Читать книгу Amerikanische Wald- und Strombilder. Zweiter Band. - Gerstäcker Friedrich, Jurgen Schulze - Страница 1

Ein Versuch zur Ansiedlung, oder wie's dem Herrn von Sechingen im Urwald gefiel

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Amerika – Urwald – Indianer – Tomahawk – Scalpiren – Schlingpflanzen – Panther – »Oh, wer doch einmal im Urwald sein und das Alles so recht in der Nähe mit ansehen könnte« – ruft der entzückte Leser, während vor seinem inneren Auge eine wunderliebliche Camera obscura ihm all die obenerwähnten Sachen klein und zierlich, aber mit dem vollen Zauber reicher Phantasie übergossen, vorspiegelt.

»Da muß ich hin!« hatte auch »von Sechingen,« ein junger unabhängiger deutscher Edelmann gesagt, als er Coopers »Ansiedler« auf's Sopha warf, emporsprang, die an der Wand hängende Büchse ergriff und auf einen, im Geist heraufbeschworenen Panther schnell und sicher anlegte.

Er nahm sich kaum Zeit, das Buch auszulesen; noch in demselben Monat ordnete er seine Geschäfte, und acht Wochen später trug ihn die wogende, blaue See hinüber zu dem Lande seiner Hoffnungen und Träume. Dort, im stillen Wald – im rauschenden Schwanken der Urbäume, wollte er sich seine Hütte bauen, den Bär und Panther jagen und mit den rothen Eingeborenen verkehren; dort von allen Sorgen und Ärgernissen des alten Vaterlandes entfernt, hoffte er die Ruhe zu finden, nach der er sich gesehnt, und die Oberlippe warf er stolz und verächtlich empor, als er jetzt an all das Complimenten- und Etikettenwesen der alten Welt zurückdachte, was Gott sei Dank nun hinter ihm lag.

Die Reise war höchst glücklich – nach schneller Fahrt erreichte er New-Orleans, hielt sich aber hier kaum lange genug auf, die Stadt flüchtig anzusehen, sondern nahm, als am nächsten Morgen ein für den Arkansas bestimmtes Dampfboot stromauf lief, auf diesem Passage, und erreichte neun Tage später Little Rock, die Hauptstadt des Staates.

Hier nun strömten, wie das stets bei ankommenden Booten der Fall ist, eine Masse von Menschen an Bord, um vielleicht hie und da einen Bekannten zu treffen oder Zeitungen und Briefe in Empfang zu nehmen, und von Sechingen, dem das Treiben noch ganz neu und ungewohnt war, konnte nicht umhin, einen kleinen freundlichen Mann zu bemerken, der, etwa ein Achtunddreißiger, einen grauen, verschossenen Überrock mit Messingknöpfen, ein paar dunkelfarbige Sommerbeinkleider, grobe Schuh, ein hellblaues Halstuch und einen ziemlich mitgenommenen schwarzen Seidenhut trug.

Der kleine Mann trat nämlich mit einer unbeschreiblichen, wohlbehaglichen Sicherheit auf, schien dabei Jeden auf dem Boot zu kennen, und war auch wirklich von Allen gekannt, denn des Zunickens und Handdrückens wurde gar kein Ende und »wie gehts Charley – noch immer munter, Charley? – bless me Charley, wie dick Ihr geworden seid!« tönte fast von jeder Lippe. – Es war Charles Fischer, dessen Name bei allen dort gewesenen oder reisenden Deutschen fast unzertrennlich von dem Namen der Stadt selbst geworden, denn schon seit langen Jahren wohnhaft in der Stadt, die er, wie er gern erzählte, »noch als ein Dorf gekannt,« hatte er durch Fleiß und Sparsamkeit (er war ein Tischler) und besonders durch Glück, bei allen seinen Unternehmungen eine hübsche Summe gespart, später ein paar kleine Häuser gebaut, dann eine Art Wirthshaus und Schenkstand angelegt und jetzt steigerte sich mehr und mehr sein Verdienst, da er Alles, was er brauchte, von New-Orleans oder Cincinnati – wo Provisionen wie Getränke sehr billig sind – bezog, und dieses dann in Little Rock zu einem enormen Preis wieder verkaufte. Dazu als eine gute, harmlose Seele beliebt, und schon so lange an jenem Ort wohnend, daß ihn Hin- und Herreisende immer wieder auf derselben Stelle, der Erste an Bord jedes anlangenden Bootes, und eine halbe Stunde später hinter seinem Schenktisch fanden, wurde Charles Fischer gewissermaßen die Hausnummer, die man auf alle nach Little Rock oder auch ganz Arkansas addressirten Briefe setzte, wenn man nicht den Ort, wohin Brief oder Passagier bestimmt war, ganz genau angeben konnte.

Charles Fischer war also, und ist selbst jetzt noch, das Policeibüreau für sämmtliche nach Little Rock kommende Deutsche, auf dem sie sich nach jedem Interessanten erkundigen können, das aber dafür auch Alles, was den Fragenden angeht, wissen will. Selbst übrigens selten oder nie, seit er in Amerika ist, aus Little Rock herausgekommen, wechselt er auch seine Ansichten nicht besonders, und wenn Jemand von ihm wissen will, wo in Arkansas gutes Land liegt, so schickt er ihn seit funfzehn Jahren an den Fourche la fave; wünscht man von ihm zu erfahren, wie die »Zeiten« sind, so schimpft er und holt ein Paketchen kleiner Banknoten, die er mit einem starken Bindfaden in einem Westenknopfloch befestigt hat, aus der Tasche und sagt »man müsse in Little Rock das Geld anbinden, sonst liefe es fort;« erkundigt man sich nach seiner politischen Meinung, so ist er Demokrat mit Leib und Seele – er ließe sich, behauptet er, lieber todtschlagen, ehe er zu den Whigs überginge, läßt sich aber nie auf nähere Erörterungen ein, da ihm der Unterschied zwischen Whigs und Demokraten noch selbst in vielen Stücken sehr dunkel ist; fragt man ihn aber, was seine Frau macht, so stößt er Einem den Zeigefinger in die Rippen, blinzt das linke Auge zu, was verschmitzt aussehen soll, und lacht.

Außer Little Rock existirt weiter keine Welt für ihn, er verschmäht jede Einladung, einmal auf das Land zu seinen Freunden zu kommen, und behauptet bei solchen Gelegenheiten stets, sich mit innigem Behagen die Hände reibend, »es gäbe doch nur ein Little Rock,« und darin hat er vollkommen recht, denn es wäre fürchterlich, wenn auf der Welt noch solch ein zweiter Platz existirte.

Eben hatte Charley, wie er von Allen freundschaftlich genannt wurde, mehre Briefe vom Buchhalter in Empfang genommen, die zwar an ihn adressirt, keineswegs aber für ihn bestimmt waren und wollte das Boot wieder verlassen, als von Sechingen, der jetzt genug von ihm gesehn und auch den Namen so oft gehört hatte, um ziemlich sicher zu sein, wer vor ihm stehe, auf ihn zutrat, und freundlich grüßend fragte, ob er »das Vergnügen habe, mit Herrn Carl Fischer zu sprechen?«

»Charley – of course – gewiß –« sagte der Kleine, »eben von Deutschland gekommen, eh? haben Sie dort auch letztes Jahr so nasses Wetter gehabt, wie wir hier? aber apropos, was ich Sie fragen wollte, wie weit sind Sie denn bei Stuttgart mit der Eisenbahn?«

»Es thut mir leid, Ihnen darüber keine genaue Auskunft geben zu können,« lächelte der Fremde »ich komme aber mit einer Bitte um Rath zu Ihnen, Herr Fischer, indem ich von New-Orleans aus durch einen dort zufällig getroffenen Freund an Sie gewiesen bin, mir die beste Gegend für Land hier in Arkansas zu nennen. Ich beabsichtige mich anzukaufen und weiß selbst noch nicht recht, ob ich meine Nachforschungen von hier aus beginnen, oder mit dem Boot bis Fort Gibson hinauf gehen soll.«

»Land kaufen?« sagte Charley, wie er sich selber nannte, »Land kaufen? keine bessere Gegend in der Welt, als am Fourche la fave – Land nicht todt zu machen – Weide, unverwüstlich – Wild unmenschlich.«

»Viel Wild? so?« frug der Fremde, und wurde aufmerksamer – »und wo liegt dieses paradiesische Land?«

»Etwa vierzig Meilen von hier, über die Berge fort, Sie gehen jedoch am Besten mit dem Boot bis an die Mündung des kleinen Flusses selbst, und dann soll es noch etwa zwanzig Meilen von da bis zu der deutschen Ansiedlung sein, Sie können nicht fehlen, immer am Fluß hinauf.«

»Was fang ich aber indessen mit meinen Sachen an? denn wenn ich eine Fußtour unternehmen soll, muß ich die auf jeden Fall zurücklassen.«

»Können Sie zu mir hinstellen,« sagte Charley, »ich habe ein kapitales Lokal – unten ein großes Barzimmer mit einem Schlafkabinet.«

»Barzimmer?« frug der Fremde.

»Nun ja – Barzimmer, ach so, Sie wissen nicht was Bar ist, nun Schenkzimmer, das ist ja wohl deutsch – eine Treppe hoch habe ich einen Tanzsaal, sollen einmal den Tanzsaal sehen, wie ich den herausgeputzt habe – und auch ein Schlafkabinet, und oben unter dem Dach noch zwei Schlafkammern, wo, wenn es ordentlich eingetheilt wird, an die vierzehn Betten stehen können.«

»Aber wo wohnen Sie denn da?« sagte erstaunt der Fremde.

»Im Sommer wohn' ich im Tanzsaal und im Winter unten, neben dem Barzimmer.«

»Und vierzehn Betten in zwei Dachkammern?«

»Ja, und wie viel meinen Sie, daß im letzten Winter, wo ich den großen Ball hatte, dort oben in eilf Betten Menschen gelegen haben?«

»Nun vielleicht gar zwei und zwanzig Personen?« lachte der Deutsche.

