Alle in lederne oder wollene Jagdhemden und ausgefranzte Leggins gekleidet, ihre langen Büchsen über der linken Schulter, ihre Messer an der Seite, die Zügel ihrer Thiere locker in der rechten Hand, Einzelne im bloßen Kopf mit flatternden Haaren wie Indianer, Andere mit alten Filz- oder Strohhüten auf, über umliegende und dort umhergestreute Stämme wegsetzend, herankamen, und dicht um die Feuer her ihre schnaubenden Thiere parirten. So rasch und plötzlich und so mit einem Mal von allen Seiten war die Schaar der Backwoodsmen, sämmtlich Nachbarn hier und Squatter dieser Niederungen, herangekommen, daß der Schuß des Einen von ihnen jedenfalls das Signal für Alle gewesen sein mußte, die schon lange darauf harrend im Hinterhalt gelegen. Aber Keiner von ihnen kümmerte sich um den Anderen, und handelten sie nach einem Entschluß, so war der jedenfalls schon früher verabredet und besprochen, und bedurfte keines weitern Worts noch Winkes. Aber Alle warfen sich jetzt von den Pferden, hingen die Zügel der scharrenden, stampfenden Thiere an den nächsten schwingenden Zweig der ihnen zur Hand war, und traten dann, ihre Büchsen auf den Schultern und trotzig genug sich dabei im Kreise umsehend, mitten zwischen die Käufer hinein, so daß sie diese von allen Seiten umgaben und umstanden. Unter ihnen waren der alte Rosemore, Bill Jones, Sam Houston und überhaupt das ganze »settlement« oder die Nachbarschaft – Keiner fehlte.

Wenn Jemand in der ganzen Versammlung, so hatte aber der Sheriff von Little Rock diese »Demonstration«, für was er sie nicht ganz mit Unrecht hielt, in Zorn und Unwillen angesehn, ohne freilich dagegen einschreiten oder auch nur etwas dawider äußern zu können. Daß die Leute mit ihren Waffen kamen verstand sich von selbst, ein Backwoodsman geht nie ohne diese, nicht hundert Schritt von seiner Hütte ab, vielweniger eine Strecke durch den Wald, sei die Gelegenheit welche sie wolle, und das stille ernste Benehmen der Männer ließ ebenfalls auf keine Störung schließen; nichtsdestoweniger gefiel ihm das plötzliche Ankommen der Leute nicht, das auch auf die übrigen Käufer, die schon wußten daß der Verkauf nicht mit dem Willen der »Nachbarn« geschah, einen fatalen Eindruck gemacht. Dem Gesetz durften sie aber nicht mit Gewalt entgegentreten, und so oft sie dasselbe auch in ihre eigne Hand schon genommen, hüteten sie sich doch jedenfalls den Sheriff in seinem Amt zu hindern. So also auf einen der zahlreichen dort umherstehenden, kurz abgehauenen Baumstümpfe tretend, die Versammlung besser übersehn zu können, zeigte er dieser mit kurzen Worten an daß der Verkauf der Farm jetzt beginnen solle, die er, Zeit und Mühe zu ersparen, und nach dem bestimmt ausgesprochenen Willen des jetzigen Eigenthümers, Mr. Kowley aus Little Rock, gleich mit dem dazu gehörenden Vieh, Pferden, Rindern und Schweinen in einem Gebot an den Meistbietenden losschlagen würden, wonach es dann dem Käufer überlassen bleibe, wenn er es für gut finden sollte, Pferde oder Vieh wieder besonders zu versteigern.

»Ein Wort Mr. Sheriff!« sagte da plötzlich der alte Rosemore mit seiner tiefen, ruhigen Stimme, indem er ebenfalls den Kolben seiner Büchse auf einen andern Stumpf stemmte und hinaufstieg; »ich bin als Ältester hier unter uns, und von den Nachbarn beauftragt worden noch ein paar Worte an die Versammlung zu richten.«

»Ich glaube nicht daß etwas derartiges nöthig sein wird« sagte der Sheriff – aber von allen Seiten rief es »doch, doch! sprecht Sir – was giebt's« und der Sheriff, sich die Unterlippe beißend, schwieg.

»Ich bin gleich fertig« sagte der alte Mann freundlich, »denen nur die es noch nicht wissen, wollte ich hier blos einfach mittheilen daß Farm, Pferde und Vieh von dem früheren Besitzer, dem Polen Olnitzki, an einen anerkannten falschen Spieler und sonst gar verdächtigen Menschen, der es seit der Zeit nie wieder gewagt hat zwischen uns zu erscheinen, im falschen Spiel, wie sich später herausgestellt hat, verloren wurden.«

»Mr. Rosemore« – unterbrach ihn der Sheriff.

»Entschuldigen Sie mich, Sir, ich bin noch nicht zu Ende« sagte der alte Mann ernst und fuhr dann langsam fort, »die Frau wie wir Alle hier wissen, die jener Olnitzki schlimmer behandelt hat, als ein Indianer seine Squaw behandeln würde, stammte aus einer edlen und reichen Familie, und hatte mit ihrem Geld, als sie nach Amerika kamen, Farm und Viehstand, von dem Olnitzki schon früher drei Viertheile durchgebracht, gekauft – aber sie besaß keine Papiere darüber. Vor mehren Jahren hat ferner jener Olnitzki, den hier später seine Strafe erreichte, einen armen aber rechtlichen Mann im allerdings ordentlich abgehaltenen Zweikampf erschossen, weil dieser nicht ruhig zusehn wollte, wie er seine arme, kränkliche Frau mishandelte und schlug. Der Mann hieß Riley und hat eine alte kranke Frau, seine Großmutter, und eine jüngere Schwester ein Kind noch fast, hinterlassen, das dort in der Thür der Hütte steht. Diesem Kinde hat Olnitzki's Frau, als sie mit ihrer Schwester nach des Polen Tode uns verließ, die Farm mit dem sämmtlichen Viehstand geschenkt. Wir Nachbarn erklärten dabei, daß Olnitzki kein Recht gehabt habe die Farm, die seiner Frau gehörte zu verspielen, die Gerichte in Little Rock entschieden aber anders. Nach langem Streiten gewann jener Advokat, der von dem falschen Spieler Land und Vieh zu einem Spottpreis gekauft, den Prozeß, und der Herr Sheriff ist heute herübergekommen, Land und Viehstand an den Meistbietenden öffentlich zu versteigern. Das, Mitbürger, ist der Thatbestand der Sache, und wir Nachbarn« – setzte er mit lauterer Stimme hinzu, »sind der Meinung daß das Kind die Farm, die ihm rechtmäßig schon gehört, erstehen wird.«

»Das kommt auf die Gebote an, Sir!« rief der Sheriff heftig.

»Ei versteht sich, Sir,« sagte der alte Rosemore – »auf die Gebote, und ich bitte daß Sie beginnen. Jack Owen – seid doch so gut und führt das arme Kind einmal hier zwischen die Herren herein – es fürchtet sich sonst näher zu treten; Sie sind wohl so freundlich, Gentlemen, und machen ihm Platz!«

»Oh ja wohl – mit dem größten Vergnügen!« riefen die dem Haus zunächst Stehenden bereitwillig, und Jack Owen schritt langsam dem Hause zu, nahm Jenny, der er einige ermuthigende Worte zuflüsterte, an die Hand, und führte das junge zitternde Mädchen in den Kreis der Männer, die eine Gasse für sie öffneten.

»Oh Bill!« rief während der kleinen Pause die jetzt entstand, Einer der Backwoodsmen, ein rauher, wild aussehender Bursche einem Andern über den ganzen Kreis hinüber zu – »ich habe die Nacht einen schändlichen, nichtsnutzigen Traum gehabt – mir träumte ein feiner Bursche mit einem Tuchrock an, hatte die Farm erstanden, und wie ich zu Haus ritt lag er im Gründorn Flat auf des Polen Grab, und hatte einen rothen, häßlichen Fleck mitten auf der Stirn.«

»Ah Unsinn Jim!« lachte der Andere zurück, »Dein Traum hinkt, denn ich habe geträumt es hätte gar Niemand mitgeboten!«

»Gentlemen ich protestire hier feierlich gegen jede drohende Einwirkung auf den Verkauf dieses Gutes!« fiel hier der Sheriff hitzig ein, »oder ich sehe mich genöthigt mich unverrichteter Sache zurückzuziehn, und dem Staatsanwalt Anzeige solchen Benehmens zu machen.«

»Thut Euere Pflicht Sheriff!« rief aber der alte Rosemore ruhig – »es wird kein Mensch mehr ein Wort hineinreden – daß sich ein paar junge Burschen ihre albernen Träume erzählen darf Euch nicht kümmern.«

Der Sheriff zögerte noch einen Augenblick und berieth sich in leisem Flüstern mit den ihm nächst Stehenden was zu thun, ein späterer Termin würde aber ebenfalls zu keinem andern Resultat geführt haben, die Käufer hatten jedenfalls das Gesetz und seinen mächtigen Arm auf ihrer Seite, und nach kurzer Einleitung, in der er jetzt die Zahl der urbar gemachten Äcker, der Pferde, die von den Kauflustigen schon in Augenschein genommen, die Anzahl Kühe, Rinder und Schweine aufgezählt, eröffnete er die Auktion und lud die Anwesenden zu einem Anfangsgebot ein.