»Zwei und zwanzig?« rief Charley die Nase rümpfend, »wegen denen wären die Umstände nicht nöthig gewesen – sieben und dreißig.«

»Aber wie ist das möglich?«

»Möglich? in Amerika ist Alles möglich, das werden Sie auch wohl noch erfahren, ehe Sie sechs Monate im Lande sind.«

»Dann kann ich also Alles zu Ihnen in's Haus schaffen lassen?«

»Ja wohl – versteht sich, wollen gleich einen Mann rufen, hey – Sam! oh Sam! hierher!«

Der Zuruf galt einem großen, breitschultrigen Mulatten, der neben seinem zweirädrigen Güterkarren am Ufer stand und mit der Peitsche knallte – »hier ist ein Gentleman, der Sachen nach meinem Hause zu schaffen hat.«

»Ay, ay, Mr. Charley,« rief der Mulatte, freundlich grinsend, während er über die Planke an Bord lief, und in wenigen Augenblicken oben neben ihnen stand, »soll richtig besorgt werden,« fuhr er fort, indem er den getheerten Matrosenhut neben die Peitsche auf das Verdeck legte, »aber Mister Charley, nicht wahr, Sam bekommt dann auch einen Schluck von dem Peach brandy

»Ist der schwarze Teufel schon wieder durstig,« rief Charley erstaunt, »hat er nicht erst vorgestern eine halbe Flasch voll ausgetrunken?«

»Aber Mister Charley –«

»Nun schon gut, schaff nur die Sachen ordentlich und schnell hinauf – ich komme gleich mit und da wollen wir sehen.«

Drei Koffer, zwei Hutschachteln, mehrere Gewehrfutterale, ein Reisesack und noch verschiedene andere kleine Kistchen und Kasten wurden jetzt von dem geschäftigen Mulatten in fast unglaublich kurzer Zeit an's Ufer, zu dem nur wenige hundert Schritt vom Wasserrande entfernten Hause Carl Fischers befördert, und der Fremde, nachdem er das Fuhrlohn wie einen Trunk für den Karrenführer bezahlt hatte, und Alles besorgt sah, wandte sich hier zu seinem freundlichen Wirth und sagte:

»Wenn es Ihnen recht ist, so möchte ich jetzt ein wenig Toilette machen, denn in diesem Aufzug kann ich doch auf keinen Fall in den Urwald dringen. Haben Sie Bären hier in der Nähe?«

»Bären?« frug Charley verwundert, »die Leute da oben leben von weiter Nichts als Bärenfleisch; wie die Schweine laufen sie im Walde herum, nach den Hirschen schießen sie gar nicht mehr.«

»Die Bären?«

»Die Jäger, of course

»Nun« rief der Fremde, »dann werde ich ja auch wohl noch heute Abend zum Schuß kommen, will also doppelte Kugeln einladen.«

Sie waren unterdessen in die Wohnung oder vielmehr das »Barzimmer« des kleinen Charley, wie es dieser nannte, getreten, und in dem daranstoßenden Kämmerchen verwandelte sich der junge Mann bald, was wenigstens das Äußere betraf, aus einem Stutzer in einen Jäger, mit grüner Pikesche, ledernen Beinkleidern, hohen Wasserstiefeln, umgeschnalltem Hirschfänger, gewaltiger lederner Waidtasche, und schöner Suhler Büchsflinte, dabei wohl ausgerüstet, was Schrotbeutel, Pulverhorn, Zündhütchenaufsetzer, Messer, kurz Alles das betraf, was er nach deutscher, richtiger Waidmannsart »fertig gerüstet« nennen konnte.

»Nun kann's losgehen!« jubelte Charley und schlug vor Freuden in die Hände, als er den Jäger erblickte. »Da sieht man' s doch auch, daß es ein Jäger ist; – hier zu Lande laufen sie mit ihren langen Schießprügeln auf der Schulter, den Kolben nach hinten, in alten ledernen Jacken und wollenen Fracks im Wald herum und haben dünne hirschlederne Lappen an den Füßen, durch die man jedes Sandkorn fühlt. Ich habe selbst einmal so ein paar Dinger angehabt, bin aber beinah lahm geworden; weiß der Böse nur, wie sie noch 'was schießen, es muß aber wohl so viel draußen sein, daß sie's selbst nicht ändern können.«

»Gehen Sie denn nie auf die Jagd?« frug der Fremde.

»Ich? nein – bewahre –« lachte Charley, »ich müßte mich auch gut mit einer Flinte ausnehmen; ne, da draußen im nassen Walde herumzukriechen, den ganzen Tag ein schweres Stück Eisen auf der Schulter zu schleppen und dann auch noch d'raus zu schießen – ne – das ist meine Passion nicht. Ich habe gern Alles in der gehörigen Ordnung, Abends mein gutes Essen und ein warmes Bett, und am Tag – aber sie läuten schon wieder auf dem Boot – daß Sie's nur nicht versäumen. Was mir aber noch einfällt, es wäre doch eine Möglichkeit, daß Sie sich verliefen, denn im Walde sieht ein Baum wie der andere aus, und hier neben an wohnt ein Indianer, wenn Sie dem einen Dollar und einen Schluck Whiskey geben so geht er mit Ihnen durch's Feuer.«

»Ein Indianer?« rief der Fremde entzückt, »o rufen Sie ihn her, ich will ihm geben was er haben will, der muß mit mir gehen, das ist zu romantisch.«

»Wie heißen Sie denn eigentlich?« frug Charley jetzt, dem der letzte Ausdruck wahrscheinlich auffallen mochte.

»Mein Name ist von Sechingen,« erwiederte der Fremde.

»Ach Herr von Sechingen, ist mir sehr angenehm Ihre werthe Bekanntschaft – aber der Teufel soll mich holen, wenn's da nicht schon zum zweiten Male läutet – laufen Sie auf's Boot, ich bringe den Indianer.«

»Ja – aber er muß sich doch erst zurecht machen.«

»Ist immer zurecht gemacht,« erwiederte Charley, »nur fort, sonst werden Sie noch zurückgelassen. Also wohl gemerkt – an der Mündung des Fourche la fave lassen Sie sich aussetzen, und wenn Sie Alles in Richtigkeit haben, so kommen Sie nur her, und holen sich Ihre Sachen – apropos – grüßen Sie mir die Deutschen oben.«

Herr von Sechingen eilte jetzt auf das Boot, es dauerte jedoch gar nicht lange, bis Charley mit dem versprochenen Indianer nachkam und ihn auch kaum noch abliefern konnte, denn eben schellte die Glocke zum dritten und letzten Mal, die Taue wurden eingenommen, ein flüchtiges Lebewohl den am Ufer Bleibenden zurückgerufen, und fort schoß der Koloß, das »schwimmende Gasthaus« gegen den Strom an, dem fernen, fernen Westen zu.

Der Deutsche versuchte indessen mit dem Indianer ein Gespräch anzuknüpfen, fand diesen aber zu einer langen Unterhaltung keineswegs aufgelegt, und konnte auf seine Fragen, da dieser noch dazu sehr gebrochen englisch sprach, nur kurze, und meistens unbefriedigende Antworten erhalten, so daß er seine Erkundigungen endlich einstellte und bei sich dachte, im Walde würde der rothe Sohn der Wälder auch wohl gesprächiger werden.

Dieser rothe Sohn der Wälder sah übrigens ganz anders aus, als sich Sechingen eigentlich die Indianer, jene stolzen, kriegerischen Häuptlinge gedacht hatte. Ein früher einmal blau gewesenes, baumwollenes Jagdhemd hing ihm lose um die Schultern, die Beine staken in grau wollenen Beinkleidern, die Füße in mächtigen groben Schuhen, auf dem Kopf saß ihm, bis tief in die Augen hinein, ein alter zusammengedrückter Strohhut, unter dem die langen, schwarzen Haare wild und unordentlich hervorquollen, und im Gürtel, der sein Jagdhemd zusammenhielt, stak ein kurzes, schmales Messer, während an seiner rechten Seite eine kleine lederne Tasche, auf seiner linken Schulter eine zusammengewickelte wollene Decke hing und eine lange, keineswegs prachtvoll aussehende Büchse mit Feuerschloß, die Bewaffnung und Ausrüstung dieses sonderbaren Wesens beendete.

Dem jungen Sechingen blieb jedoch kaum Zeit, dieß Alles an seinem neuen Reisegefährten und Begleiter zu bemerken, denn fast sämmtliche, sich auf dem Dampfboot befindenden Amerikaner drängten sich um ihn her und begannen mit der liebenswürdigsten Unbefangenheit von der Welt seine Waffen und ganze Ausrüstung anzustaunen und zu betrachten. Einer nahm ihm, mit einem freundlichen »if you please« (wenn Sie erlauben) die Büchse aus der Hand und knackte unzählige Male die Schlösser, ein Anderer zog, ohne zu sagen »if you please,« den Hirschfänger aus der Scheide und untersuchte die Schärfe desselben, ein Dritter zupfte an dem Patentschrotbeutel, bis er die Kapsel glücklich herausbrachte und eine ganze Ladung Schrot auf's Deck streute, kurz es fehlte nicht viel, so hätten sie ihn wie eine Puppe aus- und wieder angezogen.

Von Sechingen ließ sich im Anfang wirklich Alles mit vieler Gutmüthigkeit gefallen, es schien sogar seiner Eitelkeit etwas zu schmeicheln, von Jedem so bewundert zu werden; nach und nach ward ihm die Sache aber doch ein wenig lästig und er nahm, ohne viele Umstände, sein verschiedenes Eigenthum wieder an sich. Die Amerikaner frugen ihn jedoch fast bei jedem Stück, wie er es verkaufen wolle und wunderten sich sehr, als er ihnen sagte, daß er Nichts von alle dem veräußern würde. Einer wünschte sogar zu wissen, wie er seine Stiefeln gegen ein paar andere, erst wenige Wochen getragene vertauschen, d. h. ob er noch Aufgeld haben wolle, denn daß er sie, wenn ihm der Handel gut schiene, überhaupt vertauschen würde, verstände sich, glaubten die Leute, von selbst.

Sechingen bekam die Gesellschaft schon recht überdrüssig, als er endlich zu seiner Freude den Ausruf des Indianers vernahm, der, mit dem Finger vorwärts deutend, auf einen Anwuchs niederer Baumwollenholzschößlinge hinwies.

»Ist das die Mündung des Flusses,« rief er freudig – »nun Gott sei Dank – aber werden wir auch halten?«

Die Bootsglocke beantwortete seine Frage, der Ruf des Lootsen sandte die »Deckhands« oder Matrosen nach der, hinten am Boot befestigten Schaluppe – der Deutsche und Indianer sprangen hinein und fanden sich, wenige Minuten darauf, an der Spitze einer Sandbank, welche gerade überhalb des Flusses Mündung eine kurze Strecke in den Arkansas hineinlief. Das leichte Fahrzeug, was sie hierher gebracht, war indeß zum Boot zurückgekehrt – das Zeichen wurde gegeben, puffend und schnaubend brauste der schöne Dampfer stromauf, und die beiden Männer standen allein auf der kleinen, sandigen Landzunge.

Sechingen blickte entzückt um sich her – Alles – Alles mahnte ihn daran, daß er jetzt im Begriff sei, zum ersten Mal die Amerikanische Wildniß, den Urwald zu betreten, und von wonnigen Schauern durchbebt, wandte er sich gegen den dunklen Wald. Zu seiner Linken, am andern Ufer des kleinen Flusses, thürmten sich schroffe, mit Kiefern und Eichen bedeckte Hügel empor, rechts von diesen, in der Richtung, die er einzuschlagen gedachte, lag eine dichte grüne Baum- und Laubmasse und hinter ihm wälzte sich der gewaltige Arkansas dem »Vater der Wasser«, dem Mississippi zu, während der schmale Sandstreifen, auf dem sie standen, etwa eine Meile lang bis zu dem wieder steiler werdenden Ufer hinauflief.

Noch war der Deutsche in staunender Bewunderung des Heiligthums versunken, das er kaum zu betreten wagte, als der Indianer, dessen christlicher »Robert« in den bequemeren »Bob« umgetauscht worden, das Schweigen brach und dem jungen Mann mit wenigen Worten andeutete, wie er nicht gesonnen sei, hier die ganze Nacht auf offener Sandbank halten zu bleiben.

»Wollen gehn –« sagte er, und drehte dabei den Kopf nach allen vier Himmelsgegenden, um Wolken, Sonne und Luft genau und prüfend zu betrachten – »kaum noch eine Stunde Tag, besser an einen trockenen Platz vor Abend – Feuer anmachen – groß.«

»Und welchen Weg nehmen wir jetzt?« frug Sechingen.

»Weg?« sagte der Indianer verwundert, »kein Weg von hier – lauter Wald.«

»Ha, desto besser!« rief der Deutsche, »das ist herrlich; lauter dichter, finsterer Wald, und dann das Nachtlager, – o das muß köstlich werden.«

»Will der Weiße die nächste Richtung, ganz durch den Wald gehen, oder fünf Meilen um, über die Hügel – weit oben läuft ein gebahnter Weg!« sagte Bob.

»Oh unbedingt den nächsten Weg durch den Wald, wie weit ist es wohl?«

»Funfzehn Meilen – aber viel naß,« sagte der Indianer, und zeigte mit dem Finger gerade auf den Wald.

»Ich habe große Stiefeln an,« lachte Sechingen, »und wenn Sie sich nichts daraus machen« –

»Bob kann schwimmen,« erwiederte dieser lakonisch, schritt jetzt, ohne ein Wort weiter zu verlieren und die dünnen Baumwollenholzbäumchen auseinander biegend, durch diese hinweg und betrat, von dem Deutschen gefolgt, während sie die sandige, angewaschene Landzunge hinter sich ließen, den eigentlichen dunklen Wald.

Sechingen hatte vom ersten Augenblicke an, als er festen Grund und Boden unter den Füßen fühlte, die Doppelbüchse von der Schulter genommen und zum großen Ärgerniß Bob's, der fortwährend nach ihm hinschielte, beide Hähne aufgezogen, ging auch jetzt, stets im Anschlag, vorsichtig und aufmerksam umherspähend, hinter dem Indianer her, bis dieser endlich, trotz dem ihm angeborenen stoischen Gleichmuth, das Gefühl nicht länger ertragen konnte, in dem dichten Gewirre von Schlingpflanzen eine gespannte Büchse hinter sich zu haben, und von nun an neben dem jungen Mann blieb.

Die Sonne sank indessen mehr und mehr und verschwand eben hinter den gewaltigen Bäumen, nur noch hie und da einen der höchsten Wipfel mit ihrem rosigen Schein übergießend. Im Walde herrschte tiefe Stille, die nur selten durch das Quaken eines Frosches oder das Gezirpe einer Grille unterbrochen wurde; es war ein wunderlieblicher, entzückender Frühlingsabend, dem schönen Wald von Arkansas so eigenthümlich; dennoch aber schien sich der Herr von Sechingen dieses langersehnten Genusses nicht so recht zu erfreuen, oder wenigstens keine Zeit dafür zu haben, denn bald schlug er sich mit der flachen Hand auf die Stirn, bald in den Nacken, bald auf die andere Hand; oder nahm die Mütze ab, mit der er um sich herumschlug, und endlich blieb er gar in allem Unmuth stehen und rief aus:

»Wo kommen denn nur um Gotteswillen alle diese verwünschten Mücken her? das ist ja zum Rasendwerden.«

»Mücken?« sagte Bob, »was das? Mosquitos meint Ihr; nicht viele hier! mehr davon weiter vorne; aber lagern jetzt – gleich dunkel.«

Damit, ohne weiter eine Antwort seines Begleiters abzuwarten, warf er seine Decke und Kugeltasche ab, lehnte die Büchse an einen Baum und schlug Feuer, das er bald mit Hülfe des dürren Laubes zu einer Flamme anfachte, die, von trockenem Holz genährt, in wenigen Minuten zur hohen Gluth emporloderte.

»Hier also sollen wir bleiben?« sagte Sechingen etwas kleinlaut, indem er sich an dem Orte, auf welchem sie sich befanden, umsah, »ja – es wäre recht hübsch hier, wenn die verdammten Mücken nur nicht wären. Also das sind Mosquitos?« – fuhr er fort, als er eben wieder vier mit einem Schlage auf dem Rücken seiner Hand vernichtet hatte – »nun Gott sei Dank, es sind doch wenigstens genug von ihnen da, um sich abzulösen, wenn ein Theil satt oder müde werden sollte.«

»Fremder legt sich auf diese Seite vom Feuer, unter den Rauch – keine Mosquitos!« – bedeutete ihn Bob. Sechingen befolgte auch schnell den guten Rath, und fand sich hier, in dem weichen, gelben Laub, das mehrere Zoll hoch den Boden bedeckte, bald von seinen Quälgeistern verlassen, die durch den über ihm hinweggehenden Rauch verscheucht wurden. Bob schien sie gar nicht zu achten.

»Lieber ein Dach machen – kann regnen die Nacht,« sagte der Indianer jetzt.

»Regnen?« lachte Sechingen, »wo soll denn der Regen herkommen? es ist ja keine Wolke am Himmel?«

»Schadet Nichts,« meinte Bob – »Regenfrosch gutes Zeichen.«

»Ach nein – hier ist's herrlich,« betheuerte Jener, der, von seinen Plagegeistern für den Augenblick befreit, wieder das so lang gehegte und genährte romantisch wilde Sehnen in sich erwachen fühlte – »hier ist's so wundervoll, mit dem grünen Laubdach über uns, dem blauen sternbesäeten Himmel als Decke, und dem dunkelen, rauschenden Wald um uns her; wozu da noch ein Dach, was uns doch nur den Anblick des prachtvollen Firmamentes entziehen würde; kommen Sie hierher, Bob, legen Sie sich neben mich und erzählen Sie mir etwas aus Ihrem Leben.«

»Bob ist hungrig,« war die lakonische Antwort.

»Nun ja, da es einmal erwähnt wird,« meinte der Deutsche, »so wäre mir auch ein Bissen Warmes nicht so unerwünscht, ein Tasse Thee könnte besonders gar Nichts schaden.«

»Viel Thee im Wald,« sagte Bob.

»Thee? grüner Thee?«

»Gewiß grüner Thee – will der Weiße Thee haben?«

»Das wäre nicht so übel,« erwiederte Sechingen, »auf alle Fälle können wir es versuchen.«

Bob riß hierauf einen kleinen, neben ihm wachsenden grünen Strauch aus der Erde, wischte die Wurzel so rein als möglich mit seinem Jagdhemd ab, schnitt sie in dünne Spähne, that sie in den Blechbecher, den er an seiner wollenen Decke hängend trug, füllte diesen dann voll Wasser und setzte ihn auf die Kohlen.

»Und das wird Thee?« frug Sechingen ungläubig.

»Ahem,« war Bob's Antwort, der nur mit dem Kopfe nickte.

»Es ist aber doch sonderbar,« sagte der Deutsche nach einer wohl viertelstündigen Pause, in der er träumend zu den funkelnden Sternen hinaufgeschaut hatte, »daß wir jetzt schon über eine Stunde durch den dichtesten Wald gegangen sind, ohne eine Spur von Wild gesehen zu haben.«

»Sonderbar?« entgegnete die Rothhaut, »Bob hat drei Tage hier gejagt und keine Klaue gefunden.«

Das stimmte nun freilich nicht mit Charles Fischers Aussagen überein, doch blieb ihm für den Augenblick keine weitere Zeit zu ferneren Erörterungen, denn der Thee war fertig und wurde Sechingen dargereicht.