Im ersten Augenblick herrschte tiefe Stille, das Zirpen der Grillen drang peinlich deutlich von den nächsten Bäumen herüber, und man konnte das Athmen der Menge hören. Da bog sich Jack Owen freundlich zu dem jungen Mädchen nieder und flüsterte ihr ein paar ermuthigende Worte zu und Jenny, mit todtenbleichen Wangen und zitternden Lippen, aber klaren, blitzenden Augen, trat einen Schritt vor und sagte mit nicht lauter, aber doch bis selbst zu den entferntest Stehenden dringend:

»Ich biete einen Viertel Dollar für das Ganze.«

»Unsinn!« rief der Sheriff, in auflodernder Wuth mit dem Fuße stampfend, »wir haben hier kein Kinderspiel für müssige Leute – ein Viertel Dollar, wo das Gebot in die Hunderte steigen muß, nur den halben Werth zu erreichen.«

»Gebot ist Gebot!« rief es von anderer Seite, »der Verkauf hat begonnen – thut Euere Pflicht Sheriff!«

»Ich brauche mich von Niemanden an meine Pflicht mahnen zu lassen!« schrie dieser, leichenbleich vor innerem Grimm, dem er doch nicht Worte geben durfte, den Männern gegenüber.

»Ein Viertel Dollar ist geboten,« sagte der alte Rosemore ruhig, »Jenny wird es wohl für den Preis bekommen.«

»Wenn kein Gebot geschieht,« rief jetzt der Sheriff, mit Zornfunkelnden Augen, »hebe ich den Verkauf auf!«

»Ein Gebot ist geschehn!« schrie da Einer der jungen Backwoodsmen, derselbe, der vorher seinen Traum erzählt, und trotzig dabei mit der Büchse in den Kreis springend, »wir Männer von Arkansas sind eingeladen worden dem Verkauf heute beizuwohnen; der Verkauf hat begonnen, ein Gebot ist gemacht worden und ich frage Euch hier, die Ihr anwesend seid, ob etwas Unregelmäßiges in der Verhandlung stattgefunden?«

»Nein – Nichts!« schrie es von allen Seiten, »die Advokaten mögen uns Ihre Dintenklexer hier herüberschicken und uns die Farmen unter der Nase ausbieten lassen, wir können und wollen es ihnen nicht wehren, aber laß sie es wagen unsere Gebote nicht zu respektiren, und wenn es sich um einen einfachen Cent handelte, und bei Höll und Teufel wir schicken sie heim, daß ihre Haut keine Maishülsen mehr halten sollte.«

»Ein Viertel Dollar ist geboten Gentlemen!« rief der alte Rosemore wieder so ruhig wie vorher, »Mr. Sheriff wollen Sie weiter fragen, oder glauben Sie daß der Preis genügt? es wird Mittagszeit, und wir, die wir noch zur Campmeeting zu reiten wünschen, möchten doch erst gern zu Hause etwas essen.«

»Gentlemen!« rief aber der Sheriff auch, sich jetzt ermannend, »Sie werden dieses Scheingebot eines Kindes nicht gelten lassen. Das Gesetz und sein starker Arm schützt Sie in jedem Gebot das Sie machen, und meinen eignen Hals will ich zum Pfande setzen daß der von Ihnen, der dieß Gut zu irgend einem Preis ersteht, auch in den rechtlichen Besitz desselben gelangen soll.«

»Mein Traum wird doch wahr, Bill,« rief der Backwoodsman wieder über den Kreis hinüber.

»Denkt nicht daran,« lachte der Andere, »der Sheriff hat ja seinen Hals verpfändet, und wird die Farm vielleicht selber kaufen wollen.«

»Ein Viertel Dollar ist geboten,« begann zum dritten Mal der alte Rosemore, »wenn Ihr nicht selber jetzt die Auktion beginnt, Sheriff, dann thun wir es – überschreitet Euere Pflicht nicht, denn wir sind hier herbestellt, und verlangen den Zuschlag für den Käufer.«

»Auf ein solches Gebot schlag ich nicht zu!« schrie aber der Sheriff, jetzt außer sich vor Wuth, »wer will mich zwingen?«