»Etwas Zucker und Milch wäre jetzt sehr an seinem Platz,« meinte dieser – »aber halt – ich habe ja Rum bei mir; der mag den Dienst versehen,« und aus einem kleinen Fläschchen, das er aus dem Jagdranzen nahm, goß er etwa ein Spitzglas voll in den Becher, und reichte die Flasche dann an Bob hinüber, der sie schon mit gierigen, verlangenden Blicken betrachtet hatte und jetzt einen langen, langen Zug that. Mit augenscheinlichem Widerwillen mußte er zuletzt absetzen, um Athem zu holen und Sechingen schob sie wieder in den Ranzen zurück. Der Thee war indessen etwas kühl geworden, – aber welch entsetzliches Gebräu.

»Pfui Teufel!« rief der junge Deutsche aus, indem er den Becher zurückschob und aufsprang. »Bob, das können Sie allein trinken, das schmeckt ja abscheulich.«

»Indianer trinkt nur Thee, wenn krank ist.«

»Ich bin aber nicht krank,« rief Sechingen.

»Ich auch nicht,« sagte Bob und begann mit großer Ruhe die Lederriemen aufzubinden, die seine Decke zusammenhielten.

»Daß mich auch der Böse plagen mußte, mit keiner Sylbe an Lebensmittel zu denken,« murmelte Sechingen ärgerlich vor sich hin, – »ich glaubte aber sicher, noch vor Dunkelwerden irgend ein Stück Wild erlegen zu können.«

»Bob kann warten,« brummte dieser und rollte die jetzt gelöste Decke auf.

»Nun so erzählen Sie mir wenigstens etwas,« bat ihn der Deutsche, »ich möchte gar so gerne einige Skizzen aus dem Leben der Indianer, von den Lippen eines Indianers hören, und da wir doch nun einmal im Wald sind, so lassen Sie mich auch einige Anekdoten von Ihren Jagden mit Büffeln oder Bären, von den Kämpfen mit anderen Stämmen, dem nächtlichen Überfall, dem Schlachtschrei und den genommenen Scalpen hören – was hilft mir denn der Wald und der Indianer, wenn wir schlafen wollen?«

»Weiß Nichts zu erzählen,« sagte Bob, indem er seine Decke nahe zum Feuer ausbreitete und dieses dann wieder von Frischem aufschürte – »habe nie einen Büffel gesehen und noch keinen Bären geschossen; – kam vor sechs Jahren von Georgien mit ganzem Stamm.«

»Und was haben Sie in den sechs Jahren getrieben? – Jagd?«

»Nein – Schuhmachen!«

»Schuhmachen?« frug Sechingen entsetzt – »Schuhmachen? ein Indianer – in Arkansas? aber Ihr Vater war doch ein Jäger und Krieger? fiel vielleicht in der Schlacht – in einem nächtlichen Überfall.«

»Mein Vater starb in Georgien an den Blattern – war ein Korbmacher.«

Bob schien jetzt zu glauben, daß er über sich und seine Familienangelegenheiten hinlängliche Auskunft gegeben habe, denn er rollte sich in die Decke, und war wenige Minuten später, wie sein lautes, regelmäßiges Athmen bewies, sanft eingeschlafen. Sechingen aber spießte, auf den linken Ellbogen gelehnt, mit seinem Genickfänger höchst mißvergnügt die vor ihm liegenden, gelben Blätter auf.

Er hatte sich Alles so romantisch gedacht – das Heulen der Wölfe, das Geschrei des Panthers, die Erzählungen eines rothhäutigen Kriegers von Jagden und Kriegszügen, und dazu das Rauschen des mächtigen Urwaldes – Ja! Der Urwald umgab ihn, in all seiner Pracht und Herrlichkeit, mit seinen Riesenstämmen und wild durchwachsenen Dickichten, mit den gigantischen Weinreben, die sich von Stamm zu Stamm schlangen, und im unzerreißbaren Netze die gewaltigen verbanden, den einzigen Laut aber, den er vernehmen konnte, war das Summen der Mosquitos, die, von der kühlen Nacht nicht eingeschüchtert, nach dem warmen Blute des Fremdlings lüstern, dessen Lager umschwirrten.

Höchst verdrießlich schob er sich endlich die Jagdtasche unter den Kopf, und wollte ebenfalls schlafen, als er, wie von einer Natter gestochen, wieder emporsprang, und nach der Büchse griff, denn dicht neben ihm – es konnte kaum zwanzig Schritte entfernt sein – vernahm er den sonderbarsten, wildesten Laut, den sich seine Phantasie nur je gedacht, nur je geträumt hatte.

»Huhu, huhu – huhu, huhu – a – h!« tönte es so klagend, so schauerlich, daß er, sprachlos vor Jagdeifer und innerem Entsetzen, den Arm seines schläfrigen Gefährten ergriff, und den Ruhenden mit aller Macht schüttelte, während er dabei in der Rechten die schnell gespannte Büchse fertig zum Schuß hielt.

»Bob, – Bob, – Bob!« – flüsterte er dabei mit unterdrückter Stimme – »ein Panther – Bob!«

»Ein was?« rief dieser, und sprang schnell auf die Füße, ergriff seine Büchse und sah den Fremden groß an. »Wo? wo Panther?«

»Pst!« winkte Sechingen – »dort war's – gleich in dem Busch da – er muß auf einen Baum geklettert sein, mir kam es hoch vor.«

»Huhu, huhu – huhu, huhu – a – h!« riefen die schauerlichen Töne auf's Neue, diesmal aber auf der entgegengesetzten Seite.

»Horch – horch – er hat uns umschlichen – erst war er hier.«

»Das der Panther?« frug Bob.

»Nun? was soll es sonst sein? ein Wolf steigt doch nicht auf die Bäume?«

»Eule!« sagte Bob, und legte sich wieder, ohne ein Wort zu verlieren, nieder.

»Teufel!« murmelte Sechingen ärgerlich vor sich hin, indem er den Hahn seiner Büchse in Ruhe setzte, »das nur eine Eule, und hat eine Stimme wie das stärkste, gewaltigste Thier.« Bob hatte aber ganz recht, es war wirklich eine Eule, die ihr einsames Nachtlied krächzte, und unwillig warf sich der in seinen schönsten Erwartungen Getäuschte in das gelbe Laub zurück.

Durch die ungewohnten Anstrengungen ermattet, schlief er lang und fest, sein Erwachen war aber ein sehr trauriges, unbehagliches, denn, als er von kalten Schauern durchschüttelt die Augen aufschlug, strömte von dem dunkelen, nur dann und wann durch einzelne grelle Blitze erhellten Nachthimmel der Regen in Fluthen hernieder, und fern grollender Donner murmelte seinen gewaltigen Segen dazu. Das Feuer war niedergebrannt und ausgelöscht, und tiefe Nacht umgab ihn.

»Bob?« rief er – »Bob! – Bob!« wiederholte er stärker und ängstlicher, als ihn auf einmal der Gedanke durchzuckte, sein rother Führer könne ihn im Stiche gelassen haben – »Bob!« – kein Bob antwortete und »Bob« schrie er jetzt in die Höhe springend aus Leibeskräften, daß er selbst vor dem dumpfverhallenden Nothruf zurückbebte, der gar so schauerlich in dem öden Walde wiederklang.

»Ja!« sagte der Wilde, der, nur wenige Schritte von ihm entfernt und in seine Decke gewickelt, unter demselben Baume mit ihm stand – »wir werden nassen Morgen bekommen.«

»Warum antworten Sie denn gar nicht? ich glaubte Sie wären fort. –«

»Und wohin!« frug Bob, »ein Baum so gut wie der andere – ich schlief!«

»Im Stehen?«

»Bob kann überall schlafen.«

»Was fangen wir denn jetzt um Gotteswillen an? ich bin durch und durch naß, und muß mich erkälten – wenn ich nur wenigstens eine Decke hätte.«

»Wenn der Weiße Bob's Decke haben will,« sagte gutmüthig der Indianer, – »so mag er sie nehmen, Bob kann ohne Decke naß werden.«

Sechingen schämte sich im Anfang, den armen Burschen seines fast einzigen Schutzes zu berauben, da der dünne Kattunlappen, den jener noch darunter trug, sicherlich als kein wärmendes Kleidungsstück angesehen werden konnte, doch überwog bald die Sorge um die eigene Gesundheit jede andere Bedenklichkeit, und fest in die, wenn auch etwas feuchte doch warme Umhüllung eingeschlagen, warf er sich wieder, die Waidtasche unter dem Kopf, an der Wurzel der alten Eiche nieder, deren Blätter ihnen, wenigstens jetzt noch, einigen Schutz gegen die immer stärker und stürmischer niedertobenden Schauer gewährten.

Bob kauerte sich dicht daneben, einen möglichst kleinen Raum einnehmend, zusammen und ließ den Kopf auf die Brust hinuntersinken, wachte aber, denn dann und wann lauschte er aufmerksam den Athemzügen des Weißen, ob dieser schlafe oder nicht, bis er sich endlich von dessen Bewußtlosigkeit hinlänglich überzeugt zu haben schien, und nun leise an ihn hinkroch.

Immer tobender raste indessen der Sturm, darum aber ganz unbekümmert, befühlte Bob mit vorsichtiger Hand und geräuschlosen Bewegungen die Waidtasche, und nach und nach, fast unmerklich seine Finger unter des Schlummernden Kopf bringend, gelang es ihm nach mehreren Minuten, die Flasche der Ledertasche zu entrücken.

Wäre es Tageshelle gewesen, so hätte man des Indianers Gesicht wohl ein triumphirendes Lächeln überfliegen sehen können, als er geräuschlos und mit geübter Hand den Kork abzog, so aber ward nur gleich darauf der leise, gluckende Laut gehört, wie der heiße erquickende Trank die Kehle des Durstigen hinunterglitt, und lange, lange sogen seine Lippen an dem engen Hals der Korbflasche. Endlich war auch der letzte Tropfen geleert, und Bob setzte, tief Athem holend, ab, versuchte dann zwar noch einmal, dem Boden einen vielleicht zurückgehaltenen Rest zu entziehen, die Nachlese fiel aber wenig ergiebig aus, und er bemühte sich jetzt, die entwendete Flasche wieder an ihren früheren Platz zurück zu schaffen. Um jedoch keinen unnützen Verdacht zu erregen, schob er sie vorsichtiger Weise verkehrt, mit der Öffnung nach unten, in die Tasche und ließ den Kork daneben in das Laub fallen, dann kroch er auf seinen alten Standpunkt zurück, und war bald ebenfalls, trotz stürmenden Unwetters und heulender Windsbraut, sanft und ruhig eingeschlafen.

Kalt und schaurig brach der Morgen an, die Gewitter hatten sich verzogen, aber schwere, dunkele Wolkenschichten schienen in an einander gepreßten Massen auf den Wipfeln der Bäume zu ruhen; ein feiner, dünner Regen stäubte nieder und einzelne Windstöße schüttelten in Schauern die großen Tropfen auf das fest an den Boden geschmiegte gelbe Laub hernieder.

Sechingen, obgleich schon seit längerer Zeit erwacht, fürchtete fast, sich in den naßkalten Falten der Decke zu bewegen, und lag regungslos in einander gekrümmt, bis es heller Tag geworden war; endlich ermannte er sich, sprang, die Hülle von sich werfend, auf die Füße, und schaute mit trostlosem, mattem Blick auf die ihn umgebende, keineswegs lächelnde Natur.

»Das also ist Urwald!« seufzte er leise vor sich hin, indem er einige der, trotz der kühlen Morgenluft auf ihn einstürmenden Mosquitos von sich abzuwehren suchte – »das ist Urwald? – eine sehr schöne Gegend – daß mich der Böse auch plagen mußte, dem Rath des Narren in Little-Rock zu folgen; der Indianer schläft dabei in seinem dünnen, baumwollenen Jagdhemd, als ob er im weichsten Federbett läge.«

Die Wahrheit zu gestehen, schlief Bob aber eigentlich nicht, sondern war schon, um sich zu erwärmen, seit einer Stunde hin- und hergelaufen, hatte sich aber, um wegen der Flasche nicht befragt zu werden, schnell wieder unter den Baum geworfen, sobald er das Munterwerden seines Marschgefährten bemerkte.

»Bob!« wollte dieser jetzt rufen, aber Du lieber Gott, keinen Ton brachte er aus der Kehle, der Hals war ihm wie zugeschnürt und er konnte sich selbst kaum vor Heiserkeit reden hören; nochmals versuchte er »Bob!« zu sagen, aber vergebens und seine Worte wurden zu einem kaum hörbaren Hauch. Er trat daher dicht neben den Indianer, und schüttelte diesen, bis er auf die Füße sprang und sich nun langsam, wie eben erst aus tiefem Schlaf erwacht, nach den Bäumen und Wolken umschaute.

»Wie weit haben wir noch bis zum nächsten Haus?« frug Sechingen jetzt mit seiner leisen, röchelnden Stimme.

»Könnt laut reden,« sagte der Indianer, das Schloß seiner Büchse abtrocknend und frisches Pulver auf die Pfanne streuend, »kein Wild hier, finden aber welches; dieser Morgen guter Jagdtag.«

»Ich kann nicht laut reden – ich habe mich ja erkältet,« flüsterte Sechingen ärgerlich.

»Erkältet!« rief verwundert die abgehärtete Rothhaut – »erkältet? was ist das?«

»Wie weit haben wir noch bis zum nächsten Haus?«

»Fünf Meilen!« sagte Bob.

»So lassen Sie uns wenigstens eilen, daß wir dort hinkommen, ich bin halb todt vor Hunger und Erschöpfung – Pest!« rief er aber zu gleicher Zeit, mit dem Fuße stampfend, aus, als er bei diesen Worten in die Jagdtasche gegriffen hatte, und die jetzt leere Flasche hervorzog, »auch das noch – ausgelaufen – bis auf den letzten Tropfen – die einzige, letzte Stärkung fort.«

»Wie schade!« sagte Bob, und sah traurig die Flasche an. Doch hier half kein weiteres Besinnen, beide Männer schulterten also ihre Gewehre, Bob hing seine alte, nasse Decke, die er jedoch vorher so gut wie möglich ausgerungen hatte, wieder auf den Rücken, und fort ging's auf's Neue in den Wald hinein, oder eigentlich, besser gesagt, im Walde fort, denn unbestreitbar waren sie darinnen.

Hier zeigte sich übrigens der Nutzen, den des Indianers Ortssinn, ein gewisser ihm angeborener Instinkt, dem Deutschen gewährte, denn ohne Jenen hätte er sich im Leben nicht wieder aus den Dickichten und Sümpfen herausgefunden, die, einander so ganz ähnlich, ihn nicht begreifen ließen, wie man in einem solchen Labyrinth eine wirklich gerade Richtung beibehalten konnte, ohne bei jeder Wendung irre zu werden. Immer unwegsamer wurde hier der Wald, häufiger und häufiger kreuzten sie schmale, kleine tiefe Bäche, und standen plötzlich an einem kleinen Flusse (oder einer Slew, wie es der Indianer nannte), der seine schlammigen Fluthen dem Fourche la fave zudrängte.

»Bob!« sagte Sechingen erschrocken, als dieser ohne weiter eine Sylbe zu äußern, hineintrat und durchwaten wollte, wobei ihm das Wasser bis unter die Arme reichte – »ist denn keine Fähre hier? wir sollen doch nicht mitten durch?«

»Ist der Weiße hungrig?« frug Bob, stehen bleibend.

»Sehr!«

»Und naß?«

»Durch und durch!«

Bob erwiederte nichts weiter, sondern badete gerade durch, während ihm die Fluth bis zu den Schultern stieg, und war in wenigen Minuten am anderen Ufer. Wehmüthig schaute ihm Sechingen nach, überzeugte sich aber bald, daß hier nichts Anderes zu thun übrig bliebe als zu folgen, denn allein zurück zu bleiben, ging doch auch nicht an. Das also, was er nicht zu durchnässen wünschte, als Brieftasche, Zündhütchen, Pulverhorn und Uhr in die Jagdtasche steckend und diese, nebst der Flinte, über dem Kopf haltend, trat er seine unfreiwillige Wasserfahrt an, kam auch glücklich hinüber, schüttelte sich hier, ließ das Wasser aus den Wasserstiefeln laufen, indem er sich auf den Rücken legte und die Beine an einem Baum in die Höhe reckte (im Anfang freilich etwas zu hoch) und folgte dann dem Führer, der schweigend voranschritt.

So großen Jagdeifer Sechingen aber beim Anfang ihrer Wanderung gezeigt hatte, so abgestumpft war er jetzt gegen alles ihn Umgebende geworden und schaute kaum vom Boden auf, um nicht fortwährend über die unzähligen, überall umhergestreuten Äste und Stämme zu stolpern und zu stürzen; die Flinte hing ihm, Hahn in Ruh und Sicherheit aufgesetzt, über die Schulter, die Mütze saß ihm tief in der Stirne und der einzige Laut, den er von sich gab, war dann und wann ein leise gemurmelter Fluch, wenn ihm die nassen Zweige in's Gesicht schlugen, oder sich sein Fuß, trotz aller Vorsicht und Aufmerksamkeit, in dem dichten Schlingpflanzengewebe fing, das an vielen Stellen den Boden wie mit einem festen Netze überzog.

Da blieb Bob plötzlich stehen und hob schnell und lautlos die Büchse an den Backen, und wie mit einem magischen Feuer durchgoß diese einzige Bewegung den Körper des bis jetzt in fast gänzlicher Apathie versunkenen Deutschen; blitzschnell riß er das eigene Gewehr von der Schulter und schaute, hochaufgerichtet, die Augen in dem alten, keineswegs erstorbenen Jagdeifer erglühend, spähend umher, das Wild zu entdecken, das der Indianer auf's Korn genommen. Aber erst, als er der Richtung von Bob's Büchse folgte, von deren Pfanne das Pulver schon zweimal abgeblitzt war, sah er einen stattlichen Hirsch, der ruhig äste und die Nähe zweier menschlichen Wesen gar nicht zu ahnen schien. Vor Eifer zitternd, hob Sechingen das Doppelrohr, das, noch mit guten, deutschen Zündhütchen versehen, dem Wetter Trotz geboten, und der Schuß krachte dröhnend durch den stillen Wald.

Hochauf sprang der Hirsch und setzte über einen, vor ihm liegenden Baumstamm, blieb dann aber augenblicklich wieder stehen, äugte verwundert umher, witterte zu gleicher Zeit die Feinde und sprang eben in ein benachbartes Dickicht, als ihm Sechingens Rehposten nachsausten. Wohl schüttelte er den schönen Kopf ein wenig, als ihm das Blei um's Gehör pfiff, unverletzt aber warf er den Wedel in die Höhe und war mit wenigen Sätzen verschwunden.

»Ich muß ihn getroffen haben,« rief Sechingen, der dem Anschuß in wilder Jagdlust zusprang; Bob folgte ihm jedoch sehr ruhig und bemerkte, die Fährten keines Blickes würdigend:

»Hirsch merkwürdig wohl, wenn er den weißen Fleck zeigt – weiße Mann Bockfieber!«

Gar sehr wider Willen mußte es sich Sechingen zuletzt selbst gestehen, daß er, auf kaum funfzig Schritt, mit beiden Läufen das Wild gefehlt habe, denn auch nicht ein einziger Tropfen Schweiß war auf dem Laube zu sehen. In hierdurch nicht gerade verbesserter Laune setzten also Beide, nachdem der Deutsche zuerst wieder geladen, ihren Weg weiter fort, und erreichten, nach etwa zweistündigem Marschiren, das Haus, von dem Bob gesprochen, und Sechingen mehr todt als lebendig, begrüßte mit freudigem Herzklopfen das trauliche, Schutz und Wärme versprechende Dach, aus dessen Lehmschornstein eine dünne, blaue Rauchsäule emporwirbelte.