»Das Gesetz!« tobten ihm da die Backwoodsmen entgegen, »glaubt Ihr, daß Ihr uns hier zum Narren haben könnt, gerad' nach Gefallen, und herbestellen wenn es Euch freut, weil Euch ein Gebot nicht behagt? Die Farm ist angesetzt und feil gemacht; das Kind dort hat einen Viertel Dollar geboten und bietet Niemand mehr, und schlagt Ihr dann nicht zu, so straf uns Gott, wenn ein anderer Auktionator, ein anderer Käufer seinen Fuß wieder auf dieses Land setzen soll.«

»Und Keiner bietet einen Cent mehr,« knirschte der Sheriff zwischen den Zähnen durch – wagte aber selber kein höheres Gebot – »Gentlemen ich wiederhole es hier nochmals – das Gesetz schützt Sie in jedem Gebote das Sie thun, und kein Bürger der Vereinigten Staaten darf und wird sich dem widersetzen, denn die Folgen würden schwer und furchtbar auf sein eigenes Haupt zurückfallen. So beginne ich denn nochmals den Verkauf – zwei Bits sind geboten, und ich erwarte daß der zweite Bieter mit eben so viel hundert ganzen Dollarn nachfolgen wird – ich – das Gesetz steht ein für sein gewahrtes Recht.«

Alles schwieg – der Amerikaner läßt selten lange auf sich warten, wo sich die Aussicht auf Gewinn für ihn bietet, aber die dunklen trotzigen Gestalten hier umher – das Blut das schon unter diesen Bäumen geflossen, ohne daß selbst das Gesetz im Stande gewesen war es zu sühnen, die Drohung selbst, die versteckt, aber doch deutlich genug in dem erzählten Traum lag – hie und da vielleicht auch mit dem Rechtlichkeitsgefühle Manches, der doch wohl einsah daß dem Kind – wie das Gesetz auch da geurtheilt – die Farm gehören müsse – Keiner bot.

Wieder und wieder suchte sie der Sheriff nur erst zu einem Gebot zu treiben, dem dann leicht andere folgen würden – umsonst und endlich selber gereizt, und wüthender fast über die herübergekommenen Käufer als über die Squatter selbst rief er, während die »Nachbarn« ringsum lautlos standen, denn sie wußten jetzt daß sie gesiegt hatten – mit bleichen Wangen und vor innerer Aufregung funkelnden Blicken:

»Gut – wenn Ihr Alle denn zu feige seid Euer Recht zu wahren, und der, der am meisten dabei interessirt ist, sein ausgelegtes Geld wenigstens für das Land wieder zu bekommen, sich gar nicht dabei blicken läßt, was kümmerts mich. Also,« und seine Hand hob sich dabei sie zum Zuschlag sinken zu lassen, »ein Viertel Dollar ist geboten – ein Viertel Dollar zum ersten – kein Gebot weiter? – ein Viertel Dollar zum zweiten« – eine Todtenstille herrschte, man konnte das Zwitschern der Vögel weit im Wald drinne, das Glucken und Kratzen der Hennen vor dem Hause hören – »ein Viertel Dollar zum zweiten, und – « die Hand kam nieder, und mit der Bewegung das Wort: »zum – Dritten!«

»Hurrah! Hurrah!« tobten und jubelten und jauchzten die wilden Gesellen um ihn her – »piff, paff,« gingen die Freudenschüsse hoch in die Luft, und Jack Owen, in der linken Hand seine abgeschossene Büchse schwingend, griff mit dem rechten, eisernen Arm das junge, ängstlich umherschauende, und seinem Glück noch immer nicht trauende Mädchen vom Boden auf und trug es, unter dem Jubelruf der Menge, zwischen die Schaar der Nachbarn hinein. Alle Hände streckten sich nach ihr aus, den rauhen wilden Gesellen standen Thränen in den Augen, und im Triumphe wurde Jenny jetzt dem Hause zugetragen, als neue, rechtmäßige Besitzerin.

1

In Arkansas kann und darf kein Ansiedler wegen irgend welcher Schulden gepfändet werden, wenn er nicht mehr hat, als ihm das Gesetz an Eigenthum gestattet und für seine Existenz für nöthig hält. Seine Wohnung, sein Bett, seine Büchse, sein Ackergeräth, sein Pferd und zwei Kühe dürfen nicht angerührt werden, und so gerecht und wohlthätig das Gesetz auch sein mag, läßt sich denken daß es manchmal gemißbraucht wird, indem der Farmer sein »überzähliges Vieh« nur auf kurze Zeit zu verleugnen und einem andern Nachbar zuzusprechen braucht.

Nach Amerika! Ein Volksbuch. Sechster Band

Подняться наверх