Nachdem die beiden Männer zuerst noch eine niedere, die Wohnung umgebende Fenz überklettert hatten, näherten sie sich dem Gebäude, dessen Thür, nach Art all der andern fensterlosen Blockhäuser, offen stand, um Licht und Luft zu gleicher Zeit einzulassen, und betraten den inneren Raum, vor dessen breiten Kamin sie eine, dem Auge Sechingens wenigstens, sehr sonderbar erscheinende Gruppe versammelt fanden.

Es waren zwei Frauen und drei Kinder, die in malerischen Stellungen das Feuer umsaßen und umlagerten, und durch den Eintritt der Fremden in ihren verschiedenen Beschäftigungen weiter nicht gestört wurden, als daß die eine der Frauen, wahrscheinlich die Wirthin, mit ihrem Sessel ein wenig zur Seite rückte und sagte:

»Nehmt einen Stuhl!«

Nun wäre das zwar an und für sich schon eine recht freundliche Einladung gewesen, denn das Feuer flackerte mächtig und erwärmend mit rother Zunge die schwarz geräucherte Esse empor, wenn – nur ein Stuhl dagewesen wäre, vergebens schaute sich aber der Deutsche nach einem derartigen Möbel in dem kleinen Raume um, lehnte daher vor allen Dingen die Büchsflinte in die Ecke, legte die Jagdtasche daneben, welchem Beispiel der Indianer ohne weitere besondere Einladung folgte, und trat dann in den für sie freigemachten Raum an die linke Kaminecke.

»Nehmt den Stuhl!« sagte die Frau zum zweiten Male, und winkte dabei mit dem Kopf nach der gegenüber liegenden Ecke, aber kein Gegenstand, der auch nur die entferntere Familienähnlichkeit mit einem derartigen Hausgeräth gehabt, oder zu solchem hätte benutzt werden können, zeigte sich dem Auge; die Ecke war, ein schmales, langes Bret was darin lehnte ausgenommen, leer. Bob schien jedoch mit den Gelegenheiten der Wohnung und ihren Gebräuchen schon etwas besser bekannt, oder ein gewisser Instinkt mußte ihn leiten, denn kaum hatte er sich seiner nassen Decke entledigt, als er eben jenes Bret vorholte, dieses dann, dicht neben dem Kamin, zwischen zweien der die Wand bildenden Stämme hindurch, und auswendig unter den, zu diesem Zweck in einen Pfirsichbaum geschlagenen Pflock schob, und dem Deutschen mit der Hand zuwinkte, darauf Platz zu nehmen, was dieser denn auch nach einigen, etwas ängstlichen Versuchen zwar, befolgte, während Bob neben ihm stehen blieb und sich wie ein am Spieße steckender Braten, langsam vor der Gluth im Kreise herumdrehte, um seinem ganzen Körper einen gleichen Antheil von Wärme zukommen zu lassen. Bald stieg von ihren nassen Kleidern der feuchte Dampf wie eine Wolke zur Decke hinauf und drängte sich dort, durch aufgehangene Schinken und Speckseiten, in's Freie.

Die Beschäftigung der beiden Frauen zog jetzt, als das erste frostige Schütteln vorüber war, was Jeden erfaßt, der naß und kalt zu einem erwärmenden Feuer tritt, Sechingens neugierige Blicke auf sich. Die Herrin des Hauses saß nämlich auf einem kleinen Sessel, dem Feuer gerade gegenüber, hatte zwei Karden oder Wollkämme in der Hand, mit welchen sie die klargezupfte Baumwolle spinngerecht in lange Streifen rollte und nur dann und wann ihre Arbeit unterbrach, um eine kleine, kurze Pfeife aus dem Mund zu nehmen und den Kopf derselben, diese am Stiel fassend, durch die glühende Asche zu ziehen, wonach sie die dadurch herausgehobene kleine Kohle in die Höhe hielt, und in langen Zügen den verlöschten Tabak wieder zu entzünden suchte. In ihrem ganzen Wesen lag aber eine gewisse Reinlichkeit und Ordnung, die, mit dem freundlichen, offenen Gesicht der Matrone, einen höchst wohlthuenden Eindruck auf den jungen Deutschen machte, denn er war durch seine letzte Wanderung besonders empfänglich für alles Das geworden, was Behaglichkeit und häuslichen Sinn verrieth. Sie war sehr einfach, aber höchst sauber in selbstgewebte Stoffe gekleidet, und die größte Ordnung schien auch in dem kleinen, wenn gleich ärmlich ausgestatteten Raume zu herrschen, den sie bewohnte.

Keineswegs so günstig sprach ihn die Erscheinung der zweiten Gestalt an, deren Haar, nach Art der irländischen Frauen, in einem breiten Scheitel von dem rechten nach dem linken Ohr, quer über die Stirn hinüber gelegt war, und die durch ihre, nichts weniger als reinliche Kleidung auf eine um so auffallendere Art gegen die neben ihr sitzende Amerikanerin abstach. Ihr Anzug bestand aus grell buntem Kattun, der seine besten Tage schon gesehen hatte, und dessen große Pfauenaugen wehmüthig nach einer Stange Seife hinüber zu blinzen schienen, die auf einem kleinen Bretchen in der rechten Ecke des Zimmers ruhte. Sie kreuzte den einen Fuß über den andern und stützte sich mit dem linken Arm auf das rechte Knie, mit dem rechten Ellenbogen wieder auf den linken Arm, und paffte, ohne die eben Angekommenen weiter viel zu beachten, den Rauch aus ihrer kurzen Pfeife nach Herzenslust in den Kamin hinein.

Desto aufmerksamer wurden aber dafür die beiden feuchten Gäste von den drei Kindern beobachtet, deren ganzes, verwildertes, unsauberes Aussehen sie als der Irländerin (denn eine solche war der Gast) zugehörig bezeichnet hätten, wäre nicht diese stille Vermuthung Sechingens noch durch den unwiderlegbaren Beweis eines eben solchen Stückes Kattun, als Madame zum Kleid verwandt, bestärkt worden, das in verschiedenen spitzwinkeligen und dreieckigen Stücken die Kehrseite des jüngsten Kindes zusammenhielt.

Mit weit aufgerissenen Augen und Sprech- oder Schreiwerkzeugen starrten diese, nicht den Indianer, – denn dergleichen hatten sie schon genug gesehen, – sondern den, ihrer Meinung nach, viel wunderbarer bekleideten Deutschen an, und nur durch verschiedene Ermahnungen der Wirthin des Hauses – denn die eigene Mutter schien sich wenig oder gar nicht um sie zu kümmern – konnten sie zurückgehalten werden, sich immer wieder auf's Neue zwischen den Fremden und das diesem so höchst wohlthuende Feuer zu drängen.

Auf Sechingens Bitte um etwas Warmes zu essen und zu trinken, ließ die Amerikanerin jedoch augenblicklich mit freundlichem Eifer ihre beiden Beschäftigungen, Rauchen und Karden, im Stich und es dauerte gar nicht lange, bis ein Paar heiße Tassen Kaffee, nebst gebratenem Speck und schnell gebackenem Maisbrod auf dem rohen, aber blank gescheuerten Holztisch dampften, zu dem sich auch die Zwei nicht lange nöthigen ließen, sondern mit wahrem Heißhunger über die so lang und schmerzlich entbehrten Lebensmittel herfielen.

Sechingens verwöhnter Gaumen möchte freilich, unter anderen Verhältnissen, mit den vorgesetzten Gerichten schwerlich zufrieden gewesen sein; er befand sich aber gegenwärtig nicht in der Laune, lange zu betrachten und zu kosten, was er aß, so er nur überhaupt etwas zu verzehren hatte, und bald waren Teller und Schüssel leer und blank.

Während der Mahlzeit hatten die Frauen sich nicht weiter um die hungrigen Gäste bekümmert, als daß die Wirthin ihnen noch zweimal die schnell geleerten Tassen mit dem heißen, erquickenden Trank füllte; da sie aber jetzt gesättigt vom Tische aufstanden und wieder an's Feuer traten, fingen sie an, die mit Schnüren und Troddeln besetzte Pikesche des Deutschen zu bewundern, der, ihnen darin gern gefällig, sich von allen Seiten genau betrachten und die Arbeit daran untersuchen ließ.

Nun hatte aber Sechingen durch diese Aufmerksamkeit die moralische Überzeugung gewonnen, daß die beiden Damen von dem zierlichen Kleidungsstück ganz entzückt seien, und frug daher die Irländerin mit freundlicher Stimme, ob sie vielleicht im Sinne habe, ihrem Ehegemahl eine dieser ähnliche anzufertigen; die Frau rief aber verwundert:

»Meinem Manne, Sir? Gott segne Euch, für eine erwachsene Person eine solche Jacke? nein, aber ein hübsches Röckchen für das Jüngste gäb' es.«

Sechingen biß sich auf die Lippen und sah von der Seite den Indianer an; dieser schien jedoch in der Bemerkung nichts Auffallendes gefunden oder sie gar nicht beachtet zu haben, sondern nahm, als Zeichen des Aufbruchs, die Büchse wieder zur Hand, und nickte dem Deutschen zu.

»Was sind wir Ihnen für Ihre Güte schuldig?« frug also Sechingen jetzt, da es ihm nach dieser Äußerung nicht mehr so recht wohnlich bei den Leuten war.

»Oh ich weiß nicht« – entgegnete die Amerikanerin, »das Wenige, was ich Euch vorsetzen konnte, war gern gegeben und keiner Bezahlung werth. Wohnten wir hier an der Straße, dann wär' es etwas anderes, man kann nicht alle Reisende umsonst beherbergen, wenn man selbst arm ist und sich seine Lebensmittel schwer verdienen und erziehen muß, so aber mag's gehen. Wir sitzen hier mitten im Wald, und in Alabama, von wo wir herkommen, ist es auch nur an wenigen Stellen Sitte, daß man Bezahlung von Reisenden nimmt, also geht mit Gott, Ihr seid Nichts schuldig.«

Herzlich dankte ihr Sechingen, nicht allein für die gegebene Stärkung, sondern auch für die freundlichen Worte, und bedeutend gekräftigt und erfrischt, obgleich immer noch sehr durch die nassen Kleider belästigt, folgte der Deutsche seinem rothen Führer einen schmalen Pfad entlang, der sich von hier aus am Fuße einer jetzt erreichten niederen Hügelreihe hinwand und die Wanderer wenigstens dem niederen Sumpflande entzog, durch das sie bis dahin ihre Bahn hatten suchen müssen. Nicht viel Worte wurden zwischen Ihnen gewechselt, denn Sechingen spähte, da sie den etwas offeneren Wald betraten, scharf nach Wild umher, das der Führer jedoch wenig zu beachten schien, denn er schritt mit gesenkten und fest auf den Pfad gerichteten Blicken voran. Übrigens blieb des Deutschen Aufmerksamkeit höchst nutzlos verschwendet, denn kein einziger Hirsch, nicht einmal ein Truthahn, ließ sich sehen, und höchst mißmuthig und unzufrieden mit der ganzen amerikanischen Jagd warf er sich endlich die Büchsflinte wieder über die Schulter und schwur, daß – undankbarer Mensch – Charley Fischer ein – Aufschneider sei.

Nicht mehr weit hatten sie von da aus zu gehen, bis sie zu der kleinen Lichtung und Blockhütte kamen, die ihm von dem Indianer als die »deutsche Niederlassung« bezeichnet wurde, und hier lag wieder, wo Sechingen allerdings etwas ganz anderes erwartet hatte, ein solches unausweichbares Blockhaus vor ihm, das keineswegs dem von einer »deutschen Niederlassung« entworfenen Bilde glich; dennoch eilte er mit freudigen und lebhafteren Schritten darauf zu, denn er sollte ja jetzt Landsleute wiederfinden und durfte hoffen, nach der ausgestandenen Schreckensnacht seine Glieder in etwas stärken und erfrischen zu können.

Es ist aber eine eigene Sache mit den Deutschen in Amerika; in Arkansas, und überhaupt im fernen Westen, mag es noch angehen; selten bekommen sie hier einen Landsmann zu sehen, und freuen sich wirklich, wenn sie Einmal einem begegnen, der ihnen etwas Neues aus der Heimath erzählen kann. Anders, ach weit anders und weit trauriger ist es dagegen in den östlichen Städten, wo alle neue Einwanderer von den, sich schon dort befindenden Landsleuten als »Preisverderber und Eindringlinge« betrachtet werden, wo der schon etwas Amerikanisirte zu stolz ist, den früheren Freund deutsch anzureden, weil ein zufällig daneben stehender Amerikaner sonst sogleich wissen würde, daß er ebenfalls ein »Dutchman« wäre, und wo sich der Deutsche wirklich nur deßhalb mit dem Deutschen einläßt, um ihn, sobald sich eine Gelegenheit dazu finden sollte, tüchtig über's Ohr zu hauen und hinterher auszulachen. Das kannte v. Sechingen freilich noch nicht, ein ganz anderer Empfang wartete aber auch hier seiner, und mit offenen Armen und herzlichem, treugemeintem Gruß wurde er von dem biedern Deutschen Klingelhöffer, der in der einsamen Wildniß seine Wohnung aufgeschlagen hatte, empfangen.

Er war gerade beschäftigt gewesen Feuerholz zum Haus zu fahren, spannte jedoch augenblicklich aus und führte seine beiden Gäste in die kleine Hütte, um ihnen dort nach den ausgestandenen Strapatzen jede mögliche Bequemlichkeit gewähren zu können. Der Indianer war auch bald entschlossen, wenigstens für diese Nacht sein Quartier hier aufzuschlagen, und hing deshalb seine Decke ausgebreitet über die Fenz, damit sie der Wind, der jetzt recht scharf aus Nordwest zu blasen anfing abtrocknen könne, während Klingelhöffer, von Sechingen gefolgt, das Haus betrat, in welchem ihnen des ersteren wackere Hausfrau, freundlich grüßend, entgegen kam.

Vor allen Dingen mußte er nun seine nassen Kleidungsstücke ab und trockene anlegen, und bald vergaß er bei guter, nahrhafter Kost und neben einem erquickenden Feuer die überstandenen Mühseligkeiten und Entbehrungen.

Jetzt bekam er aber auch Zeit, das Innere der einfachen Hütte, in welcher die kleine Familie hauste, zu betrachten, und begriff in der That nicht, wie Menschen, die früher schon einmal an mehr und größere Bequemlichkeiten gewöhnt gewesen waren, hier und unter solchen Verhältnissen existiren konnten. Das Haus bestand, nach der gewöhnlichen Bauart des Landes, aus unbehauenen Stämmen, und die Spalten zwischen diesen waren, um den rauhen Nordwind abzuhalten, an dieser und an der Westseite mit lang gespaltenen Stücken Holz und Lehm ausgefüllt, dadurch eine feste und ziemlich warme, dem Klima wenigstens angemessene Wand bildend; die beiden anderen Wände jedoch ließen Licht und Luft ein, soviel nur durch die oft handbreiten Ritzen und Spalten einströmen konnten. In einer Ecke des Hauses standen zwei Betten, über denen ein langes Bret mit – einem seltenen Artikel in Arkansas – Büchern befestigt war, und an der gegenüber stehenden Wand befand sich ein anderer Gegenstand, den der Deutsche hier im Walde am wenigsten gesucht hätte und der auch von dem Indianer mit neugierig staunenden Augen betrachtet wurde: nämlich ein Fortepiano. Drei oder vier rohgearbeitete Holz- und Rohrstühle, der Tisch, dessen Platte ein früherer Kistendeckel bildete, und mehrere Kasten mit Schlössern und Fächern, auf denen das wenige Küchengeräth aufgestellt war, füllten den übrigen Raum, und Sechingen, als er das Alles eine Zeitlang betrachtet hatte, wandte sich endlich zu seinem Wirth, der eben wieder einen tüchtigen, lang gehauenen Hickoryklotz in's Feuer trug, und fragte, noch immer etwas schüchtern:

»Ist denn dieses wirklich der einzige Raum, den Sie mit Ihrer ganzen Familie bewohnen?«

»Nein,« sagte Klingelhöffer, »hier neben an steht noch ein kleines, sogenanntes Rauchhaus, wo wir unser Fleisch und Fett, die Kartoffeln, etwas zu Brod ausgesuchten Mais und andere zum Hausstand nöthige Sachen aufbewahren.«

»Und hier in diesem einzigen Zimmer wohnen und schlafen Sie?«

»Nun, ist das nicht genug?« lachte der Farmer, »da sollten Sie einmal hier sein, wenn Gerichtstag ist, und wir noch zwei oder drei Nachbarn und ein paar Advokaten zu bewirthen und unterzubringen haben, dann geht's freilich eng her.«

»Die schlafen doch nicht mit in diesem Hause?«

»Wo denn sonst? Alle mit einander.«

»Das ist ja aber ganz unmöglich!«

»Unmöglich?« lachte der Farmer, »unmöglich?« wiederholte er kopfschüttelnd – »das ist ein Wort, was wir hier in Arkansas nicht kennen; unmöglich ist gar Nichts auf der Welt, sobald es nur uns selbst und unser eigenen Bedürfnisse betrifft.«

»Sie Beide, mit Ihren drei Kindern (und die beiden Mädchen da draußen können kaum noch Kinder genannt werden), schlafen und wohnen wirklich fortwährend in diesem Zimmer? entbehren alle Bequemlichkeiten, die man sich sonst bei einem Wohn- und Schlafzimmer als unentbehrlich denkt, und existiren so gewissermaßen im Freien, auf offener Straße?«

»Ja, ja,« lachte Klingelhöffer, »und das ist noch gar nichts, jetzt haben wir doch Dach und Fach, werden nicht naß, wenn es draußen regnet, und können, wenn es kalt wird, ein Feuer anmachen, ohne dabei fürchten zu müssen, daß uns der Wind die Funken und Kohlen über das Bettzeug wegtreibt, wie das im ersten Winter der Fall war, wo wir hierher zogen und ich das Haus erst aufbauen mußte. Meine arme Frau war noch dazu damals krank und mußte viel, sehr viel ausstehen. Doch was man gern thut, wird Einem auch leicht, und wenn wir viel, ja fast Alles von dem entbehren müssen, an das wir im alten Vaterlande gewöhnt oder durch das wir verwöhnt waren, so drückten uns auch keine von den Sorgen, die wir dort kannten; wir arbeiten Beide, und dafür vermehrt sich auch unser Wohlstand und ich bin jetzt schon im Stande, das nächste Jahr ein bequemeres und geräumigeres Wohnhaus aufzuführen; bis dahin muß dies freilich noch ausreichen.«

»Ja, daß Sie das Alles mit leichtem Muth ertragen können,« rief Sechingen »finde ich sehr begreiflich! des drückenden europäischen Zwanges enthoben, fühlt sich der Mann, auch wohl unter schlimmeren Verhältnissen, kräftig genug, Alles zu bestehen und zu überwinden, was ihm hemmend in den Weg tritt. Die schwache Frau aber, zarte Kinder, in solcher Wildniß, den rauhen Stürmen der Jahreszeit, all den Entbehrungen eines Lebens auszusetzen, das doch nur eigentlich für einen Indianer passend scheint, da – da weiß ich denn doch nicht, ob ich so etwas über's Herz bringen könnte. Wenn nun die Frau krank wird und das Heimweh bekommt, und sich ewig und ewig fortsehnt, zurück nach den verlassenen, glücklicheren Verhältnissen?«

»Lieber Herr von Sechingen,« entgegnete ihm freundlich Klingelhöffer, indem er seine Hand ergriff, »wenn die Frau ihren Mann recht herzlich lieb hat, dann wird sie sich schon nicht von ihm fortsehnen, weil sie Bequemlichkeiten entbehren muß, an die sie früher gewöhnt war, im Gegentheil wird sie bei ihm bleiben wollen und alles das, was er ertragen muß, Freude wie Leid, mit ihm tragen, wie es meine Frau gethan; hat sie ihn aber nicht so recht von Herzen lieb, dann bleibt sich's auch ziemlich gleich, wo er seinen Leidenskelch leert, in der Stadt, oder im Walde. Mein liebes Weib hier ist nun einmal an mich und meine Laune gewöhnt, Gewohnheit thut viel, sie möchte mich nicht mehr entbehren, nicht wahr, Alte? und da harren wir denn schon hier im Walde zusammen aus.«

Er reichte bei diesen Worten der lächelnden, jungen Frau die Hand hinüber, und diese erwiederte den herzlichen Druck und lehnte sich vertrauend mit ihrem Köpfchen an seine Schulter.

»Ja, das ist Alles recht gut,« meinte Sechingen kopfschüttelnd – »Sie Beide haben sich lieb, wie sich Eheleute haben sollten, und können durch Sparsamkeit und Fleiß leicht ihr Auskommen, selbst in den widerwärtigen Verhältnissen finden; warum aber? ich bin fest überzeugt, daß Sie das auch im alten Vaterlande ermöglichen würden, und viele Genüsse des Lebens kennen Sie hier nur dem Namen nach, die dort eine natürliche Folge Ihres ganzen Wirkens wären.«

»Noch kennen Sie unser Land nicht,« erwiederte ihm der Farmer freundlich – »Sie sind gewissermaßen erst eine Nacht in Amerika, denn den kurzen Aufenthalt in einem der besten Hotels von New-Orleans, wie die kurze Reise auf bequemem, selbst mit jedem Luxus ausgestatteten Dampfboot, dürfen Sie gar nicht rechnen; lernen Sie also das Land erst ordentlich kennen, und ist das geschehen, dann wollen wir weiter über dieses Kapitel reden; davon aber sein Sie überzeugt, daß es gewaltige Vortheile sein müssen, die im Stande waren, einen Deutschen zu bewegen, seinem Vaterlande für immer zu entsagen.

Nicht alle Menschen lernen übrigens diese Vorzüge einsehen, und viele von diesen schleppen dann entweder ein unglückliches Leben in dem fremden, freundlosen Lande hin, oder sie kehren in die alte, aus Unmuth oder Veränderungssucht verlassene Heimath zurück; keiner aber, der Sinn für Freiheit und Unabhängigkeit in sich trägt, wird, wenn ihn nicht Familienbande unaufhaltsam dorthin ziehen, weniger erbärmlicher, leicht zu entbehrender Bequemlichkeiten und Luxusartikel wegen den freien Wald wieder mit den Ketten des alten Vaterlandes vertauschen. Thät' er es aber doch, schmiegte er sich bloß deshalb wieder unter das, einmal gemiedene Joch, flög' er wieder in den goldenen Käfig zurück, weil er sich nicht gern im Walde, in Sturm und Regen sein Futter selbst sucht, nun dann ist das kein Verlust für Amerika, solche Leute gehören auch nicht in den Wald, sie sind Futter für Bälle und Theater.«

»Ich weiß nicht,« meinte Sechingen kopfschüttelnd, »man braucht gerade kein Anhänger von Üppigkeit und Wohlleben zu sein, und mag doch die Überzeugung haben, seine Zeit nützlicher und angenehmer verbringen zu können, als im Walde bei einem Gewitterschauer. Mir zum Beispiel ist die Kehle wie zugeschnürt, und ich werde die Erkältung in vierzehn Tagen nicht wieder los.«

»Glaub's wohl,« lachte Klingelhöffer, »Sie sind aber auch gleich mit dem Kopf zuerst in das Schlimmste hineingefahren; was uns hier im Walde passiren kann: Kälte, Hunger und Nässe auszustehen, ist ein freilich etwas großer Abstand gegen die reich besetzte Tafel und das warme Bett eines Dampfbootes. Doch jetzt sollen Sie, wie ich hoffe, auch einige von den Annehmlichkeiten unseres Wald- und Farmerlebens kennen lernen, und wenn diese Sie dann nicht ganz mit unserer rauhen Heimath aussöhnen, so werden sie wenigstens viel dazu beitragen, Ihnen das Leben hier nicht allein von seiner Schatten-, sondern auch von seiner Lichtseite zu zeigen. Es giebt auch im Urwald glückliche Menschen.«

»Der Urwald verliert aber doch sehr in der Nähe,« erwiederte Sechingen, als er durch eine Spalte der Wohnung hinaus auf die, von grauen, nassen Regenwolken überhangenen Baummassen blickte, während der Wind, unheimlich pfeifend, durch ihre Wipfel brauste und ihnen die großen, klaren Tropfen aus den schwankenden Häuptern schüttelte, »ich hatte mir in mancher Hinsicht ein anderes Bild davon entworfen.«

»Sie hatten nicht daran gedacht,« fiel ihm sein freundlicher Wirth lachend in's Wort, »daß die gewaltigen, stattlichen Bäume auch im Sumpfe stehen, oder gar quer über den Weg hin liegen könnten, und dann die Passage eher versperren, als verschönern, daß nicht allein das romantische Geheul der wilden Thiere, sondern auch das sehr prosaische Gesumme der Mosquitos den Wald erfüllt, und daß sich eine Landschaft, wo der Sturm auf den Flügeln der Windsbraut die Fläche durchsaust, wo tolle Regengüsse aus den Wolken niederfluthen und trockene Wege zu Bächen und Bäche zu Strömen werden, sehr hübsch und interessant auf der Leinwand, keineswegs angenehm aber im wirklichen Leben, in der nüchternen hausbackenen Wirklichkeit ausnehmen. Ja, das geht Manchem so, das giebt sich aber, und zuletzt lernen wir selbst die Unannehmlichkeiten eines wilden Lebens lieb gewinnen. Sehen Sie aber, wie sich der Indianer das Fortepiano betrachtet, eine solche Maschine hat er im Leben noch nicht gesehen, ich werde ihm etwas vorspielen.«

Damit trat der Farmer zu dem Clavier, öffnete es, und präludirte ein wenig; gar wunderbarer Weise hatte sich auch das Instrument, einige Töne abgerechnet, noch ziemlich gut in Stimmung erhalten, trotz der feuchten Luft, der es fortwährend ausgesetzt war. Der Deutsche ging also nach einigen schnell gegriffenen Akkorden zu einem leichten Walzer über, und das Erstaunen Bob's, der vom Öffnen des Instrumentes an bis jetzt, starr von Überraschung und Verwunderung gestanden hatte, erreichte nun seinen höchsten Grad. Bei den immer schneller und munterer folgenden Tönen heiterten sich aber auch seine dunklen, bis jetzt fast ausdruckslos gewesenen Gesichtszüge auf, und ein Paar Reihen Zähne wurden sichtbar, die an Weiße dem frischgefallenen Schnee nichts nachgaben. Endlich schloß Klingelhöffer, und vom Stuhle aufstehend, klopfte er dem Indianer auf die Schulter und frug: »wie das klänge?«

»Bless my soul,« sagte dieser, noch immer das früher nie gesehene, wunderbare Gestell betrachtend – »eine große Violine mit Zähnen und Beinen wie ein Bär, die das Maul aufmachen kann – Bob hat noch nie so ein Ding gesehen!«

»Und wie gefällt es Dir?«

»Gut – unmenschlich gut!« sagte Bob, indem er den Mund von einem Ohr bis zum andern zog.

»Sehen Sie, hier haben Sie gleich eine Naturbeschreibung des Fortepianos,« lachte der Farmer, »der Bursche wird Wunderdinge davon erzählen, wenn er wieder nach Little Rock kommt; aber apropos, da wir von Little Rock reden, wo haben Sie denn Ihre Sachen gelassen, etwa dort?«

»Ja, bei Charles Fischer.«

»Nun da stehn sie ziemlich sicher, sonst ist dem Neste gerade nicht viel zu trauen; ich habe allen Respekt vor dieser Hauptstadt von Arkansas.«

»Haben Sie von dem Staat eine eben solche Meinung, als von der Stadt?«

»Dann blieb ich hier nicht wohnen, nein, ich halte Arkansas für den besten Staat der Union, das heißt, er ist mir der liebste, ich möchte in keinem anderen wohnen, und hoffentlich werden Sie dasselbe sagen, wenn Sie erst einmal im Lande umhergestreift sind und die verschiedenen Gegenden selbst besucht haben. Wohin gedenken Sie sich von hier aus zu wenden?«

»Aufrichtig gesagt,« erwiederte ihm Sechingen, »so hatte ich nach dem, was ich von Herrn Fischer in Little Rock gehört, große Lust, mir irgend ein Stück Land in dieser Gegend auszusuchen, und mich darauf niederzulassen. Es ist dieß die Ursache, weßhalb ich nach Amerika ausgewandert bin, ich – ich hatte ein so gewaltiges Sehnen nach dem – nach dem Urwald; seit letzter Nacht hat sich das freilich bedeutend gegeben, und ich möchte doch nun erst die hiesigen Verhältnisse ein wenig genauer kennen lernen, ehe ich mich bleibend festsetze. Ist es Ihnen also recht, mein bester Herr Klingelhöffer, und fall' ich Ihnen nicht zur Last, so bleib ich ein paar Tage bei Ihnen, wir durchziehen dann die Nachbarschaft ein wenig, und ich kann mich im Laufe dieser Woche fester und genauer bestimmen.«

Amerikanische Wald- und Strombilder. Zweiter Band.

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